Kollaps
Die Kemenaten schwitzten. Die Wohnsilos auch. Der Asphalt in den Straßenschluchten und die Gehwegplatten ebenso. Jeder in der Stadt lechzte nach einem flüchtigen Schatten und einem kühlen Lüftchen. Und alle sehnten sich nach crushed Blaubären aus dem Kein-Schimmer-Land, die im Eiswürfelshake mit einem Mix aus Waldbeeren schwammen, die extra vom Nordpol in die Großstadtwüsten importiert wurden. Momentan herrschten draußen fast sübzisch °Celsius. Und jeder der etwas auf sich hielt, trug einen vollklimatisierten Allzweckanzug von der Firma Cuhlness – den deren Raffzähne von Großraumratten einem akkurat auf den Leib schneiderten, damit man nicht von den Lichtwellen aus dem ungefilterten Weltall gegrillt wurde.
Alles konnte heutzutage nur noch unter den Käseglocken-Filterblasen dieser hinfälligen Erde existieren und niemand zweifelte daran, dass das alles seine Richtigkeit gehabt hat. Denn jede dieser Schutzblasen wurde von den Werbebotschaften der Firma Cuhlness durchflutet. Und die Microchips, welche von Geburt an in die Großhirnrinden der Eierköpfe eingepflanzt wurden, impften deren Gehirne mit den Botschaften dieser Firma, so dass sie diese für die Wahrheit hielten und vor sich herbeteten.
Nur eine Hand voll widerspenstiger Spiritueller bildeten den Untergrund der ansonsten cleanen und gleichgeschalteten Gesellschaft. Sie hatten es über die Jahrhunderte hinweg geschafft, sich von der gemeinschaftlichen Denkplatine der allmächtigen Gottväter zu lösen und die Microchips insgeheim zu deplantieren, ohne dass die Oberen etwas davon bemerkten, um sich schließlich via dezentraler, mobiler Aluhäute gegen die Weltallstrahlenwellen zu immunisieren und unabhängig von den Käseglocken dieser Erde zu machen.
Und nun waren sie auch dazu bereit, sich aus den Labyrinthen des Untergrundes zu befreien, um die Oberwelt außerhalb der schützenden Filterblasen zu erobern.
Die Gottväter der Cuhlness-Gläubigen und -fürchtigen nannten diese Querdenker auch Riddiklyaner. Denn ihre Anführerin war eine wildgewordene Holographin mit dem Namen Ridmy. Die letzte Nachfahrin aller weisen Kräuterfrauen aus der alten Welt, die ihre Urmutter Riddikly als ewigen Kult verehrten.
Niemand außer Ridmy war dazu in der Lage, aus Nullen und Einsen einen grünen Code zu stricken, der eine lebendige Natur hervorbringen würde, die sich auch unter allen äußeren Widrigkeiten selbstständig vermehren und die alten Steinwüsten der Außenwelt wiederbeleben und begrünen konnte, um so einen erneut natürlichen Schutzschirm in der Erdatmosphäre gegen die Weltallstrahlung aufzubauen.
Doch das wollten die alteingesessenen Gottväter des Cuhlness-Clans verhindern und schmiedeten einen Komplott gegen Ridmy und ihre Querdenker. Sie infiltrierten diese Gegenbewegung unbemerkt mit mehreren Agenten und spannen so ihr Netz aus Intrigen.
Einem der Agenten der Cuhlness-Firma gelang es schließlich kurz vor dem Tag Zero im Glauben der Ridmy-Bewegung, Zugang zu ihrem grünen Code zu erlangen und diesem einen virtuell selbstzerstörerischen Bandwurm einzupflanzen, so dass der Neustart der Außenwelt – außerhalb der Schutzblasen dieser hinfälligen Erde – und die Wiederbegrünung der alten Steinwüsten in einem evolutionären Fiasko endeten.
Das Fazit waren Monokulturen aus steinernen Pilzwällen und Schwämmen, die neonviolett verstrahlt über die alten Steinwüsten wucherten und so auch die letzten eventuell dort noch lebenden Einzeller mit ihrer inneren Giftstrahlung abtöteten.
Ridmy allerdings wurde als Holgraphin in ihrem Dasein derangiert, in ihre Einzelbestandteile aus Nullen und Einsen zurückgewandelt und auf die Datenmüllhalde der Cuhlness-Firma verbannt. Von dort aus hallte sie aller Jubeljahre einmal als diffuses Echo durch das weltweite Netz der Filterblasen dieser Welt, doch niemand der Cuhlness-Gläubigen und -fürchtigen wusste dieses Echo zu deuten.
Der klägliche Rest der Spirituellen wurde durch die Umerziehungslager des Cuhlness-Clans umgepolt und separiert, und nur wenige erinnerten sich selbst nach Jahren der weißen Folter noch verschwommen an die Legende des Riddikly-Kultes und an Ridmy, die letzten Nachfahrin aller weisen Kräuterfrauen aus der alten Welt.
So nahm schließlich alles sein vorhersehbares und bestimmtes Ende und mündete im Weltallstrahlenkollaps, der die gesamte Erdoberfläche und jedes dort noch verweilendes Lebewesen ausdörrte und in seine Staubpartikel zerlegte. Selbst die Käseglocken-Filterblasen waren dagegen machtlos und zerfielen letztendlich zu Staub.
© CRK, Le, 08/2020