Das siebzehnte Türchen
Guten Morgen, ihr lieben Rater:innen
- ich mach es kurz:
@*******Dom ist es gewesen, der uns vom größten Wunsch an den Weihnachtsmann erzählte.
Die heutige Geschichte handelt von einer verhexten Begegnung, nur soviel will ich vorab verraten
Weihnachten, verhext
Barbara starrte in ihre Tasse. Verschwommen nahm sie ihr Gesicht wahr. Die Flüssigkeit wirkte wie ein Spiegel und doch wieder nicht. Sie sah ihre wilden Brauen, den verschwommenen Lidstrich und das rudimentäre Rouge in ihrem Gesicht. Ein schneller Blick auf ihr Kissen. Ja, wilde Nacht. Aber nicht wild im Sinne von zärtlicher Ausgelassenheit oder ausufernder Wollust. Eher wegen zu viel Wein und umgekippter Barbara ins Kissen. Im Radio dudelte „Everybody loves somebody“ von Dean Martin. Ihr Hass-Song. Sie hasste „Heile Welt“ – Songs. Ihre Musik war eine andere. Blick zurück in die Tasse. Sie sah sich selbst den „Spock“ machen. Zweifelnd eine Braue in die Höhe zu ziehen, die andere verwurzelte, wo sie war. Das konnte sie gut. Zwei irritierende Dinge auf einmal? Sie trank niemals Kaffee! Wo kam der eigentlich her? Ihres Wissens hatte sie keinen Kaffee im Haus. Und dann dieses blöde Lied.
Die Gedanken wurden konturierter. Was stimmte noch nicht? Die Sonne schien. Hatte nicht viel zu bedeuten, denn Sonne hieß im Dezember nicht zwingend, dass es draußen auch warm wäre. Irgendetwas stimmte nicht. Aber was? Barbara fühlte sich, wie wenn sie ein Musikstück von einer alten Cassette hörte. Fehlen die Obertöne, fehlt es an Range, Tiefe und Brillanz. Sie sah an die Wand zum Treppenhaus. Wie ein König thronte dort ihr Kontrafagott. Allein der Name barg viele Anspiel…
Ihre Stirn zog sich in Falten. Anspielung? Da war doch etwas? Aber was? Barbara erschrak bis ins Mark, als sich plötzlich die Badezimmertür öffnete und ein nackter Mann im Raum stand. Was…
„Hey Babe“, sagte er, als wäre es das Natürlichste der Welt. Barbara starrte ihn an. Allmählich dämmerte es. Gestern, nach dem Konzert… die Einladung… ihre Ablehnung… seine Beharrlichkeit… die Kneipe. Sie war geschlossen. Weiter zur Trinkhalle. Geschlossen. Der absolute Tiefpunkt ihres Lebens war eine Dose Red Bull Wodka vor der Markant Tankstelle an der Herner Straße. Er… sein Name wollte ihr partout nicht einfallen… wollte noch einen Abstecher machen ins… ins… Blue Dingsbums in Gelsenkirchen. Ein bisschen Spaß haben, so richtig dekadent… aber sie wollte nicht. Alkohol machte sie müde. Und jetzt stand er hier. Er. Louis. LOUIS! Das war sein Name! Jetzt auf cool machen.
„Hi Louis. Alles okay?“
Louis grinste sie an. Dieser Blick, die Zähne, die Lippen! Dieser Albtraum hatte sogar schöne Füße. Seine nassen Haare klebten ihm am Kopf. Er war muskulös, aber nicht übertrieben. Irgendwie „definiert“… kein Sixpack, aber dicht dran… große Hände, aber nicht klobig… ein markantes Kinn, aber kein Schaufelkiefer. Louis versinnbildlichte alle ihre feuchten Phantasien. Alle auf einmal. Wie sagte ihr untersetzter, schweinchenschlauer Nachbar immer? „Wenn etwas zu schön ist, um wahr zu sein, dann ist es das auch!“
Aber Barbara konnte, nein wollte es nicht glauben. Denn Louis stand ja direkt vor ihr und grinste sie an auf diese Art, dass ihre Beckenmuskeln sich direkt in den Angriffsmodus begaben. Ihre Knie zogen sich zusammen und sie betete, dass er dies nicht bemerken möge. Wie peinlich. Langsam sackte die Erinnerung durch. Lento, Adagio, Andante, Moderato, Allegretto, Allegro, Vivace, Prestissimo, Crescendo fulminante und wieder Lento. Sie erinnerte sich, dass sein Kopf fast in sie kroch, als er seine Trompeter-Lippen sinnvoll nutzte. Und jetzt kam die Erinnerung vollends. Wo war der andere? Wie hieß er? Klaus? Als ob er es gehört hätte, kam der zweite Adonis aus dem Bad. Dunkelhäutig, muskulös, breit grinsend, wie ein schattiges Spiegelbild Louis. Sollte sie tatsächlich jahrelang wie eine Nonne… und dann gleich zwei Typen… und auch noch Orchesterkollegen! Ihr Ruf war ruiniert!
Die beiden sahen sich an. Kamen auf sie zu. Barbara wurde schwummerig. Nein, bitte nicht! „DOCH“ sagten die Augen der beiden Jungs und nicht nur ihre Augen. Mit jedem Schritt wurde die Absicht offenbar, zum Frühstück ein Sandwich zu sich zu nehmen.
Stunden später wurde sie wach. Sie fühlte sich geschunden. Wund. Überall kribbelte es. So wunderbar! Und es war heiß. Wie ein Fiebertraum. Barbara stützte sich auf ihren Ellbogen. Sah Louis, der wieder breit grinste wie ein Lausbub mit bösen Ansichten.
„Wo ist Klaus?“
„Heute ist Heiligabend, der hat viel zu tun.“
„Du nicht?“
„Nein, ich mache immer, was ich will“
Barbara atmete tief durch. Ihre Körperöffnungen brannten. Ihre Muskeln streikten. Ihr Geist war satt und wirr zugleich. Sie war aufgeregt und fühlte gleichsam eine tiefe Ruhe in sich. Befriedigung. Noch nie spürte sie das. Nicht so. Bei Karl damals war sie unsicher. Bei Thomas skeptisch, bei Hans schon fast angewidert. Und dann das!
„Du musst jetzt gehen“, sagte sie.
„Ich weiß“. Dabei zog er sich bereits die Hose an. Und grinste wiederum. Barbara wusste nicht, was sie wollte. Einerseits wollte sie diesen selig-abscheulichen Zustand wieder erleben, andererseits war sie unsicher, ob ihre Moral Schritt halten konnte. Denn ihr Leben war immer von Ratio bestimmt gewesen. Von Klugheit, Effizienz, Absolutismus und einer ethisch-moralischen Leitlinie. Das alles war vorbei. Alles wegen diesem, diesem… Trompeter, der sie wohl verhext hatte.
„Verrätst du mir deinen Namen?“
„Ich heiße Cyphre. Louis Cyphre. Du brauchst meine Nummer nicht. Ruf mich. Ich finde dich…“