Der Abgrund
Der Abgrund Er erwachte vom Geräusch fallender Steine.
Nachrutschendes Geröll scheuerte an seiner Wange, kleine Findlinge trafen schmerzhaft auf Arme und Schultern.
Benommen drehte er sich auf den Rücken und entging dadurch dem zentnerschweren Felsbrocken, welcher auf der steilen Moräne
hinunter Richtung Abgrund eilte.
Mit weit geöffneten Augen starrte er zu der Tonnenschweren Unmöglichkeit empor, die drohend, wie ein Damoklesschwert
fast einhundert Meter über Ihm hing .
Feldspat und Pyritadern durchzogen die gewaltigen Masse aus Granitgestein, glitzerten wie tausend kleine Augen.
Was zur Hölle war passiert.
Vorsichtig das Gewicht verlagernd, drückte er die Arme durch und brachte seinen Oberkörper in eine aufrechte Position.
Es dauerte einige Minuten, bevor sich die blitzenden Sterne vor seinen Augen langsam auflösten und er die Dinge nicht mehr dreifach sah.
„Scheiß Idee“ brummte er in seinen Bart.
Mit drehenden Bewegungen trieb er die Steigeisen an seinen Bergstiefeln etwas tiefer in den losen Untergrund, tastete nach der Handschlaufe des Eispickels, fühlte dankbar das dicke Leder und versenkte den langen Edelstahldorn schwungvoll in einer Nase aus Basaltgestein, die aus dem Schutt des Abbruchs herausragte.
Mit der freien Hand fuhr er , vorsichtig tastend , über seine Arme und Beine, seinen Bauch, die Rippen und zuletzt, nach einem kurzen Zögern, über den Schädel und sein Gesicht.
Erschrocken zuckte er zurück, wimmerte kaum hörbar, als seine Finger eine krude, gezackte Masse berührten.
Als er Form und Beschaffenheit identifiziert hatte, atmete er hörbar aus, schickte ein Danke an den lieben Gott , löste den Kinnriemen und zog sich die Überreste seines Schutzhelmes vom Kopf.
Wie durch ein Wunder, hatte er diese Katastrophe unverletzt überstanden.
Aber...er blickte sich suchend um.....wo waren die anderen ?
Als sie vor drei Tagen in Oslo aufbrachen, waren sie zu fünft, zwei Finnen, ein Amerikaner, ein Engländer und er, ein Deutscher mit Schweizer Wurzeln. Ein Globetrotter, der sich auf der ganzen Welt zuhause fühlte und ständig auf der Suche nach neuen Abenteuern war.
Der Trip ins innere eines erloschenen Vulkans versprach ein solches zu werden. Daher hatte er sich der Gruppe im Internet angeschlossen
und sie waren, nach nur zwei Tagen Vorbereitung, losgezogen.
Der Aufstieg war anstrengend und gefährlich, aber sie hatten als Team funktioniert und alles gut überstanden.
Als sie auf Zweitausendeinhundert Metern ihr Basislager errichtet hatten und das Abendessen zubereiteten, zündete einer der Finnen
einen defekten Gaskocher und wurde von der detonierenden Druckflasche schwer verletzt.
Nach der Erstversorgung brachen sein Landsmann und er den Trip ab und machten sich auf den Heimweg.
Zu dritt den riskanten Einstieg in den Abgrund des toten Feuerberges zu wagen, war alles andere als clever, doch nach den überstandenen Strapazen und dem zusätzlichen Reiz des bevorstehenden Nervenkitzels, hatten sie beschlossen es durch zu ziehen.
Anfangs lief auch alles bestens. Sie überwanden den Grat ohne Schwierigkeiten und brachten bis zum Mittag die ersten vierhundert
Meter, über eisige, schneebedeckte Felsspitzen, des Abstieges in den Krater hinter sich.
Es war früher Abend und die Sonne stand noch recht hoch, als der Amerikaner mit einem Aufschrei in einer Spalte verschwand und den Engländer am Sicherungsseil mit sich zerrte.
Gemeinsam schafften sie es, die Leine zu sichern. Als der Engländer mit seiner Druckluftpistole weitere Bolzen in den Stein über der
Felsspalte versenkte, um den Flaschenzug zu instalieren, begann das Beben.
Die gesamte Nordflanke des Kraters geriet ins Rutschen .
Das ungläubige Entsetzen im Gesicht des Amerikaners, als die Ränder einbrachen, Steinsplitter seine Sicherungsleine wie einen Bindfaden durchschnitten und er in die Tiefe fiel, würde er nie vergessen.
Nur einen Wimpernschlag später, standen auch er und der Brite nur noch auf leerer Luft und folgten ihrem Kameraden in die Tiefe.
Auf einer Lawine aus Stein und Eis ging es abwärts.
Rasend schnell.
Laut.
Dann ging das Licht aus.
Licht.
Er schüttelte die beklemmenden Erinnerungen ab und wühlte in den Taschen seiner Goretex Jacke nach Magnesiumfackeln und Taschenlampe.
„Mistding“ er schüttelte die Stablampe und wurde mit einem scharfen Lichtstrahl aus der Halogenbirne belohnt, die ihn im ersten Moment fast blind machte.
Mit zusammengekniffenen Augen schickte er die Helligkeit auf Wanderschaft.
Der Abhang, den er heruntergerutscht war, bestand fast nur aus Schutt und Geröll. Nur vereinzelt waren große Findlinge liegengeblieben.
Das Gestein präsentierte eine seltsame Mischung. Rein gar nicht das, was man in einem Vulkan erwartete, Granit, Kalkstein, Basalt, sogar Schiefer wenn er sich nicht irrte.
Es gab nur eine Erklärung. Er befand sich in einer Verwerfung.
Dem Ergebnis einer Kontinentaldrift aus grauer Vorzeit, als die tektonischen Platten aneinander stießen und sich verschiedene Gesteinsschichten ineinander schoben.
Er ließ den Lichtfinger wandern, auf der Suche nach einem Lebenszeichen seiner Begleiter.
Ohne Erfolg. Die Reichweite mochte zweihundert Meter betragen, so ungefähr, aber es gab nichts zu sehen.
Er richtete den Strahl nach oben. Jenseits der glitzernden Felsnadel verlor sich der Schein seiner Lampe in der Dunkelheit.
Er konnte die Decke nicht sehen.
Sie waren durch einen meterbreiten Riss gestürzt, warum sah er über sich kein Tageslicht ?
Er richtete den Halogenstrahl auf seine Füße und ließ ihn weiter abwärts gleiten.
Ein Schreckensschrei entfuhr seiner Kehle.
Nur eine Armlänge unterhalb seiner Füße, endete der Abhang.
Keuchend drehte er sich auf den Bauch , grub seine Klettereisen in den schwammigen Untergrund und schob sich langsam vorwärts.
Mit ausgebreiteten Armen, die Handflächen auf dem scharfkantigen Schutt, kroch er auf den Rand zu und starrte in die Tiefe dahinter.
„Ich träume“ schoss es ihm durch den Kopf. Ich habe Halluzinationen „dachte er“.
Das ist absolut unmöglich !
.............Fortsetzung folgt................................................................................................................................................................................
© 2009 by Biker_696