Exodus Zweipunktnull
Heute.Nervös legte ich die bläulich schimmernde CD in das Laufwerk des Rechners.
Ein Gefühl von Unbehagen breitete sich in mir aus und Blut pulsierte pochend in meinen Schläfen.
Der Cursor blinke einige Male, dann startete das Programm.
Zugegeben, ich glaubte ihm noch immer nicht und erhoffte ein buntes Bildchen
oder wenigstens ein "Fuck you!".
Doch nichts geschah.
Habe ich etwas falsch gemacht?
War das alles?
Plötzlich sah ich Zahlenreihen und mir unbekannte Schriftzeichen in atemberaubender Geschwindigkeit auf dem Bildschirm meines Computers flackern. Das Kontrollicht der Festplatte leuchtete in grellem Grün, und mir war, als würde mein Computer einen aussichtslosen Kampf mit seinen eigenen Prozessoren führen.
Das Ganze dauerte in etwa eine Minute und nervös blickte ich mich um, ob einer meiner Kollegen, die vielbeschäftigt an ihren Rechnern sitzten, etwas von meinem Tun mitbekamen. Erleichtert blickte ich wieder auf den Monitor.
Eine altbekannte Systemmeldung strahlte mich in bunten Farben an:
'Das System wird jetzt heruntergefahren'
Doch es war nicht das Einzige...
~
Gestern.
Ich saß, wie jeden Tag vor meinem Computer, einem in dezentem Grau gehaltenen, etwas antiquarisch anmutenden Hewlett-Packard Modell, und brütete über neue Sensationsstories. Seit einigen Jahren bin ich nun Reporter bei dieser Boulevard-Zeitung. Kein besonders herausragender Job, und ich habe mich gewiss nicht mit Ruhm bekleckert, aber es machte mir Spaß.
Es war um die Mittagszeit, als ein ziemlich eigenartig anmutender Alt-Hippie mit langen zerzausten Haaren in mein Büro stolperte. Mit einem breiten Grinsen auf den Lippen setzte er sich, ohne auch nur ein Wort zu sagen, auf den freien Stuhl gegenüber von mir und schleuderte eine CD auf meinen Schreibtisch.
Ich blickte auf und zog eine Augenbraue nach oben.
"Geht's eigentlich noch?"
Der Fremde grinste noch immer und für einen Moment dachte ich, ob ich ihn nach seinem Dealer fragen sollte, was ich jedoch angesichts meiner, seit der dummen Gewächshaus-Geschichte andauernden Bewährungsstrafe schnell wieder verwarf.
Freundlich nickte er mir zu und begann zu erzählen.
"Es ist eine lange Zeit her, daß ich mich outete. Damals im Jahr Null."
Seine warme Stimme wollte so garnicht zu seinem Äußeren passen...
"Doch nun, lieber Freund, bitte ich Dich, mir einen Gefallen zu tun."
'Lieber Freund'?
Verdammt, ich kannte diesen bekifften Typen nicht mal und nun nannte er mich auch noch 'lieber Freund'?
"Hören Sie, ich hab nicht einen blassen Dunst, was Sie von mir wollen - aber Junkies wie Sie haben weder hier, noch in meiner Nähe etwas verloren" erwiderte ich zornig.
Er lehnte sich zurück, lächelte und fuhr fort...
"Du hast es doch sicher auch einmal gelesen oder? das Buch der Bücher, wie ihr es nennt. Nun, vieles davon ist erstunken und erlogen, viele Meister haben ihre Geschichten hinzugesponnen, doch die Essenz des Ganzen..." er kniff die Augen fast schon beschwörend zusammen "...die Essenz des Ganzen entspricht der Wahrheit."
Ein eigenartiges Gefühl kroch in mir hoch. Normalerweise hätte ich diesen Spinner von der Security abführen lassen, doch irgend etwas in mir sagte, dass er die Wahrheit sprach. Ist er...? Ich schluckte trocken.
"Damals versuchten wir es schon einmal. Damals, als sich die Menschen gegenseitig zerfleischten und das Böse Einzug in diese wunderbare Welt hielt. Damals, das ist lange her."
Fragend blickte ich ihn an.
"Die Zeit ist reif, dass ihr euch dessen besinnt, was ihr seid. Nimm diese CD und lege sie in Deinen Computer ein. Wann, das bleibt Dir überlassen..."
Er stand auf, nahm zwinkernd eine Zigarette aus meiner Schachtel und ging.
Irritiert blickte ich auf die Zigarrettenschachtel vor mir.
"Rauchen gefährdet Deine Gesundheit, lieber Freund."
~
Die Nacht davor.
Die folgende Nacht tat ich kaum ein Auge zu. Der Besuch des Fremden flog in Bruchstücken durch meine Gedanken und seine Worte hallten immer wieder in meinen Ohren. 'Damals versuchten wir es schon einmal...' was meinte er damit?
Ich stand auf und machte mir ein Bier auf, so wie ich es immer tat, wenn ich nicht schlafen konnte.
Meine Augen durchstreiften das Bücherregal, als ich plötzlich am hintersten Ende das Buch der Bücher wahr nahm. Die Bibel.
Irgend etwas schien mich auf sonderbare Art und Weise zu dem Buch hinzuziehen, und müsste ich heute erklären was es war, so könnte ich darauf keine Antwort geben.
Ich schlug das Buch an genau der Stelle, wo eine Seite eingeknickt war auf und las...
Und der Herr sprach zu Mose: Gehe hinein zu Pharao;
Also gingen Mose und Aaron hinein zu Pharao, und sprachen zu ihm:
Weigerst du dich, mein Volk zu lassen, siehe, so will ich morgen Heuschrecken
kommen lassen an allen Orten, und der Herr trieb einen Ostwind ins Land den ganzen Tag
und die ganze Nacht; und des Morgens führte der Ostwind die Heuschrecken her.
(Exodus 1.3-4.13)
~
Jetzt.
"Das System wird jetzt heruntergefahren" flüsterte ich leise während meine Augen wie hypnotisiert auf den Monitor starrten. Ich wusste bescheid.
Alle Computer, jedes System auf der Welt, egal ob Computer oder Handy,
egal ob Großrechner oder Laptop schalteten sich zeitgleich ab.
Ich stand auf und öffnete das Fenster.
Unten sah ich den langhaarigen Kerl von gestern Mittag.
Er zwinkerte mir zu und lächelte.
Zum ersten Mal seit langem fühlte ich mich menschlich...