Alaska - Lachse, Gold und eine Erstbesteigung
Vorbemerkungen:Ich möchte nachfolgend eine Fortsetzungsgeschichte vorstellen, die einem persönlichen Erlebnis entspringt und die das Abenteuer in einem wilden Land mit einem schweren Schicksal in der Heimat verbindet.
Weil das Land so unsagbar weit und ungewöhnlich ist werde ich zu jeder Folge Bilder beisteuern, so dass die geneigte Leserin und der geneigte Leser über Anschauungsmaterial zu den Highlights des Abenteuers verfügen.
Alaska – Lachse, Gold und eine Erstbesteigung
Kilimanjaro!
Ein echtes Abenteuer.
Der Vorschlag kam von einem guten Freund. Über zwei Jahrzehnte wanderten wir bereits gemeinsam durch die Alpen. Nun wollten wir mal etwas Besonderes machen. Einen außergewöhnlichen Berg besteigen. Das war der Beschluss. Sofort kam der Vorschlag mit dem schneebedeckten Berg in Afrika.
Mir kam die Sache spanisch vor. Sagt man doch so, wenn etwas klemmt. Oder?
Als altem Bergfex war mir geläufig, dass die meisten Besteiger des Vulkans eine Woche lang nach oben unterwegs waren und am letzten Tag an heftigen Kopfschmerzen litten, oder erst gar nicht den Gipfel erreichten. Der Grund war die Vorgabe der zwanghaft einzuschaltenden einheimischen Bergführer, an diesem letzten Tag 1.400 Höhenmeter zurücklegen zu müssen. Und das in einer sauerstoffarmen Umgebung.
Ich war dagegen weil es keinen Spaß machte. Und wollte nochmals nachdenken.
Da kam mir der Zufall zu Hilfe.
In einem Fernsehbericht auf NTV über die in Alaska gelegene Iceroad, auf der verwegene Trucks über zugefrorene Seen und Flüsse fuhren, erklärte der Sprecher in einem Nebensatz, dass man im Hintergrund zahllose namenlose Berge sehen würde.
Es traf mich wie ein Blitz. Es war also heute immer noch möglich: eine Erstbesteigung. Mit Namensgebung. Das war die Lösung.
Sofort bekam ich Gänsehaut und begann zu recherchieren. In der Tat. Dort oben im hohen Norden lag ein riesiges Gebirge, die Brooks Range, viel größer als die europäischen Alpen, in dem lediglich vier Berge indianische Namen besaßen.
Das war einfach zu erklären. Zum einen gab es dort nur eine einzige Straße, den 815 Kilometer langen Dalton Highway. Und den durfte lange niemand befahren. Außer Leute, die zu den Ölfeldern am Eismeer mussten. Zum anderen lag dieses Gebirge in einer menschenleeren arktischen Region. Keine Wanderwege, keine Pfade, nichts führte durch die Welt der schneebedeckten Gipfel und der zumeist zugefrorenen Täler.
Die gesamte Region befand sich weit nördlich des Polarkreises. Hinter dem nördlichen Rand des Gebirges lag noch ein schmaler Streifen Tundra, dann folgten schon das Eismeer und dahinter alsbald der Nordpol. Da war es so kalt, dass es nur an ungefähr vierzig Tagen im Jahr oberflächlich auftaute. Im Erdreich herrschte Permafrost.
Die Konsequenz: in dieser weitläufigen Region gab es keine Touristen. Wo es keine Touristen gab, gab es wahrscheinlich auch keine Bergsteiger. Wo es keine Bergsteiger gab, da kraxelte auch niemand rum und gab den Bergen irgendwelche Namen. Die Namensgebung ist im Übrigen entscheidend, um eine Region beschreiben zu können. Damit man erklären kann, wo man ist oder welches Ziel man ansteuert. Die amerikanische Behörde USGS erläuterte im Internet auf der damals einsehbaren Seite, dass es durchaus gewünscht wäre, Berge zu besteigen und sie zu benennen. Man wollte schließlich den Tourismus ankurbeln. Jetzt, wo die Straße freigegeben war.
Alsbald wusste ich, was man machen musste, um einen Berg mit einem selbst gewählten Namen taufen zu dürfen und teilte dies meinen Kameraden mit. Die fuhren sofort auf meine Idee ab. Wir besprachen uns kurz vor Weihnachten in dem Gasthof und dort in dem Raum, in dem 200 Jahre vor uns schon ein gewisser Johann WvG. aus W. gesessen hatte wenn er von Weimar nach Karlsbad zur Kur fuhr. Das sollte doch ein gutes Ohmen sein.
Die Begeisterung war sofort zu spüren. Ohne weiters zu überlegen sagten sie zu. Ein Kreis von vier Bergenthusiasten war gebildet.
Nun begannen die Vorbereitungen. Wir gaben uns ein halbes Jahr, denn Alaska konnte für diesen Zweck nur in den besagten vierzig Tagen zwischen dem 1. Juli und dem 10. August besucht werden. Danach begannen im Norden schon wieder die Schneefälle. Dann war kein Durchkommen mehr. Für uns Zeit genug, um die Kleidung und das Schuhwerk zu komplettieren, Karten zu besorgen, Informationen zur Anmeldung der Namensgebung einzuholen und so weiter.
Mitten in diese Vorbereitungen hinein platzten die Nachrichten, dass zwei unserer Kameraden ausfielen. Orthopädische und internistische Probleme. Krankenhaus. Reha, nix mit Alaska. Da waren wir plötzlich nur noch zu zweit. Unsere beiden Kameraden würden für immer bei längeren Touren ausfallen. Wir mussten also überlegten, ob wir zu zweit den Mut aufbrachten das Vorhaben umzusetzen. Unsere Frauen hatten schon zugstimmt. Sie wollten uns ziehen lassen. Und wir standen in Flammen. Der Berg – welcher es auch immer sein sollte -, Gold, Bären und Lachse zogen uns magisch an.
Der Anruf traf mich aus heiterem Himmel.
Meine Lieblings-Cousine war mit ihrer Familie auf dem Weg in den Urlaub gescheitert. In Bayern. Weil sie plötzlich unsägliche Schmerzen bekam. Ihr alter fieser längst als geheilt beschiedener Krebs machte sich bemerkbar. Das war ein Schlag ins Kontor. Ich mochte meine Cousine über alles. Hatte viel gemeinsam mit ihr erlebt. Von jüngsten Jahren an wuchsen wir gemeinsam auf. Ich hatte ihren Kampf gesehen, um das erste Mal den Brustkrebs zu besiegen. Das war richtig hart. Aber irgendwann galt er als geheilt.
Und nun das!
Unter Tränen erklärt sie mir ihren Zustand und ihre Prognose. Sie würde diesen neuerlichen Anfall wohl nicht überleben. Das erklärten ihr die Ärzte frei raus. Der Körper war schon übersät mit Metastasen. Da blieb für sie nur übrig nach hause zu fahren, um sich auf das Sterben vorzubereiten. Ich legte auf. Tränenüberströmt saß ich in meinem Büro. Wie gelähmt.
Die Reise nach Alaska würde ich nicht absagen. Da war ich mit ihr einig. Ich hatte sie damals, bereits zum Zeitpunkt unserer Entscheidung, von dem anstehenden Abenteuer unterrichtet. Sie wollte nun unbedingt, dass ich nach Alaska reiste. Also ließ ich die Planungen weiterlaufen. Ich hatte noch vier Wochen bis zur Abreise.
In den beiden Wochen vor dem Abflug sahen wir uns oft. Sie lag inzwischen zuhause in einem fahrbaren Bett, das man bei Bedarf auf die Terrasse rollen konnte. Gerne lag sie unter dem Baldachin und sprach mit ihren Kinder oder las ein Buch. Ein Ärzteteam sorgte für Schmerzfreiheit. Wenn das Ende nahen würde, käme ein Palliativ-Team und würde sie schmerzfrei auf ihrem unsäglichen Weg begleiten. Das klang erst mal rational. Aber zu sehen, wie ein geliebter Mensch stirbt, ist keine einfache Sache. Am Wenigsten für ihren Mann und ihre Kinder. Ich war von den Besuchen jedes Mal geschafft.
Am Tag vor dem Abflug in den kühlen Norden besuchte ich sie noch einmal. Sie erklärte mir mit fester Stimme, dass sie nur noch ein paar wenige Tage zu leben hätte. Zum Abschied wünschte sie mir viel Spaß bei meinem Abenteuer. Ich würde sie nie wieder lebend sehen.
Mein Freund erwartete mich am nächsten Tag frühmorgens frohgemut und versuchte sofort, mich auf andere Gedanken zu bringen. Es gab viel zu kontrollieren. Kleidung, Papiere, Geld, Ausrüstung und Technik. Alles war in Ordnung. Also rein ins Auto und ab zum Flughafen. 400 Kilometer bis Frankfurt.
Alles lief glatt. Auch der Flug über den Nordpol erfolgte überraschend ruhig und dauerte gerade mal neun Stunden.
Die Maschine setzte pünktlich im wolkenverhangenen Anchorage auf. Um elf Uhr vormittags traten wir hinaus in einen kühlen Sprühregen.
Nun durfte man mit den am Flughafen mietbaren Karossen leider keine unbefestigten Straßen befahren. Deshalb mussten wir ein Taxi nehmen und zu einem Verleiher am Stadtrand fahren, der geländegängige Autos mit einer Versicherung für gravel roads (Schotterstraßen) führte.
Wie schon so oft in den entlegensten Regionen dieser Erde erlebt, saß hinter dem Schreibtisch der Firma eine attraktive Schweizerin. Erst vor Kurzem mit ihrem Mann ausgewandert. Sie fertigte das Mietgeschäft routiniert ab. Ein Dodge Nitro sollte es sein. Silbern glänzend. Wohin wir fahren würden interessierte sie nicht. Sie wollte es nur in ungefähr dem Zustand wieder zurück, in dem sie es uns übergab.
Ungefähr? Was das bedeutete sollten wir noch kennenlernen.
Die ersten Meilen legten wir auf bestem Asphalt zurück. Anchorage war zwar eine große Stadt von beträchtlicher Ausdehnung. Aber der Verkehr auf den breiten Straßen war gering. Unser Kartenmaterial – Navis gab es damals für die Region noch nicht – führte uns zielsicher zur Stadtgrenze und zum Highway Richtung Fairbanks. Der anderen nennenswerten Stadt in Alaska.
Das Land ist so groß wie Europa, hat etwa 700.000 Einwohner. 1.400 Kilometer Straße exakt nach Norden lagen erst mal vor uns. Wir ahnten noch nicht, was da noch kommen sollte. Und wie leer dieses riesige Land war.
Das wilde Alaska, also das Land gleich hinter Anchorage, nahm uns mit starkem, mal mit sehr starkem Regen in Empfang. Die Wolken hingen auf der Straße. Kein Hindernis. Das Abenteuer zog uns voran, wie an einem unsichtbaren Gummiband.
Bis wir die Nähe des höchsten Berges unserer Erde erreichten. Mount McKinley, oder auf Indianisch Denali.
Nun ist der Mount Everest der höchste Steinhaufen nach Meereshöhe. Der Berg misst jedoch nur 3.300 Meter vom Fuß bis zum Gipfel. Der Denali ist etwa 6.100 Meter hoch, er misst jedoch 5.600 Meter vom Fuß bis zum Gipfel. Mehr als jeder andere Berg auf unserem Planeten. Deshalb war er auch schon über viele hundert Kilometer hin sichtbar.
Das Wetter schlug um. Kein Wölkchen trübte den Himmel. Die Sonne kam raus. Der Denali erhob sich mächtig über der Ebene, die wir bis zum Abend durchfuhren.
Wir suchten eine Übernachtungsmöglichkeit, wurden in einem aus Holz neu errichteten Motel fündig. Grizzly Bear Cabins – wie sinnig in einer Region, in der diese Bärensorte hinter jedem Bäumchen lauert. Jetzt noch ein Steak im gegenüberliegenden Saloon und wir würden müde ins Bett fallen. Steaks in Alaska sind schlechthin die Wucht. Der Saloon war es ebenfalls.
Später im Bett ging mir meine Cousine noch stundenlang durch den Kopf. Wie mochte es ihr ergehen? Was ging wohl in den Köpfen ihrer Familie vor...