Lektion
Missus Right stand am Rande des Kohlkopfbeetes unter dem Blätterdach einer ausladenden Eiche und betete ihrem Schützling, den sie bäuchlings über die dort vergessene Schulbank gelegt und festgekettet hatte, das große Ein-mal-Eins der deutschen Sprache vor. Der Hintern ihres Zöglings reckte sich barbackig in die Höhe, und die Sonnenstrahlen, die den Blätterwall der Baumkrone durchbrachen, zeichneten das dunkelrote Striemenmuster seines Gesäßes nach.
Der Sabber lief ihm aus den Mundwinkeln, und er blökte unverständliches Zeugs in die Socke hinein, die sie ihm in den Mund gestopft hatte, bevor sie mit ihrer Litanei begonnen hatte. Seine Nase tropfte, und seine Augen schwammen in den Tränen davon.
Missus Right gurrte ihr Lachen und kramte aus den großen Taschen ihrer geblümten Pumphose, die wie ein Hosenrock aussah, ihre Pfeife und den Tabakbeutel hervor. Sie legte eine Pause ein und betrachtete ihr Werk, während sie genüsslich ihr Rauchutensil stopfte, um schließlich das Aroma des Märchenkrautes zu inhalieren.
Mit den Stimmen ihrer spielenden Ahnen, die mit der Hilfe des Geschichtengarns im Wettermantel ihres Gatten verwebt waren, den dieser ihr vor Jahren vermacht hatte, ließ sie die Sinne des Schützlings tanzen und gab ihm das Gefühl, dass er ein Vorführobjekt für die Schulstunde ihrer Puppenkinder sei und betröpfelte seine Striemen mit dem Siegelwachs ihrer verschiedenen Stimm(ungs)lagen.
Dem Zögling fröstelte es, und eine Gänsehaut überzog seinen braungebrannten Nacken und die muskelbepackten Oberarme sowie sein breites Kreuz. Das T-Shirt mit der Aufschrift „I’m the big Boss“ hatte sie ihm in ihrer Rage zerrissen, und es lag zu seinen Füßen - auf dem Stückchen Wiese - unter der alten Schulbank.
„Es heißt Schmonzette“, dozierte sie lachend und schrieb dieses Wort mit Edding mehrfach auf den breiten Rücken ihres Opfers. „Du bist der eingebildetste Lackaffe, den ich bisher kennengelernt habe“, fuhr sie amüsiert fort und kritzelte mit ihrem dicken Stift die Worte: „Einbildung ist auch eine Bildung“, auf seinen gebeugten Rücken. Als sie am Ende Richtung Kreuzbein angelangt war, formte sie mit dem schwarzen Stift noch das Wort „Lackaffe!“ knapp oberhalb seines Pos.
Dann erlöste sie ihn von seinen Ketten und entließ ihn in die Masse der Allgemeinheit, während sie sich auf das Schreibpult der alten Schulbank setzte und genüsslich an ihrer Pfeife nuckelte.
Der Duft von Schmorkohl waberte aus dem offenen Küchenfenster des windschiefen Fachwerkhauses herüber, und Missus Right leckte sich die spröden Lippen. Liebe geht durch den Magen, das wusste sie schon damals, als sie vor ewigen Zeiten ihrem Spielkind die Treue geschworen hatte.
Der Wind strich durch die Baumkrone der Eiche und der metallen gläserne Klimbim begann in den Zweigen des Baumes zu klimpern, während der verwitterte Ochsenschädel zwischen den Luftwurzeln des im Trog eingetopften Stachelbeerbusches zu summen begann. …
© CRK, LE, 02/2020