Nornenfäden (4. Abteilung)
Gesellschaft verliert sich allzu gerne in der Täuschung des Vertraut seins.
Ich suche mir den Wolf. Ein Durcheinander. Zeichnete doch der überstürzte Aufbruch an diesem eiskalten Novembermorgen vor einem halben Jahr eine Spur der Verwüstung durch den Wohnwagen, welchen ich nach dem Auszug aus der Reihenhauswirklichkeit meiner gescheiterten Ehe fluchtartig bezogen und dann schlussendlich auch genauso verlassen hatte. Der Druckminderer an den Propangasflaschen war mal wieder eingefroren. Und so empfängt mich meine ehemalige Residenz auf Rollen mit dem gefangenen Hauch des vergangenen Winters.
Häppchenweise verlagerte ich nach den Wintermonaten meinen Hausstand von meinem ehemaligen Übergangsdomizil in die WG, nachdem ich bereits das Lager im Clubhaus aufgelöst hatte.
Durch die beschlagenen Seitenscheiben des Wohnwagens rieselt nur spärliches Sonnenlicht in das Chaos des Innenraums. Wie bei dieser Flucht aus dem Nomadendasein an diesem Novembermorgen.
Immerhin war die seinerzeitige Einladung Anteks nach dem frühzeitigen Wintereinbruch auf dem Campingplatz im Ergebnis eine Rettungsaktion. Zumal sich das angedachte Winterquartier im Dachstuhl des Vereinsheims, welches ich nach einiger Hilfestellung für den Vereinsvorstand beziehen durfte, keine wirklich reizvolle Alternative darstellte. Die eine Nacht im Clubhaus war durchsetzt von der Erkenntnis, dass eine marode Heizungsanlage gepaart mit stunden langem Gezeche der Clubmitglieder bei AC/DC-Klängen ein schlechter Passivtausch gegen die letzten durchfrorenen Nächte im Wohnwagen war. Also wieder zurück in den Mumienschlafsack der Schlafkabine. Dieser gefühlt wie ein Bratschlauch in einem Gefrierfach.
Schlotternd und mit aufgerauter Stimme stolperte ich am nächsten Morgen ans Handy, um mich an Anteks ausgelassener Stimme zu wärmen.
„Moin. Hast du verschlafen? Hörst dich ja ziemlich erkältet an.“
Ich räusperte mich und versuchte mich durch die zugefrorene Heckscheibe irgendwie am Sonnenstand in der Tageszeit zu orientieren.
„Schon gut. Ich habe mir nur die halbe Nacht den Arsch abgefroren.“
„Haste ihn denn wiedergefunden?“
„Ja. Eben habe ich ihn noch irgendwo in der Nähe des Beifahrersitzes gesehen.“
Anteks Stimme wechselte sekündlich von anfänglicher Heiterkeit zu Empörung.
„Sag jetzt nicht, du haust bei dem Frost noch im Wohnwagen.“
Begleitet mit einem lauten Fluchen stieß ich bei der Suche nach dem Wasserkocher recht unsanft mit meinem Kopf gegen den Vorsprung eines Deckeneinbauschranks. Mein Köper lechzte nach etwas Wärmenden und so hatte ich keine Lust zu lamentieren.
„Alter- was willst du?“
Antek zögerte einen Moment, bevor er mich mit einem Redeschwall zudeckte. Mit einem leichten Anflug von Stolz vermeldete er die Anmietung eines neuen Ateliers, in welchem er seinen Traum der Einheit von Leben und Arbeiten nunmehr Wirklichkeit einzuhauchen gedachte.
Der Kaffee war mir ausgegangen und so blieb mir nichts anderes übrig, als das mittlerweile siedende Nass aus dem Wasserkocher mit einem Rest Gemüsebrühe zu verfeinern, den ich wahllos aus einem Glas kratzte. Nach dem ersten wohlig warmen Schauer erreichten mich die Geschmacksnuancen des Gebräus mit der Intensität, wie es wohl ansonsten nur bei einer Kampfmittelausbildung der Bundeswehr anzutreffen war. Antek stockte in seiner Aufzählung, als ich angewidert und mit einem lauten Aufstoßen die Hälfte des Suds in den Ausguss schüttete.
„Hört sich ja nicht gerade gut an! Da wäre sowieso noch eine andere Sache. Habe gerade eine Auftragsarbeit zum Themenschwerpunkt `Körper und Geist´ eingefahren und wollte dich fragen, ob du mich da unterstützen könntest.“
Ich stutzte und Antek nutzte mein gedehntes „Äh…“, um auszuholen.
„Meine Agentin meinte, dass ich dazu vielleicht wertvolle Anregungen und Motive in einem Club sammeln sollte. Und da du und deine Ex ja nun mal öfters…“;
Antek stockte, als er mein gequältes Aufstöhnen durch das Telefon vernahm und ihm das sichtlich schlechte Timing seines Aktionsplans klar wurde. Um die Situation zu retten, setzte Antek von neuem an.
„Ach, egal. Wenn du dir ohnehin den Hintern abfrierst, komme doch auf einen Kaffee vorbei. Egal wann.“
„In Ordnung. Wenn bei dir Heizung und Kaffeemaschine laufen, dann bin ich in gut zehn Minuten da.“
Fantasien bedeuten Hochgeschwindigkeit und geraten allzu oft in den Richtungspuren des Möglichen ins Schleudern. So manche Fantasie verdient eher die Geborgenheit in den Tiefen der Seele, als dass sie denn hieraus hervorgezerrt wird, um an den Marterpfählen der Originalität und der Bedeutungshoheit des Möglichen geschändet zu werden.
Antek war dann zu sehr weitreichenden Konzessionen bereit. Ohne Murren akzeptierte er meine Bedingung, nur einen Club aufzusuchen, wo das Risiko nahezu gen Null ging, unerwünscht auf bekannte Gesichter zu treffen. Anteks Agentin engagierte sogar noch eine junge Kollegin, die zuweilen ohne tiefere Ambitionen als Gelegenheitsaktmodell agierte und sich -nach den Beteuerungen der Agentin- für das Projekt zu begeistern schien.
Unsicher wirkte sie dann doch, als ich mein Turiner Kleeblatt am vereinbarten Treffpunkt auf dem Randstreifen abstellte und Antek ausstieg, um ihr die Tür zu öffnen. Durch die geöffnete Tür vernahm ich zunächst eine sehr herzliche Begrüßung der beiden und dann ein sichtlich erleichtertes:
„Hallo, ich bin Leah.“
Auf meine nicht ohne Bewunderung ausgesprochene Begrüßung :
„Komm, steig ein. Toll siehst du aus!“,
blitzte ein Lächeln in ihrem Gesicht auf, welches die Atmosphäre sichtlich entspannte und den Rest der Anfahrt in eine anregende und gelöste Unterhaltung tauchte.
Der Club erfüllte dann das, was die Internetpräsentation versprach. Für unser Dreiergespann war allein aus den vordergründigen künstlerischen Ambitionen heraus die Führung durch die verschiedenen Landschaften und Szenerien obligatorisch. Leahs Offenheit und Neugier war ansteckend und Anteks anfängliche Reserviertheit trat zunehmend in den Hintergrund.
Bevor sie sich versahen, fanden sich Antek und Leah inmitten eines Stutenmarktes wieder. Antek genoss seine Rolle als erklärter Platzhirsch sichtlich, so wie sich auch seine anfängliche Angespanntheit zusehends löste. Im gleichen Maße sonnte sich Leah im Hagelschauer der Gebote. Welche ich mit einem Augenzwinkern mehrfach mit Spaßgeboten anfachte, sodass Leah Mühe hatte, ihr Kichern zu unterdrücken.
Zeit und Zeichen, mich zurückzuziehen…
Der Dungeon war gut frequentiert. Im Halbrund standen bereits mehrere Zuschauer im Dunstkreis eines Strafbocks und folgten der Unterweisung einer Bottom. Mir war es angesichts der noch präsenten Erinnerung an diverse Clubabende mit meiner Ex zuwider, mich in den Halbkreis der zum Teil Onanierenden einzureihen. Und so setzte ich mich auf ein abseitiges Ledersofa, um der Zweisprache von bullwhip und Lustschreien mit einem gut gefüllten Glas Malt zu folgen. Ein ständiger Wechsel von Flogger, Reitgerte und bullwhip ließ mich zusehends in meine Gedankenwelt eintauchen. Schlagzeilen flankierten meine gedankliche Suche nach irgendwo tief in mir verborgenen Rachegelüsten, welche ich womöglich noch abzuarbeiten hatte.
Nach schier unbestimmbarer Zeit schreckte ich aus meinen Gedanken, als mir ein Nachgeben der Sitzfläche Gesellschaft auf dem Sofa signalisierte. Ein Seitenblick erübrigte sich. Strömte mir doch der Duft entgegen, welcher bereits auf der Hinfahrt meinen Wagen durchströmte. Ohne den Blick von der Szenerie abzuwenden, flüsterte ich ihr zu:
„Alles klar?“
Sie kicherte los und deckte mich mit einem Redeschwall zu. Allem Anschein nach schien Antek in besten Händen zu sein und Leah genoss die schaurige Dunkelheit sichtlich, um selbst ein wenig herunterzufahren. Eine gewisse Genugtuung breitete sich aus, als ich ihr vermittelte, dass es gut war und Antek eine schwere Zeit hinter sich hatte.
Sie nickte und musterte mich.
„Wenn ich das richtig verstanden habe, war für dich die letzte Zeit ja auch nicht gerade einfach.“
Meinen aufkommenden Unmut über Anteks Geschwätzigkeit versuchte ich mit einem Achselzucken herunterzuwürgen.
Mit einer gewissen Faszination wechselte ihr Blick zwischen dem Geschehen am Strafbock und meiner schweigenden Reaktion. Ohne ihr den Blick zuzuwenden spürte ich, dass sie mich musterte.
„Weswegen bist du denn hier?“
Zögerlich neigte ich ihr meinen Kopf zu.
„Manchmal genügt der Anblick neuer Wunden, um alte Wunden vernarben zu lassen.“
Sie stutze für einen Augenblick.
„Das hast du jetzt wohl falsch verstanden. Ich meinte: Weshalb bist du hier im Club, wenn du offensichtlich keinen Sex haben willst.“
Ihr prüfender Blick offenbarte eine Erwartungshaltung, die eine Antwort irgendwo zwischen peinlichem Humor und entlarvender Larmoyanz zu erwarten schien. Nur eine weitere Erzählung im Glockenspiel des Narrativen dürfte da wohl kaum reichen. Und so drehte ich mich demonstrativ zu ihr hin und erwiderte mit bestimmender Miene:
„Na ja: Unsere Verabredung…“;
Mittel und Zweck meines Vorstoßes lösten wie erwartet eine Reaktion aus wie bei einer polizeilichen Gegenüberstellung. Ihr Blick wechselte von einem angestrengt interessiert zu einem großen Fragezeichen, welches sich über den ganzen Raum auszubreiten schien. Sie zögerte für einen Moment zwischen empörten Aufspringen und amüsierten Nachhaken.
„Also Moment mal- war das ohne mein Wissen irgendwie inszeniert oder hat dich das irgendwie überrascht?“
„Offen gesagt: Bis eben habe ich das auch noch nicht gewusst.“
Dort, wo noch vor Sekunden ein aufkeimendes Entrüsten sich auszudehnen schien, breitete sich nunmehr ein Lächeln aus. Wir folgten auf dem Sofa der weiteren Unterweisung der Sub, während sich unsere Hände kreuzten. Auch wenn es im Angesicht des Andreaskreuzes irgendwie albern ausgesehen haben mag…
Es dauert seine Zeit, bis ich den Druckminderer an den Propangasflaschen wieder gangbar bekomme. Und ich verschwende den halben Vormittag, um meine Sachen im Pendelverkehr zwischen Wohnwagen und dem Kofferraum meines Kombis zusammen zukramen. Als gegen Mittag der Stellplatznachbar beginnt, den halben Campingplatz mit volksdümmlicher Musik zu beschallen, beschließe ich, meine Siesta an der wegabgewandten Wohnwagenrückseite mit einer Nacktsonneneinheit abzurunden. Würdig unterlegt mit Frankenchrist von den Dead Kennedys und einer Reclamausgabe von Büchners „Dantons Tod“. Letztere an für sich nur zu dem Zweck, meinen bloßen Unterleib beim Dösen in der Sonne vor allzu neugierigen Blicken abzuschirmen.
Die Dead Kennedys- CD war wohl bereits seit längerem durchgelaufen, als mich ein Schattenwurf über meinem dröhnenden Schädel aufschrecken lässt. Ein erster tiefer Luftzug im gleißenden Gegenlicht der Nachmittagssonne vergewissert mich, dass sie nach wie vor dasselbe Parfum verwendet, welches sich noch über Wochen im Alfa und meinem Gedächtnis hielt.
Leahs Hand streicht vorsichtig über mein Gesicht und ihr neugieriger Blick wechselt nahtlos in ein lautes Kichern, als „Dantons Tod“ den Gesetzen der Schwerkraft folgt.
„Du lässt es dir aber so richtig gut gehen heute, oder?“
Ich ziehe sie auf meinen Schoß und stütze ihren Rücken mit meinen Armen ab.
„Nun- das kommt darauf an: Je nachdem, was darauf noch kommt.“
Sie entscheidet instinktiv, nicht sofort zu antworten, sondern deckt mich mit einem eindeutigen und fordernden Lächeln zu. Nach einer Kunstpause biete ich ihr zunächst etwas zu trinken an und ernte ein hektisches und zugleich zufriedenes Kopfnicken. Die Reclamausgabe bietet nur unzureichenden Sichtschutz und so trolle ich mich zügig in den Wohnwagen.
Wir tauschen uns durch das geöffnete Heckfenster aus, während ich kubanischen Rum mit reichlich Wasser in Longdrinkgläser fülle und mit hastig aus dem Eisfach zusammengekratzten Eiswürfeln auffrische. Sie erzählt mit lebhafter Stimme, dass es einige Mühe kostete, Antek meinen Aufenthaltsort zu entlocken. Und es sich noch schwieriger gestaltete, den Standplatz meines Wohnwagens aufzuspüren.
Meine Frage nach der Intention ihres Aufwandes verhallt urplötzlich irgendwo im Unterholz hinter der Heckscheibe.
Bevor ich mit den Longdrinkgläsern aus dem Wohnwagen sprinten kann, steht sie bereits in der Seitentür.
„Wenn du mich halten willst, musst du mich fesseln. Und wenn du mich fesseln willst, reicht es nicht, mich zu halten.“
Ein Lachen spritzt mir regelrecht entgegen, als ich sie in den Wohnwagen hineinzerre und die Tür zuwerfe. Ein kurzer Moment des zögerlichen Abtastens der Blicke nur, bis sich unser heißer Atem begegnet.
Ich umklammere ihre Arme, um diese dann mit dem Sisalseil in einem Spiralknoten zu verflechten und am Haltedollen der oberen Dachluke zu fixieren. Mit einem Zufallsgriff öffne ich exakt das Seitenfach, in welchem die Frischhaltefolie verstaut war. Während ich die Rolle mit den Zähnen aufreiße, vergewissere ich mich beim Öffnen ihres Sommerkleides, das sie beim Aufbruch zu meinem rollenden Refugium an jeglicher Unterbekleidung gespart hatte. Regungslos lässt sie es geschehen, als ich ihren Torso vollends mit der Frischhaltefolie straff einwickele. Nur ihre erregten Brustwarzen vermitteln einen leichten Widerstand, während sich Bahn um Bahn um ihren Leib windet. Als ich sie zu mir drehe, versucht sie in einer leichten Streckung, meine Lippen mit ihrem Mund zu erreichen.
Ich ziehe etwas zurück und lege einen Finger behutsam auf ihren Mund.
„Spare dir die Küsse auf! Nicht so viel atmen. Deine Respiration erfolgt momentan nur über das Atmen.“
Die Anspannung ihres Körpers löst sich allmählich unter meinen suchenden Händen und sie übt sich im regungslosen Atmen in Schwerelosigkeit…
So war und ist das halt mit Leah.
©Einar_VonPhylen 170620