Alles ist möglich
angeregt von der Diskussion um "Voll aus dem Leben" habe ich mich mal an einer Variante aus Sicht der Frau versucht - mit offenem Ende...(wenn die Moderatoren finden, die Geschichte gehöre dazu, dürfen sie das gerne in den anderen thread verfrachten)
Alles ist möglich...
Susi kaute am Kugelschreiber. Auf dem Blatt vor ihr stand nur:
Lieber Peter – das `lieber ´zweimal durchgestrichen.
Sie wusste nicht, wie sie anfangen sollte, oder womit.
In ihrem Zorn flackerten so viele Bilder auf, und Szenen, die sie ihm heute alle einmal aufzählen musste.
Dieser beschissene Abend im „Jägereck“ zum Beispiel, wo Anneliese ihren Geburtstag gefeiert hatte, und der in einem fiesen Streit geendet war. Es war aber auch alles schief gelaufen an dem Abend – Peter war wie immer zu spät aus dem Büro gekommen, die Kinder waren noch wach und wollten einen Gutenachtkuss vom Papa, Peter hetzte von Kinderzimmer zum Bad ins Schlafzimmer, stellte dem Babysitter noch das Lieblingsprogramm im Fernseher ein, während sie im Gang stand und wartete. Klar, dass er in der Eile die neuen Schuhe und die engen Jeans nicht sah – oder hatten sie ihm bloß nicht gefallen? Später hatte er aber zu Marion gesagt, dass sie tolle Fingernägel hatte – die Kuh war im Nagelstudio gewesen und hatte Straßsteinchen auf jedem zweiten Finger. Das fiel ihm also auf!
Irgendwann waren die Männer an einem Tisch zusammengehockt und die Frauen an einem anderen – und zu viel getrunken hatten sie auch alle.
Als sie auf ´s Klo gegangen war, hatte sie gehört, wie Peter allen erzählte, dass er am Wochenende keine Lust hatte, zum Geburtstag ihrer Mutter zu fahren. Die olle Schwiegermutter! erntete ihm beifälliges Gelächter seiner Kumpels.
Als sie vom Klo zurück gestöckelt war, hatte ihr der Ober hinterher gepfiffen. Leise, aber sie hatte sich umgedreht. Sein Lächeln war Balsam. Wann immer er neue Getränke gebracht hatte, hatte er ihr zugezwinkert. Und beim Zahlen die Hand geküsst.
Im Auto hatte ihr dann Peter vorgeworfen, sie habe den Ober „so nen 08/15 Gigolo“ angemacht. Aus den Augenwinkeln hatte sie während seiner Motzerei noch sehen können, dass Marion mit ihrem Neuen auf dem Parkplatz rumknutschte.
Peter hatte dann auf der Couch geschlafen – war auch besser so; wenn er besoffen war, schnarchte er wie verrückt. Schlafen hatte sie trotzdem nicht können.
Oder das Wochenende in Bad Hersfeld: Er hatte einem Geschäftskollegen wichtige Unterlagen bringen müssen, und ihr anschließend ein schönes Wochenende versprochen. Ohne Kinder, eine Nacht im Hotel. Das war zwar nicht der schon lange versprochene Parisausflug gewesen, aber sie hatte sich trotzdem darauf gefreut.
Während er bei seinem Termin war, war sie durch die Stadt gebummelt, hatte sich schön gemacht – und dann festgestellt, dass sie blöderweise ihre Tage bekam. Beim Abendessen kamen noch Kopf-und Bauchschmerz dazu, sodass Peter zur Nachtapotheke musste, um Tampons und Schmerzmittel zu kaufen. Anstatt sie in den Arm zu nehmen, oder wie früher immer, sanft zu massieren, hatte er sich dann im Bett bloß umgedreht und war eingeschlafen. Auf der Heimfahrt hatten sie kaum ein Wort gesprochen. Als ob sie was für ihre Tage könnte!
Ähnlich war es am Hochzeitstag gewesen. Sie waren im Lokal, sie hatte sich bemüht, ein schönes, zärtliches Gespräch in Gang zu bringen, hatte ihm gesagt, dass das neue Hemd, das sie ihm gekauft hatte, ihm gut stand, und hatte sich über den Ring gefreut, den er beim Nachtisch aus der Tasche gezogen hatte – sie konnte doch nichts dafür, dass er nicht passte, und er dann aus Enttäuschung gleich auch ihre Freude in Zweifel zog, ihr unterstellte, dass er nicht gefiel – dabei hatte sie nur gesagt, dass er ja einen anderen als Maß zum Kauf hätte mitnehmen können. Auch der Abend war in die Hose gegangen.
Jeden Abend kam er zu spät heim, immer musste sie die Kinder allein ins Bett bringen. Für Kino oder gar Theater war er immer zu müde.
Hatte sie sich mal das durchsichtige Nachthemd angezogen und einen Prosecco aufgemacht, die CD von Toni Braxton aufgelegt und fing sie an, ihn zärtlich zu küssen - war er zu müde.
Wenn aber Hale Berry aus dem Wasser stieg, kriegte er sich vor Begeisterung über deren Körper kaum ein und klebte am Fernseher.
Schwärmte sie dagegen über den zeitlosen Charme von Stuart Granger oder den Körper von Brad Pitt, warf er ihr „KleinMädchenSchwärmerei“ an den Kopf.
Früher hatte er Susi noch vom Sport am Dienstag abgeholt, manchmal hatten sie zusammen geduscht und dann tollen Sex gehabt – heute brachte Petra sie heim, und er war entweder noch am Computer -„ich mach noch was fertig, geh schon mal schlafen, das dauert“ - oder er schlief schon.
Oder Reden! Nie unterhielten sie sich über etwas anderes als die Kinder, Termine oder das Geld. Wem konnte sie schon ihre Gedanken mitteilen – bei ihren Freundinnen traute sie sich nicht, alles zu sagen, und ihre Eltern verstanden das nicht. Wieso interessierte Peter sich nicht dafür?
Zu den Elternabenden ging er nicht mit, zu ihren Freundinnen auch nicht gerne, auch wenn deren Männer dabei waren, auch zu ihren Eltern schickte er sie mit der Ausrede „Arbeit“ allein. „Die wollen doch eh nur die Kinder sehen“ war sein Standardspruch.
Je mehr sie über das alles nachdachte, desto wütender, ja verwzeifelter wurde sie.
War das der Mann, denn sie einmal geliebt hatte?
War das das Glück der Ehe?
Sollte das ihr Leben sein?
Liebte er sie noch?
Sie setzte den Stift wieder auf´s Papier –„du bist so“ fing sie an.
Aber wie war er denn?
Müde – wenn er etwas in den letzten Jahren war, dann war es müde.
Arbeitete er wirklich so hart – oder war die Müdigkeit eine Ausrede?
Und arbeitet sie so viel weniger mit Haus und 2 Kindern, dass ihr immer noch der Wunsch nach mehr blieb? Nach Liebe, gelebter Liebe, nach Zweisamkeit...
Sie hörte die Tür. Sie ließ den Stift sinken. Er stand in der Tür und sah sie mit schlechtem Gewissen an. Sie erwiderte seinen Blick und sah: sein Gesicht, dass sie seit zehn Jahren jeden Tag sah, sein Körper, den sie einmal so begehrt hatte...
Ende 1:
Er küsste sie auf die Wange. „tut mir leid, ich muss aber gleich noch mal mit dem Maier telefonieren“, hörte ihn in der Küche hantieren und im Arbeitszimmer verschwinden. Sie schrieb alles auf, was ihr auf dem Herzen lag, legte den Brief vor seine Arbeitszimmertür und ging schlafen.
Ein halbes Jahr und ein paar häßliche Szenen später wurden sie geschieden.
Ende 2:
Er küsste sie auf die Wange. „tut mir leid, ich muss aber gleich noch mal mit dem Maier telefonieren“, hörte ihn in der Küche hantieren und im Arbeitszimmer verschwinden. Sie schrieb alles auf, was ihr auf dem Herzen lag, legte den Brief vor seine Arbeitszimmertür und ging schlafen.
Am nächsten Abend rief er aus dem Büro an und sagte: „Wir müssen reden“. Es war kein gutes Gespräch, er machte ihr auch jede Menge Vorwürfe, aber immerhin sagte er, dass er sie nicht verlieren wolle. Sie beschlossen, einmal die Woche zu reden, über sich, über ihre Beziehung, über seine Arbeit, über ihren Alltag.
Ende 3:
Sie stand auf und ging zu ihm. Nahm seinen Kopf in ihre Hände und sah ihm in die Augen. „Ich liebe dich“ sagte sie und küsste ihn. Er nahm ihre Hände von seinen Wangen und schob sie ein Stück weg.“ Das ist schön.. aber ich muss noch mit Meier telefonieren... ich komm bald ins Bett“.
Susi ging nicht ins Bett. Sie wartete und öffnete eine halbe Stunde später die Tür zu seinem Zimmer – und sah die nackte Frau auf dem Bildschirm, vor dem er schwer atmend saß.
Ein halbes Jahr und ein paar häßliche Szenen später wurden sie geschieden.
Ende 4:
Sie stand auf und ging zu ihm. Nahm seinen Kopf in ihre Hände und sah ihm in die Augen. „Ich liebe dich“ sagte sie und küsste ihn. Er stöhnte auf und erwiderte ihren Kuss, nahm sie in seine Arme und presste sie fest an sich. Sie liebten sich auf dem Teppich... das erste Mal im neuen Haus.
(c) tangocleo 2009