Der Anfang des Regenbogens
Kobolden sagt man ja nach, dass sie ihren Goldschatz am Ende des Regenbogens horten. Manche Leute glauben das, andere tun es als Unsinn ab.Aber wieso sollten sie keinen Goldschatz versteckt halten? Welches bessere Versteck könnte man sich wünschen, als das Ende des Regenbogens? Na also, es gibt kein besseres! Niemand weiß, wo das Ende des Regenbogens ist, oder besser gesagt, beim Regenbogen weiß man nicht, welche Seite der Anfang oder das Ende ist. Oder hat sich schon mal jemand darüber Gedanken gemacht? Hab’ ich’s mir doch gedacht. Weil er aber ein Ende hat, muss er auch einen Anfang haben, ist doch logisch.
Was nun die Kobolde anlangt: Das sind sehr schlaue Wesen und verstehen es prächtig, sich zu verstellen und unter den Menschen zu verstecken, oder woher glaubt ihr, dass sie all ihr Geld haben? Na, unter den Wurzeln wächst es nicht! Seht ihr! Aber ich denke, dass sind andere Wesen. Vielleicht gibt denen mal jemand einen Namen.
Um mal eine Geschichte zu erzählen: ich habe mich auf die Suche nach dem Anfang des Regenbogens gemacht. Jawohl, dem Anfang! Nicht das Ende, das sucht doch jeder. Wen interessiert schon das, was jeder macht?
Also, eines schönen Tages, eigentlich war es regnerisch und trüb, aber man sagt halt so in Geschichten, habe ich mich auf den Weg gemacht. Der Weg führte nicht weit – vom Haus in die Garage, fünf Schritte, waren es von der Haustür zur Garagentür. Dort zehn Schritte und ich war am Auto. Ein weiterer Schritt ließ mich einsteigen. Dann saß ich am Steuer und fuhr rückwärts hinaus, aber nicht ohne vorher das automatische Tor zu öffnen. Nicht alle Blondinen fahren Löcher in die Tore und das Auto zu Schrott – schließlich habe ich ja keinen Goldesel zuhause, der mir das immer bezahlt, und die Versicherung würde mir den Vogel zeigen und mich mit der Rechnung sitzen lassen.
Ich schweife ab. An diesem regnerischen Tag fuhr ich los, um den Anfang zu suchen. Wo es ein Ende gibt, muss es einen Anfang geben, das war meine logische Schlussfolgerung. Auch Frauen können logische denken – falls einige Männer jetzt lachen: ich hab ein schweres Nudelholz in der rechten Hand, das ist wirklich schwer – und ich habe keine Skrupel dieses auch zu benutzen. Das sei hier nur so nebenbei erwähnt.
Ich fuhr die Straße hoch in die Wälder. Wälder sind immer gut, wenn man auf Fabel- und Märchenwesen hofft. Nebel wäre auch nicht schlecht gewesen, aber dafür regnete es, was ja auch nicht zu verachten war. Als ich in Höhe der Autobahnbrücke war, hielt ich mal kurz an. Warum weiß ich auch nicht mehr, ich hielt einfach. Vielleicht weil es zu meiner Stimmung passte. Ist ja auch egal.
Ich fuhr wieder weiter. Es trieb mich voran, den Anfang zu suchen. Die Sonne schickte gerade einige Strahlen durch die dicke Wolkendecke. Wenn ich Glück hatte, konnte ich ihn entdecken. Ich strengte mich sehr an und schaute nach allen Seiten, so weit das beim Auto fahren eben geht. Da sah ich ihn auch schon!
Ein Regenbogen – wunderschön und groß, und verdammt weit weg. Das würde länger als einen Tag dauern. Ich merkte mir die Richtung, weil er die Menschen ja nie lange mit seiner Anwesenheit beehrt. Konzentriert steuerte ich meine Klapperkiste durch die Hügellandschaft.
Die Wolkendecke war wieder geschlossen. Ich hatte meine Suche vergessen und erfreute mich am regelmäßigen Wupp-Quieck des Scheibenwischers. Der Regen prasselte einen tollen Rhythmus dazu. Alles schien ineinander zu fließen und mich mit Licht zu füllen. Lacht nicht – das ist so, echt! Nicht erfunden! Ich fuhr im Regen und fühlte mich voller Licht.
Ich fuhr noch einige Kilometer weiter und drehte dann um. Warum ich denselben Weg zurück gefahren bin?
Man glaubt es kaum: Ich hatte den Anfang des Regenbogens gefunden! Jetzt brauchte ich nur noch den Weg zurück fahren – und ich war an seinem Ende!
Der Anfang und das Ende – bin ICH! Und jetzt fragt ihr euch sicher, was es mit diesem komischen Kobold, manche würden sagen, verdammten Kobold, auf sich hat? Naja, der Kobold haust in jedem von uns. Das Mistding, hortet alle guten Erinnerungen, wie Schätze! Nur manchmal verliert man den Regenbogen aus den Augen und dann – futsch Kobold mit seinen Schätzen.
Dann braucht man nur den Anfang zu suchen, um ans Ende zu gelangen. Ob das immer so funktioniert? Keine Ahnung – aber einen Versuch ist es auf jeden Fall wert.
Ach ja – falls das alles gelogen ist, auch egal. Wer sich auf eine Suche macht, der wird immer irgendetwas finden. Vielleicht sogar gerade das, was er nicht gesucht hat – das kann sich oft als wertvoll erweisen, oder eben als totaler Schrott.
Jetzt sagt mal ehrlich: Ist das Leben nicht schön, voller Überraschungen?
Und wer jetzt lacht – vergesst nicht: ich hab ein schweres Nudelholz in der rechten Hand, und keine Skrupel dieses auch zu benutzen!
(c) Herta 8/2009