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Renegades

Renegades
Die Ersten begannen sich in den frühen Zwanzigern aus dem System auszuklinken, leise, ohne viel Tamtam.

Cheops, so nannten wir ihn, bildete von Anfang an eine Art Mittelpunkt. Er saß in einem Rollstuhl, den er mit seinen Zähnen lenkte, er war arthritisch, körperlich verfallen und wirkte keinesfalls wie ein Guru oder ein großer Führer. Er war Geist. Und Seele. Für uns alle.

Ich weiß nicht, ob er der Erste war. Ob er dieses Lager gegründet hatte. Wahrscheinlich nicht. Aber es hatte sich um ihn herum gebildet. Als ich zu ihnen kam, nannte er mich Subotai, ein Name, der mich berührte. Er stellte mich meinem Bruder vor, Dschebe, einem kleinen, untersetzten Kerl, der nassforsch auftrat und sich gern wichtig machte.

Er lehrte uns die Wichtigkeit von Hierarchie und Regeln. Und fortan sorgten wir dafür, dass beides eingehalten wurde.

Der technische Overload, die allgegenwärtige Überwachung bot nicht mehr den Grund, darüber zu lamentieren, endlos zu diskutieren oder sich gar in den Medien darüber auszulassen, sondern leise, still und heimlich entstanden kleine Zellen, die mehr funzlig als versiert die Chips und GPS-Träger aus ihrem Leben entfernten. Während die Masse der Menschheit – einheitlich gesteuerten Klonkriegern gleich – dem Weg folgte, der ihnen von Industrie, Politik und unerkannten, ungreifbaren Strippenziehern vorgegeben wurde, tauchten mehr und mehr Außenseiter unter das Radar ab.

So auch wir. Ein Grundstück war schnell gekauft. Draußen, vor der Stadt. Ein ausgezeichnetes Gewerbegebiet. Sechstausend Quadratmeter mit Bebauungsplan. Offiziell so, realisiert ganz anders.

Wir bauten hölzerne Hütten, spartanisch ausgestattet. Unkommunikativ. Nicht verlinkt. Cheops brachte Typen daher, die das alles selbst programmierten. Vorbei an den herkömmlichen Standards. Die eigene Wege gingen, Wege, die nicht einsehbar waren für all die Datensammler und Überwacher. Dschebe und ich hatten damit nichts zu tun. Wir erkundeten das Umfeld. Wir verließen uns darauf, dass wir digital nicht zu orten waren.

Wir trainierten mit den Männern und Frauen - und auch den Kindern und Jugendlichen - im Lager den alten Kampf. Waffen, die längst vergessen waren, Bogen, Messer, Beil, Schwert. Wozu? Wir wussten es nicht. Cheops wusste es vielleicht. Oder er ahnte es, lange vor uns.

Und des Abends saßen wir am Feuer, schmiedeten Gemeinschaft. Mit all jenen, die uns tagsüber begleiteten, die einen bauten, die anderen erprobten sich, wieder andere kamen vom Landbau, verdreckt und nach Erde riechend. Aber Abends saßen wir beisammen, waren miteinander, Männer wie Frauen, eins zu eins, auf Augenhöhe. Auch in inniger Gemeinsamkeit.

*

Eine Geschichte will erzählt werden. Fügt dabei Eure Gedanken hinzu. Es ist nicht meine Geschichte, nicht allein. Ich werde sie fortsetzen aus meiner Sicht, aus der Sicht es Neo-Kriegers Subotai.

Doch ich würde mir wünschen, in dieser Welt der Renegades würden sich viele von euch einen eigenen Charakter erschaffen und ihn mit Leben erfüllen und seine Erlebnisse hier hineinschreiben, so dass eine große Geschichte entstünde, die geprägt sei von der Fantasie Vieler, schillernd, lebendig... und lasst uns sehen, wohin sie führt.

Ein Gemeinschaftswerk... schaffen wir das?



Hier die Übersicht der an der Handlung beteiligten Personen und Charaktere:
Kurzgeschichten: Renegades - Personenliste
Für das Setting
Auszug aus den Handschriften des Sinus Pax, selbsternannter Chronist und Kommentator der Gemeinschaft.

(Ehem. Grundschullehrer und Bürgermeister der Samtgemeinde Illigdorfen, bürgerlicher Name Alois Dernwegger, in Elfengarten aufgenommen auf eine schriftliche Zusage aus dem Jahre 2021, gegengezeichnet von Hagen Wollinger, dem Gründervater höchstselbst. Bewohnt Tannhaus 1 als Altenheim mit Betreuung)




Ich glaube, es war ursprünglich Hagen Wollinger gewesen, der den Anstoß für das Projekt gab. Seine schon sprichwörtliche Freundschaft zu Alois Dernwegger, dem Bürgermeister der Samtgemeinde Illigdorfen, mag den Ausschlag gegeben haben, dass der alternde Privatier – dem ohne Zweifel langweilig war zur damaligen Zeit – sich mit solcherlei doch stark alternativ anmutendem Gedankengut überhaupt befasste. Und er war bestimmt schon krank, denn viele Jahre hatte er ja nicht nach seiner Schöpfungstat.

Den Erzählungen zufolge – deren Wahrheitsgehalt sich durchaus mit einigen Unterlagen belegen lässt – trat er gemeinsam mit unserer Marie Läusler-Kronen eines Tages vor den Gemeinderat von Illigdorfen und präsentierte den verdutzten Oberbayern seinen Plan, nach dem er das gesamte, neu erschlossene Gewerbegebiet auf einmal erwerben wollte.

Er legte dar, dass er dort keinesfalls irgendeine Industrieanlage, sondern vielmehr eine Art Mehrgenerationen-Wohndorf mit angeschlossenen Kleingewerbebetrieben bauen wollte. Altersgerechtes Wohnen, Kindertagesstätte vor Ort, ökologischer Land- und Gartenbau, Tierhaltung auf natürlicher Basis, Fischteiche, eine Räucherei, eine Schlachterei, eine Schreinerei, eine Schlosserei, einen Bäcker und vielleicht noch etwas Künstlerisches.

Alles biologisch und ökologisch einwandfrei, die Bewohner sollten sich aus mindestens drei Generationen rekrutieren und ihre Behausungen auf Leibrentenbasis erwerben, allerdings unter Ausschluss der Vererbbarkeit.

Die Kinder würden in der freien Natur aufwachsen, die Mittelgeneration den Gelderwerb erledigen und ‚die Alten‘, die in unserer ach so humanitären Gesellschaft bis dahin in Entsorgungsanstalten weggeschlossen wurden, sollten dort, im neu geschaffenen Dorf, einen Platz im Leben behalten, je nach ihren Vorlieben und Ausrichtungen, eingebunden in die Gemeinschaft und sich nicht als Last empfinden müssen.

Alles eine hehre Sache, sollen die Gemeinderatsmitglieder damals konstatiert haben, aber wie sehe es mit der Finanzierung aus? Ja, da war Hagen Wollinger natürlich der richtige Ansprechpartner für die Amtsschimmel, denn erklärte sich bereit, eine nennenswerte Summe in eine Stiftung einzubringen, die das wirtschaftliche Überleben des Vorhabens in den ersten zehn Jahren sicherstellen sollte, zudem bot er sich persönlich als Business-Berater an, um das Projekt von Anfang an auf gesunde Füße zu stellen.

Wir wissen heute nicht mehr mit Sicherheit, wen er alles schmieren musste, aber nach drei Monaten entschieden die Illigdorfener, dieses wunderschöne Gelände einen Kilometer vor dem Dorf an die ‚Wollinger-Stiftung‘ zu verkaufen, die sich dann ohne Zeitverzug in ‚Elfengarten‘ umtaufte – dem Namen, den wir immer noch führen.

Drei Jahre blieben dem Gründervater noch, er war dabei, als die ersten ebenerdigen Hütten aus bestem Nordmann-Tannenholz gebaut wurden (ich weiß, dass später Lärche verwendet wurde, aber am Anfang haben die alle noch ein wenig experimentiert). Emsig kümmerte er sich um alle Formalitäten, ja er brachte sogar die Anträge durch, nach dem die Siedlung eine eigene Naturkläranlage sowie ein kleines, Biogas-betriebenes Blockheizkraftwerk errichten durfte.

Strom wurde von den immer noch arbeitenden Solarzellen und den beiden Windrädern produziert und in modernsten Zell-Batterien gespeichert, aber das Husarenstück war die eigene Sendeanlage, mit der wir uns heute noch in alle bekannten Kommunikationsnetze einklinken, ohne dass uns jemand zurückverfolgen könnte. Zwischen allen Gebäuden ließ er vorsorglich gut abgeschirmte Kabel legen, so dass wir untereinander in Kontakt bleiben, ohne, dass wir Funknetze benutzen müssen. Rings um das Gelände – inzwischen vierzehn Hektar groß – haben sie schon damals Ringspulen verlegt, die von der Sendezentrale aufgeschaltet werden können und Störfelder erzeugen, die jede Form von Überwachung von außen unmöglich machen.

Als Hagen Wollinger starb, zählte die junge Elfengarten-Gemeinschaft bereits sechsundzwanzig Mitglieder. Wie alle wissen, übernahm Marie das Erbe ihres Geliebten. Sie sorgte vor allem dafür, dass die Auswahl der neuen Mitglieder präzisiert wurden, denn seinerzeit wusste niemand, ob sich nicht bereits Maulwürfe eingeschlichen hatten.

Und sie tat viel für den Landbau. Hatten wir bis dahin einfache Feldwirtschaft betrieben – und immerhin fast achtzig Prozent unseres Nahrungsmittelbedarfes selbst erzeugt – legten wir unter ihrer fachkundigen Hilfe die ersten Beeren- und Obstbaumplantagen an, richteten die eigene Imkerei ein und bauten das Sudhaus, in dem man sich fortan um die Haltbarmachung der Ernte nach althergebrachten Methoden (und ohne Chemie!) kümmerte.

Ihr ist ebenfalls zu verdanken, dass unsere kleine Gemeinschaft auch alle Heilmittel erzeugen kann. Ihr profundes Kräuterwissen und ihre innige und jahrelange Auseinandersetzung mit dem Heilwissen unserer Vorfahren haben uns auch in diesem Bereich eine solide Autarkie ermöglicht. Und ihre Nachfolger – Damian, Lerau und Heather – führen diese Tradition sowie die Ausbildung neuer Heilkundiger in ihrem Sinne fort.

Endlich war es auch Marie, die uns von der wahnsinnigen Idee des gegenseitigen, lebenslangen Besitzes heilte und ebenso verfügte, dass eine Lebensgemeinschaft sich nicht zwangsläufig auf nur zwei Beteiligte und deren leiblichen Nachwuchs beschränken müsse. Die Ein-Jahr-und-ein-Tag-Zeremonie wurde eingeführt, alle Kinder wurden zu Kindern der Gemeinschaft erklärt und jeder Erwachsene leistete den Patenschafts-Schwur. (Obschon hir entgegen jeder Warnung gehandelt wurde: Den braven Christenmenschen drüben im Dorf würde das ungeregelte Miteinander von Mann und Weib auf jeden Fall ein Dorn im heiligen Auge sein. Doch niemand wollte auf die mahnenden Stimmen der Vernunft hören in dieser Zeit der Euphorie!)

Es schien so, als müsse bald das Paradies auf Erden zurückkehren, doch tatsächlich geriet unser Elfengarten genau zu dieser Zeit in die größte Krise, etwa zu der Zeit, als Cheops zu uns stieß. Wir waren wir kurz davor, aufzufliegen. Etliche Lücken in unseren Sicherheitssystemen, neue Technologien draußen, von denen wir nichts wussten, sowie eine gewisse Vertrauensseligkeit hatten uns angreifbar gemacht.

Ein ehemaliger Hacker wie er kam gerade recht. Auf gewisse Weise zog er einen Schleier um Elfengarten, so dass uns niemand mehr belauschen oder beobachten konnte, weder vom Himmel aus oder mit technischen Hilfsmitteln.

Dennoch waren wir nicht außer Gefahr. Viele erinnern sich noch an die Beltaine-Nacht, in der eine Horde von fast dreißig Jugendlichen aus dem nahen Illigdorfen zu uns zog, grölend, Parolen brüllend, dass einem Angst und Bange werden konnte. Viel ging zu Bruch in jener Nacht, alle Mitglieder der Gemeinschaft zogen sich in ihre massiven Behausungen zurück und mancher mag dennoch Todesängste ausgestanden haben.

In dieser Stunde der höchsten Not war es ein alter Mann, Konrad Wegener, der inzwischen längst nicht mehr unter uns weilt, der sich von Schatten zu Schatten in die Sendezentrale durchkämpfte, um von dort einen Anruf nach draußen zu tätigen. Keine Stunde später kam ein Wagen an, ein alter Wagen, der ebenfalls nicht geortet werden konnte. Vier Männer stiegen aus, auf den ersten Blick üble Gestalten, vierschrötig, maulfaul und wenig vertrauenerweckend.

Doch diese vier räumten in kürzester Zeit mit dem Illigdorfener Pöbel auf, viele der alkoholisierten Randalierer mussten sich später ärztlich behandeln lassen, wie wir erfuhren. Doch noch in derselben Nacht konnten die Bewohner unseres Dorfes erleichtert und ohne Angst wieder ins Freie gehen, und auch, wenn Kajetan, Vassili, Khalil und Stepanek zunächst misstrauisch beäugt wurden, waren die vier Retter bald in die Feierlichkeiten zum Zeitenwechsel eingebunden und man ließ sie hoch leben.

Heute, zum achtzigsten Geburtstag von Marie, die wir in den letzten Jahren nur noch ‚Hohe Mutter‘ nennen, wollen wir all jener glücklichen Fügungen danken. Kann sie selbst auch leider nicht teilnehmen, weil ein übles Fieber sie am Bett gefesselt hält, soll sie dennoch wissen, wie dankbar wir alle für ihr Wirken sind.

Und wir alle wollen der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass sie uns noch viele Jahre erhalten bleibt, wie auch der Hohe Vater Enno. Mögen sie beide weiterhin zum Wohl der Gemeinschaft wirken und wenn es für sie an der Zeit ist, den Stab weiterzugeben, eine kluge Wahl treffen.

Denn dies hier könnte eines Tages tatsächlich zum Paradies werden. Wir sind auf dem Weg, auch wenn wir leider inzwischen Menschen unter uns dulden müssen, die sich der Gewalt verschrieben haben, doch es steht einem Chronisten nicht an, darüber eine Meinung zu äußern. Vermeintlich benötigt die Gemeinschaft ja den Schutz solcher Subjekte, darüber darf man trefflich streiten. Auch wenn sie angeblich einem hehren Kodex folgen, sind sie in meinen Augen nichts weiter als Schläger und unterscheiden sich kaum von dem Pöbel, der uns angeblich bedroht.

Mögen uns die Hohe Mutter und der Hohe Vater weiterhin voller Weisheit führen. Und der Hohe Rat die richtigen Entscheidungen treffen.
"Subotai"
Mein wahrer Name tut nichts zur Sache. Auch meine Herkunft nicht. Und schon gar nicht, was ich vorher getan habe. Niemand hier weiß es und das ist gut so. Hier nennen sie mich Subotai, das ist ein General gewesen, der die Horden des großen Khan befehligt hat, so haben sie es mir erzählt. Ich bin kein General, aber der Name gefällt mir. Er ist besser als der, den ich bis jetzt getragen habe.

Die alte Frau, die mit den strengen Augen, Marie, die Hohe Mutter, hat mich befragt. Tagelang. Und hat mir ins Herz gesehen. Das tat weh im ersten Moment, so weh, dass ich die Tränen nicht unterdrücken konnte.

Ja, ich habe geweint. Viele Nächte lang. Um all das, was ich verloren habe und all das, was ich anderen genommen habe. In Ländern, die nicht meine Heimat waren, an Orten, an denen ich der Fremde gewesen bin. Der Eindringling.

Hier, im Elfengarten, fühle ich mich angekommen. Das erste Mal seit langem. Oder das erste Mal überhaupt?

Sie gaben mir eine Hütte, ganz für mich allein. Jemand, der vor mir hier gewohnt hatte, musste von meiner Art gewesen sein, die Erinnerung an ihn kroch mir in die Nase, als ich den Raum betrat. Alles vertraut. Übersichtlich. Dreißig Quadratmeter vielleicht, jedes Fenster und die Tür im Blick. Eine Nische zum Waschen in der Ecke, gegenüber davon eine kleine Küchenzeile. Der Platz zum Schlafen ist oben, eine Holztreppe hinauf. Solide Wände, zwei Eingänge, einer vorn, einer hinten - auch sie liegen über Eck.

Oben, vom Schlafraum, führen zwei Fenster in der Dachschräge hinaus. Sie lassen sich geräuschlos öffnen und das Dach ist nicht steil. Da hat jemand mitgedacht beim Bau dieses kleinen, soliden Holzhauses. Wenn man mich draußen braucht, wird das schnell und lautlos gehen.

Ich bin ein Krieger. So sagte man mir. Meine Aufgaben: Schützen. Patrouillieren. Sichern und bewachen. Und, wenn es nötig wird, kämpfen. Ja, und die anderen ausbilden. Vor allem die Kinder. Ihnen beibringen, worauf sie achten müssen, worauf sie ihre Aufmerksamkeit richten sollen.

Ach, die Kinder. Siebzehn an der Zahl, alle Altersgruppen sind dabei. Der dreijährige Thomen, der so geschrien hat, als er mich das erste Mal sah. Sicher, die Narbe in meinem Gesicht wirkt nicht sehr vertrauenerweckend. Verdammte Iraki. Garde, pah. Brutale Schlächter waren das, doch das ist vorbei. Vernarbt.

Vivian. Die spritzige Zwölfjährige, die lieber ein Junge wäre. Sie ist gut, sie lernt schnell und bemüht sich. Anders als Lew, der immer noch ein paar Kilo zu viel mit sich rumschleppt. Aber das kriegen wir hin. Er kann schon recht passabel mit dem Bogen umgehen, nur im Nahkampf tut er sich schwer.

Gestern war ein Lagerfeuer, ein Fest, ich weiß nicht genau, zu welchem Anlass. Hier reden sie von Dingen, die ich nicht kenne, ausgerechnet ich, der von allen hier wahrscheinlich am meisten von der Welt da draußen gesehen hat. Nun, ich werde auch ihre Riten lernen, es wäre nicht das erste Mal. Im Hochland an der pakistanischen Grenze damals hat es auch geklappt …

Am Lagerfeuer, gestern. Da saßen sie plötzlich neben mir. Starrten in die Flammen, fast dachte ich, sie äffen mich nach: Lew, Vivian, Flo, Silver, Kenneth und Drago. Mein ‚Dreamteam‘, wie ich sie inzwischen nenne. Mit jedem war ich schon nachts unterwegs auf Patrouille, und jeder von ihnen hat sich ordentlich benommen.

Vielleicht mögen die mich ein bisschen, sie nennen mich scherzhaft ‚Sergeant‘ oder kürzen das ab, das haben sie aus irgendwelchen Filmen. Naja, blöd war, dass ich irgendwann anfing, zu erzählen. Bin dann dummerweise in Afghanistan gelandet und Vivian hat mir den Arm um die Schulter gelegt und geweint. Blöd, das wollte ich doch nicht. Ich will den Kindern keine Angst machen. Sie nicht mit der Scheiße belasten, die ich hinter mir habe. Weiß auch nicht, wie das gekommen ist.

Ich hatte jedenfalls keine Wache, gestern. Bin dann ins Bett gegangen. Die Erwachsenen schauen mich immer noch seltsam an, einige jedenfalls. Ich hab schon gehört, dass viele in der Siedlung mich und Dschebe und die drei anderen nicht so gern hier haben wollen oder sich erst an uns gewöhnen müssen, weil, welche wie wir waren früher wohl nicht da.

Das Gefühl zu stören will manchmal hochkommen, dann denke ich darüber nach ob ich einen anderen Ort finden könnte, an dem ich mich so wohl fühlen würde. Scheiß-Gedanken.

Morgen werde ich tagsüber helfen, den Schutzzaun auszubessern, gemeinsam mit den Männern und Frauen vom Bautrupp. Wer weiß, vielleicht müssen die einfach sehen, dass ich auch arbeiten kann, was herrichten, was schaffen. Vielleicht denken ja einige, dass ein Kerl wie ich nur kaputt machen kann. Ach, und das Waffentraining mit den Kindern ist morgen auch.

Voller Tag also. Besser, ich lege mich früh hin und lasse heute Nacht mal die Finger vom Alkohol.
Ich bin Dugann MacFie, ein Abtrünniger. Vor langer Zeit habe den heimischen Feuern meinen Rücken gekehrt und mich aufgemacht, auf den Weg ans Meer. Ich habe fern menschlicher Behausungen gelernt, mich von der Natur zu ernähren. Ich bin fest davon überzeugt, dass es sich mit leichtem Gepäck besser reist, deshalb trage ich meine ganze Habe auf dem Rücken. Pokus, mein treuer vierbeiniger Gefährte, begleitet mich immer wachsam und spendet mir Mut und Zuversicht, Trost oder Glück. Er ist die einzige Kreatur, der ich mich anvertraue und die mich kennt, wie keine andere. Seit ein paar Tagen lagern wir in den Wäldern um Illighofen. Von einer nahe gelegenen Anhöhe aus konnten wir eine kleine Ansiedlung ausmachen, die anders als die üblichen Dörfer zu sein scheint, denen wir auf unserer Reise begegneten. Aus sicherer Entfernung beobachten wir das Treiben im Tal. Eine kleine Schar geschäftig anmutender Falschbacken bevölkert den Platz zwischen den kleinen hölzernen Hütten. Trotzdem scheint es, als sei die Zeit stehen geblieben dort unten. Pokus und ich blicken uns an und nicken uns schweigend zu. "Hier könnte es uns gefallen, stimmts, mein Freund", höre ich mich flüstern. "Doch zunächst einmal wollen wir unser Nachtlager aufschlagen und etwas essen, komm Pokus!"
Xampi

Wenigstens haben sie mir das Dope gelassen. Solang ich mich tagsüber nicht einrauch, nur am Abend, zum Einschlafen, haben sie gesagt. Scheiß-Vorschriften immer, aber ich bin ja froh, daß ich hier untertauchen kann. Einen Namen hab ich auch bekommen: Xampi. Das kommt von 'bad example', und als solches lauf ich tagsüber umeinander, gehe dorthin, wohin ich gerufen werde.

Die Kinder hier haben ja auch Schule. Bissl jedenfalls. Nicht so wie bei uns damals, von acht bis 13 Uhr, die Fächer ordentlich getrennt voneinander und alles todlangweilig. Nein, es geht richtig lebendig zu! Sie lernen Bogenschießen, Feuer machen, Trommelzeichen geben, lauter nützliche Sachen, ja und zwischendrin auch sowas wie Sozialkunde - und ich bin dann immer das wandelnde schlechte Vorbild. Der Mann, der alles falsch gemacht hat und somit nur Ärger hatte im Leben, obwohl er im Grunde kein schlechter Kerl ist.

Eigentlich heiß ich Anton, und ich bin hier weil ich draußen nicht mehr zurechtgekommen bin. Alle mit ihrem blöden Internet, ich will kein Internet! Und ich will auch nicht mehr vom Amt sekkiert werden und ich will auch nicht ständig Männchen machen bei der Mama von Miranda wenn sie wieder einmal tagsüber unangemeldet in der Wohnung steht, und überhaupts, I mog ned!

Ich bin Bayer. Miranda sagt, ich bin ein sturer Esel.

Bei Miranda hab ich zuletzt gewohnt, sie hat mich aber nun schon zweimal rausgeworfen wegen dem Wodka und außerdem ist der Metzger von gegenüber hinter mir her. Miranda meinte immer, ich solle doch ein Buch schreiben, ich müsse ja nicht zur Arbeit gehen mit dem kaputten Kreuz aber damit ich halt was zu tun hätte außer Saufen und deppert ins Narrenkastl schaun, und was ich alles erlebt hätt, da könnt ich doch ganze Bände schreiben!

Stimmt, das könnte ich, aber danach wäre nicht nur der Metzger hinter mir her sondern noch ganz andere Leute, und die sind brandgefährlich. Ich trau denen zu, daß sie mich sogar hier finden würden. Wenn nicht gar schon ein Spitzel unter uns ist. Weiß man's? Mit den meisten Leuten bin ich noch nicht so recht warm geworden, man sagt ich schau immer so finster. Ja mei, so is mein Gesicht halt mal.

Den Subotai find ich cool, den hätte ich gerne zum Freund, aber der guckt halt auch niemanden an, genau wie ich. Mit Waffen kenn ich mich super aus, damals beim Bund wollten sie mich unbedingt behalten weil ich ein Gewehr schneller zusammenbauen konnte als der Kommandant, aber ich fand dort alles so bescheuert. Die Feldjäger hatten mich mit Gewalt hingeschleppt und ich hab's einfach ned blickt. Bis ich fertig war in der Früh, waren alle anderen schon weg, ich bin blöd am Hof unten gestanden und hab meine Kompanie nicht gefunden. Bin halt dann irgendwo mitexerziert bis mich einer angebrüllt hat wo ich eigentlich hinwill.

Nach Indien, hab ich dem Psychiater dann erzählt. Nach Indien will ich. Unbedingt. Der hat mir ziemlich rasch eine Untauglichkeit bescheinigt und man hat mich unehrenhaft entlassen. In den Knast hab ich dennoch müssen, wegen Verweigerung oder so. Ein halbes Jahr.

Sonst hab ich nix gelernt, also Beruf oder so, außer Dealer und Einbrecher, und das sind keine Berufe, wie mir die Richter immer wieder erklärt haben. Dabei brauchst da ein Supergedächtnis weil du ja nix aufschreiben darfst. Also wann du wem wieviel und so. Weißt ja nie wann du Besuch von den netten Herren bekommst und da wär so eine Buchführung verdammt blöd, wenn sie in falsche Hände kommt.

Mein älterer Bruder, der Sigi, hat mich als Buben schon immer mitgenommen zu den Amis, ich glaub der hat mir das Zeug in die Jacke gesteckt, ich hatte ja keine Ahnung, und wußte natürlich damals auch nicht, warum die so gegrinst und mich Sputnik genannt haben. Die Weiber von denen haben viel Quatsch mit mir angestellt, mich geschminkt und so, bis ich heulend nach Hause gerannt bin und meine Mutter nur seufzte: 'Mei Bua, wia schaugst denn wieder aus.' Dann ist sie in der Küche eingeschlafen, mitten unter'm Geschirrspülen. Der Arzt hat ihr immer Morphiumzäpfchen verschrieben, das gab es damals noch. Sigi hat ihr die natürlich geklaut wo er konnte, der Arsch.

Und was das Einbrechen betrifft, also das kann auch nicht jeder! Hatte einen guten Lehrer, den verrückten Nietzsche. Ich wär eine Bereicherung, hat er gesagt, weil ich so dünn bin und durch das kleinste Kellerfenster gepaßt hab. Soletti hat Miranda mich immer genannt. Aber wie sie dann, zerstreut wie sie ist, die Türe zugehauen hat obwohl der Schlüssel noch innen gesteckt ist, war sie auch froh, daß ich das ziemlich schnell hinbekommen habe und wir unseren Zug doch noch erwischt haben.

Naja, und jetzt bin ich halt hier das schlechte Vorbild, weil jeder irgendwas Nützliches tun muß. Einfach nur abhängen und blöd schaun geht nicht. Am Bauernhof würd ich gern mitarbeiten, ich hab Tiere so gern, viel lieber als die Menschen, aber am Bauernhof sind schon soviele. Marie hat auf meine vorsichtig vorgetragene Bitte nur fein gelächelt und gemeint, ich müsse noch ein bissl Geduld haben, den meisten würde mit der Zeit aufgehen, daß die Arbeit dort kein Zuckerlecken sei, sie würden nach und nach die Lust verlieren und um Versetzung ansuchen. Dann dürfte ich ran. Ich freu mich schon! In der Zwischenzeit bin ich eh oft dort und besuche die Kühe im Stall, die Pferde auf der Weide und die lieben kleinen Kaninchen. Sogar die Hühner kann ich bereits voneinander unterscheiden.

So, und jetzt bau ich mir einen und leg mich dann schlafen. Bissl lesen vielleicht noch, die Bibliothek hier ist prima, noch besser als damals in Kaisheim. Bin zufrieden. Ich glaub das erste Mal in meinem Leben bin ich wirklich zufrieden. Hab mein eigenes kleines Häuschen, niemand jagt mich oder zerrt ständig an mir, das ist so schön.
Auszug aus den Handschriften des Sinus Pax, selbsternannter Chronist und Kommentator der Gemeinschaft.

In letzter Zeit landet viel unstetes Volk in unserem heiligen Kreis, weshalb ich Hohe Mutter Marie um eine Unterredung bat. Mir ist schleierhaft, wie sie allein durch Gespräche herausfinden will, wer ein Freund und wer Feind ist.

Unwirsch wurde dieses Ansinnen zurückgewiesen, weshalb ich einige Tage lang die Neuankömmlinge höchstselbst unter die Lupe nahm, vor allem diese maulfaulen, abweisenden fünf Männer, die wir angeblich zu unserem Schutz brauchen. Söldnerpack, ohne Ehre, wenn man mich fragt.

Wenn die üppig genug dem Alkohol zusprechen, sind sie mehr Gefahr als Schutz, so meine Meinung. Irrwitzige Namen haben sie sich gegeben, Hybris spricht daraus, so sehe ich das.

Ich habe recherchiert: Der, der sich ‚Stonewall‘ nennt, nimmt sich einen Sklaventreiber der alten Südstaaten zum Vorbild. Einen General gleich, der in einer einzigen Schlacht hunderte seiner Leute zur Schlachtbank führte, nur um eine strategisch unwichtige Linie zu halten. Braucht es solche Brachialität wirklich? Nun, mir ist er suspekt. Er meidet mich auch, spricht kein Wort mit mir und sieht mich immer misstrauisch an.

Dann der lange, hagere Kerl mit der Narbe im Gesicht, dem sie den Namen ‚Subotai‘ gegeben haben. Der Schrecken der alten Welt, wenn ich das richtig gelesen habe. Subotai, der die Horden des Großkhans Dschingis bis an den Rand der Christenwelt führte, der das alte, erfreulich katholische Polen anriss, bevor er zum Glück aller geläuterten Menschen abdrehte. So einer fehlt uns hier gerade noch, zumal dieser Mensch, der jetzt seinen Namen führt, ein grausliger Unsympath ist, der bestenfalls unsere Kinder verführt.

Weiter mit ‚Dschebe‘, auch ein Tartarenfürst, der halb China verwüstet hat. Der Jungfrauen von Mauern stürzte, nachdem er das alte Peking eingenommen hatte, seinen Mannen nichts verbot, nach so jemandem benennt sich einer in unserer Mitte, der uns schützen soll. Und er scheint diesen Subotai von früher zu kennen, die beiden haben offenbar einige Einsätze gemeinsam erlebt, Gott allein mag wissen, in welchem wilden Land und zu welchem Zweck. Auch er spricht mit niemandem, vor allem nicht mit mir. Des Nachts streift er ums Gelände wie ein Schatten, unheimlich und lautlos, dass mir Angst und Bange wird um den Schlaf all unserer gottgefälligen Bewohner.

So geht es weiter mit dem Riesen, der ‚Conan‘ gerufen wird. Genauso simpel wie das literarische Vorbild des leidlichen Schriftstellers Robert E. Howard stampft er grinsend durch unser Dorf, sich wohl seiner unnatürlichen Körperkraft bewusst, und ja, er greift hier und dort beherzt zu, richtet das Eine oder Andere, wo man an seiner Stelle drei Männer bräuchte, aber man muss doch dauernd auf der Hut sein, dass einen dieser schlichte Mensch nicht einfach überrennt. Von all diesen ‚Kriegern‘ scheint er mir noch der erträglichste, weil er wenigstens lächeln kann.

Anders als ‚Travis‘, dessen Name sich ableitet vom zweifelhaften Helden jener Missionsstation, in der hundertachtzig Irregeleitete Widerstand gegen die seinerzeitige Staatsmacht leisteten, neu interpretiert als Freiheitskampf des jungen US-Staates Texas gegen das legitime Weltreich Mexiko! Genau diese Freischärler-Gesinnung der damaligen Texaner schlägt auch hier durch. Und der Travis entspricht genau dem Charakter, sich aufzulehnen, die gute Ordnung in Frage zu stellen! Dieses durchtriebene Frettchen! Hat mich auf schamlose Weise bloßgestellt vor all den anderen Dorfbewohnern! Mich als Denunziant bezichtigt und mich der Lächerlichkeit preisgegeben!

Seit diese fünf Subjekte um uns sind, hat die Qualität der Bewohner deutlich nachgelassen. Jüngst haben sie gar einen Verbrecher und Drogenabhängigen hereingebeten, ich verstehe meine Marie nicht mehr.

‚Xampi‘ nennen sie dieses Musterbeispiel an durchweg gelebter Kriminalität, solche hätten wir früher mit der Dachlatte aus dem Dorf geprügelt. Ein respektloser, vorwitziger Freak, was soll der uns nützen? Sind wir jetzt so eine Art Rehabilitationszentrum geworden? Und muss unser Elfengarten wirklich solche Leute beherbergen?

Ein Cheops, eine Hohe Mutter Marie und ein Hoher Vater Enno reichen uns doch. Und wenn wieder der Pöbel von Illighofen gegen uns marschiert, dann wappnen wir uns mit Schaufel und Mistgabel und schicken sie wieder heim!

Aber all das fremde Volk hier – da fühlt man sich wahrlich nicht mehr wohl.

*
Subotai
Dschebe war heute hier. Gleich am Morgen. Kaffee. Schweigen.

Doch ich kenne ihn, Oberleutnant Christian Roffler, Fernspäh Einhundert. Das war jedenfalls seine letzte Dienstbezeichnung, bevor er irgendwie unterm Radar weggetaucht ist. Ein guter Mann, kann einem in die Augen sehen, ohne zu zwinkern. Und einem die Hand geben, hart und fest. Hat mir den Arsch gerettet, seinerzeit, in Bashra. Hat was gut bei mir.

Wir reden nicht viel, alle beide. Da gibt es keine Worte, mehr Blicke. Wir wissen, worum es geht, worauf es ankommt. Und er scheint sich hier ähnlich zuhause zu fühlen wie ich, trotz der Widerstände. Das kennen wir, damit haben wir gelernt, zu leben.

Wir sitzen vor der Hütte und er rührt in seiner Tasse. Dann deutet er in Richtung Süden.

„Da auf der Höhe ist jemand, seit zwei oder drei Tagen. N‘ Mann und n‘ Hund. Die beobachten uns, aber wollen nix.“

Viele Worte für einen wie ihn. Ich nicke.

„Ich seh’s mir an. Einer von uns?“

„Scheint so.“

Er spuckt den Rest Kaffee in den Sand. Erhebt sich, im Moment weiß er nicht, was er mit der Tasse anfangen soll.

„Gib her. Ich wasch die ab.“

Er grinst.

„Mensch, Meierhofer. Oder Subotai. Werden wir sesshaft, auf unsere alten Tage? Baum, Haus, Weib und Kind?“

Ich hebe die Schultern, dann stehe ich auf. Sehe ihn an, so ganz direkt.

„Wär’s schlimm, Roffler? Dschebe?“

Er schüttelt den Kopf.

„Nee. Schlimm wär, wenn die Freaks hier weiterschlafen.“

„Werden die nicht“, sag ich. Er nickt.

„Nee, werden die nicht. Die wachen auf, Einer nach dem Anderen. Zeit wird’s.“

Ich spucke in den Sand und verscharre meinen Auswurf.

„Ich seh mir das an, heut Nacht.“

„Gut“, sagt er und geht. Hebt die Hand zum Abschied. Ich dagegen blicke nach Süden, zu dem bewaldeten Hügel hinauf. „Schlau“, denke ich mir, wenn ich das Dorf eine Weile lang beobachten wollte, wäre das mein bevorzugter Platz. Aber, Mr. Unbekannt: Wir können uns keine Heimlichkeiten leisten. Also werde ich Dich heute Nacht hochgehen lassen.

Ich schaue auf den Dienstplan. Lew ist dran. Na, der wird was erleben. Ach, und der Neue. Dieser Drogentyp. Ich kenne ihn noch nicht, mal sehen, wie er sich machen wird. Bin gespannt.

*
Dugann MacFie

Schnell ist unser Lager im Schutz eines überhängenden Felsens bereitet. Wenn immer möglich, nächtigen wir unter freiem Himmel, so auch jetzt. Ansonsten kommt unser kleines Base Camp zum Einsatz. Das Abendbrot ist heute eher spärlich ausgefallen. Die ausgiebige Beobachtung des Dorfes hat viel Zeit in Anspruch genommen. Zeit, die uns bei der Suche nach Essbarem fehlte. Pokus liegt entspannt zu meiner Linken, während ich den Schein der Feuer unten im Dorf betrachte. "Was soll ich nur machen?", überlege ich. "Den Bewohnern in der Frühe einen Besuch abstatten oder unverrichteter Dinge weiterziehen?" Ich bin unschlüssig. "Andererseits müssten dringend einige Vorräte aufgefüllt werden und da unten im Tal bestünde vielleicht eine Möglichkeit dazu." Während ich nachdenke, bemerke ich, dass eines der Feuer die Siedlung verlässt und sich zügig in Richtung unseres Nachtlagers bewegt. Es musste einer der Dorfbewohner sein, der sich mit einer Fackel aufgemacht hatte. "Hatte man uns tagsüber bemerkt? Warum kommt er in der Nacht, wenn er wissen will, wer wir sind und was wir hier suchen?" Das Mitführen der brennenden Fackel lässt mich jedoch keine feindlichen Absichten vermuten.

Ein leises Knurren verrät mir, dass Pokus etwas Ungewohntes gehört oder eine fremde Witterung aufgenommen hat. Ich spüre die in ihm emporsteigende Spannung. "Ruhig, alter Junge", flüstere ich, "wir bekommen Besuch."
Subotai
Ich hab’s mir nochmal überlegt. Roffler – Dschebe – hat nicht gewarnt, war ziemlich gelassen. Der Typ dort oben mit seinem Hund ist keine Bedrohung. Er ist zu lange dort, wird wahrscheinlich einfach nicht wissen, was er von uns halten soll.

Wer geht denn mit einem Hund auf Observation? Jedenfalls kein Profi. Ich tippe auf einen Wanderer, vielleicht einen Aussteiger, der sich einfach nicht hier runtertraut.

Also hab ich Lew und diesem Anton, den sie hier Xampi nennen, gesagt, sie sollen den äußeren Zaun abgehen und nach weiteren Kippen und Kronkorken suchen. Und die Koppeln kontrollieren, in den letzten Tagen gab es immer wieder eine Unruhe bei den Weiden, auf denen die Pferde stehen. Vielleicht Jugendliche aus dem Dorf, die uns eins auswischen wollen – niemand hat Lust auf die Scherereien, wenn die Viecher ausbüxen und noch jemanden in Gefahr bringen.

Ich dagegen hab mir eine Fackel geschnappt, damit bin ich gut zu sehen in der anbrechenden Dunkelheit. Soll der Kerl dort oben auf dem Hügel ruhig mitkriegen, dass ich auf dem Weg zu ihm bin. In meinem kleinen Rucksack hab ich ein Stück kalten Braten, etwas Brot und einen im Sudhaus gekelterten Beerenwein. Waffen nehme ich erst gar nicht mit, zur Not werde ich mit einem einzelnen Mann auch ohne Werkzeug fertig, vorausgesetzt, der ist kein Angehöriger einer Spezialeinheit. Aber so einer hätte sich besser versteckt.

Ich bin gespannt, wer da oben kampiert. Ist keine schlechte Stelle, da gibt es einige Felsen, die auch bei schlechtem Wetter Schutz bieten. Aber hier unten ist es gemütlicher. Ich weiß natürlich, dass wir niemanden von außerhalb in die Siedlung holen sollen, aber ich muss ja schließlich meinen Job machen.

Da oben im Dunkeln ist er eine potentielle Bedrohung, hier unten kann man sich in die Augen sehen. Mal sehen, ob er das erträgt.
**********gosto Frau
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JORIND

Winterjasmin

Sie sah ihn schon von weitem, einen in einen alten Lattenzaun eingewachsenen Busch mit leuchtend gelben Blüten. Forsythien, jetzt schon? Es war Mitte Februar, die Stelle allerdings windgeschützt am Südhang des Illnhofener Hausbergs.
Im Näherkommen zog sie die Handschuhe aus und fummelte ihr Smartphone aus der Jackentasche. Ein schönes Bild für meine Frühblühersammlung, dachte sie. Dort hatte sie schon Aufnahmen von Schneeglöckchen, Krokussen, gelbkugeligen Winterlingen und Haselblüten versammelt.
Sie war noch mit dem passenden Bildausschnitt beschäftigt, als auf der anderen Seite des verwitterten Lattenzauns eine Gestalt sich durch das Gesträuch von Hollunder und Brombeerstauden zwängte. Seine tarnfarbene dicke Jacke streifte geräuschvoll durchs Geäst.

„Keine Bilder, bitte!“,hörte sie eine tiefe Stimme. Er streckte die Hand, die in einem schweren Arbeitshandschuh steckte, nach ihrem Handy aus. Sie zog es schnell zurück und steckte es ein.
„Wieso, ich mach doch gar nichts! Ich wollte nur die Forsythie knipsen.“
„Das ist keine Forsythie, junge Frau“, kam es zurück, „das ist ein Winterjasmin.“ Es klang fast zärtlich. „Was ganz Seltenes.“
Er beugte sich über die morschen Latten, und der behandschuhte Zeigefinger deutete auf eine Stelle am Erdboden. Zwischen vorjährigem Laub verschwand ein zartes Zweigende.
„Der Winterjasmin kann dort, wo er mit den Zweigen den Boden berührt, wieder wurzeln“, sagte der Mann.

„Oh, das kenn ich“, fiel Jorind lebhaft ein, „das machen die Brombeeren auch.“
„Ja“, stimmte der Fremde zu, „aber der Winterjasmin verspreizt seine Triebe, lehnt sich damit an den Zaun an und gewinnt so an Höhe. Er ist ein Spreizklimmer.“
Es klang wie „Juwel, Diamant, kostbares Schmuckstück“. Sie musste lächeln. Er zog die Brauen hoch und sagte mit leichter Schärfe: „Wissen Sie, was passiert, wenn irgendwelche ignoranten Dummköpfe den alten Zaun hier abreißen?“
„Nicht gut für den Busch?“, riet Jorind und versuchte, das Gespräch ein wenig ins Scherzhafte zu ziehen.

In dem Augenblick drängte sich ein junger Bursche durchs Gestrüpp zu ihnen durch.
„Subotai“, sagte er, leicht außer Atem, „Enno und Marie sagen, der Busch kann bleiben. Wir sollen den neuen Zaun drumherum ziehen!“
Der Mann drehte sich um, hob im Gehen grüßend die Hand und ließ sie stehen.

Hier sind sich Subotai und Jorind begegnet
Dugann MacFie

Entsprechend meiner Vermutung, bewegt sich das Licht auf uns zu, den Hang hinauf, den schmalen Pfad entlang, schnurstracks in Richtung unseres Lagers. In einer Entfernung von etwa hundert Metern bleibt es stehen. Ich kann die Silhouette des Mannes erkennen, der auf uns zukommt, ein großer kräftiger Kerl, der keine Anstalten macht, sich leise oder unbemerkt zu nähern.

"Du da oben, wir haben dich und deinen Hund längst entdeckt. Was hast du hier zu suchen? Zeig dich! Komme jetzt zu dir hinauf."

Der bestimmende Klang seiner tiefen Stimme lässt mich erahnen, dass der Fremde keine Furcht mitgebracht hat.

"Ich bin Dugann MacFie und das ist Pokus, mein treuer Gefährte. Wir sind Reisende auf dem Weg ans Meer. Soweit ich weiß, ist das hier freies Land. Also, was willst du von uns in der Nacht? Wer bist du?"

Unbeeindruckt meiner Worte kommt der Fremde näher. Pokus' Nackenhaare sind aufs Äußerste gestellt. Bereit zum Angriff, wartet er auf mein Zeichen.

"Mein Name ist Subotai, bin unbewaffnet, für die Sicherheit zuständig, will reden, halte deinen Hund!"

"Subotai, also", heißt der Kerl, der inzwischen bis auf wenige Meter an unser Lager herangekommen ist. Im Schein der Fackel erkenne ich sein von einer tiefen Narbe durchzogenes derbes Gesicht, die von einem erbitterten Kampf herrühren musste. Er ist tatsächlich unbewaffnet, lediglich einen Rucksack trägt er auf seinem Rücken. "Der braucht keine Waffen", denke ich beim Anblick dieses stolzen Kriegers, der jetzt unmittelbar vor mir steht, mir unerschrocken mit seiner Fackel ins Gesicht leuchtet und mich von oben bis unten mustert.

"Gut erzogen, der Hund, gefällt mir!"

"Nicht immer einfach, kommen aber zurecht. Setz dich, Subotai. Wasser? Habe sonst nichts", entgegne ich und mache eine einladende Handbewegung in Richtung eines 'freien' Felsens.

Er nimmt Platz, stellt seinen Rucksack vor sich auf den Boden. Ich reiche ihm einen gefüllten Becher, den er ohne ein weiteres Wort zu verlieren in einem Zug leert. "Ein gutes Zeichen", denke ich.

"Habs geahnt, dass ihr nichts zu fressen habt!" Subotai öffnet den Rucksack, kramt etwas, dass wie ein Stück Schinken aussieht und eine Flasche hervor und stellt die Dinge vor mich hin. "Ist aus dem Dorf, selbst gemacht, nach guter alter Tradition." Er steht auf und streckt mir eine Hand entgegen, in die ich ohne zu zögern einschlage. Der kräftige, ehrliche Händedruck und ein kurzer tiefer Augenkontakt bestätigen die Handlungsweise. Wortlos schultert den Rucksack, dreht sich um und macht sich auf den Rückweg.

"Brauchen gute Leute, da unten. Wenn du willst, komm morgen ins Dorf und verlange nach mir. Dann reden wir!"
Marie, die Hohe Mutter
„Tritt ein, mein Lieber. Wie lange bist Du jetzt bei uns, hier in Elfengarten?“

Der große Mann blickte zu Boden. „Nicht ganz sechs Monate, Hohe Mutter.“

Sie nickte. Dann klatschte sie in die Hände. „Damian, Enno, Heather, nehmt Cheops und geht. Verlasst meine Hütte für den Moment. Ich will keine Ratsangelegenheit aus der Sache machen. Auch ihr, bester Sinus, lasst mich mit Subotai allein.“

Sie mochte weit über Achtzig sein, die greise Frau, gebeugt von der Last des Alters und ihre Stimme hatte längst nicht mehr die Kraft wie einst, doch die Angesprochenen leisteten ihrer Bitte ohne zu zögern Folge. Als sich der Raum geleert hatte, deutet Marie, die Hohe Mutter von Elfengarten, auf einen Schemel, der neben ihrem erhöhten Sessel stand.

„Setz Dich, bitte. Du sollst da nicht stehen wie ein Angeklagter. Wenngleich einiges vorgefallen ist, das nicht unseren Regeln entspricht. Immer wieder höre ich Beschwerden über Dich, aber auch gute Dinge werden mir zugetragen. Wie siehst Du Dich selbst, Subotai?“

Der Mann hockte sich rittlings auf den angebotenen Platz. Er presste kurz die Lippen zusammen, dann begann er leise zu sprechen. „Ich kenne die Regeln, Hohe Mutter. Sie sind sinnvoll und gut und sollen helfen, die Gemeinschaft zu schützen. Aber…“

Die alte Frau hob lächelnd die Hand. „Subotai! Ich fragte Dich etwas anderes. Ich will nicht mit Dir über die Regeln diskutieren, dass sie sinnvoll sind, weiß ich selbst. Immerhin habe ich die meisten davon erlassen. Verschwende also bitte nicht meine Zeit.“

Der große Mann schmunzelte kurz. „Gut. Ich sehe mich als wertvolles Mitglied von Elfengarten. Die Jungen folgen mir und lernen gut. Ich sichere die Umfriedung, patrouilliere Tag und Nacht, halte die Augen offen und bemühe mich, es den Anderen ebenfalls beizubringen. Bei der Kampfausbildung lehre ich, den Gegner zu achten und ihm nicht mehr Schaden als nötig zuzufügen, ja wenn möglich, diesen von allen Beteiligten abzuwenden.“

„Das kommt aus dem Aikido von Morihei Ueshiba, nicht wahr? Hattest Du eine entsprechende Ausbildung?“

Subotai nickte überrascht. „Ja, Hohe Mutter. Einer meiner Lehrer war aus der dritten Generation. Woher kennt ihr diese Kampfkunst?“

„Nun, die alten Lehren unserer hiesigen Kultur enthielten ähnliches Gedankengut. Die Druiden der Vorzeit praktizierten eine Kunst namens Wyda, sie erinnert in vielen Bereichen an all die Methoden, die in jüngerer Zeit vor allem aus dem fernen Osten zu uns nach Europa kamen. Das meiste ist leider verschollen, aber die Fragmente, an die sich gewisse Kreise erinnern können ähneln dem Yoga und dem Kendo, aus dem Meister Ueshiba ja den Aikido entwickelt hat. Doch nun zurück zu unserem Thema: Es ist ein hehrer Ansatz, einem Gegner nicht schaden zu wollen. Doch wie verträgt es sich mit den Regeln von Elfengarten, einen solchen in unsere Siedlung bitten, wie mit diesem schottischen Landstreicher auf Deine Anweisung hin geschehen?“

„Dugann Macfie ist kein Gegner, Hohe Mutter. Er ist einer von…“

Wieder hob die alte Frau die Hand und der große Mann verstummte. „Das wird sich noch herausstellen, Subotai. Das ist nicht länger Deine Sache sondern die des Rates. Du bist heute Nacht allein und unbewaffnet zu ihm hinausgegangen. Das ist fahrlässig und zeugt von Hybris. Zudem hast Du den kleinen Lew und unseren Neuzugang Xampi allein Streife laufen lassen – damit hast Du die beiden und andere in Gefahr gebracht. Ferner hörte ich, dass Du Dich längere Zeit mit einer Frau von Draussen über den Zaun hinweg unterhalten hast - so als ob all unsere Regeln für Dich nicht gelten würden.“

Sie ließ ihre Worte nachwirken. Dann seufzte sie und ihr Blick verlor sich in der Ferne. Als sie wieder sprach, flüsterte sie beinahe. „Menschen, die ihre Augen und Ohren überall haben erzählen von manchem Abend, den Du allein in Deiner Hütte verbringst, Subotai. Mit viel Alkohol, wie mir zugetragen wird. Ich weiß um die Dämonen, die Dich quälen – aber gib darauf Acht, dass sie Deiner nicht Herr werden.“

Sie winkte ihn heran. Er kämpfte mit den Tränen, als sie ihre knochige Hand auf seine Stirn legte. „Du bist ein guter Mann, doch einige, die schon länger hier sind, mögen Dich nicht. Gib ihren bösen Zungen keine Nahrung, Subotai. Ich werde nicht mehr lange hier sein können, um Dich zu schützen. Stärke Dich.“

Die Greisin gab ihn frei und er richtete sich auf, sah ihr in Augen und nickte mit zusammengepressten Lippen. Sie bedeutete ihm mit der Hand, dass er gehen könne, doch bevor er die Tür erreichte, erklang ihre Stimme noch einmal, kräftig und beinahe harsch, diesmal.

„Als Strafe für die Regelverstöße hast Du für den Rest der Woche einen zusätzlichen Dienst. Jeden Morgen gehst Du den Außenzaun ab, allein und pünktlich zum Sonnenaufgang.“

Als er die Hütte mit einem gemurmelten „Sehr wohl, Hohe Mutter“ verlassen hatte, rieb sie sich über die müden Augen. Die Zeiten änderten sich. Vielleicht war es auch an der Zeit, die Regeln zu ändern.
Dugann MacFie

Tief beeindruckt von Subotais imposanter Erscheinung, folge ich in Gedanken an das gerade Erlebte dem Lichtschein der sich entfernenden Fackel, bis ihre Flamme im Dorf erlischt. "Was für ein Kerl", sage ich zu Pokus, der das mitgebrachte Schinkenstück fixiert. "Junge, wir haben Glück, das ist 'Kalter Braten', so etwas bekommen normalerweise nur Könige gereicht." Natürlich weiß er um unser gewohntes Beuteteilen und wedelt erwartungsvoll mit seinem buschigen Schwanz. Ich entkorke die Flasche, deren Inhalt einen fruchtig-erdigen Duft verströmt, der auf einen ausgezeichneten Beerenwein hindeutet. "Bruder, die da unten verstehen etwas von ihrem Handwerk, das kann ich dir sagen."

Dankbar über die großzügigen Gaben liege ich noch lange wach in dieser Nacht und denke an Subotais einladende Worte:

"Brauchen gute Leute, da unten. Wenn du willst, komm morgen ins Dorf und verlange nach mir. Dann reden wir!", hatte er mir noch zugerufen, bevor er auf dieselbe Weise verschwand, wie er gekommen war.

Was war das für ein merkwürdiges Dorf, an dessen Tore uns unser Weg geführt hatte? Die Anziehungskraft, die von diesem Ort ausging, glich einem gewaltigen Sog, der mich unweigerlich in sich hineinzuziehen und mich vollständig darin zu verschlingen drohte. Warum brauchten sie dort unten Leute und wofür? Gar einen 'Fischer', wie ich es einer war, einen Lowlander, dessen Bestimmung es ist, in seiner kleinen Schenke auf all die hungrigen und durstigen Seelen zu warten, ihnen ein letztes ermutigendes Wort zu schenken, um sie dann mit einer letzten stärkenden Mahlzeit auf ihre allerletzte Reise zu schicken, hinaus über das große Meer?

"Das werden wir morgen herausfinden, Pokus, jetzt wird erst einmal geschlafen!"
*********2016 Mann
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Macro

Mein richtiger Name spielt keine Rolle, seit langen Jahren, gar Jahrzehnten geriet er in Vergessenheit. Die wenigen Menschen auf dieser Erde die mich kennen, eine finale Begegnung mit mir überlebt haben, nennen mich bei meinem Nick Name Macro. Von mir ausgewählt in Erinnerung an einen römischen Zenturio, dessen Erlebnisse mich als Jugendlichen äußerst fasziniert haben. Als jungen Menschen mit Zukunftsaussichten, einer Familie und Visionen. All dies ist heute vergessene Vergangenheit. Meine Eltern waren Besitzer eines kleinen Weingutes an der Mosel. Vor einigen Jahren kamen beide bei einem tragischen Verkehrsunfall ums Leben.

Ganz früher hieß ich Hartmuth Holderbaum. Mein Leben als Renegat begann just an dem Tag als ich meinen Eltern eingestand, dass ich mein Glück nicht in der Übernahme des elterlichen Weingutes sehe, sondern hinaus in die Welt möchte, was erleben. Ich mag nämlich keinen Wein und bin weder Bauer noch Händler. Ein böser Streit war die Folge und mein Ausstieg aus der Familie. Der junge Hitzkopf sagte sich los. Ich bin ein Abenteurer und Lebenskünstler.

Mit knapp neunzehn Jahren verließ ich mein Elternhaus und zog ein gutes Jahr lang durch Europa. Gelegenheitsjobs hielten mich über Wasser. Mit zwanzig unterschrieb ich den Vertrag bei der französischen Fremdenlegion. Zwanzig Jahre blieb ich dort. Elitesoldat an den Brennpunkten der Welt. Alles was ich heute kann lernte ich in der Legion. Meine Eltern besuchte ich lange Jahre nicht mehr, in gefälschten Briefen teilte ich ihnen mit das ich als Unternehmensberater in den USA leben würde. Mein Glück gemacht hätte. Fast zehn Jahre dauerte es bis ich mich zu einem einwöchigen Besuch bei meinen Eltern aufraffen konnte. Ich traf verbitterte Menschen an, die meinen Weggang nie verkraftet haben. Die Enttäuschung über ihren einzigen Sohn saß tief. Ich blieb bei meiner amerikanischen Lüge und verschwand nach sieben Tagen wieder aus ihrem Leben. In meinem 41ten Lebensjahr endete meine Dienstzeit und ich schlug die Laufbahn eines käuflichen Söldners ein. Mich reizte das Geld und die Gefahr. Ich bin Verkäufer und verkaufe meine Seele und den Tod.

Nun bin ich 54 Jahre alt, 1,85m groß, wiege 80 Kilogramm. Durchtrainiert und muskulös, sonnenverbrannt mit Dreitagebart. Meine Haare sind schwarz, im Gegensatz zu früher. Meine Augen schimmern grün / braun. Mein Name ist Macro, steht sogar in meinen vorzüglich gefälschten Pass den ich einem sehr, sehr guten Auftraggeber verdanke. Meine Staatsangehörigkeit ist nicht mehr deutsch. Alle Brücken zur Vergangenheit sind abgebrochen, mutwillig zerstört. Bei der Beerdigung meiner Eltern fehlte ich. Erst ein Jahr später stand ich an ihrem Grab, ein Fremder der sich auf dem Friedhof verlaufen hatte. Niemand im Ort erkannte mich, niemand brachte mich in Zusammenhang mit meinen toten Eltern und dem mittlerweile in fremdem Besitz befindlichen Weingut. Unauffällig wie ich gekommen war, verschwand ich wieder. Der nächste Auftrag wartete. Eine Mission auf dem afrikanischen Kontinent.

Heute bin ich wieder in Deutschland. In den Papieren meines letzten Jobs fand ich per Zufall ein Dokument, ein Schriftstück welches einen Ort beschrieb für Renegaten, Aussteiger und Personen außerhalb jedweder Norm. Eine Ansiedlung namens Elfengarten. Ich bin auf dem Wege zu diesem Ort, mein Interesse ist sehr gewichtig. Morgen dürfte ich ihn erreichen. Meine wenigen Habseligkeiten befinden sich auf der Ladefläche meines alten Pick Up. Ich möchte mich ausruhen, sozusagen in Rente gehen. Die Vergangenheit ist tot. Ich bin Macro, das Phantom, ein Mörder und Lügner. Hinter mir ist das schwarze Nichts und keine Spur führt mehr zu mir.
*******ing Frau
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Blackbird

Sie sind die Pferdepfleger und vor allem ihnen hätte auffallen müssen, dass die Herde in den letzten Tagen immer unruhiger wurde.

Gerade unterhalten sich Mathis und Robin noch darüber, als sie auf der Suche nach den entlaufenen Pferden unmittelbar nach einer scharfen Linkskurve des Feldweges an der Unfallstelle, knapp einen Kilometer westlich von Elfengarten, ankommen. Und sie erfassen in Sekundenschnelle zwei Dinge.

Zum einen den braunen Hengst, der nach der morgendlichen Fütterung vor einer halben Stunde die Lücke im Weidezaun nutzte und als einer der ersten im gestreckten Galopp davonstob. Jetzt steht er mit einem blutüberströmten Hinterbein am Seitenstreifen der einspurigen Nebenstraße und grast ausgiebig.

Zum anderen sehen sie das Wrack eines dieser neumodischen Fahrzeuge, keine zwanzig Meter davon entfernt. Dieses hat nach dem Zusammenprall mit dem Tier seine glücklose Fahrt an einer Birke beendet. Mathis schluckt schwer, als er den leblosen Körper einer Frau bemerkt, der zur Hälfte aus der Frontscheibe des Gefährtes hängt.

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Puh. Diese Stimmen.

Wieso können die nicht einfach still sein?
Sie stören mich.
Sie stören mich in dieser angenehmen dunklen Ruhe.
Ich bin doch auf dem Weg zu dem warmen Licht, das da vorne so einladend pulsiert.
Und nun sind da schon wieder diese Stimmen.
Geht doch einfach weg!
Ihr stört mich. Ich kenne Euch doch nicht einmal, ihr seid fremd. Das Licht da vorne sagt mir, dass ich Euch auch gar nicht kennenlernen muss. Und dass ich Schritt um Schritt weitergehen soll, auf diese verheißungsvolle Hell zu.

Ah, herrlich! Die Stimmen werden leiser. Endlich wieder Ruhe – mmmh.

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Während Robin vergeblich darum bemüht ist, beim Anblick der Frau, besser gesagt auf das Gesicht der Frau, sich nicht übergeben zu müssen, schneidet Mathis den Gurt durch, in dem ihr Körper noch seitlich festhängt.
Er fängt die Frau auf und legt sie auf den Boden.

„Mensch, Robin, reiß´ Dich zusammen!“ fährt er seinen jüngeren Freund an. Dieser unterdrückt den nächsten Würgereiz und ächzt: „Scheiße, Mann, ihr Gesicht! Da …das…gibt´s ja gar nicht mehr!“. Und selbst Mathis muss sich eingestehen, dass er diesen Anblick wahrscheinlich nie wieder los wird. Er versucht, sachlich zu bleiben, auch um sich selbst die nötige Distanz zu verschaffen.

„Das Ding hat´s wohl durch ´nen Schlagloch gejagt und dann ist sie gegen die Birke gedonnert“, meint er, als ihm wieder gewahr wird, dass auch der Hengst verletzt ist. „Nee, warte Robin, da war unser Hengst im Spiel! Kacke, sieh´ Dir die Frontscheibe an. Und die Abdeckhaube. Wie …nach innen gestülpt. Da sind Pferdehaare und Haut dran. Sie muss mit dem Braunen zusammengekracht sein und der hat sich mit ´nem Sprung das Leben gerettet und …:“, Mathis schaut auf das zerschlagene Gesicht der Frau, „…mit dem Huf ihres zerquetscht:“

Er fühlt nach ihrem Puls, spürt diesen noch ganz schwach, fast flatterhaft. Jetzt muss auch er kurz würgen, hat sich dann aber wieder schnell im Griff. Ganz anders Robin, der noch immer kreidebleich neben ihm steht und keine Anstalten macht, sich zu rühren.

„Robin! Mann! Komm zu Dir. Wir müssen die Frau ins Dorf bringen, hier können wir sie nicht krepieren lassen und ich brauch´ DICH dazu. Pack mit an!“
„Aber …“, stammelt Robin, „…wir …wir dürfen doch keine Fremden mit ins Dorf bringen, weißt doch, was die Mutter uns gesagt hat. Fremde sind gefährlich.“
„Pah, gefährlich? Ey, sag mir, was an der Frau hier noch gefährlich sein soll. Die stirbt. Und sie hier einfach liegen lassen is´ nich´, Bruder. Da nehm´ ich den Groll der anderen auf mich. Und jetzt pack´ endlich mit an, Du Feigling!“

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Wow! Ich schwebe tatsächlich! Was für ein herrlicher Zustand und fühle mich so … frei! Es ist hier so warm. So warm.

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Nun liegt sie auf dem geölten Eichentisch der Krankenstation von Elfengarten, mehr tot als lebendig.

An dem hölzernen Behandlungstisch stehen zwei der Heiler von Elfengarten, Damian und Heather. Beide spüren, dass ihnen die blutüberströmte Frau, die dort liegt, entgleitet. Sie sind ratlos.
Nichts in ihrer bisherigen Ausbildung als zukünftige Heiler der Dorfgemeinschaft hat sie bis jetzt mit solchen Wunden und Verletzungen konfrontiert. Selbst ein Axthieb, der ins Schienbein ging oder eine gebrochene Schulter nach einem Dachabsturz waren Nichtigkeiten im Vergleich zu dem, was hier nun von ihnen verlangt wurde.


Damian erfasst schnell, dass der offene Kieferbruch nur eine der Katastrophen ist, die das wohl ehemals recht ansehnliche Gesicht der vor ihnen liegenden Frau auf immer entstellen würde – falls sie überhaupt überleben sollte. Heather tupft mit einer leicht desinfizierenden Wasserlösung die noch unversehrten Hautpartien auf der rechten Gesichtshälfte des Unfallopfers ab, nicht ohne innerlich zu erschaudern.


In diesem Moment betritt die hohe Mutter die Krankenstation. Damian atmet erleichtert durch, Heather kräuselt kurz, kaum merklich, ihre Nase und wendet sich dann wieder dem vom Pferdehuf zu Brei geschlagenen Gesicht zu.

Das Blut der Frau strömt in kleinen pulsierenden Schüben aus dem offenen Backenfleisch. Damian ist der erste, der spricht: „Hohe Mutter, sagt mir bitte, was ich tun soll. Spürt ihr es auch? Diese Frau…sie stirbt:“

„Ach Damian,“ antwortet Marie mit sanfter Stimme. „Sterben dürfen wir doch irgendwann alle, nicht wahr?“


Noch während sie diese Worte spricht, nähert sie sich, gestützt auf ihren Ratsstab, dem Eichentisch mit der darauf liegenden, schwerverletzten Frau. Die hohe Mutter atmet die umliegende, blutversetzte Luft ein und flüstert eindringlich: „Dieses Menschenkind hier darf allerdings noch nicht gehen: Damian, komm und hilf mir doch endlich!“

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Stimmen. Schon wieder diese Stimmen.
Nein, jetzt nur eine Stimme. Sie ist neu. Sie ist anders.
Sie ergreift mich und meine zersplitterten Einzelteile.
Ich höre die Stimme sagen: „Zur Seite, lasst mich an sie ran:“
Scheiße! Was passiert mir?
Oh mein Gott, sind das Schmerzen?
Ahhhh, das sind Schmerzen!
Bitte! Mach, das es aufhört!
Wieso Schmerz? Gerade noch war da nur das warme, pulsierende Licht:
Und jetzt spüre ich Dolche. Hunderte Dolch durchfahren etwas.
Bin das ich?
Oh nein! Das bin ich. Der Schmerz bin ich! Und er zieht mich zurück zu den Stimmen.
Ich war doch schon so glücklich und jetzt muss ich zurück in den Käfig.
Knochen? Knochenkäfig, ja!
Ich höre wieder Stimmen. Andere Stimmen. Eine dunkle und 2 helle.
Sie sprechen mit mir. Ich verstehe nichts. Ich spüre nur diesen unsäglichen Schmerz!
Und ich will schreien, tue ich es? Ich weiß es nicht. Aber ich schreie mich zurück, zurück in die Welt der Stimmen weg vom Licht.

Weg! Ich will weg!
Spüre, wie mich schwere Gewichte nach unten ziehen, mich festnageln auf den harten Untergrund unter mir.
Selbst mein Knochenkäfig wird festgezurrt.
Die Dolche! Sie sitzen in meinem Gesicht!
Ich will sehen, will meine Augen aufschlagen.
Meine Augen… sie sehen nichts!
Ich…kann nichts sehen…und meine Schreie verstummen.
Kalt. Mir ist so kalt.
Und ich spüre meinen zertrümmerten Knochenkäfig.
Höre die Stimmen, die schrill in mein Ohr dringen. Es sind so viele!
Die helle Stimme erzählt von zerquetschten Beinwellblättern.
Zerquetscht. So wie ich.


---


Das letzte, was die malträtierte Frau spürt, bevor sie in ihre erlösende Ohnmacht fällt, ist ein kühler, feuchter Brei, der sich um ihre gerade wieder rudimentär zurechtgeschobenen Gesichtsknochen legt.
Dugann MacFie

Die Nacht war kurz, doch ich fühle mich kräftig und ausgeruht, als die wärmenden Strahlen der Morgensonne mein Gesicht streicheln. Pokus ist längst wach, er schaut mich an, als wolle er mir mitteilen, dass es Zeit sei, uns auf den Weg zu unserer Verabredung mit Subotai zu machen.

Unsere Kaffeevorräte sind aufgebraucht, also packen wir zusammen und machen uns auf, hinunter ins Dorf. Unser Fußmarsch über duftende Streuobstwiesen mündet in einem kleinen einspurigen Schotterweg, der zum Dorf führen muss. An der nächsten Biegung schlägt Pokus an, ein herrenloser Hengst grast dort am Straßenrand. Er ist verletzt und blutet an der Hinterhand. Etwas weiter entfernt steht ein stark beschädigtes Auto, dass in eine Birke gekracht war. Vom Unfallfahrer fehlt jede Spur. Vorsichtig nähere ich mich dem verletzten Zossen und spreche mit ruhiger Stimme ein paar Worte in einem alten gälischen Dialekt, der von meinen Vorfahren zu Zeiten der Eroberung gesprochen wurde: "Cuine a bhios tu a' tighinn a dh'Alba?" Natürlich versteht mich das Tier, kommt einige Schritte auf mich zu und senkt seinen mächtigen Pferdeschädel. Ich streichele seinen vor Schmerzen zitternden Hals und lege ihm sanft einen dünnen Strick um. "Komm Brauner, Pokus und ich bringen dich zu deinen Leuten."

Einige Zeit später stehen wir vor dem schmiedeeisernen Eingangstor der Siedlung und ziehen an dem Strang einer Glocke, deren Klang nach kurzer Zeit einen dicklichen Jüngling erscheinen lässt, der uns Einlass gewährt. "Ich bin mit Subotai verabredet und dieses Pferd hier ist verletzt und benötigt Hilfe", sage ich. Er nickt und deutet mir an, ihm zu folgen.

Er führt mich tief hinein in die Siedlung, bis wir am Dorfplatz vor einer etwas größeren Hütte ankommen. Der Jüngling zeigt auf die offen stehende Eingangstüre und greift sich die Zügel des verletzten Pferdes. In der Hütte erkenne ich eine sehr alte Frau, zwei alte Männer und drei jüngere Leute in einem Halbkreis stehen. Ähnlich eines Tribunals, schien es, als hätten sie meine Ankunft bereits erwartet. Die Stimmung war weder feindlich noch wirkten die Anwesenden entspannt.

Ich weise Pokus einen Platz vor der Hütte, an dem er wachen soll. Die weißhaarige Frau deutet an, dass ich einteten soll und ergreift das Wort: „Dein Name ist Dugann? Dugann MacFie? Was willst Du hier? Was willst Du überhaupt?“

Ihre wunderschöne Erscheinung erfüllte den Raum mit einer Aura, der man nur selten in einem Leben begegnet. Ich bin mir sicher, dass sie meine ihr schmeichelnden Gedanken längst erkannt hatte und vernahm ein nahezu unsichtbares Heben ihrer Wangenknochen.

"Ihr kennt meinen Namen bereits, Mylady, das erfreut mich. Draußen vor der Türe, das ist Pokus, mein Begleiter. Wie darf ich Euch ansprechen? Wir kommen von weit her, sind auf der Durchreise ans Meer. Seit einigen Tagen beobachten wir Euer Dorf. Es ist anders, als andere Dörfer. Gestern Nacht bekamen wir Besuch von einem Eurer Wächter. Sein Name ist Subotai. Er hat uns Speis und Trank gebracht und uns auf ein Wort eingeladen ins Dorf. Gute Leute fehlten im Dorf, meinte er. Wo ist er, dieser Mann?
Die Hohe Mutter / Dugann MacFie

Der Mund der alten Frau zuckte kurz, als Sinux Pax hervortreten wollte, um dem beinahe unverschämt auftretenden Fremden eine angemessene Antwort zu geben. Doch sie unterdrückte das aufkommende Grinsen und gebot dem Chronisten mit einer Handbewegung, zu schweigen.

"Ach, nenn mich ‚Hohe Mutter‘, wie all die anderen hier. Subotai hat derzeit zu tun, lieber Dugann. Lowlander, nicht wahr? Irgendwo aus der Gegend um Bamburgh oder Lindisfarne, östlich von Edinburgh? Und von der Küste, wenn ich nicht irre. Was hat Dich von zuhause weggetrieben? Und was verstehst Du unter ‚guten Leuten‘?"

Subotai hatte also zu tun. Das passte überhaupt nicht zu dem Bild, das ich mir von meinem nächtlichen Besucher gemacht hatte. Es musste also etwas vorgefallen sein.

"In der Tat, ich bin Lowlander. Die MacFies stammen ursprünglich von der Insel Colonsay vor der Westküste Schottlands, die vor vielen Jahren verloren ging. Danach zerstreute sich der Clan über ganz Schottland. Mein Dorf liegt auf Holy Island, Ihr lagt also richtig mit Eurer Vermutung, Hohe Mutter."

Diese alte, weise Frau verfügte ohne Zweifel über seherische Fähigkeiten, das lag auf der Hand. Es war aber nicht an der Zeit, sie darauf anzusprechen, schon gar nicht vor ihren Leuten.

"Ich habe meinem Dorf den Rücken gekehrt, weil sich dort Hochmut und Missgunst angesiedelt hatten in jenen Tagen und keiner den guten Werten mehr Beachtung schenkte. Ihr wollt wissen, welche es sind, die aus einem Mann einen guten Mann machen? So lasst mich Euch denn eine Geschichte erzählen. Es ist eine Geschichte, die seit Urgedenken von meinen Vorvätern an ihre Söhne weitergegeben wurde, der Herzschlag unseres Clans":

Vor vielen hundert Jahren lebte der Gutsbesitzer von Co´ in dem alten Schloss Culzen in Ayrshire. Dort kam eines Tages ein kleiner Junge zu ihm, zeigte ihm einen hölzernen Becher und bat darum, diesen mit Ale zu füllen für seine kranke Mutter. Der Gutsbesitzer befahl nun seinem Diener, den Becher bis zum Rand voll zu machen. Der Diener konnte seinen Augen nicht trauen, denn er brauchte ein halbes Fass Ale und der Becher war noch immer nicht voll. Er lief zu dem Gutsbesitzer, um sich zu beschweren, denn er hatte keine Lust auch noch ein neues Fass anzustechen und das alles wegen eines kleinen Bettlerjungens. Aber der Gutsbesitzer sprach: "Ich habe dem Jungen einen Becher Ale versprochen, willst du mich etwa dazu verführen, mein Wort zu brechen? Geh und fülle den Becher, egal wie viele Fässer du anstechen musst." Also stach der Diener brummend ein neues Fass an und schon ein einziger Tropfen reichte, um den Becher zu füllen.
Es vergingen viele Jahre und niemand dachte mehr an diesen unbedeutenden Zwischenfall. Es gab Krieg und der Gutsbesitzer wurde mit seinen Kameraden in Flandern vom Feind gefangen genommen und zum Tode verurteilt. Ohne Hoffnung auf Rettung saß er im Verlies und wartete auf die Hinrichtung. In der Nacht davor aber wurde die Zellentür wie von Geisterhand lautlos geöffnet und er sah den kleinen Jungen, dem er vor Jahren den Becher Ale geschenkt hatte. Der Junge sprach: "Komm mit mir, Gutsherr von Co´." Als der Gutsherr hinaustrat in die Nacht, fuhr der Junge, der in Wahrheit zum Volk der Feen gehörte, fort: "Eine gute Tat, wird von uns immer mit einer guten Tat vergolten. Ich danke dir für die großzügige Gabe, die du meiner Mutter hast zukommen lassen." Mit diesen Worten nahm er den Gutsherrn auf seine mageren Schultern und rannte los. In Sekundenschnelle kamen sie am Schloss Culzen in Ayrshire an und der Junge verschwand.

Marie, die Hohe Mutter, kniff die Augen zusammen. Sie konnte ein Seufzen gerade noch unterdrücken. "Wohl gesprochen, Dugann MacFie. Wenn Euer Herz so groß ist wie es Eure Worte sind, dann könnte es hier einen Platz für Euch geben; denn Männer, die zwischen die Welten sehen, brauchen wir in der Tat hier. Doch wie Ihr sagtet, seid Ihr auf der Wanderschaft. Was liegt am Ende Eures Weges?"

"Ihr beschämt mich, Hohe Mutter. Es ist mir eine Ehre, dies aus Eurem Munde zu vernehmen. Es ist wahr, wir sind noch nicht an unserem Bestimmungsort angelangt. Doch spräche nichts gegen ein Verweilen bei Euch und den Euren hier im Dorf. Ich könnte mich nützlich machen. Dort unten, am Ende des Dorfes, liegt ein See. Wie ich sah, steht die Fischerhütte leer. Es könnte einen anständigen Fischer, der sich um das Gewässer kümmert und es recht bewirtschaftet, gut gebrauchen. Es soll nicht Euer Schaden sein. Was meint Ihr dazu?"

Sie sah ihn an und Lächeln spielte um ihre Lippen. "Aye, ein Fischer fehlt uns in der Tat, Dugann Macfie. So seid willkommen, so lange ihr wollt. Sinus Pax hier wird Euch zur Fischerhütte bringen. Achtet darauf, dass Pokus seine Notdurft nicht auf den öffentlichen Wegen verrichtet. Und gebt den anderen Bewohnern hier die Möglichkeit, sich langsam an Euch zu gewöhnen. Manche brauchen ein wenig Zeit."

Sie warf einen Seitenblick auf den Chronisten, der sich sichtlich beherrschen musste. Dann trat ein junger Mann ein und hob seine Hand. "Damian? Was gibt es?"

"Die Frau mit dem Unfall, Hohe Mutter. Wenn Ihr bitte kommen mögt?"

Sie nickte. "Ich bin auf dem Weg. Dugann, fühl dich wie Zuhause." Sie erhob sich ächzend und humpelte aus dem Saal.
Sinus Pax
Auszug aus den Handschriften des Sinus Pax, selbsternannter Chronist und Kommentator der Gemeinschaft.

Nun, da die Büchse der Pandora geöffnet wurde, bricht es über uns herein, wie ich es einst prophezeit hatte. Über alle Kanäle drängen die Infiltratoren in unsere Gemeinschaft ein: Da wird ein schottischer Landstreicher hereingebeten und zum Fischer befördert, weil ihn einer unserer so genannten ‚Krieger‘ für würdig befunden hat. Da wird mir nichts, dir nichts ein Unfallopfer in die Siedlung geholt, unter Missachtung aller Regeln! Verdammt, die Frau hätte in die Notaufnahme des nächsten Krankenhauses gehört und selbst dort wäre ihre Überlebenschance gegen Null gegangen. Stattdessen schleppt man sie in unseren Heilsaal. Wo sie unweigerlich sterben wird, und wer hat dann die Scherereien?

Ich mag es mir gar nicht ausmalen, wenn die Polizei hier herumschnüffelt. Man wird die Leiche ja wohl melden müssen, oder lassen unsere ‚Krieger‘ die einfach verschwinden? Und das Autowrack, direkt neben unserem Außenzaun? Das ist inzwischen weggeschafft worden, auf höchst kriminelle Weise. Sie können den Wagen in sämtliche Einzelteile zerlegen, dennoch wird er Spuren hinterlassen und uns zum Verhängnis werden – die sind doch voller Sender und Chips, die geortet werden können. Bisher war unser größter Vorteil, dass wir keinen Ärger mit den Behörden hatten, doch das ist nun dahin.

Und Marie, unsere Hohe Mutter, deckt das alles, ja, sie ist sogar involviert. Hat sie nicht selbst Hand angelegt bei der Sterbenden? All dieser verrückte Hokuspokus, sie scheint inzwischen nicht mehr Herr ihrer Sinne zu sein. Wer will denn ernsthaft glauben, dass die junge Frau ihre schweren Verletzungen überleben wird, vor allem ohne eine angemessene medizinische Versorgung? Irgendwelche zerquetschten Blätter mögen ja bei den Indianern im Regenwald wirken, aber doch nicht hier, mitten in der Zivilisation!

Und was man vom Benehmen der Neuzugänge alles hört! Pflicht- und Regelverletzungen sind an der Tagesordnung, der vernarbte Trinker spielt sich auf, als sei er hier schon der heimliche Herr und dieser Drogenabhängige darf frei im Dorf herumlaufen. Plaudereien werden mittlerweile am Zaun mit welchen von Draußen gehalten, demnächst werden wir den ewigen Tag der offenen Tür haben.

Bald muss etwas getan werden, um unsere Gemeinschaft vor der allgemeinen Unterwanderung zu retten. Ich bin zwar alt, aber noch nicht tot. Und wenn es nötig wird, werde ich handeln, zum Wohle von Elfengarten!
*********2016 Mann
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Macro

Die Nacht hat Macro in seinem Pick-Up verbracht. Er hat unruhig geschlafen. Alpträume suchten ihn heim, bescherten blutige Szenen aus seiner Söldnerzeit. Verwirbelten seine Gedanken zu einem monströsen Brei. Nicht mehr oft kommen diese Schreckgespinste, nur noch ganz selten, aber manchmal erwischen sie ihn eiskalt.

Macro rappelt sich hoch, arg bequem ist die Sitzbank nicht aber er hat schon wesentlich schlechtere Nachtlager in seinem bewegten Leben gehabt. Macro tritt ins Freie, atmet die frische Luft Oberbayerns tief ein. Ein schneller heißer Kaffee, pechschwarz, zubereitet auf dem Spirituskocher. Eine Filterlose, Tabakkrümel kitzeln auf seinen Lippen. Ein Kanten hartes Brot und eine fünf Zentimeter dicke Scheibe Käse bilden sein Frühstück. Abgeschnitten mit dem großen, gefährlich blinkenden Kampfmesser welches lässig an seinem Gürtel baumelt.

Ein rascher Blick auf die Landkarte zeigt ihm seinen weiteren Weg auf. Noch zwei Dutzend Kilometer auf dieser verflixten Landstraße, dann erreicht er Illigdorfen. Dort muss er sich dann notgedrungen nach der restlichen Strecke erkundigen. Elfengarten ist auf der Karte nicht zu finden. Dem Schriftstück gemäß, welches zusammengefaltet in seiner Jackentasche ruht liegt die Siedlung allerdings in der Nähe von Illigdorfen. Der Motor des Pick-Ups brummt auf. Gemächlich steuert Macro sein Fahrzeug, in Gedanken versunken. Die Frage was ihn in der Siedlung erwartet, wen er dort antreffen wird und wie die Bewohner sich zu ihm stellen werden.

Eine halbe Stunde später erreicht er den Marktplatz des oberbayrischen Illigdorfen. Die Passanten reagieren unterschiedlich auf seine Frage nach dem Weg zu dem Weiler Elfengarten. Von "ich weiß es nicht" bis hin zu "was willst du bei den Spinnern dort" ist alles vertreten. Ein alter Mann weist Macro endlich den Weg, allerdings erst nachdem der ehemalige Söldner ihn recht grob angefahren hat.

Ein einspuriger, holperiger Schotterweg biegt von der Chaussee ab und führt direkt zur Siedlung. Im Schritttempo rollt der schwere Wagen voran und als Macro die ersten Anzeichen von Besiedelung entdeckt verhält er im Schatten einer hochgewachsenen Baumgruppe. Mit dem Feldstecher checkt er das vor ihm liegende Gelände. Felder, Weiden mit blökendem Vieh und Obstgärten liegen um Elfengarten herum. Kühe, Schafe und Pferde tummeln sich dort oder stehen gelangweilt auf ihren Weideplätzen. Die Ansiedlung selbst besteht aus einfachen Holzhäusern, urig und spartanisch wirkend. Zwei Ziehbrunnen kann er erkennen und am Dorfplatz ein etwas größeres Gebäude. Zwischen den Häusern kleine Gärten, Reihen von Obstbäumen und anderem Grünzeug.

"Grüne Quarkbauern und Aussteiger," murmelt Macro, fast geringschätzig klingen diese Worte.

Doch dann fällt ihm der Schutzzaun ins Auge welcher Elfengarten umschließt. Das schmiedeeiserne, wuchtige Eingangstor am Ende der Schotterstraße und die beiden Männer die anscheinend eine Art Wachrunde innerhalb des Zaunes laufen. Ein wahrer Riese der eine, der andere eher schmächtig. Zwischen Tor und Dorfplatz ist eine Menge Bewegung, fast ein Dutzend Menschen, ein mächtiges Pferd. Es schein eine gewisse Aufregung zu herrschen. Etwas muss geschehen sein. Noch berührt ihn das Geschehen im Dorf nicht, aber wer weiß.

Macros Blick wendet sich auf den großen, hageren Mann, die tiefe Narbe in seinem Gesicht. Er spürt es sofort. Das ist ein Kämpfer, einer wie er. Sein ureigener Instinkt schlägt stillen Alarm. Einen Moment später erfasst das Okular die würdige alte Dame. Sie scheint eine wichtige Person zu sein, strahlt Persönlichkeit und Ehre aus. Die Menschen um sie herum scheinen respektvoll ihren Rat zu suchen. Macro gibt sich einen Ruck, sein Entschluss ist gefasst. Zurück bleibt ein einsamer Pick-Up.

Bedächtig schreitet Macro auf das eiserne Tor zu... ich bin Macro, der Schatten, stellt euch mir!
Subotai
Scheiße, wo kam der Typ so plötzlich her? Stand am Tor, hart wie Granit. Grölte eine Herausforderung nach der anderen, und von den Bewohnern traute sich niemand raus vor’s Tor, auch Dschebe nicht. Stonewall, Travis und auch Conan liegen im Dreck vor ihm, ich glaube, dem Riesen hat er den Arm gebrochen, wie, um ein Exempel zu statuieren.

Er hat gekämpft wie ein wilder Hund, was will er beweisen? Ich sehe sein Gesicht und darin ist nur Verzweiflung zu lesen. Vivian und Lew stehen neben mir, blicken mich an, voller Angst.

Wieder brüllt er, klopft sich mit beiden Fäusten auf die mächtige Brust, die er nackt präsentiert. Er ist gut durchtrainiert, kein Gramm Fett am Körper. Ich kenne diese Art: Am Ende konzentriert sich alle Verzweiflung in schierer Kraft und Kampfkunst. Eigentlich möchte er Weinen, doch jetzt ist er im Rausch. Jetzt muss er kämpfen. Worte werden ihn nicht erreichen, noch nicht. Eigentlich ist er pure Sehnsucht, er will nichts mehr, als dazugehören. Verdammt, ich kenne das.

Und ich muss da jetzt hinaus zu ihm, unter tausend Augen. Ich hoffe, er gibt mir die Chance, ihn unverletzt zu lassen. Vivian schreit auf, nur einen Laut, als ich das Tor öffne und hinaustrete, mich ihm stelle.

„Ah, Du willst es probieren?“

Er kreiselt mit seinen Armen, bringt sich in Schwung. Er hat das gelernt, ist kein Anfänger. Aber ich falle nicht darauf herein. Seine Arme sind Ablenkung, tatsächlich greift er unten an, mit einem Hebetritt, den ich abfangen kann. Ich drehe mich einfach weg, es ist nichts geschehen. Hinter dem Zaun ist zu hören, wie sie den Atem anhalten, wenn ich versage, dann ist nur noch Dschebe da.

Wieder geht er mich an. Seitwärts, er wartet auf die Gelegenheit zu einem Drehtritt. Der kommt auch, verdammt schnell, fast unvorhersehbar, streift meinen Kopf nur leicht und ich atme durch. So kann das Stunden gehen und irgendwann erwischt er mich. Ich trete auf ihn zu, völlig überraschend für ihn. Hebe meine linke Hand, klar, im ersten Reflex folgt er ihr, die zwei Finger der Rechten, die in seine Leber stoßen nimmt er erst wahr, als es schon weh tut.

Meine Herren, er reagiert kaum. Seine Bauchmuskeln sind hart und schützen ihn vor dem Großteil der Wirkung meines Angriffs. Er keucht zwar, aber er knickt nicht ein. Im Gegenteil: Er schlägt nach meinem Kopf und nur meinen Reflexen ist es zu verdanken, dass ich nicht getroffen werde.

Patt.

Wir stehen uns gegenüber. „Was willst Du hier?“

Er grinst. „Hast Du schon genug, Krieger? Ist schon Reden angesagt? Komm, zeig mir mehr davon, was Du kannst. Ich bin Macro, der Schatten!“

Seine Stimme klingt beinahe höhnisch, dabei weiß ich doch, dass er sich danach sehnt, dazuzugehören. Ich schüttele den Kopf und trete zurück, bewege mich aus seiner Reichweite heraus. „Du willst das hier doch gar nicht.“

Wieder kommt ein hoch angesetzter Fußfeger, dem ich knapp entkomme. Wenn er so weitermacht, muss ich ihm doch noch wehtun, empfindlich sogar. Dann, eine Stimme hinter mir. Die Hohe Mutter.

„Tritt zurück, Subotai. Zurück, hinter den Zaun.“

Ich schüttele den Kopf und bewege mich zwischen ihn und sie. „Er ist nicht Herr seiner Sinne, Hohe Mutter. Geht wieder hinein und lasst mich das hier machen.“

Sie schiebt mich zur Seite und deutet auf das Tor. „Zurück, verdammt.“ Ich kann nicht anders, als mich ihrem Befehl zu beugen. Nun steht sie allein und schutzlos vor dem wütenden Tier da draußen. Alle um mich herum halten den Atem an.
Marie, die Hohe Mutter
"Du bist hart und hast Mut, nicht wahr?"

Ihre Stimme klingt beiläufig, als sie den Fremden anspricht, der vor ihr steht, schnaufend und schwitzend. Ihre Stimme wird sanft.

"Und Du suchst Ruhe unter dem Holderbaum. Warum greifst Du meine Männer an? Was glaubst Du, gewinnen zu können?"

Sie wendet sich ihm zu und blickt ihm in die Augen.

"Sag mir, Hartmuth Holderbaum, wie soll es weitergehen in Deinem Leben? Wird das Morden nie enden?"
Dugann MacFie

Der plötzliche Abgang der Hohen Mutter hatte mit dem Unfallgeschehen, das ich außerhalb des Dorfes beobachtet hatte, zu tun, so viel war klar. "Die genaueren Umstände werde ich schon noch erfahren", überlege ich auf dem Weg hinunter zum See. Sinus Pax geht wortlos voran, keines einzigen Blickes hatte er Pokus und mich inzwischen gewürdigt. Sinus Pax, Beuger des Friedens, eine wahrlich bemerkenswerte Gestalt. Abneigung stand ihm über die ganze Dauer meiner Anhörung ins Gesicht geschrieben, keinerlei Anstalten, die Ablehnung, die er für mich und mein Ansinnen empfand, zu verbergen. Ich vermute, dass er für die innere Sicherheit und die Moral im Dorf verantwortlich ist oder sich dazu berufen fühlt, diese Werte zu schützen. Ohne Zweifel traue ich ihm die Entschlossenheit zu, diese Güter mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen. Die großen silbernen Ringe an seiner rechten Hand deuten auf einen gefährlichen Inhalt hin.

Die Fischerhütte liegt von Wildwuchs umgeben im hintersten Winkel des Dorfes. Ich kann einen großen hölzernen Vorbau ausmachen, von der aus ein zugewucherter Trampelpfad hinunter zum See führt. Der Pfad mündet in einen Bootssteg, an dessen Pfählen ein alter Holzkahn festgemacht ist. Soweit ich erkennen kann, ist er intakt. Er liegt tief im Wasser, vermutlich ist er mit Regenwasser voll gelaufen.

Als Sinus Pax mit einer kurzen, zwanghaft wirkenden Geste andeutet, mir den Hüttenschlüssel übergeben zu wollen, lehne ich dankend ab. "Ich bin nur Gast hier im Dorf und auf Einladung der Hohen Mutter geblieben. Ich habe nichts zu verbergen, 'mein' Haus ist offen. Eine Bitte allerdings hätte ich, werter Sinus Pax: Falls Ihr Subotai begegnet, unterrichtet ihn von meiner Ankunft und meinem Aufenthaltsort."

In diesem Moment war mir klar, dass er meine Äußerungen erneut als Zeichen der Missachtung und Geringschätzung verstand. Er steckte den Schlüssel zurück an den großen eisernen Ring, drehte er sich um und zog wortlos davon.

"Pokus, hier wird es noch Ärger geben", höre ich mich murmeln, als ich meinen Rucksack auf dem Holzboden der Veranda abstelle.
**********gosto Frau
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JORIND

Albträume

Jorind träumt. Ihr Körper schläft im Gästezimmer ihrer Schwester in Illigdorfen, aber ihr Geist durchlebt wirre Szenen, zusammengesetzt aus Ängsten und Erinnerungsfetzen.

Sie geistert mit einer Handvoll Schüler und Lehrer durch eine gespenstisch leere Schule. Sie öffnen jede Tür, eilen treppauf, treppab. Keiner da, niemand.
Und schließlich die Erkenntnis, die sie sich gegenseitig zuflüstern, in Frage stellen, bestätigen: Sie sind allein, zurückgelassen in einem evakuierten Gebäude. Die ganze Schule, siebenhundert Schüler und fünfzig Lehrer, sind umgezogen an einen unbekannten Ort und haben ein Häuflein überflüssiger und ungewollter Individuen zur Entsorgung zurückgelassen.

Nur schwer und ganz allmählich kann sich Jorind aus dem beklemmenden Traumbild lösen. Und im Übergang vom Schlaf zum Wachbewußtsein kommt ihr eine Erkenntnis ...
In dieser Schule hätte ich nicht so lange bleiben dürfen, ich hätte meine Gesundheit und Schaffenskraft bewahren können, wenn ich frühzeitig an eine reformpädagogische Schule gewechselt wäre. Statt einer Einzelkämpferin wäre ich eine Lernbegleiterin selbstständig arbeitender Schüler gewesen.
Zu spät. Nach Burnout, Depressionen, Suizidgedanken und einem Aufenthalt in der Psychiatrie ist sie heute eine pensionierte Lehrerin, die mit ihrem Hund weite Wanderungen unternimmt.

Lange halten sie solche Gedanken wach. Schließlich gleitet sie erneut in einen unruhigen Schlaf.
Sie irrt durch ein Tunnelsystem, vielleicht in den karstigen Höhlen der Schwäbischen Alb, die sie einmal mit ihren Schülern besucht hat. Eine schattenhafte Gestalt verfolgt sie. Sie drückt sich in eine Nische in der Wand. Als der Schatten sich vor ihr aufbaut, schwarz gegen den hellen Himmel, schreit sie in panischer Angst: „Verschwinde, lass mich in Ruhe, hau ab!“
Mit den letzten Worten im Ohr taucht sie aus dem Alpdruck auf, zittert und kann sich kaum beruhigen.

Dieser Schatten hatte Ähnlichkeit mit dem hochgewachsenen Mann, dem sie am Grenzzaun des Aussteigerdorfs begegnet ist. Aber was hat sie denn so geängstigt? Er war ihr nicht sonderlich bedrohlich erschienen, auch wenn er ihr das Handy abnehmen wollte.
Ihr Schwager sitzt im Stadtrat von Illigdorfen. Sie wird ihn mal ein wenig nach diesen seltsamen Vögeln aushorchen. Mit diesem Entschluss tappt sie die hölzerne Wendeltreppe hinunter zum Familienfrühstück.
*********2016 Mann
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Macro, Marie die hohe Mutter, Subotai und andere

Macro schaut geringschätzig lächelnd den drei, sich mühselig aufrappelnden, Gestalten hinterher. Humpelnd und mit schmerzverzerrten Gesichtern haben sich die Helden hinter den Schutzzaun zurückgezogen.
"Zweite Wahl, wenn überhaupt," murmelt Macro, belustigt schauend.

Der Zweikampf mit dem langen, hageren Samurai Typ war da schon eine ganz andere Nummer. Da war Gleichwertigkeit, die gleiche Verbissenheit zu gewinnen wie beim ihm selbst. Die hohe Kunst des waffenlosen Kampfes. Ein Fighter wie aus dem Buche, aber das hatte er ja schon bei der Fernbeobachtung so vermutet.
Der harte Kampf hat leichte Spuren hinterlassen, eine gewisse Atemlosigkeit und einen leicht erhöhten Puls. Es wäre interessant gewesen die Auseinandersetzung noch etwas weiter auszuleben. Aber da kam dieser Ruf welcher den Unbekannten hinter das Tor rief. Subotai, war wohl der Name, er klingt noch in Macros Ohr.

Jetzt steht sie vor ihm, die würdevolle alte Dame, die er schon vorhin auf dem Dorfplatz beobachtet hatte. In kerzengerader Körperhaltung, langes weißes Haar, die knochigen Hände grüßend ausgestreckt und mit müden, wenn auch geheimnisvollen Augen.

"Wann hört das Morden endlich auf, willst du ewig so weiterleben, Hartmuth Holderbaum?"

Wie ein feuriger Blitz dringt diese Frage in Macros Gehirn, lässt ihn einen Moment verblüfft innehalten. Woher weiß die erhabene Frau seinen Namen, den er selbst ihn alle Ewigkeit vergessen wähnte. Sie muss über seherische Fähigkeiten verfügen, anders ist dieses Phänomen nicht erklärbar. Macros grünbraune Augen saugen sich förmlich an der ehrerbietigen Gestalt der alten Dame fest, fürwahr sie scheint hier eine Art Königin zu sein.

"Sprich, Freund Macro, wenn dies nun dein neuer Name sein soll. Mich nennt man hier die Hohe Mutter und ich würde gerne den Grund deines Begehrens erfahren. Dein bisheriges Leben hat mit uns hier in Elfengarten nichts zu tun. Was also führt dich hierher?"

Die Stimme der Hohen Mutter verstummt, erwartungsvoll abschätzend ruht ihr Blick auf Macro.

Macro sammelt sich, er ahnt das von seiner Antwort die Frage des Bleibens abhängig gemacht wird. Seine Worte wollen gar wohl gewählt sein.

"Hohe Mutter, ich kam aus zwei Gründen hierher. Einmal um über mein Leben nachzudenken und es vielleicht in geordnete Bahnen lenken zu können. Zum anderen um Euch zur Seite zustehen. Vor einigen Monaten sandtet Ihr einen Brief, eine Bitte um Beistand, an einen sehr guten Freund von Euch. Der Name tut hier nichts zur Sache, Ihr wisst bestimmt von wem ich rede. Ich fand diesen Brief bei dem edlen Herrn, allerdings erst nach seinem Tode. Euer alter Freund verspürte Böses auf sich herannahen und nahm mich in die Pflicht der Leibwache. Trotz aller Wachsamkeit jedoch konnte ich allerdings den heimtückischen, geradezu perfiden Anschlag auf sein Leben nicht verhindern. Seine Mörder konnte ich erfolgreich strafen, leider erst geraume Zeit nach Ausführung ihrer teuflischen Übeltat."

Macros Stimme setzt aus, ist es die Erinnerung oder will er beobachten wie die Hohe Mutter reagiert.

"Deswegen erhielt ich nie eine Antwort, ich habe eine böse Ahnung in mir gefühlt, allerdings die Hoffnung nie aufgegeben dass ich mich täusche." Die Stimme der Hohen Mutter versiegt, zwei, drei Tränen rinnen über ihre furchigen Wangen. "Fahrt bitte fort, Macro," fordert sie mit leiser Stimme.

"Hohe Mutter, Euer alter Freund war mein letzter Dienstherr. Er wusste um Eure Sorge und hätte mich in Bälde zu Euch gesandt. Er hat mir einiges über Elfengarten erzählt. Ich vermute das der Anschlag auf sein Leben von den gleichen dunklen Kräften initiiert wurde die hier in Eurer Siedlung für Unruhe sorgen, Eure lobenswerte und ehrenhafte Ideologie Schritt für Schritt unterwandern. Ich habe Elfengarten beobachtet, mir sind einige Gestalten aufgefallen die hier nicht her passen, genau sowenig wie ich im Grunde."

Macro hält inne, er hofft das seine Worte die Hohe Mutter erreichen. Er möchte helfen etwaiges Unheil von Elfengarten abzuwenden.

"Hohe Mutter," beginnt Macro von Neuem. "Mein Dienstherr vertraute mir sehr. Er berichtete mir von Eurem Chronisten Sinus Pax, dem ehrenwerten Bewahrer der Moral und des Friedens und seinen Bedenken. Ich bitte Euch inständig. Geht die alten Chroniken durch, es werden sich wohl mit Sicherheit Hinweise auf unheilvolles Wirken finden lassen. Nun entscheidet Ihr ob ich bleiben oder gehen soll."

Macro beendet seine Ausführungen. Stumm und in tiefes Nachdenken versunken steht die Hohe Mutter regungslos vor ihm. Macros Blick sucht Subotai, er hätte gerne noch ein paar Worte mit ihm gewechselt. Der hagere Kämpfer steht beobachtend am Tor, bereit sofort einzugreifen wenn es nötig sein sollte. Neben ihm taucht eine andere Gestalt auf, scheint Subotai etwas zuzuflüstern. Es ist Dschebe der da wie aus dem Nichts erscheint.
Macro traut seinen Augen nicht, dieser Mann kommt ihm entfernt bekannt vor. Er kramt in seiner Erinnerung, blickt nochmal zum Tor um sich zu vergewissern. Aber da steht nur noch Subotai, Macro aufmerksam musternd.

Plötzlich überfällt Macro eine Ahnung, noch bevor die Hohe Mutter auch nur ein Wort der Antwort zu ihm spricht.
"Roffler, verdammt, der war doch Leutnant, Oberleutnant bei so einem getarnten Fernspähverein."
Schlagartig ist die Erinnerung da, achtzehn Jahre dürfte das her sein, damals in Burkina Faso.
Dugann Macfie

Still ruht der See zu meinen Füßen. Ich beobachte ein paar ziehende Karpfen, deren Rückenflossen die Wasseroberfläche durchbrechen. Ein lautes Platschen verrät die Anwesenheit eines jagenden Raubfisches. Um den Fischbestand müssen sie sich also keine Sorgen machen. Die Ufer sind weitestgehend zugewuchert, überhängendes Geäst und üppige Seerosenfelder in den Uferregionen sind ideale Laichgebiete, sie bieten der Brut Schutz und den Räubern Unterstand.

Unser erster Rundgang dauert etwa zwei Stunden, an einer der Fischerhütte gegenüberliegenden Landzunge rasten wir und ich fertige eine grobe Skizze unseres neuen Zuhauses an. Pokus ist ganz in seinem Element. Unzählige fremde Gerüche wie interessante Fährten haben seine Neugierde geweckt, natürlich bleibt mir sein Drang, auszubüchsen und die neue Welt zu erkunden, nicht verborgen.

"Wie es wohl dem verletzten Hengst geht?", kommt mir in den Sinn. "Nun gut, Pokus, denke, sie konnten ihn wieder zusammenflicken."

Die Hütte ist aus soliden Brettern gebaut. Sie besteht aus einem großen Raum mit ausreichend Platz für uns beide. Das Licht, das durch das Sprossenfenster in den Raum fällt, sorgt für eine warme, angenehme Stimmung. Ein Holzofen mit eiserner Herdplatte bietet Koch- und Heizgelegenheit zugleich. Der schwere Holztisch mit der Eckbank gefällt mir auf Anhieb. Eine Holzpritsche wird uns ein gutes Nachtlager sein. Das Herrlichste aber ist ein alter Vorratsschrank, der neben allerlei Eingemachtem und verschiedener Grundnahrungsmittel auch eine große Dose mit Kaffeebohnen beherbergt. Die hölzerne Kaffeemühle steht einladend auf einem Regal. Ein Wasserkessel, ein Topf, eine schmiedeeiserne Pfanne und allerlei anderer Hausrat runden das Ganze ab.

Auf der Rückseite der Behausung befindet sich ein Schuppen, in dem mein Vorgänger die zum Fischfang erforderlichen Gerätschaften aufbewahrt hatte. Bei nächster Gelegenheit werde ich die Netze, Reusen, Handangeln, Markierungsbojen und sonstigen Werkzeuge auf ihren Gebrauchszustand hin überprüfen.

Der freistehende Räucherofen ist in die Jahre gekommen und sieht ziemlich abgewirtschaftet aus. Vielleicht kann hier der Dorfschmied helfen?

Zunächst aber widme ich mich dem Bootssteg und dem alten Nachen. Sie zu reparieren ist wohl meine dringlichste Aufgabe.

Just in dem Moment, als ich den letzten Becher Wasser aus dem Kahn schöpfe, höre ich das Pfeifen des alten Wasserkessels aus der Hütte. "Pokus, das ist ein Segen", sage ich und brühe meinen allerersten Kaffee in Elfenland.
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