Valeries Haar
Um mein Studium zu finanzieren, war ich ständig auf der Suche nach Nebenjobs. Ich hatte schon gekellnert, geputzt, war auf Zigaretten-Promotion-Tour durch die Clubs der Stadt unterwegs, versuchte mich als Babysitter und führte Hunde aus. Wobei, ehrlich gesagt, die Hunde weit weniger nervig waren als die Kinder. Wie gewöhnlich stöberte ich im Stadtmagazin in den Stellenanzeigen, als mir folgende Annonce ins Auge sprang: „Schwarzhaariges, weibliches Modell für Aktmalerei gesucht. Alter zwischen 20 und 40. Bitte keine Kurzhaarfrisur! Stundenlohn 30 Euro. Kontakt: 0174 – 55 93 705“
Prüde war ich noch nie, ich war 31, lange, schwarze Haare hatte ich auch und mein Kühlschrank war leer. Ich rief also an und vereinbarte einen „Vorstellungstermin“.
Das Atelier befand sich in einem malerischen schwabinger Hinterhof. Ein riesiger Holunderbusch schwängerte die Luft mit seinem betörenden Aroma. Ich sah mich um und wusste erst nicht, wo nun dieses Atelier zu finden war, als eine Blondine aus einer Tür trat, mich schief anlächelte und nuschelte: „Ich war ihm nicht schwarzhaarig genug.“ Die Tür stand noch offen und ich trat ein. Gedämpfte Chill-out-Musik war zu hören. Ich tippte auf Kruder & Dorfmeister. Die Klänge führten mich um die Ecke in einen Raum mit genialem Lichteinfall. Die Decke war gläsern und ich fühlte mich fast wie unter freiem Himmel. Nur war der Holunderduft dem von Farben und Terpentin gewichen.
„Hallo? Ist hier jemand?“ Ein Mann, ich schätzte ihn auf Anfang Fünfzig, trat hinter einer Leinwand hervor. „Ich bin hier. Schön, dass du…“ Weiter kam er nicht. Er sah mich mit großen Augen an, stammelte etwas von „Perfekt!“ und ließ seinen Blick an mir auf und ab gleiten. Etwas verlegen streckte ich ihm meine Hand entgegen. „Ich bin Valerie. Vincent?“ „Ja. Entschuldige mein Benehmen, aber du bist genau das Modell meiner Vorstellung. Nimm Platz. Kann ich dir etwas zu trinken anbieten?“ „Nein, danke.“
Er erzählte mir, was meine Aufgabe wäre. In einer seinen Wünschen entsprechenden Pose still zu sitzen. Pausen wären zwar nicht spontan, aber nach Ankündigung möglich. „Wann kannst du anfangen?“ „Na, von mir aus sofort.“ Seine Augen leuchteten, er nahm meine Hand, führte mich zu einem Podest, auf dem eine weiche, weiße Decke lag und forderte mich auf, meine Kleidung abzulegen. Ich merkte, dass ich wohl doch nicht so souverän war, wie ich mich immer eingeschätzt hatte. Ein wenig schüchtern zog ich mein Kleid, die Unterwäsche und die Schuhe aus. Sein Blick taxierte mich von oben nach unten. Aber nicht lüstern, sondern voller Freude. Aufgeregt wies er mich an, auf dem Podest Platz zu nehmen. Sitzend, mit seitlich angezogenen Beinen. Er lief einige Meter weg, stutzte, kam wieder und legte meine rechte Hand auf meine linke Brust. „Schüttel dein Haar.“ Sofort musste ich an Helge Schneider denken und kicherte. „Okay, wenn du fertig bist mit Kichern, beuge deinen Kopf bitte etwas nach vorne. Stop! Genau so. Und jetzt schau mich an!“ Er bewegte sich rückwärts zur Staffelei und ließ meinen Blick nicht los. „Das ist es! Bleib so! Ach, Valerie, bitte sei so lieb und erscheine zur nächsten Sitzung ohne Unterwäsche. Die Abdrücke auf deiner Haut stören mich.“ Dann kam er wieder angerannt und drapierte einige Haarsträhnen um. Es folgte wieder das Rückwärtsgehen-Blickhalte-Spiel.
Vincent nahm einen Bleistift, skizzierte die Schultern des Modells, den Hals, den Kopf, die geschwungene Linie ihrer Taille…
Eine seltsame Gänsehaut kroch mir über die Schultern. Ich spürte ein Kribbeln am Hals und ich dachte, kleine Insekten würden über meinen Kopf krabbeln. Etwas kitzelte mich in der Taille. Es kostete mich sehr viel Kraft, nicht los zu kichern und mit der Hand über die gekitzelten Stellen zu streichen.
Der Maler fing an, den Hinter- und Untergrund zu skizzieren.
Meine Blase meldete sich. „Vincent, ich muss pinkeln.“ „Geh nur. Hinten links die letzte Tür.“ Ich schnappte mir den Bademantel, der auf einem Stuhl lag und verschwand in der Toilette.
Vincent hatte den Faltenwurf der Kuscheldecke perfekt eingefangen, als Valerie sich wieder in Position begab. Es folgten Detailzeichnungen ihres Gesichtes, der Arme und Hände, ihres Bauchnabels, der Brüste und der Scham.
„Was piekt mich da an der Hand? Heee, zupft da jemand an meinen Brustwarzen?“ schoss es mir durch den Kopf. „Was ist das nur?“ Ein wohliges Schauern machte sich in meinem Schoß breit, aber bevor ich es einordnen konnte, spürte ich ein Kribbeln im Bauchnabel. Ich konnte mir die Reaktion meiner Haut nicht erklären. Allergien hatte ich nicht. Ich harrte grübelnd noch eine Stunde in der Pose aus, als seine erlösenden Worte meine eingeschlafenen Glieder befreiten.
Er war fertig mit der Skizze und sehr zufrieden. „Valerie, Schluss für heute. Du warst sehr gut! Die Skizze ist fast fertig. Ich kann ohne Dich nacharbeiten. Morgen zur gleichen Zeit für die Farbumsetzung?“
Ich zog mich an, reckte und streckte mich und nahm den angebotenen Kaffee nun gerne an.
„Soll ich dich gleich bezahlen für heute?“ „Nein. Erst am Ende.“
Auf dem Heimweg freute ich mich schon auf morgen.
To be continued