Das Häschen in der Grube oder mit 54 Jahres fängt das Leben
Der Schein der Straßenlaternen spiegelt sich im nassen Asphalt der Großstadtnacht. Der Regen hat die Schwüle des Tages vertrieben. Es war angenehm und sie hatte das Gefühl endlich wieder atmen zu können. Hier stand sie nun, alles um sie war vertraut, die Häuserzeile, die Kreuzung mit ihrer Ampel, der kleine Gemüseladen wo sie so gerne mit dem Besitzer plauderte und dabei viel zu viel einkaufte, die Wäscherei und der Geruch von frisch gebügelter Wäsche, das kleine Kaffee an der Ecke und der Italiener wo so langsam das geschäftliches Treiben erstarbt und das Aroma von frisch aus dem Ofen kommender Pizza nur noch als Ahnung in der Luft hing.
Und trotzdem, ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, sie glaubte den Pulsschlag auf ihrer Zunge zu spüren, sie kribbelt und fühlt sich metallisch an. Sie versuchte das Zittern zu unterdrücken, welches ihren Körper in Schüben erfasst. Sie fror, eine Gänsehaut kroch vom Lendenwirbel bis zur Schulter und über den Nacken bis zum Haaransatz bis in jede Haarwurzel. Ihre Füße schmerzten in ihren Schuhen und sie zupfte an ihrem kurzen Mantel.
Ein Passant nähert sich und fixierte sie mit seinem hypnotischen Blick. Es war ihr sichtlich unangenehm, sie zog den Trenchcoat noch enger um sich und verschränkte ihre Arme über ihren Laib.
Die Unruhe bohrt sich in ihren Magen und ihr wurde schlecht, bitte nicht jetzt, bitte, dachte sie nur und schon spürte sie, wie das Zittern ihre Knie erreichte. „Bleib jetzt ganz ruhig stehen,“ dachte sie nur „und lass dir nichts anmerken.“ „Ich muss kotzen“, der Gedanke schoss durch ihr Hirn und sie spürte wie ihr Atem sich beschleunigte.
Was ist, wenn er mit seinen Freunden kam und sie hier vorführte oder gar alle sie auslachten? Sie wollte auf der Stelle gehen aber etwas Magisches bewog sie zu bleiben.
Sie konnte es kaum glauben, es war endlich Nacht und gleich würde sie ihn sehen. Sie hatte ihn über eine Internetplattform kennen gelernt. Sie hatten sich eine ganze Weile geschrieben und er hatte ihr auch schon zu Verstehen gegeben, dass er dominant sei. Sie hatte keine Ahnung was das war, sie war 26 Jahre verheiratet und hatte 3 Kinder groß gezogen. Alles ganz normal. Reihenhaus in der Vorstadt, Ehemann in guter Position, er war Dozent an der hiesigen Universität und seit die Kinder aus dem Haus waren, jobbte sie als Beraterin für einen Pharmakonzern.
Sie war eine Frau im mittleren Alter, kurze aschblonde Haare, nicht mehr ganz schlank, aber dank intensiven Fitnesstraining, ganz passabel. Keine Frau nach der sich Männer umdrehten, aber auch nicht hässlich. Vor Jahren hatte ihr mal ein Mann gesagt, sie hätte schöne Augen, aber seit dieser Zeit war es sehr still geworden, kein Herzklopfen, keine Komplimente, keine Aufmerksamkeit.
Ihr Mann hatte das Golfen neu für sich entdeckt, er war jetzt im Vorstand des Golfclubs und sehr beschäftigt. An machen Tagen dachte sie sich und diese Gedanken kam meist sehr unerwartet, sie könnte jetzt tot umfallen und keiner würde in Liebe ihrer gedenken.
Eines Nachts, sie konnte wieder mal nicht schlafen, setzte sie sich an den PC und nach einigen Klicks, sie hatte das Stichwort „Sex“ in einer Suchmaschine eingegeben, kam sie zum Joyclub.
Die schwarze Seiten mit den vielen erotischen Bildern zog sie an. Sie meldete sich nur mal so zum Spaß an.
Seit dieser Zeit war sie jede freie Sekunde online, nicht sonderlich erfolgreich, sie wollte ja eigentlich nur mal schauen und sich nicht verabreden. Sie war mal wieder auf ihren Lieblingsprofilen unterwegs, ausnahmslos wunderschöne Mensche, die ihre Sexualität anscheinend voll auskosteten.
Da erreichte sie eine Nachricht:
„Ich will Dich“,
schrieb er, sonst nichts. Sie schaute sein Profil an und dachte sich, „völlig lieblos gemacht“ da kam die nächste Nachricht:
„Ich will Dich, Du geiles Vollweib, Du meine Sehnsucht, erfülle mir meinen Träume“.
Sie konnte nicht mehr schlafen, nicht mehr essen, sich nicht mehr konzentrieren, sie war verloren, das wusste sie.
Nun stand sie da und dachte sich Hoffentlich kommt er, oder besser doch nicht?
Tausend Gedanken flirrten in ihren Kopf und die Füße taten ihr so weh. Er hatte noch einen geschäftlichen Termin, schrieb er und nun war er auf dem Weg hierher, zu ihr und wollte sie sehen.
Heute Morgen hatte er ihr die SMS geschickt. Eigentlich nichts Besonderes, nur mal kurz „Hallo“ sagen, unverkrampft und locker. schrieb er, heute in der Frühe um 7.
Er müsse nur kurz nach Wien und würde um 22:15 Uhr in Frankfurt landen, „ich komme dann vorbei und hole Dich ab“, schrieb er. Seitdem, diesem, heutigen Morgen war für sie nichts mehr wie es einmal war. Alles hatte sich verschoben, geändert, verdreht.
Sie war gerade mit ihrem Dienstwagen auf dem Weg zurück nach Frankfurt, als sie die nächste sms erreichte.
„Kauf Dir einen schwarzen String und zieh ihn für mich an“,
schrieb er. Sie fing an zu schwitzen und überlegt sich, wo komme ich so ein verfluchtes Teil her? Als sie die nächste sms erreichte.
„Ich möchte, dass Du dazu halterlose Strümpfe anziehst“.
String und halterlose Strümpfe, das ist ja schon etwas nuttig und während sie sich überlegte wo man so etwas kaufen könnte, schrieb er:
„Wenn Du die Sachen besorgt hast, dann sag Bescheid“.
Sie fuhr die nächste Ausfahrt raus. Sie parkte ihr Auto, in der Innenstadt, im Karstadtparkhaus und weil es so praktisch war fuhr sie mit dem Aufzug direkt ins Kaufhaus. In der Wäscheabteilung suchte sie verschämt einen schwarzen Spitzenstring aus und die Verkäuferin zeigte ihr noch einen sehr erotischen BH. „Für einen schönen Abend zu zweit“ meinte sie verschmitz und zwinkerte ihr vertraulich zu. Sie spürte wie eine heiße Röte ihr Gesicht überzog und flüchtete umgehend zu den Strümpfen.
„Verflucht, warum gibt es von diesen Dingern so viele und was ist mein Größe?“ fragte sie sich und wunderte sich gleichzeitig, warum sie sich mit ihren 54 Jahres so etwas das erste Mal kaufte.
Sie stand jetzt bei den Schreibwaren, endlich sicheres Terrain, ihr Pulsschlag beruhigte sich und sie tippte in ihr Handy „habe alles“. Sofort kam die Antwort:
“und jetzt Schuhe“. „Wenn Du im Schuhgeschäft bist, dann ruf mich an“.
Schuhe? Was soll ich mit Schuhe, ich habe Schuhe, dachte sie und schaute an sich herab. Bequeme Sommersandalen lugten ihr entgegen, flach und praktisch. Sie hatte schon über Jahrzehnte die bequemen und praktischen Schuhe bevorzugt. Sie fuhr in den ersten Stock in die Schuhabteilung und drückte die Recall- Taste ihres Handys. Sie lauschte dem Freizeichen und ihr wurde mit einem starken körperlich Schmerz bewusst, ähnlich eines Stromschlags, dass sie jetzt gleich das erste Mal seine Stimme hören würde. Er meldete sich und ein leichter Schwindel erfasste Sie.
„Hallo meine wunderschöne Königskatze“,
sagte er und kein Laut kam über ihre Lippen.
„Was siehst Du, mein Herz? Welche Schuhe siehst Du? Suche nach schwarzen Pumps, mit ganz schmalen Absätzen, schau mal“.
Wie in Hypnose schlich sie um die Regale, das Handy fest an ihr Ohr gedrückt und sein Atem hallte in Ihrem Kopf. Sie blieb stehen und schaute sich die Pumps an.
„Gibt es welche mit Metallabsätzen? Ca. 10 cm oder höher? Schwarzer Lack?“
Sie haucht nur ein genuscheltes “Ja“ uns sogleich kam
„dann nimm sie.“
Sie hörte nur noch das Klicken der Leitung und wusste, sie waren getrennt. Sie wollte noch so viel fragen und wissen und nun war er weg, nicht mehr da. Sie griff nach den Schuhen, ging zur Kasse und verließ das Kauhaus.
Auf dem Weg zurück zur Autobahn, viel ihr auf, dass sie die Schuhe ja gar nicht anprobiert hatte. Was jetzt?
Er hatte ein Akzent, sehr angenehm, so Stuttgart oder diese Gegend, so irre männlich klang er und jetzt kam das Zittern, welches nicht verschwinden wollte.
Der nächtliche Passant schaute sie beim Vorbeigehen gespannt an und sie wunderte sich über seinen Blick. War das Bewunderung was sie sah?
Sie hatte, weil er es von ihr erwartete, nur den String, die Halterlosen und die neuen Schuhe an. Um ihre Blöße zu bedecken, hatte sie sich den alten Trenchcoat übergeworfen und stand nun einsam in der Nacht. Kräftig roten Lippenstift findet er schön und diesen sollte sie richtig dick auftragen. Während sie sich zu Hause fertig machte, spürte sie den Wandel. Nicht nur Äußerlich, nein auch tief innen veränderte sich etwas. Ihr Outfit, erst von ihr nuttig und abstoßend empfunden, erregte sie zunehmend. Sie fühlte seit Jahren ihren Unterleib pochen, schon schmerzte es fast. Sie hatte keine Ahnung, wann sie es das letzte Mal gefühlt hatte.
Sie sah in Ihren Augenwinkel ein langsames Licht auf sie zukommen.
Der Schwindel war wieder da,
alle feinen Härchen ihres Köpers reckten sich nach oben,
ihr Puls hallte in ihren Ohren,
sie atmete nicht mehr,
sie spürte instinktiv: jetzt ist die ersehnte Sekunde gekommen.
Sie drehte sich langsam um und sah die Lichtkegel ganz langsam auf sie zukommen.
Das Auto, irgend so ein Sportwagen, registrierte ihr Hirn, blieb 200 m von ihr entfernt stehen.
Ihr Herz schien zu zerspringen. Sie fühlte sich wie das gehetzte Häschen, das angesichts des Todes in die Angststarre fällt.
Langsam rollt das Auto weiter und bleibt nach unendlichen Minuten neben ihr stehen.
Nichts!
Keine Bewegung!
Weitere Minuten vergehen.
Der Motor läuft.
Sie fühlt den stechenden Blick ihres Beobachters.
Ihr Herz setzte einige Male aus.
Sie kann sich nicht mehr bewegen.
Die Tür geht auf und ein sehr großer, sehr dünner, schlacksiger Mann steigt aus und kommt auf sie zu.
"Nein, er ist nicht schön, du bist nicht schön
und der weiße Mantel geht überhaupt nicht"….denkt sie und im selben Augenblick:
"Du ist göttlich, halt mich."
Er nimmt ihre Hände und flüstert „Danke meine Königskatze, ich liebe Dich“.
Sie spürt eine Schwere, nur durch einen Nebel dringt seine Stimme zu ihr vor, er verschwindet ganz langsam vor Ihren Augen, ihr schwinden die Sinne und es wird schwarz.