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Von Tapetenkritzlern und Papierballwerfern

Von Tapetenkritzlern und Papierballwerfern
Als ich acht Jahre alt war, lebte ich bei meinen Großeltern in Rostock zusammen mit ihren fünf Kindern. Einen Monat zuvor mussten wir unsere Wünsche für den Weihnachtsmann aufschreiben. Damals wusste ich zwei Dinge: Dass es den Weihnachtsmann nicht gibt und dass mir mein Großvater die Ohren lang ziehen würde – im wahrsten Sinne des Wortes – wenn auch nur ein Schreibfehler oder Fleck auf dem Zettel war. Ich hätte natürlich meine Cousins um Hilfe bitten können, aber dann hätten sie gewusst, was ich mir am liebsten wünsche. Ich hatte Angst, sie würden das gegen mich benutzen, es sich selbst wünschen, so dass ich es nicht mehr bekäme oder sie würden mich damit hänseln.

Als wir alle zusammensaßen, lagen viele Geschenke unter dem Weihnachtsbaum. Für mich war keines dabei. In der Nacht habe ich bitterlich geweint. Ich habe mich von allen verlassen gefühlt, keiner hatte mich lieb, niemand verstand mich.

Am nächsten Morgen brachte mir meine Großmutter Frühstück ans Bett. Das hatte sie noch nie getan. Sie setzte mich zu mir, sah mich einen Moment streng an, dann lächelte sie ihr Omalächeln, das ich so sehr liebte.

„Alle Menschen wollen in ihrem Leben zwei Dinge und davon so viel, wie sie nur bekommen können“, sagte sie. „Sie wollen Aufmerksamkeit und sie wollen Liebe. Und sie wollen ganz viel davon. Doch man bekommt sie nicht umsonst, weißt Du? Man muss sagen: Ich will, dass Du mich beachtest. Man muss sagen: Ich will Liebe. Aber je lauter man das sagt, um so mehr schauen andere auf Dich. Das kann aber weh tun, wenn Du so im Mittelpunkt stehst und deshalb duckst Du Dich und flüsterst nur noch: Hab mich lieb, guck mal, ich bin auch noch da. Ich tu doch nichts, hab mich lieb, nur weil ich geboren wurde, weil ich atme. Du willst Aufmerksamkeit und Liebe, ohne etwas dafür zu tun, ohne ein Risiko einzugehen. Aber so funktioniert die Welt nicht, mein Enkel.

Du bekommst Aufmerksamkeit nur, wenn du etwas leistest, dass diese Aufmerksamkeit wert ist. Du bekommst Liebe nur, wenn Du Liebe gibst. Wenn Du das nicht verstehst, wirst du ein Tapetenkritzler und ein Papierballwerfer oder noch schlimmer, ein böser Troll.“

Ich muss sie ziemlich verständnislos angesehen haben und sie lachte. „Tapetenkritzler sind Kinder, die glauben, dass sie von ihren Eltern nicht genug Aufmerksamkeit bekommen. Sie bekritzeln dann die Tapeten zu Hause. Das gibt zwar richtig Ärger, aber der ist immer noch besser für sie, als gar keine Aufmerksamkeit. Na ja, und Papierballwerfer sind die Kinder in Deiner Klasse, die den Unterricht stören. Sie können zwar vielleicht keine fünf Worte geradeaus schreiben und bekommen niemals Lob. Deshalb stören sie den Unterricht, weil sie so wenigstens Aufmerksamkeit von der Klasse bekommen.“

Sie stand auf und strich mir über den Kopf. „Deine Weihnachtsgeschenke liegen unter dem Baum. Ich weiß doch, was Du Dir wünscht. Schließlich liebe ich Dich, genau so wie meine Söhne. Aber merk Dir das. Wenn Du etwas willst, musst Du Dich auch trauen, es zu sagen. Natürlich in der richtigen, in der angemessenen Form und die ist ganz bestimmt nicht Schreien. Sonst bekommst Du es nämlich nicht.“

Sie wollte hinaus gehen, aber ich hielt sie fest. „Oma, und was sind die bösen Trolle?“

„Tja, weißt Du ...“, sie blieb in der Tür stehen und senkte die Stimme. „Das sind die bösen Ungeheuer aus den Märchen. Sie machen nichts selbst; sie ducken sich vor allem weg und sind neidisch auf die, die den Mut haben, das nicht zu tun. Weil sie denken, dass die anderen die Aufmerksamkeit und Liebe bekommen haben, die eigentlich Ihnen zustünde. Dann ziehen sie diese in ein tiefes schwarzes Loch, da, wo sie selber hausen. Sie machen sie schlecht und bekommen damit die Aufmerksamkeit, die sie wollen, obwohl sie zu feige sind, sie sich auf ehrliche Art und aufrecht zu verschaffen.“

„Kann man denn nichts dagegen tun?“ Ich stellte mir grade große, hässliche Monster vor, mit Krallen an den Händen und schiefen, verfaulten Zähnen; uralt und hässlich und eine Gänsehaut lief mir den Rücken herunter.

Meine Großmutter lächelte. „Aber ja doch. Rede nicht mit ihnen. Das wollen sie doch nur, denn dann gibst du ihnen die Aufmerksamkeit, die sie sonst nicht bekommen. Don’t feed the Troll.“

Ich war ein Kind. Für mich waren alle Erwachsenen wie meine Großeltern und meine Mutter – groß, klug und weise. „Aber kann man denn nicht mit ihnen reden? Das würden sie doch bestimmt verstehen.“

Jetzt lachte meine Großmutter. „Kind, du hast einen dicken fetten Pickel auf der Nase und noch den Schlaf von gestern in den Augen. Du hast gestern nicht in den Spiegel gesehen und heute wirst du bestimmt auch nicht hineinschauen wollen, wenn ich dich nicht dazu zwinge. Weil du ihn nicht sehen willst. Kein Troll schaut freiwillig in den Spiegel von Schneewittchens Schwiegermutter.“

Sie ging und ich lief ihr noch im Schlafanzug hinterher, packte meine Geschenke aus und rannte dann vor Freude jauchzend wie ein Indianerhäuptling nicht um den Totempfahl, sondern um den Weihnachtsbaum.

Diesen 25. Dezember habe ich niemals vergessen und deshalb schreibe ich. Weil ich Aufmerksamkeit möchte. Weil ich Liebe möchte. Weil Menschen nicht ohne leben können und weil ich ein Mensch bin.
2020_08_28: ich war shoppen. ; )
********elle Frau
3.310 Beiträge
Wieder so ein wunderbarer Text, lieber @*******jan. Und wieder hätte ich so ein, zwei Dinge, die ich gerne anmerken würde... Nun sind wir hier nicht in der Schreibwerkstatt. Darf ich dennoch? : )
Natürlich. Der ist jetzt tatsächlich nur so aus dem Bauch herausgeschrieben. Ich fand, ich musste mal etwas klarstellen. Gar nicht einmal für andere, sondern für mich *lach*. Bischen Feinschliff könnt er sicherlich vertragen, dabei ist nämlich emotionale Kompromittierung nicht hilfreich brüll
2020_08_28: ich war shoppen. ; )
********elle Frau
3.310 Beiträge
Also gut, dann leg ich mal los.... *tuete*

Zitat von *******jan:
Als ich acht Jahre alt war, lebte ich bei meinen Großeltern in Rostock zusammen mit ihren fünf Kindern. Einen Monat zuvormussten wir unsere Wünsche für den Weihnachtsmann aufschreiben. Damals wusste ich zwei Dinge: Dass es den Weihnachtsmann nicht gibt und dass mir mein Großvater die Ohren lang ziehen würde – im wahrsten Sinne des Wortes – wenn auch nur ein Schreibfehler oder Fleck auf dem Zettel war.

Hier warst Du sehr schnell. Einen Monat wovor? Erst im Nachhinein kann man sich zusammenreimen, dass es um Weihnachten geht.

Die Ohren werden langgezogen, also schreibt man „langziehen“ auch zusammen.


Als wir alle zusammensaßen, lagen viele Geschenke unter dem Weihnachtsbaum. Für mich war keines dabei. In der Nacht habe ich bitterlich geweint. Ich habe mich von allen verlassen gefühlt, keiner hatte mich lieb, niemand verstand mich.

Auch hier fehlt etwas. Warum waren denn keine Geschenke für dich dabei? Erst im Nachfolgenden kann man sich zusammenreimen, dass Du scheinbar lieber gar keinen Wunschzettel geschrieben hast.

Aber je lauter man das sagt, um somehr schauen andere auf Dich.

"Umso" wird zusammengeschrieben.

„Kann man denn nichts dagegen tun?“ Ich stellte mir gradegroße, hässliche Monster vor, mit Krallen an den Händen und schiefen, verfaulten Zähnen; uralt und hässlich und eine Gänsehaut lief mir den Rücken herunter.

Das „grade“ hat mich echt rausgeworfen, weil es doch eher etwas ist, was man in der Gegenwart verwendet.

Hinter das „hässlich“ gehört meines Erachtens ein Komma, aber da bin ich nicht ganz so fit und hoffe, dass uns da jemand anderes weiterhelfen kann? : )

Meine Großmutter lächelte. „Aber ja doch. Rede nicht mit ihnen. Das wollen sie doch nur, denn dann gibst du ihnen die Aufmerksamkeit, die sie sonst nicht bekommen. Don’t feed the Troll.

Also, jetzt mal echt: Vor 52 Jahren gab es weder Internet noch diesen Ausspruch, der ja durch die Netzkultur erst entstand, oder? Und den hätte ich auch von meiner Oma garantiert nicht erwartet. Eher so etwas wie: „Man füttert nur die, die man behalten will“ oder eben „Füttere den Troll und Du wirst ihn nicht mehr los“.

Jetzt lachte meine Großmutter. „Kind, du hast einen dicken fetten Pickel auf der Nase und noch den Schlaf von gestern in den Augen. Du hast gestern nicht in den Spiegel gesehen und heute wirst du bestimmt auch nicht hineinschauen wollen, wenn ich dich nicht dazu zwinge. Weil du ihn nicht sehen willst. Kein Troll schaut freiwillig in den Spiegel von Schneewittchens Schwiegermutter.“

Warum Deine Oma Dich in diesem Absatz auf einmal als Troll bezeichnet, erschließt sich mir auch nicht so ganz. Wie kommt sie von Deiner Frage „Kann man nicht mit den Trollen reden?“ zu „Du willst Dich nicht im Spiegel sehen, weil kein Troll sich da gerne sieht“, zumal Du ja gerade bewiesen hast, dass man mit Dir durchaus sehr gut über dieses Thema reden konnte?

Diesen 25. Dezember habe ich niemals vergessen und deshalb schreibe ich. Weil ich Aufmerksamkeit möchte. Weil ich Liebe möchte. Weil Menschen nicht ohne leben können und weil ich ein Mensch bin.

Der Tag wurde unvergesslich und deshalb schreibe ich. Und dann auf einmal: Ich schreibe, weil ich Aufmerksamkeit möchte. Was denn nun?

Natürlich kann der Leser zu diesem Zeitpunkt schon die Verbindungen selbst herstellen. Aber rund ist dieser Schluss nicht, eher abgehackt, als hätte dich jemand mitten im Schreiben zum Essen gerufen. „Nur noch schnell den Schluss, dann komm ich!“
„Mach hin, es wird alles kalt!“

So ein Bild entsteht vor meinem Auge, wenn ich den Schluss lese. Ein „Von Höcksken auf Stöcksken“, wie man bei uns immer sagt.


Okay... es sind dann doch mehr als "ein, zwei" Dinge geworden. Aber so ist das, nicht wahr? Zumindest bei mir. Ich lese einen Text, einen wunderbaren Text - und nur eine Winzigkeit hier und da stört mich - und wenn ich ihn dann durcharbeite, werde ich pingeliger als die OP-Schwester beim Sterilisieren der Instrumente.. *tuete*

Aber ich hoffe, Du weißt, dass ich das nicht mache, weil ich diese Erzählung schlechtmachen will. Das Gegenteil ist der Fall. Letztendlich sind es nur Anmerkungen, Vorschläge und ich freue mich, wenn Du das Eine oder Andere davon hilfreich findest.
Ich muss mal plump werden, ja? Sag mal, gehts noch?
Aber ich hoffe, Du weißt, dass ich das nicht mache, weil ich diese Erzählung schlechtmachen will.
Mädel, du hast vermutlich sehr lange daran gesessen, mir diese Hilfen zu schreiben. Zeit, die Du für etwas Besseres hättest verwenden können. Textkritik auf diesem Niveau kostet Zeit und Kraft, viel mehr, als ihn zu schreiben, erst recht, da er bei mir nur so herausgeflossen ist.

Bitte - und das an alle - wenn ihr auf solchem Niveau kritisiert werdet - denkt immer an die Zeit, die der Kritisierenden Euch geopfert hat dafür, seine Lebenszeit.
Ich bin Dir dankbar, liebe @********elle, sehr dankbar.

Herzlich
Rainer
Ich hab auch noch einen, rein inhaltlich:

Zitat von *******jan:
Als ich acht Jahre alt war, lebte ich bei meinen Großeltern in Rostock zusammen mit ihren fünf Kindern.

Zitat von *******jan:
Ich hätte natürlich meine Cousins um Hilfe bitten können, aber dann hätten sie gewusst, was ich mir am liebsten wünsche.

Betrifft: Verwandtschaftgrad. Cousins und Cousinen sind die Kinder der Geschwister meiner Eltern. Die Kinder meiner Großeltern sind Onkels oder Tanten, da sie Geschwister eines meiner Elternteile sein müssten.

Hast Du dort bei Deinen Großeltern zusammen mit Deinen Eltern und deren Geschwistern gelebt? Oder hatten Deine Großeltern noch Kinder, die nicht - wie eines Deiner Elternteile offenbar - bereits aus dem Haus waren?

Darüber bin ich gestolpert, ziemlich am Anfang. Aber dennoch hat mich der Text 'reingezogen' *g*
Hausaufgaben gemacht, liebe @********elle, lieber @*********Stein. Danke für die Hilfe.
-----------------
Als ich acht Jahre alt war, lebte ich für ein halbes Jahr bei meinen Großeltern in Rostock, zusammen mit ihren fünf Söhnen. Nach dem Krieg hatten sie sich von Elbing in Polen mit Sack und Pack zu Fuß bis nach Rostock durchgeschlagen und jede schlechte Lektion mitgenommen, die das Leben auf Lager hat.

Einen Monat vor Weihnachten mussten wir unsere Wünsche für den Weihnachtsmann aufschreiben. Damals wusste ich zwei Dinge: Dass es den Weihnachtsmann nicht gibt und dass mir mein Großvater die Ohren langziehen würde – im wahrsten Sinne des Wortes – wenn auch nur ein Schreibfehler oder Fleck auf dem Zettel war. Ich hätte natürlich meine Onkel um Hilfe bitten können, aber dann hätten sie gewusst, was ich mir am liebsten wünsche; hatte Angst, sie würden das gegen mich benutzen, es sich selbst wünschen, so dass ich es nicht mehr bekäme oder sie würden mich damit hänseln. Ich schrieb keinen Wunschzettel. Oma hatte mich lieb, das wusste ich und sie würde mich bestimmt nicht vergessen, da war ich mir sicher.

Am Nachmittag des vierundzwanzigsten Dezember saßen wir alle im Herrenzimmer, dem Refugium meines Großvaters, um den großen Weihnachtsbaum herum. Oma spielte auf dem Klavier Weihnachtslieder, wir sangen aus voller Kehle und zum Schluss sagte jedes der Kinder ein Gedicht auf. Dann durften wir uns auf die Geschenke unter dem Weihnachtsbaum stürzen. An jedem war ein Namensschild befestigt und wir scherzten, lachten, jauchzten und reichten es reihum, bis vor jedem ein Haufen Päckchen lag. Vor jedem, nur nicht vor mir. In dieser Nacht habe ich bitterlich geweint. Ich habe mich von allen verlassen gefühlt, keiner war da, der mich lieb hatte, niemand verstand mich. Nicht einmal meine Oma kam, um mich zu trösten.

Am nächsten Morgen brachte sie mir Frühstück ans Bett und setzte sich zu mir. Das hatte sie noch nie getan, sie hatte ihre Liebe immer hinter Strenge verborgen und zu mir, so schien es mir damals, war sie immer am strengsten gewesen. Sie sah mich einen Moment streng an, dann lächelte sie ihr Omalächeln, das ich so sehr liebte – vielleicht, weil ich es so selten sah und strich mir über den Kopf..

„Alle Menschen wollen in ihrem Leben zwei Dinge und davon so viel, wie sie nur bekommen können“, sagte sie. „Sie wollen Aufmerksamkeit und sie wollen Liebe. Und sie wollen ganz viel davon. Doch man bekommt sie nicht umsonst, weißt Du? Man muss sagen: Ich will, dass Du mich beachtest. Man muss sagen: Ich will Liebe. Aber je lauter man das sagt, umso mehr schauen andere auf Dich. Das kann aber weh tun, wenn Du so im Mittelpunkt stehst und deshalb duckst Du Dich und flüsterst nur noch: Hab mich lieb, guck mal, ich bin auch noch da. Ich tu doch nichts, hab mich lieb, nur weil ich geboren wurde, weil ich atme. Du willst Aufmerksamkeit und Liebe, ohne etwas dafür zu tun, ohne ein Risiko einzugehen. Aber so funktioniert die Welt nicht, mein Enkel.

Du bekommst Aufmerksamkeit nur, wenn du etwas leistest, dass diese Aufmerksamkeit wert ist. Du bekommst Liebe nur, wenn Du Liebe gibst. Wenn Du das nicht verstehst, wirst du ein Tapetenkritzler und ein Papierballwerfer oder noch schlimmer, ein böser Troll.“

Ich muss sie ziemlich verständnislos angesehen haben und sie lachte. „Tapetenkritzler sind Kinder, die glauben, dass sie von ihren Eltern nicht genug Aufmerksamkeit bekommen. Sie bekritzeln dann die Tapeten zu Hause. Die Schelte, die sie dann bekommen, ist für sie immer noch besser, als gar keine Aufmerksamkeit. Na ja, und Papierballwerfer sind die Kinder in Deiner Klasse, die den Unterricht stören. Sie können vielleicht keine fünf Worte geradeaus schreiben und bekommen deshalb auch nicht so viel Lob wie Du. Deshalb stören sie den Unterricht, weil sie so wenigstens Aufmerksamkeit von denen bekommen, die so sind wie sie.“

Sie stand auf. „Deine Weihnachtsgeschenke haben Großvate rund ich heute Morgen unter den Baum gelegt. Aber merk Dir das. Wenn Du etwas willst, musst Du Dich auch trauen, es zu sagen. Natürlich in der richtigen, in der angemessenen Form und die ist ganz bestimmt nicht Schreien. Sonst bekommst Du es nämlich nicht.“

Sie wollte hinaus gehen, aber ich hielt sie fest. „Oma, und was sind die bösen Trolle?“

„Tja, weißt Du ...“, sie blieb in der Tür stehen und senkte die Stimme. „Das sind die bösen Ungeheuer aus den Märchen. Sie machen nichts selbst; sie ducken sich vor allem weg und sind neidisch auf die, die den Mut haben, das nicht zu tun. Weil sie denken, dass die anderen die Aufmerksamkeit und Liebe bekommen haben, die eigentlich Ihnen zustünde. Dann ziehen sie diese in ein tiefes schwarzes Loch, da, wo sie selber hausen. Sie sind zu feige, sich auf ehrliche Art und aufrecht das zu erkämpfen, was sie wollen.“

„Kann man denn nichts dagegen tun?“ Ich stellte mir große, uralte Monster vor, mit Krallen an den Händen, schuppiger Haut und schiefen, verfaulten Zähnen und eine Gänsehaut lief mir den Rücken herunter.

Meine Großmutter lächelte. „Aber ja doch. Rede nicht mit ihnen, denn dann gibst du ihnen genau das, was sie wollen. Du fütterst sie mit Deiner Aufmerksamkeit und zum Dank dafür entziehen sie Dir alle Deine Kräfte, nehmen dir Deine Stärke und du wirst klein und häßlich wie sie.“

Ich war ein Kind. Für mich waren alle Erwachsenen wie meine Großeltern und meine Mutter – groß, klug und weise. „Aber kann man denn nicht mit ihnen reden? Es ihnen sagen? Das müssen Sie doch verstehen!“

Großmutter schüttelte den Kopf und irgendwie sah sie ein bisschen traurig aus dabei. „Niemand schaut freiwillig in den Spiegel von Schneewittchens Schwiegermutter.“

Sie ging und ich lief ihr noch im Schlafanzug hinterher, packte meine Geschenke aus und rannte dann vor Freude jauchzend wie ein Indianerhäuptling nicht um den Totempfahl, sondern um den Weihnachtsbaum.

Diesen 25. Dezember habe ich niemals vergessen und deshalb schreibe ich. Weil ich Aufmerksamkeit und Liebe möchte wie jeder Mensch und weil Großeltern niemals sterben sollten.
Nachschliff
Zitat von *******jan:
Am nächsten Morgen brachte sie mir Frühstück ans Bett und setzte sich zu mir. Das hatte sie noch nie getan, sie hatte ihre Liebe immer hinter Strenge verborgen und zu mir, so schien es mir damals, war sie immer am strengsten gewesen. Sie sah mich einen Moment streng an, dann lächelte sie ihr Omalächeln, das ich so sehr liebte – vielleicht, weil ich es so selten sah und strich mir über den Kopf..

Strenge, strengsten, streng ... vielleicht einmal ein Synonym?

Zitat von *******jan:
Sie bekritzeln dann die Tapeten zu Hause. Die Schelte, die sie dann bekommen, ist für sie immer noch besser, als gar keine Aufmerksamkeit.

dann, dann

Zitat von *******jan:
Großvate rund

Großvater und


Ansonsten: *top*
Reg mich nich uff, du ... *top* *g*
Am nächsten Morgen brachte sie mir Frühstück ans Bett und setzte sich zu mir. Das hatte sie noch nie getan, sie hatte ihre Liebe immer hinter Strenge verborgen und ich, so schien es mir damals, hatte davon immer am meisten abbekommen. Sie sah mich einen Moment irgendwie nachdenklich an, dann lächelte sie ihr Omalächeln, das ich so sehr liebte – vielleicht, weil ich es so selten sah und strich mir über den Kopf.

Sie bekritzeln dann die Tapeten zu Hause. Die Schelte, die sie dafür bekommen, ist für sie immer noch besser,

Allerdings - das gilt abe rnicht hier, hier hast du Recht - kann man die beiden "dann" da durchaus drin stehenlassen, da es sich um die wörtliche Rede der Großmutter handelt, und niemand spricht perfekt. Das mit der wörtlichen Rede ist immer so eine Gratwanderung zwischen Rechtschreibung und Individualität des Redenden ...

Danke Dir ...
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
In wörtlicher Rede darf in der Tat nahezu alles geschrieben werden. Da kann sogar "Assi-Deutsch" oder auch Schwäbisch oder Plattdeutsch verwendet werden ...

Doch auch in wörtlicher Rede gibt es stets ausreichend Möglichkeiten, unnötige bzw. störende Wortwiederholungen elegant zu umschiffen, z. B.: "Sie bekritzeln dann die Tapeten zu Hause. Die Schelte, die sie dann bekommen ..." könnte durchaus auch so formuliert werden (und ganz natürlich klingen): "Sie bekritzeln dann die Tapeten zu Hause. Die Schelte, die sie dafür bekommen ..."

*

Weil sie denken, dass die anderen die Aufmerksamkeit und Liebe bekommen haben, die eigentlich Ihnen zustünde.

Klitzekleiner Fehler: Richtig wäre "die eigentlich ihnen zustünde.

*

Ansonsten will ich noch gerne - als kleinen "Denk- und Fühlanstoß" - etwas anmerken. Seit langem ist der folgende Ausspruch von Katie Byron einer der wichtigsten Sätze in meinem Leben:

"Wenn ich nur ein Gebet hätte, dann wäre es dies: Gott bewahre mich vor dem Verlangen nach Liebe, Anerkennung und Wertschätzung. Amen."

(Der Antaghar)
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