Für das Setting
Auszug aus den Handschriften des Sinus Pax, selbsternannter Chronist und Kommentator der Gemeinschaft.
(Ehem. Grundschullehrer und Bürgermeister der Samtgemeinde Illigdorfen, bürgerlicher Name Alois Dernwegger, in Elfengarten aufgenommen auf eine schriftliche Zusage aus dem Jahre 2021, gegengezeichnet von Hagen Wollinger, dem Gründervater höchstselbst. Bewohnt Tannhaus 1 als Altenheim mit Betreuung)
Ich glaube, es war ursprünglich Hagen Wollinger gewesen, der den Anstoß für das Projekt gab. Seine schon sprichwörtliche Freundschaft zu Alois Dernwegger, dem Bürgermeister der Samtgemeinde Illigdorfen, mag den Ausschlag gegeben haben, dass der alternde Privatier – dem ohne Zweifel langweilig war zur damaligen Zeit – sich mit solcherlei doch stark alternativ anmutendem Gedankengut überhaupt befasste. Und er war bestimmt schon krank, denn viele Jahre hatte er ja nicht nach seiner Schöpfungstat.
Den Erzählungen zufolge – deren Wahrheitsgehalt sich durchaus mit einigen Unterlagen belegen lässt – trat er gemeinsam mit unserer Marie Läusler-Kronen eines Tages vor den Gemeinderat von Illigdorfen und präsentierte den verdutzten Oberbayern seinen Plan, nach dem er das gesamte, neu erschlossene Gewerbegebiet auf einmal erwerben wollte.
Er legte dar, dass er dort keinesfalls irgendeine Industrieanlage, sondern vielmehr eine Art Mehrgenerationen-Wohndorf mit angeschlossenen Kleingewerbebetrieben bauen wollte. Altersgerechtes Wohnen, Kindertagesstätte vor Ort, ökologischer Land- und Gartenbau, Tierhaltung auf natürlicher Basis, Fischteiche, eine Räucherei, eine Schlachterei, eine Schreinerei, eine Schlosserei, einen Bäcker und vielleicht noch etwas Künstlerisches.
Alles biologisch und ökologisch einwandfrei, die Bewohner sollten sich aus mindestens drei Generationen rekrutieren und ihre Behausungen auf Leibrentenbasis erwerben, allerdings unter Ausschluss der Vererbbarkeit.
Die Kinder würden in der freien Natur aufwachsen, die Mittelgeneration den Gelderwerb erledigen und ‚die Alten‘, die in unserer ach so humanitären Gesellschaft bis dahin in Entsorgungsanstalten weggeschlossen wurden, sollten dort, im neu geschaffenen Dorf, einen Platz im Leben behalten, je nach ihren Vorlieben und Ausrichtungen, eingebunden in die Gemeinschaft und sich nicht als Last empfinden müssen.
Alles eine hehre Sache, sollen die Gemeinderatsmitglieder damals konstatiert haben, aber wie sehe es mit der Finanzierung aus? Ja, da war Hagen Wollinger natürlich der richtige Ansprechpartner für die Amtsschimmel, denn erklärte sich bereit, eine nennenswerte Summe in eine Stiftung einzubringen, die das wirtschaftliche Überleben des Vorhabens in den ersten zehn Jahren sicherstellen sollte, zudem bot er sich persönlich als Business-Berater an, um das Projekt von Anfang an auf gesunde Füße zu stellen.
Wir wissen heute nicht mehr mit Sicherheit, wen er alles schmieren musste, aber nach drei Monaten entschieden die Illigdorfener, dieses wunderschöne Gelände einen Kilometer vor dem Dorf an die ‚Wollinger-Stiftung‘ zu verkaufen, die sich dann ohne Zeitverzug in ‚Elfengarten‘ umtaufte – dem Namen, den wir immer noch führen.
Drei Jahre blieben dem Gründervater noch, er war dabei, als die ersten ebenerdigen Hütten aus bestem Nordmann-Tannenholz gebaut wurden (ich weiß, dass später Lärche verwendet wurde, aber am Anfang haben die alle noch ein wenig experimentiert). Emsig kümmerte er sich um alle Formalitäten, ja er brachte sogar die Anträge durch, nach dem die Siedlung eine eigene Naturkläranlage sowie ein kleines, Biogas-betriebenes Blockheizkraftwerk errichten durfte.
Strom wurde von den immer noch arbeitenden Solarzellen und den beiden Windrädern produziert und in modernsten Zell-Batterien gespeichert, aber das Husarenstück war die eigene Sendeanlage, mit der wir uns heute noch in alle bekannten Kommunikationsnetze einklinken, ohne dass uns jemand zurückverfolgen könnte. Zwischen allen Gebäuden ließ er vorsorglich gut abgeschirmte Kabel legen, so dass wir untereinander in Kontakt bleiben, ohne, dass wir Funknetze benutzen müssen. Rings um das Gelände – inzwischen vierzehn Hektar groß – haben sie schon damals Ringspulen verlegt, die von der Sendezentrale aufgeschaltet werden können und Störfelder erzeugen, die jede Form von Überwachung von außen unmöglich machen.
Als Hagen Wollinger starb, zählte die junge Elfengarten-Gemeinschaft bereits sechsundzwanzig Mitglieder. Wie alle wissen, übernahm Marie das Erbe ihres Geliebten. Sie sorgte vor allem dafür, dass die Auswahl der neuen Mitglieder präzisiert wurden, denn seinerzeit wusste niemand, ob sich nicht bereits Maulwürfe eingeschlichen hatten.
Und sie tat viel für den Landbau. Hatten wir bis dahin einfache Feldwirtschaft betrieben – und immerhin fast achtzig Prozent unseres Nahrungsmittelbedarfes selbst erzeugt – legten wir unter ihrer fachkundigen Hilfe die ersten Beeren- und Obstbaumplantagen an, richteten die eigene Imkerei ein und bauten das Sudhaus, in dem man sich fortan um die Haltbarmachung der Ernte nach althergebrachten Methoden (und ohne Chemie!) kümmerte.
Ihr ist ebenfalls zu verdanken, dass unsere kleine Gemeinschaft auch alle Heilmittel erzeugen kann. Ihr profundes Kräuterwissen und ihre innige und jahrelange Auseinandersetzung mit dem Heilwissen unserer Vorfahren haben uns auch in diesem Bereich eine solide Autarkie ermöglicht. Und ihre Nachfolger – Damian, Lerau und Heather – führen diese Tradition sowie die Ausbildung neuer Heilkundiger in ihrem Sinne fort.
Endlich war es auch Marie, die uns von der wahnsinnigen Idee des gegenseitigen, lebenslangen Besitzes heilte und ebenso verfügte, dass eine Lebensgemeinschaft sich nicht zwangsläufig auf nur zwei Beteiligte und deren leiblichen Nachwuchs beschränken müsse. Die Ein-Jahr-und-ein-Tag-Zeremonie wurde eingeführt, alle Kinder wurden zu Kindern der Gemeinschaft erklärt und jeder Erwachsene leistete den Patenschafts-Schwur. (Obschon hir entgegen jeder Warnung gehandelt wurde: Den braven Christenmenschen drüben im Dorf würde das ungeregelte Miteinander von Mann und Weib auf jeden Fall ein Dorn im heiligen Auge sein. Doch niemand wollte auf die mahnenden Stimmen der Vernunft hören in dieser Zeit der Euphorie!)
Es schien so, als müsse bald das Paradies auf Erden zurückkehren, doch tatsächlich geriet unser Elfengarten genau zu dieser Zeit in die größte Krise, etwa zu der Zeit, als Cheops zu uns stieß. Wir waren wir kurz davor, aufzufliegen. Etliche Lücken in unseren Sicherheitssystemen, neue Technologien draußen, von denen wir nichts wussten, sowie eine gewisse Vertrauensseligkeit hatten uns angreifbar gemacht.
Ein ehemaliger Hacker wie er kam gerade recht. Auf gewisse Weise zog er einen Schleier um Elfengarten, so dass uns niemand mehr belauschen oder beobachten konnte, weder vom Himmel aus oder mit technischen Hilfsmitteln.
Dennoch waren wir nicht außer Gefahr. Viele erinnern sich noch an die Beltaine-Nacht, in der eine Horde von fast dreißig Jugendlichen aus dem nahen Illigdorfen zu uns zog, grölend, Parolen brüllend, dass einem Angst und Bange werden konnte. Viel ging zu Bruch in jener Nacht, alle Mitglieder der Gemeinschaft zogen sich in ihre massiven Behausungen zurück und mancher mag dennoch Todesängste ausgestanden haben.
In dieser Stunde der höchsten Not war es ein alter Mann, Konrad Wegener, der inzwischen längst nicht mehr unter uns weilt, der sich von Schatten zu Schatten in die Sendezentrale durchkämpfte, um von dort einen Anruf nach draußen zu tätigen. Keine Stunde später kam ein Wagen an, ein alter Wagen, der ebenfalls nicht geortet werden konnte. Vier Männer stiegen aus, auf den ersten Blick üble Gestalten, vierschrötig, maulfaul und wenig vertrauenerweckend.
Doch diese vier räumten in kürzester Zeit mit dem Illigdorfener Pöbel auf, viele der alkoholisierten Randalierer mussten sich später ärztlich behandeln lassen, wie wir erfuhren. Doch noch in derselben Nacht konnten die Bewohner unseres Dorfes erleichtert und ohne Angst wieder ins Freie gehen, und auch, wenn Kajetan, Vassili, Khalil und Stepanek zunächst misstrauisch beäugt wurden, waren die vier Retter bald in die Feierlichkeiten zum Zeitenwechsel eingebunden und man ließ sie hoch leben.
Heute, zum achtzigsten Geburtstag von Marie, die wir in den letzten Jahren nur noch ‚Hohe Mutter‘ nennen, wollen wir all jener glücklichen Fügungen danken. Kann sie selbst auch leider nicht teilnehmen, weil ein übles Fieber sie am Bett gefesselt hält, soll sie dennoch wissen, wie dankbar wir alle für ihr Wirken sind.
Und wir alle wollen der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass sie uns noch viele Jahre erhalten bleibt, wie auch der Hohe Vater Enno. Mögen sie beide weiterhin zum Wohl der Gemeinschaft wirken und wenn es für sie an der Zeit ist, den Stab weiterzugeben, eine kluge Wahl treffen.
Denn dies hier könnte eines Tages tatsächlich zum Paradies werden. Wir sind auf dem Weg, auch wenn wir leider inzwischen Menschen unter uns dulden müssen, die sich der Gewalt verschrieben haben, doch es steht einem Chronisten nicht an, darüber eine Meinung zu äußern. Vermeintlich benötigt die Gemeinschaft ja den Schutz solcher Subjekte, darüber darf man trefflich streiten. Auch wenn sie angeblich einem hehren Kodex folgen, sind sie in meinen Augen nichts weiter als Schläger und unterscheiden sich kaum von dem Pöbel, der uns angeblich bedroht.
Mögen uns die Hohe Mutter und der Hohe Vater weiterhin voller Weisheit führen. Und der Hohe Rat die richtigen Entscheidungen treffen.