Gebt der Schusseligkeit eine Chance!
Hallo,vor einiger Zeit bin ich hier auf die 8-Wörter-Geschichten gestoßen. Ich dachte mir »Kühl, das! Versuch' ich auch mal« und habe eine Geschichte mit den vorgegebenen 8 Worten hinbekommen. Sogar rechtzeitig - dachte ich.
Als ich sie dann an einem trüben Samstag nachmittag hochladen wollte, merkte ich »Oh [Infinitiv eines englischen Verbs, das den Geschlechtsakt beschreibt; etymologisch verwandt mit ›fechten‹], das ist ja schon lange vorbei«. Deshalb hab ichs erst mal sein lassen.
Na ja, damit sie nicht auf der Festplatte verschimmelt und um mal wieder etwas zum Forum beizutragen, poste ich sie doch noch.
Die Betreffzeile ist nicht so zu verstehen, dass ich mit dem Text jetzt noch in irgendwelche Auswahlen kommen möchte. Gebt dem Textchen nur die Chance gelesen zu werden und sagt etwas dazu, wenn ihr mögt
Verregnete Grüße,
Christian
Die 8 Worte damals waren:
1. Zwieback
2. Diplom
3. Raumzeit
4. Kindergarten
5. Magnolie
6. Tischler
7. Schmerz
8. Kaffee
Schmidt nahm einen Schluck Kaffee und stellte ohne hinzusehen die Tasse ab.
Irgendetwas störte ihn.
Er hatte tage- und nächtelang gemessen, neu kalibriert, wieder gemessen, Tests und Simulationen durchlaufen lassen, aber es waren keine Abweichungen zu erkennen. Trotzdem wurde er das Gefühl nicht los, dass etwas grundlegend falsch lief.
Er war müde, sein Magen schmerzte. Immer wenn sich etwas so hartnäckig dem Zugriff seines Verstandes entzog wie dieses nagende Gefühl, arbeitete er umso verbissener, trank zu viel Kaffe und davon bekam er Magenprobleme.
Er tastete auf dem Tisch herum, immer noch ohne hinzusehen, fand nicht, was er suchte. Dann sah er neben sich. Zwischen Messgeräten, elektronischen Bauteilen, telefonbuchdicken gebundenen Kopien, Werkzeug und mehreren Laptops entdeckte er die Papiertüte. Er nahm sich noch einen Zwieback und sah wieder zu der riesigen Maschine vor sich. Mannshohe Spulen aus rotem Kupferdraht in symmetrischer Schönheit angeordnet brummten vor sich hin, in dem Gewirr aus verschiedenfarbigen Kabeln blinkten bunte Dioden, Schalttafeln und Kontrollpulte klickten leise.
Der Signalton einer Erinnerung auf seinem persönlichen Laptop riss ihn aus seinen Gedanken. Zeit, Anna vom Kindergarten abzuholen.
Er packte seine Sachen zusammen, klopfte die Krümel von seinem weißen Laborkittel. Heute würde er sowieso nichts mehr zustande bringen, sein Verstand war zu blockiert. Wenn es einen Fehler gab würden sie ihn schon finden. Schmidt und sein Team lagen gut im Zeitplan, sie hatten noch ausreichend Gelegenheit, Tests durchzuführen.
Zeit fürs Wochenende, Zeit für Anna. Nichts außer seiner Arbeit hatte ihn jemals so stolz gemacht wie seine kleine Tochter. Nicht die Verleihung seines Diploms, nicht seine Doktorarbeit, die ihm viel Anerkennung und schließlich diese Stelle eingebracht hatte.
Jetzt, wo er im Wagen saß und das Wochenende mit seiner Tochter vor sich hatte, entspannte er sich langsam.
Da war schon die Magnolie vor Annas Kindergarten. Dort stand Anna bei ihrer Freundin, die gerade von ihrer Mutter abgeholt wurde. Sie strahlte, als sie sein Auto sah.
Auf der Fahrt nach Hause plapperte sie fröhlich über ihren Tag.
Dann sagte sie: »Du, Papa, was machst du eigentlich auf der Arbeit? Die anderen Kinder haben gefragt, aber ich konnte es nicht gut erklären. Die haben gedacht, du wärest Maurer für schiefe Wände.«
Er lachte.
»Nein, Liebes, ich erforsche die Raumzeit. Insbesondere die Zeit in gekrümmten Räumen.«
»Und warum?«
»Nun, wenn man es schaffen könnte, ein und die selbe chemische Reaktion immer wieder ablaufen zu lassen, könnten wir viele neue Sachen machen, ohne neues Material zu verbrauchen.«
»Und was hat das mit den krummen Räumen zu tun?«
»Stell dir einen ganz langen Raum vor. Das ist die Zeit. An einer Stelle liegt da Material drin, sagen wir Holz. Ein Tischler nimmt sich das Holz und geht weiter zu seiner Werkbank die im selben Raum steht. Da baut er aus dem Holz ein Regal. Der Raum ist jetzt aber kein Raum sondern die Zeit und die wird so lange gebogen, bis ein Kreis draus wird. Und wenn der Tischler jetzt weitergeht, kommt er wieder zu dem Holz. Das ist das selbe Holz wie vorher, aber er kann es wieder benutzen weil der Raum ja die Zeit ist und die ist jetzt rundgebogen. Und diesmal macht er einen Stuhl daraus.«
»Ist der Tischler dann auch wieder der selbe?«
Ist der Tischler dann auch wieder der selbe ‒ etwas störte ihn an dieser Frage.
»Na ja, irgendwie schon, du warst ja auch gestern schon die selbe wie heute…«
»Aber ich war ja auch nicht in dem runden Raum, Papa.«
Schmidt nahm einen Schluck Kaffee und stellte ohne hinzusehen, die Tasse ab.
Irgendetwas störte ihn.