Mehr brandheiße Inhalte
zur Gruppe
Dirtytalk & Kopfkino
452 Mitglieder
zum Thema
Mein Herr zieht sich zurück - Was würdet ihr mir raten?57
Mein Herr und ich haben seit 4 Monaten eine Spielbeziehung.
Das Thema ist für dich interessant? Jetzt JOYclub entdecken

Deportation

nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Deportation
Deportation

Wie ein krummer Baum stand er vor der Tür seines alten Hauses. Alles hier wirkte etwas heruntergekommen. Nun ja, heruntergekommen ist relativ, es liegt im Auge des Betrachters. Er selbst wirkte genauso, schrumpelig, alt, ungewaschen, unrasiert und viel zu dünn und ausgemergelt. Alles hier war in die Jahre gekommen.

Herr Otto Normalverbraucher nahm Abschied. Abschied von seinem Haus und den vielen Erinnerungen, die er damit verband. Es waren viele Erinnerungen, gute und weniger gute. Hier war er vor fast 90 Jahren geboren worden. Hier hatte er den Großteil seines Lebens verbracht. Hier, war ein kleines Bauernhaus weit abgelegen. Ein kleiner Bach floss in der Nähe vorbei und ringsum waren Fichtenwälder. Es war schön hier.

Jetzt würde das Haus versteigert werden, zu einem Spottpreis natürlich, dann würde es abgerissen werden und irgendein reicher Städter würde hier ein Wochenendhaus bauen. Hier, auf seinem Land.

Wie hatte es nur so weit kommen können? Der Krieg war jetzt seit über 60 Jahren vorbei und trotzdem hatte er das Gefühl, in die Mühlen der SS geraten zu sein. Er wurde deportiert. Weggerissen von seiner Heimat. Er hatte keine Rechte mehr. Dafür hatten sie gesorgt. Diese ach so fürsorglichen Leute, die meinte, er könne sein Leben nicht mehr meistern, nur weil er alt wurde, weil er schlecht sah, weil er nicht mehr so beweglich war, weil er oft der Vergangenheit nachhing und weil er tat was er wollte.

Nach dem Tod seiner Frau Maria (geboren Langlebig) war er in ein tiefes Loch gefallen. Er hatte sie in ihrer Krankheit gepflegt, für sie gesorgt, ihre Schmerzen geteilt und war sogar froh gewesen, als sie endlich ihrem Leiden erlag. Er hatte sie sehr geliebt, so sehr, das er sie hatte ziehen lassen. Noch immer konnte er es nicht fassen, dass Maria ihn gewählt hatte, ihn den armen Häusler, der ja doch nur zwei Kühe, eine Ziege und einige Schweine gehabt hatte. Allen Widerständen zum Trotz hatten sie geheiratet und dann auch zwei Kinder bekommen, die leider sehr früh gestorben waren.

Jetzt stand Herr Normalverbraucher vor der Tür seines Hauses und wartete darauf, abgeholt zu werden. Bald würden sie kommen. Er dachte daran, wie es zu diesem Verhängnis gekommen war.

Eines Tages, es war ein gutes halbes Jahr nach dem Tod seiner Frau, fühlte er sich nicht recht wohl. Er hatte Schmerzen im rechten Arm und einen unguten Druck auf der Brust. Er stieg in seinen alten Opel und fuhr zu seiner Hausärztin. Diese wies ihn sofort in die interne Abteilung des nahen Krankenhauses ein. Dort wurde eine Koronare Herzkrankheit festgestellt. Was die Schwestern noch feststellten, war, dass er nicht gewaschen war, dass er schlecht rasiert war, dass er zu wenig trank. Na, die hatten ja auch keinen Most im Krankenhaus, wie sollte er da was trinken. Der Tee war kein guter Ersatz dafür, also trank er nur sehr wenig. Die Umgebung war für ihn auch beängstigend. Diese vielen gleichen Gänge, die vielen Leute, alle gleich angezogen. Der stets „freundliche“ Umgangston mit den Patienten. Als ihn eines Tages eine Schwester mit „Herr Normalverbraucher“, ansprach antwortete er „Ich bin kein Herr.“ Da hielten sie ihn für verwirrt und behielten ihn noch ein paar Tage länger zur Beobachtung. Als er dann endlich entlassen wurde, musste er eine Menge Tabletten nehmen und zu seiner Überraschung und nachhaltigen Demütigung hatte das Krankenhaus dafür gesorgt, dass er eine mobile Betreuung bekam. Die Schwestern sollten dafür sorgen, dass er seine Medikamente nahm, dass er sich wusch, was „ordentliches“ trank und das Essen, das er von „Essen auf Rädern“ bekam, nicht für die Schweine in den Trog warf. Aber die arme Sau, die einsam in ihrem Stall hauste, hatte ja auch Hunger.
Die Schwester war entsetzt als sie das erste Mal bei ihm zu hause vorbei schaute. Es war ein so genannter Erstbesuch. Die Schwester, sie hieß Ines Ibinda, war sehr freundlich. Sie schaute in jedes Zimmer, rümpfte die Nase und setzte sich nicht einmal hin. Sogar Frida im Stall besuchte sie. „Mögen Sie einen Most“, bot er ihr freundlich an. Er wollte ja kooperativ sein. Soviel wusste er, wenn er nicht mitzog würden sie ihn wieder wegbringen. Also nahm er die Hilfe an, die er nicht wollte und auch nicht brauchte. Die Schwester hatte keinen Most mit ihm getrunken. Sie hatte ihr Telefon genommen und seine Hausärztin angerufen, Frau Dr. Schaumamal. Wieso, das wusste er nicht. Er nahm seine Medikamente, er trank ausreichend, er aß Obst, in seinem Garten standen genug Obstbäume herum, von denen er sich im Sommer bediente. Schwester Ines, so sollte er sie nennen, redete auf ihn ein: „Herr Normalverbraucher, wir kommen dann ab morgen jeden Tag zu Ihnen. Einmal morgens und einmal am Abend. Ist Ihnen das Recht?“
‚Du scheinheilige Göre’, dachte er. ‚Natürlich ist mir das nicht recht. Schert euch zum Teufel und lasst mich in Ruhe.’ Er war zu schlau um das laut zu sagen. Aber etwas davon musste in seinem Gesicht zu erkennen gewesen sein, denn die Schwester funkelte ihn plötzlich scharf an. So nickte er nur ergeben.
Nach einer weiteren Inspektionsrunde, die diesmal ins Schlafzimmer und ins Bad führte meinte die Schwester: „Das Bad können Sie so nicht lassen. Da können meine Mitarbeiterinnen nicht arbeiten. Auch das Bett ist etwas unpraktisch. Wollen Sie sich kein Pflegebett zulegen? Ihre Pflegeprodukte sind auch nicht gerade das, was der Norm entspricht.“ So ging es weiter, sie hatte an allem etwas auszusetzen. Nicht in seinem Heim war ihr heilig. Alles wurde bekrittelt und hässlich gemacht. Da wurde es ihm zuviel und er wies sie aus dem Haus. „Gehen Sie jetzt Schwester. Ich muss mir das nicht gefallen lassen. Bis auf die Jahre, die ich im Krieg war und dann in Gefangenschaft, habe ich hier immer gelebt. Hier sind meine Kinder auf die Welt gekommen und gestorben, ebenso meine Frau. Es wird hier nichts verändert. Und jetzt raus hier und machen Sie gefälligst die Tür hinter sich zu!“ Frau Ibinda sah ihn entgeistert an. Er war selber auch erstaunt über seinen Ausbruch und setzte sich erstmal hin. Schwester Ines holte kurz Luft. Alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen, nur einen Moment, dann hatte sie sich wieder gefasst. Sie zückte das Telefon und wählte eine Nummer. Als die Verbindung hergestellt war, ging sie hinaus.

Otto Normalverbraucher saß zusammen gesunken auf seinem Stuhl und hatte das Gefühl, eben sein Schicksal besiegelt zu haben. Er rang nach Atem. Dann beschloss er, dass es nicht mehr schlechter werden konnte und goss sich einen doppelten Korn ein. Das hatte ihn immer beruhigt. Maria hatte das gewusst. ‚Maria’, dachte er sehnsüchtig ‚warum bist du nicht bei mir?’

Die Schwester kam zurück, gerade als er das Glas in einem Zug leerte. ‚Jetzt hält sie mich für einen Säufer’, dachte er müde. Seine Schultern sanken nach unten und der Rücken krümmte sich noch mehr. Das Gewicht der Jahre lastete in diesem Moment wie ein großer Berg auf ihm. „Wir werden wie verabredet zweimal täglich zu Ihnen kommen, Herr Normalverbraucher. In den nächsten Tagen komme ich mit Herrn Dringlich von der Sozialbehörde wieder zu Ihnen. In der Zwischenzeit werden Sie wie abgemacht von meinen Schwestern besucht. Wie ich eben gesehen habe, sind Sie ja dem Alkohol nicht abgeneigt. Herr Dringlich wird sich dann mit Ihnen um Ihre finanziellen Angelegenheiten kümmern.“ Damit streckte sie ihm die Hand hin, die er automatisch ergriff. Das gehört sich so, das hatte er einmal gelernt, immer die Hand zu geben, wenn man grüßt.

Von diesem Tag an war sein Leben vollends aus den Fugen geraten. Schon früh am Morgen brauchte er sein Stamperl nur um die fremden Frauen in seinem Haus auszuhalten. Immer wollten sie ihn waschen, ihm sein Frühstück richten. Er mochte aber keine Semmeln und er mochte den wässrigen Kaffee aus der Maschine nicht. Otto hatte seinen Kaffee immer selber aufgegossen. Er war so stark, sein Kaffee, da blieb ein Löffel drin stecken, hatte seine Frau immer mit Lob in der Stimme gesagt. Und jetzt bekam er das wässrige Zeug vorgesetzt und durfte überhaupt nichts mehr selber machen. Er war verzweifelt. Diese ewige Wascherei, wie er es nannte, ging ihm gewaltig auf den Geist. Was ging diese Weiber sein Schniedel an? Was hatten sie überhaupt ungefragt daran herum zu fummeln? Sie entmannten ihn, jawohl, genauso fühlte er sich. Entmannt, entrechtet.

Am Schlimmsten wurde es, nachdem Herr Dringlich da gewesen war. Herr Dringlich hatte festgestellt, dass Otto mit seinem Einkommen alleine nicht auskommen konnte und eine Sachwalterschaft in Auftrag gegeben. Da er keine Verwandten hatte, die das übernehmen konnten, würde Otto mit einem Anwalt vorlieb nehmen müssen. „Was kostet das“, hatte er zu fragen gewagt. Herr Dringlich hatte ihn konsterniert angesehen und gesagt: „Darüber müssen Sie sich ab jetzt keine Gedanken mehr machen. Ihre Geldangelegenheiten wird sofort der Anwalt Dr. Meindsgut übernehmen.“ Daraufhin hatte Otto den Mann vor die Tür gesetzt, geändert hatte das an der Situation allerdings nichts, er hatte sich nur besser gefühlt.

So vergingen die Wochen langsam im Einerlei, nichts durfte er mehr machen. Alles wurde von der Behörde und dem Hilfsdienst übernommen. Herr Normverbraucher hatte nicht das Gefühl, Hilfe zu brauchen. Er fühlte sich gut, bis auf die Stunden, in denen der Hilfsdienst da war und ihn quälte. Niemand verstand, dass er sich gepeinigt fühlte, in seiner Freiheit beschränkt, sein Leben war beendet.

Eines Nachmittags spazierte er am Bach entlang. Er hörte den Vögeln zu. So einen schönen Gesang hatte er lange nicht mehr gehört. Das Wasser plätscherte über Steine, Grillen zirpten. Schon lange hatte er sich nicht mehr so friedlich gefühlt. Er nahm auf einem Stein platz und sog die Freiheit in sich ein. Er fühlte sich wie ein trockener Schwamm, der sich mit Wasser füllte und wieder zu leben begann. Ein Lächeln zierte das gefurchte Gesicht, Freudentränen perlten über pergamentartige Wangen. Das Gesicht begann zu blühen. So fand ihn die Schwester des Hilfsdienstes am Abend, friedlich am Bach sitzend vor. Ein Lächeln auf den Lippen, die Augen geschlossen, saß er da und genoss den Sommer.

„Herr Normalverbraucher“, rief die Schwester schon von weitem. „Endlich habe ich Sie gefunden. Was treiben Sie denn hier? Sie wissen doch, dass wir um diese Zeit kommen!“ Ihre Stimme war atemlos und aufgeregt laut. Die Schwestern mochten es nicht, wenn etwas Unvorhergesehenes geschah.

Als sich diese „Vorfälle“ häuften beschlossen der Sachwalter, die Oberschwester und die Ärztin, dass er nicht mehr alleine leben konnte. Sie suchten kurzerhand nach einem Pflegeheimplatz für ihn.

Nun stand er da, Otto Normalverbraucher, weil Herr war er keiner, und wartete auf seine Deportation.

(c) Herta 6/2009


Ich freue mich wieder auf konstruktive Kritik von euch *ggg*
Herbst 2018
***to Mann
4.270 Beiträge
Gerade so beim Vater eines Freundes geschehn.
Mir graut, wenn ich denke, mir könnte es auch so gehn.

Sehr treffend beschrieben.
Orange Session
*********katze Frau
8.077 Beiträge
Wie wahr beschrieben, liebe Herta!
Es ist grausam, wie Menschen, die ihr Leben lang selbstverantwortlich handelten, entmündigt werden, weil ihr Tun nicht der Norm entsprechen zu scheint. Einmal in den Fängen der Behörden, die es ja sooo gut mit ihnen meinen...

Sehr anschaulich und berührend geschrieben, liebe Herta. Wenn es einen Meckerpunkt gäbe, wären es für mich die Namen, die Du wählst. Hättest du ihn Otto Braun oder so genannt, wäre er für mich noch einen Tick "lebendiger". Du wählst in Deinen Geschichten oft Fantasienamen, die der "Funktion" der Personen gerecht werden sollen. Dies lenkt meinen Lesefluss etwas ab und ruft mich immer wieder zur Ordnung. "Ist doch nur eine Geschichte!"

Liebe Grüße
Christine
********ride Frau
1.212 Beiträge
Ich habe heute
Harold und Maude aus dem Jahre 1971 angeschaut.

Empfehle auch Jimmy Buffets "A Salty Piece of Land" (leider nur auf englisch erschienen.

Es gibt ein Altwerden, das heiterer und schöner ist.. Das lässt hoffen.

Herr Otto Normalverbraucher's Lebensabend ist aber leider öfter der Fall und sehr treffend von Euch beschrieben.
Ich hoff ich krepier vorher...
Scheißspiel...
Herbst 2018
***to Mann
4.270 Beiträge
@SailorsBride
Ja, so abdanken wie Maude.

Das hat was.

Oder beim Sport: ausgepowert, happy und wech.
********ride Frau
1.212 Beiträge
EBEN!
Das brauch zwar Mut, aber weniger, als ein jahrelanges dahinsiechen
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Danke ...
für eure positiven Reaktionen und auch für deine Anregung Christine. Ich werde mir das für eine meiner nächsten Geschichten überlegen. Vielleicht gibts dann mal Realnames *zwinker*


Was das Älterwerden angeht, ich sehe auch die schönere Seite. Leute, die sich freuen, wenn ich komme (ich BIN der böse Hilfsdienst *lach*) und die Gesellschaft ersehnen und dann eben die andere Seite, wo du schon beim Hinfahren das Gefühl hast, ein böser Eindringling zu sein.

Ich möchte nicht so enden ... deportiert und vergessen, und nur vom Staat in Erinnerung gehalten, weil er ja die Steuern kassiert usw.

*sonne*Herta
*****ine Mann
909 Beiträge
Gefällt mir, auch und gerade wegen der stark gesellschaftskritischen Untertöne.
Willkommen im deutschen Sozial(ismus)staat des 21. Jahrhunderts. Bevormundung, Entrechtung, Nötigung. `Gut gemeint´ ist manchmal halt doch das Gegenteil von `gut gemacht´.
Liebe Herta, wohl dem, der wie bei dir, auf ein wenig echtes "Mit"gefühl und Verständnis stößt für die wirklich großen und tragischen Brüche, die das Alter mit sich bringt.
Ich schließe mich Raptor an - für mich will ich das nicht! Dieses immer unselbstständiger, hinfälliger und angewiesener Werden auf andere. Als sie mir gestern alle "noch mal 50 Jahre" gewünscht haben, dachte und sagte ich: maximal noch 25.
Ich will selbstbestimmt und irgendwie noch "auf der Höhe" dieses Leben verlassen - und denke über das "wie" auch schon nach. Solche Geschichten bestätigen mich. Danke!
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Ich will das auch nicht, lieber vorher einen schönen "Abgang" planen. Nur nicht hilflos der Hilfsmaschinerie ausgesetzt sein.

Ich empfinde meine Arbeit oft als grausam (andere mögen das anders sehen). Leute, die diese "Hilfe" nicht wollen und sehr gut mit ihrem "Dreck" zurecht kommen, werden vom Amt gezwungen ihre Rente und ihr Pflegegeld dem Hilfsdienst hinterher zu schmeissen.

Du bist nur dann ein guter Pfleger, wenn deine Kunden sauber sind, gut riechen, brav essen und trinken und in klinisch sauberer Umgebung wohnen. Naja, klinisch sauber ist bei den alten Bauernhöfen oft nicht möglich. Aber die ewige Putzerei geht mir manchmal schon am Keks, wenn die Leute lieber erzählen wollen.

Ich gehör zum Glück zu den "ist-mir-wurscht-wie's-da-ausschaut-Leuten", die lieber reden und sich Geschichten erzählen lassen. *ggg*

Es freut mich, dass soviele die Situation manch alter Menschen ebenso wahr nehmen und es als Verletzung der Menschenwürde ansehen.

@******leo: *torte* *prost*


So ... all ihr Helfer und nun fallt nur her über mich *zwinker*
Der Weg zur Hölle ist gepflastert mit dem "guten Willen"...."wir meinen es ja nur gut....." "Wir wollen doch nur das Beste"....

Liebe Herta, da sprichst du ein extrem wichtiges Thema an.

Das "ich will doch nur das Beste-Virus" fragt ja nicht einmal danach, was das Gegenüber will und danach, was er selber entscheiden kann...

Gott sei Dank gibt es auf der anderen Seite von bescheuerten Vorschriften noch Menschen, die selber denken können und FÜR die Menschen da sind, nicht für die Gesetze...

In diesem Sinne: Weiter so, liebe Herta. Geschichten erzählen und erzählen lassen ist Balsam für die Menschenseele. Etwas für die Menschenwürde; wichtiger als technisch rein und ein unbeschriebenes Blatt zu sein.

P.S. Ich habe letzte Woche mit einem "alten Ehepaar" einen Termin. Sie Pflegefall, er Laienpfleger rund um die Uhr und völlig am Ende... Sie lebten 20 Jahre im Ausland und waren "einflussreiche Persönlichkeiten". Ich sprach einfach englisch mit ihnen und habe sie im Gespräch "gefordert", mir aus ihrem spannenden und reisefreudigen Leben unter VIPs zu erzählen. Auch erzählte ich von einem Projekt, das ich für "seine" internat. Firma einmal gemacht habe....Die Vergangenheit war präsent im Gespräch...weniger die Gegenwart.... Sie wollten mich nach 2.5 Std. gar nicht gehen lassen und ihre Augen strahlten vor Lebendigkeit. Für einen kurzen Augenblick war das Elend weg...und sie wieder würdevoll behandelt und wertgeschätzt...

Dio
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
@Dio
Liebe Dio,

zuerst einmal Danke für dein Lob.


Dann beglückwünsche ich dich zu deinem Gespür für Menschen *bravo*

Gerade eben hatte ich mit einer Kollegin genau darüber gesprochen. Sie hat ebenfalls das Gefühl, die Menschen zum Teil zu vergewaltigen. Es ist ein hartes Wort, aber unerwünschte Körperpflege oder auch nur Körperkontakt kann einer Vergewaltigung gleichkommen.

Liebe Grüße
Herta
mit Sicherheit bewegt ihr (du und deine Kollegen) sich ständig in diesem Spannungsfeld aus (scheinbarer) Notwendigkeit, Würde-nehmen und -Lassen, Selbst- und Fremdbestimmung...
Hut ab vor dem Job, den ihr macht!
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
Tolle, wichtige und bewegende Geschichte!

Sagt übrigens jemand zu mir, dass er doch nur mein Bestes will, dann antworte ich stets: "Das geb ich dir aber nicht!"

Hat mich sehr nachdenklich gemacht, weil auch ich lieber den Notausgang nehme als so zu leben ...

(Der Antaghar)
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
@tangocleo
Für mich ist es nur noch eine Notwendigkeit zum Broterwerb, deshalb auch meine sehr differenzierte Wahrnehmung.

Manche sehr junge Pflegerin will immer "das Beste" für "ihre Alten" ohne zu wissen, wie ihre Bedürfnisse beschaffen sind. Solche Leute halte ich einfach nicht aus.

Mal sehen wie lange ich das Theaterspielen in der Arbeit noch durchhalte ... meinen Kunden spiele ich eigentlich nichts vor, die kommen mir sowieso dahinter. Aber der Chefin spiele ich Freude an der Arbeit vor ... was ja eigentlich auch nicht richtig ist von mir.

Ich denke, ich werde diese Geschichte einmal meiner Teamleiterin zum Lesen geben.

@*****har: den Satz merk ich mir *top*

Sagt übrigens jemand zu mir, dass er doch nur mein Bestes will, dann antworte ich stets: "Das geb ich dir aber nicht!"


Liebe Grüße
Herta
@***ta

bleib bei diesem Job und helfe mit, dass mehr ihren Job wie du sehen...Du bist nicht alleine. Es gibt sie und es werden mehr....

Auch in meiner Weiterbildung sind mittlerweile 3 von 10 TN Altenpfleger oder Altenpflegehelferinnen...Früher waren es nur Pädagogen, Sozialpädagogen und Erzieherinnen...

Wir können die Welt zwar nicht verändern, aber genau da, wo wir sind, unseren bescheidenen Beitrag leisten. Aber das ist doch auch schon was, oder?
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
@Dio
Wenn ich merke, dass ich zynisch werde, bin ich weg. Außerdem weiß ich nicht, wie lange es mein Rücken aushält ...

aber das sei nur am Rande erwähnt.


Ich habe diese Geschichte nicht aus persönlichen Gründen geschrieben, weil ich mir was von der Seele schreiben wollte oder so, sondern weil ich das Thema für wichtig halte und ich mich gerne kritischer Themen annehme. Sie fordern mich heraus ... und noch etwas: am besten lässt ich über Dinge/Menschen/Situationen/Orte schreiben, die man kennt *g*

*undwech*von meiner Person *smile*
@***ta

Selbstverständlich dachte ich nicht, du müsstest dir etwas von der Seele schreiben....die besten Geschichten fallen einem einfach im Alltag ein und der ist bekanntlich ja sehr zeitumfänglich mit dem Job ausgefüllt...

Aber nochmals danke für das wichtige Thema, denn wenn uns nicht gelingt, mit Alten würdevoll umzugehen, dann brauchen wir uns in 30 Jahren auch nicht zu wundern...und jeder, der sich dem "Trend" entgegenstellt, ist einfach ein Geschenk...

...das wollte ich zum Ausdruck bringen.

Mit Zynismus lässt sich tolle Geschichten schreiben...Ich glaube ich schreibe auch mal eine zynische aus "meinen Kreisen" (und das heisst dann auch nicht, dass ich da was zu bewältigen, oder abzurechnen habe.... *zwinker*)

*smile*

Dio....
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Ich weiß nicht, ob Zynismus so ideal zum Schreiben ist, besser finde ich Ironie.

Zynismus ist für mich so negativ, also bewirkt in mir was negatives. Das passt dann nicht. Aber Ironie finde ich immer wieder gut.


Liebe Grüße
Herta
Anmelden und mitreden
Du willst mitdiskutieren?
Werde kostenlos Mitglied, um mit anderen über heiße Themen zu diskutieren oder deine eigene Frage zu stellen.