Vergangenheit
VergangenheitEr lief nicht, er rannte. Stolperte, fing sich, strauchelte und warf sich weiter vorwärts, in`s Licht. Die Dunkelheit verfolgte ihn. Angefüllt mit seinen Ängsten, Erinnerungen, Schuld und Gewissensbissen. Er war voller Sünde. Hatte schreckliche Dinge getan. Und nun wollte die Vergangenheit ihre Rache. Wollte Genugtuung und verfolgte ihn. Jagte ihn durch dieses Labyrinth alter, gemauerter Kanäle. Trieb ihn vor sich her durch knietiefes Wasser voller Unrat und Exkremente.
Warum gerade jetzt ? Das alles lag so viele Jahre zurück. Und verdammt, er hatte sich geändert. Er hatte für seine Schuld bezahlt. Bei Gott, dass hatte er, in mehr als einer Hinsicht. Er hatte den Teufelskreis aus Sucht, Kriminalität und Gewalt durchbrochen. Was nicht einfach war, zugegeben. Aber kein Vergleich zu dem Kampf, den er gegen sich selbst führen musste. Gegen seine Natur. Unzählige Stunden, jede Minute eine gefühlte Ewigkeit, hatte er in Behandlung verbracht, um dieses Tieres in ihm Herr zu werden. Es zu bändigen und einzusperren. Und er hatte es geschafft. Hatte es in Ketten gelegt und den Schlüssel weggeworfen.
Und nun waren sie hinter ihm. Die Schatten seiner Vergangenheit. Heulend und kreischend, mit Klauen und Zähnen nach ihm haschend, holten sie unerbittlich auf. Sein Herz raste in seiner Brust. Seine Lungen schmerzten bei jedem Atemzug und seine Muskeln zitterten vor Anstrengung. Er musste hier raus. Raus aus diesem unterirdischen Gefängnis, in dem er kaum atmen konnte. Nach oben. Nach oben ins Licht, an die Sonne, die frische Luft.
Jetzt hatte sie ihn fast eingeholt. Er fühlte ihren wiederwärtigen Atem in seinem Genick. Spürte wie sie an seiner Kleidung zerrten. Ihn zu Fall bringen wollten. Sie wollten ihn wieder haben. Wollten, dass er das Tier frei ließ. Seine Dämonen. Sie wollten jagen, Beute machen, befriedigt werden, frei sein ! Blut schmecken ! Spüren wie Knochen unter der Gewalt seiner Hände brachen ! Schmerzensschreien lauschen !
Eine Leiter. Er warf sich vorwärts. Rostiges Metal schnitt tief in seine Handflächen. Schuppige Krallenhände zerrten an seinen Beinen, wollten ihn zurück ziehen. Er trat und schlug um sich, kam frei und kletterte um sein Leben, erreichte das Ende des Schachtes, konnte schon das helle Sonnenlicht sehen, da wurde er mit einem Gewaltigen Ruck zurückgerissen. Und erwachte schreiend, schweißbedeckt und zitternd, auf dem Boden neben seinem Bett. Das Nachttischlämpchen wurde eingeschaltet und seine Frau fragte mit verschlafener Stimme „ alles in Ordnung, Schatz ? Hast Du schlecht geträumt ? „
Ja, ja, alles bestens, Schatz, antwortete er. Nur ein Traum. Schlaf weiter. Hoffentlich hab ich die Kinder nicht aufgeweckt. Er schüttelte das schweißgetränkte, zerknüllte Laken auf, in das er sich verfangen hatte und schlüpfte neben sie unter die Bettdecke. Nur ein Albtraum, dachte er und betrachtete verstohlen die Schnitte und Rostsplitter in seinen Handflächen. Nur ein Albtraum.
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