Aua: wir sind Arschlöcher
„IHR SEID ARSCHLÖCHER!!!“Diesen Satz höre ich in letzter Zeit mit gesteigerter Häufigkeit. Ausgesprochen wird er von unserem frisch ausgelernten neuen Kollegen. Kaum verwunderlich für eine Geschichte die Anfangs des Jahres 2020 beschrieben wird, handelt sie von Menschen die sich in der Corona-Zeit merkwürdig verhalten.
Er ist ziemlich groß, sportlich, dünn aber nicht mager. Sein Gesicht hat klare maskuline Gesichtszüge. Zwar hat er noch eine große Portion Jugendlichkeit, wenn nicht sogar Kindlichkeit in seinem ganzen Auftreten, aber er hat schon einen breiten Unterkiefer und einen stechenden, selbstsicheren Blick. Seine schwarzen Haare trägt er stets kurz und modisch frisiert. Auch sonst ist er recht gepflegt und kommt damit bei den meisten Menschen sicherlich gut an.
Sitten und Gebräuche seiner Generation beherrscht er ebenfalls vorzüglich, z.B. alle 2 Minuten aufs Handy schauen, Autos und andere Sachen auf Pump kaufen oder 5 Jacken bestellen und 4 davon zurückschicken. Manch einer meiner Leser findet das vielleicht normal, ich kann dabei nur den Kopf schütteln.
Selten läßt er mal eine Gelegenheit aus sich krank zu melden. Wann immer er sich mal bei der Arbeit geschnitten, oder einen Fingernagel zertrümmert hat, vollführt er eine an Lächerlichkeit grenzende Posse. Daher rührt es, daß wir ihn binnen kürzester Zeit nicht mehr mit seinem Vornamen ansprechen, sondern ihn nur noch unser „Auale“ nennen.
Natürlich kommt dem Auale sehr entgegen, daß er sich Anfang März ein bischen kränklich fühlt und so kündigt er telefonisch bei unserem Chef an, zu einem Drive-In Corona-Test zu gehen. Obwohl er sicherlich mit einer langen langen relaxten Quarantäne-Zeit gerechnet hat, beschert ihm der Test jedoch nur wenige Tage zuhause. Sein Testergebnis war negativ und so sehen wir ihn schon bald wieder mit qietschenden Reifen vorfahren. Allerdings hat er die Zeit gut genutzt und nochmal gewaltig auf dem Klopapiermarkt investiert.
Außerdem präsentiert er uns bei seinem Wiedererscheinen stolz eine kleine Sprühflasche mit Desinfektionsmittel die er gerade noch ergattert habe. Die 300ml hätten 27 Euro gekostet. Jedes Mal bevor er sein Handy wieder einpackt, sprüht er sorgsam eine dünne Schicht Desinfektionsmittel darauf. Seine strahlende Begeisterung für diese Tätigkeit spiegelt jäh unser wortloses Unverständnis wieder und es bricht ein regelrechter Sport aus ihn dazu zu bringen irgendetwas einzusprühen. Im Vorbeilaufen husten die Kollegen stets sein Werkzeug an. Woraufhin er sich mit verschränkten Armen auf den dreckigen Boden setzt und „Ihr seid Arschlöcher!“ brüllt.
Es entstehen geflügelte Worte wie: „Paß bloß auf Du Bazillus – ich hol das Auale, der sprüht Dich weg!“. Ihr macht euch kein Bild wie kreativ Mobbing sein kann. Einmal kommt ein Kollege und will seinen Drehmomentschlüßel ausleihen. Als er ihn ausgehändigt bekommt meint er: „Keine Angst, meine Hände sind steril, habe gerade eben drübergepisst.“
„IHR SEID ARSCHLÖCHER!“
Ich beuge mich zu ihm hinunter und frage ihn mal ganz ernst: „Wieso bin jetzt im Augenblick gerade ich ein Arschloch? Ich hab doch gar nichts gemacht.“
„Aber Du lachst!“
„Tja Bub, es ist eben so – wenn Du Schwäche zeigst, wenn Du zeigst, daß Dir irgendetwas was ausmacht, dann wirst Du fertig gemacht. Das ist nicht schön, aber es ist einfach so.“
Einige Tage vergehen und das ganze flaut ein wenig ab. Die Kollegen schaffen es immernoch ab und zu ihn auf die Palme zu bringen, aber ein Stück weit kommt auch sein jugendlicher Freiheitsgeist zurück. Er sehnt sich danach das Leben zu genießen und in dem Zug so einige Vorschriften gut gemeinte Ratschläge sein zu lassen. So wird mit der Zeit seine ursprüngliche Starrhalsigkeit und Angst immer aufgeweichter und seine mantraartig wiederholte Bezeichnung für uns ertönt bei weitem nicht mehr so oft.
Als der Fratz dann in der Mittagspause rülpsend und schmatzend 2 Sitzplätze von mir entfernt hockt, lese ich aus Langeweile mal das Etikett eines Desinfektionsmittelspenders der vor mir auf dem Tisch steht. Dort steht: „… wirkt bakterizid, fungizid und bedingt viruzid... Du Auale was steht auf Deinem Zeug?“
Ohne seine Kaubewegungen von der einen Hamsterbacke zur anderen zu unterbrechen beugt er sich vor, nimmt mit einer schwungvollen Bewegung seine heißgeliebte Sprühflasche in die Hand und liest vor: „...bakterizid, fungizid, nicht viruzid… öh?“
„Hahaha, das wirkt gar nicht gegen Viren!“, mit diesen Worten falle ich lachend vom Stuhl und sehe noch aus dieser Perspektive seine Hosenbeine aus dem Raum stürmen, begleitet von den Worten: „Ihr seid Arschlöcher!“. Mein erster Versuch auf den Stuhl zurück zu kehren scheitert am anhaltenden Lachanfall. Das nächste was ich wieder klar sehe, sind die ganzen Kollegen, von denen sich die Hälfte verschluckt hat und mit knallroten Köpfen röchelnd dasitzt und der Rest, der ihnen auf den Rücken klopft und sich auch kaum halten kann.
#hirneinschalten #bleibnormal #systemmarionette