Taktlos
Taktlos
Die Zeit hielt an …
während ich Leo anschaute und meiner Gefühle Herr werden wollte. ‚Franz’, dachte ich, ‚was soll ich tun.’ Im Geist hörte ich Franz lachen, sein lautes schallendes Lachen und ich glaubte zu wissen, dass ich die Liebe wieder gefunden hatte.
„Dann trinken wir auf die Liebe“, sagte ich nachdem ich mehrmals geschluckt hatte. Wir stießen mit unseren Bierflaschen an. „Auf die Liebe“, schrie Leo.
Die erste Flasche trank ich leider fast auf einen Sitz leer, dann wurde mir schlecht. Saufen war nichts mehr für mich, dachte ich als ich vom Klo zurückkam.
Leo hatte sich auf der Couch breit gemacht, nun machte er mir Platz.
„Florian, du siehst nicht gut aus. Leg dich hin. Ich hol dir ein Glas Wasser, das ist besser für dich.“
„Oh Mann, da hast du dir aber keinen guten Kameraden ausgesucht.“
„Papperlapapp. Du gefällst mir eben.“ Er zwinkerte mir zu und ging zum Küchenblock. Ich sah ihm zu, wie er in meiner Garconnière herumwerkelte. Schnell hatte er ein Glas gefunden und füllte es. „Rück ein Stück. Oder soll ich mich etwa auf den Boden setzen?“ Ich machte Platz, so saßen wir eine Weile still beisammen.
Was konnte daraus werden, Franz, dachte ich. Noch immer hielt ich in schwierigen Situationen mit Franz Zwiesprache. Für manche mag das komisch erscheinen, für mich war es eine große Hilfe und ein Trost. Ich liebte Franz noch immer und ich mochte auch Leo, würde es Liebe werden, oder nur ein rein körperliches Zwischenspiel, was ja auch seinen Reiz hatte? Ich dachte schon wieder zuviel. „Ach ein Bier wäre jetzt gut. So ein richtig guter Rausch, um nicht mehr denken zu müssen. Aber da bin ich wohl zu …. Naja.“
Leo begann zu lachen. „Dann besäufst du dich eben mit Wasser.“
„Pffft, aber das macht keinen großartigen Rauschzustand, Leo.“
„Wer will sich schon sinnlos besaufen. Komm, du verträgst das Zeug nicht mehr, also lass die Finger davon und wenn du schon ein Bier trinken willst, dann trink es langsam.“
„Ich verzichte. Diese Kotzerei ist einfach zuviel für mich alten Mann.“
„Ha! Du kannst nicht älter als ich sein.“
„Doch, wenn du mit Margot zur Schule gegangen bist, dann bin ich ein gutes Stück älter als du.“
„Und, wen scherts? Ich bin so froh, wieder unter Leuten zu sein, wo ich meine Sexualität nicht verstecken muss.“
Das verstand ich nur zu gut, das sagte ich ihm auch.
„Das war ja auch der Grund, warum ich hier wegging. Wie haben es die Leute hier aufgenommen, dass du schwul bist?“
Ich wusste nicht, ob ich darauf antworten wollte. Die Wunde war noch immer nicht ganz verheilt, sie würde wohl nie ganz heilen. Ich drehte mich zur Seite, stützte mich auf die Hand und schaute Leo lange an. Ich wollte ganz sicher sein, ob er es ernst meinte. Eine Verarsche konnte ich nicht brauchen, darauf war ich echt nicht scharf. Er schien aber ehrlich interessiert zu sein. Stumm sah er auf mich nieder, wie ich da lag, mager, vernarbt, blass und ausgemergelt. Es lag kein Ekel und auch kein Mitleid in seinem Blick, nur Neugier.
Ich ließ die Minuten verstreichen, bis ich mich durchrang und ihm einiges davon erzählte. Was ich nicht erzählte las ich von seinem Blick ab. Scheinbar wusste er mehr von mir, als ich dachte. Woher nur? Margot? Ja, er musste Margot gefragt haben.
„Du scheinst nicht im geringsten schockiert zu sein, Leo.“
„Bin ich auch nicht. Margot hat mir einiges von dir erzählt. Ich habe nämlich mit ihr gesprochen, nachdem Herbert seine abfälligen Bemerkungen losgelassen hatte.“
Ich hatte also Recht gehabt, Margot hatte geredet. Aber auch sie wusste nicht alles. Es gab Momente in meinem Leben, die ich nie jemandem anvertrauen werde. Niemals. Sie sind zu schrecklich und ekelhaft um sie zu teilen. Diese Bürde lade ich keinem anderen auf und diese Demütigungen wünsche ich nicht mal meinem ärgsten Feind.
Ich merkte, wie ich wieder in Grübelei verfiel, Leo schien es auch zu bemerken.
„Lass uns von was anderem reden, Leo“, ich war nicht mehr in Stimmung zum Reden, oder zu sonst was. Mir war gerade die Lust an allem vergangen.
Leo schien das nicht so zu sehen. Er begann mich zu streicheln.
Ich dachte, ‚Das halte ich nicht aus. Hör auf, hör auf!’ und sagte dann nur: „Bitte, Leo, hör auf. Ich kann nicht.“ Dabei kamen mir wieder die Tränen. Was war ich doch nur für ein verheulter alter Sack geworden. Da war ein junger hübscher Mann, der Interesse an mir hatte und ich lag da und wollte oder konnte nicht mitspielen.
„Florian“, sagte er nur und nahm mich in den Arm.
Seit langem fühlte ich wieder Geborgenheit. „Es ist doch in Ordnung. Ich denke, du hast mir nicht mal die Hälfte von dem erzählt, was wirklich los war, stimmt's? Es tut mir leid, dass ich das alles wieder hoch geholt habe.“
Ich lag zitternd in seinen Armen, ein Häufchen Elend, kein Mann mehr, kein Mensch. Nichts. Alles war wieder da. Alle Erniedrigungen meines bisherigen Lebens liefen vor mir ab.
„Leg dich hin. Dir ist kalt, ich deck dich zu.“
Schneller als ich schauen konnte, war ich in meine warme Decke gehüllt. Langsam kehrte auch die Wirklichkeit wieder.
Wann würde endlich diese Schwermut und diese Müdigkeit aus meinem Körper und meinem Geist verschwinden? Das war eine Frage, die ich mir immer wieder stellte und auf die es scheinbar keine Antwort gab.
„Florian, soll ich gehen? Es ist vielleicht nicht der richtige Zeitpunkt.“
„Nein, Leo, bleib, bitte. Ich möchte nicht Alleinsein. Nur weiß ich nicht, ob ich dir heute noch ein Liebhaber sein kann.“ Eigentlich wollte ich es leichthin sagen, aber ich brachte die Traurigkeit nicht aus meiner Stimme raus. Irgendwie hatte ich ja Angst, keinen hoch zu kriegen, wo ich ja nicht mal eine Morgenlatte hatte. Diese Selbstzweifel waren schon Verderben bringend.
„Oh Mann, ich kenn das. Weißt du, wann ich das letzte Mal mit einem Mann was hatte“, Leo lachte grimmig. „Und ich bin wahrlich kein Kostverächter. Aber bei den Arabern ist das nicht Usus, steht sogar unter Strafe. Also musste ich als Mönch leben.“ Er lachte was das Zeug hielt. „Dabei bin ich für diese Lebensweise gar nicht geeignet.“
Jetzt musste ich auch lachen. Er saß auf der Lehne, blickte lachend zu mir herunter und strich mir dabei die Wange. Ich musste so lachen, dass ich zu husten anfing. Manchmal konnte ich mir immer noch Dinge sehr bildlich vorstellen und gerade stand mir das Bild von Leo in einer Mönchskutte vor Augen, die sich einem dringenden Bedürfnis gehorchend nach außen wölbte, an einer bestimmten Stelle natürlich. Ich hatte schon eine schmutzige Fantasie. Aber besser das als gar nichts.
„Mir geht’s wieder besser, Leo. Setz dich zu mir. Wir wissen nichts von einander und das bisschen, das du von mir weißt, sollte dich eigentlich abschrecken.“
„Eiei, was sind das für Worte, Florian.“
„Sag Flo zu mir, das gefällt mir besser. Mutter sagt immer Florian und auch Resi und Margot zuletzt. Flo ist intimer.“
„Dann Flo. Was sollte mich an dir erschrecken? Ich weiß, dass du ein netter Mensch bist, ich weiß, dass du viel durchgemacht hast. Du bist einfach zu sensibel geworden. Dreh dich auf den Bauch, ich massier dich etwas.“
Ich tat wie er mich hieß. Dann begannen seine Hände zuerst meinen Nacken zu massieren, er konnte das sehr gut. Seine Hände wanderten langsam runter, er massierte meinen Rücken, die Seiten, dabei übersah er meine Narben. Mein Rücken, meine rechte Seite und der gesamte rechte Oberschenkel waren von zahlreichen Narben bedeckt. Leo hörte mit der Massage auf und streichelte und liebkoste meinen Rücken, meine Beine, meinen Po und mit der Zeit stellte sich bei mir Erregung ein. Ich war so erregt, wie schon lange nicht mehr. Ich wollte ihn.
„Komm“, sagte ich mit belegter Stimme. „Durch die Tür dort, da ist es bequemer.“ Ich zeigte auf die Schlafzimmertür. Schnell waren wir beide entkleidet und lagen im Bett. Leo drängte mich, mich auf den Rücken zu legen. Er küsste meinen Mund, meinen Hals, saugte an meinen Brustwarzen und ging tiefer. Leo war eine Wucht! Er saugte mir die Lust rein und raus. Was der Mann mit mir anstellte war einfach unvorstellbar. Ich flog auf Wolken, ich hob ab, verlor den Verstand. Mit einem lauten Schrei ergoss ich mich in seinem Mund. Verwundert stellte ich fest, dass er mein Sperma schluckte, aber bitte, ich bin alt genug, dass ich jedem sein Vergnügen gönne, mein Ding ist es ja nicht gerade. Atemlos lag ich da und ließ den Höhepunkt abebben. Zufrieden legte sich Leo neben mich und strich mir über die Brust.
„Ich hoffe, du bist mir nicht böse.“
„Warum denn?“
„Weil ich eigentlich jetzt schlafen gehen möchte.“
„Ich bin dir nicht böse. Ich hoffe nur, ich kann mich mal revanchieren. Du wirst doch deine Tante öfter besuchen kommen?“
„Das hängt von der Firma ab. Wenn ich wieder weg muss, komm ich natürlich seltener.“
„Ich mag dich sehr, Leo. Geh nur ins Bett. – Und danke.“
Leo stand auf, zog sich wieder an und ging hinunter.
Aber ich konnte jetzt nicht schlafen. Ich wollte noch etwas frische Luft tanken und ging nach unten. Bei Resi brannte noch Licht. Das erstaunte mich etwas, weil ich ja annahm, dass sie schon schlief. Ich wollte schon anklopfen und reingehen, als ich Stimmen hörte. Eine gehörte Resi, die andere Leo. Eigentlich soll man ja nicht lauschen und ich fühlte mich auch schuldig deswegen. Aber was mich aufhorchen ließ war die Tatsache, dass Leo „Frau Müllner“, sagte. Die beiden hatten sich ja als Verwandte ausgegeben. Und Resi sagte gerade: „Herr Pichler, ist alles gut gegangen?“
Was Leo, falls das sein wirklicher Name war, antwortete verstand ich nicht. „Margot hat ja das Finanzielle geregelt.“
„Natürlich Frau Müllner. Das passt schon so. Ich werde dann wieder fahren.“
Ich hatte nicht so viel Verstand und auch nicht die nötige Energie rasch zu verschwinden. Als die Tür aufging stand ich da, belämmert und das Herz pochte zum Zerspringen laut. Noch nie in meinem Leben hatte ich solche eine Wut gekannt. Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich den Kerl da verprügelt. „Raus hier“, herrschte ich ihn an. „Wenn ich einen Stricher will, dann geh ich in die Stadt und kauf mir selber einen, verstanden!“
Resi stand bleich in der Küche.
„Und nun zu Ihnen Frau Müllner … was haben Sie sich gedacht, mir so etwas an zu tun? Was dachten Sie sich dabei? Dass ich so einen sexuellen Notstand hätte? Ich bitte Sie, da habe ich schon länger ohne Sex gelebt und bin auch nicht dran gestorben!“ Ich drehte mich um. Halbwegs die Stiege rauf brüllte ich noch: „Morgen ziehe ich aus!“
Ich verabscheute mich, weil ich mich diesem Leo so bedingungslos hingegeben hatte. In meiner Wohnung angekommen, begann ich damit die Möbel auseinander zu nehmen. Ich begann ihm Bad und drosch auf den Spiegel ein bis er zersprang und mir das Blut die Arme runter lief. Irgendwann in meiner Zerstörungsaktion muss ich dann wohl zusammen gebrochen sein.
Ich kam zu mir, als mir jemand einen kalten Lappen auf die Stirn presste und irgendwer wusch mich mit kühlem Wasser.
„Sie sind ein dummer Junge, wissen Sie das.“ Das war der Arzt. Diese Stimme würde ich überall und durch dicken Sinnesnebel erkennen.
„Bevor Sie fragen. Resi hörte das Poltern und rief mich an. Sie hatte Angst, dass Sie sich was antun könnten. Scheinbar haben Sie das ja auch.“
„Wollte ich aber nicht. Ich wollte hier nur alles kurz und klein schlagen. Ist mir aber nicht gelungen.“
„Das sehe ich. Sie haben schon im Bad aufgegeben.“
Jetzt lachte der Idiot auch noch.
Ich schlug die Augen auf. Resi stand weinend in der Tür und hielt den Teil einer Schublade in der einen und einen blutrot gefärbten Waschlappen in der anderen Hand.
„Sobald es mir besser geht, ziehe ich aus, Resi.“
Sie nickte nur. Ich denke, sie war sich gar nicht bewusst, was sie und Margot da angerichtet hatten. So bitter nötig hatte ich Sex nicht und es war mir ernst damit. Sollte der Notstand so groß sein, würde ich mir in der Stadt einen Lover suchen. Aber das hatte ich noch nie nötig.
„Wird er wieder Doktor?“
„Sicher, Resi. Morgen ist er wieder auf dem Damm.“ Und zu mir gewandt: „Sie sind schon ein gewaltiger Idiot, Mann. Wenn mir jemand eine fesche, willige Braut ins Bett legt, nähme ich das Angebot an und tobte dann nicht rum.“
Nun ja, von der Warte aus gesehen, mochte es stimmen. Aber … ich kam mir trotzdem, ich weiß nicht, beschmutzt vor. So als hätte nur die Befriedung der sexuellen Lust Vorrang vor allem anderen.
„Für mich ist das nichts, Doc.“
„Scheinbar. Aber jetzt verbind ich mal Ihre Schnittwunden. Dann sehen wir weiter.“
Widerstandslos ließ ich mir die Arme verbinden. Resi stand noch immer in der Tür und schaute betreten zu Boden.
„Resi, so will ich das nicht. Ihr hättet mich fragen sollen. So nicht. Nicht so, hinter meinem Rücken einfach etwas abmachen.“
„Aber es hat dir doch gefallen.“
„Das hat doch damit nichts zu tun“, schrie ich, schob den Doc zur Seite und setzte mich auf, was ich sofort bereute. Aber ich blieb sitzen, trotz dem Schwindel, der aufsteigenden Übelkeit und der Schmerzen.
„Denkst du, es ist schön für mich, zu wissen, dass ihr mir einen Lover gekauft habt? Du und Margot. Leider kann ich Margot nicht mehr die Meinung sagen, so musst du sie dir eben anhören. – Verdammt noch mal, könnt ihr mich nicht so sein lassen wie ich bin. Lasst mich in Ruhe! Zum Teufel mit euch allen! Morgen bin ich weg!“
„Legen Sie sich hin und geben Sie Ruhe, sonst muss ich Ihnen noch was geben.“ Der Arzt hatte schon eine penetrante Art, mir auf die Nerven zu gehen. Aber ich legte mich wieder zurück und hielt brav ruhig. „So fertig, jetzt können Sie weitermachen“, sagte er, als er sein Werk beendet hatte. „In den nächsten Tagen dürfen Sie dann mal bei mir oder einem anderen Kollegen vorbeischauen und sich den Verband erneuern lassen.“
„Blablabla … hauen Sie ab, Doc. Am besten gleich.“
„Schon gut, Herr Müller, ich kann Sie ja verstehen.“ Als er meinen scharfen Blick bemerkte fügte er noch trocken hinzu: „Bin schon weg“. Er gab Resi noch die Hand, dann ging er.
„Nun zu dir Resi.“ Ich wurde allmählich müde. Hatte mir dieser verdammte Hurensohn von Arzt doch was zur Beruhigung gegeben? „Tu so etwas nie wieder, hörst du, nie wieder.“
Sie nickte und ging dann ebenfalls.
Was sollte das alles? Ich wollte doch nur wieder geliebt werden und keinen schnellen Fick. Das war es nicht wert. Das konnte ich schnell mal haben. Mit der nötigen Kohle war nichts unmöglich. Ich schleppte mich aus dem Bett und holte mir ein Bier. Ob mir der Doc was zur Beruhigung gegeben hatte oder nicht, war mir egal. Ich brauchte jetzt was zum Anhalten. Ein Bier und eine Zigarette und das alles im Bett. ‚Hoffentlich schlafe ich nicht ein, mit der brennenden Zigarette’, dachte ich beim ersten Zug.
„Lasst mich endlich in Ruhe“, schrie ich in die Nacht. Ich hatte mich ihm bedingungslos hingegeben, mich ausgeliefert, wenn man so sagen will. Ich hatte mich sogar ein bisschen in ihn verliebt und ich hatte den Eindruck, dass es ihm ähnlich erging.
Am nächsten Morgen packte ich meine wenigen Habseligkeiten. Als ich halbwegs fertig war, sah ich Leo in der Tür stehen.
© Herta 7/2009