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Schlaflos

nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Überarbeitet, verarbeitet ... und @Antaghar:
Ich glaub, ich konnte doch aus der ersten Geschichte noch was rausholen .... die anderen sind noch in Arbeit und bedürfen noch des Nachdenkens und Einfühlens und einiger Änderungen ... oder vieler?

Oh Mann, ich lass euch da an meiner Pein des Geschichtenbastelns teilhaben ... ich glaub ich hab an *vogel* weil ich mich da so reinknie. Aber egal ... solang es Spaß macht *smile*

@*****har: das Lautlesen bringts echt ... ich kann den Text schon fast auswendig (ist aber nur ein Nebenprodukt) man findet die Fehler fast sofort. Ich hoffe, ich habe keine überlesen ... nach, ich weiß gar nicht wie oft ich diesen Teil gelesen habe.

*heiserbin*Herta


*******************************************************

Schlaflos

Eigentlich hätte ich schlafen sollen. Ich schlief ohnehin zu wenig. Je mehr mich der Gedanke ans Einschlafen quälte, desto weniger gelang es mir. Ich wälzte mich von links nach rechts, drehte das Kissen um, dann die Decke. Draußen fuhren nur wenige Autos und in einiger Entfernung konnte ich den Nachtexpress vorbei rauschen hören. Normalerweise hatte diese Geräuschkulisse eine beruhigende, einschläfernde Wirkung auf mich.

Nicht so in jener Nacht. Immer wieder kehrten meine Gedanken an den vergangenen Abend zurück. Die Anfeindungen hatten mich tief erschüttert und bis ins Mark getroffen. Ich wollte es mir nur ungern eingestehen, aber ich hatte ein ungutes Gefühl.

Warum zum Teufel war ich nur zu diesem gottverdammten Vortrag dieser, dieser katholischen Frauenbewegung gegangen?

Die Frauen von diesem Verein hatten mich schon wochenlang bekniet, endlich wieder zu einem der Vorträge zu kommen. Ich war Bankangestellter, Stellvertreter des Bankdirektors noch dazu und die Leute erwarteten, dass ich mich ab und zu bei solchen Veranstaltungen blicken ließ. Also gab ich nach.

Der Pfarrgemeinderat, fast der gesamte Gemeinderat, einige Wichtigtuer und natürlich die Moralapostel der Gemeinde waren gekommen, um dem Vortrag über „Glaube und Sexualität“ zu lauschen. Die ganze Zeit, während der Pfarrer und ein anderer Referent redeten, fragte ich mich: Was hatte Glaube mit Sex zu tun? Warum dürfen nur Männer und Frauen was mit einander haben? Warum sollte man sich nur auf einen Partner beschränken und das ein Leben lang, auch wenn man sich erwiesenermaßen nicht mehr mochte und einander auf den Geist ging?

Mein Chef, der Angerer, war auch da. Er war die moralische Instanz in der Gemeinde, Chef des Pfarrgemeinderats und Gemeinderatsvorsitzender, auch hatte er ein Amt im Raiffeisenverband inne. Mir grauste davor, mit ihm auch privat sprechen zu müssen. Wir mochten uns nicht. Er hatte wohl einen anderen Nachfolger im Sinn, als ich ihm ins Team gesetzt wurde, was öfter zu Spannungen führte.

Ich wälzte mich unruhig in meinem Bett. Es war heiß.

Was mich so beunruhigte, war die moralische Entrüstung einiger Leute gewesen, als ich sagte, ich brauche für mein Heil weder Kirche noch Frau. Das hätte ich mir besser verkneifen sollen. Am liebsten hätte ich mich nachher selbst geohrfeigt.

„Flo, wie konntest du nur so blöd sein“, sagte ich und versuchte eine neue Schlafposition. Dann sprang ich aus dem Bett und ging ans Fenster, öffnete es und sog die kühle Nachtluft ein. Im Nachbarhaus war noch Licht. Jetzt ging es aus und ich wusste, dass der alte Spanner von vis-a-vis mich beobachtete. Ich war nackt, wie meistens, wenn ich allein daheim war. „Holst du dir jetzt einen runter, du alter Wichser“, sagte ich halblaut. Aber wer war ich, so über andere zu reden?

Wütend auf mich selber drehte ich mich um und ging in die Küche. Ein Bier würde vielleicht helfen. Durstig war ich ohnehin.

Während ich in die Küche ging dachte ich an die letzten Ereignisse.

Nach dem Vortrag gab es das unvermeidliche Buffet, das aus warmen Weißwein, angetrockneten Schinkenbrötchen und Salzgebäck bestand. Auf den Tabletts waren Weintrauben verteilt, so sollte es wohl etwas dekorativer aussehen. Der Pfarrer hatte den Wein aus seinem Vorrat spendiert. Messwein vom Geld der Steuerzahler, dache ich grimmig und schenkte mir ein Glas Mineralwasser ein. Ein Bier wäre mir lieber gewesen.

„Flori!“ Diese Stimme kannte ich nur zu gut. Ricke, meine Sekretärin! Sie versuchte immer mit mir zu flirten. Ich war nicht in der Stimmung für ihre albernen Spielchen. „Wie hat dir der Vortrag gefallen?“ Sie ließ mir keine Zeit für eine Antwort sondern fuhr ohne Pause einfach fort. „Einfach wunderbar, was für schöne Worte der Pfarrer doch für die Sache gefunden hat.“
„Wenn du meinst“, erwiderte ich „Denkst du, dass Sex was Schlechtes ist? Oder wenn zwei Männer miteinander …“, wagte ich zu fragen.
„Flori!“ Innerlich musste ich über ihre Entrüstung lachen. Aber sie kannte mich auch nur als nüchternen, zurückhaltenden Menschen. Was konnte ich anderes erwarten, wenn ich plötzlich so daherredete?
„Das dürfen nur Mann und Frau und auch nur, wenn sie verheiratet sind“, flüsterte sie und rauschte davon.
„Blöde Kuh“, murmelte ich.
Ich sah meinen Chef auf mich zusteuern. Ihm konnte ich wohl doch nicht entgehen. Von weitem rief er schon: „Herr Müller! Jetzt haben Sie die einzige annehmbare Dame hier verscheucht. Sie sollten sich die Gute warm halten. Frau Dirner ist vermögend und noch jung. Sie ist eine gute Partie.“
„Darauf kann ich verzichten.“ Ich wurde wütend. Warum kümmerte er sich so um mein Privatleben?
„Sie sollten sich endlich eine Frau suchen. Ein gut aussehender Mann wie Sie und in Ihrer Position braucht eine Frau.“ Herr Angerer kam vertraulich näher und sprach mit gesenkter Stimme weiter: „Ich habe Sie hier noch nie mit einer Frau gesehen. Sie sind doch nicht … ich will es gar nicht aussprechen.“
„Wenn Sie fragen wollen, ob ich schwul bin, fragen Sie ruhig. Würde es meine Leistung für die Bank mindern? Wo wäre der Unterschied?“ Ich versuchte meine Stimme ruhig zu halten.
„Was es für einen Unterschied machen würde!“ Der Angerer war jetzt in seinem Element, daran hatte ich nicht gedacht. „Einen gewaltigen. Sie Dummkopf. Homosexualität ist eine Krankheit, nein, nein eine, eine SÜNDE, ist das! Das ist nicht normal!“ Er bekam einen roten Kopf und mich beschlich die irre Hoffnung er würde einen Anfall oder so was erleiden, was er natürlich nicht tat. Hastig trank er von dem warmen Wein und fuhr ruhiger fort. „Sie suchen sich sofort eine nette kleine Frau, dann ist alles in Ordnung, haben wir uns verstanden?“
„Oja, Herr Angerer, ich verstehe sehr gut.“ Damit drehte ich mich um und verließ diesen Ort.

Wenn so eine Gemeinschaft von Gläubigen ist, die sich dem angeblichen Gott der Liebe verschworen haben, dann will ich damit nichts zu tun haben, dachte ich und trank mein Bier. Der Balkon lockte, dort fand ich auch meine Zigaretten. Gierig zündete ich mir eine an, trank mein Bier und gab mich meinem Selbstzweifel hin.
„Lasst mich endlich in Ruhe“, schrie ich in die Nacht.

„Schwule können wir hier nicht brauchen“, hatte der Angerer noch gerufen, das fiel mir jetzt wieder ein.
„Ich bin ein MENSCH, was macht das für einen Unterschied.“
„Sie können sich am Montag Ihre Papiere abholen. Jetzt weiß ich Bescheid. Sie sind keiner von uns“, die Stimme vom Angerer war schneidend, kalt wie Eis und hart wie Stahl.
Ich erwiderte nichts sondern lief weg.

„Ich bin ein Mensch! Lasst mich Mensch sein“, heulte ich in mein Bier, trank es in einem Zug aus, zündete mir eine weitere Zigarette an und überlegte mir, was jetzt zu tun sei.

„Warum bin ich nur hierher gekommen? Welcher Teufel hat mich da geritten? Ich hätte wissen müssen, dass es im Dorf härter ist, als in der Stadt.“ Das sagte ich mir immer wieder. Aber es half nichts. In der Stadt hatte mich nichts mehr gehalten. Jetzt sah ich auch den Grund wieder, warum ich dort wegwollte. ‚Nein, daran möchte ich nicht denken! Nicht jetzt’, versuchte ich die Erinnerung zu verscheuchen. Aber die Bilder waren zu lebendig. Ich war mit meinem Freund Greg noch auf ein Bier gegangen. Als wir die Bar verließen, sind wir leider mit ein paar Skins zusammengetroffen. Ich schrie Greg noch zu, dass er verschwinden sollte und landete meine Faust im Gesicht eines der Angreifer. Aber meine Chance waren gering. Eins zu fünf ist eine schlechte Quote bei einer Schlägerei. Beim ersten Tritt in die Kniekehle ging ich zu Boden und wurde dann so richtig vermöbelt. Ich glaube, sie hörten erst auf, auf mich einzudreschen, als ich bewusstlos am Boden lag. Jemand musste die Polizei gerufen haben, denn ich kam in einem Polizeiauto zu mir. Dort wartete ich auf die Rettung. Ich zeigte die Typen sofort an. Leider hörte ich auch von Greg nichts mehr.
Noch im Krankenstand bat ich meine Vorgesetzten um Versetzung in ein anderes Gebiet. Ich hatte Glück, dass hier die Stelle eines stellvertretenden Bankdirektors frei wurde. So kam ich hierher.

Ich sah das gerötete Gesicht vom Angerer lebhaft vor mir, der starre eiskalte Blick, die vor Entrüstung geschwollene Brust. Er hätte einen guten Inquisitor abgegeben. Wenn ich gesagt hätte, ich sei Satan persönlich hätte er nicht entsetzter sein können. Die Skins hatten einen ähnlichen Ausdruck, als sie mich verprügelten.

Ich trank mein Bier aus, holte eine neue Flasche und versuchte zu einer Entscheidung zu kommen. Ein Outing war nach diesem Abend nicht mehr nötig. Die Tatsache meiner Homosexualität würde sich bis zum Morgen im ganzen Ort herumgesprochen haben.

Ich saß die ganze Nacht auf dem Balkon und betrank mich sinnlos. Im Bierdunst kam ich zu der Überzeugung, dass abhauen gar keine so schlechte Lösung wäre.

© Herta 7/2009
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
Bist Du ...
... liebe Herta, damit einverstanden, wenn ich den Text mir rauskopiere und in aller Ruhe allein oder mit meiner geliebten Antagharin durchsehe, um dann die Vorschläge und Hinweise von mir hier zu posten? Es könnte aber ein paar Tage dauern ...

Toll, dassu mit dem lauten Lesen solch gute Erfahrungen machst. Es ist wirklich eine der besten Methoden, um sprachliche Stolperer und klare Fehler zu finden.

(Der Antaghar)
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
@Antaghar
damit bin ich sehr einverstanden, weil da sicher noch was schlummert, das ich wahrscheinlich immer wieder übersehen werde. Ich bin dir echt dankbar für jeden Hinweis, den du mir geben kannst.

Lass dir ruhig Zeit. Mir läuft nichts weg. Ich habe ja noch vor, die Geschichte etwas auszubauen. Wenn der nächste Teil für mich fertig ist, werde ich ihn wieder hier reinstellen.

Was mir am lauten Lesen das meiste bringt, ist das Aufspüren meiner Wortwiederholungen ... ein Leiden aus der Lyrik wahrscheinlich, das kommt bei Prosa nicht so gut und wirkt langweilig und einfallslos.

*danke* Herta
ohne antaghars freundlichem Angebot der Korrektur Konkurrenz machen zu wollen :-), fiel mir das auf:
Vortrag dieser, dieser katholischen Frauenbewegung gegangen?
- ist die Wiederholung Absicht? wenn ja, passt es nicht, dass Flo im Selbstgespräch nach Worten sucht

Ich habe Sie hier noch nie mit einer Frau gesehen
"hier" ist unpassend - er hat ihn noch NIE mit einer Frau gesehen

Der Angerer war jetzt in seinem Element, daran hatte ich nicht gedacht.
unlogisch - es ist sogar dem Leser klar, dass A. das ist

oder so was erleiden, was er natürlich nicht tat.
dass "er es nicht tut", ist klar - weglassen!

verließ diesen Ort.
"diesen Ort" ist zu theatral - ging weg, drehte mich um o.ä.

dachte ich und trank mein Bier.
zu oft kommt "mein Bier" im Folgenden

Dort wartete ich auf die Rettung.
du meinst "den Notarzt" oder den "Krankenwagen"?

dass abhauen gar keine so schlechte Lösung wäre.
Abhauen ist Substantiv in dem Fall - noch besser fände ich: dass ich Lust hätte, alles hinzuschmeißen und abzuhauen

bin auch schon ganz verfloht *lach*
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
@ tangocleo
Fast alles Punkte, die mir auch bereits beim Lesen zumindest mal aufgefallen sind ...

Mein Kompliment!

Dann kann ich mich ja wieder dezent zurückziehen und Dir die Arbeit überlassen - Du machst das hervorragend und sehr einfühlsam!

(Der Antaghar)
nönönö...so ham wer nich gewettet (haben wir eh nicht...lach) -
du findest auch noch andere Sachen, mein Lieber, da bin ich sicher!

und Hera will ja in den FlOlymp aufsteigen, da braucht sie jedes Steigeisen...
*g*
sonst müsst ich dir was von mir schicken, damit dir nie und nimmer langweilig wird und wir alle von dir lernen können!
schönen Sonnen-Samstag *g*
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
@ tangocleo
Auch darüber ließe sich mal reden, liebe Cleo ....

Doch langweilig ist es mir ohnehin nie - ich weiß eher oft nicht, wo mir der Kopf steht oder ob ich noch Männlein oder Weiblein bin.

Jedenfalls vielen Dank - Du hast mir einen guten Teil der Arbeit bereits abgenommen!

*g*

(Übrigens hab ich das Dir ans Herz gelegte Buch inzwischen fertig gelesen - es ist einfach der Hammer! Noch selten hat ein Buch in mir nahezu exakt die Stimmung hervorgerufen, in im Tango Argentino rüberkommt. Ich laufe gerade rum, als sei ich mitten in Buenos Aires ...)

Sei lieb gegrüsst und hab ebenfalls einen wundervollen Sonnentag (heut ist ja mal wieder ein ganz besonderer, was allerdings kaum jemand weiß, leider ...)

(Der Antaghar)
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Danke Leute, besonders Cleo *bussi*

Dann werde ich mich wieder an die Tastatur schmeissen und korrigieren.
Ich wusste doch, dass es was zu finden gibt *zwinker*

Liebe Grüße
Herta
was für ein Tag? klär mich bitte auf (obwohl ich ihn mit seiner Sonnenweichheit und dem Duft meines Apfelkompotts schon besonders empfinde)
am Sauter bin ich noch nicht dran - ackere den Briefwechsel Celan+ Bachmann gerade durch -, aber wenn es dich so schön in Stimmung bringt... *g*
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
@ tangocleo
Der Briefwechsel dürfte auch interessant sein - gute Lektüre! Und schön, liebe Cleo, wenn Du diesen Tag schon jetzt als so wunderbar empfindest - er ist wirklich etwas Besonderes:

Heute ist nämlich der Tag des Lugnasad (gesprochen: Luhnasat), das ist exakt in der Mitte zwischen der Sommersonnwende und der Herbst-Tag-und-Nacht-Gleiche.

Gefeiert wird der Beginn des August, des Monats der Erfüllung, der ersten Ernte des Jahres, der Manifestation von Überfluss.

Man nennt es auch die Hochzeit des Lichts (und wörtlich übersetzt bedeutet Lug-Na-Sad genau das).

Es ist der Tag mit der größten Energiefrequenz im Jahr, da wurden früher oft die Keltenschanzen eingeweiht und in Kraft gesetzt (Schanze bedeutet in diesem Fall: man katapultiert sich dort in höhere Energiefrequenzen, und diese Schanzen sind dafür geeignet, weil es besonders kraftvolle Orte sind - denn sie wurden an Lugnasad eingeweiht und die Druiden haben es geschafft, bei Gewittern sämtliche Blitze der Umgebung in diesem Ort zu bündeln ... alles sehr interessant, spannend und lehrreich, wenn man sich dafür interessiert).

Jedenfalls wurden an diesem Tag stets besonders saft- und kraftvolle Orgien zu Ehren von Mutter Erde und Frau Sonne gefeiert.

So, nun weißt Du Bescheid ... Und genieß die Sonne gleich doppelt und mit möglichst heißen Gedanken!

Der Antaghar (u. a. ausgebildeter Schamane bzw. Druide und hobbymäßig Kelten- bzw. Germanenforscher)
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Jetzt freu ich mich aber doppelt und dreifach, dass ihr meine Geschichte "auseinandernehmt" ... so lerne ich neben dem Schreiben auch noch was über die Kelten dazu *freu*

Toll! Den Tag merke ich mir und er passt hervorragend zu meiner Stimmung!

*knuddel* euch alle
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Jetzt hab ich doch ...
glatt selber noch was gefunden *lach*

Ich hoffe, die erneuten Änderungen lassen das Gesamtbild und den Leseeindruck runder erscheinen ... für weitere Fundstücke bin ich euch dankbar. *knuddel*

******************************


Schlaflos

Eigentlich hätte ich schlafen sollen. Ich schlief ohnehin zu wenig. Je mehr mich der Gedanke ans Einschlafen quälte, desto weniger gelang es mir. Ich wälzte mich von links nach rechts, drehte das Kissen um, dann die Decke. Draußen fuhren nur wenige Autos und in einiger Entfernung konnte ich den Nachtexpress vorbei rauschen hören. Normalerweise hatte diese Geräuschkulisse eine beruhigende, einschläfernde Wirkung auf mich.

Nicht so in jener Nacht. Immer wieder kehrten meine Gedanken an den vergangenen Abend zurück. Die Anfeindungen hatten mich tief erschüttert und bis ins Mark getroffen. Ich wollte es mir nicht gern eingestehen, aber ich hatte ein ungutes Gefühl bekommen.

Warum zum Teufel war ich nur zu diesem gottverdammten Vortrag dieser katholischen Frauenbewegung gegangen?

Sie hatten mich schon wochenlang bekniet, endlich wieder zu einer ihrer Veranstaltungen zu kommen. Ich war Stellvertreternder Bankdirektor, also die Nummer zwei in der hiesigen Bankhierarchie und die Leute erwarteten, dass ich mich ab und zu bei solchen Veranstaltungen blicken ließ. Also gab ich nach.

Der Pfarrgemeinderat, fast der gesamte Gemeinderat, einige Wichtigtuer und natürlich die Moralapostel der Gemeinde waren gekommen, um dem Vortrag über „Glaube und Sexualität“ zu lauschen. Die ganze Zeit, während der Pfarrer und ein anderer Referent redeten, fragte ich mich: Was hatte Glaube mit Sex zu tun? Warum dürfen nur Männer und Frauen was mit einander haben? Warum sollte man sich nur auf einen Partner beschränken und das ein Leben lang, auch wenn man sich erwiesenermaßen nicht mehr mochte und einander auf den Geist ging?

Mein Chef, der Angerer, war auch da. Er war die moralische Instanz der Gemeinde, Chef des Pfarrgemeinderats und Gemeinderatsvorsitzender, auch hatte er ein Amt im Raiffeisenverband inne. Mir grauste davor, mit ihm auch privat sprechen zu müssen. Wir mochten uns nicht. Er hatte wohl einen anderen Nachfolger im Sinn, als ich ihm ins Team gesetzt wurde, was natürlich zu Spannungen führte.

Ich wälzte mich unruhig in meinem Bett. Es war heiß.

Was mich so beunruhigte, war die moralische Entrüstung einiger Leute gewesen, als ich sagte, ich brauche für mein Heil weder Kirche noch Frau. Das hätte ich mir besser verkneifen sollen. Am liebsten hätte ich mich nachher selbst geohrfeigt.

„Flo, wie konntest du nur so blöd sein“, sagte ich und versuchte eine neue Schlafposition. Dann sprang ich aus dem Bett und ging ans Fenster, öffnete es und sog die kühle Nachtluft ein. Im Nachbarhaus war noch Licht. Jetzt ging es aus und ich wusste, dass der alte Spanner von vis-a-vis mich beobachtete. Ich war nackt, wie meistens, wenn ich allein daheim war. „Holst du dir jetzt einen runter, du alter Wichser“, sagte ich halblaut. Aber wer war ich, so über andere zu reden?

Wütend auf mich selber drehte ich mich um und ging in die Küche. Ein Bier würde vielleicht helfen. Durstig war ich ohnehin.

Während ich in die Küche ging dachte ich an die letzten Ereignisse.

Nach dem Vortrag gab es das unvermeidliche Buffet, das aus warmen Weißwein, angetrockneten Schinkenbrötchen und Salzgebäck bestand. Auf den Tabletts waren Weintrauben verteilt, so sollte es wohl etwas dekorativer aussehen. Der Pfarrer hatte den Wein aus seinem Vorrat spendiert. Messwein vom Geld der Steuerzahler, dache ich grimmig und schenkte mir ein Glas Mineralwasser ein. Ein Bier wäre mir lieber gewesen.

„Flori!“ Diese Stimme kannte ich nur zu gut. Ricke, meine Sekretärin! Sie versuchte immer mit mir zu flirten. Ich war nicht in der Stimmung für ihre albernen Spielchen. „Wie hat dir der Vortrag gefallen?“ Sie ließ mir keine Zeit für eine Antwort sondern fuhr ohne Pause einfach fort. „Einfach wunderbar, was für schöne Worte der Pfarrer doch für die Sache gefunden hat.“
„Wenn du meinst“, erwiderte ich „Denkst du, dass Sex was Schlechtes ist? Oder wenn zwei Männer miteinander …“, wagte ich zu fragen.
„Flori!“ Innerlich musste ich über ihre Entrüstung lachen. Aber sie kannte mich auch nur als nüchternen, zurückhaltenden Menschen. Was konnte ich anderes erwarten, wenn ich plötzlich so daherredete?
„Das dürfen nur Mann und Frau und auch nur, wenn sie verheiratet sind“, flüsterte sie und rauschte davon.
„Blöde Kuh“, murmelte ich.
Ich sah meinen Chef auf mich zusteuern. Ihm konnte ich nicht entgehen. Von weitem rief er schon: „Herr Müller! Jetzt haben Sie die einzig annehmbare Dame hier verscheucht. Sie sollten sich die Gute warm halten. Frau Dirner ist vermögend und noch jung. Sie ist eine gute Partie.“
„Danke, darauf kann ich verzichten.“ Ich wurde wütend. Warum kümmerte er sich so um mein Privatleben?
„Sie sollten sich endlich eine Frau suchen. Ein gut aussehender Mann wie Sie und in Ihrer Position braucht eine Frau.“ Mit gesenkter Stimme und in vertraulichem Ton redete er weiter. „Ich habe Sie noch nie mit einer Frau gesehen. Sie sind doch nicht … ich will es gar nicht aussprechen.“
„Wenn Sie fragen wollen, ob ich schwul bin, fragen Sie ruhig. Würde es meine Leistung für die Bank mindern? Wo wäre der Unterschied?“ Ich versuchte meine Stimme ruhig zu halten.
„Was es für einen Unterschied machen würde!“ Er war jetzt in seinem Element, daran hatte ich nicht gedacht. „Einen gewaltigen! Sie Dummkopf. Homosexualität ist eine Krankheit, nein, nein eine, eine SÜNDE, ist das! Das ist nicht normal!“ Er bekam einen roten Kopf und mich beschlich die irre Hoffnung er würde einen Anfall oder so was erleiden. Hastig trank er von dem warmen Wein und fuhr ruhiger fort. „Sie suchen sich sofort eine nette kleine Frau, dann ist alles in Ordnung, haben wir uns verstanden?“
„Oja, Herr Angerer, ich verstehe sehr gut.“
Mittlerweile waren wir der Mittelpunkt des Geschehens. Alle gafften zu uns rüber, als wollten sie ja nichts verpassen.

Wenn so eine Gemeinschaft von Gläubigen ist, die sich dem angeblichen Gott der Liebe verschworen haben, dann will ich damit nichts zu tun haben, dachte. Der Balkon lockte, dort fand ich auch meine Zigaretten. Gierig zündete ich mir eine an und gab mich meinen Selbstzweifeln hin.
„Lasst mich endlich in Ruhe“, schrie ich in die Nacht.

„Schwule können wir hier nicht brauchen“, hatte der Angerer noch gerufen, das fiel mir jetzt wieder ein.
„Ich bin ein MENSCH, was macht das für einen Unterschied.“
„Sie können sich am Montag Ihre Papiere abholen. Jetzt weiß ich Bescheid. Sie sind keiner von uns“, die Stimme vom Angerer war schneidend, kalt wie Eis und hart wie Stahl.
Ohne noch was zu sagen, ging ich.

„Ich bin ein Mensch! Lasst mich Mensch sein“, heulte ich in mein Bier, trank es in einem Zug aus, zündete mir eine weitere Zigarette an und überlegte, was jetzt zu tun sei.

„Warum bin ich nur hierher gekommen? Welcher Teufel hat mich da geritten? Ich hätte wissen müssen, dass es im Dorf härter ist, als in der Stadt.“ Das sagte ich mir immer wieder. In der Stadt hatte mich nichts mehr gehalten. Jetzt sah ich auch den Grund wieder, warum ich dort wegwollte. ‚Nein, daran möchte ich nicht denken! Nicht jetzt’, versuchte ich die Erinnerung zu verscheuchen. Aber die Bilder waren zu lebendig. Ich war mit meinem Freund Greg noch auf ein Bier gegangen. Als wir die Bar verließen, sind wir leider mit ein paar Skins zusammengetroffen. Ich schrie Greg zu, dass er verschwinden sollte und landete meine Faust im Gesicht eines der Angreifer. Aber meine Chance war gering. Eins zu fünf ist eine schlechte Quote bei einer Schlägerei. Beim ersten Tritt in die Kniekehle ging ich zu Boden und wurde dann so richtig vermöbelt. Ich glaube, sie hörten erst auf, als ich bewusstlos am Boden lag. Jemand musste die Polizei gerufen haben, denn ich kam in einem Polizeiauto zu mir. Dort wartete ich auf den Krankenwagen. Natürlich zeigte ich die Typen an, aber das brachte nicht wirklich was.
Noch im Krankenstand bat ich meine Vorgesetzten um Versetzung in ein anderes Gebiet. So kam ich hierher.

Ich sah das gerötete Gesicht vom Angerer lebhaft vor mir, der starre eiskalte Blick, die vor Entrüstung geschwollene Brust. Er hätte einen guten Inquisitor abgegeben. Wenn ich gesagt hätte, ich sei Satan persönlich hätte er nicht entsetzter sein können. Die Skins hatten einen ähnlichen Ausdruck, als sie mich verprügelten.

Ein Outing war nach diesem Abend nicht mehr nötig. Die Tatsache meiner Homosexualität würde sich bis zum Morgen im ganzen Ort herumgesprochen haben.

Ich saß die ganze Nacht auf dem Balkon und betrank mich sinnlos. Im Bierdunst kam ich zu der Überzeugung, dass ich gute Lust hätte, hier alles hinzuschmeissen und abzuhauen.

© Herta 7/2009
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Überarbeitet ... schlaflos gewesen ... "Sprachlos"
@*****har und Tangocleo:

Wenn ihr weiter mit mir arbeiten und mir helfen wollt ... hier meine überarbeitete Version von ... "Sprachlos"

Liebe Grüße
Herta

******************


Sprachlos

Die Sonne war bereits aufgegangen, als es an der Wohnungstür läutete. Mit den schlimmsten Vorahnungen öffnete ich und erstarrte. Ihn hatte ich nicht erwartet.

„Was willst du, Franz“, fragte ich mehr als unfreundlich. Er ließ sich davon nicht abschrecken sondern konterte einfach: „Rein und reden.“ Er drängte sich an mir vorbei und war schon halb in der Wohnung verschwunden als er sich umdrehte und in seiner direkten Art sagte: „Komm und mach die Tür zu, sonst halten sie dich noch für ein Exhibitionistenschwein und holen die Bullen.“
Ich schloss ab und folgte ihm leicht schwankend.
Franz wartete im Wohnzimmer. „So“, begann er, als wir uns gegenübersaßen. „Was sollte das gestern Abend? War das ein Scherz von dir, oder ….“
Ich konnte nicht antworten. Franz war mein bester Freund. In meinem Alter und mit meiner sexuellen Neigung war es nicht leicht männliche Freunde zu finden. Das wollte ich ihm sagen, aber ich brachte kein Wort heraus.
„Du bist ein Idiot“, sagte er nach einer Weile. „Willst du jetzt abhauen und alles, was du hier aufgebaut hast in den Sand setzen? Einfach so? Fingerschnipp und weg?“
Ich wollte und konnte nicht reden, konnte ihn nicht einmal ansehen.
„Du hättest das Durcheinander gestern noch erleben sollen. Ist noch eine coole Party geworden“, er lachte laut auf.
„Du bist wirklich ein Volltrottel“, unterbrach er die folgende Stille. „Zuerst verlierst du den Verstand und dann die Sprache.“

Ich dachte, wenn ich den Mund aufmache, würde ich zu heulen anfangen wie ein kleines Mädchen. Meine Vergangenheit war plötzlich gegenwärtig. Solche Anfeindungen hatte ich schon mehrfach erleben müssen und ich wusste aus bitterer Erfahrung, dass Worten meistens Taten folgen.

„Ich würde den Angerer nicht so davon kommen lassen. Er hat nicht das Recht dir deswegen zu kündigen.“ Franz wollte es scheinbar ausdiskutieren.
„Hast du verstanden? Er hat nicht das Recht dazu. Weißt du, was ich meine?“
Ich nickte.
„Gut. Ich bin dein Rechtsanwalt in dieser Sache und dein Freund. Verstanden?“
Ich konnte es kaum glauben, dass Franz zu mir hielt.
„Ich bin ein Idiot“, brachte ich nach einer mehr als langen Pause mühsam heraus. Was ich nicht sagte, war, dass ich ihn verdammt gern hatte. Nein, nicht gern, das wäre zu schwach gewesen.
Er sah mich ernst an. „Du bist zu empfindlich, Flo. Worte brechen keine Knochen.“
‚Aber die Seele’, dachte ich und sah Bilder, die ich nie wieder zu sehen hoffte.
Er stand auf, klopfte mir auf die Schulter und fuhr fröhlicher fort: „Und jetzt? Frühstück, Alter? Ich hatte noch nichts und mein Magen knurrt.“

Ich ging in die Küche und wollte Kaffee kochen. „Verdammte Scheiße noch mal“, brüllte ich und legte meinen ganzen Zorn auf die Welt in diese paar Worte. „Was ist los“, hörte ich Franz vom Balkon rufen. Er war zum Rauchen raus gegangen. „Filter sind alle!“
„Hast du noch eine alte Kaffeemaschine?“
„Ja, ich hab ein Modell Marke Geschenk von Mama vom Jahre Schnee. --- Magst du Tee?“
„Pfui Teufel, ich bin ja nicht krank!“
„Ich geh zu Margot rüber und frag, ob sie Filter hat.“ Ich war schon halb aus der Wohnung als mich Franz zurückrief: „Zieh dir was an.“ Er stand in der Balkontür und grinste breit. Ich war so daran gewöhnt zuhause nackt zu laufen, dass ich nicht darauf geachtet hatte.
Angezogen läutete ich bei Margot. Ich wusste, dass sie immer früh aufstand, auch an ihren freien Tagen, deshalb hatte ich kein schlechtes Gewissen.

Nach einigen Minuten öffnete sie und blickte mich halbwegs erstaunt an: „Flo?“
„Guten Morgen, Margot. Hast du vielleicht ein oder zwei Filtertüten für mich?“
„Sicher, du kannst auch bei mir Kaffee trinken, wenn du magst.“
„Nein danke, Franz ist da. Aber du kannst rüber kommen, dann weißt du auch, was gestern los war.“ Margot war nicht dort gewesen und ich nahm an, dass es sie interessieren würde. Sie hatte oft genug ihr Interesse an mir bekundet. Ich fand sie hübsch und mochte sie, aber eben nur als Freundin. Das hatte ich ihr mehr als einmal gesagt. Ihr trauriger Blick tat mir dann jedes Mal leid.
Jetzt sagte sie nur: „Eine Minute, lass die Tür offen, ich komm nach.“

Margot erschien mit einem Tablett voller Köstlichkeiten. Dann schaute sie uns an und meinte: „Ihr braucht mir den neuesten Klatsch gar nicht erzählen, den hab ich nämlich heute morgen schon beim Zeitungholen gehört. Frau Edlinger hat mir alles brühwarm erzählt. Stimmt es?“
„Was?“ brüllten Franz und ich gleichzeitig.
Margot nickte. „Auch, dass Franz bei dir ist, wusste ich von der Edlinger. Jawohl, ja.“ Margot grinste. „Franz, jetzt musst du stark sein, wenn dich die Edlinger vor der Tür des nackten Flo erwischt, was glaubst du, was die wohl denkt?“ Margot bog sich vor lachen, es klang fast hysterisch. Mir war nicht danach. Sollte ich jetzt noch meinen besten Freund da mit runter ziehen? Aber er lachte nur und tat es mit einer Handbewegung ab.

„Was soll das? Was ist so witzig? Ich mache mich hier zum Aussätzigen und ihr lacht darüber“, langsam wurde ich wütend.
„Flo“, Margot wischte sich die Tränen aus den Augen. „Ich ahnte doch, dass du schwul bist.“
„Macht es einen Unterschied für euch?“
„Für mich nicht, Alter“, Franz legte seine Hand kurz auf meine.

Margot schenkte allen Kaffee ein. Dann erzählte sie von ihrem Morgenspaziergang und wie sie die Edlinger getroffen hatte, die noch ganz im Bann der schockierenden Ereignisse des Vortages stand. Der Pfarrer würde es sicher in der Predigt erwähnen, welch gottloses Gesindel sich hier herumtrieb. Sie ahmte die Stimme der Edlinger so gut nach, dass ich sie direkt vor mir sah. Die alte Schachtel, in ihrem Hauskittel und mit Kopftuch, aber gegen die bekopftuchten Musliminnen wettern, die ihre neuen Nachbarn waren.

Wir tranken Kaffee und gingen dann auf den Balkon.

Ich hatte alles aufgeraucht, deshalb nahm ich eine von Franz Zigaretten. Sie waren stärker als meine Marke, aber das machte nichts. Margot saß auf dem einzigen Stuhl und schien ganz in Gedanken versunken. Franz und ich schwiegen ebenfalls. Er lehnte lässig am Geländer. Ich stand daneben, starrte ins Leere und empfand die Ruhe zunehmend als unangenehm. Margot blickte immer wieder zu mir rüber. Ihr Blick ließ sich nicht ergründen. Trauer? Wut? Liebe? Hass?

„Was soll ich jetzt wegen dem Angerer machen“, fragte ich in die sonderbare Stille hinein.
Margots Miene erhellte sich plötzlich, als würde ein Vorhang zur Seite geschoben.
„Der Angerer soll erst mal den Mist vor seiner eigenen Tür wegkehren.“ Jetzt war ich auch nicht klüger. Margot war so, sie warf einen Brocken hin und wartete auf die Reaktion, erst dann fuhr sie fort, wenn überhaupt.
Sie sah mich an. „Du kennst ja die Maier.“ Natürlich kannte ich sie, sie war die Sekretärin vom Angerer, deshalb nickte ich. „Weißt du, warum sie Sekretärin beim Angerer ist?“
Langsam dämmerte mir etwas.
„Dieser elende …“
„Genau“, sagte Franz und legte wieder seine Hand auf meine. Ich erstarrte. Seine Haut schien auf meiner zu brennen. ‚Behalt einen kühlen Kopf Flo’, redete ich mir zu und konzentrierte mich auf Margot, die mich scharf ansah.
„Dann hält er sich ein Liebchen und zuhause seine kleine brave Frau, wie er zu mir sagte. Damit krieg ich ihn und mit dem Diskriminierungsgesetz.“ Meine Stimme klang heiser.
Ohne zu überlegen umarmte ich Franz und küsste ihn auf den Mund. Als hätte ich mich verbrannt ließ ich von ihm und stürmte ins Bad, unter die Dusche mitsamt der Kleidung. Ich war über mich selbst erschrocken.

Nach einer Weile hörte ich die Tür zuschlagen und dachte, jetzt wären beide gegangen. Ich stellte die Dusche ab und begann die nassen Kleider auszuziehen, als ich eine Stimme hörte. Franz war noch hier.
„Flo, komm raus, wir müssen reden.“
Ich stellte mich taub.
„Florian Müller, komm jetzt da raus und benimm dich nicht wie eine alberne Zicke!“
Er klang ungeduldig. Mein Kopf fühlte sich leer an und mir war schlecht von der nächtlichen Sauferei, außerdem spürte ich endlich Müdigkeit aufkommen. Eine bleierne gleichgültige Müdigkeit, trotz der kalten Dusche.
„Ich bin keine Zicke“, sagte ich matt, als ich aus der Tür trat.
„Nein, aber nass. Zieh dir das Zeug aus und dann müssen wir mal wie zwei erwachsene Männer reden.“
Ich warf mir einen Bademantel über und ging ins Wohnzimmer, wo Franz wartete. Er hatte mir Kaffee nachgeschenkt. Ich trank ihn, aber die Mattheit ließ sich nicht mehr vertreiben. ‚Wenn ich Franz jetzt als Freund verliere, dann hält mich hier wirklich nichts mehr’, dachte ich.
„Flo, ich weiß ja nicht, was du von mir denkst und ob du mich so magst, wie ich dich.“ Franz schien sich irgendwie mit seiner Rede schwer zu tun. Aber ich war zu ausgelaugt, zu müde, um genau hinzuhören. Ich saß da und döste ein, eingelullt von seiner Stimme.
„Flo, verdammt, hörst du mir zu!“
„mhm“
„Verdammter Mistkerl. Ich sag dir gerade auf, was weiß ich wie viele Arten, dass ich mich in dich verliebt habe und du pennst einfach weg! Jetzt wach auf!“ Er gab mir einen ziemlich unsanften Rempler.
Ich fuhr hoch und sagte: „Wo zum Teufel ist Margot!“
„Heimgegangen. Mehr hast du nicht zu sagen?“
Ich schaute ihn benommen an.
„Hör zu, ich steh auf und gehe, wenn ….“
Franz hatte sich schon halb erhoben, als ich wirklich wach wurde.
„Was hast du gesagt?“
„Dass ich gehe …“
„Nein, nein, vorher.“
„Dass du ein Idiot bist.“
Franz setzte sich wieder und grinste.
„Nein, nicht das mit dem Idioten. Ich mag dich mehr, als ich dir sagen kann und das schon die ganze Zeit über.“

Wir saßen lange auf der Couch, und redeten. Ich weiß nicht warum, aber ich erzählte alles, was ich bisher an Schlimmen erlebt hatte, wie ich mir eine Existenz als erfolgreicher Banker aufgebaut hatte, um mich dahinter zu verstecken. Als ich aufhörte, nahm er mich in den Arm. Noch nie hatte mir etwas so gut getan.

Wir saßen einfach da, sprachlos, zeitlos.

Gegen Mittag verabschiedete er sich. „Flo, ich muss jetzt gehen und du schläfst dich besser gründlich aus. Vergiss nicht, ich bin dein Rechtsanwalt, wenn dir der Angerer quer kommt. Der kennt mich.“ Er lachte leise vor sich hin, als er zur Tür ging, dort sagte er noch mal: „Schlaf dich aus und ruf mich morgen an, wenn was ist.“
„Mach ich. Danke, Dr. Blum.“

Endlich konnte ich schlafen, das erste Mal seit langer Zeit ohne schlechte Träume oder selbstquälerische Gedanken.
Süße, schicke mir doch per CM eine privat Mailadresse, dann packe ich die Story in ein pages dokument, wo Änderungen nachvollziehbar sind und Kommentare möglich. Interpunktion ist auf jeden Fall ein Thema... *zwinker*
hab gerade ein bißchen Zeit und Lust drauf *g*
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
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Themenersteller 
Kommt sofort *bussi*
*****har Paar
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Mir bitte auch, das würde so manches vereinfachen ...

Danke!

(Der Antaghar)
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
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Themenersteller 
schon unterwegs ... huch, ihr seids aber rasch
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
@Antaghar ...
vielleicht hat dir tangocleo etwas an Arbeit erspart ... mal sehen, was du dazu meinst:

Es können aber gerne auch andere ihre Meinung abgeben *zwinker*


***********************

Schlaflos

Eigentlich hätte ich schlafen sollen. Ich schlief ohnehin zu wenig. Je mehr mich der Gedanke ans Einschlafen quälte, desto weniger gelang es mir. Ich wälzte mich von links nach rechts, drehte das Kissen um, dann die Decke. Draußen fuhren nur wenige Autos, in einiger Entfernung konnte ich den Nachtexpress vorbei rauschen hören. Normalerweise hatte diese Geräuschkulisse eine beruhigende, einschläfernde Wirkung auf mich. Nicht so in dieser Nacht. Immer wieder kehrten meine Gedanken an den vergangenen Abend zurück. Die Anfeindungen hatten mich tief erschüttert und bis ins Mark getroffen. Ich wollte es mir nicht gern eingestehen, aber ich hatte ein ungutes Gefühl bekommen.

‚Warum zum Teufel bin ich nur zu diesem gottverdammten Vortrag der katholischen Frauenbewegung gegangen?’ Meine Gedanken drehten sich im Kreis und hinterließen ein flaues Gefühl im Magen.

Die Vereinsvorsitzende hatte mich schon wochenlang bekniet, endlich wieder zu einer ihrer Veranstaltungen zu kommen. Ich war stellvertretender Bankdirektor und die Leute erwarteten, dass ich mich ab und zu bei solchen gesellschaftlichen Ereignissen blicken ließ. Also gab ich ihrem Drängen nach.

Der Pfarrgemeinderat, fast der gesamte Gemeinderat, einige Wichtigtuer und natürlich die Moralapostel der Gemeinde waren gekommen, um dem Vortrag über „Glaube und Sexualität“ zu lauschen. Die ganze Zeit, während der Pfarrer und ein anderer Referent redeten, fragte ich mich: ‚Was hat Glaube mit Sex zu tun? Warum dürfen nur Männer und Frauen was mit einander haben? Warum sollte man sich nur auf einen Partner beschränken und das ein Leben lang, auch wenn man sich erwiesenermaßen nicht mehr mochte und einander auf den Geist ging?’

Mein Chef, der Angerer, war auch da. Er war die moralische Instanz der Gemeinde, Chef des Pfarrgemeinderats und Gemeinderatsvorsitzender, auch hatte er ein Amt im Raiffeisenverband inne. Mir grauste davor, mit ihm auch privat sprechen zu müssen. Wir mochten uns nicht. Er hatte wohl einen anderen Stellvertreter im Sinn, als ich ihm ins Team gesetzt wurde, das führte natürlich zu Spannungen.

Ich wälzte mich unruhig in meinem Bett. Mir wurde ganz heiß vor Wut, Angst und Scham.
Was mich so verunsicherte, war die moralische Entrüstung einiger Leute gewesen, als ich sagte, ich brauche für mein Heil weder Kirche noch Frau. Das hätte ich mir besser verkneifen sollen. Am liebsten hätte ich mich nachher selbst geohrfeigt. Am Schlimmsten war aber die nachfolgende Auseinandersetzung mit meinem Chef gewesen. In hilfloser Wut schmiss ich ein Kissen gegen die Wand.

„Wie konntest du nur so blöd sein“, warf ich mir selber vor und versuchte eine neue Schlafposition. Dann sprang ich aus dem Bett und ging ans Fenster, öffnete es ganz und sog die kühle Nachtluft ein. Im Nachbarhaus war noch Licht. Jetzt ging es aus und ich wusste, dass der alte Spanner von vis-a-vis mich beobachtete. Ich war nackt, wie meistens, wenn ich allein daheim war. „Holst du dir jetzt einen runter, du alter Wichser“, sagte ich halblaut, vor unterdrücktem Zorn bebend. Aber wer war ich, so über andere zu reden?

Wütend auf mich selber drehte ich mich um und ging in die Küche. Ein Bier würde vielleicht helfen. Durstig war ich ohnehin. Während ich in die Küche ging dachte ich an die letzten Ereignisse.

Nach dem Vortrag gab es das unvermeidliche Buffet, das aus warmen Weißwein, angetrockneten Schinkenbrötchen und Salzgebäck bestand. Auf den Tabletts waren Weintrauben verteilt, so sollte es wohl etwas dekorativer aussehen. Der Pfarrer hatte den Wein aus seinem Vorrat spendiert. ‚Messwein vom Geld der Steuerzahler’, dachte ich grimmig und schenkte mir ein Glas Mineralwasser ein.

„Flori!“ Diese Stimme kannte ich nur zu gut. Ricke, meine Sekretärin! Sie versuchte immer mit mir zu flirten. Ich war nicht in der Stimmung für ihre albernen Spielchen. „Wie hat dir der Vortrag gefallen?“ Sie ließ mir keine Zeit zu antworten, sondern fuhr ohne Pause fort. „Einfach wunderbar, was für schöne Worte der Pfarrer doch für die Sache gefunden hat.“
„Wenn du meinst“, erwiderte ich „Denkst du, dass Sex was Schlechtes ist? Oder wenn zwei Männer miteinander …?“
„Flori“, rief sie entrüstet. Sie kannte mich nur als nüchternen, zurückhaltenden Menschen. Was konnte ich erwarten, wenn ich plötzlich so redete?
„Das dürfen nur Mann und Frau und auch nur, wenn sie verheiratet sind“, flüsterte sie und rauschte davon.
„Blöde Kuh“, murmelte ich.
Ich sah meinen Chef auf mich zukommen. Von weitem rief er schon: „Herr Müller! Jetzt haben Sie die einzig annehmbare Dame hier verscheucht. Sie sollten sich die Gute warm halten. Frau Dirner ist vermögend und noch jung. Sie ist eine gute Partie.“
„Danke, darauf kann ich verzichten.“ Was ging ihn mein Privatleben an?
„Sie müssen sich endlich eine Frau suchen. Ein gut aussehender Mann wie Sie und in Ihrer Position braucht eine Frau.“ Mit gesenkter Stimme und vertraulicherem Ton redete er weiter. „Ich habe Sie noch nie mit einer Frau gesehen. Sie sind doch nicht … ich will es gar nicht aussprechen.“
„Wenn Sie fragen wollen, ob ich schwul bin, fragen Sie ruhig. Würde es meine Leistung für die Bank mindern? Würde es einen Unterschied machen?“ Ich versuchte meine Stimme ruhig zu halten, mich nicht angreifbar zu machen. Aber es war zu spät.
„Was es für einen Unterschied machen würde!“ Er war jetzt in seinem Element, daran hatte ich nicht gedacht. „Einen gewaltigen! Sie Dummkopf! Homosexualität ist eine Krankheit, nein, nein eine, eine Sünde, ist das! Das ist nicht normal! Sagen Sie bloß nicht, dass Sie so ein Perverser sind!“ Er bekam einen roten Kopf und mich beschlich die irre Hoffnung er würde einen Anfall oder so was erleiden. Hastig trank er von dem warmen Wein. Ich konnte den Hass, der aus seiner Stimme sprach, nicht fassen und starrte ihn verblüfft an. Als ich nichts er entgegnete, sagte er im Befehlston: „Sie suchen sich sofort eine nette kleine Frau, dann ist alles in Ordnung, haben wir uns verstanden?“
„Oja, Herr Angerer, ich verstehe sehr gut“, rang ich heraus und kämpfte gegen den Impuls, ihm ins Gesicht zu schlagen. Mittlerweile waren wir der Mittelpunkt des Geschehens. Alle gafften zu uns rüber, als wollten sie ja nichts verpassen.

‚Wenn so eine Gemeinschaft von Gläubigen ist, die sich dem angeblichen Gott der Liebe verschworen haben, dann will ich damit nichts zu tun haben’, dachte ich zuhause. Der Balkon lockte, dort fand ich auch meine Zigaretten. Gierig zündete ich mir eine an und gab mich meinen Selbstzweifeln hin.
„Lasst mich endlich in Ruhe“, schrie ich in die Nacht.

„Schwule können wir hier nicht brauchen“, hatte der Angerer noch gerufen, das fiel mir jetzt wieder ein.
„Ich bin ein Mensch, was macht das für einen Unterschied?“
„Sie können sich am Montag Ihre Papiere abholen. Jetzt weiß ich Bescheid. Sie sind keiner von uns. Ich will Sie hier nie wieder sehen, Sie …“, die Stimme vom Angerer war schneidend, kalt wie Eis und hart wie Stahl.
Ohne noch etwas dazu zu sagen, ging ich.

„Ich bin ein Mensch“, heulte ich in mein Bier, trank es in einem Zug aus, zündete mir eine weitere Zigarette an und überlegte, wie es weitergehen sollte.

„Warum bin ich nur hierher gekommen? Welcher Teufel hat mich da geritten? Ich hätte wissen müssen, dass es im Dorf härter ist, als in der Stadt.“ Das sagte ich mir immer wieder. In der Stadt hatte mich nichts mehr gehalten. Ich erinnerte mich daran, als wäre es gestern gewesen. ‚Nein, nicht jetzt’, versuchte ich die Bilder zu verdrängen, aber sie waren zu lebendig, zu mächtig.
Ich war mit meinem Freund Greg auf ein Bier gegangen. Als wir die Bar verließen, waren wir leider mit ein paar Skins zusammengetroffen. Ich schrie Greg zu, dass er verschwinden sollte und landete meine Faust im Gesicht eines der Angreifer. Aber meine Chance war gering. Eins zu fünf ist eine schlechte Quote bei einer Schlägerei. Beim ersten Tritt in die Kniekehle ging ich zu Boden und wurde dann so richtig vermöbelt. Ich glaube, sie hörten erst auf, als ich bewusstlos am Boden lag. Jemand musste die Polizei gerufen haben, denn ich kam in einem Polizeiauto zu mir. Dort wartete ich auf den Krankenwagen. Natürlich zeigte ich die Typen an, aber das brachte nicht viel.
Noch im Krankenstand bat ich meine Vorgesetzten um Versetzung in ein anderes Gebiet. So kam ich hierher.

Wieder sah ich das gerötete Gesicht vom Angerer lebhaft vor mir: der starre, eiskalte Blick, die vor Entrüstung geschwollene Brust. Er hätte einen guten Inquisitor abgegeben. Wenn ich gesagt hätte, ich sei Satan persönlich, hätte er nicht entsetzter sein können. Die Skins hatten einen ähnlichen Ausdruck, als sie mich verprügelten.

Ein Outing war nach diesem Abend nicht mehr nötig. Die Tatsache meiner Homosexualität würde sich bis zum Morgen im ganzen Ort herumgesprochen haben.

Ich verbrachte den Rest der Nacht auf dem Balkon und betrank mich sinnlos. Im Bierdunst kam ich zu der Überzeugung, dass ich gute Lust hätte, hier alles hinzuschmeißen und abzuhauen.

*********************************************************

Sprachlos

Die Sonne war bereits aufgegangen, als es an der Wohnungstür läutete. Mit den schlimmsten Vorahnungen öffnete ich und erstarrte. Ihn hatte ich nicht erwartet.

„Was willst du, Franz“, fragte ich mehr als unfreundlich. Er ließ sich davon nicht abschrecken, sondern sagte einfach: „Rein und reden.“ Er drängte sich an mir vorbei und war schon halb in der Wohnung verschwunden, als er sich umdrehte und in seiner direkten Art sagte: „Komm und mach die Tür zu, sonst halten sie dich noch für ein Exhibitionistenschwein und holen die Bullen.“
Ich schloss ab und folgte ihm leicht schwankend.
Franz wartete im Wohnzimmer. „So“, begann er, als wir uns gegenübersaßen. „Was sollte das gestern Abend? War das ein Scherz von dir, oder …?“
Ich konnte nicht antworten. Franz war mein bester Freund. In meinem Alter und mit meiner sexuellen Neigung war es nicht leicht männliche Freunde zu finden. Das wollte ich ihm sagen, aber ich brachte kein Wort heraus.
„Du bist ein Idiot“, sagte er nach einer Weile. „Willst du jetzt abhauen und alles, was du hier aufgebaut hast, in den Sand setzen? Einfach so? Fingerschnipp und weg?“
Ich wollte und konnte nicht reden, konnte ihn nicht einmal ansehen.
„Du hättest das Durcheinander gestern erleben sollen. Ist noch eine coole Party geworden“, er lachte laut auf.
„Du bist wirklich ein Volltrottel“, unterbrach er die folgende Stille. „Zuerst verlierst du den Verstand und dann die Sprache.“

Ich dachte, wenn ich den Mund aufmachte, würde ich zu heulen anfangen wie ein kleines Mädchen. Meine Vergangenheit war plötzlich gegenwärtig. Anfeindungen, wie sie mein Chef gestern vorgebracht hatte, hatte ich schon mehrfach erleben müssen und ich wusste aus bitterer Erfahrung, dass Worten meistens Taten folgen.

„Ich würde den Angerer nicht so davon kommen lassen. Er hat nicht das Recht dir deswegen zu kündigen.“ Franz ließ sich durch mein Schweigen nicht beirren.
„Ist dir klar, dass er nicht das Recht dazu hat?“
Ich nickte.
„Gut. Ich bin dein Rechtsanwalt in dieser Sache und dein Freund. In Ordnung?“
Ich konnte es kaum glauben, dass Franz zu mir halten wollte.
„Ich bin ein Idiot“, brachte ich nach einer mehr als langen Pause mühsam heraus. Was ich nicht sagte, war, dass ich ihn verdammt gern hatte. Gern haben, war noch ein zu schwacher Ausdruck für das, was ich für ihn empfand.

Er sah mich ernst an. „Du bist zu empfindlich, Flo. Worte brechen keine Knochen.“
‚Aber die Seele’, dachte ich und erinnerte mich an Bilder, die ich nie wieder zu sehen hoffte.
Er stand auf, klopfte mir auf die Schulter und fuhr fröhlicher fort: „Und jetzt? Frühstück, Alter? Ich hatte noch nichts und mein Magen knurrt.“

Ich ging in die Küche um Kaffee zu kochen. „Verdammte Scheiße“, brüllte ich und legte meinen ganzen Zorn auf die Welt in diesen Fluch. „Was ist los“, hörte ich Franz vom Balkon rufen. Er war zum Rauchen raus gegangen. „Filter sind alle!“
„Hast du noch eine alte Kaffeemaschine?“
„Ja, ich hab ein Modell Marke ‚Geschenk von Mama vom Jahre Schnee’. --- Magst du Tee?“
„Pfui Teufel, ich bin ja nicht krank!“
„Ich geh zu Margot rüber und frag, ob sie Filter hat.“ Ich war schon halb aus der Wohnung als mich Franz zurückrief: „Zieh dir was an!“ Er stand in der Balkontür und grinste breit. Ich war so daran gewöhnt zuhause nackt zu laufen, dass ich nicht darauf geachtet hatte.
Angezogen läutete ich bei Margot. Ich wusste, dass sie immer früh aufstand, auch an ihren freien Tagen, deshalb hatte ich kein schlechtes Gewissen.

Nach einigen Minuten öffnete sie und blickte mich halbwegs erstaunt an: „Flo?“
„Guten Morgen, Margot. Hast du vielleicht ein oder zwei Filtertüten für mich?“
„Sicher, du kannst auch bei mir Kaffee trinken, wenn du magst.“
„Nein danke, Franz ist da. Aber du kannst rüber kommen, dann hörst du gleich, was gestern los war.“ Margot war nicht bei dem Vortrag gewesen und ich fand, dass sie es besser jetzt von mir hörte. Sie hatte oft genug ihre Sympathie für mich bekundet. Ich ahnte, dass es für sie mehr war, und hatte deshalb bei verschiedenen Gelegenheiten betont, dass ich sie mochte und hübsch fand, dass es aber nicht mehr als Freundschaft sein könne. Ihr trauriger Blick tat mir dann jedes Mal leid.
Jetzt sagte sie nur: „Gib mir eine Minute, lass die Tür offen, ich komm nach.“

Margot erschien mit einem Tablett voller Köstlichkeiten. Dann schaute sie uns an und meinte: „Ihr braucht mir den neuesten Klatsch gar nicht erzählen, den hab ich nämlich heute morgen schon beim Zeitung holen gehört. Frau Edlinger hat mir alles brühwarm erzählt. Stimmt es?“ Ich brauchte nichts zu sagen, sie las die Antwort ohnehin von meinem Gesicht ab.
„Auch, dass Franz schon bei dir ist, wusste ich von der Edlinger. Die wird jetzt über euch klatschen, da könnt ihr sicher sein.“ Sie fing zu lachen an, es klang fast hysterisch. Sollte ich jetzt noch meinen besten Freund da mit hinunter ziehen? Aber er lachte nur und tat es mit einer Handbewegung ab. Ich fand das nicht zum Lachen.

„Was ist so witzig? Ich mache mich hier zum Aussätzigen, und ihr lacht darüber“, langsam wurde ich wütend.
„Flo“, Margot wischte sich die Tränen aus den Augen. „Ich ahnte doch schon länger, dass du schwul bist.“
„Ändert das etwas an unserer Freundschaft?“
„Für mich nicht, Alter“, Franz legte seine Hand kurz auf meine.
Margot schüttelte den Kopf.

Sie schenkte allen Kaffee ein. Dann erzählte sie von ihrem Morgenspaziergang und wie sie die Edlinger getroffen hatte, die noch ganz im Bann der schockierenden Ereignisse des Vortages stand. Der Pfarrer würde es sicher in der Predigt erwähnen, welch gottloses Gesindel sich hier herumtrieb. Sie ahmte die Stimme der Edlinger so gut nach, dass ich sie leibhaftig vor mir sah: Die alte Schachtel in ihrem schlabberigen Hauskittel und dem ewigen Kopftuch, die so eifrig gegen die bekopftuchten Musliminnen wetterte, die in ihre Nachbarschaft gezogen waren.

Wir tranken den Kaffee aus und gingen auf den Balkon.

Ich hatte alles aufgeraucht, deshalb nahm ich eine von Franz Zigaretten. Sie waren stärker als meine Marke, aber das machte nichts. Margot saß auf dem einzigen Stuhl und schien ganz in Gedanken versunken. Franz und ich schwiegen ebenfalls. Er lehnte lässig am Geländer, wie immer wirkte er seiner selbst ganz sicher. Ich stand daneben, starrte ins Leere und empfand die Ruhe zunehmend als unangenehm. Margot blickte immer wieder zu mir. Ihr Blick war sonderbar und ließ sich nicht ergründen. Trauer? Wut? Liebe? Hass? Ich konnte es nicht erraten, wollte es auch nicht. Dafür war ich viel zu verwirrt. Franz rauchte stumm und blickte mich an. Das verwirrte mich noch mehr. Ich wollte ihn so gerne berühren, wagte es aber nicht aus Angst, ihn zu vertreiben. Die Stille zerrte allmählich an meinen Nerven. Ich war wegen dem Angerer schon genug verunsichert und jetzt noch Margots eigenartiger Blick und die fast körperlich spürbare Nähe zu Franz.

„Was soll ich jetzt wegen dem Angerer machen“, fragte ich in die sonderbare Stille hinein.
Margots Miene erhellte sich plötzlich, als würde ein Vorhang zur Seite geschoben.
„Der Angerer soll erst mal den Mist vor seiner eigenen Tür wegkehren“, sagte sie.
„Was meinst du damit?“
Sie sah mich an. „Du kennst ja die Maier.“ Natürlich kannte ich sie, das war die Sekretärin vom Angerer.
„Ratet mal, warum sie Sekretärin beim Angerer ist?“
Langsam dämmerte mir etwas.
„Dieser elende …“
„Genau“, sagte Franz und legte wieder seine Hand auf meine. Ich erstarrte. Seine Haut schien auf meiner zu brennen. ‚Behalt einen kühlen Kopf, Flo’, redete ich mir zu und konzentrierte mich auf Margot, die mich scharf ansah.
„Da hält er sich ein Liebchen im Büro und zuhause wartet seine brave Frau. Ich denke, damit und mit dem Diskriminierungsgesetz kannst du ihn kriegen“, sagte Franz und lachte leise vor sich hin. Ich schaute ihm in die Augen. Ohne zu überlegen umarmte ich ihn und küsste ihn auf den Mund. Als hätte ich mich verbrannt, ließ ich von ihm und stürmte ins Bad, unter die Dusche mitsamt der Kleidung. In mir herrschten Panik und Scham. Ich wollte die Freundschaft mit Franz nicht derartig aufs Spiel setzen und doch hatte ich es in einem unüberlegten Moment getan. ‚Wie konnte ich nur’, dachte ich und die Schuld brannte sich tief in mich. Mit den Fäusten trommelte ich gegen die Wand, bis sie schmerzten. Aber so ließen sich weder Schuld noch Scham vertreiben. ‚Was soll jetzt werden’, dachte ich verzweifelt. Ich hatte Angst, meinen besten Freund verloren zu haben. Der Gedanke, dass ich auch Margot verletzt haben könnte, kam mir überhaupt nicht. Ich konnte nichts mehr denken. Dieses Gefühlschaos hatte mich vollständig lahmgelegt. Liebe und Scham wechselten sich ab mit Angst und Selbsthass. Alles drehte sich, bildete Wirbel und versank wieder. Nichts schien mehr klar zu sein, alles war verworren. Ich dachte, die ganze Welt hätte sich heute gegen mich verschworen.

Nach einer Weile hörte ich die Tür zuschlagen und dachte, jetzt wären beide gegangen. Ich stellte die Dusche ab und begann die nassen Kleider auszuziehen, als ich eine Stimme hörte. Franz war geblieben.
„Flo, komm raus, wir müssen reden.“
Ich war wie gelähmt. Wie konnte ich Franz je wieder ins Gesicht sehen?
„Florian Müller, komm jetzt da raus und benimm dich nicht wie eine alberne Zicke!“
Er klang ungeduldig. Mein Kopf fühlte sich leer an und mir war schlecht von der nächtlichen Sauferei, außerdem spürte ich bleierne Müdigkeit aufkommen. Eine umfassende, gleichgültige Müdigkeit, trotz der kalten Dusche.
„Ich bin keine Zicke“, sagte ich matt, als ich aus der Tür trat.
„Nein, aber nass. Zieh dir was an und dann müssen wir mal wie zwei erwachsene Männer reden.“
Ich warf mir einen Bademantel über und ging ins Wohnzimmer, wo Franz wartete. Er hatte mir Kaffee nachgeschenkt. Ich trank ihn, aber die Mattheit ließ sich nicht mehr vertreiben. ‚Wenn ich Franz jetzt als Freund verliere, dann hält mich hier wirklich nichts mehr’, war alles, was ich denken konnte.
„Flo, ich weiß ja nicht, was du von mir denkst, und ob du mich so magst, wie ich dich.“ Franz schien sich jetzt auch mit seiner Rede schwer zu tun. Während er nach Worten suchte, döste ich einfach weg.
„Flo, verdammt, hörst du mir zu!“
„mhm“
„Verdammter Mistkerl! Ich sag dir gerade auf, was weiß ich wie viele Arten, dass ich mich in dich verliebt habe und du pennst einfach weg! Jetzt wach auf!“
Ich schaute ihn benommen an.
„Hör zu, ich steh auf und gehe, wenn ….“
Franz hatte sich schon halb erhoben, als ich wirklich wach wurde.
„Was hast du gesagt?“
„Dass ich gehe …“
„Nein, nein, vorher.“
„Dass du ein Idiot bist.“
Franz setzte sich wieder und schaute mich erwartungsvoll an.
„Nein, nicht das mit dem Idioten. Du hast etwas von „verliebt“ gesagt. Auch ich mag dich mehr, als ich dir sagen kann, und das schon eine lange Zeit.“

Wir saßen dicht bei einander auf der Couch und redeten. Ich weiß nicht warum, aber ich erzählte alles, was ich bisher an Schlimmen erlebt hatte, wie ich mir eine Existenz als erfolgreicher Banker aufgebaut hatte, um mich dahinter zu verstecken. Als ich aufhörte, nahm er mich in den Arm. Noch nie hatte mir etwas so gut getan.

Danach saßen wir einfach da, sprachlos, zeitlos.

„Mein Lieber, du bist so müde, dass du gleich einschläfst“, beendete Franz die Stille.
„Möchtest du gehen?“
„Nein, aber wenn ich bleibe, kommst du vielleicht nicht mehr zum Schlafen.“ Er lachte leise und strich mir dabei durchs Haar. Dann küsste er mich, zuerst zaghaft, er wurde aber immer fordernder.
„Mit dem Schlafen könntest du recht haben“, sagte ich, als er mich freigab. Dann musste ich gähnen.
„Siehst du, du bist zu müde.“ Wieder lachte er leise. Er begleitete mich ins Schlafzimmer und steckte mich ins Bett, so als hätte er Sorge, dass ich es alleine nicht schaffen würde.
„Ruf mich an, wenn du mich brauchst. Ich bin zwar morgen einmal eine Stunde im Gericht, aber für dich bin ich immer erreichbar.“
„Danke, mein Lieber.“ Und dann sagte ich etwas, das ich noch nie zu jemanden gesagt hatte: „Ich liebe dich.“
„Ich liebe dich auch, Flo.“ Es lag soviel Wärme in seiner Stimme, dass ich ihn nur dankbar anschauen konnte.

Endlich konnte ich schlafen, das erste Mal seit langer Zeit, ohne schlechte Träume oder selbstquälerische Gedanken. Ich wusste, ich war nicht mehr allein.

© 8/2009
*****har Paar
41.020 Beiträge
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Ich bin noch am Ball - es wird aber 'ne Weile dauern, liebe Herta!

Einstweilen arbeitest Du ja bereits prima weiter ...

(Der Antaghar)
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
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Themenersteller 
3. Schwerelos ... überarbeitet
Schwerelos

So verkatert war ich schon lange nicht mehr. Mir brummte der Schädel, was kein Wunder war, hatte ich doch drei Viertel meines Biervorrats geleert. Eine kalte Dusche, reichlich Mineralwasser und Kaffee richteten mich wieder auf.

Heute war so ein Tag, wo man plötzlich das Gefühl hat, Bäume ausreißen zu können. Ich fühlte mich allem gewachsen.

Ich rasierte mich sorgfältiger als gewöhnlich und kleidete mich in einen meiner Maßanzüge. Alles saß perfekt. Wenn ich auch sonst meistens leger gekleidet in der Arbeit erschien, wollte ich heute meinem Chef als absoluter Top-Banker gegenübertreten. Die Konzernführung hatte mich nicht umsonst für diesen Posten vorgesehen. Ich wusste, was ich leisten konnte.
Trotzdem hatte ich ein mulmiges Gefühl, als ich die Bank betrat. Keiner der Angestellten beachtete mich, als ich in mein Büro ging. Ricke war noch nicht da. Auf meinem Schreibtisch fand ich eine Notiz mit dem Inhalt, dass sie sich krank gemeldet hatte. Wieso überraschte mich das nicht?
Herr Angerer ließ mich holen. Kaum hatte ich sein Büro betreten, ging es schon los: „Ihre Papiere sind fertig! Hier nehmen Sie und dann verschwinden Sie! Ich will Sie nie wieder hier sehen, Sie …“ Er hielt mir die Schriftstücke vor die Nase, aber ich ignorierte sie. Er stand hinter seinem Schreibtisch, und funkelte mich an, als wäre ich ein erbitterter Feind, den es zu vernichten galt.
Ich ging auf seinen harschen Ton ein und baute mich ebenso bedrohlich vor dem Schreibtisch auf.
„Ich werde das nicht nehmen! Wegen meiner privaten Vorlieben können Sie mich nicht feuern und schon gar nicht fristlos! Das wissen Sie ganz genau!“
„Und ob ich das kann! Ich bin im Vorstand und da sagen Sie mir nicht, was ich kann und was nicht. Sie gehen jetzt auf der Stelle oder …?“
Ich beugte mich über den Schreibtisch, stützte die Hände darauf und schrie beinahe: „Oder was? Wollen Sie mich verhaften lassen? Ich habe niemanden etwas getan und eines sage ich Ihnen, sollten Sie auf der Kündigung bestehen, gibt es Mittel und Wege, diese anzufechten! Und glauben Sie mir, eine Klage würde ich gewinnen! Das Anti-Diskriminierungsgesetz von 2006 schützt mich. Wollen Sie es darauf ankommen lassen?! Oder soll ich jetzt in ihrer schmutzigen Wäsche wühlen? Ich betrüge nicht!“
Er setzte sich wieder und drehte einen Kugelschreiber zwischen den Fingern. Angewidert musterte er mich. Er schien zu ahnen, dass ich etwas von seiner heimlichen Liaison mit der Sekretärin wusste. Ich richtete mich wieder auf und wartete.
„Ich hoffe, das ist jetzt geklärt“, sagte ich, als vom Angerer keine Reaktion kam und wollte wieder an meine Arbeit gehen.
„Nichts ist geklärt! Sie ...! Ich muss Sie ja nicht fristlos entlassen. In vier Wochen will ich, dass Sie hier raus sind, aus der Bank und dem Ort! Für diese Zeit werden Sie sich Urlaub nehmen!“
„Wie Sie meinen. Aber ich hatte gestern noch eine interessante Unterhaltung mit meinem Anwalt. Sie kennen Doktor Blum?“
Mein Chef schaute mich an. War es Furcht, die ich in seinen Augen sah? Kaum merklich nickte er. Franz war einer der besten Rechtsanwälte die ich kannte. Er war ab und zu in den Medien präsent, jedes Mal, wenn es um Arbeits- und Sozialrecht ging, das war sein Spezialgebiet. Er hatte seit einer Ewigkeit keinen Fall mehr verloren, das sagte er zumindest.
Als mein Chef nichts dazu sagte, fuhr ich fort: „Doktor Blum meint, wenn Sie auf der Kündigung bestehen, werden wir Klage gegen Sie einreichen und diese auch gewinnen und anschließend wird es eine Schadenersatzforderung geben. Die genaue Höhe rechnet Doktor Blum gerade aus.“ Er schaute mich weiterhin verächtlich an, als ginge ihn ein Gerichtsverfahren nichts an. Dann spielte ich meinen letzten Trumpf aus. Das war mir erst heute Morgen beim Rasieren eingefallen. Ich hatte Unregelmäßigkeiten bei manchen Geschäften entdeckt.
„Natürlich müsste ich im Falle eines Prozesses auch über so manche Geschäftsgebarung auspacken, ich unterliege ja nicht der Schweigepflicht.“ Das kam einer Erpressung schon sehr nahe.
Alle Farbe wich aus seinem Gesicht und er sank tiefer in den Stuhl.
„Was ist jetzt mit der Kündigung? Bleibe ich oder muss ich Sie verklagen“, drang ich weiter in ihn. Ich wollte ihm keine Ruhe gönnen. Er sollte sehen, dass er so mit mir nicht umgehen konnte.
„Beate, komm rein“, sagte er schließlich. Sie trat ein und ich sah ihr an, dass sie gelauscht hatte.
„Vorläufig bleibt Herr Müller bei uns.“ Er übergab ihr die Schriftstücke und schien sich wieder gefangen zu haben.
„Wenn wir schon dabei sind, möchte ich in Zukunft mit meinem Titel angeredet werden, also Magister Müller.“ Ich wollte keine Antwort mehr abwarten und ging zur Tür.
„Ob Sie mein Nachfolger werden, steht noch nicht fest“, er spie die Worte förmlich aus.
„Das lassen wir andere entscheiden. Ich denke aber nicht, dass Sie so schnell Ersatz finden werden, noch dazu, wo Sie in einem Jahr ohnehin in Rente gehen. Der Vorstandsvorsitzende, Doktor Raab, wird dazu auch noch einiges zu sagen haben. Sie kennen meinen Mentor von den Sitzungen?“ Noch nie hatte ich meine Beziehungen spielen lassen, aber der Angerer forderte es geradezu heraus.
Das saß. Ich war zwar nicht unersetzbar, das ist niemand, aber Ersatz finden, der sich in den verworrenen Bilanzen dieser Bank auskannte, war nicht so einfach. Die Konzernleitung hatte mich nicht von ungefähr für diese Position empfohlen.
„Ich denke, wir sind uns einig, dass ich bleibe“, sagte ich schlicht und schloss die Tür von außen. Mein Herz klopfte wie wild aber Jubel fühlte ich keinen. Das nächste Jahr würde hart werden. Es würden viele Auseinandersetzungen mit dem Angerer folgen. Das war mir klar. Aber ich würde mir nicht mehr die Butter vom Brot nehmen lassen. Ich musste das nicht allein durchstehen, ich hatte Franz, der mir zur Seite stand.

‚Ja, die Liebe macht dich stark’, dachte ich, als ich mich an meinen Schreibtisch setzte und eine Mail an Doktor Raab schrieb.

Den ganzen Tag war ich versucht Franz anzurufen, aber ich hielt mich zurück. Erst als ich nach Feierabend zuhause angekommen war und mit einer Tasse Kaffe auf dem Balkon saß, griff ich zum Telefon. ‚Ich brauche mal einen zweiten Stuhl und einen Tisch’, dachte ich, während ich Franz Nummer suchte. Abgesehen von meinen Reisen und den teuren Maßanzügen, führte ich ein sehr spartanisches Leben. Ich umgab mich zuhause nur mit dem Notwendigsten.
„Es tut gut dich zu hören“, sagte ich, als sich Franz meldete.
„Wie geht’s dir und wie war dein Tag? Hast du ihm die Hölle heiß gemacht?“ Er lachte leise.
„Dank dir geht es mir so gut, wie nie zuvor.“
„Weißt du was? Ich mach heute früher Schluss, und komm dann gleich zu dir. Dann können wir in aller Ruhe reden oder so was.“
„Das freut mich. Aber hetz dich nicht wegen mir. Ich lauf dir schon nicht weg.“
Er lachte nur. „Das wär ja noch schöner, wenn du mir jetzt weglaufen würdest, wo wir uns endlich gefunden haben. Nein, ich bin in einer halben Stunde da. Ciao.“ Damit beendete er das Telefonat. Ich freute mich riesig, dass Franz so früh schon kommen wollte. Vor mich hinträumend saß ich da, ließ mir die Abendsonne ins Gesicht scheinen und wartete.

Als er endlich in meiner Wohnung stand, wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Es war auch nicht nötig. Wir umarmten uns zur Begrüßung, dann fragte Franz auch schon, wie es mir mit dem Angerer ergangen war. Dicht an dicht standen wir am Balkon und ich berichtete von meinem Vormittag.

„Siehst du Flo, so einfach kann es manchmal sein. Aber pass auf, dass du das mit den sonderbaren Geschäften auf die Reihe kriegst, sonst hast du den ganzen Ärger am Hals“, meinte Franz, als ich geendet hatte.
„Ich bin gerade dabei, das in Ordnung zu bringen. Ansonsten bin ich ein Feigling, ich war weder im Schalterraum, noch im Dorf.““
„Irgendwann wirst du dich den Leuten stellen müssen, mein Lieber. Und besser früher als später. Sie mögen dich und glaub mir, den meisten ist es egal, was du bist oder mit wem du deine Nächte verbringst, und der Rest zählt nicht.“
„Wenn du meinst.“
„Das meine ich, und jetzt lass uns reingehen.“

Eng aneinander geschmiegt, saßen wir im Wohnzimmer. Für mich war das ein schönes und zugleich ungewohntes Gefühl, wieder jemanden in der Nähe zu haben. Jemanden, den ich angreifen konnte, der fassbar war. Keine Fantasie. Realität. Das sagte ich ihm.
„Ja Flo, vier Jahre ohne Liebe ist eine verdammt lange Zeit.“ Dann küsste er mich.

Ich weiß nicht mehr genau, aber irgendwann sind wir im Bett gelandet. Franz war ein ausgesprochen sensibler feinfühliger Liebhaber, das hätte ich ihm nicht zugetraut. Er sah so kräftig und kantig aus und wirkte wegen seiner Bemerkungen oft sogar grob, aber das eine hat wohl mit dem anderen wenig zu tun.

Durch meine zahlreichen schlechten Erfahrungen war ich äußerst gehemmt, was die körperliche Liebe anging. Es war auch schon so verdammt lange her, dass ich plötzlich Angst bekam, zu versagen. Franz merkte das und hörte auf, mich zu streicheln und zu küssen. Er sah mir tief in die Augen und sagte: „Vertrau mir Flo. Ich werde dir nicht wehtun, genieß einfach den Augenblick. Lass dich fallen, dann ergibt sich alles von alleine.“
Durch seine liebevolle, zärtliche, einfühlsame Art gab es bald keinen Grund mehr für irgendeine Angst und wir liebten uns den ganzen Abend und die halbe Nacht. Ich hatte das Gefühl davon zu schweben, schwerelos zu sein. So hatte ich es noch nie erlebt. Immer kurz und bündig … rein raus, blasen, fertig oder umgekehrt. Aber Franz zeigte mir Wege der Lust, die ich bis dato nicht kannte.

Als wir dann müde und ausgelaugt nebeneinander lagen sagte ich: „Danke Franz, ich wusste nicht, dass es auch so sein kann.“
Ich konnte ihn kaum sehen, so dunkel war es geworden. Aber ich spürte ihn neben mir, wie er seine Position veränderte und mir das Gesicht zuwandte. „Ich auch nicht“, sagte er heiser. Es tat gut, einfach nur neben ihm zu liegen, zu wissen, dass er da war.
‚Was kann sich ein Mensch mehr wünschen’, dachte ich und streichelte seine kräftige Brust. Ich spürte eine Fröhlichkeit in mir aufsteigen, die ich seit einer Ewigkeit nicht mehr gekannt hatte und jetzt war es an mir, leise zu lachen.
„Warum lachst du“, murmelte Franz schläfrig.
„Weil ich mich freue, dass du da bist, dass wir so geilen Sex hatten … einfach, dass wir, wir sind.“
Franz begann auch zu lachen. „Das sind gute Gründe. Der mit dem geilen Sex gefällt mir am besten. Aber jetzt lass mich ein Weilchen schlafen, du hast mich ganz ausgepowert.“
Bald hörte ich Franz gleichmäßige Atemzüge, darüber schlief auch ich ein.


Ich hoffte, dass jetzt das Glück eine Weile anhielt. Von Dauer konnte es nicht sein, soviel war klar. Glück ist nie von Dauer, aber eine Weile würde es anhalten und ich würde es genießen.

© Herta 8/2009


Ich hoffe, dass ich diesmal nicht ganz soviele Satzzeichenfehler gemacht habe *lach*
Danke für eure Hilfe!

*bussi* Herta
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
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Themenersteller 
@Antaghar ... "Kraftlos"
Ich habe jetzt den 4. Teil überarbeitet ... wenn du Zeit und Lust hast, würde ich mich über eine Korrektur von dir freuen.

Ich denke, ich habe jetzt einiges besser heraus arbeiten können (hoffentlich *g* )

*herz*liche Grüße
Herta


Kraftlos


Panik! Nichts als Panik fühlte ich, als ich die Augen aufschlug und mich nicht bewegen konnte. Ich wollte um Hilfe rufen, aber sie hatten mir etwas in den Mund gesteckt, sodass ich nur ein leises Röcheln herausbrachte. Neben mir piepte ein Gerät und ein anderes machte pumpende Geräusche. Das Piepen änderte seinen Rhythmus. Ich hörte Schritte und dann nichts mehr.

Als ich das nächste Mal erwachte, war mein Denken klarer. Ich erkannte, dass ich in einem Krankenhaus war, auf einer Intensivstation. Jemand entfernte den Schlauch aus meiner Luftröhre und sprach beruhigende Worte. Ich würgte und hustete, als das Ding endlich weg war, dann sog ich tief die Luft ein. Das hätte ich nicht machen sollen, in mir brannte alles.
Meine Mutter stand am Bett und hielt meine Hand. An ihrer Seite erkannte ich Margot. Ich sah alles so verschwommen. In meinem Kopf drehte sich alles, deshalb schloss ich die Augen wieder.
„Franz?“ krächzte ich.
„Nicht reden“, sagte Mutter. „und nicht denken. Bitte.“ Ihre Augen standen voll Tränen.
‚Was ist passiert? Warum bin ich hier? Wo ist Franz?’, dachte ich und versuchte mich zu erinnern.
„Ich werde dir später alles erklären. Jetzt denk zuerst einmal an dich“, versuchte mich Margot zu beruhigen.
Aber ich wollte mich nicht beruhigen. Dieses Drumherumgerede war beängstigend.
„Wie lange“, versuchte ich es noch mal. Ich konnte nicht weiter sprechen, weil mir der Kehlkopf wehtat.
„Zehn Tage“, antwortete Margot.
„Oh Gott“, stöhnte ich. Zehn Tage war ich weg gewesen! Halbtot!
„Du wirst wieder gesund, mein Junge“, Mutter strich mir liebevoll durchs Haar. Das hatte sie nur einmal bisher gemacht, als ich nach einer Blinddarmoperation so lange nicht wach wurde, damals war ich zehn Jahre alt. Sie musste sich Sorgen gemacht haben.
„Franz“, ich öffnete die Augen wieder und suchte mit meinem Blick den Raum ab.
Mutter schüttelte bedauernd den Kopf und Margot blickte zu Boden. Ich wusste Bescheid. Franz war tot! Niemals wieder würde ich diesen wunderbaren Menschen sehen, ihn berühren, ihn küssen können. Niemals wieder mit ihm Scherzen, Lachen oder Todtraurigsein. Mir kamen die Tränen und es war mir gleich. Ich hatte ihn so geliebt!

„Wie?“
„Später. Werde erst einmal gesund, dann erkläre ich dir alles“, sagte Margot.
„Nein, jetzt.“ Meine Stimme war nicht mehr als ein Hauch. Ich sah, dass Margot mit sich rang. Eine Krankenschwester kam an mein Bett, fummelte an den Geräten herum und erklärte strikt: „Besuchszeit ist zu Ende. Sie können morgen wieder kommen.“
„Bitte“, flehte ich die Schwester an, sie sollte sie hier lassen. Ich hatte Fragen. Ich wollte wissen was passiert war. Ich musste es wissen! Wie war Franz gestorben und warum lag ich hier?

Die Schwester schüttelte entschieden den Kopf und spritzte irgendetwas in die Infusionsflasche.
„Haben Sie Durst, Herr Müller.“ Ihr Ton war sachlich und uninteressiert. Ich nickte. Sie brachte mir einen Schnabelbecher und hielt ihn an meinen Mund. Es war Saft. Er schmeckte nicht, löschte aber den Durst.
„Ich mache jetzt Ihr Bett, Herr Müller. Es könnte wehtun, wenn ich Sie drehe. Keine Angst, Pfleger Poldi kommt gleich und hilft mir dabei.“ Noch immer gleichgültig.
Ihn kannte ich zwar auch nicht, aber mit der wollte ich nicht Alleinsein. Ich traute ihr zu, dass sie mich aus dem Bett plumpsen ließ.
Als der Pfleger dann endlich dazu kam, machten Sie mein Bett und drehten mich auf die andere Seite. Ich dachte, vor Schmerzen verrückt zu werden. Mein ganzer Körper brannte und pochte wie eine einzige Wunde.
Nach dieser Tortur schlief ich gnädigerweise wieder ein.

Zwei weitere Wochen später kam ich auf eine Normalstation. Dort gab es keine fixen Besuchszeiten mehr und ich konnte Margot endlich fragen, was denn passiert war und warum die Polizei mehrmals nach mir gefragt hatte. Sie würden bald zu einem Verhör kommen.

„Was ist passiert Margot? Was weißt du?“, versuchte ich sie zum Reden zu bringen. Margot hatte mich von der Physiotherapie abgeholt und brachte mich wieder auf die Station.
„Flo, jemand hat euch beide über den Haufen gefahren. Du hast Glück, dass du noch lebst. Für Franz kam leider jede Hilfe zu spät.“ Sie hatte Tränen in den Augen.
„Herbert und ich haben euch nach gewunken, als ihr von der Party aufgebrochen seid. Da geschah das Unglück. Zwei Autos fuhren auf euch zu. Franz hat dich zur Seite gestoßen, aber ein Wagen hat dich trotzdem erwischt und ins Feld geschleudert. Du bist einfach liegen geblieben.“ Sie stockte und schluckte heftig. „Herbert hat sofort die Rettung und die Polizei angerufen. Aber die Täter haben sie nicht gefunden.“

Margot brachte mich wieder ins Zimmer zurück und ich wartete auf die Menschen von der Kripo, die sich bereits angekündigt hatten.

Zwei Beamte in zivil kamen am Nachmittag. Sie befragten mich, bis ich mich unbehaglich fühlte. Ich wusste doch nichts! Meine Erinnerung hörte auf, als ich mit Franz die Straße ins Dorf hoch ging. Dann nichts mehr. Aus. Filmriss. Ende.
Auf meine Fragen antworteten sie ausweichend, aber sie notierten alles, was ich von mir gab. Nach einer nervenaufreibenden Stunde gingen sie wieder und ließen mich leer und ausgebrannt zurück.

Einen Monat später wurde ich als geheilt entlassen. Alle sichtbaren Wunden waren verheilt, ich konnte wieder einigermaßen gehen und die Psychologin hatte keinen Dauerschaden an meiner Psyche festgestellt. Was wusste die schon von mir?
Die Wunden würden weiterbluten, mein ganzes Leben lang.

Ich kehrte in meine Wohnung zurück und fühlte mich einsam. Einsamer noch als vor sechs Jahren, als ich hierher zog. In dieses nette kleine Dorf.

Es hatte sich eine Menge Post angesammelt. Hauptsächlich Kondolenzbriefe und Gratulationsschreiben zu meiner Bestellung als Direktor der örtlichen Bank. Darauf konnte ich jetzt verzichten. Was hätte Franz getan?
‚Nicht einmal bei seiner Beerdigung war ich’, quälte ich mich selber.
Stunde um Stunde saß ich da und grübelte, während ich ein Foto von uns beiden anschaute. Ich versank in Trauer. Heulte nächtelang und begann zu trinken. Ich ließ mich gehen, war nicht mehr der Mann, der ich noch vor gut acht Wochen war. Dieser Unfall hatte mein Leben verändert und Franz getötet.
„Warum bist du tot! Komm zu mir zurück!“, schrie ich nachts meine Trauer heraus. Nichts anderes interessierte mich, nur mein Kummer war real.

Aber ich musste wieder zur Arbeit. Zuerst kam es mich hart an, frühmorgens aufzustehen und einen geregelten Tagesrhythmus zu haben. Das Büro und die Arbeit vom Angerer hatte ich schon vor Monaten übernommen. Ich denke, ich war ein guter Chef, zumindest vor dem Unfall.

Frau Klamm, meine neue Assistentin, brachte mir etwa eine Woche, nachdem ich wieder zu arbeiten begonnen hatte, ein persönlich an mich adressierten Paket.
„Herr Magister, das ist eben für Sie abgegeben worden.“
„Danke Frau Klamm.“ Als sie nicht ging, fragte ich: „Ist sonst noch was?“
„Ich wollte nur sagen, dass wir alle froh sind, dass es Ihnen wieder besser geht. Das Team hat sich Sorgen um Sie gemacht.“
Ich war gerührt.
„Danke Frau Klamm“, ich lächelte sie an, riss das Paket auf und schmiss es angewidert zu Boden.
„Herr Müller?“, frage sie besorgt.
„Es ist nichts, Frau Klamm“, presste ich hervor und scheuchte sie aus dem Büro.
Ich bekam nun fast täglich solche Pakete zugestellt. Entweder zu mir nachhause oder ins Büro. Schrecklich! Einmal war eine tote Ratte drinnen, mit der Notiz ich solle mich dahin scheren, wo man mich haben wolle.

Ich hatte der Polizei diese makabren Lieferungen gemeldet. Sie konnten nur wenig brauchbare Spuren finden und würden sich melden, wenn sich was ergäbe. Der übliche Blabla eben.

Ich ließ der Polizei ihr Werk machen, und begann mich mehr und mehr von der Gesellschaft abzusondern. Mein Lebensreich beschränkte sich bald nur mehr auf das Büro und auf meine Wohnung. Ich ließ auch niemanden mehr zu mir heran. Nach Monaten der Quälerei ging ich nicht mal mehr ins Büro. Ich verbrauchte meinen Urlaub, ausstehende Zeitguthaben und ließ mich dann krankschreiben. So vegetierte ich in meiner Trauer und versank dabei mehr und mehr in Selbstmitleid und Angst. Jedes ungewohnte Geräusch versetzte mich nahezu in Panik. Diese makabren Pakete bekam ich immer noch und einmal hatte jemand meine Wohnungstür mit irgendeinem ekligen stinkenden Zeug beschmiert. Ich hatte das Gefühl paranoid zu werden.

Ich konnte nicht essen und nicht schlafen. Dafür trank ich umso mehr. Ich dachte, keiner würde meinen Schmerz und meine Angst verstehen und sperrte alle Menschen aus meinem Leben. Alleinsein war alles was ich wollte und trotzdem nicht aushalten konnte. Jeden Montag wartete ich auf Frau Müllner, die Besitzerin des einzigen Ladens hier im Dorf. Sie brachte mir Vorräte und versuchte immer wieder, mich zu überreden, sie hinein zu lassen. Aber ich sperrte mich gegen ihre lieb gemeinten Versuche. Am Anfang brachte sie immer viele Fleischgerichte mit, die ich unbedingt probieren sollte. Nach und nach verstand sie aber, dass ich kein Fleisch aß und machte Gemüsekreationen für mich. Jeden Montag gab es mittags eine warme Mahlzeit. Sie sorgte dafür, dass ich nicht vollends vor die Hunde ging.


„Herr Müller! Florian“, rief sie an einem Montag, es war ein gutes Jahr nach dem Unfall. „Machen Sie doch auf. Sperren Sie sich doch nicht weg! Nehmen Sie wieder am Leben teil.“ Ich kniete vor der verschlossenen Tür und begann zu weinen, wie ein Kind.
„Ich habe heute extra für Sie was Leckeres gebacken. Machen Sie auf, Florian. Ich bleibe hier stehen, bis sie mir aufmachen!“
Zögernd stand ich auf. Ich stank nach Bier und Zigaretten, nach Schweiß, nach Schuld und Scham. Meine Wohnung war der reinste Müllhaufen und wahrscheinlich roch es genauso. Ich konnte es nicht sagen, ich hauste darin.
Frau Müllner schien sich nicht daran zu stören. Mit einem Elan, den ich der alten Frau nicht zugetraut hätte, betrat sie die Wohnung und schnüffelte.
„Du meine Güte, mein Lieber, da müssen wir aber mal ordentlich lüften!“

Dann machte sie sich ans Werk und begann die Wohnung wieder in Ordnung zu bringen. Von jetzt an kam sie täglich bei mir vorbei, um nach dem Rechten zu sehen. Ich ließ sie gewähren, weil sie mich sonst in Ruhe ließ. Sie sprach nicht viel, nur das Nötigste. Auch verbot sie mir den Schnaps. Anfangs dachte ich, ich müsste krepieren. Jeder, der schon mal einen Entzug durchgemacht hat, weiß, wie das ist. Ohne Frau Müllner, hätte ich es nicht geschafft. Sie war einfach da und sagte: „Nein, es gibt nichts. Aber ich halte Ihre Hand.“
Ich hätte sie erschlagen können, sie treten, vor die Tür setzen, weil sie mir keinen Schnaps brachte. Sie hielt meinen Wutanfällen stand, wie eine alte Eiche stand sie in meiner Wohnung und ließ sich beschimpfen und mit Essensresten bewerfen. Wenn ich zitternd und schweißgebadet in einer Ecke kauerte und delirierte, hielt sie mich, bis es aufhörte. Sie war der Fels in meiner Brandung. An ihr konnte ich zerschellen und als neue Welle wieder hervorkommen. Sie war mein Leuchtturm, der mir den Weg wies. Ihr Leuchtfeuer brachte mich ins Leben zurück.

„Wie habe ich Sie nur verdient, Frau Müllner. Ich kann Ihnen nicht mal einen Cent für Ihre Mühe bezahlen“, sagte ich, als ich den Entzug endlich hinter mir hatte.
„Ganz einfach, mein Lieber. Gehen Sie wieder unter die Menschen, igeln sie sich nicht hier ein. Seien Sie wieder einer von uns. Außerdem haben Sie mir damals bei meiner Buchhaltung und der Steuererklärung so geholfen. Ich bekam ja eine hohe Rückzahlung wegen der falsch berechneten Steuer, das wissen Sie ja. Ich glaube, hier im Ort ist keiner, der Ihnen nicht irgendwie etwas schuldet. Aber vorher Florian, gehen Sie mal duschen und schneiden sich diesen furchtbaren Bart ab! Und noch was, nennen Sie mich Resi.“ Dabei zwinkerte sie mir zu und schob mich Richtung Bad. „Da hinein und weg mit dem ganzen Dreck.“

Ich fügte mich der Gewalt der Älteren und schlurfte ins Bad. Da stand ich nun und erschrak über mein Spiegelbild: leere grüne Augen, die aus knochigen Höhlen starrten, ein ungepflegter Vollbart, und vorstehende Wangenknochen. Ich nahm eine Schere und fing an am Bart herum zu schnipseln. Aber die Schere war mir zu schwer, ich musste aufgeben.

Im Flur hörte ich Resi reden, sie schien zu telefonieren. Es drangen nur einzelne Wortfetzen an mein Ohr. Ich hörte „dünn wie ein abgemagerter Frosch“, „hässlich wie ein alter Rübezahl“, „am besten gleich“, „bis dann“. Dann herrschte wieder Ruhe.

Ich stieg in die Dusche und ließ das Wasser laufen. Eigentlich ein gutes Gefühl, aber ich hatte nicht die Kraft, mich zu waschen. Erst die lange Zeit im Krankenhaus, die Trauer um Franz und dann der Entzug, hatten mich total entkräftet.
‚Was hast du nur aus dir gemacht? Du bist ein elender Säufer, der sich in Selbstmitleid ergeht, sonst nichts’, warf ich mir selber vor, während ich das Wasser einfach über mich laufen ließ. Ich sank auf den Boden und drückte mich ganz fest in eine Ecke der Duschkabine und heulte vor Scham.
„Franz ich hab dich enttäuscht. Du dachtest, ich wäre stärker, aber ich bin nichts, ohne dich“, jammerte ich den Fliesen vor und ließ meinen Tränen freien Lauf. Ich dachte, ich würde die Trauer um meinen geliebten Freund nie verwinden. Sie war da, Tag für Tag und wurde nicht schwächer.

Ich war blind für die Umwelt, deshalb bemerkte ich sie erst, als sie sagte: „Etwas Seife wäre nicht schlecht und dann eine Rasur?“
„Margot“, ich war erstaunt und erschüttert zugleich. Ich wollte nicht, dass sie mich so sah und ich schämte mich gleich noch mehr. Aber sie bückte sich nur zu mir herab, und begann mich mit Seife und Schwamm zu bearbeiten. Dabei wurde auch sie völlig nass.
„Mach dir darüber keine Sorgen“, meinte sie, als ich sie besorgt anblickte.
„Jetzt bist du an der Reihe. Ich habe dich zu lange vernachlässigt und deinem Schicksal überlassen.“
Ich ließ die Seifenkur über mich ergehen, auch das Trockenreiben. Danach massierte sie noch eine Lotion in meine Haut ein und ich fühlte mich langsam wieder wie ein Mensch.
„Was wolltest du dir eigentlich damit beweisen?“
„Nichts, gar nichts.“
„Eine Depression hast du, das ist alles. Dagegen kann man doch was tun.“
„Ach ja“, ich wollte nicht mit ihr streiten, dazu fehlte mir eindeutig die Energie. Aber Margot hatte schon immer so eine Art, mich zu reizen.
„Und was tut Frau Doktor dagegen?“
„Tu, was ich dir sage.“
„Du bist nicht meine Mutter“, erwiderte ich scharf.
„Nein, aber du brauchst jemanden der sich um dich kümmert. Du hast jetzt Zeit genug gehabt, dich gehen zu lassen. Jetzt ist Schluss damit. Hörst du! Schluss!“
Ich konnte nicht mehr, wieder kamen mir die Tränen.
„Heulsuse“, meinte Margot, aber sie sagte es diesmal liebevoller. Nachdem ich einen uralten Pyjama anhatte, ich weiß nicht, wo Margot den gefunden hatte, bugsierte sie mich ins Schlafzimmer. Resi hatte dort ein Wunder voll bracht. Es war sauber und das Bett sah wieder nach einem Bett aus und nicht mehr nach der Städtischen Müllhalde.

Ich wurde ins Bett gesteckt und schlief sofort ein, das erste Mal ohne irgendwelche Medikamente und ohne Alkohol. Ich schlief ohne Alpträume, die mich zuletzt schon im wachen Zustand gequält hatten.
Im Traum traf ich Franz. Er sah so glücklich aus, wie er über eine Blumenwiese marschierte und sich über irgendetwas lustig machte. Im Traum rief ich ihn, aber er winkte nur und verschwand. Irgendwie fand ich den Traum tröstlicher als alle Worte des Trostes zusammen genommen, die ich nach seinem Tod hörte. Ich weinte in mein Kopfkissen, bis ich dachte, ich würde mich wie Alice im Wunderland in Tränen auflösen. Danach ging es mir tatsächlich besser. Franz hatte sich verabschiedet. Er würde immer ein Teil von mir bleiben.

Ich stand auf und fand Margot noch in meiner Wohnung vor.
„Schön, dass du noch hier bist.“
„Ich weiß.“
„Wie ist es dir das letzte Jahr ergangen? Ich war nicht gerade freundlich zu dir.“
„Das ist Schnee von gestern, alter Freund.“
„Wirklich? Das freut mich. Es tut mir Leid, dass ich dich und Herbert weggestoßen habe.“
„Ja, ich weiß. Reden wir nicht mehr davon, okay? Ich mach dir eine Kleinigkeit zu essen. Resi hat was Gutes dagelassen.“
Margot ging in die Küche und kam mit einem Tablett zurück. Darauf befand sich eine kleine Schüssel mit Resi’s berühmter Gemüsesuppe.
„Das Beste für einen rekonvaleszenten Vegetarier, wie Resi meint. Fang ja nicht wieder an zu heulen, ich sag’s dir, es reicht jetzt.“
„Schon gut. Ich beherrsch mich.“ Ich trank die Suppe gleich aus der Schüssel.

Margot und Resi wechselten sich mit ihren Besuchen ab. Ich mochte die beiden, wobei ich bei Margot noch immer ein reserviertes Gefühl hatte. Vielleicht lag es daran, dass sie solange unglücklich in mich verliebt war. Ich hoffte, dass sie das überwunden hätte. Sie hatte ja Herbert geheiratet, er war ihre erste große Liebe gewesen, wie sie mir vor der Hochzeit erzählt hatte. Deshalb war ich erstaunt, dass sie so viel Zeit mit mir verbrachte.
„Was sagt denn Herbert dazu, dass du immer hier herumhängst? Musst du nicht zur Arbeit?“
„Herbert ist auf Geschäftsreise in Indonesien, der kommt erst in einer Woche zurück und ich bin in Karenz.“ Ihr Gesicht bekam plötzlich einen ganz weichen Ausdruck.
„Wann? Wo? Wie?“ Ich freute mich für sie.
„Über das Wie gebe ich dir sicher keine Auskunft“, meinte sie grinsend. „Aber das Wann kann ich dir gerne sage, vor vier Monaten kam meine kleine Bianca zur Welt.“
Was für ein schöner Name dachte ich, dann sagte ich es auch.
„Darf ich sie mal sehen?“ Ich war neugierig auf das kleine Menschlein. So ein neuer kleiner Erdenbewohner ist schon was Kostbares. Ich mochte Kinder immer schon, nur würde ich keine haben.

Bald war ich kräftig genug, um mit Margot und Bianca spazieren zu gehen. Ich schob den Wagen, aber nicht weil ich etwa so galant war, sondern weil ich mich da festhalten konnte und nicht immer das Gefühl hatte gleich zu fallen.

Die grausigen Paketlieferungen hörten von einem Tag auf den anderen einfach auf. Hatte der Absender erreicht was er wollte? War es ihm zu langweilig geworden? Oder hatte er ein neues Opfer gefunden? Ich würde es wohl nie herausfinden. Für mich war ich froh, dass ich keine Pakete mehr bekam.

Langsam fand ich wieder ins Reich der Lebenden zurück. Aber Anschluss wollte ich keinen mehr finden. Ich dachte, dass das Leben für mich nichts mehr bereithielt. Franz war von mir gegangen, er war nicht mehr. Die Autolenker hatte man noch immer nicht gefasst und ich dachte, das würde man wohl auch nie. Was machte es für einen Unterschied?

Als ich kräftiger wurde besuchte ich endlich sein Grab. Ich schenkte ihm zum allerletzten Mal etwas, einen Engel. Er würde darüber gelacht, aber sich doch gefreut haben. Ich vermisste ihn noch immer schrecklich. Mit ihm war ein Teil von mir gestorben, aber seit jenem Traum wusste ich, dass er immer bei mir sein würde.
„Ich liebe dich“, sagte ich laut und es war mir egal, dass mich einige Leute hörten und mich dabei weinen sahen.

Endlich rief ich auch meine Mutter an und entschuldigte mich für die lange Abwesenheit. Sie tat es einfach ab, so wie sie alles abtat, was ich machte. Ich hatte bei ihr meine Schuldigkeit getan, mehr konnte sie von mir nicht erwarten und ich nicht von ihr. Sie war scheinbar froh, dass sie sich nicht noch mehr um mich kümmern musste.

Mein Blick richtete sich mehr und mehr nach vorne. An den Vormittagen half ich Resi mit der Buchhaltung oder dem Pfarrer bei seinen Abrechnungen. Er freute sich, mich zu sehen, obwohl er wusste, dass ich schwul und, was vielleicht schlimmer wog, Agnostiker war. Er schien nicht viel darum zu geben, was ich glaubte oder nicht. Wir freundeten uns an und hatten so manches angeregte Gespräch.

Langsam kam meine körperliche Kraft zurück, aber innerlich fühlte ich mich nach wie vor kraftlos.

„Ich möchte wieder lieben und geliebt werden … Mensch sein“ schrieb ich in ein kleines Notizbuch, das ich bei Resi gekauft hatte.
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
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@Antaghar ... es geht weiter
Wieder habe ich einen Teil überarbeitet.

Fühl dich nicht zu irgend etwas genötigt. Wenn du sagst, du hast keine Zeit zum Korrekturlesen, dann verstehe ich das vollkommen.

Ich habe diesen Teil komplett neu geschrieben.

*******************

Taktlos

… und die Zeit hielt an, während ich da saß, und alles um mich herum vergaß. In rasender Abfolge wechselten Freude, Furcht und Trauer. Wie Wirbel kreisten sie, und schienen mich hinweg zu spülen. Leo, neben mir, hatte ich total ausgeblendet, so erschrak ich, als er sagte: „Florian? Was ist los? Trinken wir nun auf die Liebe, oder nicht?“
„Auf die Liebe“, sagte ich, teils aus Höflichkeit, teils aus Verwirrung und Mangel an Fantasie, einen anderen Trinkspruch zu erfinden.
Gegen mein Wissen trank ich das Bier zu schnell und zu gierig. Als trockener Alkoholiker ist es nicht gerade ratsam, wieder damit anzufangen. Bald darauf wurde mir schlecht, und ich verzog mich für einige Zeit auf die Toilette.

Schweißgebadet kam ich zurück. Leo war noch da. Damit hatte ich nicht gerechnet.
„Du solltest keinen Alkohol trinken, wenn du ihn nicht verträgst“, sagte er.
„Du hast Recht, aber manchmal schreit ein Tag nach einem abschließenden Besäufnis.“
„Wieso? Hattest du einen schlechten Tag? Oder ist es, weil Margot weg geht und du es nicht aushältst, ohne sie?“
Es waren leichthin gestellte Fragen, die mich irgendwie doch trafen. Ich schluckte heftig.
„Nicht direkt“, antwortete ich und konnte meine Stimme nur mit Mühe ruhig halten.
„Ach so?“
„Nun ja, wir waren oder sind gute Freunde. Es ist nicht leicht einen Freund zu verlieren.“
„Wenn ihr nur Freunde wart, warum willst du dich dann betrinken?“
„Weil mir danach war. Jetzt ist mir der Appetit auf ein Bier aber gründlich vergangen. Diese Kotzerei halte ich nicht noch einmal aus.“
„Das glaub ich. Du bist noch immer grün im Gesicht.“ Er schmunzelte.
„Ich bin zu alt für Spielchen. Margot geht weg, jetzt hab ich nur noch Resi hier im Ort. Alle anderen scheinen mich eher zu meiden, vom Pfarrer abgesehen.“
„Das kann ich mir gut vorstellen. Die Leute hier sind schon ein sonderbarer Haufen.“ Er lachte laut auf, es klang bitter.
„Tja, ich hab sie gut genug kennen gelernt, bevor ich von hier wegging. - Aber was ist jetzt mit Margot? Sie hat einmal gemeint, ihr hättet eine Beziehung?“ Er hob fragend eine Augenbraue.
„Wenn du eine Liebesbeziehung meinst, damit liegst du völlig falsch und hast dir von ihr einen gewaltigen Bären aufbinden lassen. Sie hat sich das immer gewünscht. – Ach, verdammter Mist, kein Mensch kann aus seiner Haut heraus.“
Leo betrachtete mich lange. Ich versuchte seinem Blick stand zu halten. Es war nicht leicht. Er schien mich mit seinen Augen zu durchbohren und sich über irgendetwas klar werden zu wollen. Aus Leo wurde ich nicht schlau.
Ich mochte ihn und konnte mir gut vorstellen, mich in ihn zu verlieben oder zumindest mit ihm das Bett zu teilen. Es war schon lange her, dass ich Sex hatte.
„Du bist also Margots schwuler Freund, über den Herbert bei so mancher Gelegenheit gelästert hat,“ sagte er betont langsam.
„Was?“ Herbert hatte über mich schlecht geredet? Das wollte ich nicht glauben.
„Ja, der ist ein verbohrter, engstirniger Trottel und hat dich nur akzeptiert, weil er in dir keine Gefahr sieht und weil Margot dich mag. Glaub mir, ich kenn den schon ziemlich lange und Margot natürlich auch. Wir sind ja miteinander aufgewachsen.“
„Was?“ Ich konnte es immer noch nicht glauben und wiederholte die Frage noch ungläubiger.
„Tja, was ich gesagt habe. Herbert verachtet doch alle, die nicht so sind wie er.“
„Meinst du jetzt hetero?“
„Ich meine: erfolgreich, absolut unsexy und stinkreich. Schwule und Lesben kann er auch nicht leiden. Der ist ein unverbesserlicher Nazi.“
Ich schwieg betroffen.
„Hast du das nicht gewusst?“, fragte Leo in die folgende Stille. „Der wettert doch am lautesten gegen die Ausländer, gegen Schwule und gegen alles, was ihm nicht gut genug erscheint.“
Ich hatte es nicht gewusst, nicht einmal eine Ahnung hatte ich davon gehabt. Scheinbar war ich zu sehr mit mir beschäftigt gewesen, als dass ich auf Herbert geachtet hätte. Mir war er immer recht unbedeutend vorgekommen, uninteressant.

Mir wurde abwechselnd heiß und kalt. Die Erinnerungen der letzten eineinhalb Jahre strömten, wie eine Flutwelle, auf mich ein. Franz hatte einmal eine Andeutung gemacht, dass er jemandem im Dorf auf der Spur wäre. Da er nicht darüber reden wollte, fragte ich damals auch nicht nach. Nun ärgerte ich mich über meine mangelnde Neugier und fühlte mich doppelt schuldig. War das der Grund für diesen Unfall? War der Unfall gar kein Unfall gewesen? War es Absicht gewesen?

Ich vergrub das Gesicht in den Händen, und überließ mich dem aufkommenden Kummer. Eine Hand strich mir sanft über den bloßen Rücken. Ich fühlte sie heiß auf den Narben brennen.
„Was habe ich gesagt? Habe ich dir weh getan? Verzeih mir, das wollte ich nicht“, hörte ich eine ruhige Stimme durch meinen Gedankennebel dringen.
Ich kämpfte meine Erinnerungen nieder, und schaute auf.
Leo hielt mich.
„Es ist nichts“, versuchte ich ihn abzuwehren.
„Wegen nichts, bist du bleich wie die Wand und heulst dir die Augen aus dem Kopf?“
„Ich habe nur gerade an Franz gedacht, er war mein Lebensgefährte.“
„Franz Blum? Er war dein Lebensgefährte?“
„Ja.“
„Oh Mann. Tut mir echt leid, dass ich das wieder geholt habe. Ich wusste es nicht.“
„Ist schon in Ordnung.“
„Nichts ist jemals in Ordnung, wenn Leute wie dieser Herbert herumlaufen“, Leo schrie beinahe, hielt mich aber noch immer in seiner Umarmung fest.
„Ist schon gut, er ist weg“, sagte ich und wusste, dass niemals etwas gut sein würde, solange solche Leute herum liefen und ihren Hass verbreiteten.

Wir saßen schweigend beisammen. Ich versuchte krampfhaft, nicht an Franz zu denken und den Unfall, der womöglich keiner war. Würde mir jemand glauben, wenn ich etwas sagte? Wochenlang hatte ich nicht mehr daran denken müssen.
„Jetzt wäre ein Besäufnis genau richtig“, sagte ich, als die Stille drückend wurde.
„Oder ein geiler Fick“, erwiderte Leo, und schaute mich erwartungsvoll an.
Meine Augen wurden groß. Was für ein Angebot!
„Oder ein geiler Fick,“ wiederholte ich leise, mit belegter Stimme. Die Worte kamen nur langsam von meinen Lippen, sie waren ungewohnt, drückten aber meine Stimmung sehr gut aus.

Wir wandten uns einander zu, fielen uns in die Arme, küssten uns leidenschaftlich und fordernd. Schnell waren wir unserer Kleidung entledigt und kamen mit einer Wucht zusammen, die meine Angst vor Potenzproblemen in den Hintergrund drängte. Ich verlor mich in seinen wilden Umarmungen und Küssen. Noch nie bin ich so heftig geliebt worden oder hatte so heftig geliebt. In wilder Gier und Raserei, getrieben von dem Wunsch alle Gedanken aus dem Hirn zu treiben, ließ ich mich vögeln. Es war wie ein Befreiungsschlag, als ich meinen wildesten und heftigsten Orgasmus in die Nacht schrie.
Heftig atmend, verschwitzt und befriedigt sank ich auf die Couch. Auch Leo atmete heftig. Sein Körper glänzte im Schein der Deckenleuchte.
„Ich bin zu blöd zum Saufen und zu alt zum Vögeln“, sagte ich, als ich wieder ausreichend Luft zum Reden hatte.
Leo lachte. „He, alter Mann, dafür warst du aber nicht schlecht. – Gut, dass ich immer was dabei habe,“ sagte er, während er das Kondom abstreifte.
„Immer? Auch das Schnüffelzeug?“
„Das ist so was von geil.“ Er lachte zufrieden, dann rutschte er auf den Boden und legte seinen Kopf auf meine Knie. Dabei sah er mich bestätigungsheischend an. Ich musste lächeln.
„Ja, das Zeug hat schon was.“
„Ich habe immer Gummis mit. Man weiß ja nie, wann sich eine Gelegenheit bietet, schließlich bin ich kein Mönch.“
Darauf wusste ich nichts zu sagen.

Nach einer Weile stand Leo auf und begann sich anzuziehen.
„Wenn es dir nichts ausmacht, geh ich jetzt schlafen. Ich bin seit dem Morgengrauen auf den Beinen.“
„Schon in Ordnung.“
Ich schaute Leo nach, als er aus dem Zimmer ging und beschloss, runter in den Hof zu gehen. Ich nahm meine Zigaretten und machte mich, ein Liedchen trällernd, auf den Weg. Unten musste ich an Resis Küchentür vorbei. Sie war nur angelehnt. Was ich da hörte, ließ mich stehen bleiben. Innerlich gefror ich. Wie versteinert stand ich da und traute meinen Ohren kaum.
„Sie können Margot ausrichten, dass ich es gemacht habe.“ Das war Leo. Wieso waren die beiden plötzlich per Sie?
„Werde ich“, hörte ich Resi sagen.
„Vielleicht sollte ich besser gehen, ich …“
Da riss ich die Tür auf und starrte die beiden an. Sie wirkten ebenso erschrocken, wie ich fassungslos war.
„Florian“, fasste sich Leo als erster. „Es …“
Ich ließ ihn nicht ausreden, sondern schrie ihn nur an: „Raus hier! Hat dich Margot bezahlt, um …?“ Ich konnte nicht weiter sprechen. Es schien mir unmöglich, mich zu fassen oder auch nur zu denken.
„Es ist …“
„Ich will es gar nicht wissen! Verschwinde nur – los!“
Resi beachtete ich in dem Moment überhaupt nicht, auch Leos betroffener Gesichtsausdruck entging mir. Ich sah einfach rot. Am liebsten hätte ich den Kerl verprügelt, der mir vor nicht einmal einer halben Stunde unermessliches Vergnügen bereitet hatte, und bei dem ich das Gefühl hatte, als würde er mich verstehen. Ich fühlte mich, als hätte er mich nur benutzt.
Leo schaute mich an, dann ging er stumm an mir vorbei und hinaus. Ich wartete bis die Haustür ins Schloss fiel, dann wandte ich mich an Resi.
„Wie konntet ihr nur?“, warf ich ihr vor. „Was habt ihr euch dabei gedacht, Margot und du?“
„Margot dachte …“, versuchte Resi zu antworten, aber ich unterbrach sie.
„Margot sollte nicht denken, wenn es um Liebe geht!“, schnauzte ich sie an. „Und du auch nicht!“
Ich drehte mich um und lief in meine Wohnung hoch.
„Morgen ziehe ich aus, Resi! So was kannst du nicht machen!“, rief ich oben angekommen.
„Du verstehst das falsch“, versuchte sie zu erklären. Ich wollte nichts mehr hören und schloss die Tür.

In meiner Wohnung ließ ich dann der Wut freien Lauf. Ich schrie und tobte wie ein Wilder. Der ganze Frust der letzten Jahre schien sich irgendwie Bahn zu brechen. Wie von Sinnen drosch ich auf den Spiegel im Bad ein. Ich wollte mein Spiegelbild nicht mehr sehen, ich konnte mich nicht mehr sehen! Alles war mit Blut verschmiert, die Scherben hatten meine Hände zerschnitten. Aber ich hämmerte weiter dagegen, bis er völlig zertrümmert, in tausend Scherben, am Boden lag. Erschöpft fiel ich vornüber.

Ich erwachte, als mir jemand einen kalten Lappen an die Stirn presste.
„Halt ruhig, Narr.“ Diese Stimme kannte ich, mein Hausarzt! Der hatte mir noch gefehlt, dieser alte Zyniker.
„Wenn du dich schon selber um die Ecke bringen willst, dann mach das das nächste Mal besser und mit weniger Sauerei.“
Ich war empört! Dieser Drecksack, wollte der mich jetzt verarschen?
„He, ich bring mich nicht so schnell um, da hätte ich schon Gelegenheiten genug gehabt“, schnauzte ich zurück. Ich war noch immer in streitbarer Laune.
„Sicher. Ich wollte nur wissen, ob noch Leben in dir steckt, Flo.“
„Ach, halt die Klappe, Karl, und hau ab.“
„Ha!“, war alles was er dazu sagte. Er verband weiter meine Arme, dann maß er meinen Blutdruck und zählte den Puls, schnalzte dabei mit der Zunge und tat alles in allem recht wichtig. Dr. Karl Rosner, der alte Dorfarzt. Er tat immer, als könne ihn nichts erschüttern und als hätte er auf alles eine Antwort. Mir ging er mit seinem Getue auf die Nerven.
„So, geschafft. Wenn ich so was noch einmal von dir höre oder sehe, dann weise ich dich in die Psychiatrie ein, verstanden?“
„Das wagst du nicht, Karl!“
„Und ob! Du hast selber auf deine Position hier verzichtet, jetzt behandle ich dich wie jeden anderen auch, der so randaliert. Sei froh, dass Resi nicht die Polizei gerufen hat.“
„Pah! So wild war ich auch wieder nicht.“
„Na, nach dem was sie mir berichtet hat, hast du ganz schön rumgetobt. – Sag mal, hast du sie nicht mehr alle? Wenn mir jemand eine willige Braut ins Bett legt, was denkst du, was ich da machen würde.“ Er grinste anzüglich.
Ja, so gesehen hatte er recht, und doch auch wieder nicht. Wenn ich nicht das Gefühl hätte, dass sie mir diesen Kerl gekauft hätten, wäre es auszuhalten gewesen, oder wenn sie mich wenigstens vorher gefragt hätten.
„Hör auf, mich zu betütteln“, herrschte ich ihn an, als er mir abermals den Puls messen wollte. „Der wird nicht weniger geworden sein.“
Karl schüttelte resigniert den Kopf und sagte: „Dann bis morgen, Flo. Schlaf dich aus, beruhig dich endlich oder soll ich dir noch eine Spritze verabreichen?“
„Hast du mir was gegeben?“
„Natürlich, was denkst denn du? Ich habe dir was zum Schlafen und gegen die Schmerzen gespritzt.“ Dabei grinste er selbstgefällig und schaute zu, wie ich aufgab, aufgeben musste.

Als ich am Morgen erwachte, war meine Laune nicht gerade besser. Ich war noch genauso wütend.
„Dieser verdammte Knochenbrecher hat mich doch tatsächlich sediert! Mistkerl! Verdammter Mistkerl!“ Ich fluchte dahin, während ich begann meine Sachen zusammen zu packen. Meine Koffer waren im Keller. Also ging ich runter, und traf auf Resi, die mich ängstlich ansah. Ich schrie sie an: „Ich ziehe heute noch aus! Und schau mich nicht so an!“
„Tu das nicht“, flehte sie. „Es war doch ganz anders. Leopold ist nicht …“
Ich wollte ihre Erklärung nicht hören und holte meine Koffer. Meine Arme begannen unter der Belastung zu schmerzen. Ich ignorierte sie und begann meine Kleidung in die Koffer zu stopfen.
Was um mich herum geschah, nahm ich nicht wahr, einzig mein verletztes Ego zählte.

Als ich fast fertig war, drehte ich mich um, und sah Leo, der lässig an der Tür lehnte und mich beobachtete.
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
Keine Sorge ...
Du bist zwar schneller als ich (zumal ich ja an der Nibiru-Story weiter schreiben "soll"), aber noch komme ich mit und mache es gerne. Bei dieser Hitze allerdings deutlich langsamer als sonst ...
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
...
Ich bin ja auch im Vorteil, lieber Antaghar, weil ich krank geschrieben bin und ein anderes Projekt gerade abgeschlossen habe.

Lass dir Zeit. Ich hoffe nur, dass dir die Geschichte noch gefällt.

Liebe Grüße *blumenschenk*
Herta
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
Mir deucht, sie wird immer besser ...

Aber mal schauen, ich werde noch genauer hinsehen!

*g*

Übrigens schön, dass wir in vielem ein ähnliches Welt- und Menschenbild haben!

(Der Antaghar)
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