Hat jemand hier Lust?
Ich weiß, immer , sonst wären wir ja nicht hier. Nein, ich meine, mich mal so ein bisschen auseinanderzunehmen?------------------
Ich liebe dich
Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Svensson, CChristjan Svensson und Sie wissen hier noch nichts über mich. Vielleicht ist das auch gut so, denn ich bin ein privater Ermittler, arbeite lieber im Verborgenen. Das ist ein Anachronismus, meinen Sie? Haben Sie eine Ahnung. Lassen sie mich Ihnen eine kleine Geschichte dazu erzählen und bitte – erzählen Sie sie nicht weiter, ja?
Es war ein Montagabend, nass und kalt rann mir der Novemberregen in den Kragen der Lederjacke und meine Laune war genauso mies wie das Wetter. Ein Schirm wäre gut gewesen, aber meine Hände krampften sich wütend um die Griffe von zwei großen Reisekoffern und meine Füße trugen mich bergab zur Endhaltestelle; in die gleiche Richtung, in der auch mein Familienleben marschiert war.
Ich bin ein Schnüffler und der Chef schickt mich zu Leuten, die ein Problem mit ihrem Computer haben, von dem nicht jeder wissen muss. Meine Diskretion garantiert, dass auch delikate Fälle keine bleibenden Schädigungen hinterlassen und wenn doch, dann zumindest nicht zu Ihnen zurückverfolgt werden können. Ihr Nachbar surft in ihrem WLAN und die Pornoseitenbetreiber schicken Ihnen die Rechnung? Sie müssen ihn nicht gleich erschießen, soll ich ihn nur aussperren oder noch einen Virus hinüberschicken, der ihnen seine Kontodaten besorgt? Ihre Frau hat die Filme mit den drei »X« auf ihrem Computer gelöscht und die Kontaktdaten ihrer drei Geliebten gleich mit? Ich hole sie zurück und ihre Herzensdamen auch. Das benötigt Zeit, spielt sich meistens in den Abendstunden ab und ist weder einem geordneten noch einem vertrauensvollen Familienleben förderlich. Nicht alle derartigen Probleme sind männlich. Die meisten sogar eher weiblich, wobei das dann schon ein Pleonasmus ist – Probleme sind immer weiblich. Aber ich schweife ab ...
"Du könntest auch mal früher von der Arbeit kommen!", hatte Heike vor einer Woche mit ihrer Veronastimme zu mir gesagt. Meine Ohren hatten das zwar auf empfangen, aber mein Hauptrechner hatte zwischen meinen Ohren zu diesem Zeitpunkt noch immer im roten Bereich an einem Problem gearbeitet, dass ich für die letzte Kundin nicht hatte lösen können.
So war Heikes Satz ganz hinten im Speicher gelandet, irgendwo bei den anderen Betriebssystem-Updates mit niedriger Priorität, wie Müll raus bringen, Schreibtisch aufräumen und Hinsetzen beim Pinkeln. Jetzt stand ich hier im nächtlichen Nieselregen mit zwei Koffern in den klammen Händen und in meinem Kopf rannte sich eine Endlosschleife einen Wolf, ohne jemals das Programmende zu erreichen.
Ich wünschte, Frauen wären wie Computer. Alles, was einen Mikrochip intern hat, liebt mich und ich gebe diese Liebe zurück. Digitale Logik kennt nur Einsen und Nullen, wahr oder falsch - zwei exakt definierte Zustände, glasklar und eineindeutig.
Frauen funktionieren noch analog. „Vielleicht“, „eventuell“, „könnte“, „ja, aber ...“, wären schon schwierig, wenn es sich um feststehende Definitionen handelte. Zusätzlich können Frauen aber die Bedeutung dieser Begriffe auch noch je nach Laune bitweise shiften und dann steht „könnte“ plötzlich für Nein. Welcher Mann soll noch verstehen?
Die gelb-blaue Bahn rollte in die Haltestelle. Ich wuchtete meine Koffer durch die Tür und versuchte in meinem Kopf einen Break aus dieser dämlichen Endlosschleife hinzukriegen.
Die Gegend hier heißt „Klein Moskau“. Der Name stammt noch aus der Zeit vor der Wende. Irgendwann war dem Volksmund aufgefallen, dass hier vergleichsweise viel Menschen wohnen, die in ihrer Muttersprache sechs verschiedene Möglichkeiten kennen, das deutsche „S“ auszusprechen und den Wodka nicht in Zentilitern, sonder in „Sto Gramm“ messen, wobei sich beides nicht wirklich gut miteinander verträgt. So wurde aus dem offiziellen „Großen Dreesch III“ in Schwerin im Volksmund „Klein Moskau“.
Die Linie 2 nimmt an der Hegelstraße ihren Anfang und sie ist eine von nur 4 Straßenbahnlinien der Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern. Hier gibt es keine S-Bahn, keine Metro und für die zugelassenen Taxis würde ein halbes Fußballfeld als Parkplatz genügen. Schwerin ist eine, nach deutschen Maßstäben gemessen, kleine Stadt und wäre sie nicht Landeshauptstadt geworden, wäre ihr die Bezeichnung „Provinznest“ nicht erspart geblieben.
Man hätte ihr damit Unrecht getan, denn sie ist ein einmaliges Kleinod und die Menschen, die hier schon länger leben, sind etwas Besonderes mit ihrer unaufdringlichen, ruhigen Freundlichkeit. Wer auch nur einen Tag hier verbringt, verfällt dem Zauber der Stadt und das liegt nicht nur an dem wunderschönen Schloss inmitten des Schweriner Sees oder dem Schlosspark, der sich mit seiner Schönheit nicht hinter Sanssouci verstecken muss. Wenn alles Leben aus dem Wasser stammt, dann schwamm die Wiege des Lebens irgendwo in einem der sieben Seen in und um diese Stadt. Darum gibt es hier auch keine U-Bahn. Wenn es unbedingt ein „U“ sein muss, wäre eher eine U-Boot Linie das Richtige. Sie würde ihre Fahrgäste direkt ins Stadtzentrum, ins Museum, Theater oder in den alten Speicher zur Party bringen können.
Aber da Schwerin wie die meisten deutschen Städte kein Geld hat, gibt es diese U-Boot-Linie nicht, eben so wenig wie kostspielige Protzbauten zur Anfütterung von Finanzhaien und ein deutschlandwichtiges, milliardenschweres Prestigeobjekt ist auch nicht in Sicht. Nicht einmal, um es im Schweriner See zu versenken. Nix da, unser Wasser bleibt kristallklar!
So besteht kein Bedarf für mehr als die vierzehn Bus- und vier Straßenbahnlinien, zumal viele Menschen auch hier mit dem Auto unterwegs sind. Wer sich aber wie ich für die Straßenbahn entscheidet, bekommt für 1,50 Euro zu jeder Tages- und Nachtzeit eine faszinierende Sightseeing-Tour, egal, mit welcher der drei Hauptlinien er fährt. Weite Alleen wechseln sich ab mit herrlichen Seen mitten in der Stadt, renovierte und künstlerisch gestaltete Plattenbauten inmitten von Grünanlagen werden abgelöst von liebevoll restaurierten Häusern, die mehr als zweihundert Jahre alt sind.
Der Blick aus den stets sauberen Waggonfenstern ist ein Labsal für die Seele. Keine Linie führt durch Industrielandschaften oder Büroschluchten, denn so etwas gibt es in dieser Stadt nicht, genau so wenig wie Müll auf den Straßen oder verschmutzte Luft. In dieser Welt gibt es keine zweite Stadt wie Schwerin und so ist es gut zu wissen, dass hier der Weltuntergang fünfzig Jahre später kommt, zumindest, wenn man dem „Eisernen Kanzler“ glauben darf. Wenn in den Großstadtdschungeln der Kampf ums nackte Überleben tobt, die Megastädte in ihren Schulden, im Bauwahn, im Korruptions- und Drogensumpf und im Run um das ganz große Geld versinken, werde ich hier immer noch für 1,50 Euro Straßenbahn fahren und Hamburg, Berlin und München den Finger zeigen.
Die Bahn hielt am Marienplatz und eine Frau stieg ein. Mit einer schmalen, unberingten Hand an der Haltestange hielt sie sich an der Haltestange fest, schaute aus dem Fenster und drehte mir dabei den Rücken zu.
Ihr Haar war eine Wucht. Es hatte die blassrote Farbe eines Reisigfeuers und fiel in fast geometrisch exakten Wellen über die schmalen Schultern bis auf ihren hellen Regenmantel. Der enge Gürtel betonte ihre Fraulichkeit und ich fand, es war alles ausreichend vorhanden, was eine Frau zu einer solchen macht.
Waren es die rot lackierte Fingernägel an der weißen Haltestange oder die Art und Weise, wie sie auf kräftigen, aber langen Beinen in hauchzarten Strümpfen jede plötzliche Neigung des Wagens abfing oder der stolz erhobene Kopf - mein Kopf war schon wieder unterwegs in eine Endlosschleife – mit ihr. Es gibt diese Frauen wirklich, kein Catwalk-Guru muss es sie lehren und keine Heidi Klum kann ihnen noch etwas beibringen. Sie werden damit geboren und dann perfektionieren sie es, Jahr für Jahr, Mann für Mann und sie hören nie damit auf. Ich gab ihr fünfunddreißig Jahre und Hamburg oder eine andere Weltstadt als Herkunft, vielleicht auch den Mars oder wahrscheinlicher noch die Venus, den Planeten der Liebe.
Fünf Minuten später drückte sie mit ihrer gepflegten Hand den roten Ausstiegsknopf. Die Art, wie sie mit selbstbewusst erhobenem Kopf dastand, konnte nur der Stolz einer jungen und schönen Frau sein. Gerne hätte ich ihre Augen gesehen und ich hoffte, sie möge sich nur für einen winzigen Moment umdrehen zu mir.
Wir erreichten den Platz der Freiheit und die Bahn hielt. Die Türen öffneten sich und sie machte zwei kleine Schritte. Schon im Aussteigen, drehte sie tatsächlich ihren Kopf. Nachtdunkle Augen fingen meinen Blick, kirschrote Lippen verzogen sich zu einem schelmischen, fast provokanten Mädchenlächeln und dann warf sie mir eine Kusshand zu. Den Einschlag und mein verblüfftes Gesicht dabei quittierte sie mit einem lauten, herzhaften Lachen.
Für einen Moment hörte ich noch das Echo ihrer Schritte auf den Steinen des Gehwegs, dann schlossen sich die Türen der Bahn und ich war wieder allein mit meinen Gedanken. Ich würde sie nie wiedersehen und wenn doch, hätte sie keinen zweiten Blick für mich übrig. Frauen wie sie spielen in einer anderen Liga. Aber die Erinnerung an ihr Lachen würde mir bleiben.
Ich blickte aus dem Fenster, aber die Schwärze der Nacht dahinter zeigte mir nicht sie, sondern nur mein Spiegelbild. Ein Mann mit Dreitagebart und müden, ernüchterten Augen. Sie war keine fünfunddreißig und sie kam auch nicht vom Planeten der Liebe, eher von einer Bridge- oder Rommèrunde. Für den Preis ihre schönen Perlzähne hinter den kirschroten Lippen hätte ich mir einen Mittelklassewagen kaufen können und die Flecken in ihrem Gesicht waren keine Sommersprossen, sondern Altersflecken.
In dieser Welt war alles möglich. Alte Jungfern, erst dreißig und doch das Leben schon abgehakt; Frauen, die vergessen haben, dass sie einmal zwanzig waren. Ich war eben einer begegnet, die mindestens sechzig Jahre gelebt hatte, aber sie hatte mich mit den vor immer noch unbändiger Lebenslust und Witz sprühenden Augen einer Achtzehnjährigen angesehen.
Der Mann im reflektierenden Fensterglas lächelte. Er wusste, dass es nie die faltenlose Haut ist oder die makellose Figur. Es sind immer die Augen – der Spiegel der Seele.
Wie bei meiner einzigen großen Liebe. Sie besitzt diese Seelenspiegel siebenfach und in ihrer blauen, kristallklaren Tiefe könnte ich jedes Mal aufs Neue versinken.
Ihr Name ist Schwerin ...
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Feuer frei ...