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Alaska - Lachse, Gold und eine Erstbesteigung

Gebückt, doch nicht gebeugt
*********Joe62 Mann
184 Beiträge
Themenersteller 
Alaska - Lachse, Gold und eine Erstbesteigung
Vorbemerkungen:
Ich möchte nachfolgend eine Fortsetzungsgeschichte vorstellen, die einem persönlichen Erlebnis entspringt und die das Abenteuer in einem wilden Land mit einem schweren Schicksal in der Heimat verbindet.
Weil das Land so unsagbar weit und ungewöhnlich ist werde ich zu jeder Folge Bilder beisteuern, so dass die geneigte Leserin und der geneigte Leser über Anschauungsmaterial zu den Highlights des Abenteuers verfügen.


Alaska – Lachse, Gold und eine Erstbesteigung

Kilimanjaro!
Ein echtes Abenteuer.
Der Vorschlag kam von einem guten Freund. Über zwei Jahrzehnte wanderten wir bereits gemeinsam durch die Alpen. Nun wollten wir mal etwas Besonderes machen. Einen außergewöhnlichen Berg besteigen. Das war der Beschluss. Sofort kam der Vorschlag mit dem schneebedeckten Berg in Afrika.

Mir kam die Sache spanisch vor. Sagt man doch so, wenn etwas klemmt. Oder?
Als altem Bergfex war mir geläufig, dass die meisten Besteiger des Vulkans eine Woche lang nach oben unterwegs waren und am letzten Tag an heftigen Kopfschmerzen litten, oder erst gar nicht den Gipfel erreichten. Der Grund war die Vorgabe der zwanghaft einzuschaltenden einheimischen Bergführer, an diesem letzten Tag 1.400 Höhenmeter zurücklegen zu müssen. Und das in einer sauerstoffarmen Umgebung.
Ich war dagegen weil es keinen Spaß machte. Und wollte nochmals nachdenken.

Da kam mir der Zufall zu Hilfe.
In einem Fernsehbericht auf NTV über die in Alaska gelegene Iceroad, auf der verwegene Trucks über zugefrorene Seen und Flüsse fuhren, erklärte der Sprecher in einem Nebensatz, dass man im Hintergrund zahllose namenlose Berge sehen würde.
Es traf mich wie ein Blitz. Es war also heute immer noch möglich: eine Erstbesteigung. Mit Namensgebung. Das war die Lösung.
Sofort bekam ich Gänsehaut und begann zu recherchieren. In der Tat. Dort oben im hohen Norden lag ein riesiges Gebirge, die Brooks Range, viel größer als die europäischen Alpen, in dem lediglich vier Berge indianische Namen besaßen.
Das war einfach zu erklären. Zum einen gab es dort nur eine einzige Straße, den 815 Kilometer langen Dalton Highway. Und den durfte lange niemand befahren. Außer Leute, die zu den Ölfeldern am Eismeer mussten. Zum anderen lag dieses Gebirge in einer menschenleeren arktischen Region. Keine Wanderwege, keine Pfade, nichts führte durch die Welt der schneebedeckten Gipfel und der zumeist zugefrorenen Täler.
Die gesamte Region befand sich weit nördlich des Polarkreises. Hinter dem nördlichen Rand des Gebirges lag noch ein schmaler Streifen Tundra, dann folgten schon das Eismeer und dahinter alsbald der Nordpol. Da war es so kalt, dass es nur an ungefähr vierzig Tagen im Jahr oberflächlich auftaute. Im Erdreich herrschte Permafrost.

Die Konsequenz: in dieser weitläufigen Region gab es keine Touristen. Wo es keine Touristen gab, gab es wahrscheinlich auch keine Bergsteiger. Wo es keine Bergsteiger gab, da kraxelte auch niemand rum und gab den Bergen irgendwelche Namen. Die Namensgebung ist im Übrigen entscheidend, um eine Region beschreiben zu können. Damit man erklären kann, wo man ist oder welches Ziel man ansteuert. Die amerikanische Behörde USGS erläuterte im Internet auf der damals einsehbaren Seite, dass es durchaus gewünscht wäre, Berge zu besteigen und sie zu benennen. Man wollte schließlich den Tourismus ankurbeln. Jetzt, wo die Straße freigegeben war.
Alsbald wusste ich, was man machen musste, um einen Berg mit einem selbst gewählten Namen taufen zu dürfen und teilte dies meinen Kameraden mit. Die fuhren sofort auf meine Idee ab. Wir besprachen uns kurz vor Weihnachten in dem Gasthof und dort in dem Raum, in dem 200 Jahre vor uns schon ein gewisser Johann WvG. aus W. gesessen hatte wenn er von Weimar nach Karlsbad zur Kur fuhr. Das sollte doch ein gutes Ohmen sein.
Die Begeisterung war sofort zu spüren. Ohne weiters zu überlegen sagten sie zu. Ein Kreis von vier Bergenthusiasten war gebildet.

Nun begannen die Vorbereitungen. Wir gaben uns ein halbes Jahr, denn Alaska konnte für diesen Zweck nur in den besagten vierzig Tagen zwischen dem 1. Juli und dem 10. August besucht werden. Danach begannen im Norden schon wieder die Schneefälle. Dann war kein Durchkommen mehr. Für uns Zeit genug, um die Kleidung und das Schuhwerk zu komplettieren, Karten zu besorgen, Informationen zur Anmeldung der Namensgebung einzuholen und so weiter.
Mitten in diese Vorbereitungen hinein platzten die Nachrichten, dass zwei unserer Kameraden ausfielen. Orthopädische und internistische Probleme. Krankenhaus. Reha, nix mit Alaska. Da waren wir plötzlich nur noch zu zweit. Unsere beiden Kameraden würden für immer bei längeren Touren ausfallen. Wir mussten also überlegten, ob wir zu zweit den Mut aufbrachten das Vorhaben umzusetzen. Unsere Frauen hatten schon zugstimmt. Sie wollten uns ziehen lassen. Und wir standen in Flammen. Der Berg – welcher es auch immer sein sollte -, Gold, Bären und Lachse zogen uns magisch an.

Der Anruf traf mich aus heiterem Himmel.
Meine Lieblings-Cousine war mit ihrer Familie auf dem Weg in den Urlaub gescheitert. In Bayern. Weil sie plötzlich unsägliche Schmerzen bekam. Ihr alter fieser längst als geheilt beschiedener Krebs machte sich bemerkbar. Das war ein Schlag ins Kontor. Ich mochte meine Cousine über alles. Hatte viel gemeinsam mit ihr erlebt. Von jüngsten Jahren an wuchsen wir gemeinsam auf. Ich hatte ihren Kampf gesehen, um das erste Mal den Brustkrebs zu besiegen. Das war richtig hart. Aber irgendwann galt er als geheilt.
Und nun das!
Unter Tränen erklärt sie mir ihren Zustand und ihre Prognose. Sie würde diesen neuerlichen Anfall wohl nicht überleben. Das erklärten ihr die Ärzte frei raus. Der Körper war schon übersät mit Metastasen. Da blieb für sie nur übrig nach hause zu fahren, um sich auf das Sterben vorzubereiten. Ich legte auf. Tränenüberströmt saß ich in meinem Büro. Wie gelähmt.

Die Reise nach Alaska würde ich nicht absagen. Da war ich mit ihr einig. Ich hatte sie damals, bereits zum Zeitpunkt unserer Entscheidung, von dem anstehenden Abenteuer unterrichtet. Sie wollte nun unbedingt, dass ich nach Alaska reiste. Also ließ ich die Planungen weiterlaufen. Ich hatte noch vier Wochen bis zur Abreise.
In den beiden Wochen vor dem Abflug sahen wir uns oft. Sie lag inzwischen zuhause in einem fahrbaren Bett, das man bei Bedarf auf die Terrasse rollen konnte. Gerne lag sie unter dem Baldachin und sprach mit ihren Kinder oder las ein Buch. Ein Ärzteteam sorgte für Schmerzfreiheit. Wenn das Ende nahen würde, käme ein Palliativ-Team und würde sie schmerzfrei auf ihrem unsäglichen Weg begleiten. Das klang erst mal rational. Aber zu sehen, wie ein geliebter Mensch stirbt, ist keine einfache Sache. Am Wenigsten für ihren Mann und ihre Kinder. Ich war von den Besuchen jedes Mal geschafft.

Am Tag vor dem Abflug in den kühlen Norden besuchte ich sie noch einmal. Sie erklärte mir mit fester Stimme, dass sie nur noch ein paar wenige Tage zu leben hätte. Zum Abschied wünschte sie mir viel Spaß bei meinem Abenteuer. Ich würde sie nie wieder lebend sehen.

Mein Freund erwartete mich am nächsten Tag frühmorgens frohgemut und versuchte sofort, mich auf andere Gedanken zu bringen. Es gab viel zu kontrollieren. Kleidung, Papiere, Geld, Ausrüstung und Technik. Alles war in Ordnung. Also rein ins Auto und ab zum Flughafen. 400 Kilometer bis Frankfurt.
Alles lief glatt. Auch der Flug über den Nordpol erfolgte überraschend ruhig und dauerte gerade mal neun Stunden.
Die Maschine setzte pünktlich im wolkenverhangenen Anchorage auf. Um elf Uhr vormittags traten wir hinaus in einen kühlen Sprühregen.
Nun durfte man mit den am Flughafen mietbaren Karossen leider keine unbefestigten Straßen befahren. Deshalb mussten wir ein Taxi nehmen und zu einem Verleiher am Stadtrand fahren, der geländegängige Autos mit einer Versicherung für gravel roads (Schotterstraßen) führte.

Wie schon so oft in den entlegensten Regionen dieser Erde erlebt, saß hinter dem Schreibtisch der Firma eine attraktive Schweizerin. Erst vor Kurzem mit ihrem Mann ausgewandert. Sie fertigte das Mietgeschäft routiniert ab. Ein Dodge Nitro sollte es sein. Silbern glänzend. Wohin wir fahren würden interessierte sie nicht. Sie wollte es nur in ungefähr dem Zustand wieder zurück, in dem sie es uns übergab.
Ungefähr? Was das bedeutete sollten wir noch kennenlernen.

Die ersten Meilen legten wir auf bestem Asphalt zurück. Anchorage war zwar eine große Stadt von beträchtlicher Ausdehnung. Aber der Verkehr auf den breiten Straßen war gering. Unser Kartenmaterial – Navis gab es damals für die Region noch nicht – führte uns zielsicher zur Stadtgrenze und zum Highway Richtung Fairbanks. Der anderen nennenswerten Stadt in Alaska.
Das Land ist so groß wie Europa, hat etwa 700.000 Einwohner. 1.400 Kilometer Straße exakt nach Norden lagen erst mal vor uns. Wir ahnten noch nicht, was da noch kommen sollte. Und wie leer dieses riesige Land war.
Das wilde Alaska, also das Land gleich hinter Anchorage, nahm uns mit starkem, mal mit sehr starkem Regen in Empfang. Die Wolken hingen auf der Straße. Kein Hindernis. Das Abenteuer zog uns voran, wie an einem unsichtbaren Gummiband.

Bis wir die Nähe des höchsten Berges unserer Erde erreichten. Mount McKinley, oder auf Indianisch Denali.
Nun ist der Mount Everest der höchste Steinhaufen nach Meereshöhe. Der Berg misst jedoch nur 3.300 Meter vom Fuß bis zum Gipfel. Der Denali ist etwa 6.100 Meter hoch, er misst jedoch 5.600 Meter vom Fuß bis zum Gipfel. Mehr als jeder andere Berg auf unserem Planeten. Deshalb war er auch schon über viele hundert Kilometer hin sichtbar.
Das Wetter schlug um. Kein Wölkchen trübte den Himmel. Die Sonne kam raus. Der Denali erhob sich mächtig über der Ebene, die wir bis zum Abend durchfuhren.

Wir suchten eine Übernachtungsmöglichkeit, wurden in einem aus Holz neu errichteten Motel fündig. Grizzly Bear Cabins – wie sinnig in einer Region, in der diese Bärensorte hinter jedem Bäumchen lauert. Jetzt noch ein Steak im gegenüberliegenden Saloon und wir würden müde ins Bett fallen. Steaks in Alaska sind schlechthin die Wucht. Der Saloon war es ebenfalls.

Später im Bett ging mir meine Cousine noch stundenlang durch den Kopf. Wie mochte es ihr ergehen? Was ging wohl in den Köpfen ihrer Familie vor...
Gravel Road - Dalton Highway
Mount McKinley oder Denali
Motel, Lodge und Saloon
Gebückt, doch nicht gebeugt
*********Joe62 Mann
184 Beiträge
Themenersteller 
Achtung! Zum Verständnis:

Der afrikanische Berg wird in deutsch mit Kilimandscharo bezeichnet. Ich habe leider die englische Schreibweise verwendet!

Liebe Grüße
Joe
**********gosto Frau
16.056 Beiträge
Das ist ja super spannend, lieber @*********Joe62!

Also eine treue Leserin hast du bereits! *les*
****59 Frau
3.154 Beiträge
WOW *wow*, ich bin begeistert und sehr gespannt auf die Fortsetzung *zugabe*
******s23 Frau
12.725 Beiträge
Wow das gefällt mir sehr gut. Spannend erzählt...wenn auch so traurig. Einen lieben Angehörigen zu verlieren ist einfach traumatisch.

Bin gespannt wie es weiter geht *g*
Gebückt, doch nicht gebeugt
*********Joe62 Mann
184 Beiträge
Themenersteller 
Alaska – Lachse, Gold und eine Erstbesteigung – Teil 2
Mit sorgenvollen Gedanken an meine todkranke Cousine wachte ich am frühen Morgen auf. Draußen schien die Sonne. Die kalte Morgenluft tat der europäisch versmogten Lunge gut. Ein typisches amerikanisches Frühstück mit Steak und Hush Browns, Ketchup und einem erstaunlich guten Kaffee stärkte uns für den Tag.

Bei der Planung unserer Tour zu „unserem“ Berg hatten wir beschlossen, unbedingt in den bemerkenswerten Denali-Nationalpark hineinfahren zu wollen. Selbstfahren war nicht erlaubt. Mit einem verwegenen Bus begann die Reise über eine abenteuerliche Straße viele Meilen durch ein weites Tal in Richtung des hohen Berges. Leider zeigte der sich in gewohnter Weise mal wieder nicht seinen Verehrern. An 340 Tagen im Jahr läge er hinter Wolken verhüllt, erklärte der Busfahrer, hielt aber gleich darauf kurz an, um uns an einem Rastplatz mit tollem Blick über das breite Flusstal raus zu lassen. Direkt unterhalb der Brüstung arbeiteten sich zwei Grizzlys durch die Büsche und fraßen sich an Beeren satt. Wir waren für die riesigen Geschöpfe uninteressant. Der Mensch ist weder ein Feind der Bären noch ein Futtertier. Er ist schlicht ein Konkurrent. Und nur deshalb gibt’s auch immer mal Stress mit Bären wenn die denken, man nähme ihnen etwas weg.
Wir sollten uns ruhig verhalten und keinen Lärm verbreiten, dann kämen sie bis auf wenige Meter zu uns heran, erklärte der bärtige Busfahrer. Wir hielten uns daran.
Das war nun, nachdem wir zuvor schon Elche, Wölfe und Dallschafe gesehen hatten, eine besonders spannende Form der Tierbeobachtung. Sie half, zusammen mit der umwerfenden Landschaft, mich von meinen Gedanken an die zuhause sterbende Cousine abzulenken.

Nach langer Fahrt und weiteren Begegnungen mit den großen Bären erreichten wir schlussendlich ein Besucherzentrum. Der Denali verbarg seine Silhouette weiterhin hinter Wolken. Dann halt nicht, dachte ich enttäuscht. Mal wieder ernüchtert von der Realität, denn bei der Reiseplanung hat man doch immer nur wolkenlose Landschaften vor Auge, betrachteten wir das riesige Bild unter der ebenso riesigen Fensterfront. Das Bild zeigte die Landschaft so wie sie aussähe wenn es nicht regnen würde. Das also meinten die Reiseführer, die ich verschlungen hatte, mit der Anmerkung, man solle sich in Alaska auf jede Art von Wetter binnen eines Tages gefasst machen. Denn nun regnete es bereits, vermischt mit dicken Schneeflocken. Diese harte Natur mochte auch der Grund dafür gewesen sein, dass der Denali erst vier Jahre nach dem Mount Everest im Jahr 1957 zum ersten Mal bestiegen wurde. Zuvor waren die Bergsteiger immer wieder gescheitert. Das liest sich in den Büchern meist in zwei, drei Zeilen. Vor Ort stellt sich eine solche knappe Formulierung aber oft als eine existentielle Herausforderung dar, unter der Pflanzen und Tiere, zu denen schließlich auch die Menschen gehören, täglich um ihr Leben ringen müssen.
Draußen tobte plötzlich ein heftiger Sturm. Schnee und Wasser trieb es gegen die Scheiben. Der Wind pfiff über das Gebäude. Es bebte regelrecht. Wir waren gezwungen uns im Gebäude aufzuhalten. Wolkenfetzen zogen schnell über das Besucherzentrum hinweg. Zwischendrin blitzte plötzlich die Sonne auf. Dann war der Spuk vorbei. Wir durften wieder hinaus in die wilde Natur und nach Enzianen, Bären und Elchen Ausschau halten.

Da kam sie wieder auf, die Frage, die mich so beschäftige: warum war unser Gott einerseits in der Lage so großartige Landschaften und Geschöpfe zu erschaffen? Und auf der anderen Seite ließ er es zu, dass ein so wunderbarer Mensch wie meine Cousine vom Krebs zerstört wurde. Gab es eine göttliche Priorität des Menschen vor den viel kleiner Organismen, die den Krebs ausmachten. Oder gab es im göttlichen Plan eine Parität zwischen den Lebewesen. In der Bibel stand, der Mensch solle sich die Erde untertan machen. Implizierte das nicht automatisch, dass der Mensch über den Dinge stand. So wie er sich allenthalben gegenüber der Natur aufführte, schien das Gottes Wille zu sein. Oder war das ein menschlicher Irrtum? Und der Mensch war auch nur unbeachtlicher Bestandteil eines viel größeren Ganzen?
Auf der Rückfahrt verschwanden meine Gedanken an meine Cousine wegen immer wieder atemberaubenden Ausblicke für kurze Zeit.

Die Weiterreise gestaltete sich ganz wunderbar. Die Sonne eroberte den Himmel, schob sämtliche Wolken beiseite. Auch der Denali grüßte nun hinter uns in seiner ganzen Mächtigkeit. Der Verlauf des Highway sorgte ständig dafür, dass wir den hohen Berg im Blick behalten konnten. Wir durchquerten riesige flache Becken und fuhren über sanft ansteigende Hügel. Die Nadelbäume nahmen in ihren Durchmessern ab, wurden immer niedriger. Ein Zeichen dafür, dass es nun zunehmend kühler werden würde.

Wir näherten uns Fairbanks.
Längst bevor von der Stadt etwas zu sehen war, kündigten fußballtorgroße Werbeplakate Hotels, Motels, Fast Food Ketten und Supermärkte an. Wal-Mart warb mit aktuell drastischen Rabatten auf Maschinengewehre. Für europäische Augen eine bemerkenswerte Aktion.
Wir wollten nicht in der Stadt verweilen. Aber wir benötigten einige Dinge, die wir noch einkaufen mussten.
Erst mal musste Geld her. Wir hatten beide von Deutschland aus nur eine kleine Menge Dollars mitgebracht. Eine Bank war schnell gefunden. Da erlebten wir eine handfeste Überraschung. Meine Provinz-Sparkassen-EC-Karte spukte sofort den gewünschten Betrag am Geldautomaten aus. Unkompliziert. Wie zuhause. Mein Mitstreiter hatte auf Empfehlung seiner Großbank Traveler-Schecks eingepackt. Um diese einzulösen mussten wir zwei weitere Banken aufsuchen, bis eine freundliche Mitarbeiterin, mal wieder eine ausgewanderte Schweizerin, bei dem sehr aufwändigen und langandauernden Verfahren half.

Nun, mit genügend Mitteln ausgestattet, besuchten wir den schon von der Werbung empfohlenen Wal-Mart. Denn mein Kamerad wollte in den wilden Gewässern Alaskas unbedingt Fische fangen. Er war passionierter Angler. Und stellte sich vor, einen viele hundert Meter langen Hecht oder eine tonnenschwere Forelle zu fangen. Dazu musste nun eine Angel her. Und Köder. Er wusste auch von seinen reichhaltigen Erfahrungen in Deutschland, wie Angel und Köder beschaffen sein sollten.
Der Verkäufer, hager, hochgewachsen, Glatze, klärte uns wortreich auf, dass unser Wissen in Alaska nicht gefragt war. Hier lebten die Fische gänzlich ungestört. Und sie wuchsen sehr langsam. Weil sie wenig Futter hatten. Deshalb war ihr Hunger diesen Verhältnissen angepasst. Sie würden nicht wegen ihres Hungers anbeißen sondern weil sie sich gestört fühlten. Deshalb sollten wir möglichst auffällige Köder kaufen.
Das Ergebnis war erst mal eine halbwegs taugliche Angel. Bei den Ködern ließ sich mein Kamerad nicht überzeugen. Er wählte gegen die Empfehlungen des glatzköpfigen Mannes die ihm als funktionierend erscheinenden Köder aus.
Auf dem Gang zur Kasse durch die riesige, 2.500 Quadratmeter große Jagd- und Angelabteilung passierten wir die fein geölten, polierten und dekorativ aufgestellten Maschinengewehre und die meterlangen Regale mit den Faustfeuerwaffen, gefolgt von noch viel größeren Präsentationswänden mit Gewehren, Messern, Armbrüsten und Bögen. Und alles zu sehr überschaubaren Preisen. Man konnte sich hier für ein paar tausend Euro für einen Kleinkrieg ausstatten. Wofür brauchte man zur Jagd Maschinengewehre, fragte ich mich? Wir sollten die Antwort darauf noch kennenlernen.
Scheiss Gewehre, dachte ich despektierlich, aber wo bleibt eigentlich ein Impfstoff gegen Krebs. Zur Erfindung von Apparaturen zur Lebensauslöschung hatte der Mensch Zeit seines Daseins Milliarden von Stunden aufgewandt. Zur Krankheitsabwehr wohl nur einen Bruchteil dieser Zeit.

Unser Ziel lag weit im Norden. Die Rückbank hatten wir nun mit Lebensmitteln gut gefüllt. Gleich würden wir die Zivilisation hinter uns lassen und in die menschenleere Wildnis eintauchen. Denn direkt hinter Fairbanks begann der Dalton Highway, der uns über 800 Kilometer genau nach Norden bringen sollte.

Am Anfang der noch gut asphaltierten Straße wies ein Schild auf einen 'Point of Interrest' hin. Der weitläufige Parkplatz lag direkt an der Pipeline, die vom Eismeer über 1.280 Kilometer nach Süden an den stets eisfreien Hafen von Valdez führte. Ein mächtiges Rohr, in dem das Öl mit 10 Kilometern pro Stunde gen Süden fließt. In nur zwei Jahren Bauzeit hatte man die technisch anspruchsvolle Pipeline oberirdisch auf Stelzen und mit vielen Winkeln versehen durch die Permafrostlandschaft gebaut. Ständig bedroht von Erdbeben und anderen Naturgewalten.

Einige Zeit später bog eine Straße genau nach Osten ab. Sie führte in die Region, in der in Alaska der Goldrausch begann. Bücher und Filme verklärten den Blick auf das Geschehen vor über hundert Jahren. Ich hatte sie verschlungen. Ich hoffte nun auf sensationelle Begebenheiten. Vielleicht lebte noch ein alter Goldsucher vor Ort, vielleicht gab es zerfallene Städte, Ruinen, Saloons, in denen das letzte Glas Bier auf dem Tresen stand.
Nichts von alledem erwartete uns. Lediglich ein kleines Denkmal für Felix Pedro, der 1902 das erste Gold in Alaska fand, und eine unspektakuläre Abraumhalde entlang eines Baches deuteten auf den historischen Fundort hin. Der Fund hatte Pedro nichts genützt. Er starb an einer typischen Goldsucherkrankheit, die ihm eine gewerblich sich ihm Hingebende verpasste.

Wir hatten bei Wal-Mart Goldwaschpfannen gekauft. Es war schon eigenartig mit dem Edelmetall. Sofort packte uns eine Art Fieber. Es konnte nicht schnell genug gehen. Die Gedanken an meine Cousine verschwanden im Hintergrund. Mit einem ebenfalls bei Wal-Mart erstandenen Schäufelchen gruben wir in der Abraumhalde und am Bachufer. Rein in die Pfanne und Wasser dazu, hin und her geschwenkt. Im Kreis rum, vorwärts, rückwärts. Immer mehr schlammige Erde schwappte über den Rand. Meist ungewollt. Blutige Anfänger eben. Bis nichts mehr in der Pfanne war. Vor allem kein Gold. Wir wiederholten diese Prozedur. Immer ohne Ergebnis.

Erfolglos, aber ab dem Augenblick vom Goldfieber gepackt, setzten wir unsere Reise fort.
Auf dem Weg gen Osten hatten wir eine alte Goldmine passiert. Das große Plakat wies auf eine Bar und ein Hotel im Haupthaus hin. Dort fanden wir ein sehr authentisches Zimmer mit wenig fließendem kaltem Wasser und einer nicht funktionierenden Heizung. Dafür gab sich Willi, der Wirt, Betreiber, Goldgräber und Koch, die allergrößte Mühe. Schnell kamen wir ins Gespräch. Es gesellte sich seine Frau, die Marlene, mit hinzu. Beide stammten aus Österreich. Unsere Themen kreisten um Gold, Fische und um unsere Tour gen Norden. Willi schaute sich unsere Pfannen an, schlug die Hände überm Kopf zusammen und ging stante pede in einen uralten Schuppen, um von dort zwei nagelneue Pfannen zu holen. Sie besaßen Rillen an den Seiten, in denen sich das edle Metall absetzen konnte bevor der unkundige Gräber es mit Schwung in das nächste Wasserloch beförderte.
An einem hundert Jahre alten schwarzen eisernen Herd, gute fünf Meter lang und mit Holz beheizt, zauberte Willi zwei herzhafte T-Bone-Steaks und geröstete Kartoffelstücke hervor. Marlene, der ich zuvor meine Traurigkeit offenbart hatte, kümmerte sich um einen gar köstlichen Salat.
Willi meinte noch, wir sollten doch in der Nacht raus gehen und uns die Nordlichter anschauen. Die wären jetzt besonders gut zu sehen. Aber dieser elende Whiskey und der gute kalifornische Rotwein und der italienische Grappa als Absacker und die vielen Trinksprüche auf Österreich, das wertvolle Gold und die fetten Grizzlybären beförderten uns schnurstracks in unsere kalten Betten, die Marlene zuvor mit dicken schweren Decken für die Nacht im heizungslosen Zimmer aufgepeppt hatte.
Hineingelegt. Augen zu. Eingeschlafen.
Die Straße durch den Denali-Nationalpark
Der Denali, weithin sichtbar
Denkmal von Felix Pedro, Begründer des Goldrausches in Alaska
Fließend kaltes Wasser in Hotel
Gebückt, doch nicht gebeugt
*********Joe62 Mann
184 Beiträge
Themenersteller 
Alaska – Lachse, Gold und eine Erstbesteigung – Teil 3 Goldf
Ein Erdbeben!
Das Haus wankte.
Vor Schreck saß ich senkrecht im Bett. An der gegenüberliegenden Wand stand das Bett meines Kameraden. Der saß auch aufrecht in seinem Daunenberg und lauschte.
Das Haus wankte nun bedenklich. Es war ein großes Haus. Zwei Stockwerke, ein für regionale Schneelasten beinahe zu flachwinkliges Giebeldach, ringsum Blechverkleidung. Fünfzehn Zimmer im ersten Obergeschoss.
Alaska erlebte ständig Erdbeben. Anchorage wurde durch ein solches vor Jahrzehnten nahezu ausradiert. War das ein solches Beben, schoss es mir durch den noch müden Kopf? Waren wir in Lebensgefahr?
Es polterte. Draußen auf dem Flur ging jemand mit schwerem Schritt durch den mit Teppichen ausgelegten engen Gang. Wumm – das Gebäude neigte sich nach links. Wumm – das Gebäude neigte sich nach rechts.

Aufstehen, Zähneputzen und duschen mit kaltem Wasser. Puh!
Das Gebäude hatte sich beruhigt.
Später beim Frühstück saß die menschgewordene Aufklärung des Bebens unten am Einzeltisch. Ein Ingenieur der Ölfirma am Eismeer hatte zusammen mit uns im Hotel genächtigt. Er war von einer besonderen Gewichtsklasse.
„Ja“, sagte Willi, der Wirt, „wenn Gäste wie unser Tom über den Flur gehen, dann wankt das Haus.“
Willi sprach deutsch mit uns. Tom kriegte davon nichts mit. Er lächelte aus seinem halslosen Kopf über seinem 200-Kilo-Körper zu uns herüber. Willi erklärte, dass das große Haus im Grunde nur aus einem Kern zusammengenagelter Pfähle bestand, an die man die blecherne Außenhaut genagelt hatte. Das würde für genügend Stabilität sorgen. Und die Zimmer wären nachträglich durch das Einsetzen von OFD-Platten gebildet worden. Früher hätten mal bis zu 200 Menschen in dem Haus gelebt als es noch das Büro und die Unterkunft für die Minenarbeiter war.
Ein Haus, das lediglich durch die Außenhaut stabilisiert wurde, war nach unserem Verständnis unserer heimischen DIN-verseuchten Bauwerke etwas verwunderlich. Aber es war ganz offensichtlich praktisch und hatte bereits 100 Jahre gehalten.

Nach einigen Kilometern trafen wir wieder auf den Dalton Highway. Wie in den USA an solchen Kreuzungen üblich befand sich auch hier, fern von der Zivilisation, eine moderne, groß dimensionierte Tankstelle. Mein Kamerad übernahm das Tanken, ich ging telefonieren. Das Handy verfügte nur ganz selten über ein Netz. Warum auch in einer so einsamen Gegend. Also musste ich die Telefonzelle benutzen.
Meine Cousine nahm nicht ab. Nach dem achten Klingeln war ihr Mann am Apparat. Meine Cousine stand unter starken Medikamenten. Es würde heute oder morgen zu Ende gehen. Die letzten ausführlichen Gespräche mit ihren beiden Kindern hatten stattgefunden. Aber sie hatte sich noch nicht verabschiedet. Daraus schloss man, dass sie noch mindestens einen weiteren Tag leben wollte.
Oh Mann, ich bekam weiche Knie, konnte nicht weiterfahren. Aber wir waren schließlich zu zweit und würden uns abwechseln.

Die Straße führte in langgezogenen Biegungen durch Wälder und mit ewig langen Geraden durch weitläufige Ebenen. Am Straßenrand erschienen Schilder. Erst kleine, dann immer größer werdende. „El Dorado“. Eine Goldmine, noch in Betrieb, die man besuchen konnte, um dort selbst Gold zu suchen.
Anfangs überstrahlte meine Trauer das tolle Angebot. Aber das Goldfieber war stärker. Wir bogen ab.
Auf dem riesigen Parkplatz standen schon zwei große Busse. Wo kamen die denn in dieser abgelegenen Gegend her? Überall huschten kleinwüchsige asiatische Menschen durch das Gelände.

Die Mine war umzäunt. Man musste Eintritt bezahlen. 10 Dollar für die Besichtigung. Und 50 Dollar für ein Säckchen salted earth. Die „gesalzene“ Erde enthielt, so erklärte man uns wortreich, echtes Gold, das man unter fachkundiger Anleitung auswaschen durfte. Der Fund würde sodann uns gehören.
Tourismusmist. Aber clever gemacht. Und so würde man wahrscheinlich auch gezeigt bekommen, wie man die Pfanne schwenken musste, um nicht den gesamten Inhalt gleich wieder zu verlieren.

Das unermessliche Minengelände sollten wir mit einem alten Dampfzug erkunden. Der stand schon bereit. Als wären wir in Disneyland. Die Japaner saßen bereits auf ihren Holzbänken. Auch einige Amerikaner hatten Plätze besetzt. Wir setzten uns direkt hinter den Lokomotivführer.
Der übernahm auch die Funktionen eines Guides und Musikers. Ein allseits bekannter Countrysong, den er gekonnte auf seiner Gitarre begleitete, stimmte uns auf die Tour ein. Der Zug dampfte los.
Alsbald hielten wir an einem nachgebauten Camp aus der Zeit um kurz nach 1900. Anschaulich erklärte der Lokomotivführermusikerguide, wie das Gold damals gewonnen wurde: Erst mal musste eine Dampfmaschine her. Die schleppte man vom Osten der USA per Bahn nach Westen. Dort wurde sie auf ein Schiff verladen und nach Norden gebracht. Am Ende krante man sie auf einen Kahn, den man mit Pferden die Flüsse hochziehen konnte. Schlussendlich buckelten die Goldgräber mit ihren bloßen Händen ihre schweren Dampfmaschinen das letzte Wegstück bis in ihre Minen. Dort konnte man die Kraft des Dampfes – in aller Regel verwendete man sechs PS starke Maschinen – zur Bedienung von Brech- und Rüttelanlagen und Transportbändern einsetzen. Am Wichtigsten war jedoch das aufgeheizte Wasser, das mit Dampfdruck gegen den dauerhaft gefrorenen Boden gejagt wurde, um ihn aufzutauen. Erst dann konnte der dabei entstehende Schlamm weiter verarbeitet werden.

Am Ende der Tour führte man die geneigte Touristenschar zur Hausherrin. Die stand von der Sonne gegerbt, um ihren Hals und an den Ohren schwer mit Gold behangen, an einem Hügel. Über ihr thronte ein großer Bagger mit einer bereits gefüllten Schaufel. Sie erklärte, dass sie nun die Erde in ein schnell fließendes Wasser kippen würde. Dazu war ein Bach teilweise umgeleitet worden. Sie setzte sich persönlich in den Bagger, ließ ihn an, drehte den Bagger in einer heftigen schwarzen Abgaswolke so, dass sie den Inhalt der Schaufel in eine Wasserrinne kippen konnte. Die Erde wurde vom Wasser mitgerissen und floss über eine lange mit vielen Rillen ausgestattete Rinne zwischen uns hindurch. Partikel setzten sich ab als das wild rauschende Wasser zu Tal floss. Der Schieber wurde geschlossen und die Rillen ausgekehrt. Danach wurde das Kehrgut in große Wannen gegeben. Der Schlamm am Boden der Wannen wurde von mehreren jungen Männern mit Pfannen ausgewaschen.
Und siehe da!
Gold!
Ein Raunen ging durch die Menge. Glitzernd und blinkend warfen die winzigen Nuggets ihr Licht in unsere weit aufgerissenen Augen.
Pfanne um Pfanne wurde nun das ausgewaschen was einst der Baggerlöffel enthielt.
Spätestens an der Stelle kapierte es der letzte Betrachter der Szenerie, warum Gold so teuer war. Es war nicht nur selten. Es machte auch unendliche Mühe es zu gewinnen. Und es forderte aufgrund der gesamten Umstände von Wind, Wetter, Nässe, schweren Maschinen, Neid, Missgunst und Krankheiten ständig Menschenleben.

Solchermaßen aufgeklärt setzte man uns auf eine lange Bank. Vor uns ein Steintrog, gefüllt mit warmem Wasser, und davor umlaufend ein zwanzig Zentimeter breiter Holzrand. Auf dem Holzrand standen Pfannen und die Säckchen mit der ‚gesalzenen’ Erde bereit. Die Säckchen gaben wir nun gemeinschaftlich in die Pfannen. Füllten Wasser mit rein und begannen auf Anleitung mit vorsichtigen Schwenkbewegungen. Gramm um Gramm des Schlammes wurde so hinaus gespült. Es dauerte. Nach langen Minuten des Schwenkens blitzten winzige Goldstückchen am Boden der Pfannen auf.
Wow!
Gold!
Unser Gold!
Im Falle meiner Pfanne MEIN Gold!
Ich bekam Schnappatmung, Fieber, kalte Schweißausbrüche, vergaß alles um mich herum. Später konnte ich aus dieser Reaktion die Menschen gut verstehen, die in Europa Haus und Hof versetzten, um viele tausend Kilometer von ihrer Heimat entfernt nach dem Edelmetall zu schürfen. Ich hatte nicht mehr an meine sterbende Cousine gedacht. War nur noch fasziniert und gefangen vom gelben Metall.
Als wir die Mine verließen, mit einem Röhrchen in der Tasche, in dem die paar wenigen Goldplättchen klimperten, die wir gefunden hatten, wussten wir drei Dinge:
Erstens: Gold zieht magisch an und macht süchtig.
Zweitens: wir hatten soeben ein fabelhaftes Tourismuskonzept erlebt.
Drittens: wir wollten nun unbedingt selbst wissen, wie man wirklich Gold schürfte.
Wir wussten zu dem Zeitpunkt noch nicht, was uns später mal erwarten würde.

Der Tag war noch jung. Der Dalton Highway ging endgültig über in eine unbefestigte Gravel Road. Im Winter, und der herrschte hier zehn lange Monate im Jahr, spielte das keine Rolle. Nun aber war die Straße aufgetaut und noch nicht abgezogen. Tiefe Schlaglöcher alle paar Meter. So tief, dass unsere Reifen darin versanken.
Das geländegängige Mietfahrzeug stellte sich als viel zu leicht heraus. Wie ein Gummiball hüfte der Dodge über den Schotter. Manches Mal unberechenbar. Langsam fahren brachte nichts. Die berühmten achtzig Sachen in der Stunde, die in Afrika für die unbefestigten Straßen empfohlen wurden, funktionierten auch nicht. Viel zu schnell wäre man von der Straße katapultiert worden. Wir mussten gemächlich fahren. Damit langsamer als die großen LKW, die mit zwei Anhängern, überlangen Aufliegern oder gar mit aufrecht verzurrten bis zu sieben Meter hohen Kabelrollen durch die Gegend schossen. Am Straßenrand lag hin und wieder ein Wrack. Diese hohen Geschwindigkeiten überlebten wohl nicht alle. Nun wussten wir, warum die Frau in der Autovermietung nur verlangte, dass sie das Auto in ‚ungefähr’ dem vorherigen Zustand zurück haben wollte. Die Straße verlangte das Letzte von der Karosse ab. Da mussten Schäden entstehen. Noch war es nicht soweit.

Wieder durchquerten wir endlose Wälder und holperten über sanfte Hügel. Bisweilen begleitete uns die Pipeline. Ein Schild tauchte auf. Eine Raststation. Die Arctic Circle Trading Post. Direkt auf dem Polarkreis gelegen. Wir betraten das auffällig mit Pflanzkübeln, alten Autos und Trucks sowie mit Dampfmaschinen dekorierte Holzbauwerk.
Pause. Kaffee, Knochen ordnen, Beratung abhalten. Ein Pow Wow, würden die Indianer sagen. Wir legten unser Tagesziel fest. Wiseman, jenseits des Yukon gelegen. Mit minus 64 Grad der kälteste Ort des amerikanischen Kontinents. Gott sei Dank nicht heute.

Während der Weiterfahrt erzählte mein Kamerad aus seinem Leben. Hin und wieder musste ich anhalten, weil ich vor Lachen nicht mehr lenken konnte. Nun sah er schon aus wie Louis de Funes, hatte auch dessen Statur und konnte meterhoch in die Luft gehen wenn ihm etwas nicht passte. Aber der Humor, mit dem er ein paar Episoden seines Lebens beschrieb, überstrahlte alles und war schlicht phänomenal. Ich vergaß in diesen Momenten die Not meiner Cousine. Zumal die Landschaft und die Schlaglöcher ein Übriges dazu beitrugen, um die Konzentration nur dem Moment zu widmen.
Der Lokomotivführermusikerguide
Eine alte Dampfmaschinen in ihrer Originalumgebung
Ein "Löffelchen" Erde zum fröhlichen Auswaschen
Misses Goldfinger und die Nuggets in der Pfanne
Goldwaschen am Touristentrog
Country Roads, take me home...
****59 Frau
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Beachtlicher Reisebericht, phänomenal geschrieben *spitze* .
Gebückt, doch nicht gebeugt
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Alaska – Lachse, Gold und eine Erstbesteigung – Teil 4
Die Ankündigungen waren unübersehbar.
Der Yukon.
Was für ein Wohlklang in meinen auf Abenteuer gepolten Ohren.
Die Landschaft kurz vor Erreichen des Flusses bot zwar Nadelbäume. Aber als Wald konnte man die Vielzahl der dünnen, struppigen, nur wenige Meter hohen Bäume nicht mehr bezeichnen. Eher als Gestrüpp. Oder Unterholz ohne Oberholz. Der Grund dafür lag in der Kälte nördlich des Polarkreises und an dem dadurch eingeschränkten Leben. Nur an zwei bis drei Monaten im Jahr hatten die Bäume die notwendigen Bedingungen um wachsen zu können. Also blieben sie kleinwüchsig.

Der Fluss verbarg sich in einem Tal, zu dem die Straße nun steil abfiel. Direkt auf eine Beton-Brücke zu, die den Fluss überspannte. Der aschgraue Yukon, mehrfach so breit wie Rhein oder Donau, floss an dieser Stelle in einem überschaubaren Flussbett gemächlich vor sich hin. An anderer Stelle wurde er bis zu 147 Kilometer breit.
Die Brücke war im Verhältnis zu den überdimensionalen LKWs mit ihren ungewöhnlichen Frachten recht schmal ausgefallen. Auf der nördlichen Seite entdeckten wir – was natürlich schon von weither angekündigt wurde, einen großen Schlammplatz vor ebenfalls im Schlamm stehenden Zapfsäulen. Dahinter ein aus Containern zusammengesetztes Motel mit Restaurant.
Wir stiegen aus, mein Kamerad tankte. Ich steuerte das abenteuerliche Restaurant an. Sofort sank ich knöcheltief in dem Schlamm das Parkplatzes ein. In dieser Region kam es nur selten vor, dass das Erdreich tiefer als an den obersten Zentimetern auftaute. In gefrorenem Zustand war der Parkplatz sicherlich bequem zu begehen. Nun aber trugen wir den Schlamm kiloweise in die gute total überheizte Stube.

Mehrere Trucker saßen vereinzelt an den Tischen und stopften sich Burger und Pommes in die Bärte. Was war hier los? Seit wir Fairbanks verlassen hatten schien jeder angetroffene Mann ein Bruder von Billy Gibbons oder Frank Beard, beide bei ZZ Top musizierend, zu sein. Die Trucker besaßen Bärte, die beim Sitzen auf den Beinen auflagen. Nicht alle Bestandteile der Burger fanden den Weg zum Mund. Manches blieb unterwegs auch im Fell hängen.
Wir vertilgten ebenfalls je einen Burger. Wir hatten wahrlich Hunger. Aber wir schafften die etwas zu groß geratenen Überlebensmittel nicht zur Hälfte. Auch nicht den Liter Cola, der automatisch mit ausgegeben wurde.
Das Erlebnis am Yukon war ganz schön ernüchternd. Dreck anstatt Abenteuer. Riesenburger vom Gasgrill anstatt Bärentatze vom Lagerfeuer. Wo blieb Raimund Harmsdorf, der in unnachahmlicher Art und Weise als Hauptdarsteller von Jack Londons 'Ruf der Wildnis' vor einigen Jahrzehnten den Namen Yukon unzerstörbar auf meine gedankliche Festplatte gebrannt hatte?

Die Straße wurde schlechter. Die Schlaglöcher tiefer. Unser geländegängiges Auto verwandelte sich mehr und mehr zu einem geländehüpfenden Fahrzeug. Manches Mal waren die Schlaglöcher so tief, dass der Nitro aufsetzte. Das würde nichts ausmachen, hatte die vermietende Schweizerin in Anchorage erklärt. Dem Auto vielleicht nicht, es besaß einen durchgehenden Boden aus Metall, der den Dodge von unten schützte. Aber unser Rückgrat, die Zähne, der Mageninhalt - hatte jemand daran gedacht? Nein, natürlich nicht. Allerdings, so hatten wir im Restaurant von der Inhaberin erfahren, sollte noch am selben Tag der Gräter kommen, eine mächtige Baumaschine mit Schiebeschild, um die Straße zu reparieren. Gut für die Rückfahrt.

Die Straße, oder das, was von ihr noch übrig war, führte bergan. Weit ging es hinauf. Auf über 1.500 Höhenmeter. Es wurde kalt. Sehr kalt. Auf der Hochfläche, die wir überquerten, waren die Tümpel zugefroren.
Irgendwie spürten wir beide plötzlich, wie sich etwas veränderte. Nicht die Landschaft. Aber das Empfinden. Uns wurde es kalt obwohl die Heizung Hitze verbreitete. Am Horizont tauchte ein Finger auf. Je näher wir dem Finger kamen, um so seltsamer wurde unser Empfinden.
„Spürst Du das auch?“, wollte ich von meinem Mitfahrer wissen.
„Was ist das?“, war seine Antwort. Er war ein rationaler Mensch. Durch und durch. Aber auch er bemerkte die Veränderung.
Beim Finger angekommen fuhren wir auf einen Parkplatz.
Wenige Meter entfern reckte sich ein Kalkfelsen in der Form eines Fingers gut vier Meter in die Höhe. Dieser Ort war über Jahrhunderte hinweg ein Kultort, an dem die Indianer Alaskas sich trafen, um ihr Pow Wow abzuhalten. So auch noch heute. Unsere Härchen standen senkrecht von den Gliedmaßen ab. Bei jedem Schritt war es, als würden uralte Kräfte an uns zerren.
Nichts wie weg. Wer wusste schon, wen wir hier störten.

Auf Grund des Straßenzustandes dauerte die Fahrt vom Yukon bis in die Nähe unseres Tageszieles eine halbe Ewigkeit. Am Horizont tauchten hohe schneebedeckte Berge auf. Wir hatten es geschafft. Die Brooks Range, das mächtige nördlichste Gebirge Alaskas lag vor uns.
Am Abend erreichten wir eine Raststätte, die einer Vielzahl von Truckern zur Übernachtung diente. Hier war Party angesagt. Im angeschlossenen Besucherzentrum informierte uns eine Rangerin über das unerwartet reichhaltige Übernachtungsangebot rings um den Platz. Sogar in Wiseman, unserem Zielort, sollte es eine Lodge geben. Sie rief für uns dort an und reservierte eine Unterkunft. Nun konnten wir erst mal eine ausgiebige Rast einlegen.
Wieder trugen die Trucker Tarnbehaarung. Ohne das übliche Basecap hätte man nicht zu sagen gewusst wo nun hinten und wo vorne war.
Das Telefon war defekt. Für die Trucker kein Problem. Die hatten alle Funk. Ich wollte meine Cousine anrufen. Das war aber nicht möglich. Es versetzte mir einen Stich. War sie noch am Leben oder hatte ihr der Krebs schon ein Ende bereitet?

Für gerade mal knapp zwanzig Dollar gab es Zugang zum Buffet. T-Bone Steaks, Krabben, Lachs, Salate, gekochte Kartoffel und Pommes aller Art, köstliche Nachspeisen. Komplettiert mit gutem kalifornischem Rotwein. Das Kontrastprogramm zum Restaurant am Yukon. Und gesponsert von der Ölfirma im Norden.
Aus einer auf alt getrimmten Wurlitzer-Musicbox drangen in heftiger Lautstärke wohlbekannte Weisen von allen gängigen Rock- und Countrybands an unser Ohr. Garth Brooks, Alabama, Molly Hatchet, Vince Gill, Billy Ray Cirus, Mark Knopfler, Eric Clapton, das Ganze einmal rauf und einmal runter. Zwei stämmige Truckerinnen schnappten sich zwei Kerle ihrer Gewichtsklasse und tanzten mit genügend Abstand für die gewaltigen Lebensmitteldehnungen ihrer Körper wild durch den Saloon. Hinter dem Raum für das Buffett schloss sich eine gut zwanzig Meter lange Bar an. Dort hockte ein Bärtiger neben dem anderen. Wie schon gesagt, ZZ Top auf Betriebsausflug. Es roch nach Seife, Deo, unterschiedlichsten Parfums. Aber weder nach Diesel noch nach Schweiß. Die Härte ihres Jobs stand ihnen ins Gesicht geschrieben.

Der Abend verging wie im Flug. Die fortschreitende Zeit blieb unbemerkt. Schließlich befanden wir uns in einer Gegend, in der die Sonne nicht untergehen würde. Gegen zehn Uhr am Abend fuhren wir durch ein von einem Regenbogen überspanntes Flusstal. Und schließlich vor unserer Lodge vor. Ein schmucker eingeschossiger Holzbau. Ein geräumiges warmes Zimmer. Warmes Wasser. Eine große Küche für alle Bewohner. Und das in dieser Einöde! Wow!

Auf dem Weg zur Lodge passierten wir eine Wiese, auf der alte Gerätschaften eines Goldsuchers ausgestellt wurden. Dorthin machte ich mich auf den Weg, während mein Kamerad das Weiche seines Federkissens vorzog. Da ich die Erlebnisse eines jeden Tages am Abend diktierte, um ja nichts zu vergessen, nutzte ich die Gelegenheit, während ich durch das winzige Dorf schlenderte.
Man stellt sich Das Auswandern und das Leben in der Wildnis oft ziemlich verklärt vor. Hier spazierte ich durch die Wirklichkeit. Einige Hütten waren ganz schön abgerissen. Andere herausgeputzt. Überall sah man den Häusern den Überlebenskampf in den harten Wintern an. Bei bis zu minus vierundsechzig Grad Celsius und bis zu dreißig Metern Schnee keine einfache Angelegenheit.

Ein Geräusch riss mich aus meinen Gedanken. Es ging auf Mitternacht zu. Dennoch fanden noch immer ein paar Sonnenstrahlen wenigstens bis zu den Bergspitzen. Einem Alpenglühen gleich wurde die Landschaft in ein warmes Orange getaucht. Ein Quad bog um die Ecke. Der Fahrer grüßte mich von Weitem als wäre ich sein bester Freund. Langsam fuhr er augenzwinkernd an mir vorbei. Hinten im Quad steckten in dafür vorgesehenen Halterungen zwei Maschinengewehre, ein gewaltiges Jagdgewehr und eine Winchester. Der Mann trug eine Fellmütze und einen dunklen Parka. Als er mich passierte sah ich, dass irgendetwas mit seinem Gesicht nicht stimmte. Es ging zu schnell. Rasch verschwand er im nahen Wald.

Kurz danach erreichte ich die Wiese mit den rostigen Minengerätschaften. Ein großer stabiler Mann werkelte trotz der späten Stunde dort herum. Wir kamen ins Gespräch.
„In winter it’s cold outside“, kommentierte er cool die minus vierundsechzig Grad, die er in seiner Mine miterlebt hatte. Die Gerätschaften stelle er zukünftig für Touristen aus. Denn er war fertig mit seinem Job und wollte nach Kalifornien, um dort seinen Lebensabend zuzubringen.
Zwischendurch knallte es im Wald fürchterlich laut. Ich zuckte zusammen.
„People call me ‚The Clutch’“, (die Kupplung, Anm.d.Autors) erklärte der Kräftige bedeutungsschwer und drückte mir, ohne auf den Knall zu reagieren, das eisernes Endstück eines Schlauches in die Hand, mit dem er in seiner Mine den Schotter aufgetaut und in die Absetzrinne gespült hatte. Ich brach beinahe zusammen so scher war das Teil. Einmal mehr die Bestätigung, wie mit welch harter Arbeit Gold gewonnen wurde.

Wir verabschiedeten uns bis zum nächsten Morgen. Ich ging zum Fluss. Ein Biber verschwand in einem Nebenarm in seinem Bau. Der Fluss zog leise plätschernd seine Bahn.
Es knatterte. Der Typ mit den Flinten kam zurück. Er fuhr im Ufersand und direkt auf mich zu. Sofort begann er ein freundliches Gespräch. Wollte wissen wo wir her kämen und wo wir hin gingen. Und vor allem warum. Ich beantwortete die Fragen. Aha. Seine Nachbarn wären aus Bayern und würden Hundeschlittenrennen fahren. Zusammen mit The Clutch musste er sie Winter für Winter ausgraben wenn der hohe Schnee kam.

Er lächelte schelmisch und drehte sein Gesicht. Bisher hatte ich nur die rechte Hälfte gesehen. Nun zeigte er sich von der anderen. Ich wäre beinahe umgefallen. Vor mir saß ein Monster. In keinem Horrorfilm hatte ich schlimmere Fratzen gesehen. Die Gesichtshälfte war auf grässliche Art entstellt. Das Auge fehlte. Stattdessen befand sich ein schwarzes Loch an seiner Stelle. Das Ohr bestand nur noch aus dem Hörkanal. Die Haut hatte sich knorpelartig zusammengezogen und schimmerte in allen Farben zwischen schwarz und rot.
Er merkte, dass ich mich erschrocken hatte.
„Hey man! My name is Mike, I’m the livin’ Rocky Horror Picture Show!“
Ich fing mich wieder, versuchte aber mich so zu stellen, dass ich nur noch seine Schokoladenseite sah.
„It’s been a fire. My house broke down. I was burried under a burning part oft he roof“, erklärte er lachend.
Mir war nicht zum Lachen zumute. Das war harter Tobak. Junge, Junge. Wer kam und löschte in dieser Wildnis. Hier gab es hunderte Meilen weit keine Feuerwehr. Wer half bei derartigen Verletzungen. Später erfuhren wir, dass The Clutch den armen Kerl aus den Flammen gezogen hatte. Im Winter kam niemand, um ihm zu helfen. Er musste tagelang warten, bis ein Flugzeug den Weg durch die scheebeladenen Wolken fand und ihn nach Fairbanks transportierte. Bis dahin war Vieles zu spät, man konnte weder sein Gesicht noch sein Auge retten.
Wir scherzten über die winterliche Kälte. Mike empfand sie als nicht dramatisch. Man müsse eben gut heizen. Aber man solle dabei acht geben, dass die Hütte nicht abfackelt. Das gäbe böse Verletzungen. Er zwinkerte mit seinem gesunden Auge.

Vorne am Quad, in einem netzartigen Körbchen, lag ein blutiges Etwas. Er hob es am Schwanz in die Höhe. Er hatte wohl mit der stärksten seiner Flinten ein Hörnchen erlegt. Das bestand nun aus Kopf, Loch und Schwanz. Brust und Bauch gehörten, bedingt durch die Gewalt des Projektils, der Vergangenheit an. Ich sprach ihn darauf an. Er lachte und meinte der Schwanz wäre gut für seine Mütze, der alte wäre im Wald unbemerkt abgefallen. Der Rest des Hörnchens war ihm egal.
Wir verabschiedeten uns und ich drehte weiter meine Runde mit dem Diktiergerät. Zurück vom Fluss überquerte ich eine Brücke und gelangte an ein Haus, in dem ein fahles Licht brannte. Beim Näherkommen sah ich, dass eine Birne an zwei Drähten von der Decke hing. Darunter saß Mike, seine Fratze mir zugewandt, und nahm mit blutigen Händen den Rest des Hörnchens auseinander.
In jener Nacht hatte ich mehrere Alpträume, an denen ich jedes Mal zum Schrecken meines Kameraden aufwachte.
Der Yukon
Koyukuk River bei Wiseman
Wieseman
Schlammparkplatz am Yukon
Gravel Road
Finger Clip
Das Freilandmuseum von The Clutch
Gebückt, doch nicht gebeugt
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Alaska – Lachse, Gold und eine Erstbesteigung – Teil 5
Blauer Himmel.
Sonne.
Kaffeeduft.
Frische kalte Luft.
Was für eine Wohltat.
Die Alpträume der zurückliegenden Nacht waren wie weggeblasen. Die letzte Etappe lag vor uns. Einen Berg, später ‚unser’ Berg, galt es auszusuchen und zu besteigen. Eine unausgesprochene Spannung hatte uns fest im Griff.
Wir checkten zum wiederholten Mal unser Gepäck. Unsere Ausrüstung, die Technik, die Anzüge, die Schuhe, das Zelt, die Nahrungsmittel, die Getränke. Wir hatten keine Ahnung was uns erwartete. Wir befanden uns mitten in der Brooks Range. Die um Wiseman gelegenen Berge trugen Eis- und Schneekappen. Würden wir Pickel und Stegeisen benötigen? Und ein Seil? Und sollten wir uns ein Gewehr ausleihen? Fragen über Fragen.
Ein Gast, der erst nach Mitternacht sein Zimmer bezog, erzählte uns draußen am Auto von seinen Erlebnissen beim Fischfang. Er beschrieb den Ort, den Bach, die Landschaft und wie wir dorthin kämen. Und sprach schon gleich Lateinisch. Anglerlatein sozusagen. Sechzig Fische hätte er gefangen. In einer Stunde. Forellen und so. Bei meinem Kameraden entfachte diese Erzählung dieselbe Anziehungskraft wie Gold. Wir merkten uns den Ort.

Unser Tank war voll. Gestern Abend noch erledigt. Die Scheiben waren gewaschen, den heftigsten Dreck hatten wir mit Hochdruck entfernt. Nur um nun mitten in einen Regenguss hinein zu fahren. Die unbefestigte Straße weichte zusätzlich auf. Schlamm spritzte links und rechts weg. Die Scheiben boten den Durchblick von Milchglas bis die Scheibenwischer und das Wasser der Wischanlage jeweils für Bruchteile von Sekunden Abhilfe schufen.
Die Brooks Range entpuppte sich im wieder aufkommenden Sonnenlicht als ein wunderschönes Gebirge mit den unterschiedlichsten Bergformen. Mal schroff wie die Dolomiten, mal hoch, abgerundet und eisbeladen wie die Alpen in der Zentralschweiz, mal hügelig wie der Schwarzwald. Ein beeindruckender Berg, der Sukakpak Mountain, war vor Jahrmillionen unter hohem Druck zu purem Marmor gepresst worden. Die Sonne streifte eine Flanke. Das Weiß schmerzte in den Augen.
Links und rechts führten enge Täler hinauf zu Gletschern, die bedrohlich über weit oben gelegene Kanten kippten. Unter heftigen Donnerschlägen brachen Eisstücke heraus und schossen zu Tal. Immer wieder tauchten Elche auf, die malerisch in Tümpeln oder Bächen standen. Adler kreisten über den Tümpeln. Der Himmel präsentierte sich in stählernem Blau, versetzt mit vielen kleinen wattebauschartigen Wölkchen. So lange, bis wieder sturzbachartig Regen fiel oder ein Schneesturm die Straße zuwehte. In der Tat, die Reiseführer irrten sich nicht. Jeder Tag bot jede Form von Wetter. Immer mit sonnigen Pausen und einer unverschämt klaren Luft mit unbegrenzter Weitsicht, wären da die Berge nicht gewesen.

Trotz Schlaglöchern und Schlamm hüpften wir in unserem Spielzeuggeländewagen gut voran. Ein heftiger Gewitterguss sorgte dafür, dass, nachdem er sich seinem Ende zuneigte, ein beeindruckender Regenbogen erschien. Das sollte Glück bringen, hieß es doch immer. Ich hatte einen ganz anderen Verdacht.
Die Straße kletterte sanft aber unablässig bergan. Bis plötzlich hinter einer Kurve ein etwas steilerer Anstieg erkennbar wurde. Optisch nicht dramatisch. Weil die Straße dem Gelände folgte. Aber in der physikalischen Wirklichkeit waren es schon ein paar kräftige Prozente. Der einzige Pass auf dem gesamten Weg nach Norden lag vor uns, der Atigun Pass. In den reisserischen Fernsehberichten über die Ice Road spielte er regelmäßig eine Rolle, weil die schweren LKWs meist nicht ohne Schneeketten darüber hinweg kamen. Und die mussten im Winter unter üblen Bedingungen und bei extremer Kälte aufgezogen werden. Die Straßenbehörde versuchte zwar stets, den Pass zu räumen. Das gelang aber nicht immer. Wenn in einer Nacht mal ein paar Meter Schnee fielen, dann war auch der stärkste Schneepflug machtlos.

Mühelos fuhr unser Geländewagen auf der unbefestigten Straße bergan. In Österreich oder in der Schweiz würde man ein solches Stück Straße überhaupt nicht erwähnen. Aber am Ende der Welt und unter den lausigen Bedingungen, wie sie hier über zehn Monate hinweg herrschten, war es eine Herausforderung. Doch nicht heute. Glaubten wir.
Immerhin stieg der Pass von wenigen Metern über Null auf 1.500 Meter an. Vorbei an ächzenden und dunkle Abgaswolken ausstoßenden LKWs erklommen wir die Passhöhe. Oben pfiff ein eiskalter heftiger Wind. Eigentlich ein Sturm. Ein sehr starker Sturm. Das Fahrzeug brach aus, sobald wir mehr als zehn Kilometer in der Stunde fuhren. Mit schweißnassen Händen hielt ich den Dodge auf der Straße.
Auf dem höchsten Punkt hielten wir an, stiegen aus, mussten uns an den Türen unseres Fahrzeuges festhalten um nicht weggeweht zu werden und genossen den Blick in ein weites vor uns liegendes Tal. Über uns trieben Wolkenfetzen mit einer noch nie gesehenen Geschwindigkeit über den Pass. Auf Augenhöhe war es klar. Knapp darüber stürmten die Wolken dahin. Unten im Tal schien die Sonne.
Es konnte nicht mehr weit bis zum Ende des Gebirges sein. Wir beschlossen so weit zu fahren wie es nur ging, um in der Sonne aufsteigen zu können. Wir konnten uns nicht vorstellen, wie es wäre, in einem Eissturm, wie dem soeben erlebten, einen Berg zu besteigen. Die Kleidung dazu befand sich in unserem Gepäck. Aber wollten wir das?

Schnell zurück ins warme Auto. Zwei schwer beladene Brummis passierten uns in den Federn quietschend und unter ihrer Last stöhnend in einem niedrigen Gang. Trotz der Kälte gaben ihre Motoren eine spürbare Hitze ab. Sie schleuderten beim Einsinken in die weiche Straßendecke Dreck an unser Auto. Der Straßenzustand ließ vermuten, dass es kurz vorher noch warm gewesen sein musste. Das Außenthermometer zeigte jedoch im Augenblick auf minus siebzehn Grad Celsius oder null Grad Fahrenheit. Der Grund, warum wir vor Kälte schlotterten.

Mit geringer Geschwindigkeit rollten wir vom Pass hinunter. Stets bemüht, auf der Fahrbahn zu bleiben. Ein Fahrradfahrer trat mit aller Kraft bergab gegen den Sturm an. Eisbehangen, sowohl sein Gesicht als auch sein Rucksack. Was machte der denn hier? Wir boten Hilfe an. Er wollte aber keine Hilfe.
„It’s my life“, rief er durch den Sturm und trat weiter in die Pedale. Wir wunderten uns noch lautstark über diesen verwegenen Kerl, als wir zwei frisch verunglückte Wracks passierten. Ein LKW war im Sturm mit einer sieben Meter hoch aufbauenden Kabeltrommel umgekippt, ein zweiter aufgefahren. Ein dritter LKW parkte vor den verunglückten Fahrzeugen und leistete Hilfe. Niemand war verletzt. Aber Autos und Frachten schienen das Ereignis nicht überlebt zu haben. Alle drei Fahrzeuge hatten bei ihren Bremsvorgängen die Straße tief aufgerissen. Unser Dodge hoppelte durch die Furchen, setzte mehrfach auf. Wir mussten nichts unternehmen. Die Fahrer, jeder LKW war nur mit einem Mann besetzt, konnten sich offensichtlich selbst helfen und winkten uns weiter.

Als wir die Talsohle erreichten, ebbte der Sturm ab. Ruhe im Karton. Die Sonne fegte die Wolken hinweg. Klare Luft und ein wunderschönes Licht nahmen uns in Empfang. Nun mussten wir uns nur noch rasch einen Berg aussuchen. Sonst würden sie ausgehen, die Berge. Wir befanden uns nun an dem Punkt, an dem das 400 Kilometer breite Gebirge endete und abrupt in flache Tundra überging.
In hellem Sonnenlicht rollten wir durch das breiter werdende Tal. Die Pipeline zog parallel zur Straße durch das Gelände und nahm der Natur ihre unbefleckte Unschuld. Links und rechts tauchten Seen auf. Im Grunde genommen riesige Mulden, in denen sich Schmelzwasser sammelte, wenn der Schnee auftaute und die Temperaturen nicht zu einem dauerhaften Einfrieren beitrugen. Weil die Straße im Winter unter den extremen Schneemassen verschwand wusste sodann niemand mehr wo sie entlang lief. Bei Schneefällen von mehreren Metern Höhe halfen auch hohe Pfähle nicht mehr. Dann wurde einfach eine neue Straße querfeldein per Fräse und Schneepflug errichtet, die auch über die zugefrorenen Wasserflächen führte.

Wir kamen alsbald an das Ende des Gebirges. Nun mussten wir uns entscheiden. Rechts vor uns erhob sich ein nicht allzu steiler Berg mit einer bewachsenen Kuppe. Man gelangte mit dem Fahrzeug in seine Nähe. Der Aufstieg schien sogar an einem Tag machbar zu sein. Das war doch ideal. In meinen exakten Karten des USGS besaß hier keiner der Berge einen Namen. Links von uns konnten wir die Berge nur unter Nutzung eines Kanus oder Schlauchbootes erreichen. So etwas besaßen wir nicht. Sie schieden aus. Das Ziel war somit festgelegt. Wir hatten ‚unseren’ Berg gefunden. Namenlos. Noch nicht bestiegen. Die Prozedur war einfacher als gedacht. Also nichts wie los.

Rasch parkten wir das Auto abseits der Straße an einer Stelle, die wir als tragfähig einschätzten. Unser Blick richtete sich zum Gipfel. Was würden wir an Kleidung benötigen? Der Gipfel sah gut erreichbar aus. Aber die arktische Luft täuschte wegen ihrer Klarheit viel geringere Entfernungen vor als sie es in Wirklichkeit waren. Das mussten wir bedenken. Da die Sonne nicht untergehen würde konnten wir zu jeder Stunde auf- und absteigen.
Wir waren gut drauf. Also verzichteten wir auf ein Zelt und nahmen nur die Schlafsäcke, die Daunenjacken für arktische Temperaturen und Aluminiumüberwürfe mit, falls wir eingeschneit würden. Heißer Tee, viel Wasser und ein sturmfester Gaskocher für Suppe gehörten ebenfalls zur Ausrüstung. Auf alles Schwere verzichteten wir.
In einem Reiseführer hatte ich gelesen, dass es speziell in dieser Region Wirbelstürme gab, die ihren Ursprung in bis zu zwanzig Kilometern Höhe, also in der Stratosphäre, hatten. Im Auge dieser Hurrikans entstand somit eine Verbindung in die Stratosphäre. Womit eiskalte Luft von minus 80 Grad auf die Erde transportiert wurde. Das überlebte man nicht. So wenig wie einen Eisbär, den man in seiner Mittagsruhe störte. Das mit den kalten Wirbelstürmen wurde als Begründung für die tiefgefrorenen Mammuts angeführt, die im Gehen erstarrten und die heute in Sibirien im auftauenden Permafrostboden auftauchten.
Zu derartigen Fossilien wollten wir nicht werden. Es galt die Augen aufzuhalten. Noch schien schließlich die Sonne von einem beinahe wolkenlosen Himmel.
Als Letztes zogen wir unsere schweren Bergstiefel an. Die Steigeisen blieben zurück. Eis war am Berg mit dem Fernglas nicht zu sehen. Auch keine Bären.
Aber die animalische Natur sollte uns nicht alleine lassen.
Regenbogen am Atigun Pass
Die sturmumtoste Passhöhe des Atigun Passes
Der nördliche Abstieg vom Pass
Die nördlichen Ausläufer der Brooks Range
Gebückt, doch nicht gebeugt
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Alaska – Lachse, Gold und eine Erstbesteigung – Teil 6
Die ersten Schritte führten uns in ein dichtes Netzwerk aus Wurzeln und niederen Pflanzen. Vom Auto aus schien es eine gewöhnliche Heidelandschaft zu sein. Aber irgendetwas stimmte nicht. Den Hauptanteil der bodendeckenden Pflanzen schienen Heidelbeeren und Preiselbeeren auszumachen. Ein Floor von Millionen dieser blauen und roten Beeren bedeckte den Boden.
Ein Tritt auf diese Pflanzendecke führte zu einem überraschenden Ergebnis: die Bodendecker wurzelten nicht im Erdreich sondern hatten zusammen mit ein wenig Humus weit vom steinigen Untergrund abgehoben. Dies ergab sich aus dem Umstand, dass im arktischen Norden über zehn Monate hinweg dauerhaft Frost herrschte. In der Zeit sank das ganze System nach unten und verband sich mit dem Untergrund. Nun aber war es aufgetaut und dehnte sich dabei aus. Dadurch wurde die gesamte Landschaft angehoben.
Mindestens knöcheltief, manchmal sogar knietief sanken wir ein. Das Vorankommen gestaltete sich sehr mühsam. Schlimmer wie im tiefen Schnee, weil wir uns bei jedem Schritt im Wurzelwerk verhakten. Schon nach zehn Minuten keuchten unsere Lungen. Sie begannen schmerzhaft zu brennen.

Hinzu kam, dass es Alaska an diesem Nachmittag gut mit uns meinte. Anstatt der erwarteten niedrigen Temperaturen zeigte unser Thermometer in der Sonne stolze zwanzig Grad Celsius bei Windstille an. Gekleidet waren wir aber für Werte um Null. In der Folge trat der Schweiß aus allen Poren und lief mir am Rücken hinunter. Auch sah ich nichts mehr hinter meiner Sonnenbrille, weil sie ständig beschlug.
Pause. Umziehen.
In T-Shirts ging es weiter. Aberwitzig! Zuhause studierten wir Reiseberichte, lasen soviel wie möglich über das arktische Alaska. Immer ging es nur um Kälte. Und jetzt das. Aber natürlich gestalteten solchermaßen angenehme Bedingungen unser Vorhaben bestens.

Nach einer halben Stunde Staksen, wie die Störche im Salat, erreichten wir den Fuß des noch namenlosen Berges. Von jetzt an fiel das Gehen leichter, weil wir nun auf festem Untergrund auftraten. Gräser und Flechten hafteten am Gestein. Dies bildete einen weichen Teppich und machte das Aufsteigen regelrecht bequem.
Die Steigung war anfänglich so gering, dass wir keine Serpentinen gehen mussten, um den Steigungswinkel zu reduzieren. Wir kraxelten schlichtweg geradeaus nach oben. In der Direttissima, dem kürzesten Weg. Doch es blieb nicht so flach. Nach einer weiteren halben Stunde wurde es steiler. Immer noch bildeten Flechten, bisweilen sogar Heidelbeerbüsche, und Gräser einen Teppich, unter dem es hin und wieder plätscherte und rauschte. Wasser lief unter uns bergab. Das hatten wir in den Alpen so noch nie erlebt.
Inseln von Gebüsch verteilten sich über den Hang. In den kleinen Gebüschen hausten bunte arktische Hühner. Sie blieben entspannt in ihren Nestern sitzen, selbst wenn wir bis auf wenige Meter an sie heran traten. Sie hatten wohl noch nie ein Menschentier gesehen.

Das Wetter hielt. Jedoch kam nun Wind auf. Kalter Wind. Ein T-Shirt reichte nicht mehr aus. Die Temperatur fiel laut Thermometer unter null Grad. Trotz strahlender Sonne. Unsere Thermohosen gaben warm. Nun kamen Jacken hinzu. Mehr musste nicht sein. Schließlich ging es schweißtreibend steil bergan.
Mein Kamerad blieb in der Direttissima. Ich keuchte hinterher. Die Steigung überschritt 45 Grad. Weit über uns ragte ein Sporn auf. Den steuerten wir an. Es wurde steinig. Blanker Fels ließ uns erstaunlich gut vorankommen. Bis das Gelände überging in eine Schutthalde. Der gesamte Berg bröckelte. Wahrscheinlich befanden wir uns auf der Höhe von Gesteinsschichten, die in der harten Witterung erodierten. Das Gehen wurde gefährlich. Manches Mal rutschten wir und zerschnitten uns die Hände im scharfkantigen Geröll. Ich holte die Handschuhe heraus. Im Nu bluteten sie durch. Aber mir blieben weitere Schnitte erspart. Warum nicht gleich so?

Plötzlich tauchten sie auf.
Sie standen nur da und beobachteten uns.
Drei Dallschafe nahmen uns in Augenschein. Mit ihrem schneeweißen Fell und den großen gebogenen Hörnern bildeten sie einen tollen Kontrast zum grün-grauen Berghang. Sie kamen näher. Bis auf etwa zehn Meter. In diesem Abstand würden sie uns nun begleiten.
Der steile Aufstieg forderte seinen Tribut. Wir mussten stehen bleiben um Luft zu schnappen. Die Dallschafe legten sich sofort nieder. Die Ausblicke über die Ausläufer der Brooks Range waren spektakulär. Die klare Luft ermöglichte eine Sicht über mehrere hundert Kilometer.
Der Wind frischte auf. Die gefütterten Jacken flatterten geräuschvoll. Die Schafe störten sich nicht daran. Als wir unsere Pause beendeten standen sie mit uns auf und trotteten weiter.

Bald erreichten wir den angepeilten Sporn. Unser erstes Etappenziel. Mit dem GPS-Gerät wurde seine Position erfasst, das Ergebnis festgehalten und ein Foto gemacht. Er sollte mal meinen Vornamen tragen. Das hatten wir so vereinbart. Das war nun ‚mein’ Peak. Die Bedeutung dessen wurde mir erst später klar.
Die folgende Wegstrecke wurde nicht besser. Der Wind entwickelte sich zu einem Sturm. Es blieb sonnig. Aber am Himmel tauchten wattebauschartig kleine grellweiße Wolken auf. Sie zogen mit hoher Geschwindigkeit dahin. Die Dallschafe blieben davon unberührt.
Das Geröll lag auf hartem Untergrund. Die Steigung nahm weiter zu. Jeder unsichere Schritt führte dazu, dass wir zu Boden gingen. Längst wäre es an der Zeit gewesen in Serpentinen zu gehen. Das lockere Geröll hielt uns davon ab. Auf allen Vieren kraxelten wir nun weiter.

Eine Felsformation zog unsere Aufmerksamkeit auf sich. Zwei spitze Felsnadeln ragten aus dem harten Gestein empor. Wir kletterten ohne Sicherung zu ihnen hin. Die Schafe trotteten nebenher. Position erfassen, aufschreiben, Bild machen. Fertig. Die Nadeln würden die beiden Namen der Enkelinnen meines Kameraden bekommen. Wieder waren zwei Landmarks benannt.
Wenige Minuten später erreichten wir eine markante Felsnase. Die erhielt den Namen meiner Partnerin. Das hatte ich ihr im Stillen versprochen.

Der Gipfel kam in greifbare Nähe. Wir sahen ihn vor uns. Das musste zu schaffen sein. Einige Passagen mit sehr steilem Fels stellten sich uns in den Weg. Wir mussten Umgehungen suchen oder hindurch klettern. Inzwischen stürmte es heftig. Der Stoff der Rucksäcke, Jacken und Hosen flatterte lautstark. Die Schafe interessierte das nicht.
Magisch zog uns der Gipfel an. Den wir alsbald erreichten. Wie so oft in den Alpen schon erlebt war das gar nicht der Gipfel, nicht der höchste Punkt des Berges. Der lag einen guten Kilometer entfernt im Hintergrund. Auf einem breiten Grad wanderten wir nun mit wenig Steigung dort hin.
Und nun sahen wir sie.
Eine große Herde Dallschafe, wohl mehrere hundert Tiere, grasten in einem Hochtal, das sich auf der anderen Seite ‚unseres’ Berges befand und sich zwischen dem Gipfel und den davor liegenden Ausläufern eingegraben hatte. Die Dallschafe zupften ihr Futter aus dem üppigen Gras- und Flechtenland. Man hörte förmlich, wie sie fraßen, so viele Tiere waren es. Ein paar davon schauten zu uns auf. Oder zu ihren Kollegen, die uns noch immer auf Schritt und Tritt im immer gleichen Abstand begleiteten. Was für ein grandioser Anblick! Kombiniert mit dem Fernblick über die Ausläufer der Brooks Range. Im Osten und im Westen ragten hunderte schneebedeckte Gipfel auf. Der Sprecher in dem ideenstiftenden Beitrag von NTV hatte Recht. Vor uns, im Norden, lag, gut hundert Kilometer entfernt, das Eismeer. Nur selten lichtete sich die Dunsthaube, die über dem Wasser lag. Mit bloßem Auge konnte man dann die riesigen Eisberge sehen, die im Wasser dahin trieben.
Grandios.
Gigantisch.
Unvergesslich.

Wir erreichten den Gipfel. Wahrscheinlich die ersten Menschen an jenem Ort. Wir fielen uns in die Arme, jubelten, warfen unsere Rucksäcke zu Boden und genossen lange Minuten den Rundumblick. Ich hatte in den europäischen Alpen die meisten hohen Berge bestiegen. Die waren um Vieles höher als ‚unser’ Berg. Keiner aber bot eine auch nur annähernd so gewaltige spektakuläre Kulisse. Die Frage blitzte in mir auf, wie ich diesen Augenblick richtig würdigen und mir merken konnte.
Im Hintergrund, dort, wo wir über den Pass gefahren waren, hing eine tiefschwarze Wand. Blitze zuckten draus hervor. Ein tiefes Donnergrollen setzte ein. Bei uns schien die Sonne. Es sprach nichts dagegen, dass es nicht so bleiben würde. Die Sonne entsandte warme Strahlen. Der Sturm kühlte uns jedoch aus. Wir ergänzten unsere Kleidung und holten warme Unterteile aus den Rucksäcken. Die arktischen Daunenjacken würden wir nicht benötigen. Die blieben drin.
Das Thermometer zeigte minus fünf Grad an. Die Schafherde bewegte sich langsam und fressend nach unten. Unsere drei Begleiter schauten uns interessiert zu. Sie boten uns allein durch ihre ruhige Anwesenheit die Sicherheit, nicht von einem Eisbär überfallen zu werden. Solange sie nicht in Aufruhr kamen hatten wir nichts zu befürchten.

Der heilige Moment war gekommen. Wir stellten die Koordinaten des Gipfels fest, bauten einen kleinen Steinhaufen, legten dahinein den Wimpel unserer Stadt und machten ein Foto. Dann tauften wir den Berg.
Zwischen meinem Kameraden und mir war klar, dass der Berg nach dem Namen meiner Cousine benannt werden sollte. Ich hatte sie nicht mehr erreicht. Aber wahrscheinlich war sie schon gestorben. Ich fühlte es schon seit unserem Aufbruch am Morgen. Vielleicht ging in einem der Schafe ihre Seele schützend neben uns her. Eine Nachricht würde ich erst in ein oder zwei Tagen erhalten. Je nachdem wann wir mal wieder an einer Telefonzelle Halt machten.
Chrisly Mountain. Dieser Name würde eines Tages in den Karten stehen. Es war die Ableitung aus ihrem vornamenbezogenen Email-Account. Passend zur Region. Etwa 1.700 Meter hoch. Gut 1.600 Meter vom Fuß bis zum Gipfel. Weder anspruchsvoll zu beklettern. Noch spektakulär anzusehen. Aber der zweitletzte Berg auf der rechten Seite an Alaskas einziger Straße zum nördlichen Eismeer. Mit einem einzigartigen Rundblick von seinem Gipfel aus.
Koordinaten-, Höhendaten und Fotos würden der USGS ausreichen, um den Berg zu benennen. Vorausgesetzt in einem langen Verfahren, bei dem sämtliche Indianerhäuptlinge der in Alaska ansässigen Stämme befragt wurden, brachte niemand einen Einwand vor.
Wir verweilten lange auf dem Gipfel. Flach auf dem Boden sitzend riss uns der Sturm nicht um, der inzwischen gewaltige Ausmaße angenommen hatte. Wir konnten nicht mehr stehen. Wenn wir es versuchten reichte eine Bö, um uns umzuwerfen.
Weder unsere vom Geröll zerschnittenen Hände noch der kalte Wind lenkten uns von unserem Gipfelglück ab. Nur die Trauer um meine Cousine riss immer wieder ein Stück Glück aus meinem Herzen.

Es war inzwischen uhrzeitlich Abend geworden. Wir traten im hellen Sonnenschein den Rückweg an. Das Gewitter im Hinterland tobte immer noch, hatte sich aber ostwärts verzogen. Ich empfand jeden Donnerschlag so, als würde mich meine Cousine rufen. Die Schafe weideten nun außerhalb unserer Sichtweite weit unten im Tal. Unsere drei Begleiter brachen mit uns auf, trennten sich grußlos von uns und trotteten gelassen ihrer Herde hinterher.
Nachdem wir uns vom Gipfel aus einen guten umlaufenden Überblick über den gesamten Berg verschaffen konnten, wählten wir nun eine einfachere Strecke für den Abstieg. Schon nach einer halben Stunde hatten wir wieder Gras und Flechten unter unseren Sohlen. Das Geröll gehörte der Vergangenheit an. Entlang eines kleinen Bächleins gelangten wir zurück zum Fuß des Berges. Bevor wir wieder in der aufgetauten Heide versanken wanderten wir so lange auf hartem Untergrund am Fuß von Chrisly Mountain entlang, bis wir die kürzeste Entfernung zu unserem Fahrzeug ausmachten. Dann begann erneut das lästige Staksen.
Völlig fertig, aber glücklich, erreichten wir unseren Geländewagen.

Auf der Rückfahrt wechselten wir uns ab. Der Pass, in Wolken gehüllt, jedoch sturmfrei, zeigte uns seine kalte Schulter. Das Gewitter führte offensichtlich Schnee im Gepäck. Wir mussten die Spurrinnen eines LKWs nutzen, der als einziger in den letzten Stunden hier vorbei gekommen war. Unser amerikanisches Leichtgewicht rutschte trotz seines Allradantriebes hin und her. Vielleicht wäre eine Empfehlung zur Produktionseinstellung eine Überlegung wert...
Zurück in Wiseman übernachteten wir im Zimmer des Vortages. Wir hatten es vorsorglich reserviert. Da wir kurz vor Mitternacht ankamen durften wir den Schlüssel aus einem Vogelhäuschen holen. Dort hatte ihn der Betreiber absprachegemäß hinterlegt.
Obwohl es schon so spät war kam plötzlich heftiger Hunger auf.
Im nahegelegenen Trucker-Treff gab es noch das hervorragende Buffet wie am Vortag. Wir feierten bis drei Uhr am Morgen unsere gelungene Mission. Danach fuhren wir bei Sonnenschein zurück zum Schlafen.
Verkehrte Welt.
Drei treue Begleiter
Zahllose namenlose Berge
Arktisches Huhn
Chrisly Mountain
Drei "Schneepflüge"
Ergänzung zu Teil 4 - "People call me 'The CLutch'"
Gebückt, doch nicht gebeugt
*********Joe62 Mann
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Alaska – Lachse, Gold und eine Erstbesteigung – Teil 7 – Tod
Am frühen Morgen weckte uns Lärm aus der Küche der Lodge. Ein Gast, Engländer, füllte aus einer großen schmucklosen Blechdose Schwarztee in ein Teesieb. Ein gar köstlicher Duft lag in der frischen Morgenluft. Er fragte, als ich mich verschlafen wegen des Lärms umschaute, ob ich auch ein Tässchen haben wollte. Ich nickte für meinen Kameraden gleich mit. Der Engländer, der zuvor ein paar Töpfe aus einem Schrank hatte fallen lassen, deshalb der Lärm, machte sich ans Werk.
„Three minutes“, rief er mir zu, als ich zurück ins Zimmer ging, um meinen Mitstreiter zu holen. Der war vor mir schon hellwach gewesen und hatte seine Morgentoilette bereits beendet. Also nichts wie ran an den Tee.
Wir saßen mit dem Engländer auf der sonnenbeschienen Terrasse der Lodge, blickten in die mit Schnee und Eis bedeckten Berge und tauschten uns aus. Der Tee war unvergleichlich. Und das in dieser Einöde. Der Engländer wollte alleine mit seinem Motorrad bis ans Eismeer fahren, dort eine Postkarte schreiben und einwerfen – es ging um eine Wette – und dann wieder zurück kommen. Wir berichteten von unseren Erlebnissen rund um den Atigun Pass und von der tief aufgetauten von Schlaglöchern übersäten Straße. Der Engländer blieb unbeeindruckt. Seine Sache. Hoffentlich fand er in der Siedlung der Ölmenschen ein Postamt.

Auf dem Weg zurück nach Süden stellten wir fest, dass der Gräter ganze Arbeit geleistet hatte. Die Straße war abgezogen worden. Kein Schlagloch, keine Bocksprünge unseres Leichtfahrzeuges. Wir kamen gut voran. So schafften wir den Weg bis zur Brücke über den Yukon in sehr viel kürzerer Zeit. Der Parkplatz schien ebenfalls saniert worden zu sein. Einige hundert Quadratmeter rings um das Motel hatte man mit neuem Schotter aufgefüllt und gewalzt. Nun kamen wir ohne Schlamm an den Schuhen ins Lokal.
Es gab leckere Steaks. Nicht nur Burger. Mit Pommes und Salat stillten sie unseren Hunger. Mein Kamerad vertrat die für ihn gültige These: ‚Entweder mir ist es schlecht oder ich hab Hunger’. Dieser These schloss ich mich an. Also hauten wir rein. Dieses Mal schafften wir den obligatorischen Liter Cola. Mit den ebenfalls obligatorischen Eisstückchen. Eigentlich kontraproduktiv in der Arktis.
Vor dem Restaurant hatten wir mehrere große Motorräder gesehen. Schlammverspritzt. Die Fahrer saßen gemeinsam an einem großen Tisch und ließen es sich gut gehen. Sie ahnten noch nicht, was auch wir erst später erfahren sollten.

Uns war der Umstand, Chrisly Mountain in nur einem Tag bestiegen zu haben, noch immer nicht ganz bewusst. Es war so einfach gewesen. So entspannt und ungefährlich. Und doch so spektakulär. Jetzt hatten wir freie Zeit. Unsere Planung sah ursprünglich vier Tage für die Besteigung vor. Wir fantasierten, was wir mit der übrigen Zeit machen konnten. Von vornherein beabsichtigten wir Fische zu fangen. Dazu befand sich eine Angel an Bord. Und Köder. Die von dem Angler am Vortag belächelt wurden.
Und dann war da noch das Thema Gold. Das musste doch irgendwie angepackt werden. Vielleicht konnte man uns im alten Goldcamp weiterhelfen, in dem wir wieder übernachten wollten. Willi wusste bestimmt Rat.

Mitten in diesen Gedanken entdeckte ich ihn. Es war keine Zelle. Nur eineinsamer Telefonapparat, der an der Wand hing. Eingekleidet von einer Plexiglashaube. Sofort besorgte ich mir die notwendigen Jetons bei der Kellnerin und versuchte mein Glück. Es klingelte nur ein Mal. Sofort nahm der Mann meiner Cousine ab. An der Stimme hörte ich sofort was los war. Er berichtete mit erstickter Stimme, wie seine Frau am Vortag von ihrer Familie gegangen war. Ein Palliativteam begleitete sie. Sie konnte sich noch von Mann und Kindern verabschieden. Von den Ärzten wurde sie sodann in einen tiefen Schlaf versetzt, während dem sie irgendwann zu atmen aufhörte. Friedlich und schmerzfrei trat sie den Weg ins Jenseits an. Wenigstens das.
Bei näherem Nachfragen stellte es sich heraus, dass es zu der Zeit gewesen sein musste, zu der wir den Gipfel erreichten. Also hatten mich meine Ahnungen wohl doch nicht getäuscht. Ich dachte bald, mir fiele der Hörer aus der Hand. Von einer Sekunde auf die andere wurden meine Knie schwach. Wir verabschiedeten uns, nachdem ich schlicht die Nachricht hinterlassen hatte, dass wir den erstbestiegenen Berg auf den Namen meiner Cousine tauften. Am anderen Ende der Leitung hörte ich ein lautes Schluchzen und mittendrin ein leises „Tschüss“. Dann legten wir beide auf.
Ich kehrte an den Tisch zurück. Zwei Tassen Kaffee und zwei Stückchen leckerer Kuchen, spendiert vom Haus, weil wir schon zu Stammgästen avanciert waren, standen bereit. Ich kriegte den Kuchen nicht runter. Mein Kamerad übernahm.
Mit vollem Tank setzten wir unsere Reise fort.

Nach der Brücke über den Yukon kam die Sonne heraus. Sie blieb während unserer Rast hinter finsteren Wolken versteckt. Nun sorgten die Sonnenstrahlen dafür, dass ich nicht zu sehr in Trauer verfiel. Schweigsam rollten wir über die Schotterstraße.
Doch keine zehn Minuten später:
Vor uns blinkte es. Warnblinker, Polizeifahrzeuge, Stau. Stau in Alaska. Was war das denn? Stau in Deutschland gehörte zum Alltag. Aber in der Wildnis im Stau zu stehen? Nichts rührte sich. Ein Trucker im LKW vor uns verließ sein Fahrzeug und trottete mit seinen gut hundert Kilo Übergewicht den Blinklichtern entgegen. Nach einiger Zeit kehrte er mit langsamen Schritten zurück. Er trat zu uns ans Autofenster.
Er erzählte kurz und knapp, dass sich ein Stückchen weiter vorne zwei Motorradfahrer während des Fahrens berührt hätten. Einer wäre wegen eines Schlagloches auf der Straße zu Fall gekommen und sei nun verletzt. Den hatte sofort ein Truck aufgenommen und Richtung Fairbanks gefahren. Der Hubschrauber käme ihm entgegen. Der andere fuhr die Böschung hinab, stürzte und brach sich das Genick. Nun müsse der Sheriff von Fairbanks kommen und den tödlichen Unfall aufnehmen. Bis der Sheriff da wäre würde es noch gut drei Stunden dauern. Alles in Allem sollten wir uns auf vier Stunden Straßensperre einstellen.

Schon wieder eine Todesnachricht. Keine halbe Stunde nach der letzten. Puh.
Was musste das für die Angehörigen bedeuten, wenn ihr Liebster im hohen Norden Alaskas einem so dummen Missgeschick zum Opfer fiel. Da erst realisierte ich wieder, dass wir in unserer Planung auch davon ausgegangen waren, dass uns während des Bergabenteuers etwas Existenzielles widerfahren könnte. Jeder hatte sein Leben bewusst in die Hände des anderen gelegt. Darüber sprachen wir miteinander noch eine Woche vor dem Abflug.
Die Sonne schien wärmend vom stahlblauen Himmel. Wir erkundeten links und rechts der Straße den dichten sehr niederen Wald. Man kam nicht weit. Nach ein paar Metern sanken wir entweder in dem auch hier vom Boden abgetauten Geflecht der Pflanzen ein oder wir blieben im Wurzelwerk stecken. Ich setzte mich an den Straßenrand, schaute die harmlose Böschung hinab, die einige Meter weiter vorne einem Menschen das Leben gekostet hatte, und dachte an die vielen schönen Stunden mit meiner Cousine.
Die Zeit verging wie im Flug. Die Schlange vergrößerte sich um etwa ein Auto pro Viertelstunde. Offensichtlich waren wir vorhin zu einer Stoßzeit unterwegs. Nur so erklärten sich die etwa zehn Fahrzeuge vor uns, die zu Beginn den Stau bildeten.
Der Scheriff traf ein. Hektisches Treiben begann. Die Unfallstelle wurde vermessen. Die vorhandenen Spuren fotografiert. Leute befragt. Inzwischen stießen auch die Motorradfahrer, die wir im Restaurant getroffen hatten, zu uns. Es war ihr Freund, den es erwischt hatte. Sie stellten ihre Maschinen an den Straßenrand und setzten sich niedergeschlagen, teils weinend, auf den Schotter der Straße. Wie unzulänglich war doch ein Menschenleben. Und an welch seidenen Fäden hing es doch manches Mal.
Nach dem Öffnen der Straße setzten wir schweigsam unsere Reise fort. Jeder hing in seinen Gedanken fest.

Ein brutaler Schlag mit der flachen Hand auf meinen Schenkel riss mich aus meinen Gedanken. „Morgen graben wir nach Gold“, rief mein Kamerad. „Damit Du auf andere Gedanken kommst!“ Die Stelle, an der seine flache Hand meinen Schenkel traf, schmerzte bis in den späten Abend. Mann, eh!
Beim alten Goldcamp-Hotel angekommen wurden wir herzlich in Empfang genommen. Offensichtlich war man in Alaska sofort ein Freund der Familie, wenn man irgendwo zum zweiten Mal auftauchte. Willi wollte von unseren Erlebnissen wissen. Seine Frau Marlene gesellte sich hinzu. Wir berichteten. Bei Whisky und Kaffee. Offensichtlich beeindruckte unsere Erzählung. Beide lauschten angestrengt und stellten viele Fragen. Nach dem Wetter, den Eisbären, den Dallschafen, wie der Berg denn hieße. Als ich die Geschichte meiner Cousine erzählte und darauf hin auch noch den Unfall mit dem Motorradfahrer erwähnte sprang Marlene auf.

„Come on!“, rief sie und zerrte uns beide an der Hand zu ihrem frisch geputzten Dodge Ram. Der Achtzylinder brabbelte als sie den Gang einlegte. Kies spritzte auf. Mit viel Gas raste sie aus dem Parkplatz des Hotels. Keine zehn Minuten später fanden wir uns in einem Saloon wieder, in dem Countrymusik, Tanz und allgemeines Besäufnis geboten wurde. Erneut saßen um uns herum die Brüder von ZZ Top. Keine Trucker, eher Goldgräber.
Wir standen mitten im Raum und konnten nicht glauben was wir sahen. Sämtliche Räume hatte man mit Ein-Dollar-Noten beklebt. Eine jede unterschrieben von ihrem ehemaligen Besitzer. Tausende davon zierten Decken und Wände. Zwischendrin hingen alte Flinten, Pumpguns, Maschinenpistolen, Winchester-Gewehre, Colts. Das Sammelsurium hätte mal wieder für einen Kleinkrieg gereicht. Am Tresen durfte mit Geld, Kreditkarte oder mit Nuggets bezahlt werden.
Im Fernsehen in einem abgelegenen Raum lief ein Bericht zur aktuellen Goldpreisentwicklung. Schlagartig verstummten sämtliche Gäste. Ein neuer Rekordpreis wurde aufgerufen. Ein Schrei ging durch die Schar der Gäste, offensichtlich waren sie allesamt im Goldgeschäft tätig. Der Wirt ließ eine Runde Whisky springen. Aus einem Fässchen rann bereits ein hauchdünner Strahl.
Willi gesellte sich zu uns. Er hatte sein Hotel einem Gast überlassen, der neu ankommende Gäste erst mal unterhalten würde bis er zurück wäre, erklärte er und trank mit uns auf den Goldpreis.

Wir kamen wegen unserer Wünsche ins Gespräch. Willi wusste Bescheid und empfahl uns ein Ehepaar in der Nachbarschaft. Nur schlappe 400 Kilometer entfernt. Gleich vorne am Highway rechts und dann bald darauf wieder rechts weg. Bei denen konnte man das volle Equipment ausleihen und im Bach nach Gold graben. Das böte die besten Chancen auf Erfolg. Die Leute wären nett. Sie hätten noch nie jemanden erschossen.
Aha! Was für ein Glück!
Marlene steuerte einen Tipp zum Angeln von Hechten bei. Das wäre auch gleich in der Nachbarschaft. Knapp 500 Kilometer von hier. Aber am Highwaynach dem Rechtsabbieger gleich links weg. Manly Hot Springs hieße die Stadt. Dort könnte man bestens Hechte fangen.
Von einer Stadt war uns nichts bekannt. Das mit dem Gold würden wir gleich am nächsten Tag machen. Hatten wir ja schon unterwegs mit herbem Schenkelklatscher besprochen.
Wie in den süddeutschen Besenwirtschaften, so kam auch hier der Kellner des Saloons vorbei und schüttete nach. Nur eben Whisky anstatt Wein.

Willy bot an, oben in seiner Hotelküche wieder ein leckeres Steak zu fabrizieren. Das könne man im Saloon nicht so gut. Wir glaubten ihm sofort. Allerdings gab es unsererseits Einwände. In der Landschaft ringsum wuchsen Millionen kräftige Birkenpilze. Die könnte man doch zum Steak servieren. Willi fiel es wie Schuppen von den Augen. Da wuchs vor seiner Haustür ein Schmankerl, das er aus seiner Jugendzeit kannte. Und hier, wo man Pilze nicht suchen sondern nur ernten musste, da hatte er es vergessen, das Schmankerl.
Ich machte mich sofort auf und unter die Bäume. Mein Kamerad ebenso. Er brachte die Idee schließlich ein. Eine Goldwaschpfanne – was sonst? – voller Pilze brachten wir nach wenigen Minuten in die Küche und halfen sofort beim Putzen. Schnell geschnippelt, rein in die Pfanne, Butter dazu, Kümmel, braten lassen. Später Salz und Pfeffer. Noch etwas Sahne. Das Wasser lief uns im Munde zusammen.
Inzwischen traf ein attraktives Damenpaar ein. Frau und erwachsene Tochter eines englischen Diplomaten suchten eine Unterkunft. Marlene brachte sie auf ihr Zimmer. Augenblicke später setzten sie sich zu uns. Sie profitierten von dem leckeren Pilzgericht und wir von ihren tiefen Ausschnitten. Noch hatten wir einige Whiskys voraus. Nicht lange. Die beiden schütteten das köstliche Getränk in rauen Mengen in sich hinein. Und wurden zutraulich. Gegen Mitternacht versuchten wir allesamt in die Kojen zu finden. Es gelang nur mäßig.
Die beiden Damen schliefen im falschen Zimmer. Einem nicht vergebenen. Unter Decken ohne Bettwäsche. Erzählten sie am nächsten Morgen noch leicht benebelt.
Ein Stau in der Wildnis
Ein Großer
Ein wertvoller Saloon - Money for nothing - nur wo sind die Chicks?
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