Mehr brandheiße Inhalte
zur Gruppe
Real Youngster Group
2687 Mitglieder
zum Thema
BDSM-Gepäck und -Spielzeug auf Reisen?20
Mich würde mal interessieren, wie man mit BDSM und Spielzeugen im…
zum Thema
Der Weihnachtszug
Aufgeregt bin ich. Weite Reisen sind inzwischen ungewohnt für mich…
Das Thema ist für dich interessant? Jetzt JOYclub entdecken

Andalusischer Regen

Andalusischer Regen
Dick und schwer prallten die Regentropfen auf die Windschutzscheibe. Sie zerplatzten wie dicke Käfer, die man zertrat, und die Scheibenwischer fegten sie weg und verschmierten das Wasser mit dem Staub, der darauf lag, zu einem Brei. Im Radio spielten sie »It never Rains in Southern Califonia«. Mag sein, dachte er. Aber hier in Andalusien regnete es eben. Es war Ende März, und in Andalusien regnete es. Er war schon einmal im März in Andalusien gewesen. Damals vor 20 Jahren hatte es nicht geregnet. Es schien die Sonne und wie damals passte auch heute das Wetter zu seiner Stimmung.

Es war ihre erste gemeinsame Reise gewesen. Jetzt war der Beifahrersitz leer. Wie der kleine Ort am Meer und der Strand. Die Läden geschlossen. Jetzt war noch keine Saison. In vier Wochen drängten sich die Touristen durch die engen Straßen, waren die Straßencafés bis spät in die Nacht geöffnet und voller Leben, quoll der Badestrand über aus einer Melange nackter Brüste. Große, kleine, pralle, schlaffe, alte, junge; solche, die mit Silikon verstärkt waren und andere, die der Schwerkraft nichts entgegensetzten. Die jungen Spanierinnen bewegten sich gleichberechtigt oben ohne in der Menge, während ihre Mütter züchtig im Badeanzug oder einem Kleid im Sand saßen. Er kannte den Strand zu vielen Jahreszeiten.
Jetzt hockten nur zwei junge Männer auf der kniehohen Mauer, die Promenade und Badebereich trennte. Sie starrten aufs graue Meer, das endlos in die Ferne führte, wo es in einen grauen Horizont mündete.

Er wartete, bis der Regen den Brei aus Sand und Wasser von der Windschutzscheibe gespült hatte. Dann ließ er den Motor an. Die beiden jungen Männer sahen herüber und beob- achteten ihn. Er winkte ihnen zu, sie winkten zurück.

Er bog in die schmale Straße am Restaurant ein und landete direkt auf dem Hotel-Parkplatz. Er stellte sein Auto unter den Palmen ab, die dem Hotel den Namen gaben: »Tres Palmeras«.

Er drückte die Glastür mit den drei Palmen auf. Der Patrón hinter dem Tresen erkannte ihn sofort. Ein freudiges Lächeln überzog das zu jeder Jahreszeit gebräunte Gesicht. Sie umarmten sich wie alte Bekannte, die sie ja auch waren.

»Buenos tardes, Señor Reiff.«

»Qué tal Patrón?«

»Vielen Dank. Es geht mir gut. Die Saison steht bevor, und wir haben noch viel vorzubereiten. Was treibt Sie hier her? Jetzt, bei diesem unspanischen Wetter?«

»Haben Sie ein Zimmer für mich, Señor López?«

»Selbstverständlich.« Er trat in sein Heiligtum, hinter den hufeisenförmigen Tresen, und blätterte in einer Kladde. »Ich hatte mich grade mit den Anmeldungen für den nächsten Monat beschäftigt.«

»Wann schaffen Sie sich endlich einen Computer an, Patrón?«

Der legte den Kopf schräg und sagte traurig: »Bald. Spätestens nächstes Jahr wird es unser Finanzamt nicht mehr erlauben, einen kleinen Betrieb wie der unsere es ist, ohne elektronische Datenverarbeitung zu betreiben. Eine Schande.« Dann zeigte er auf den schmalen Empfang: »Wo soll ich den nur hier unterbringen?«

Vom Brett an der Wand nahm er einen Schlüssel, auf dessen schwerer Messingkugel eine schwarze 35 eingraviert war: »Ich habe hier Ihr Musikzimmer.«

Carl Reiff lächelte gedankenversunken. Ja, damals, als sie zuletzt gemeinsam hier übernachteten, hatten sie ihre Saxofone dabei. Abends übten sie im Zimmer. Am nächsten Morgen spendierte der Patrón das Frühstück: »Wegen Ihrer schönen Musik.«

Jetzt aber fragte er: »Ihre Frau ist noch draußen am Auto?«

Reiff schüttelte den Kopf. »Nein. Ich bin allein.«

Der Kopf des Patrón ruckte hoch. »Oh! Was ist passiert?« Dann eine verlegene Geste: »Entschuldigen Sie, es ist nicht meine Angelegenheit.«

»Wenn Sie die Zeit aufbringen, Señor López, trinken Sie mit mir ein Glas Rotwein, sobald ich das Gepäck ausgeladen habe?«

»Si con gusto. Ja gerne«, sagte der Patrón. »Lassen Sie sich alle Zeit, die Sie brauchen.«

Vom Balkon seines Zimmers sah er das graue Meer, in der anderen Richtung lagen die Berge. Sie waren heute in Nebel und Regen gehüllt. Nicht einmal ihre Schemen erkannte er. Bei schönem Wetter sah man die Spitzen der Sierra Nevada, die bis in den Hochsommer weiße Kappen trugen.

Er hängte seine Jacke in den Schrank, die Reisetasche stellte er auf den kleinen Tisch mit der Wasserflasche und den zwei Gläsern neben der Balkontür. Er wollte sie auspacken, sobald er zurückkäme. Damals hatten die Saxofon-Koffer auf dem kleinen Tisch gestanden. Daneben die Noten, die eingeklappten Notenständer hatten sie erst aufgestellt, nachdem sie vom Essen zurückgekehrt waren. Und obwohl es eigentlich ein mexikanisches Lied war, hatten sie »La Malagueña« gespielt. In der Hoffnung, die Andalusier nahmen es ihnen nicht übel. Und wieder einmal erlebten sie, dass die Spanier gegenüber ihren Besuchern sehr tolerant und großzügig sind und ihnen die für seine Begriffe mangelhafte musikalische Aufführung verziehen.

»Kommen Sie«, sagte der Patrón. »Ich habe einen schönen Tisch im Restaurant. Trinken Sie lieber einen weissen oder eher einen roten?« Aber noch bevor Carl antworten konnte, diagnostizierte der Hotelier: »Ah … ich sehe es Ihnen an. Sie bevorzugen den roten. Und sicher einen trockenen«. Nach einem weiteren kritischen Blick in Reiffs Gesicht, stellte er sachkundig fest: »Und es sollte kein Rioja sein? Wunderbar, das kommt mir als Andalusier sehr entgegen.«

Er führte ihn zu einem Tisch für zwei am Ende des nicht sehr großen Restaurants. »Nehmen Sie bitte Platz. Um den Wein kümmere ich mich persönlich.«

Er war schwer und trug den Geschmack von dunklen Beeren in sich, die auf kalkigem Boden gediehen waren. Eine zweite Flasche Weißwein stand ungeöffnet auf dem Tisch.

»Unsere Weißweine sind noch besser als die hier produzierten roten. Da haben die im Rioja-Gebiet uns einiges voraus«, gestand der Patrón. Er griff in die Schale mit Pistazien, schälte zwei, steckte sie in den Mund.

»Das letzte Mal, als wir hier waren …« Reiff stockte. »… unsere Ehe steckte schon damals in einer Krise, von der wir hofften, sie mit einer Reise in unsere gemeinsame Vergangenheit bewältigen zu können. Wir wollten sehen, ob wir uns dort, wo wir uns einst wohl gefühlt hatten, einander wieder annähern.«

Er drehte das Weinglas zwischen den Fingern, beobachtete die sich kaleidoskopartig ändernde Spiegelung des Lichts.

»Für die Dauer unserer Reise gelang uns das auch. Aber sobald wir zuhause waren, zerbrach alles. Der Alltag hatte uns im Griff, und wir konnten uns ihm nicht entziehen.«

Er nahm einen weiteren Schluck aus dem Glas.

»Wir waren einander fremd geworden. Was uns einst verbunden hatte, trennte uns plötzlich. Naja … dann trennten auch wir uns.«

»Das tut mir leid für Sie beide«, sagte der Patrón. Er hatte still zugehört. »Aber Sie sind nicht allein. Auch ich kenne diese Probleme. Ich bin ebenfalls geschieden. Ja, schauen Sie nicht so erstaunt. Das passiert auch in spanischen Ehen. Aber es war ein deutscher Dichter, der sagte: ‚Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe bereit zum Abschied sein und Neubeginne‘. Ich habe ihn gelesen, als ich in Deutschland studierte.«

»Das war Hermann Hesse«, sagte Reiff. »Deshalb bin ich heute hier. Ich mache unsere erste Reise noch einmal. Allein. Um abzuschließen und dann in einen neuen Abschnitt meines Lebens einzutreten.«

»Wie reisen Sie von hier weiter?«

»Nach Westen. Málaga, Tarifa, Cádiz, Sevilla. Dann nach Portugal. Von Sagres nach Lisboa, Porto, die Costa Verde.«

Der Patrón blickte ihn nachdenklich an. »Eine lange Reise. Sie haben sich viel vorgenommen.«

»Eine Reise wie meine Ehe. Sie war lang, und ich hatte mir viel vorgenommen.«

»Der Regen«, sagte der Patrón, »er wird anhalten. Sie werden weiter durch den Regen fahren.«

»Werde ich …?«

»Ja. Sie werden. Und Sie werden etwas Wundersames erleben. Sie werden ein grünes, ein lebendiges Andalusien erleben. Ein Andalusien voller blühender Bäume, Wiesen, Plantagen. Eine Landschaft, wie ich sie selbst zuletzt vor vielen Jahren in dieser Üppigkeit erlebte.«

Er nahm einen Schluck aus seinem Glas, dann schenkte er nach.

»Falls Sie Ihren Reiseweg ändern und wieder hier vorbeikommen … denken Sie daran. Sie finden hier immer ein Zuhause.«

Sie tranken. Und sie schwiegen.
Eine feine Erzählung @*****oro, die mich mitnimmt, mich erinnert und mir dennoch Raum lässt.

Wie so oft im Leben, gehen aber immer neue Türen auf. Ob das Glück nun an den Stränden flaniert, in der nächsten Tapasbar sitzt, oder ganz einfach am Straßenrand sitzt und darauf wartet, eingesammelt zu werden, wer weiß das schon? Und wenn es in den Erinnerungen gefangen bleibt, ist es auch gut.

*bravo*

Es regnet und regnet. Im Autoradio spielten sie ein Lied.

Tom (the Sun)


Siehts so aus, als hätte ich in dir @**********heSun einen Bruder in Geist und Zuneigung zu Spanien gefunden.
Na, der Beifahrersitz ist ja angeblich noch frei.

*zwinker*

Tom (the Sun)
stimmt … *keinproblem*
Keine Beschreibung angegeben.
**SK
7.791 Beiträge
Achte mal auf die unnötigen Wortwiederholungen. war z.B. und dick + dick gleich am Anfang des Textes. In einem gedruckten Buch würde mich das stören. Sätze werden auch nur in Ausnahmefällen mit und angefangen, habe ich mal in der Schule gelernt.
Geh mal davon aus, dass es in diesem Fall Stilmittel ist. Aber vielen Dank für den Hinweis
Keine Beschreibung angegeben.
**SK
7.791 Beiträge
Ah ja, mir ist es eben unschön aufgefallen. *zwinker*
Das ist schon gut so. Wenn es nicht deutlich wird, dass es Stilmittel ist, muss ich das überdenken.
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
Das ist aus meiner Sicht eine wirklich beachtliche Erzählung - oder eher eine Art "Stilleben" oder Stimmungsbeschreibung mit einem dazu passenden Titel (was durch das von Herecomesthesun gepostete Video unterstrichen wird). Mein Respekt!

Auf ein paar Kleinigkeiten möchte ich dennoch aufmerksam machen:

Auf mich wirkt die Einleitung - verglichen mit dem sonst so großartigen Text - ein wenig holprig bzw. "verunglückt". An dem zweiten Satz könnte man meines Erachtens noch feilen. Er wirkt auf mich unnötige lange und etwas verschachtelt, insgesamt noch etwas unfertig.

So finde auch ich, dass die als Stilmittel gedachte Wiederholung des Wörtchens "dicke" eigentlich eine gute Idee ist, die aber nicht glücklich umgesetzt wurde und meines Erachtens hätte besser gelöst werden können. Ich möchte vorschlagen, die Passage ...

"Sie zerplatzten wie dicke Käfer, die man zertrat, und die Scheibenwischer fegten sie weg und verschmierten das Wasser mit dem Staub, der darauf lag, zu einem Brei.

... vielleicht so - oder ähnlich - zu ändern:

"Sie zerplatzten wie Käfer, die man achtlos zertritt. Die Scheibenwischer fegten sie hinweg und verschmierten das Wasser mit dem Staub auf der Scheibe zu einem Brei."

Außerdem hat es mich ein klein wenig gestört, dass relativ früh gleich drei Absätze mit "Er" beginnen, was wohl leicht zu vermeiden wäre.

*

Und noch eine kleine Anmerkung an "Charlie_Rose_K":

Sätze werden auch nur in Ausnahmefällen mit und angefangen, habe ich mal in der Schule gelernt.

Das dürfte ziemlich lange her sein und ist längst überholt. *g*

*

Ansonsten nochmal: Hut ab! Ein überaus bemerkenswerter Text, der mich berührt hat und den ich sehr gern gelesen habe. Vielen Dank, lieber semaforo!

(Der Antaghar)
*******blau Mann
3.624 Beiträge
Solider und handwerklich gut gearbeiteter Text.
Ebenfalls: Fein gemacht! Schöner Text und bin mit auf die Reise gegangen. Ich hätte den text absatzmäßig etwas anders gegliedert, aber das ist dann meckern auf relativ hohem Niveau *g*
Doch du lieferst mir eine Vorlage für eine Frage, die ich schon immer einmal loswerden wollte, und zwar, wie man einen inneren Monolog richtig schreibt. Es geht um diesen Teil von Dir:
Mag sein, dachte er. Aber hier in Andalusien regnete es eben. Es war Ende März, und in Andalusien regnete es. Er war schon einmal im März in Andalusien gewesen. Damals vor 20 Jahren hatte es nicht geregnet. Es schien die Sonne und wie damals passte auch heute das Wetter zu seiner Stimmung.

Hier wäre dann nicht nur die Frage, ob seine Gedanken deutlicher abgesetzt werden sollten (zum Beispiel kursiv), sonder auch, wie weit sie gehen und wann der Erzähler wieder spricht. Eventuell da einen neuen Absatz? Was meinst Du?
Das Problem des inneren Monologs, der Protagonist reflektiert seine Gedanken, Gefühle, Erkenntnisse, ist ein Thema, das in vielen Schreibratgebern auftaucht. Eine allgemeingültige Art, dies dem Leser auch optisch zu verdeutlichen, wurde bisher nicht gefunden.
Ixh weigere mich auch, eine andere Schriftart zu verwenden. Außer in einem Stück wird beispielsweise innerhalb des regulären Textes ein anderes Dokument wiedergegeben.
Häufig wird empfohlen, Gedanken wie einen Dialog zu handhaben, aber statt der doppelten Anführung (") nur die einfache (') zu verwenden.

Ich habe bewusst auf eine deutliche Trennung der Absätze Wert gelegt, um sowohl die Erzählperspektive optisch in die Länge zu ziehen und damit einen langsamen Erzählstrang zu erzielen und dadurch zu versuchen, den Leser in den Handlungsablauf zu ziehen, der zwischen den beiden Männern eigentlich in Zeitlupe abläuft.
Eigentlich ist ja die ganze Geschichte aus der Sicht der Hauptperson erzählt. Ein Wechsel der Erzählperspektive findet nicht statt.

Klar , ich hätte ich in dem von dir @*******jan zitierten Absatz die Inquit-Formel weglassen können. Dann wäre vermutlich niemandem aufgefallen, dass der Protagonist hier denkt.
**********henke Mann
9.666 Beiträge
Mir hat der Text gefallen und ich bin nur über die "dicken Käfer" als schiefer Vergleich gestolpert, aber gleich im nächsten Moment hab ich mir gesagt: So kann man es auch sagen, wer weiß, was Semaforo für Käfer kennt *zwinker*
Zitat von **********henke:
Mir hat der Text gefallen und ich bin nur über die "dicken Käfer" als schiefer Vergleich gestolpert, aber gleich im nächsten Moment hab ich mir gesagt: So kann man es auch sagen, wer weiß, was Semaforo für Käfer kennt ;-)


Zum Einen, welche Alternative wäre für dein Empfinden korrekter?
Zum Anderen, kennst du "Summsemann"? Ein wirklich dicker Käfer aus Peterchens Mondfahrt.
**********henke Mann
9.666 Beiträge
Oh, ich kenne sehr dicke Käfer, bin ja früher mal häufiger in Afrika unterwegs gewesen *g* - aber: die zerplatzen nicht wie Wassertropfen an der Windschutzscheibe, die erwecken eher den Eindruck, als ob eben irgendwas wie 12,7 mm von deinem Fahrzeug abgeprallt ist *zwinker* - also ist weniger das Bild vom Käfer schief, sondern mehr das Bild vom "zerplatzen" - Was hältst Du von "Regentropfen schlugen gegen die Scheibe wie dicke Käfer..."?
Dann hatte ich dich mit dem "dicken Käfer" missverstanden.

Okay, ist eine Alternative. *danke*
Danke für die liebevolle melancholische Reise, in die du mich heute morgen mitgenommen hast. Sie hat etwas wundervoll Tröstliches!
Bravo!
Auch mich hat das Kleinod in seine liebevolle melncholische Stimmung mitgenommen! Und eher mit den selbst erlebten Trennungen versöhnt, als in alten Wunden gestochert.
Bravo!
Danke für das in mein Gesicht gezaubertes Lächeln am Morgen!
Anmelden und mitreden
Du willst mitdiskutieren?
Werde kostenlos Mitglied, um mit anderen über heiße Themen zu diskutieren oder deine eigene Frage zu stellen.