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Eine lustige Geschichte! Eine lustige Geschichte?

Eine lustige Geschichte! Eine lustige Geschichte?
„So ein verdammter Mist“, Clara atmet tief durch. Genau an derselben Stelle hat der Computer ihr wieder eine lange Nase gemacht und sie aus dem System gekickt. Nun fängt sie nochmals von vorne an, obwohl sie hier bereits geschlagene sechs und gefühlte zwanzig Minuten ihre Lebenszeit vergeudet. Sie weiß nicht genau, wie sie sich fühlen soll. Ist es Wut, ist es eine Art Selbstbeschuldigung, ist es Resignation oder Wehmut, dass gewisse Zeiten einfach vorbei sind, Mitleid mit sich und der Welt? Hilflosigkeit? Sie ist sich nicht sicher, wahrscheinlich eine Kombination aus Allem.


Wie schön war es doch noch vor einigen Jahren gewesen, als sie während des Wartens am Schalter die umtriebigen Menschen beobachten konnte. Ihre Mimik, Ihre Gestik, den Weg den sie gingen, die Geschwindigkeit ihres Gehens, was sie miteinander redeten. Sie konnte in die blubbernde Geräuschsuppe lauschen und die Düfte der großen weiten Welt einatmen. Am Schalter begrüßte sie Klaus mit den Worten: „Hallo Clara, schön, dich mal wieder hier zu sehen. Wo geht´s denn hin? Und was macht das Leben so generell und im Besonderen?“ Sie liebte es, zu Klaus an den Schalter zu kommen. Ein Lächeln empfing sie und man erinnerte sich gerne gemeinsamer alter Geschichten. Auch blieb genug Zeit, sich neue zu erzählen, während er fast wie nebenbei, die gewünschte Reiseverbindung ausdruckte, um ihr dann wieder mit einem Lächeln, die Karte auszudrucken. „Auf Wiedersehen, Klaus und Dankeschön, grüß ganz lieb deine Frau von mir.“ „Auf Wiedersehen, Clara, ebenso. War nett, mal wieder mit dir zu plaudern. Verreise doch einfach öfter.“


Clara tippt zum dritten Mal auf den Touch Screen. Fahrkartenverkauf, Reiseauskunft, Information, Reservierungen, fragt das System wieder. Kartenkauf, klick antwortet Clara auf dem Bildschirm mit ihrem Zeigefinger. Bahncardinhaber? Ja, tippt Clara auf die glänzende Oberfläche. Kartenkauf oder Expresskauf – klick, Expresskauf-klick, Wohin? Ortseingabe auf dem Display eingeben – klick, klick, klick, Erwachsene, Kind? Erwachsene-klick, Hinfahrt, Hin- und Rückfahrt? Hin- und Rückfahrt – klick. Clara nimmt außer dem Bildschirm nichts mehr wahr. Sie sieht nichts anderes, als die lautlosen Aufforderungen der Maschine, um an eine begehrte Fahrkarte zu kommen. Sie antwortet wie mechanisch mit ihrem Zeigefinger auf dem Bildschirm. In fünf Minuten fährt ihr Zug hier in den Bahnhof ein und sie hat noch immer keine Fahrkarte. Sie hört auch nichts anderes, denn der Computer fordert ihre ganze Konzentration. Eingabe des Reisedatums – klick, heute, morgen, ein anderes Datum? Heute – klick. Punkte sammeln – klick ja. Bahnkarte einführen. Wo einführen? Wo ist da ein Schlitz? Ach ja. Pin eingeben! Was für einen Pin eingeben? Clara ist ratlos und steckt trotzdem die Karte in den Schlitz. „Führen sie die Karte mit dem Magnetstreifen nach unten ein“ steht auf dem Display. Sie zieht die Karte raus. Der Magnetstreifen war nach unten. Also nochmal. Bahnkarte einführen. Führen sie die Karte mit dem Magnetstreifen nach unten ein. Klick. Clara zieht die Karte raus. Auf dem Display steht: „Die Karte wird gelesen“. „Nein! Das darf doch einfach nicht wahr sein.“ Sie hat die Karte zu früh rausgezogen. Also nochmal. Bahnkarte einführen. Führen sie die Karte mit dem Magnetstreifen nach unten ein. Klick. Auf dem Display steht: „Die Karte wird gelesen“. Danach „Sie können jetzt die Karte entnehmen.“ Clara zieht die Karte aus dem Schlitz.


Und jetzt?


Clara ist wieder ratlos. Vor ihr ein Bildschirm mit unendlich vielen Informationen. Vor lauter Wald scheint sie die Bäume nicht mehr zu sehen. Was muss sie tun? Clara will, wie schon einige Male zuvor doch einfach nur bezahlen. Links erzählt ihr die Maschine die ganzen „Hard facts“ – Wohin sie fährt, wann sie fährt, ob sie Hin- und Rückreise gebucht hat. Obendrüber steht bitte zahlen sie oder ändern. Rechts der Fahrpreis in bold-schrift und weiß. 61.00€. Gleich darunter ganz viele „soft skills“. Viel bunte Groschen und Bildchen von Scheinen, darunter ganz viele bunte Kärtchen und darunter wieder viele weiße Kästchen mit weiteren Informationen. Hilfe, Zurück, Abbrechen und Kartenkauf.


Ja sie will zahlen. Jetzt und sofort, denn der Zug fährt eben in den Bahnhof ein. Wo drücken. Wo verdammt nochmal drücken und dann zahlen, denkt Clara. Sie drückt auf dem Bildschirm auf die Groschen, auf die Noten, auf die Karten, doch nichts passiert. Sie weiß genau, dass Sie vor einigen Minuten auf das Feld „Karte kaufen“ getippt hat, doch dann musste sie von Neuem beginnen. Kartenkauf heißt nicht „Zahlungsbedingungen auswählen“ wie sie annahm, sondern: „Zurück zum Start. Gehen sie nicht über Los. „ Auch hat sie vorhin nochmal eine der Buchungsbedingungen angetippt, doch danach erschien nur anderer Zahlungsbetrag auf dem Display. „Ich will bar zahlen, einfach nur zahlen“, denkt Clara. „Doch wo kann ich „bar“ angeben?“ Sie steht regungslos da, ohne etwas zu tun und betrachtet den Bildschirm. Plötzlich fühlt sie sich noch älter als ihre jugendlichen 48 Jahre. Wie es wohl Menschen geht, die noch älter sind.


Sie schaut sich um. Neben ihr ein junger Franzose, der sie am nächsten Apparat hilflos anschaut. „Verzeihung“, „isch brauchö deux cartes. Wo isch muss eingeben zwei?“ und gleich daneben ein junges Mädchen. Sie telefoniert aufgeregt mit einer Servicehotline. Die Maschine hat soeben ihren 20.-€ Schein schräg eingezogen. Es kommt weder Karte noch Geld. An einem weiteren Gerät steht eine ältere Dame mit Stock. Sie hat sich offenbar einen Studenten engagiert, um ihr behilflich zu sein. An circa 10 Geräten stehen 10 Menschen. Sie sind leicht nach vorne gebeugt und angestrengt bei der Sache. Wer eine Karte in den Händen hält, sieht aus wie ein Held, der eine blutige Schlacht geschlagen hat. Stolz über den Sieg, aber auch mitgenommen vom Kampf. Sie ist nicht alleine, denkt Clara, aber noch immer ohne Siegeslächeln, ohne Fahrkarte. Sie stellt sich augenblicklich wieder ihrer eigenen Herausforderung.
Ist sie selbst blind, taub, behindert? Sie möchte bezahlen. Keine Arbeitsanleitung, kein gar nichts. Keine Stimme, die ihr sagt, was sie nun tun muss. Eine einfache und unmissverständliche Ansage würde genügen: „Wählen sie die Zahlungsart.“ „Führen sie die Karte oder Banknoten ein.“ Oder einfach „Mädel gehe zurück zur Uni und studiere zuerst Computertechnik „Oder „rent a student for ticket ordering – push SOS buttom.“ Zum dritten Mal steht sie ratlos vor dem Gerät. Sie fängt an zu schwitzen. Aus dem Off steht plötzlich ein freundlicher Schaffner neben ihr: „ Darf ich Ihnen behilflich sein, gnädige Frau? Haben Sie irgendwelche Schwierigkeiten?“ „Sie hat mir der Himmel geschickt. Mein Zug fährt gerade ein und ich möchte doch einfach nur meine Fahrkarte bezahlen. Aber ich bin offenbar zu dumm und weiß nicht, was ich tun soll. Sehen Sie, hier fordert das Gerät mich doch auf, ob ich Bar oder mit Karte bezahlen will, oder? Ich drücke drauf und nichts geschieht.“

„Nein, gnädige Frau. Hier fordert sie die Maschine nicht nochmals auf, den Bildschirm zu berühren. Hier fordert sie die Maschine ohne Umschweife auf, ihr Geld in den Geldschlitz oder die Karte einzuführen! Hier oben steht: „Bezahlen sie“ und „Hier sind die Schlitze, sehen sie.“ Clara kommt sich auf einen Schlag sehr dumm vor. Verstehen das alle Leute dieser Welt, nur sie nicht?
Sie steckt die beiden Geldscheine nacheinander in den Schlitz. Die Maschine kündigt Retourgeld und Karte an. Als der Zug langsam einfährt hält Clara die Fahrkarte und das Restgeld in der Hand. Was jetzt auf dem Display steht, interessiert sie nicht mehr. Es ist ihr scheißegal. Aber sie möchte den Schaffner nochmals sehen, bevor sie einsteigt. „Dankeschön für Ihre Hilfe, Herr Weiß,“ sagt Clara. „Es ist gut, dass die Bahn doch noch Geld für ein bisschen Personal erübrigen kann, damit sie Reisenden wie mir, diese benutzerfreundlichen Geräte erklären können. Ohne Sie hätte ich es nicht geschafft, rechtzeitig eine Karte zu lösen. “ Lächelnd verabschieden sie sich und wünschen sich einen freudigen Tag.

*Die Bahn macht keine Beschwerdeevaluation über diese Geräte. Das Servicepersonal wird nicht einmal befragt, mit welchen Fragen sie tagtäglich konfrontiert werden….

(c) Diotima Juli 2009
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