So, der Schluss ...
den habe ich auch neu geschrieben.
Fühl dich nur nicht von meinem Tempo unter Druck gesetzt, lieber Antaghar.
Liebe Grüße
Herta
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Bedingungslos
Er stand einfach da, die Hände in den Hosentaschen vergraben, und schaute mich ernst an. Wütend warf ich das letzte Wäschestück in den Koffer und brüllte: „Was willst du?“
„Reden.“
„Ich nicht!“
Ich schloss den Koffer und wuchtete ihn auf den Boden.
„Du brauchst nur zuhören. Was dann ist, überlasse ich dir.“ Mit einer Hand versperrte er den Weg aus dem Schlafzimmer. Ich wusste, dass ich mich nicht an ihm vorbeidrücken konnte. Er war viel kräftiger als ich, also brummte ich: „Dann rede.“
Leo drehte sich um und ging ins Wohnzimmer, dabei sagte er: „Komm und setz dich, es wird länger dauern.“
Verdammt. Warum ließ ich mich darauf ein? Was versprach ich mir davon? Im Grunde war ich es Leid immer davon zu laufen.
Als ich ihm gegenübersaß, sah ich, wie nervös er war. Er knetete die Finger und vermied meinen feindseligen Blick. Es war mutig von ihm, wieder zu kommen und sich meiner Verachtung auszusetzen.
„Also, ich warte“, sagte ich mürrisch.
„Du wirst mir zuhören, mich ausreden lassen, auch, wenn dir nicht gefallen sollte, was ich dir zu sagen habe?“ Er warf mir einen forschenden Blick zu, um sicher zu sein, dass ich verstand. Ich nickte.
„Du warst zu vorschnell mit deiner Meinung, gestern. Ja, es stimmt. Margot, diese kleine Schlampe, wollte mich bezahlen, dass ich mit dir schlafe. Ich nahm das verdammte Geld nicht. Was soll ich damit? Ich hab ja einen Job. – Schau nicht so. Wenn du gedacht hast, dass ich ein Stricher bin, dann bist du aber ganz falsch gelegen.“
Ich wollte etwas sagen, unterließ es aber.
Anscheinend war er sehr unsicher, wie er weiter machen sollte. Denn er schwieg lange. Zu lange.
„Wenn das alles ist, was du mir sagen wolltest, dann geh jetzt.“ Ich war noch immer nicht geneigt, meinen Zorn abzuschütteln.
„Nein. Ach, Scheiße!“ Er sprang auf und lief im Zimmer herum. Wie ein aufgescheuchtes Huhn, kam er mir vor.
„Florian, du machst es mir nicht gerade leicht. Sitzt da und denkst ich hätte … ja was denn? Ich bin nicht, was du von mir hältst. Ich habe dich gern, sehr sogar. Ob du es glaubst oder nicht. Es ist so. – Ach, Mist.“
Er setzte sich wieder und blickte mich direkt an.
„Ich war mir bis gestern nicht sicher, ob du der Florian Müller bist, in den ich mich im Krankenhaus verliebt habe. Ich weiß, das ist unprofessionell und sollte nicht vorkommen. Aber verdammt noch mal, es ist passiert.“
Er hielt inne und rang nach Luft, so schnell hatte er gesprochen. Ich war einen Moment verwirrt. Leo hatte sich in mich verliebt? Wie konnte das nur sein? Um mich davon abzulenken, kam ich wieder auf Margot zurück.
„Was hat das jetzt mit Margot zu tun?“
„Ach Margot!“ Mit einer wegwerfenden Handbewegung fuhr er fort: „Sie hat mich vor ein paar Tagen angerufen, ob ich ihr nicht einen Gefallen tun würde. Leider weiß sie schon lange von meiner – du weißt schon.“
Ich nickte nur stumm und wollte jetzt alles wissen. Sonderbar fand ich nur, dass ich ihm bedingungslos glaubte.
„Sie meinte, wenn ich einen Freund von ihr beglücken würde, würde sie mir das honorieren. Dieses Miststück hat uns beide reingelegt. Von irgendwoher muss sie gewusst haben, dass ich mich in dich verliebt habe. Leider habe ich erst zu spät gemerkt, wer du bist. Aber ich denke, das hätte nichts geändert. Ich wollte dich so sehr.“
Er schluckte schwer, Schweiß stand auf seiner Stirn. Jede meiner Regungen schien er zu beobachten. Ich versuchte ruhig sitzen zu bleiben und meine Gefühle nicht zu zeigen.
Als ich weiter schwieg, fuhr er fort: „Gestern Abend, als du mich mit der Müllner reden hörtest, hatte ich ihr vorher gesagt, dass mich Margot am Arsch lecken kann. Ich hätte ihr den Gefallen getan, aber ich wolle ihr Geld nicht. – Hör das nächste Mal besser zu, wenn du schon lauscht.“ Er sprach ganz ruhig, wirkte irgendwie sogar traurig.
Wieder sprang er auf und lief im Wohnzimmer herum.
„Woher kanntest du mich, Leo?“
„Vom Krankenhaus, ich bin Pfleger Poldi. Du wirst dich kaum mehr an mich erinnern können. Ich habe mehr von dir gesehen, als du von mir.“
Ich kramte in meinem Gedächtnis. Während ich überlegte, nahm er wieder Platz und schwieg. Ja, es hatte einen Poldi gegeben. In zivil sehen die Menschen immer anders aus, als in Uniform, ganz gleich, welche es ist.
„Du hast mir damals sehr geholfen“, sagte ich leise.
„Es war nicht nur weil das zu meinem Beruf gehört. Ich wollte dich wieder auf die Beine bringen. Das war mein Ziel und ich habe es geschafft – und jetzt willst du vor mir davon laufen, und Margot ihre Rache gönnen, weil sie dich nicht bekommen hat.“
Er machte eine Pause und gab mir Zeit, das Gesagte zu verdauen. Konnte es sein, dass Margot so eifersüchtig war? Aber warum denn? Sie hatte doch Herbert geheiratet. Hatte sie gedacht, sie könnte mich irgendwie dazu bringen, mich in sie zu verlieben oder mich umzupolen?
„Warum sagst du so etwas? Warum sollte Margot das tun?“
„Das weiß nur sie alleine. Im Krankenhaus, und deiner Mutter gegenüber hat sie sich als deine Verlobte ausgegeben. Hat deine Mutter denn keine Ahnung, dass du schwul bist?“
„Sie weiß das schon seit langer Zeit. Wieso sollte sie da mitgespielt haben?“
„Vielleicht war es ihr peinlich.“
„Kann sein. Aber warum hat sich Margot als meine Verlobte ausgegeben?“
„Ganz einfach, weil sie sonst nicht auf die Intensiv gekommen wäre. Sie hätte dich nie besuchen dürfen.“
Ich dachte zurück. Ja, sie hatte mich in der ersten Zeit fast täglich besucht. Es war sehr anstrengend gewesen, weil sie nie über Franz reden wollte und ich hätte am liebsten nur von ihm geredet und geweint.
Langsam erkannte ich, dass Margot nicht wirklich die Freundin war, für die ich sie immer gehalten hatte. Wann hatte sie sich so verändert? War das an dem verhängnisvollen Tag, als Franz und ich uns unsere Liebe gestanden? Das konnte gut möglich sein. Sie hielt sich von da an, mehr und mehr fern von mir und war manchmal sogar richtig feindselig. Ich wollte nicht dran denken. Für mich hatte sich nie etwas geändert. Als ich Hilfe brauchte, war sie da, das zählte für mich. Das sagte ich auch Leo. Der lachte nur darüber.
„Alles Kalkül bei ihr. Da hatte sie dich ganz für sich allein. Du warst ihr sicher hilflos ausgeliefert, stimmt's?“
Mir wurde schlecht. Ich lief auf die Toilette und würgte, ohne dass etwas hoch kam. Alles war ich ausspukte war Magenflüssigkeit. Ich umklammerte die Klomuschel und kam mir vor, wie der größte Vollidiot. Leo war hinter mich getreten.
„Ich habe recht, nicht wahr?“, fragte er leise.
Geduldig wusch er mir das Gesicht mit kaltem Wasser.
„Es geht schon wieder“, sagte ich etwas später, als wir uns wieder gegenüber saßen.
Ich dachte an all die Zeit, die wir zusammen verbracht hatten, Margot, ihr Baby und ich. Sie war wirklich sehr oft bei mir und sagte mir, was ich zu tun hätte. Jetzt fiel mir auch wieder ein, dass sie strikt gegen eine Therapie gewesen war. Aber Dr. Rosner hatte sie mir dringend geraten. Ich tat nicht oft, was Karl mir sagte, aber da war ich seiner Meinung gewesen. Das mit den Anonymen Alkoholikern hatte ich ihr erst gar nicht gesagt. Ich wollte keinen Streit. Erst als ich zu Resi übersiedelt war, brach der Kontakt wieder zusammen. Hier war ich nicht mehr alleine und sie konnte mich nicht mehr kontrollieren.
Leo wartete geduldig. Er saß einfach da und schien ins Leere zu starren.
„Warum hat sie von dir verlangt, mich ins Bett zu kriegen?“, brach ich schließlich die Stille. Ich musste irgendwie versuchen, mit der Wendung der Dinge fertig zu werden, doch dazu brauchte ich die ganze Geschichte. Später würde ich auch noch mit Resi reden müssen.
„Ich kann dir nur sagen, was sie mir damals am Telefon sagte. Sie meinte, dass sie einen guten Freund habe, der mal wieder richtig guten Sex braucht, sich aber nicht traut, jemanden anzureden. Es sei so eine Art Abschiedsgeschenk von ihr. Sie gab mir eine kurze Beschreibung von dir. Du hast dich ja sehr verändert. Ich sah dich im Krankenhaus nur mit Verbänden und du hattest sehr kurzes Haar, damals. Also erkannte ich dich nicht wieder.“ Er hielt kurz inne und schien in seiner Erinnerung zu kramen.
„Sie wollte nur, dass ich mit dir Sex habe und dann solltest du noch hören, dass ich ein bezahlter – na, du weißt schon, wäre. Ich dachte mir nichts weiter dabei – he schau mich nicht so angewidert an. Einen Ons hab ich öfter mal, na ja, so hin und wieder. Ich hab dir ja schon gesagt, dass ich kein Mönch bin. – Als ich aber dann merkte, wer du wirklich bist und dass sich meine Gefühle für dich nicht verändert haben, da war es schon zu spät.“
Wieder sprang er auf und lief händeringend im Zimmer herum. Irgend etwas schien ihn noch zu quälen. Ich wartete, wollte ihn nicht mit irgendwelchen Fragen durcheinander bringen.
„Als du das Gespräch mit Resi hörtest, wollte ich mich gerade verabschieden. Ich habe dir ja bereits gesagt, dass ich nichts mehr mit Margot und ihren Machenschaften zu tun haben wollte. Ich könnte mich wirklich in den Arsch treten, weil ich so blöd war. Andererseits, hätte ich dich wahrscheinlich nie wieder gesehen.“
Er stand vor mir, ließ die Hände und den Kopf in einer resignierten Haltung hängen und schien auf mein Urteil zu warten.
‚Franz, jetzt bräuchte ich wirklich deinen Rat’, dachte ich verwirrt. Ich hatte den Eindruck, dass Leo die Wahrheit sagte.
„Setz dich erst mal wieder hin“, sagte ich schließlich, stand selber auf und ging zur Küchenzeile. Ich musste mich mit irgendetwas beschäftigen.
„Magst du Kaffee?“, fragte ich, weil mir nichts anderes einfiel.
„Gerne. Ich bin froh, dass du mich nicht gleich wieder vor die Tür setzt.“
Leo schien ehrlich erleichtert über meine Reaktion, das konnte ich an seiner Haltung ablesen.
„Es wird etwas dauern. Ich weigere mich, für eine Espressomaschine einen Haufen Geld auszugeben. Magst du was essen? Es wäre eigentlich Zeit für Frühstück.“ Ich sah auf die Uhr. „Oder Mittagessen.“
„Ein Kaffee wird schon reichen“, meinte Leo bescheiden.
Ich beschloss, richtig Frühstück zu machen und begann den Kühlschrank auszuräumen. Es fanden sich einige Leckereien: Käse, Butter, Tomaten, Gurken. Aber nirgends fand ich auch nur ein Stück Brot.
„Bei mir gibt es nur fleischlos. Ich esse schon jahrelang kein totes Tier mehr. Ich muss nur noch schnell Brot besorgen“, sagte ich, während ich den Tisch deckte.
„Kann ich dir helfen“, bot er seine Hilfe an.
„Danke, ich komm schon zurecht. – Bin gleich zurück“, sagte ich und lief schnell in den Laden.
Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich wieder einmal vergessen hatte, mir etwas anzuziehen. Resi erschrak nicht schlecht, als ich nackt bei ihr in den Laden schaute.
„Florian!“, rief sie, „schnell geh dir was anziehen! Was brauchst du?“
„Ein Brot Resi und irgendwann, wenn du Zeit hast, ein längeres Gespräch.“
„Geh, die kleine Angerer kommt gerade zur Tür rein. Ich bring dir gleich das Brot rauf. Ich schließ sowieso jetzt ab, dann können wir reden.“
Sie scheuchte mich aus dem Laden und ich lief leise fluchend die Treppe hoch.
„Verdammt, warum hast du mir nicht gesagt, dass ich nichts anhab, Idiot“, herrschte ich Leo an und zog mir schnell eine verbeulte Jogginghose an, die ich oben in einem der Koffer fand.
„Sorry, ich seh' dich gerne so“, antwortete er kaum hörbar und errötete bis zum Haaransatz.
Resi kam gerade herein, als ich wieder jugendfrei anzusehen war, und Kaffee einschenkte. Ich bot ihr an, an unserem Frühstück teilzunehmen.
„Es freut mich, dass du gestern doch nicht abgefahren bist, Leopold“, sagte sie und setzte sich zu uns.
„Ich musste noch etwas erledigen, Frau Müllner.“
„Das sehe ich auch so, aber nenn mich doch Resi. Ich kenn dich schon, da warst du noch so klein.“ Sie hob ihre Hand an die Tischkante und lächelte.
„Danke, dass du die Schweinerei im Bad weg gemacht hast, Resi. Macht es dir was aus, wenn ich doch nicht ausziehe?“ Sie strahlte über das ganze Gesicht, das machte den nächsten Schritt einfacher.
„Was hat dir Margot erzählt, das du tun solltest?“
„Sie hat nur gesagt, ich soll dich mit Leopold bekannt machen und dann dafür sorgen, dass du bestimmte Dinge hörst. Mir kam das komisch vor und ich wollte es zuerst auch nicht machen, aber sie meinte, es wäre schon in Ordnung so.“
Resi konnte man wirklich jeden Blödsinn erzählen. So klug sie in vielen Dingen war, so einfältig war sie in anderen. Das machte sie einerseits liebenswert und andererseits wieder sehr anstrengend.
„Sind wir wieder Freunde, Florian?“
„Ja Resi, aber nur, wenn du mich endlich Flo nennst. Florian sagt nur meine Mutter.“
„Flo, wie sich das anhört! Du bist doch kein Ungeziefer – aber wenn es dir lieber ist.“
Wir verbrachten angenehme zwei Stunden bei einem ausgiebigen Frühstück, ich werde mich auch weiterhin weigern es anders zu nennen, und redeten über Gott und die Welt.
Meine Wut auf die beiden war verschwunden. Ich mochte Leo wirklich sehr gerne und ich fühlte sogar etwas für ihn, dass ich später am Abend als Liebe erkannte. Noch wollte ich es ihm und mir aber nicht eingestehen.
Als Resi gegangen war, breitete sich eine wohltuende Stille zwischen Leo und mir aus. Wir saßen einfach zusammen und tranken den restlichen kalten Kaffee.
„Kalter Kaffee macht angeblich schön“, meinte Leo nach einer Weile.
„Ich dachte, das gilt nur bei Frauen“, erwiderte ich grinsend.
Nach einer Weile stand ich auf, und ging ins Schlafzimmer. Es war an der Zeit, die Koffer wieder auszupacken. Leo kam und half mir.
„Na, wird das noch was bei dir“, hörte ich eine Stimme hinter uns. Der Doktor! Er hatte ja seinen Besuch angekündigt. Das hatte ich vergessen.
„Karl, schleich dich nicht so an!“ Ich war ehrlich erschrocken. „Kannst du nicht klopfen!“
„Hab ich noch nie. Na, wieder beruhigt? Ich will mir nur die Schnittwunden ansehen.“ Er ging zum Bett und öffnete seine große Tasche. Dann bedeutete er mir, zu ihm zu kommen. Ich nahm Platz und Leo gesellte sich dazu.
„Soll ich beim Verbandwechsel helfen, Herr Doktor“, erbot sich Leo.
Karl nickte und übergab ihm einiges an Verbandszeug. Ich schaute den beiden fasziniert zu, wie sie schweigend an meinen Händen und Unterarmen werkten.
„Was hast du eigentlich gemacht?“, wollte Leo wissen.
„Ich erzähle es dir später“, sagte ich kurz angebunden, weil ich merkte, dass Karl zu lachen anfing.
„Der hat gestern randaliert“, sagte er und hielt sich den Bauch vor lachen.
„Wegen …?“ Leo sprach nicht weiter, sah mich sorgenvoll an. Ich nickte einfach.
„Oha, Sie sind also der Galan! Da hast du aber gut daran getan, Flo, ihn wieder rein zu lassen. Der kann dir in Zukunft die Arme verbinden, dann kann ich mir den Weg sparen und habe etwas mehr Zeit zum Angeln.“
Leo schnappte nach Luft.
„Karl, du bist ein Idiot und eins sage ich dir, die Sedierung werde ich dir lange nicht verzeihen. Du weißt ganz genau, dass ich es hasse, wenn ich irgendwelche Psychopharmaka nehmen muss und dann noch gegen meinen Willen!“
„Reg dich wieder ab, Mann. – So fertig, ich geh jetzt und lass euch Täubchen mal allein.“ Er lachte schallend, während er raus ging.
„Hau ja ab, du Blödmann!“ Ich war richtig sauer auf seine taktlosen Bemerkungen. Der Rosner würde sich nie ändern, dazu war er zu alt.
Leo war vor Verlegenheit rot geworden. Er schien auf irgendeine Erklärung zu warten.
„Was weiß denn der Doktor über uns?“
„Resi hat ihn gestern geholt, nachdem ich das Bad zerlegt hatte. Dabei habe ich mir die Schnitte zugezogen. Ich denke, sie hat ihm so einiges erklären wollen und dabei mehr gesagt, als sie wollte.“
„Oh, Flo! Wird sich das jetzt im Dorf herumreden?“
„Nein. Karl ist zwar ein zynischer Vollidiot und taktloser als sonst einer, den ich kenne, aber der plaudert nichts aus.“
„Dann bin ich ja beruhigt. Und du wolltest dir gestern wirklich nichts antun?“ Seine Stimme klang besorgt.
„Ehrlich? Ich weiß es nicht.“
Stumm räumten wir die Wohnung auf.
„Kann ich heute hier bleiben? Ich bin einfach zu müde, um noch nach Hause zu fahren. Ich schlafe auch auf der Couch, wenn es sein muss.“ Er klang wirklich sehr müde und sah auch erschöpft aus. Deshalb sagte ich schlicht: „Hol deine Sachen rauf, wenn du welche dabei hast.“
Während ich das Bett frisch bezog, dachte ich: ‚Ich denke, ich habe mich in dich verliebt, Leo’
Ich spürte eine lange nicht mehr gekannte Freude darüber, jemanden einfach nur anzusehen, oder an ihn zu denken.
„Die Couch ist nicht so gut, du kannst bei mir schlafen. Aber wehe du schnarchst, dann wanderst du ins Wohnzimmer“, sagte ich, als er zurück kam.
Leo verbrachte die nächsten zwei Tage bei mir. Wir kamen uns menschlich auch sehr nahe und ich fühlte, dass ich die Liebe wieder gefunden hatte.
Auf Margot war ich noch wütend, aber sie hatte mir, wenn auch ungewollt, Leo gebracht, den ich so womöglich nie kennen gelernt hätte.
Am Sonntag Abend saßen wir noch lange zusammen.
„Morgen früh muss ich wieder fahren. Aber ich komme dich an meinen freien Tagen besuchen, wenn ich darf“, sagte er, als es schon dunkel geworden war.
„Du darfst jederzeit zu mir kommen, ich hoffe, du weißt das.“ Ich nahm ihn in den Arm, selten ging eine Berührung von mir aus, ich bin eben schüchtern.
„Danke“, nuschelte er in meine Schulter.
„Hey, nicht nur du hast dich verliebt“, versuchte ich leichthin zu sagen, brachte aber ein Beben nicht aus der Stimme heraus. Er richtete sich auf und sah mich erwartungsvoll an.
„Aha“, war alles, das er herausbrachte.
„Ja, Leo. Ich habe vielleicht etwas länger gebraucht, aber ich liebe dich.“
Dann nahm ich sein Gesicht in die Hände, schaute ihm tief in die Augen und küsste ihn. Zuerst sanft, dann immer fordernder. Bis wir schließlich im Bett landeten und uns diesmal Zeit für unser Liebesspiel ließen. Ich spürte nicht mehr den Drang, mich mit Sex zu betäuben. Nein, ich wollte ihn kennen lernen, ihn spüren, ihn fühlen lassen. Zum ersten Mal übernahm ich die Führung und er ließ es zu. Er vertraute mir bedingungslos und ich ihm.
Es war ein gegenseitiges Geben und Nehmen – so sollte es sein. Nein! So muss es sein, wenn man liebt.
Es war schon nach Mitternacht, als wir endlich befriedigt und ermattet auf das Bett sanken.
„Gott! - es macht einfach Spaß mit dir“, sagte Leo und stöhnte verhalten. Er lag auf dem Rücken, hatte die Augen geschlossen und ein zufriedenes Lächeln auf dem Gesicht. Irgendwie wirkte er wie eine satte Katze, die sich gerade am Sahnetopf gütlich getan hatte.
„Ich denke, du schläfst jetzt besser, wenn du morgen früh raus musst. Wann musst du eigentlich auf?“
Er drehte sich auf die Seite und warf einen Blick auf die Uhr.
„Scheiße!“, rief er. „Viel Schlaf werde ich nicht mehr bekommen. Was soll’s, das ist es mir wert. Du bist es mir wert.“ Er lachte, als ich widersprechen wollte.
„Du bist es wert, Flo“, wiederholte er bestimmt.
Mit Leo an meiner Seite, hatte ich das Gefühl alles meistern zu können. Eine zentnerschwere Last schien von meiner Seele gefallen zu sein. Ich hatte Margot gegenüber keine Schuldgefühle mehr. Sie hatte mich nur benutzt und wollte mich ändern. Leo hatte mir das klar gemacht.
Mein Leben füllte sich wieder mit Sinn, als mir Resi den Laden überschrieb. Das sorgte im Dorf am Anfang für reichlich Wirbel. Am meisten wetterte der Angerer dagegen. Ruhe kehrte erst ein, als der Pfarrer von der Kanzel predigte: „Derjenige der ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein.“ Resi hatte mir davon erzählt. Ich mied die Kirche, wie der Teufel das Weihwasser, aber ich mochte den Pfarrer. Auch er hatte sich als wahrer Freund entpuppt.
Das Leben führt manchmal schon sonderbare Wege und legt einen Freunde einfach so mitten in den Weg. Wenn man nur die Augen offen hat, sie zu sehen, dann sind Freunde leichter zu entdecken, als allfällige Steine, die im Weg sein mögen.
Alles im Leben hat seinen Sinn – hoffe ich zumindest. Aber wer immer nur nach dem Sinn des Lebens sucht, der läuft am Leben vorbei, man darf sich nur nicht aufgeben. Menschen, die man liebt, vergisst man nie. Franz werde ich bis an mein Lebensende nicht vergessen und Leo wird bei mir sein, so lange wir beide es wollen.