@Antaghar ...
vielleicht hat dir tangocleo etwas an Arbeit erspart ... mal sehen, was du dazu meinst:
Es können aber gerne auch andere ihre Meinung abgeben
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Schlaflos
Eigentlich hätte ich schlafen sollen. Ich schlief ohnehin zu wenig. Je mehr mich der Gedanke ans Einschlafen quälte, desto weniger gelang es mir. Ich wälzte mich von links nach rechts, drehte das Kissen um, dann die Decke. Draußen fuhren nur wenige Autos, in einiger Entfernung konnte ich den Nachtexpress vorbei rauschen hören. Normalerweise hatte diese Geräuschkulisse eine beruhigende, einschläfernde Wirkung auf mich. Nicht so in dieser Nacht. Immer wieder kehrten meine Gedanken an den vergangenen Abend zurück. Die Anfeindungen hatten mich tief erschüttert und bis ins Mark getroffen. Ich wollte es mir nicht gern eingestehen, aber ich hatte ein ungutes Gefühl bekommen.
‚Warum zum Teufel bin ich nur zu diesem gottverdammten Vortrag der katholischen Frauenbewegung gegangen?’ Meine Gedanken drehten sich im Kreis und hinterließen ein flaues Gefühl im Magen.
Die Vereinsvorsitzende hatte mich schon wochenlang bekniet, endlich wieder zu einer ihrer Veranstaltungen zu kommen. Ich war stellvertretender Bankdirektor und die Leute erwarteten, dass ich mich ab und zu bei solchen gesellschaftlichen Ereignissen blicken ließ. Also gab ich ihrem Drängen nach.
Der Pfarrgemeinderat, fast der gesamte Gemeinderat, einige Wichtigtuer und natürlich die Moralapostel der Gemeinde waren gekommen, um dem Vortrag über „Glaube und Sexualität“ zu lauschen. Die ganze Zeit, während der Pfarrer und ein anderer Referent redeten, fragte ich mich: ‚Was hat Glaube mit Sex zu tun? Warum dürfen nur Männer und Frauen was mit einander haben? Warum sollte man sich nur auf einen Partner beschränken und das ein Leben lang, auch wenn man sich erwiesenermaßen nicht mehr mochte und einander auf den Geist ging?’
Mein Chef, der Angerer, war auch da. Er war die moralische Instanz der Gemeinde, Chef des Pfarrgemeinderats und Gemeinderatsvorsitzender, auch hatte er ein Amt im Raiffeisenverband inne. Mir grauste davor, mit ihm auch privat sprechen zu müssen. Wir mochten uns nicht. Er hatte wohl einen anderen Stellvertreter im Sinn, als ich ihm ins Team gesetzt wurde, das führte natürlich zu Spannungen.
Ich wälzte mich unruhig in meinem Bett. Mir wurde ganz heiß vor Wut, Angst und Scham.
Was mich so verunsicherte, war die moralische Entrüstung einiger Leute gewesen, als ich sagte, ich brauche für mein Heil weder Kirche noch Frau. Das hätte ich mir besser verkneifen sollen. Am liebsten hätte ich mich nachher selbst geohrfeigt. Am Schlimmsten war aber die nachfolgende Auseinandersetzung mit meinem Chef gewesen. In hilfloser Wut schmiss ich ein Kissen gegen die Wand.
„Wie konntest du nur so blöd sein“, warf ich mir selber vor und versuchte eine neue Schlafposition. Dann sprang ich aus dem Bett und ging ans Fenster, öffnete es ganz und sog die kühle Nachtluft ein. Im Nachbarhaus war noch Licht. Jetzt ging es aus und ich wusste, dass der alte Spanner von vis-a-vis mich beobachtete. Ich war nackt, wie meistens, wenn ich allein daheim war. „Holst du dir jetzt einen runter, du alter Wichser“, sagte ich halblaut, vor unterdrücktem Zorn bebend. Aber wer war ich, so über andere zu reden?
Wütend auf mich selber drehte ich mich um und ging in die Küche. Ein Bier würde vielleicht helfen. Durstig war ich ohnehin. Während ich in die Küche ging dachte ich an die letzten Ereignisse.
Nach dem Vortrag gab es das unvermeidliche Buffet, das aus warmen Weißwein, angetrockneten Schinkenbrötchen und Salzgebäck bestand. Auf den Tabletts waren Weintrauben verteilt, so sollte es wohl etwas dekorativer aussehen. Der Pfarrer hatte den Wein aus seinem Vorrat spendiert. ‚Messwein vom Geld der Steuerzahler’, dachte ich grimmig und schenkte mir ein Glas Mineralwasser ein.
„Flori!“ Diese Stimme kannte ich nur zu gut. Ricke, meine Sekretärin! Sie versuchte immer mit mir zu flirten. Ich war nicht in der Stimmung für ihre albernen Spielchen. „Wie hat dir der Vortrag gefallen?“ Sie ließ mir keine Zeit zu antworten, sondern fuhr ohne Pause fort. „Einfach wunderbar, was für schöne Worte der Pfarrer doch für die Sache gefunden hat.“
„Wenn du meinst“, erwiderte ich „Denkst du, dass Sex was Schlechtes ist? Oder wenn zwei Männer miteinander …?“
„Flori“, rief sie entrüstet. Sie kannte mich nur als nüchternen, zurückhaltenden Menschen. Was konnte ich erwarten, wenn ich plötzlich so redete?
„Das dürfen nur Mann und Frau und auch nur, wenn sie verheiratet sind“, flüsterte sie und rauschte davon.
„Blöde Kuh“, murmelte ich.
Ich sah meinen Chef auf mich zukommen. Von weitem rief er schon: „Herr Müller! Jetzt haben Sie die einzig annehmbare Dame hier verscheucht. Sie sollten sich die Gute warm halten. Frau Dirner ist vermögend und noch jung. Sie ist eine gute Partie.“
„Danke, darauf kann ich verzichten.“ Was ging ihn mein Privatleben an?
„Sie müssen sich endlich eine Frau suchen. Ein gut aussehender Mann wie Sie und in Ihrer Position braucht eine Frau.“ Mit gesenkter Stimme und vertraulicherem Ton redete er weiter. „Ich habe Sie noch nie mit einer Frau gesehen. Sie sind doch nicht … ich will es gar nicht aussprechen.“
„Wenn Sie fragen wollen, ob ich schwul bin, fragen Sie ruhig. Würde es meine Leistung für die Bank mindern? Würde es einen Unterschied machen?“ Ich versuchte meine Stimme ruhig zu halten, mich nicht angreifbar zu machen. Aber es war zu spät.
„Was es für einen Unterschied machen würde!“ Er war jetzt in seinem Element, daran hatte ich nicht gedacht. „Einen gewaltigen! Sie Dummkopf! Homosexualität ist eine Krankheit, nein, nein eine, eine Sünde, ist das! Das ist nicht normal! Sagen Sie bloß nicht, dass Sie so ein Perverser sind!“ Er bekam einen roten Kopf und mich beschlich die irre Hoffnung er würde einen Anfall oder so was erleiden. Hastig trank er von dem warmen Wein. Ich konnte den Hass, der aus seiner Stimme sprach, nicht fassen und starrte ihn verblüfft an. Als ich nichts er entgegnete, sagte er im Befehlston: „Sie suchen sich sofort eine nette kleine Frau, dann ist alles in Ordnung, haben wir uns verstanden?“
„Oja, Herr Angerer, ich verstehe sehr gut“, rang ich heraus und kämpfte gegen den Impuls, ihm ins Gesicht zu schlagen. Mittlerweile waren wir der Mittelpunkt des Geschehens. Alle gafften zu uns rüber, als wollten sie ja nichts verpassen.
‚Wenn so eine Gemeinschaft von Gläubigen ist, die sich dem angeblichen Gott der Liebe verschworen haben, dann will ich damit nichts zu tun haben’, dachte ich zuhause. Der Balkon lockte, dort fand ich auch meine Zigaretten. Gierig zündete ich mir eine an und gab mich meinen Selbstzweifeln hin.
„Lasst mich endlich in Ruhe“, schrie ich in die Nacht.
„Schwule können wir hier nicht brauchen“, hatte der Angerer noch gerufen, das fiel mir jetzt wieder ein.
„Ich bin ein Mensch, was macht das für einen Unterschied?“
„Sie können sich am Montag Ihre Papiere abholen. Jetzt weiß ich Bescheid. Sie sind keiner von uns. Ich will Sie hier nie wieder sehen, Sie …“, die Stimme vom Angerer war schneidend, kalt wie Eis und hart wie Stahl.
Ohne noch etwas dazu zu sagen, ging ich.
„Ich bin ein Mensch“, heulte ich in mein Bier, trank es in einem Zug aus, zündete mir eine weitere Zigarette an und überlegte, wie es weitergehen sollte.
„Warum bin ich nur hierher gekommen? Welcher Teufel hat mich da geritten? Ich hätte wissen müssen, dass es im Dorf härter ist, als in der Stadt.“ Das sagte ich mir immer wieder. In der Stadt hatte mich nichts mehr gehalten. Ich erinnerte mich daran, als wäre es gestern gewesen. ‚Nein, nicht jetzt’, versuchte ich die Bilder zu verdrängen, aber sie waren zu lebendig, zu mächtig.
Ich war mit meinem Freund Greg auf ein Bier gegangen. Als wir die Bar verließen, waren wir leider mit ein paar Skins zusammengetroffen. Ich schrie Greg zu, dass er verschwinden sollte und landete meine Faust im Gesicht eines der Angreifer. Aber meine Chance war gering. Eins zu fünf ist eine schlechte Quote bei einer Schlägerei. Beim ersten Tritt in die Kniekehle ging ich zu Boden und wurde dann so richtig vermöbelt. Ich glaube, sie hörten erst auf, als ich bewusstlos am Boden lag. Jemand musste die Polizei gerufen haben, denn ich kam in einem Polizeiauto zu mir. Dort wartete ich auf den Krankenwagen. Natürlich zeigte ich die Typen an, aber das brachte nicht viel.
Noch im Krankenstand bat ich meine Vorgesetzten um Versetzung in ein anderes Gebiet. So kam ich hierher.
Wieder sah ich das gerötete Gesicht vom Angerer lebhaft vor mir: der starre, eiskalte Blick, die vor Entrüstung geschwollene Brust. Er hätte einen guten Inquisitor abgegeben. Wenn ich gesagt hätte, ich sei Satan persönlich, hätte er nicht entsetzter sein können. Die Skins hatten einen ähnlichen Ausdruck, als sie mich verprügelten.
Ein Outing war nach diesem Abend nicht mehr nötig. Die Tatsache meiner Homosexualität würde sich bis zum Morgen im ganzen Ort herumgesprochen haben.
Ich verbrachte den Rest der Nacht auf dem Balkon und betrank mich sinnlos. Im Bierdunst kam ich zu der Überzeugung, dass ich gute Lust hätte, hier alles hinzuschmeißen und abzuhauen.
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Sprachlos
Die Sonne war bereits aufgegangen, als es an der Wohnungstür läutete. Mit den schlimmsten Vorahnungen öffnete ich und erstarrte. Ihn hatte ich nicht erwartet.
„Was willst du, Franz“, fragte ich mehr als unfreundlich. Er ließ sich davon nicht abschrecken, sondern sagte einfach: „Rein und reden.“ Er drängte sich an mir vorbei und war schon halb in der Wohnung verschwunden, als er sich umdrehte und in seiner direkten Art sagte: „Komm und mach die Tür zu, sonst halten sie dich noch für ein Exhibitionistenschwein und holen die Bullen.“
Ich schloss ab und folgte ihm leicht schwankend.
Franz wartete im Wohnzimmer. „So“, begann er, als wir uns gegenübersaßen. „Was sollte das gestern Abend? War das ein Scherz von dir, oder …?“
Ich konnte nicht antworten. Franz war mein bester Freund. In meinem Alter und mit meiner sexuellen Neigung war es nicht leicht männliche Freunde zu finden. Das wollte ich ihm sagen, aber ich brachte kein Wort heraus.
„Du bist ein Idiot“, sagte er nach einer Weile. „Willst du jetzt abhauen und alles, was du hier aufgebaut hast, in den Sand setzen? Einfach so? Fingerschnipp und weg?“
Ich wollte und konnte nicht reden, konnte ihn nicht einmal ansehen.
„Du hättest das Durcheinander gestern erleben sollen. Ist noch eine coole Party geworden“, er lachte laut auf.
„Du bist wirklich ein Volltrottel“, unterbrach er die folgende Stille. „Zuerst verlierst du den Verstand und dann die Sprache.“
Ich dachte, wenn ich den Mund aufmachte, würde ich zu heulen anfangen wie ein kleines Mädchen. Meine Vergangenheit war plötzlich gegenwärtig. Anfeindungen, wie sie mein Chef gestern vorgebracht hatte, hatte ich schon mehrfach erleben müssen und ich wusste aus bitterer Erfahrung, dass Worten meistens Taten folgen.
„Ich würde den Angerer nicht so davon kommen lassen. Er hat nicht das Recht dir deswegen zu kündigen.“ Franz ließ sich durch mein Schweigen nicht beirren.
„Ist dir klar, dass er nicht das Recht dazu hat?“
Ich nickte.
„Gut. Ich bin dein Rechtsanwalt in dieser Sache und dein Freund. In Ordnung?“
Ich konnte es kaum glauben, dass Franz zu mir halten wollte.
„Ich bin ein Idiot“, brachte ich nach einer mehr als langen Pause mühsam heraus. Was ich nicht sagte, war, dass ich ihn verdammt gern hatte. Gern haben, war noch ein zu schwacher Ausdruck für das, was ich für ihn empfand.
Er sah mich ernst an. „Du bist zu empfindlich, Flo. Worte brechen keine Knochen.“
‚Aber die Seele’, dachte ich und erinnerte mich an Bilder, die ich nie wieder zu sehen hoffte.
Er stand auf, klopfte mir auf die Schulter und fuhr fröhlicher fort: „Und jetzt? Frühstück, Alter? Ich hatte noch nichts und mein Magen knurrt.“
Ich ging in die Küche um Kaffee zu kochen. „Verdammte Scheiße“, brüllte ich und legte meinen ganzen Zorn auf die Welt in diesen Fluch. „Was ist los“, hörte ich Franz vom Balkon rufen. Er war zum Rauchen raus gegangen. „Filter sind alle!“
„Hast du noch eine alte Kaffeemaschine?“
„Ja, ich hab ein Modell Marke ‚Geschenk von Mama vom Jahre Schnee’. --- Magst du Tee?“
„Pfui Teufel, ich bin ja nicht krank!“
„Ich geh zu Margot rüber und frag, ob sie Filter hat.“ Ich war schon halb aus der Wohnung als mich Franz zurückrief: „Zieh dir was an!“ Er stand in der Balkontür und grinste breit. Ich war so daran gewöhnt zuhause nackt zu laufen, dass ich nicht darauf geachtet hatte.
Angezogen läutete ich bei Margot. Ich wusste, dass sie immer früh aufstand, auch an ihren freien Tagen, deshalb hatte ich kein schlechtes Gewissen.
Nach einigen Minuten öffnete sie und blickte mich halbwegs erstaunt an: „Flo?“
„Guten Morgen, Margot. Hast du vielleicht ein oder zwei Filtertüten für mich?“
„Sicher, du kannst auch bei mir Kaffee trinken, wenn du magst.“
„Nein danke, Franz ist da. Aber du kannst rüber kommen, dann hörst du gleich, was gestern los war.“ Margot war nicht bei dem Vortrag gewesen und ich fand, dass sie es besser jetzt von mir hörte. Sie hatte oft genug ihre Sympathie für mich bekundet. Ich ahnte, dass es für sie mehr war, und hatte deshalb bei verschiedenen Gelegenheiten betont, dass ich sie mochte und hübsch fand, dass es aber nicht mehr als Freundschaft sein könne. Ihr trauriger Blick tat mir dann jedes Mal leid.
Jetzt sagte sie nur: „Gib mir eine Minute, lass die Tür offen, ich komm nach.“
Margot erschien mit einem Tablett voller Köstlichkeiten. Dann schaute sie uns an und meinte: „Ihr braucht mir den neuesten Klatsch gar nicht erzählen, den hab ich nämlich heute morgen schon beim Zeitung holen gehört. Frau Edlinger hat mir alles brühwarm erzählt. Stimmt es?“ Ich brauchte nichts zu sagen, sie las die Antwort ohnehin von meinem Gesicht ab.
„Auch, dass Franz schon bei dir ist, wusste ich von der Edlinger. Die wird jetzt über euch klatschen, da könnt ihr sicher sein.“ Sie fing zu lachen an, es klang fast hysterisch. Sollte ich jetzt noch meinen besten Freund da mit hinunter ziehen? Aber er lachte nur und tat es mit einer Handbewegung ab. Ich fand das nicht zum Lachen.
„Was ist so witzig? Ich mache mich hier zum Aussätzigen, und ihr lacht darüber“, langsam wurde ich wütend.
„Flo“, Margot wischte sich die Tränen aus den Augen. „Ich ahnte doch schon länger, dass du schwul bist.“
„Ändert das etwas an unserer Freundschaft?“
„Für mich nicht, Alter“, Franz legte seine Hand kurz auf meine.
Margot schüttelte den Kopf.
Sie schenkte allen Kaffee ein. Dann erzählte sie von ihrem Morgenspaziergang und wie sie die Edlinger getroffen hatte, die noch ganz im Bann der schockierenden Ereignisse des Vortages stand. Der Pfarrer würde es sicher in der Predigt erwähnen, welch gottloses Gesindel sich hier herumtrieb. Sie ahmte die Stimme der Edlinger so gut nach, dass ich sie leibhaftig vor mir sah: Die alte Schachtel in ihrem schlabberigen Hauskittel und dem ewigen Kopftuch, die so eifrig gegen die bekopftuchten Musliminnen wetterte, die in ihre Nachbarschaft gezogen waren.
Wir tranken den Kaffee aus und gingen auf den Balkon.
Ich hatte alles aufgeraucht, deshalb nahm ich eine von Franz Zigaretten. Sie waren stärker als meine Marke, aber das machte nichts. Margot saß auf dem einzigen Stuhl und schien ganz in Gedanken versunken. Franz und ich schwiegen ebenfalls. Er lehnte lässig am Geländer, wie immer wirkte er seiner selbst ganz sicher. Ich stand daneben, starrte ins Leere und empfand die Ruhe zunehmend als unangenehm. Margot blickte immer wieder zu mir. Ihr Blick war sonderbar und ließ sich nicht ergründen. Trauer? Wut? Liebe? Hass? Ich konnte es nicht erraten, wollte es auch nicht. Dafür war ich viel zu verwirrt. Franz rauchte stumm und blickte mich an. Das verwirrte mich noch mehr. Ich wollte ihn so gerne berühren, wagte es aber nicht aus Angst, ihn zu vertreiben. Die Stille zerrte allmählich an meinen Nerven. Ich war wegen dem Angerer schon genug verunsichert und jetzt noch Margots eigenartiger Blick und die fast körperlich spürbare Nähe zu Franz.
„Was soll ich jetzt wegen dem Angerer machen“, fragte ich in die sonderbare Stille hinein.
Margots Miene erhellte sich plötzlich, als würde ein Vorhang zur Seite geschoben.
„Der Angerer soll erst mal den Mist vor seiner eigenen Tür wegkehren“, sagte sie.
„Was meinst du damit?“
Sie sah mich an. „Du kennst ja die Maier.“ Natürlich kannte ich sie, das war die Sekretärin vom Angerer.
„Ratet mal, warum sie Sekretärin beim Angerer ist?“
Langsam dämmerte mir etwas.
„Dieser elende …“
„Genau“, sagte Franz und legte wieder seine Hand auf meine. Ich erstarrte. Seine Haut schien auf meiner zu brennen. ‚Behalt einen kühlen Kopf, Flo’, redete ich mir zu und konzentrierte mich auf Margot, die mich scharf ansah.
„Da hält er sich ein Liebchen im Büro und zuhause wartet seine brave Frau. Ich denke, damit und mit dem Diskriminierungsgesetz kannst du ihn kriegen“, sagte Franz und lachte leise vor sich hin. Ich schaute ihm in die Augen. Ohne zu überlegen umarmte ich ihn und küsste ihn auf den Mund. Als hätte ich mich verbrannt, ließ ich von ihm und stürmte ins Bad, unter die Dusche mitsamt der Kleidung. In mir herrschten Panik und Scham. Ich wollte die Freundschaft mit Franz nicht derartig aufs Spiel setzen und doch hatte ich es in einem unüberlegten Moment getan. ‚Wie konnte ich nur’, dachte ich und die Schuld brannte sich tief in mich. Mit den Fäusten trommelte ich gegen die Wand, bis sie schmerzten. Aber so ließen sich weder Schuld noch Scham vertreiben. ‚Was soll jetzt werden’, dachte ich verzweifelt. Ich hatte Angst, meinen besten Freund verloren zu haben. Der Gedanke, dass ich auch Margot verletzt haben könnte, kam mir überhaupt nicht. Ich konnte nichts mehr denken. Dieses Gefühlschaos hatte mich vollständig lahmgelegt. Liebe und Scham wechselten sich ab mit Angst und Selbsthass. Alles drehte sich, bildete Wirbel und versank wieder. Nichts schien mehr klar zu sein, alles war verworren. Ich dachte, die ganze Welt hätte sich heute gegen mich verschworen.
Nach einer Weile hörte ich die Tür zuschlagen und dachte, jetzt wären beide gegangen. Ich stellte die Dusche ab und begann die nassen Kleider auszuziehen, als ich eine Stimme hörte. Franz war geblieben.
„Flo, komm raus, wir müssen reden.“
Ich war wie gelähmt. Wie konnte ich Franz je wieder ins Gesicht sehen?
„Florian Müller, komm jetzt da raus und benimm dich nicht wie eine alberne Zicke!“
Er klang ungeduldig. Mein Kopf fühlte sich leer an und mir war schlecht von der nächtlichen Sauferei, außerdem spürte ich bleierne Müdigkeit aufkommen. Eine umfassende, gleichgültige Müdigkeit, trotz der kalten Dusche.
„Ich bin keine Zicke“, sagte ich matt, als ich aus der Tür trat.
„Nein, aber nass. Zieh dir was an und dann müssen wir mal wie zwei erwachsene Männer reden.“
Ich warf mir einen Bademantel über und ging ins Wohnzimmer, wo Franz wartete. Er hatte mir Kaffee nachgeschenkt. Ich trank ihn, aber die Mattheit ließ sich nicht mehr vertreiben. ‚Wenn ich Franz jetzt als Freund verliere, dann hält mich hier wirklich nichts mehr’, war alles, was ich denken konnte.
„Flo, ich weiß ja nicht, was du von mir denkst, und ob du mich so magst, wie ich dich.“ Franz schien sich jetzt auch mit seiner Rede schwer zu tun. Während er nach Worten suchte, döste ich einfach weg.
„Flo, verdammt, hörst du mir zu!“
„mhm“
„Verdammter Mistkerl! Ich sag dir gerade auf, was weiß ich wie viele Arten, dass ich mich in dich verliebt habe und du pennst einfach weg! Jetzt wach auf!“
Ich schaute ihn benommen an.
„Hör zu, ich steh auf und gehe, wenn ….“
Franz hatte sich schon halb erhoben, als ich wirklich wach wurde.
„Was hast du gesagt?“
„Dass ich gehe …“
„Nein, nein, vorher.“
„Dass du ein Idiot bist.“
Franz setzte sich wieder und schaute mich erwartungsvoll an.
„Nein, nicht das mit dem Idioten. Du hast etwas von „verliebt“ gesagt. Auch ich mag dich mehr, als ich dir sagen kann, und das schon eine lange Zeit.“
Wir saßen dicht bei einander auf der Couch und redeten. Ich weiß nicht warum, aber ich erzählte alles, was ich bisher an Schlimmen erlebt hatte, wie ich mir eine Existenz als erfolgreicher Banker aufgebaut hatte, um mich dahinter zu verstecken. Als ich aufhörte, nahm er mich in den Arm. Noch nie hatte mir etwas so gut getan.
Danach saßen wir einfach da, sprachlos, zeitlos.
„Mein Lieber, du bist so müde, dass du gleich einschläfst“, beendete Franz die Stille.
„Möchtest du gehen?“
„Nein, aber wenn ich bleibe, kommst du vielleicht nicht mehr zum Schlafen.“ Er lachte leise und strich mir dabei durchs Haar. Dann küsste er mich, zuerst zaghaft, er wurde aber immer fordernder.
„Mit dem Schlafen könntest du recht haben“, sagte ich, als er mich freigab. Dann musste ich gähnen.
„Siehst du, du bist zu müde.“ Wieder lachte er leise. Er begleitete mich ins Schlafzimmer und steckte mich ins Bett, so als hätte er Sorge, dass ich es alleine nicht schaffen würde.
„Ruf mich an, wenn du mich brauchst. Ich bin zwar morgen einmal eine Stunde im Gericht, aber für dich bin ich immer erreichbar.“
„Danke, mein Lieber.“ Und dann sagte ich etwas, das ich noch nie zu jemanden gesagt hatte: „Ich liebe dich.“
„Ich liebe dich auch, Flo.“ Es lag soviel Wärme in seiner Stimme, dass ich ihn nur dankbar anschauen konnte.
Endlich konnte ich schlafen, das erste Mal seit langer Zeit, ohne schlechte Träume oder selbstquälerische Gedanken. Ich wusste, ich war nicht mehr allein.
© 8/2009