Mäuschen spielen
Alois plauschte mit Berthold auf der Feierabendbank vor ihrer Praxis. „Sie sind ja doch ganz nett die Brauschens. Oder? Ihre Schnatterschnäbel sind gar nicht so groß, wie es mir am Anfang erschien und so viel Geld scheinen die auch nicht zu haben, weil Frau Brauschens sagte ja, dass sie sich das nicht gleich wieder wird leisten können …“, überlegte er.
Woraufhin Berthold entgegnete: „Und? Was habe ich dir gesagt? Der Schein führt einen manchmal in die Irre. Da hört man etwas über jemanden oder ein Sache oder nimmt eine Facette von einer Person wahr und macht sich augenblicklich eine Meinung über diese Tatsache und bildet sich ein Urteil über einen Menschen. Meinst du nicht auch?“
Alois verdrehte die Augen und zuckte mit den Schultern.
Nach einer Weile sprach er weiter: „Och schau dir mal den da drüben an! Wie der mit seinen ungepflegten, langen Loten herumwedelt und so tut, also ob er der Größte wäre. Ich hab den mal in unserer Praxis erlebt, wie er sich beim Blutabnehmen angestellt hat. Ich sag’s dir du, was für ein Theater.“
Dann schwieg er und Berthold brummte etwas Unverständliche in seinen Bart hinein. Er kräuselte die Stirn. Dann lief ihm der Prediger aus der Sankt Anton Gemeinde schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite ins Blickfeld und er winkte ihm mit der Hand, in der er seinen Geldbeutel hielt zu.
Alois zupfte ihn am Ärmel. „Mensch“, meinte er. „Wink bloß nicht so mit deiner Geldbörse zu, sonst denken die Leute am Ende noch, wir hätten Geld wie Heu.“
Berthold lachte herzhaft auf und ließ Alois Worte schweigend im Nichts verhallen. Es vergingen ein paar Minuten, in denen sie die Passenden auf den Bürgersteigen und die Fahrzeuge auf der Straße beobachteten.
Schließlich überlegte Berthold laut vor sich hin: „Meinst du, wir sollten uns den Thailandurlaub nächstes Jahr gönnen?“
Alois reagierte nicht. Er erhob sich von der Bank vor ihrer Praxis, auf der sie immer nach Feierabend saßen, griff dabei Bertholds Hand und zog ihn hoch. Gemeinsam schlenderten sie die Straße Hand in Hand in Richtung ihrer Wohnung in der Innenstadt.
© CRK, HH in BW, 05/2020