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In mir - aus mir

nochmal Kaminlesung
****ra Frau
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Themenersteller 
Die Begegnung
Nestor fühlte sich nicht wohl. Er war seine verlogene Existenz leid. Das Gefühl, dass etwas daran ganz und gar nicht richtig war, wurde immer heftiger in ihm. Es machte ihn aggressiv und launisch. Sein Wirt, dieser Markus Brenner, ertrug ihn mit stoischer Ruhe. Er verstand das nicht. Wenn ihn jemand so beherrschen würde, würde er ihn mit einem mentalen Fußtritt aus seinem Bewusstsein befördern.

‚Ich hätte Lust, mich dem Typen mal zu zeigen’, überlegte er, legte sich in seinem Sumpf zurecht und starrte in einen grünblauen Himmel.

Nestor war ein Echsenwesen. Ein junges aber mental sehr starkes Exemplar. Die Echsen lebten in zwei Dimensionen gleichzeitig. Es war ihnen auch möglich, die Zeit zu verändern. Vielleicht nicht gerade verändern, aber sie konnten sie kontrollieren. Einen physischen Körper besaßen sie nicht. Ihr Erscheinungsbild war das Resultat ihrer ehemaligen Existenz. Sie hatten sich weiter entwickelt, auf ihre physischen Körper verzichtet und waren als Energie im Raum-Zeit-Gefüge unterwegs. Aber es waren immer noch Individuen.

Nestor fühlte sich von seiner Körperlosigkeit gefangen. Er schaute gerne durch menschliche Augen. ‚Was sind das für häretische Gedanken’, schalt er sich selber. Meistens kam es über ihn, wenn sein Wirt schlief. Der Körper ruhte, alles funktionierte von alleine. Er brauchte nichts zu tun. Früher hatte er sich manchmal in seine Träume geschlichen. Aber es war langweilig geworden. Mehr und mehr hatte er das Gefühl, dass es nicht richtig war.
‚Irgendetwas läuft da total falsch’, murmelte er. ‚Wenn ich ihn gefragt hätte, ob er mich dann aufgenommen hätte? – Bin ich jetzt schon komplett blöd geworden? Warum sollte er das machen wollen? Kein Lebewesen mit Verstand, würde sich das antun?’
Tagelang brütete er über diesen Fragen.

Währenddessen ging sein Wirt, Markus Brenner, seinem Leben nach. Es war das, was er unter Leben verstand. Morgens aufstehen, dann zur Arbeit fahren, Abends nachhause und früh zu Bett. Nicht gerade aufregend. Am Wochenende kamen noch diverse Diskobesuche dazu. Nestor erkannte, dass sein Wirt die Ablenkungsmanöver der Mächtigen voll nutzte. Er fiel drauf rein. Immer häufiger ärgerte sich Nestor darüber.

Er wollte seinen Wirt kennen lernen. Richtig kennen lernen, ihn nicht als leere Hülle sehen, sondern als den, der er war. ‚Hoffentlich weiß er noch, wer er ist, sonst bekommen wir ein Problem,’ überlegte er. Sein Entschluss stand fest. Heute noch würde er sich seinem Wirt zu erkennen geben. Er musste aber vorsichtig zu Werke gehen und etwas machen, dass seit mehreren tausend Jahren keiner mehr gemacht hatte, wenn überhaupt – einen lebenden Wirt verlassen, und ihn um Erlaubnis zur Rückkehr zu bitten.
‚Wenn es misslingt, bin ich am Arsch.’ Nestor kniff die Augen zu schmalen Schlitzen. Es brauchte Mut, so etwas zu wagen. Das Risiko war groß, dass ihn der Wirt zum Teufel wünschte. Er würde auch in der Paralellwelt für Aufsehen sorgen, so etwas blieb sicher nicht unbemerkt. Die telepathische Tätigkeit, die er entfalten musste, würde ihre Wirbel über diese Welt, hinein in die nächste schicken.
Unsicher kratzte er sich am Kopf. Dann zwang er sich aus dem Körper von Markus Brenner. Kälte umfing ihn. Eiseskälte. Einsamkeit. Leere. Er hatte nicht gewusst, dass es so sein würde. ‚Wenn er mich nicht mehr will, bin ich echt am Arsch’, murmelte er.

Markus war gerade aus der Dusche getreten. Er stand am Spiegel und begann Rasierschaum im Gesicht zu verteilen. Erschrocken hielt er inne. „Spinn ich oder was“, sagte er. Im Spiegel sah er folgendes Bild: sein Gesicht, die untere Hälfte mit weißem Schaum bedeckt, daneben schien aus ihm heraus, eine Echse zu klettern. Sie war graugrün, hatte gelbe Augen und war sehr groß. Mit ihren Klauen schien sie zu winken.
Markus lief ein Schauer über den Rücken. Wie angewurzelt stand er da, den Rasierer noch in der einen Hand, die andere schon an der Wange. Er blinzelte. Die Halluzination ging nicht weg.
‚Du spinnst nicht’, hörte er eine Stimme in seinem Kopf. ‚Ich bin ebenso wirklich wie du, wenn auch nicht aus dem selben Stoff.’
„Was machst du in meinem Kopf? Geh da raus – ich kann dich genau spüren.“
‚Du fühlst mich? Das halte ich für ein gutes Zeichen. – Ich wollte dich etwas fragen. Ich möchte gerne deinen Körper mit dir teilen.’
„Sonst noch Wünsche! Ich werde mir eine Riesenechse in den Kopf setzten. Schau ich so aus?“
‚Nun, wenn ich ehrlich sein soll – ja.’
Mensch und Echse starrten sich an.
Dann lachte der Mann. „Du bist doch schon längst in meinem Kopf, wieso fragst du noch?“
„Weil es so höflicher ist.“ Nestor war erstaunt darüber, dass Markus bereits gewusst hatte, dass er in ihm war.
„Und wie heißt du? Reptil?“
„Du liebe Güte – nein. Du kannst mich Nestor nennen.“
„Dann bekommst du jetzt ein offizielles Willkommen, Nestor. – Heißt es nicht so schön: teile und herrsche. Nun – wer beherrscht jetzt meinen Körper, wenn ich ihn mit dir teile?“
„Wieso denkst du, dass es dein Körper ist?“
Der Mann blickte nachdenklich an sich hinab. Er fühlte, wie ihm die Kühle eine Gänsehaut bescherte. „Wir reden nachher, Nestor. Mein Körper sagt mir gerade, dass ich mich rasieren und dann schnellstens anziehen soll.“
Nestor blieb als Spiegelbild bestehen. Von dieser Perspektive hatte er noch nie einen Menschen gesehen. Es war interessant. Nestor war sehr wissbegierig. Er hinterfragte so ziemlich alles, was er sah und hörte. Darin glich er Markus. Sein Wirt war überaus scharfsichtig und zurückhaltend mit seinen Äußerungen.
Markus machte sich fertig. Als er dann beim Frühstück saß, sagte er: „So, jetzt weiß ich, dass ich nicht verrückt bin, zumindest hoffe ich es. Erzähl mir von dir.“
‚Du brauchst nicht laut mit mir zu reden. Das geht auch in Gedanken, du hast starkes telepathisches Potenzial.’
‚Freut mich zu wissen. Dann erzähl mal. – Ich werde inzwischen frühstücken. Du weißt sicher, dass ich in einer halben Stunde zur Arbeit muss.’
Nestor begann mit seinem Bericht:
‚Vor vielen tausend Jahren kamen meine Vorfahren auf der Erde vorbei. Die Menschen waren damals noch recht unterentwickelt, hatten gerade mal das Feuer erfunden. Sie erschraken, als die ersten Echsen landeten, und dachten, dass wir Götter wären. Wir ließen sie in dem Glauben. Wir kamen dahinter, dass wir uns mit dem Geist der Menschen leicht verbinden, und von der menschlichen Lebensenergie zehren können. Deshalb kam es zu ersten Verschmelzungen. Am Anfang wurden die betreffenden Menschen sorgfältig unter der Bevölkerung ausgewählt. Es waren meistens Priester oder Priesterinnen. Dann wurde unsere Zahl größer und auch die der Menschen. Wir beeinflussten darauf hin eure Entwicklung, beschleunigten oder behinderten sie, je nach Bedarf und wer von uns gerade die größere Macht hatte.’ Nestor machte eine nachdenkliche Pause. ‚Momentan laufen wir auf ein großes Chaos hin. Es gibt mehrere Kräfte, die im Widerstreit zueinander stehen. Jede hat ein anderes Ziel. Das Ende vom Lied wird die Zerstörung eurer Zivilisation.’
Markus hörte aufmerksam zu. Trank seinen Kaffee und aß sein Müsli dazu. Jeder andere meinte immer, er leide an Geschmacksverwirrung, ihm schmeckte es.
‚Hast du dich deshalb hervor getraut?’, fragte er schließlich.
‚Nicht nur. Ich war neugierig, bin es noch. – Ich hoffe nur, dass mich kein Wächter entdeckt. Sie passen nämlich furchtbar auf, dass uns die Menschen nicht entdecken.’
Er hörte auf zu reden. Markus merkte, wie ihm ein kalter Schauer den Rücken runter lief. Aber es war nicht seine eigene Angst.
‚Überträgst du deine Angst auf meinen Körper?’
‚Tut mir leid. Ich konnte es nicht unterdrücken.’
‚Warum habt ihr keine Körper? Wollt ihr welche und stehlt deshalb unsere?’
Nestor lachte. ‚Wir haben genauso Körper wie ihr. Nur sind unsere nicht ganz so – ähm kompakt. Wir bestehen wie ihr aus Atomen und den noch kleineren Teilen. Frag mich nicht, wie die heißen, das ist eines der wenigen Gebiete, auf denen ich mich nicht auskenne, und die mich auch nicht interessieren. Dein Körper besteht aus lauter Atomen. Du weißt doch, woraus ein Atom besteht? – Kern, Neutron und Proton … und dazwischen ist nichts. Also ist dein Körper nicht ganz so fest, wie du es dir vorstellst. Das ist bei allen Dingen, die du siehst so. Deine Augen und die anderen Sinne sagen dir, dass es stoffliche Dinge sind, deshalb kannst du sie berühren. Ich weiß, dass es nur eine Struktur ist, die nicht wirklich fest ist, und kann deshalb durchgehen, wenn ich will.’
‚Jetzt bin ich wirklich verrückt’, dachte Markus. Er zwickte sich in die Hand. ‚Es tut weh, ich kann nicht durchgreifen – also erzähl mir keinen Scheiß.’
Der Echsenmann lachte schallend. Die Härchen an Markus’ Armen stellten sich auf. Es war ein Laut, als würde Kreide über eine Tafel kratzen.
‚Du musst dich von der Vorstellung lösen, die ihr von der Welt habt. Nicht alles, was du siehst, ist wirklich. Das meiste entspringt nur deiner Vorstellung. Dein Gehirn produziert die Bilder, die du als Realität wahrnimmst.’
Darüber musste Markus erst einmal nachdenken.
‚Lass mir Zeit. Reden wir am Abend weiter darüber. Ich muss jetzt los.’
‚Wir müssen los, Alter. Du musst mich schon mitnehmen.’ Der Mann spürte, wie die Echse belustigt mit den Augen zwinkerte.


Markus brachte den Tag mehr schlecht als Recht über die Bühne. Er hatte sich für eine Abteilungsleiter-Stelle beworben. Gerade heute war das Bewerbungsgespräch gelaufen. Er hatte ein gutes Gefühl, obwohl er bei seinen Antworten nicht recht bei der Sache gewesen war.
‚Du wirst die Stelle bekommen. Es ist wichtig’, sagte Nestor am Abend.
‚Wie meinst du das?’
‚Wenn es so weit ist, wirst du es wissen. Bevor ich nicht sicher bin, dass ich dir völlig vertrauen kann, werde ich dir nichts sagen können. Es ist zu gefährlich. – Du hast keine Ahnung, wie gefährlich meine Leute sind.’
‚Ich weiß nicht, ob ich dir trauen kann’, meinte Markus grinsend. ‚Du sprichst von Vertrauen, hast aber einfach so meinen Körper in Besitz genommen, ohne vorher zu fragen. Das gehört sich nicht.’
Jetzt musste Nestor wieder lachen. ‚Gute Antwort. Ich sehe schon, wir werden uns gut verstehen. Wir sind aus dem selben Holz geschnitzt, wenn du so willst.’
Markus machte es sich vor dem Kamin bequem. Er hatte sich zur Feier des Tages, er wusste eigentlich nicht was er feierte, eine Flasche Wein gekauft.
‚Wie kann ich dein Vertrauen gewinnen, Markus? Soll ich aus dir verschwinden?’
‚Nein. Bleib nur. Irgendwie mag ich dich, auch wenn du fremdartig bist und mich etwas erschreckst.’ In langsamen Schlucken trank er vom Wein. ‚Du sagtest etwas, dass ihr gefährlich seid. In wie fern?’
‚Sie wollen die Weltherrschaft an sich reißen. Aber das wollen sie schon lange. – Die nahe liegende Gefahr besteht jetzt für uns. Sie wollen nicht, dass sich Wirt und Symbiont persönlich kennen. Das verstehen sie als Untergrabung ihrer Macht.’
‚Wie sollten sie denn davon erfahren?’
‚Sie wissen mehr als du denkst. Ständig sind irgendwelche Wächter unterwegs, die beobachten und melden. Jede neue Bewegung wird registriert, und Widerstand wird im Keim erstickt. Wer nicht nach ihren Spielregeln spielt, wird bestraft.’
Er hielt inne, ließ dem Mann Zeit, das Gehörte zu verarbeiten.
‚Wie können wir uns schützen, damit es keiner merkt?’
‚Das ist für dich unangenehmer als für mich.’ Nestor grinste. Ein Funkeln trat in seine Augen.
‚Wie meinst du das?’
‚Wenn wir unter Leuten sind – ich meine da jetzt Menschen und Echsen – musst du dich mir unterwerfen. Sie können ruhig merken, dass wir miteinander reden, aber du musst mich als deinen Herrn anreden. Von ihren Wirten fordern sie absolute Unterwerfung. In manchen Positionen ist es wichtig, dass sich der Symbiont zu erkennen gibt, dann ist der Wirt vollständig unter Kontrolle und kann nicht mal mehr seinen Körper alleine steuern. Das, werde ich nicht mit dir machen.’
Markus war aufgesprungen. Er hatte die Flasche Rotwein umgeworfen. Eine rote Lache bildete sich am Boden. ‚Was?’, rief er ungläubig.
‚Ich will dich ja nicht unterwerfen. Es ist nur zum Schein, und nur wenn wir unterwegs sind. Sollten sie uns draufkommen, dass wir eine wirkliche Symbiose eingehen, sind wir am Arsch, wenn du meine Ausdrucksweise verzeihst.’
Darüber musste Markus erst mal nachdenken.
‚Warum machst du das? Du setzt uns einer Gefahr aus, und verlangst von mir, deinen Diener zu spielen. Das ist viel verlangt.’
‚Das ist mir klar. Aber ich habe Zeichen gesehen, dass es eine Änderung geben wird. In welche Richtung sie uns führt – wer weiß? Um eine sinnvolle Änderung herbeizuführen, ist es manchmal notwendig, Risiken einzugehen. Ich möchte, dass wir alle gleichberechtigt leben können. Es muss eine Möglichkeit dafür geben.’
Nestor sprach leidenschaftlich. Es war ihm ernst. Seine Überzeugung war felsenfest. Etwas davon musste auch Markus mitbekommen haben. Er wischte die Schweinerei vom Boden auf, entsorgte die leere Flasche. Während er überlegte, hielt sich Nestor bedeckt, ganz im Hintergrund. Markus nahm ihn so wahr, wie er es schon eine lange Zeit getan hatte. Er hatte ihn immer als seine gute innere Stimme bezeichnet. Sein Wegweiser, oder sein Bauchgefühl.
Erst als er wieder vor dem Kamin saß, sagte er: „Vielleicht hast du Recht. Es ist nicht unangenehm, mit dir herum zu laufen. Wenn du sagst, dass es eine große Änderung geben wird, die für alle von Vorteil sein kann, dann möchte ich dazu beitragen. Also, was muss ich tun?’

Nestor erklärte dem Mann seinen Plan. Es war ein kühner Plan und hatte die Ermordung einer wichtigen Echsenpersönlichkeit zum Ziel. Diese Person hatte vor, eine neue Rasse zu gründen. Eine Vermischung von Echsen- und Menschengenen. Dazu durfte es nicht kommen. Es galt, das zu verhindern. Dann gab es noch eine Gruppierung, die Menschen als Sklaven züchten wollten, irgendwo auf dem Erdball hatte anscheinend schon eine Gruppe mit Experimenten begonnen. Es war aber alles so geheim, dass keiner etwas genaueres wusste. Nestor hatte sich die Königin zum Ziel gemacht. Es schien ihm machbar, sie her zu locken. Aber vorher musste er noch eine Frau finden, die sich als Amme eignen würde, auch wenn sie niemals eine solche werden würde. Nestor hatte schon eine im Auge, aber ob sie die Prüfung aushalten würde, war eine andere Frage.
Wichtiger war vorher noch, ob sie beide die Prüfung überstehen würden, um sich der Königin als würdig zu erweisen. Ihm schauderte bei der Vorstellung daran. ‚Es ist grausam’, dachte er in einem letzten privaten Winkel seines Echsenhirns. Dann schüttelte er alle Gedanken an Gefahr und Scheitern ab. Er musste Markus vorbereiten, ohne ihm zuviel Angst zu machen.

Dann begab er sich auf die mentale Suche. Das nächste Ziel war jetzt die Prüfung. Nach kurzer Zeit fand er die zuständige Echse. ‚Lenea, lass mich zur Königin, ich glaube, ich habe eine Amme für sie.’
‚Was für Neuigkeiten, Nestor. Hier kommt alle Naselang jemand vorbei und behauptet das. Dir fehlt sogar die Unbedenklichkeitsprüfung. Also, verschwinde wieder.’
Damit hatte er gerechnet. ‚Von mir aus Lenea. Aber wenn sie dahinter kommt, dass jemand eine Brutstätte für sie gefunden hat, und sie nicht informiert wurde, möchte ich nicht in deiner Haut stecken.’
Die Echse dachte kurz nach, dann zuckte sie die Achseln, und sagte: ‚Dann musst du vorher durch das Tor – du weißt, was das heißt.’
‚Lass das meine Sorge sein.’
‚Morgen früh, mit deinem Wirt’, sagte sie nur, und drehte sich wieder weg.
Nestor atmete tief durch. Dann ging er wieder in den Körper zurück.
‚Wo warst du?’, fragte Markus.
‚Du bist sehr aufmerksam. Ich muss dich morgen zu einer Prüfung mitnehmen. Eigentlich hatte ich gehofft, es alleine machen zu können, aber sie wollen seit neuestem immer den Wirt dabei haben.’
‚Sprich nicht in Rätseln.’
‚Die Prüfung.’ Nestor sprach leise. ‚Ich mag nicht daran denken. Aber für dich ist es wichtig, dass du dich für diese Zeit total meinem Willen unterwirfst, sonst haben wir beide keine Chance auf Erfolg, und die Welt wird bald voll von Chimären sein.’
Das war eine erschreckende Vorstellung. Ein kalter Schauer nach dem anderen rann über seinen Rücken. Beide schwiegen. Jeder gab sich einem möglichen Zukunftsbild hin.

Zeitig am nächsten Morgen weckte Nestor Markus.
‚Wir müssen uns auf den Weg machen. Bist du bereit?’
‚Nein. Aber ich werde tun, was du sagst’, antwortete Markus müde.
‚Danke. Ich hoffe, dass wir die Prüfung bestehen.’
Dann gingen sie los. Zu dem geheimen Treffpunkt. Ein Wagen wartete vor der Tür. Markus stieg ein. Nestor hatte ihn gewarnt, ja keinen Ton von sich zu geben und immer nur gerade aus zu schauen. Wenn möglich sollte er nicht mal blinzeln. Nestor wollte nicht jetzt schon die Herrschaft über den Körper übernehmen.

Endlich waren sie angekommen. Der Ort war ihm fremd. Markus befolgte seine Befehle. Er ging geradeaus, ohne einen Blick nach links oder rechts zu werfen. Er hatte eine Scheißangst. Nur mit Mühe konnte er ein Zittern unterdrücken. Die Welt war hier noch in ein schattenhaftes Zwielicht getaucht. Vor ihnen tauchte ein altes Lagerhaus auf. Darauf gingen sie jetzt zu. Zwei Männer standen vor einem Tor. Es wurde geöffnet, als sie durch waren, sofort wieder geschlossen. Im Inneren der Halle war es dunkel. Nur eine kleine Lampe sorgte für einen Lichtfleck. Es war nicht mehr als eine Lache in der Dunkelheit.

Markus hielt in der Mitte der Halle. Er spürte die aufkommende Angst mit jeder Faser seines Körpers. Bis jetzt war sein Leben bar jeder Gefahr gewesen. Er stand einfach nur da. Fühlte sich beobachtet, und kämpfte gegen den Impuls sich verstecken zu wollen. Nestor gab ihm leise Anweisungen. ‚Jetzt ist es soweit. Ich übernehme …’ Dann durchfuhr Markus ein schreckliches Gefühl der Hitze. Er schien aus sich heraus gerissen zu werden – amputiert. Von einem fernen Winkel seines Selbst sah er sich im Dunkeln stehen. Stramm wie ein Zinnsoldat. Die Hände an die Oberschenkel gepresst. Er fühlte, wie Nestor in seinem Gehirn das Kommando übernahm. Das Gefühl der Hitze ließ nach. Die Berührung war weniger schlimm, als er befürchtet hatte. Langsam ließ er sich fallen. Er musste Nestor jetzt vertrauen. Vielleicht hing ihrer aller Leben davon ab.

Nestor war jetzt Markus. Das Bewusstsein des Menschenmannes, hatte sich zurück gezogen. Er stand und wartete. Wie lange es dauern würde, wusste er nicht.
Endlich kam jemand auf ihn zu. Er kannte ihn nicht. Es war ein älterer, fast kahler Mann. Er strahlte Autorität aus. Nestor fühlte sich daneben klein. Kurz kamen ihm Zweifel über sein Vorhaben. Es war verrückt. Einfach verrückt, zu glauben, dass es einen Weg geben würde, das Geschick der Menschen ändern zu können. Dann stählte er seinen Willen. Er durfte nicht zaudern. Er musste lügen, auch wenn sie ihm das Herz heraus rissen und ihn verschlangen. Nestor fühlte, wie sich seine Nackenschuppen sträubten. Er dehnte die Klauen, der Menschenkörper blieb stramm stehen. ‚Cool bleiben. Setz dein bestes Pokerface auf’, redete er sich zu.
Der kahle Mann stand ihm jetzt gegenüber. Eine goldene Echse schien um den Körper. Sie fixierte ihn einen Augenblick und ließ ihn wieder los.
„Gut, dann lass uns beginnen. – Es gibt das Gerücht, dass gegen die neue Königin ein Attentat geplant ist. Deshalb sind unsere Prüfverfahren verschärft worden. Du bist jetzt das erste Exemplar, das mit seinem Wirt antreten muss. Solltet ihr scheitern, …“ Er sprach nicht weiter. Aber das Schweigen sprach Bände. Nestor lief es kalt den Rücken runter. Die alten Prüfungen waren nicht sehr schwer gewesen. Sie sollten nur die Loyalität auf die Probe stellen. Das hier würde – anders werden. Er bekam jetzt wirklich Angst.
Der Kahle drehte sich um. Dann sprach er weiter, während er ging: „Du wirst dich aus deinem Wirt so weit zurück ziehen, dass ich ihn übernehmen kann. Nur so können wir sicher sein, dass kein Verbrecher eingeschleust werden kann. Während ich ihn überprüfe, wirst du dich auf der anderen Seite testen lassen.“
Nestor erstarrte. Mit einem Mal schoss es ihm in den Kopf, wer der Kahle war. Der goldene Drache, hatten ihn manche genannt. Es handelte sich um den gefinkeltsten Befrager, der derzeit existierte. Und er lebte schon lange, zu lange. Nestor beschloss, dass er der nächste auf der Liste sein würde. Er verbannte den Gedanken und versuchte gleichmütig zu bleiben. So als wäre es ihm egal, was mit Markus passieren würde.
Leise gab er eine Warnung an seinen neuen Freund weiter: ‚Wir haben Pech. Du wirst auf dich gestellt sein – und ich auf mich. Sollte einer von uns scheitern, ist es mit uns beiden vorbei. Mach dich auf Qualen gefasst, die du dir im Traum nicht vorstellen kannst.’ Er hielt kurz inne. Markus wollte etwas sagen, doch Nestor redete gleich weiter: ‚Das meiste wird sich auf der Gedankenebene abspielen. Du kannst ihm ein Schnippchen schlagen, in dem du eigene Bilder erstellst. Es ist nicht alles real, was du sehen oder fühlen wirst. Anderes dagegen schon. Ich weiß nicht, wie ich dir noch helfen kann. – Es geht los.’

Sie wurden getrennt.

Markus war sich wieder seines Körpers bewusst. Er sah den alten Mann vor sich stehen. Sofort kamen ihm Bilder von KZ-Verbrechern in den Sinn. Ein fremder Gedanke schlängelte sich in sein Hirn. Er fühlte ihn wie Finger tasten. Sie suchten einen Weg, in sein Kontrollzentrum. Markus zwang sich, den Weg frei zu geben. Er fühlte einen ziehenden Schmerz. Es war zum Aushalten. Der Mann sagte: „Sehr schön. Du weißt, wie man gehorcht. – Jetzt wollen wir mal sehen, wie weit dein Gehorsam uns gegenüber geht. Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du der Königin verschworen sein, und sie mit deinem Leben verteidigen.“
Markus liefen kalte Schauer über den Rücken. Er hoffte, dass es dazu nicht kommen würde. Irgendwie musste er es schaffen, sich dem Willen der Echse zu beugen und trotzdem seinen eigenen Willen behalten.

„Ich werde deine Körperfunktionen jetzt noch nicht übernehmen. Du wirst so lange stramm stehen, bis ich dir etwas anderes sagte. – Verstanden!“
Markus fuhr bei diesen Worten erst recht der Schreck in die Glieder. Eine Gänsehaut überzog seinen Körper, gleichzeitig schwitzte er aus allen Poren.
„Um es dir nicht zu leicht zu machen …“, begann der Befrager und ein Schmerz durchfuhr Markus, wie er ihn sich nicht vorzustellen hätte vermocht. Flüssiges Metall schien durch seine Adern zu laufen. Er schrie und krümmte sich. Warf sich zu Boden und krallte die Fingernägel in den Beton.
„Auf mit dir!“, brüllte der Echsenmann, und zog ihn an den Haaren nach oben. „Du sollst stramm stehen! Wir haben noch nicht begonnen. Haltet ihr denn überhaupt nichts aus?“ Den letzten Satz warf er verächtlich hin. Dann spie er ihm vor die Füße. Ließ das flüssige Metall weiter durch die Adern laufen. Markus rappelte sich auf. Biss die Zähne zusammen. Er versuchte gleichmäßig zu atmen. Den Schmerz weg zu denken. Es funktionierte tatsächlich. Gerade lange genug, um wieder zu stehen und die Augen gerade aus zu lassen. Kochendheißen Tränen rannen ihm aus den Augen und verbrannten die Wangen. Er fühlte die Haut platzen. Aber er sah weiter gerade aus. Sein Atem ging stoßweise. Nur sein leises Stöhnen war zu hören. Der Befrager umrundete ihn. Schien zufrieden.
„Gut. Wie nennen sie dich, Hülle?“
Markus wurde kurz wütend. ‚Hülle?’, dachte er. ‚Ich werde dir gleich Hülle geben!’ Dann besann er sich eines Besseren, und sagte zwischen zusammen gebissenen Zähnen: „Brenner, Markus.“ Er konnte einen neuerlichen Schmerzensschrei nicht unterdrücken, blieb aber stehen. Nur an der Anspannung der Muskeln konnte man die Anstrengung erkennen, die es ihn kostete. Schweiß perlte auf seinem Gesicht, tropfte die Nase runter. Sein Hemd klebte an ihm. Tränen quollen noch immer aus den Augen.
„Wo bist du?“
Brenner verstand die Frage nicht. Also sagte er einfach: „Hier.“
„Falsche Antwort.“ Ein erneuter Strom flüssigen Metalls ergoss sich in seine Adern. Der Schrei der ihm entfuhr, war so laut, dass kurz die Tür aufflog und einer der Wachmänner reinschaute. Der Befrager drehte sich zur Seite, entschuldigte sich für den Lärm. Dann drang er in Brenners Gehirn und legte das Sprachzentrum lahm.
Markus wurde panisch. Er wusste nicht, dass sich Angst steigern lässt. Nun wusste er es.
Er wollte schreien. So sehr er es versuchte, seine Kehle blieb stumm.
„So ist es besser, Hülle. Wir wollen ja niemanden auf uns aufmerksam machen.“
Markus kämpfte darum, auf den Beinen zu bleiben. Das Gesicht immer starr gerade aus gerichtet, hatte er das Gefühl von innen her zu verbrennen.
„Wo bist du?“
‚Ich kann doch nicht antworten’, dachte er verzweifelt. Dann spürte er, wie ihm jemand an die Kehle ging. Es war keine mentale Berührung, sondern eine physische Hand, die seinen Adamsapfel gekonnt nach innen presste. Er röchelte.
„Wo bist du?“
‚Ich weiß es doch nicht! Um Himmels willen, lass mich los!’, brüllte er in Gedanken.
„Bravo!“ Kam als Antwort. Die Hand wurde aber belassen, wo sie war. „Immer schön gerade stehen und den Blick nach vorne richten.“ Die Worte wurden fast sanft gesprochen. Als er fortfuhr, kamen sie wieder hart: „In Zukunft sprichst du mich mit ‚mein Herr’ an, verstanden!“ Der Griff an seiner Kehle wurde fester. Markus spürte, wie sich die fremde Haut in seine zu bohren schien. Das flüssige Metall schwappte weiter durch seinen Körper, wurde aber durch die Angst vor dem Ersticken verdrängt. Am liebsten hätte er diese Hände von seinem Hals entfernt. Irgendwie brachte er keine Bewegung mehr zu Stande. Mit Schaudern stellte er fest, dass er sich nicht bewegen konnte. Der Befrager hatte ihn bereits in der Hand.
„Wer will die Königin töten?“
Markus gab keine Antwort. Der Griff um seinen Hals wurde fester. Das flüssige Metall schien mit einem Mal hart zu werden. Er hatte das Gefühl, als würden sämtliche Blutgefässe gesprengt. Er dachte, dass er explodieren würde.
„Wer – will – die – Königin – töten? Sag – es – mir!“
‚Ich weiß es nicht, Herr. Welche Königin, Herr?.’ Markus war am Verzweifeln. Er wusste nicht, wie lange er noch aushalten würde. Er hatte von Foltermethoden gelesen. Aber von so etwas hatte er noch nie gehört. Da stand so ein kleiner kahler Mann, der von einer goldenen Echse gesteuert wurde und presste ihn aus.
Das Echsenwesen schien mit der Antwort zufrieden zu sein. Er nahm die Hände weg. Nun konnte Markus wieder ungehindert atmen. Das Gefühl unsagbaren Schmerzes blieb aber. Sein Körper stand nach wie vor stramm in der Mitte der Halle. Er fühlte jeden Muskel, jede Sehne in seinem Körper. Alles schien nach Bewegung zu schreien. Aber der Echsenmann hielt ihn gefangen.
„Du wirst hier so lange stehen, bis ich dir etwas anderes sage!“ Damit drehte er sich um, und ließ Markus stehen. Das Lampe wurde ausgemacht. Es war stockdunkel in der fensterlosen Halle. Er war gefangen an einem fremden Ort, und es gab noch keine Chance auf ein Entkommen.

Nestor war auf einer anderen Ebene. Er fühlte den goldenen Drachen auf sich zu kommen. „Wie ich sehe, willst du dich endlich mal um unsere Gunst bemühen“, höhnte er.
Nestor senkte den Kopf.
„Gut, dann bestehe die Prüfung, und du bist einer von den Glorreichen.“
Nestor dachte, dass er noch nie so einen pathetischen Unsinn gehört hatte. Schnell senkte er den Blick. Er hatte Angst, sich zu verraten.
Die Schuppen des Befragers glänzten im Sonnenlicht der Nebenwelt.
„Für dich habe ich mir eine gesonderte Art der Befragung überlegt. Da du dich ja durch hervorragende geistige Qualitäten auszeichnest“, er sagte das sehr verächtlich, als wäre eigenständiges Denken eine gefährliche ansteckende Krankheit, „habe ich mir gedacht, dass du deinen Sumpf verlässt und die Wüste durchquerst. Während der Durchquerung wird die Befragung stattfinden.“
Nestor erschrak. Er war nicht für die Hitze geschaffen. Seine Haut brachte Feuchtigkeit. Angst ließ seine Schuppen in graugrünem Licht pulsieren. Seine Nackenschuppen sträubten sich. „Wie ich sehe, bist du dir der Gefahr durchaus bewusst.“ Der Befrager klang befriedigt. „Öffne deinen Geist!“, befahl er. Nestor zögerte. Bevor der Befrager reagieren konnte, senkte er seine Barrieren und gab sein Denken frei.
Nur einen Lidschlag später stand er auf einer weiten Sandebene. Eine blass gelbe Sonne briet vom Himmel. Sie trocknete seine Schuppen aus. Er kniete im rauen Sand. Warum wusste er selbst nicht. Dann sprach eine Stimme zu ihm: „Steh auf und lauf!“
Wie von einem fremden Willen gelenkt stand Nestor auf. Er lief. Während er lief, wurden immer wieder Fragen an ihn gestellt. Er hatte das Gefühl, als trocknete sein Panzer aus. Sein Mund war trocken, die Zunge schwoll an. Er wollte hecheln, konnte es aber nicht, weil es die Schleimhäute noch mehr trocknete. Dann kamen die Aasvögel. Er bemerkte sie schon von weitem als schwarze Punkte am Himmel. Schnell kamen sie näher. Ob er wollte oder nicht, er konnte seine Augen nicht von ihnen wenden.
„Wer bist du?“, kam die erste Frage.
Nestor schnaufte. Er war atemlos, wagte aber aus Angst vor den Aasvögeln nicht, stehen zu bleiben. „Nestor vom blauen Sumpf. Entschlüpft aus einem Ei von Osiris im Erdjahr 1807.“
Er lief weiter. Der Sand verbrannte ihm die Fußsohlen. Er wusste nicht, dass er Schmerzen aushalten würde müssen. Noch ging es. Dann fühlte er einen fremden Schmerz. Es war Markus! Er litt wie ein Hund. Nestor fühlte das Feuer wie in seinen eigenen Adern. Er versuchte einen Teil davon zu absorbieren. Seine Art konnte das. Er wusste, dass er es konnte, er musste es einfach können.
„Dann Nestor vom blauen Sumpf, sage mir, wo du bist.“
„Verdammt, ich bin hier, in dieser elenden heißen Wüste!“
Die Schmerzen nahmen zu. Nestor fiel auf die Knie. Jetzt hatte er das Gefühl, als würde er mit flüssigem Harz übergossen, das sofort aushärtete. Er konnte sich nicht mehr bewegen. Das Gesicht in den heißen Sand gedrückt, lag er da.
„Falsche Antwort – Wo bist du?“
„Ich weiß es nicht“, rang er sich schließlich ab.
Der Druck wurde entfernt, und er konnte wieder aufstehen. Er lief weiter. Die Geier waren schon ganz nahe. Einer landete vor seinen Füßen und schrie erbärmlich. Nestor blieb wie angewurzelt stehen. Der Schnabel des Vogels war gebogen, die Augen blickten hungrig zu ihm her, als hoffte es, dass er fallen würde. Dann gesellte sich noch einer dazu, und noch einer, bis etwa zwanzig von der Sorte vor ihm saßen oder hüpften.
Jeder Schritt wurde beobachtet. Nestor blieb stehen. So hatte es keinen Sinn. Er war eingekreist.
„Wer will die Königin töten?“
Die Frage traf ihn unvorbereitet. Er hatte noch nicht so früh damit gerechnet. Oder war es gar nicht mehr so früh und sie hatten ihn hier schon länger gefangen gehalten, als er dachte? Die Geier schrieen, spreizten ihre Schwingen, hüpften um ihn rum. Sie hofften auf fette Beute. Nestor überlegte, wie er lügen konnte, ohne entdeckt zu werden
„Ich weiß es nicht“, rang er sich schließlich ab.
„Ich glaub dir nicht“, die barsche Antwort. Die Geier hüpften näher. Einer sprang ihm ans Bein und trieb seinen Schnabel in die Schuppen am Knie. Nestor schrie auf. Nun kamen auch die anderen Geer. Jeder hieb mit seinem Schnabel auf ihn ein. Dann brach er zusammen. Die Beine waren abgefressen, zumindest hatte er das Gefühl, dass da nichts mehr war.
„Wer will die Königin töten?“ Immer die gleiche Frage.
„Ich weiß es nicht.“
Nestor versuchte, sich im Sand zu vergraben. Verzweifelt suchte er Schutz. Doch der Boden war hart und fest. Es gab keine Möglichkeit, sich zu schützen. Die Fragen wiederholten sich solange, bis die Geier bei seinem Herzen angelangt waren. Dort hörten sie auf.
„Das letzte Mal frage ich dich Nestor: wer will die Königin töten?“
„Ich weiß es nicht! Und jetzt töte mich endlich!“, schrie er zurück. Es kostete ihn eine enorme Willenskraft, der Wahrheit auszuweichen. Neben den eigenen Schmerzen hatte er auch noch die von Markus übernommen.
Nestor fühlte, wie ihm das Bewusstsein schwand. Hier durfte er es unter keinen Umständen verlieren. Gerade als er spürte, wie der erste Geier an seinem Herz zu zerren begann, war er wieder im Körper von Brenner. Am liebsten hätte er jetzt geweint. Aber er merkte, dass es Markus verdammt schlecht ging. Sein Bewusstsein hing nur mehr am sprichwörtlichen Faden. Nestor nahm alles an Schmerzen auf, das er aufnehmen konnte. Presste die Zähne fest zusammen und projizierte sie in die Wüste, aus der er gerade gekommen war. Er merkte, wie sich Markus entspannte. Nur sein Körper war noch immer nicht frei.

Jetzt ging das Licht wieder an. Der Befrager trat in den Lichtkegel.
„Nestor, du hast die Prüfung bestanden. Deine Hülle darf dich jetzt in die Wohnung zurück tragen. Wenn die Königin so weit ist, wirst du es erfahren.“
Damit war Markus frei gegeben. Mit letzter Kraft fing Nestor den fallenden Körper und steuerte ihn hinaus. Markus war zu erschöpft, um sich darum zu kümmern.

Markus hielt das Angebot der goldenen Echse tief in sich verborgen. Er hatte ihr noch keine Antwort gegeben, sich Bedenkzeit erbeten.

‚Es tut mir leid’, sagte Nestor, als sie zuhause waren.
Markus antwortete nicht. Es dauerte einige Tage, bis er sich bereit erklärte, wieder mit Nestor zu sprechen. Dann waren sie sich einig, dass es so auf der Welt nicht weiter gehen durfte. Es durfte keine Folter mehr geben, keine Intoleranz. Jede Existenz ist wertvoll, und verdient es zu leben.

„Wir werden jetzt die Amme holen“, sagte Nestor eines Tages. „Ich fürchte, diesmal werde ich derjenige sein, der Schmerzen bereiten muss.“
Markus war alarmiert: „Warum, Nestor?“
„Weil wir sie prüfen müssen. Wenn sie nach gibt, können wir sie nicht brauchen, dann sind wir tot, alle drei. Also hoffe, dass sie so stark ist, wie ich denke."
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****ra Frau
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Ich bin so ...
blöd, und habe mich von Toni breitschalgen lassen, die Geschichte noch etwas auszubauen *aua*

*****************


Verrat


Nestor begann sich zu fürchten. Er fühlte, dass etwas mit seinem Wirt nicht stimmte. ‚Nein, mit Markus’, sagte er sich. Es hatte den Anschein, als wäre noch jemand in ihm. Jemand mit mehr Macht, als es selbst unter den Echsen gestattet war. In den letzten Wochen nach der Prüfung der Amme, hatte er immer öfter das Gefühl, dass sie ihm auf den Fersen wären. Noch nie hatte er sich so isoliert gefühlt. ‚Vielleicht war es ein Fehler, etwas ändern zu wollen?’, dachte er in seinen dunkelsten Stunden. Dann machte er sich hart. Es war wichtig, etwas zu ändern! ‚Wenn alle immer nur Angst haben, wird alles beim Alten bleiben. Dann geht die Menschheit über kurz oder lang unter. Und was bleibt dann noch?’
Er musste und wollte weiter machen. Kampflos würde er nicht untergehen. Noch immer hoffte er auf die Kraft von Tina. Irgendwo auf der Welt musste es noch andere wie sie und ihn geben. Andere Echsen, die sich eine Welt, ein Leben ohne Angst wünschten, die offen leben wollten, Menschen, die für ihre Freiheit auf die Straße gingen.

Er hatte sich ein zweites Refugium geschaffen. Noch weiter in seinem Unterbewusstsein vergraben, als das andere. Sogar für ihn war es schwer, es zu erreichen. Dort harrte er aus, während die zweite Entität in Markus stärker wurde. Markus Brenner wurde eine mächtige Persönlichkeit. Er stieg kometenhaft in seiner Firma auf. Nestor beobachtete es mit Besorgnis. Jedes Mal, wenn er ihn darauf ansprach, tat er seine Bedenken mit einem Schulterzucken ab und sagte: „Du bist doch nur neidisch, weil mein Leben so gut verläuft.“
„Es kommt mir nur sonderbar vor, dass du derartig schnell die Karriereleiter empor kletterst.“
„Ach, den Tüchtigen gehört die Welt, das weißt du.“
Nestor hatte nicht mehr mit ihm darüber gesprochen. Dafür hatte er ihn beobachtet, seinen Gedanken gelauscht, Träume beobachtet.
Dann war Tina ausgezogen. Es gab einen heftigen Streit deswegen. Nestor war trauriger darüber, als er sich eingestehen wollte. Aber sie hatte ihre Freiheit verdient, also hielt er mit seiner Meinung zurück.

Bevor sie ging, trafen sie sich ein letztes Mal in seinem Sumpf.
„Sei bitte vorsichtig, Mädchen. Pass auf dein Zittern auf. Wenn du unmotiviert zitterst, dann nimm die Beine in die Hand, und renn.“
„Ist gut, Nestor.“
„Wenn du magst, besuche ich dich in deinen Träumen“, erbot er sich. Er tat diese Bitte fast schüchtern vor. Sie lächelte schwach.
„Ich werde mich jetzt mal auf eine ruhige Zeit freuen. Nur für mich sein. – Kannst du verstehen, warum Markus so aufgebracht ist? Er interessiert sich nicht für mich. Das einzige Mal, als wir Sex hatten, hast du uns ja dazu getrieben. Und davon weiß ich nichts mehr.“
Nestor verzog den Mund zu einem unheimlichen Echsengrinsen, als er daran dachte. Dafür, dass sie einer fremden Art angehörte, fand er sie sehr anziehend. Aber das durfte sie nie erfahren. Es war besser, wenn sie etwas Angst vor ihm hatte. Es hatte ihm gefallen, als sie so erregt gewesen war.
„Ich weiß nicht, was mit ihm ist. Schon seit einiger Zeit habe ich den Eindruck, dass da noch jemand in ihm ist. Aber ich weiß es nicht mit Bestimmtheit. Markus interessiert sich momentan nur für Markus.“ Er hielt inne, dann streckte er seine große Pranke aus, und sagte: „Ich wünsche dir alles Gute, Mädchen. Wenn du mich brauchst, weißt du, wo du mich findest.“
„Bleibst du noch bei Markus?“, hatte sie gefragt.
„Ich denke noch ein Weilchen. Ich muss erst überlegen, was ich mache, wenn ich keinen Wirt mehr finde. Dann bin ich nur noch ein Gedankenfetzen oder so etwas. Ich war zu lange in Menschen, um es jetzt ohne sie auszuhalten.“ Er seufzte auf und streckte seine Echsengestalt. Seine Halskrause sträubte sich, als er fortfuhr: „So oder noch viel schlimmer, wird es den ganz Mächtigen gehen. Sie hungern nach zweierlei Dingen: erstens menschlichen Kontakt und zweitens der absoluten Macht und Kontrolle. Sie streben schon solange danach, und es wird ihnen auch bald gelingen. Wenn ich die Zeichen der Zeit richtig deute, geht diese Ära ihrem Ende entgegen.“
„Oh Nestor, sei doch nicht so pessimistisch. Was könnte ein Einzelner ändern, und sei er noch so mächtig?“
„Du hast noch nicht erfasst, wie viel Macht der Einzelne hat! Selbst du hast Macht – sehr viel sogar. Weißt du denn nicht, oder willst du es nicht wissen, dass sie vor dir Angst haben? Du hast mehr von mir bekommen, als nur Schmerzen, Mädchen. Du kannst dich in der Zwischenwelt bewegen, meine Gedanken erreichen und sogar die ganz Mächtigen von deinen Gedanken fern halten. Du kannst dir Schutzzonen errichten. Du bist schnell zornig. Das ist wichtig.“ Bei den letzten Worten grinste er wieder.
„Das soll etwas ändern? Ich habe da so meine Zweifel, Freund. Ich weiß, du meinst es gut. Ich werde aufpassen. – Nun muss ich aber gehen.“
Dann war sie weg. Vorsichtig hatte er aus der Ferne über sie gewacht. Sie schien sich eine neue Existenz aufzubauen, zumindest versuchte sie es. Trotz diverser Rückschläge, kam sie immer wieder auf die Füße. Nestor hatte auch nichts anderes erwartet.

Mit Markus wurde es unterdessen immer eigenartiger. Er war fast nur mehr in der Arbeit. Verlangte absoluten Gehorsam von seinen Mitarbeitern und schaffte es, trotz Wirtschaftskrise, die Firma wieder auf Vordermann zu bringen. Er hatte viele Leute entlassen, die Konzernleitung hatte ihm mit einem saftigen Bonus gedankt. Dann war er weiter aufgestiegen. Nun war er die Konzernleitung und er strebte nach mehr. In Kürze würde er zu den mächtigsten Leuten im Land gehören. Schon jetzt war er in verschiedenen Logen gemeldet, und arbeitete verdeckt an seiner Karriere.

Nestor konnte das nicht länger mit ansehen, und trennte er sich von Markus. Diesen schien das gar nicht zu stören. Er sagte nur: „Schon gut, Nestor. Wir sind quitt.“ Nestor lief es bei diesen Worten kalt den Rücken runter.

Er hatte versucht, mit Tina Kontakt aufzunehmen und mit Furcht registriert, dass er ihren Schatten nicht fand. In der Zwischenwelt suchte er nach ihr. Auf allen Ebenen der Existenz, die er kannte, und ihr gezeigt hatte, hielt er Nachschau. Aber sie blieb unauffindbar. Nestor bekam nun wirkliche Angst. Wenn Tina getötet worden war, dann waren alle Pläne dahin. Sollte sie einer der Mächtigen haben, galt das gleiche.

Er begab sich in seinen Sumpf und versuchte die erhaltenen Zeichen zu deuten. Seine beste Eigenschaft, wie er fand, war Geduld. Er hoffte, dass er mit viel Geduld das Mädchen finden würde, und nicht gerade in eine Falle lief.

Endlich sah er sie. Sie war in einem alten Landhaus. Wenn er vor Zorn rot werden hätte können, wäre er tiefrot angelaufen. Nestor hätte es beinahe aus seiner sicheren Zuflucht geworfen, als er sah, was sie dem Mädchen schon wieder antaten. ‚Du musst es aushalten. Ich werde versuchen, zu dir zu kommen’, murmelte er.

Dann ließ er sich in Menschen fallen. Immer in jemand anderen. Leise, bedächtig, unauffällig. Dann hatte er sie gefunden.



Leise vor mich hinschimpfend stieg ich die Treppe hoch. Seit einigen Monaten hatte ich dieses Ein-Zimmer-Appartement, und war froh darüber. Markus war richtig sauer gewesen, als ich gesagt hatte, dass ich ausziehe. Er hatte mir die schlimmsten Konsequenzen angedroht. Ich war hart geblieben und schließlich ausgezogen. Unser gemeinsamer Freund war auf meiner Seite, worüber ich mich wunderte.

Ich pfiff also auf die schöne Mansardenwohnung mit Dachterrasse und übersiedelte.

An diesem Tag war ich sehr wütend. Ich kam gerade vom Sozialamt, weil ich einen Zuschuss beantragt hatte. Er war mir wieder einmal verweigert worden. Die „nette“ Dame sagte, ich solle mir gefälligst einen Job suchen, und nicht dem Staat auf der Tasche liegen. Außerdem sei ich ein faules Luder. Und so weiter, und so fort. Ich hatte ihr den neuen Antrag auf den Tisch geknallt, und war wutschnaubend abgedampft.

Nun stand ich vor der Tür, öffnete und erstarrte. Die gesamte Wohnung war leer geräumt! Nicht einmal der Fußboden war drinnen. Ich stand im ehemaligen Wohnschlafzimmer, auf dem nackten Estrich. Eine Nachricht lag da. Ich bückte mich, wollte sie aufheben. Dann ging alles sehr schnell. Meine Hände wurden auf den Rücken gedreht und dort mit Kabelbinder fixiert. Bevor ich noch schreien konnte, wurde mir der Mund mit Klebeband verklebt. Dann bekam ich ein Wollmütze über den Kopf gezogen. Sie war feucht. Die nasse Wolle klebte mir an der Nase. Bei jedem Atemzug kamen Wollfäden in die Atemwege. Ich begann zu hyperventilieren. Jemand packte mich am Arm und zog mich aus der Wohnung. Ich wurde regelrecht abgeführt. Aus den umliegenden Wohnungen hörte ich Stimmen. Einer der Angreifer sagte: „Gehen Sie wieder in Ihre Wohnungen zurück. Hier gibt es nichts mehr zu sehen. Keine Aufregung wir haben alles im Griff.“
Ich weinte unter der Mütze. Was war passiert? Ich hatte doch nichts verbrochen! Anscheinend hatte jemand einen riesen Fehler gemacht. Das wollte ich den Männern sagen. Ich schrie es unter dem Knebel raus. Aber es kam nicht mehr als ein „Mmmmmmm“ raus. Was mir einen Schlag in den Rücken einbrachte. Ich stieß einen Schmerzenslaut aus. Dann ließ ich mich abführen. Mir war schlecht. Ich kämpfte mit der aufkommenden Panik. Am liebsten wäre ich davon gelaufen. Sie hielten mich an den Oberarmen fest. Selbst als wir schon im Auto saßen, ließen sie nicht los. Ich hatte zuviel Angst, um auf irgend etwas in meiner Umgebung zu achten. Plötzlich hielten wir. Anscheinend vor einem großen Tor, denn etwas später hörte ich Kies unter den Rädern knirschen. Dann hielt der Wagen endgültig. Ich wurde rausgezerrt und auf die Füße gestellt. Mir liefen eiskalte Schauer den Rücken rauf und runter. Mein Herz schlug zum Zerspringen. Die Angst nahm immer mehr zu. Von wilder Furcht ergriffen, drehte ich mich zur Seite und wollte losrennen. Es war ein aussichtsloses Unterfangen. Ich sah nichts, die Hände waren gebunden und zu viele Bewacher. Aber ich konnte sie einen Moment lang überraschen. Ich kam nicht weit – stolperte über eine Unebenheit und fiel der Länge nach hin. Ich schmeckte Blut, als ich mir das Gesicht anschlug. Dann fühlte ich noch einen weiteren Schlag auf den Kopf.

Ich erwachte in einem Käfig. Etwas anderes konnte man dazu nicht sagen. Das Metallding stand inmitten eines schönen alten Zimmers. Drei Türen führten hinaus. An jeder davon standen zwei Wächter. Ich lag auf dem Boden und betrachtete die Stuckverzierungen an der Decke, ohne sie richtig wahrzunehmen. Die Eisenstäbe schienen sich mir ins Herz zu bohren. Der Schweiß lief mir in Strömen den Rücken hinunter. Ich war froh, als ich merkte, nicht mehr gefesselt zu sein. Auch der Knebel war entfernt worden.

Ich stand auf, befühlte das Gesicht und stellte fest, dass die Nase dick und geschwollen war. Deshalb hatte ich Probleme beim Atmen. Ich ging an die Gitterstäbe heran, wollte sie anfassen und bekam einen elektrischen Schlag. Mit einem Schrei fuhr ich zurück. Die Wachmänner grinsten höhnisch. Ich war in einem Hochsicherheitskäfig!

Vorsichtig ging ich einmal an der Einfriedung entlang. Dann setzte ich mich in die Mitte des Gevierts und wartete. Etwas anders konnte ich nicht tun. Ich war unruhig. Vorhin war mir vor Angst heiß gewesen, nur kühlte der Schweiß meinen Körper und ich begann zu zittern. Meine volle Blase machte sich bemerkbar. Hier gab es nichts, wo ich mich erleichtern konnte. Das Bedürfnis wurde immer dringender. Verzweifelt schaute ich mich um, rutschte unruhig hin und her. Dann stand ich auf. Tränen traten mir in die Augen. Ich biss auf die Unterlippe um den Drang zu unterdrücken und kniff die Beine ganz fest zusammen.
Ich sah, wie die Männer dreckig grinsten.
„Musst dich noch gedulden, Herzchen“, sagte einer. Die anderen lachten. Dann öffnete ein anderer eine Flasche Wasser, und entleerte sie vor mir. Ich schloss die Augen, biss die Zähne fest aufeinander.

Lange Minuten später hielt ich den Drang nicht mehr aus, und mein Schließmuskel machte sich selbstständig. Tränen rannen mir über das Gesicht, als die Männer lachten und grölten. Ich drehte mich so, dass ich sie nicht sehen musste, was nicht leicht war, weil sie so im Raum verteilt waren, dass ich mindestens einen von ihnen immer im Blickfeld hatte.

Ich lag in der Mitte des Käfigs und gab mich der Verzweiflung hin. Kurz dachte ich an meine Freunde. Ich hoffte, dass sie in Sicherheit waren. Vielleicht war das hier eine böse Verwechslung und hatte nichts mit der anderen Sache zu tun. Ich hoffte, dass sich das Ganze schnell aufklären würde, und ich wieder nachhause konnte. Dann fiel mir ein, dass meine Wohnung leer war. Alle meine Sachen waren weg. Ich krümmte mich auf dem Boden zusammen und heulte.

Nach einer schier endlosen Zeitspanne ging eine Tür auf. Ein groß gewachsener Mann trat ein. Er schien mir vertraut. Aber ich beachtete ihn nicht. Erst als er zu reden anfing, blickte ich auf, und ihm ins Gesicht. „Du wolltest nicht hören, Tina. Jetzt trag die Konsequenzen!“
Ein Stich traf mich ins Herz – es stand still. Ich hörte das Blut in den Ohren rauschen, bekam keine Luft. Es war ein Schock!
„Markus“, flüsterte ich ungläubig.
„Genau der! Bist du bereit, die Konsequenzen deines Handelns zu tragen?“, fragte er.
„Was willst du?“
„Sag mir, wo Nestor ist!“
„Wenn du es nicht weißt, wieso sollte ich es dann wissen?“
„Nestor ist nicht mehr in mir. Er ist schon lange weg. Hat wohl Angst vor meinem Herrn bekommen.“ Als er das sagte, zeigte sich ein goldener Echsenkopf hinter Markus.
Mein persönlicher Alptraum war zurückgekehrt – und das in Markus! Ich schluckte.
„Seit wann …?“ Ich konnte nicht weiter sprechen.
Er lachte. Das Geräusch verursachte mir eine Gänsehaut.
„Das geht dich nichts an.“
„Warum?“
„Warum? Das fragst du? Du weißt, wie Nestor ist! Er hat zu gelassen, dass ich gefoltert wurde, hat nichts dagegen getan. – Dann hat mir Hartul, mein Herr, ein Angebot gemacht, das ich nicht ausschlagen konnte.“
„Ich kann nicht glauben, dass du …“, auch jetzt konnte ich nicht weiter sprechen.
„Wo ist der Verräter!“
„Selbst wenn ich es wüsste, würde ich es dir nicht sagen!“, schrie ich. Zorn wallte in mir hoch. Ich funkelte Markus/Hartul an. Dann verschränkte ich die Arme vor der Brust und drehte mich um. Die Würde wurde mir etwas durch die nasse Hose genommen, aber ich machte dennoch deutlich, was ich von ihm hielt.
Dann spürte ich Hartul in meinen Geist eindringen. Gegen meinen Willen drehte sich mein Körper wieder um. Ich versuchte dagegen zu halten. Vor Anstrengung brach mir erneut der Schweiß aus. Es war ein Sparring-Kampf gegen einen Schwergewichtsboxer. Ich verlor. Erschöpft überließ ich ihm schließlich meinen Körper. Er hob mein Gesicht an. Markus war sehr groß. Er hob meinen Kopf so weit in den Nacken, dass es schmerzte. Dann dirigierte er mich ganz nah an die Gitterstäbe heran.
„Ich war noch nicht fertig mit dir“, zischte er. Speichel spritzte mir ins Gesicht. Angewidert schloss ich einen Moment die Augen. Dann wurde ich gezwungen, sie wieder zu öffnen.
„Sagst du mir jetzt freiwillig, wo der Feigling steckt?“
Er durchbohrte mich mit seinem Blick. Jede Sekunde, die verstrich, trieb das Messer tiefer in meinen Kopf. Tränen traten mir aus den Augen. Speichel tropfte aus meinem Mund. Die Nase begann wieder zu bluten. Dann ließ er mich los.
„Wie du willst“, sagte er, als ich erschöpft am Boden lag.
Dann griff er nochmals nach meiner Körpersteuerung und paralysierte mich. Er gab zwei Männern ein Zeichen. Daraufhin ging die Käfigtür auf. Ich merkte schnell an ihren Gesichtern, was sie vor hatten. „Nein!“, rief ich, es kam mir selber kläglich vor.
‚Es ist das beste Mittel, jemanden weich zu kochen – zieh ihn aus und stelle ihn zur Schau. Dann ist es mit der Selbstachtung bald dahin’, dachte ich, während sie mir die Kleider wegnahmen.
Markus/Hartul wartete, bis die Männer wieder aus dem Käfig waren, dann drehte er sich um, und ging. Jemand hatte noch einen Kübel reingestellt.
Ich schämte mich, und hasste mich, weil ich mich schämte. Ich hatte keinen Grund dazu. Diese Männer sollten sich schämen, weil sie mir das antaten!
Ich wartete und hoffte, dass das Licht gedämpft wurde oder dass etwas passierte. Ich wartete und wartete. Keiner sprach mit mir. Ein paar Mal fielen mir die Augen zu. Jedes Mal schrak ich nach kurzer Zeit wieder hoch. Ich lag auf dem kalten Boden, zitterte und das Licht stach in den Augen. Mein Kopf schmerzte, ebenso der Nacken und der Rest von mir. Ich hatte bald das Gefühl, in einem Kühlschrank zu liegen. Immer wieder rollte ich mich neu zusammen, versuchte eine Position zu finden, in der ich wenigstens etwas Ruhe bekommen würde. Es gelang nicht. Die Wächter waren ausgetauscht worden. Jetzt schauten mich Neue an. Ich hasste sie dafür.

Ich merkte, dass ich so nicht lange durchhalten würde. Nur, was sollte ich denen sagen? Ich wusste absolut nichts. ‚Wer würde mir glauben?’, dachte ich. ‚Sie werden denken, dass ich Nestor schützen will. – Wo immer du bist, bleib dort!’
Irgendwann wechselten wieder die Wachen, und Markus/Hartul kam.
„Bist du durstig? Hungrig?“
Das fragte er? Ich war beides. Die Zunge klebte mir mittlerweile am Gaumen fest und fühlte sich dick an. Im Kopf war ein dumpfer Schmerz, der sich bis zu den Augen runter zog. Im Magen fühlte ich feurige Nägel stechen.
„Du bekommst Wasser, wenn du kooperierst.“
„Ich weiß nichts“, sagte ich müde.
Er seufzte tief, dann meinte er in beinahe entschuldigendem Tonfall: „Was soll ich nur mit dir machen, Tina? Warum sagst du nicht einfach, wo sein Versteck ist?“
„Weil ich es nicht weiß.“ Tränen liefen mir über die Wangen.
„Doch, du weißt es! Du warst schon dort! Wie kommt man dort hin?“
„Ich weiß es nicht.“
„Es tut mir wirklich leid. Aber du willst es nicht anders.“ Er grinste böse. Dann warf er einen Overall in meine Zelle. „Zieh dir das hier an, ich kann dich so nicht mehr sehen.“
Trotz meiner steifen Gelenke, brachte ich es fertig, mich anzuziehen. Ich fühlte mich fast sofort wohler. Dass der Stoff kratze, machte mir nichts aus. Er wärmte und schützte mich vor den Blicken der Wächter.
Dann ging er unerwartet wieder. Durstig und hungrig blieb ich zurück. Mit jeder Minute die verstrich, bohrte sich die Angst tiefer in mich.
*lol*....

bin gespannt, wieviele Teile noch kommen *g*...

Schön

*blumenschenk*
Bea
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
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*smile* liebe Bea, ein bisschen was wird wohl noch kommen.

Danke für die Blumen *g*
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
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Nestor stand am Rand von Tinas Bewusstsein. Noch wagte er sich nicht hinaus. Es war mühsam, sich immer verstecken zu müssen. Ein Schnauben drang aus seinen Nüstern. Dann verstärkte er den Schutz ihres Unterbewusstseins. Das war das letzte Bollwerk. Sollte das fallen, würden sie beiden sterben. ‚Es wäre ja nicht so tragisch, wenn es nur mich beträfe’, dachte er. ‚Aber sie sollte nicht unter meinen Fehlern leiden müssen. Die Menschen brauchen die Warhheit, auch wenn sie sie nicht hören wollen. Noch nicht. Der Weg muss aber bereitet werden. Es werden mehr werden. Immer mehr werden sehen wollen.’
Vorsichtig begann er einen geschützten Raum zu formen. Immer wieder hielt er inne. Und lauschte auf die stoffliche Welt. Seine Schuppen sträubten sich vor unterdrücktem Zorn. Noch durfte er ihn nicht zu lassen. ‚Starkes Mädchen. Halte noch ein klein wenig durch.’
Der Raum sollte sie beide aufnehmen und so lange wie nötig Schutz geben. So lange, bis er sie überredet hatte, zu tun, was notwendig war.
Nestor wusste, dass er zu unsagbarer Grausamkeit fähig war. Er würde es sein müssen. Und er würde die gleichen Schmerzen leiden wie sie.

Als er so weit war, zog er sich in den sicheren Bereich zurück und wartete.

nochmal Kaminlesung
****ra Frau
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So, jetzt ist ...
sie aber wirklich zu Ende. Aus Maus. *ggg*

*************


"Ich kann deine Lage verbessern“, sagte er zuckersüß. „Du brauchst mir nur zu sagen, wo ich den Renegaten finde.“
Er riss mir das Klebeband vom Mund. Ich atmete tief durch. Luft! Was besseres konnte ich mir im Moment nicht vorstellen.
„Also, wo ist er?“
„Ihr habt zu lange gewartet“, sagte ich heiser.
Ich wurde geschlagen.
„Das habe ich nicht gefragt. Tztztz … du wirst mir sagen, wo er ist, auf die eine oder andere Art.“
Ohne eine Antwort abzuwarten, drang er in meinen Geist. Er wiederholte dieselbe Frage immer und immer wieder. Dabei drängte er meine Abschirmung weiter zurück. Ich merkte, wie meine Kraft nachließ. Mit einem Aufschrei ließ ich ihn ein. Sofort übernahm er meine Körperfunktionen. Ich ließ ihn gewähren, und verstärkte die nächste mentale Barriere. Irgendwie musste ich verhindern, dass er mein Unterbewusstsein zu früh erreichte. Vorher wollte ich lieber sterben.
Ich fühlte meinen Körper anschwellen. Hartul drosselte den Blutfluss. Er stand etwa zwei Schritt vor mir. Auch sein Atem ging schwer. Oder war es Markus? Es war mir egal.
‚Weiter’, trieb ich mich an. Ich hatte den Eindruck, als würde mir jemand Kraft geben. Bei meinen anderen Begegnungen mit Hartul hatte ich nicht den Hauch einer Chance gehabt. Jetzt sah es so aus, als müsse er bald eine Pause einlegen. Ich errichtete eine Barriere nach der anderen, und ließ sie ihn niederreißen. Das ging so lange, bis mir jemand mit der Faust ins Gesicht schlug. Der Schmerz brachte mich wieder in den Körper zurück.
„Du hast mehr gelernt als ich dachte“, sagte er. Seine Augen glühten im goldenen Licht.
Er gönnte mir nur eine kurze Atempause, dann drang er wieder in meinen Geist.
Plötzlich hatte ich das Gefühl, von den Füßen aufwärts zu brennen. Das Feuer fraß sich durch mich. Ich schrie, wie ich noch nie geschrieen hatte. Ich ließ die meisten Barrieren fallen, und konzentrierte mich auf das Feuer. „Mach es aus! Mach es aus!“, rief ich verzweifelt. Auch wenn ich wusste, dass es eine Illusion war, konnte es mich auf sehr reale Weise verbrennen.
„Bitte, mach es aus!“, flehte ich.
„Was bekomme ich dafür?“
Ich wurde hysterisch. Schrie und fluchte und weinte.
Er wiederholte nur seine Frage. Das Feuer loderte um mich.
Ich senkte die nächste Barriere. Dann war er wieder in mir. Das Feuer ging zurück. Ich atmete schwer, hatte mich kaum mehr unter Kontrolle, zitterte und schluchzte.
„Jetzt sei so nett, und senk auch die nächste Mauer.“
Ich wusste nicht was er meinte. Alle von mir errichteten Mentalmauern waren weg.
Er wurde ärgerlich. Wenn ich dachte, dass er vorhin schon wütend gewesen war, musste ich mir einen Irrtum eingestehen. Zorn funkelnd trat er zu mir, drosch mit mentalen Fäusten auf mein Bewusstsein. Ich fühlte mich schon elend zugrunde gehen.
„Ich werde diese Illusion beenden, die du Leben nennst, wenn du mich weiter behinderst! Und das wird scheibchenweise passieren!“, schrie er. Ich fühlte, wie mein Körper durchgeschüttelt wurde, mein Bewusstsein wurde Matsch. Dann wurde ich in die Wüstensphäre geschleudert.

Ich lag am Boden, Hartul saß auf meinem Rücken. Sein Gewicht drückte mich schwer nach unten. „Lauf! Steh auf, und lauf, bevor dich die Fliegen fressen. Ich hör sie schon kommen“, höhnte er.
Mühsam stand ich auf. Sein Gewicht lastete schwer auf mir. Er hauchte seinen Atem in mein Ohr. Während ich vorwärts taumelte, sprach er unentwegt: „Du bist nichts als Illusion, bestehst nur aus Staub und Luft, in dem sich das Licht bricht. Alles, das ihr Leben nennt, ist eine von uns erzeugte Illusion. Ihr seid nichts als Abschaum – dazu da, uns zu dienen, uns mit Lebensenergie zu versorgen. Wir haben euch Krankheiten geben, wir lassen euch rapide altern. Jeder Krieg wird von uns von langer Hand vorbereitet. Ihr fallt jedes Mal drauf rein. Unsere Macht ist so groß, dass ihr die Wahrheit nicht sehen könnt, selbst wenn sie vor euch auftaucht!“ Er lachte schallend. Ich stolperte und fiel.
„Lauf, du Sklave! Ich werde mir deine ganze Energie nehmen. Lauf!“
Ich kroch auf allen vieren weiter. Immer wieder drückte mich sein Gewicht in den Sand.
Hartul sprach weiter, immer leise in mein Ohr: „Wir sind die Erschaffer eurer Illusion. Ohne uns könnt ihr nicht existieren. Hahaha! Es ist doch absurd. Ihr denkt, ihr seid die Krone der Schöpfung! Dabei seid ihr Nichts! Nichts als eine Spiegelung!“ Er lachte so laut, dass es in den Ohren klingelte. Ich keuchte unter seinem Gewicht. Der Schweiß rann in Strömen meinen Rücken runter, tropfte von der Nase und machte alles noch schlimmer. Unterdessen brannte die Sonne unablässig weiter. Der heiße Sand versengte mir die Hände und Füße. Ich brach zusammen. Er lachte weiter. „Auf, auf, du Abschaum, weiter geht’s!“
Hartul drosch auf meine Schultern, als ich nicht aufstand.
„Ich kann nicht mehr“, sagte ich. Ich fühlte, wie die Lebensenergie aus mir floss. Fast konnte ich den Fluss sehen, der sich von mir zu Hartul schlängelte. Dann waren die Fliegen da.
Hartul stieg von mir. Er lachte aus Leibeskräften. Dann sprach er wieder: „ Du kannst also nicht mehr. Dann gehörst du mir. Ich habe meinen Plan geändert. Der Renegat mag bleiben wo er ist. Ich werde einfach dich übernehmen, so wie schon viele vor dir. Einen kleinen Teil deines Ichs werde ich dir lassen, damit du sehen kannst, wie sich die „Menschheit“ entwickelt. Ihr habt noch jede Revolte zu unseren Gunsten geschlagen. Ha – wenn ich daran denke, wie dieser Jesus dachte, er könnte sich uns in den Weg stellen. Dann war da noch ein gewisser Gautama und noch unzählige andere. Alle sind gescheitert. Ihr Menschen seid nicht dafür geschaffen, frei zu sein. Ihr müsst beherrscht werden. Und wir sind eure Herrscher. Wir sorgen für eure Unterhaltung, dafür, dass ihr die richtigen Informationen bekommt. Wir sind eure Schöpfer – eure GÖTTER. Ihr solltet uns anbeten, und huldigen, so wie ihr es vor tausenden Jahren gemacht habt. Ich spüre es, die Zeit ist nahe, wo es wieder so weit sein wird, und wir uns offen als eure Götter zeigen werden. Nie wieder wird so ein Gezücht wie du, uns in die Quere kommen.“
Während er sprach, krochen unzählige Fliegen auf mir herum. Sie krochen in die Nase, die Ohren, den Mund und die Augen.
Dann hörte ich eine andere, wohlbekannte Stimme flüstern: „Steh auf, halte dich nach links – renn Mädchen, wenn dir dein Leben lieb ist.“
Reglos blieb ich liegen. Hatte ich Halluzinationen? War es eine List? Aber niemand sonst hatte mich Mädchen genannt. Es war immer er gewesen.
„Renn endlich los. Tu, was ich dir sage!“ Die Stimme war sehr drängend. Also zwang ich mich in die Höhe. Als ich stand, wandte ich mich nach links und lief stolpernd los. Immer ein Fuß vor den anderen. Langsam, zu langsam. Hartul brüllte etwas und stampfte hinterdrein. Ich fühlte seine Schritte als Vibration im Boden.
Dann prallte ich gegen eine Wand. Ich wurde von ihr aufgesogen. Panisch wollte ich mich dagegen wehren. Da hörte ich die Stimme wieder: „Lass es zu. Vertrau mir.“
Ich ließ mich einsaugen. Kaum war ich durch, hörte ich von draußen ein wütendes Brüllen.
„Da ist der verdammte Renegat! Ich werde die Illusion ihres Körpers zerstören!“, brüllte er. Die Wand waberte und zitterte unter dem Ansturm.
Ich lag auf feuchtem Moos. Über mich gebeugt, sah ich das vertraute graugrüne Schuppenkleid Nestors.
„Verdammt, du bist ganz schön am Ende“, sagte er.
„Danke, du auch“, erwiderte ich leise.
Nestor lachte. „So, du kennst jetzt also die wichtigsten Geheimnisse der Welt. Da hat es Hartul nicht mehr ausgehalten. Er musste unbedingt prahlen. Das hat mir Zeit gegeben, hier so einiges vorzubereiten. Aber er ist verflucht stark, und hat dir ziemlich viel Lebensenergie geraubt. Das ändert leider so einiges.“
Nestor schritt auf dem Moos hin und her. Dann schaute er durch die Wand. Was ich da sah, ließ mich innerlich erfrieren.
Ich erblickte mich, wie ich gefesselt in dem dunklen Raum saß. Markus hinter mir. Er zog mich in die Höhe und riss mir den grauen Overall vom Leib. Ich schaute von meinem Versteck aus zu, was da mit meinem Körper passierte. Vor Entsetzen war ich stumm geworden. Nestors Augen glühten, ebenso seine Wangenschuppen.
Dann wurden seine Augen hart. Er drehte sich zu mir, und schaute mich lange an. Dann brummte er: „Wenn du mir deinen Körper gibst, werde ich denen zeigen, was es heißt, sich mit einem Schwächeren anzulegen.“ Dabei lachte er grimmig.
„Was hast du vor?“, wollte ich wissen.
„Ich werde du sein. Ganz und gar deinen Körper übernehmen. Du wirst keinen Schmerz fühlen, und kannst dich hier ausruhen, bis es vorbei ist. – So oder so wird es für einen heute vorbei sein. Entweder wir gehen unter, oder ich kriege diesen …!“
Ich war geschockt. Aber es schien das einzig Machbare zu sein. Ich hatte nicht mehr die Kraft, mich zu wehren. Nestor dagegen hatte eine Chance. Ich nickte. – Dann war Nestor auch schon weg. Durch das „Fenster“ sah ich ihn oder mich.

Nestor blinzelte und war in ihrem Körper. Mit Schrecken stellte er fest, wie schwach er schon war. Das hier würde ihm wohl den Rest geben. Er übertrug soviel Lebensenergie wie er wagte auf die Hülle. Gerade, als Markus in sie/ihn eindringen wollte, spannte er die Muskeln an. Mit einem lauten Schrei sprengte er die Fesseln, drehte sich um und packte Brenner am Hals. Unerbittlich war Nestor in seinem Zorn. Er glühte aus den Augen. Flammenzungen sprangen aus der Nase und sein Atem war heißer Dampf. Brenner schrie – dann war Hartul da. Aber Nestor hatte den Körper des Mannes zu fest im Griff. Seine Hände schienen sich von alleine daran fest zu krallen. Er drückte so lange zu, bis der Körper erschlaffte. Dann ließ er ihn zu Boden fallen und wandte sich den vor Schreck erstarrten Wachmännern zu. Sein Atem ging stoßweise. Dann stürzte er sich auf sie.


Ich schaute entsetzt zu. Hatte ich doch mit dem Schlimmsten gerechnet. Doch Nestor schien in Raserei zu sein. Nichts schien sich ihm entgegen stellen zu können. Mit Verwunderung sah ich meinen Körper Muskeln bewegen, von deren Existenz ich noch nichts gewusst hatte. ‚Ich werde einen verdammten Muskelkater bekommen’, dachte ich erstaunt.


Nestor fühlte, wie seine Kräfte schwanden. Gerade noch schaffte er es, die beiden Männer k.o. zu schlagen. Er schnappte sich eine Waffe und rannte hinaus. Am Gang brannte nur wenig Licht. Aber das macht Echsenaugen nichts aus. Nestor konnte auch im Dunkeln ausgezeichnet sehen. Er lief weiter. Tinas Körper machte langsam schlapp. Er hörte, wie er bei jedem Atemzug rasselte und um Luft kämpfte. Noch einmal verlangte er von der Hirnanhangdrüse Adrenalin. Dann lief er weiter. Immer geradeaus, bis er auf eine Tür stieß. Mit einem Karate-Tritt entsorgte er sie, und lief laut schreiend ins Freie. Das Tageslicht blendete ihn für den Bruchteil von Sekunden. Diese Zeit nutzte Hartul, um sich mental auf ihn zu stürzen. Der Körper des Mädchens stürzte. Zuckend blieb er liegen, wand sich in Krämpfen.
Tina in ihrem Versteck schrie ebenfalls. Die Krämpfe übertrugen sich nun auf sie, da Nestor sie nicht mehr absorbierte.

Hartul hatte Nestor fest im mentalen Griff. „Du wirst mir nicht entkommen!“, sagte er.
„Das denkst auch nur du, Hartul.“ Nestor spie vor seine Füße. Dann griff er an.
Es war ein grausamer Kampf. Sie falteten die Zeit, spalteten Atome, sprengten Sterne und ganze Welten, erschufen neue. Es entstanden schwarze Löcher, in die sie fielen, um schreiend daraus hervor zu schießen.
Durch die Erschütterung hätte die Erde beben müssen. Aber zahlreiche andere Echsen hielten die Illusion von Recht und Ordnung aufrecht. Was wäre die Zivilisation ohne sie? Nur mit Recht und Ordnung konnten sie herrschen.
Dann hatte Nestor Hartul in die Flucht geschlagen. Erschöpft fiel er. Immer tiefer hinab, fiel er. In ein schwarzes Licht getaucht, fiel er – und erwachte in Tina.



Mich schüttelten noch immer Krämpfe. Aber ich wusste, dass ich hier nicht in Sicherheit war. Deshalb ließ ich mich in meinen Körper fallen und zwang mich aufzustehen. Ich stand vor dem Haus. Dort sah ich mehrere Autos stehen. Zielstrebig ging in hin und stieg in eines. Nirgends waren Wachen zu sehen. Es mussten weniger anwesend gewesen sein, als ich dachte. Mit mehr Glück als Verstand gelang es mir, den Wagen in Gang zu setzen. Dann fuhr ich los. Schön langsam. Meine Beine zitterten so, dass ich kaum auf die Pedale treten konnte. Das Tor war geschlossen. Deshalb setzte ich zurück und fuhr mit Vollgas darauf zu. Krachend flogen die Tore zur Seite. Ich wurde nach vorne geschleudert. Aber ich war durch. Dann fuhr ich so lange, bis das Haus außer Sicht war und ich einen Weg entdeckte, der in die Berge führte. Da entlang fuhr ich, und hielt erst an einem dichten Wald. Wälder hatten mir schon immer Sicherheit gegeben. Ich stieg aus und schleppte mich tiefer hinein. In einem Dickicht versteckte ich mich. Wickelte mich in eine Decke, die ich aus dem Wagen gestohlen hatte, und hoffte, dass mich keiner finden würde.

Ich weinte und weinte, bis ich keine Tränen mehr hatte. Dann schlief ich vor Erschöpfung ein. Mit starken Kopfschmerzen und brennendem Durst erwachte ich. Jede Faser in meinem Körper schmerzte. Trotzdem stand ich auf und schleppte mich weiter. Irgendwo musste ich einen Bach finden. An Nestor verschwendete ich keine Gedanken. Er musste sich selber helfen. Da konnte ich nichts tun. Ich schlich durch den Wald. An seinem Ende sah ich eine Weide. Kühe grasten friedlich in der Sonne. Unter einem alten Baum stand ein Trog. ‚Wasser’, dachte ich, und eilte darauf zu, so schnell ich vermochte. Ich verscheuchte die Kühe und trank mich satt. Dann kehrte ich um. Ich wollte wieder zum Wagen. Mit ihm war ich schneller unterwegs. Vielleicht fand ich dort auch etwas Geld. Ich war jetzt eine Person ohne Namen. Sie hatten alle meine Daten gelöscht. Meine Existenz in der Illusion war beendet. Nur lebte ich noch. Ich war für die Echsen ein Paradoxon. Was nicht sein darf, kann nicht sein. Aber ich fühlte mich sehr lebendig.
Stundenlang ging ich den Weg zurück, den ich gekommen war. Der Durst kam wieder. Dazu auch ein nagender Hunger. Ich wusste nicht, wann ich das letzte Mal etwas gegessen hatte. Ich fühlte mich zunehmend schwach. Vor meinen Augen tanzten Sterne. Am liebsten hätte ich mich unter einen Baum gesetzt und geschlafen. Aber irgend etwas trieb mich vorwärts. Also schlich ich weiter. Am Waldrand fand ich Walderdbeeren. Ich aß so viele ich finden konnte. Dann suchte ich weiter nach dem Wagen. Endlich fand ich ihn. Ich kletterte hinein, und begann ihn systematisch zu durchsuchen. Ich fand nur einige Münzen. Damit konnte ich nicht viel anfangen, war aber besser als gar nichts. Ich beschloss, mich auf der Rückband noch etwas auszuruhen. Als ich mich gerade hinlegen wollte, stieß ich mit den Beinen an etwas rundes. Es entpuppte sich als halbvolle Limonadenflasche. Gierig trank ich sie aus. Dann sank ich auf die Polster und schlief.

Stunden später erwachte ich. Es war bereits dunkel geworden. Erst jetzt dachte ich an Nestor. Ich hoffte, dass er den Kampf überlebt hatte.

Langsam verging die Nacht. Ich hatte mich noch einmal auf die Suche nach wilden Beeren gemacht, und mit etwas Glück welche gefunden. Es waren nicht viele, aber sie halfen. Langsam verging die Nacht. Gegen Morgen spürte ich eine sanfte Berührung in meinem Geist. Es war wie ein sanftes Klopfen.
„Herein“, sagte ich, und senkte die Barriere, die ich jetzt schon automatisch aufrecht halten konnte.
„Schön, dass es dir gut geht“, sagte er. Nestor erdrückte mich fast mit seiner mentalen Umarmung.
„Hast du ihn getötet?“
„Den Wirt, ja. Hartul – nein. Aber ich habe ihn in die Flucht schlagen können. Es stand wirklich auf des Messers Schneide, Mädchen. Viel hätte nicht gefehlt, und wir wären am Ende gewesen.“
„Nun, was mich angeht – meine Illusion ist zu Ende. Ich habe gehört, dass sämtliche Akten von mir gelöscht wurden. Es gibt mich eigentlich nicht mehr. Ich bin ein Nicht-Mensch, wenn du so willst. Hartul hat davon gesprochen, dass unser Leben nur eine Illusion ist. Stimmt es?
„Ja. Die ganze Welt ist nichts als Illusion. Dein Körper, die Bäume … alles. Es ist nur eine Lichtspiegelung. Das Licht bricht sich in den leeren Räumen der Atome, dadurch entsteht für euch das, was ihr Materie nennt, oder stoffliche Welt. Du hast diese Welt bereits verlassen. Viele Menschen können das auch, ohne es zu ahnen.“
Er ließ sich müde in meinen Körper sinken. Ich/er stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. „Jetzt könnte ich schlafen“, sagte er.
„Ich auch. Aber was ist jetzt mit den Menschen, und was ist mit uns?“
„Wir werden die Menschen aufklären. Wir werden die Augenöffner für diejenigen sein, die sehen wollen.“
„Aha – wie soll das gehen? Ich habe weder Geld noch eine Bleibe.“
„Mädchen, erst schlafen, dann denken. Ich bin so müde, wie seit hundert Jahren nicht mehr.“
Wir schliefen gemeinsam ein.

Am nächsten Morgen begannen wir mit unserer Aufgabe. Nestor und ich.


copyright Herta 9/2009

Herta,
deine Geschichte ist der Oberhammer! In jeder Beziehung!

*anbet*laf
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
*rotwerd* aber jetzt massiv ... ich glühe.

Danke Olaf *knuddel*
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
Eine verdammt gute Geschichte!

*blumenschenk*

(Der Antaghar)
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Danke ...
danke, danke.

Ich hatte schon Angst, die Qualität sinkt durch die Fortsetzung. *g*
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Das Licht
Sorry, mir ist noch eine Fortsetzung eingefallen *zwinker*


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Das Licht


Nestor hatte sich in seinen privaten Winkel zurück gezogen. Mehr und mehr hatte er sich im Laufe der letzten Wochen von seiner Art isoliert. Er fühlte sich allein. Einsam. Ebenso wie die Frau, die im Fond des Wagens schlief. Sie schien sehr erschöpft zu sein. Ihr Schlaf dauerte schon mehr als zwölf Stunden.

Sein Gefühl der Isolation nahm zu. Nestor bemerkte an sich eine Veränderung. Immer häufiger beobachtete er an sich Gefühle, die seiner Art fremd waren. Er hatte Mitgefühl entwickelt. Ihm taten die Menschen leid, wenn er sah, wie sie unterdrückt wurden und unter dem Joch der unerkannten Diktatur litten, ohne sich dessen ganz und gar bewusst zu sein. Viele bemerkten sie nur am Rand und taten sie als den Lauf der Dinge ab, die man ja nicht ändern kann. „Wenn die wüssten, wie viel ein einzelner bewegen kann, würden sie nicht mehr runter von der Strasse und lautstark protestieren.“
Er sondierte sich weiter und kam zu einer folgendschweren Erkenntnis: „Der Zweck heiligt nicht die Mittel. So gut kann ein Ziel gar nicht sein, dass ich dafür Leben opfere. – Mädchen, es tut mir so leid, was ich dir angetan habe. Ich wusste es noch nicht. Nun ist es zu spät.“
Plötzlich breitete sich um ihn ein warmes helles Licht aus, das ihn einschloss und mit Liebe füllte. „Nimm all das Schlechte, das in dir ist und verbrenne es. Dann nimm all das Böse, das du findest in dich auf und verbrenne es in meinem Licht“, sagte eine sanfte Stimme, die gleichzeitig in ihm und aus dem Licht zu kommen schien.
Nestor fragte verstört: „Wer bist du?“
„Noch kennst du mich nicht. Man nennt mich das Licht der Liebe.“
„Aber meine Art kann nicht lieben. Dazu sind wir nicht fähig – wurde mir zumindest gesagt.“
„Jedes Wesen, das zu Gefühlen fähig ist, kann lieben – auch deine Art. Nur habt ihr es vergessen. Auch die Menschen, für die du dich zu interessieren beginnst, haben sie vergessen. Sie vergessen, wie es ist zu lieben, weil sie immer nur auf der Suche sind. Sie rennen und rennen und rennen, dabei übersehen sie das Wesentliche, nämlich, dass die Liebe immer zu denjenigen kommt, die selber zu Liebe fähig sind. Und dann kommt sie unerwartet und im Übermaß. Nestor, du hast sie gefunden. Nimm das Licht und trag es wie eine Fackel in dir.“
Darüber musste er erst einmal nachdenken. Bevor ihm eine passende Antwort einfiel, war das Licht verschwunden. Nur das warme Gefühl in ihm war geblieben.
„Ich werde dich nicht vergessen, jetzt wo ich weiß, wie schön du bist“, sagte er schließlich in die Leere seiner Domäne. Dann wandte er den Blick wieder der Frau zu. Es schien ihm eigenartig, dass sie solange schlief. Sie lag reglos da, schien kaum zu atmen.
Nestor war alarmiert. Sofort ließ er sich in ihren Körper fallen – zu schnell, zu heftig. Er übersah eine Barriere. ‚Sie hat doch keine Mauer gemacht, bevor sie schlafen ging’, sagte er sich. Dann prallte er dagegen. Etwas stimmte nicht. Nestor hatte Angst, wie er sie noch nie zuvor gekannt hatte. Aber nicht um sich selbst. Das Licht brannte in ihm. Wurde heißer, als er die Barriere einriss.

Ich war so müde. Noch nie im Leben habe ich mich so matt gefühlt. Ich hatte gerade noch genug Kraft den Wagen in einen Waldweg zu steuern. Dort hielt ich und wollte eigentlich gleich schlafen. Nestor hielt mich davon ab. Er meinte, ich müsste unbedingt vorher essen und trinken. Weiter vorne im Wald, meinte er, wuchsen Brombeeren. Nackt wie ich noch immer war ging ich hin. Stopfte mir die zum Teil noch sauren Beeren in den Mund und kam total zerkratzt zurück. Aber ich fühlte mich doch ein wenig besser.
Ich wickelte mich in die Decke und legte mich auf die Rückbank. Endlich konnte ich etwas schlafen. Lange würde der Luxus mit dem Auto so wie so nicht mehr anhalten. Langsam wurde der Tank leer. Was dann kam, daran wollte ich gar nicht erst denken. Nestor hatte gemeint, immer eine Brücke nach der anderen überqueren.
Mir war so kalt. Ich wünschte mir jemanden herbei, mit dem ich reden konnte. Wirklich reden, nicht nur über Telepathie. Jemanden, an den ich mich lehnen konnte, der mich in den Arm nahm und tröstete. Sicher, Nestor tat sein bestes, aber es war nicht genug für mich.

Ich schlief sofort ein. Stunden später so schien es, erwachte ich durch die Wärme. Nein, es war Hitze. Erschrocken fuhr ich auf. Ich war in der Wüste. Diese unirdische Wüste. Dieses Hitzeding, das mich schon zweimal fast umgebracht hätte.
Es war totenstill. Hitzeschwaden flirrten über den Boden. Die Luft waberte und schien zu kochen. Ich fühlte, wie die Haut schon jetzt rot wurde und Blasen zu bilden begann.
Dann kamen sie. Ich fühlte sie mehr, als dass ich sie sah. Lautlos schlichen sie von allen Seiten heran. Nur eine Schneise war frei geblieben. Dadurch musste ich kommen. Ich lief los. Geradwegs auf das Loch in der Phalanx aus aufgerichteten Skorpionschwänzen zu. In meiner Angst schaute ich immer wieder zurück und geriet dadurch fast in Reichweite eines solch überdimensionalen Spinnentiers. Ich schrie und konnte gerade noch rechtzeitig einen Haken schlagen. Ich rannte weiter auf das Loch zu. Immer näher kamen diese Gliedertiere.
Der Schweiß rann mir den Rücken runter, tropfte in die Augen bis sie wie Feuer brannten. Die Blasen platzen und hinterließen bald blutende Wunden. Ich lief weiter – immer weiter. Direkt auf die Öffnung im Kreis zu. Weiter, weiter, immer – es gab sonst nichts. Ich hatte mich verloren. Wusste nicht mehr, wer oder was ich war. Das einzige, das ich wusste war, dass ich laufen musste, sollte mir mein Leben lieb sein. Aber was ist Leben? Real war die Angst. Die saß mir im Nacken und trieb mich an. Füße liefen über heißen Sand bis sie blutige Spuren hinterließen. Rote Abdrücke auf gelbem Sand. Ich schrie ohne zu schreien, weil mein Mund ausgetrocknet war. Immer auf die Öffnung zu, die sich immer weiter zu entfernen schien. Oder lief ich auf der Stelle. Die Skorpione schlossen den Kreis enger um mich. Die Öffnung verschwand. Ich fiel in den Sand. Hatte keine Luft mehr. Was ist Luft? ‚Lasst mich sterben! Was ist der Tod? Bin ich in der Hölle? Was ist sie? Was ist hier? Ich kann nicht mehr! Wer ist ich?’, fragte ich mich und wartete auf den Todesstoß. Ja, ich sehnte ihn in dem Moment herbei. Fatalismus hatte sich breit gemacht.
Dann stand mit einem Mal ein Gestalt in eine goldene Aura, gehüllt vor mir. Sie lachte mich aus. Es war ein grässlich gefährliches Lachen. Und es kam mir bekannt vor. Mein Schrecken wuchs. Mühsam hob ich den Kopf vom Sand und sah – ihn! Er war also zurück gekommen. Ich konnte mich wieder an alles erinnern. Wusste, wer und was ich war, was ich tun wollte und nun hier gefangen war. Er hatte mich hierher geholt, wo ich alleine nicht weg konnte. Er hatte alle Wege abgeschnitten. Ich zitterte in der Hitze. Fühlte mich wie eine Mücke im Spinnennetz verheddert. Wusste nicht, welchen Faden ich entlang laufen sollte oder konnte. Sie klebten alle. Die Falle war perfekt gewebt.

„Diesmal ist es aus mit dir, Mensch“, knurrte er. „Nicht einmal Nestor kann dir hier helfen, so stark er auch sein mag. Ich bin mächtiger. Hier ist meine Welt! Ich habe sie geschaffen. Darin sollst du leiden, bis dein physischer Körper stirbt und verwest und darüber hinaus, kann ich dich hier behalten.“
„Warum?“
„Das fragst du noch immer? Du bist eine Bedrohung, gehörst ausgemerzt. Eigentlich gehört ihr alle vernichtet. Du zerstörst mein Werk. Ich habe geholfen, die Welt zu dem zu machen, was sie geworden ist.“
„Ein liebloser, kalter Ort ist es geworden“, warf ich ein, wusste nicht woher ich wieder Mut schöpfte.
„Halts Maul, Mensch! Du wirst zuhören und brennen!“
Ich fühlte das Feuer bereits. Es schien von den Skorpionen auszugehen. Ihr Atem waren Flammenzungen. Ihre Kauwerkzeuge Peitschen aus Flammen und Rauch. Immer näher kamen sie. Ich lag nach wie vor reglos da. Hatte nicht die Energie, mich zu bewegen. Wartete auf die erste Berührung des Feuers.
„Das Ende dieser Ära ist nahe. Die Mächtigen der Mächtigen werden eintreffen. Ich habe es dir bereits angekündigt. Du darfst so lange am Leben bleiben, bis sie da sind. Dann wirst du ihre Macht spüren und sehen, was das Böse schaffen wird. – Eine Welt, in der der Stärkere den Schwächeren vernichtet. Eine Welt wird es sein, gereinigt von all den falschen Hoffnungen und Liebe. Eine Welt in der wir regieren werden. Ihr werdet uns Folge leisten, weil wir die Macht sind. Wir, die Wesen der Finsternis! Abkömmlinge der Gefallenen, sind wir. Wir werden euch zu Dienern des wahren Glaubens machen. Ihr werdet gehorchen oder untergehen. Ich weiß, dass ihr gehorchen werdet. Zu sehr hängt ihr an der Illusion, die ihr Leben nennt. Zu sehr fürchtet ihr euch vor dem Fremden, das werden wir ausnutzen. Angst schüren und dabei das Licht vernichten, unseren ständigen Gegenspieler.“
„Aber ohne das Licht seid ihr nichts“, versuchte ich einzuwenden. „Wenn ihr die Dunkelheit seid, dann könnt ihr nur durch das Licht leben, wer sonst sollte uns zeigen, dass es euch gibt.“
„Papperlapapp! Blödsinn! Nur die Dunkelheit kann existieren! Wir werden es euch allen beweisen.“
„Ich brauche keine Beweise für meine Überzeugung“, widersprach ich. „Ich weiß, dass ich das Licht gesehen habe.“
„Dafür wirst du noch mehr leiden müssen.“
Er fasste nach mir. Drückte mich in den Sand und ließ Sandwürmer los. Sie krochen mir in Nase, Mund, Ohren und in die Augen. Ich wollte sie schließen, aber er hielt sie mit seinen mentalen Fingern permanent offen. Ebenso den Mund. Ich schluckte Sand und Würmer, würgte, spuckte, ohne Speichel zu haben. Sand bedeckte mich – lebendig begraben, von Sandwürmern zernagt. Ich spürte, wie sie begannen, sich in die Oberhaut zu fressen. Fühlte sich durch das Gewebe wühlen. Ich wand mich unter Hartuls eisernen Griff. Als ich glaube, es nicht mehr aushalten zu können, hörte ich eine Stimme. Sie schien von weit her zu kommen. Von unter der Erde, oder aus dem Himmel. Was ist der Himmel? Ich war von absoluter Finsternis umgeben.

Nestor fühlte die Kraft des Lichts in sich. Er räumte eine Barriere nach der anderen weg. Dann aktivierte er den Körper der Frau, ließ sie wieder selbstständig atmen. Erst dann machte er sich auf den Weg, ihr Bewusstsein zu suchen. Es war gut versteckt. Lange suchte er in den finsteren Weiten, die seine Artgenossen erschaffen hatten. Eigentlich hätte es der Himmel sein sollen, oder wenigstens die Illusion eines solchen. Nun fragte er sich, während er suchte, was Himmel eigentlich bedeuten sollte. Am Anfang war es als Belohnung gedacht gewesen, für die Folgsamen, gesetzestreuen und gläubigen Menschen. Aber im Endeffekt war es nichts anderes als ein Gefängnis für die Menschen, um sie an sich zu binden. Mit der Aussicht auf ewiges Leben in einem wunderbaren Land, den Himmel, konnte man leicht Menschen ködern.
Er suchte weiter. Das Licht wies ihm den Weg.
Dann sah er die letzte Barriere. Er konnte durch sie durchsehen. Als er sich dagegen stemmt, durchfuhr ihn ein elektrischer Schlag. Er fuhr durch ihn hindurch und schleuderte ihn drei Ebenen zurück. Jetzt wusste er, wonach er suchen musste. Einen kurzen Blick hatte er durch die Barriere erhaschen können. Das Mädchen war dort. Sie lag lang ausgestreckt, halb im Sand vergraben vor Hartul. Nestor machte sich Sorgen. Wenn sie aufgab, würde sie für ewig hier gefangen sein, in ihrer Angst, umgeben von Hitze und Spinnentieren. Verbrannt würde sie sein und dennoch weiterleben, halb vergraben im Sand. Ihr Körper würde im Auto ebenso verdorren und eingehen. Nie würde man erfahren, woran sie gestorben war oder wissen, dass sie eigentlich weiter lebte. In der ewigen Verdammnis, den sie Himmel nannten. Nestor wollte nicht mehr dazu gehören. Er war ein anderer geworden. Er fühlte sich plötzlich stark! Er stürmte vorwärts, das Licht wie ein Flammenschwert nach vor gestreckt. Er zielte direkt auf die Barriere und durchtrennte sie. Mit einem wilden Schrei rannte er weiter. Auf die Skorpione zu und erschlug sie einen nach dem anderen.
Hartul blickte ihn ungläubig an. Er wirkte plötzlich erstarrte. Nestor hielt an. Er wusste nicht, dass die Echse ihn nicht mehr in seiner ursprünglichen Gestalt erblickte. Die Wandlung hatte sich auch äußerlich vollzogen. Er war zu einem Lichtwesen geworden. Im Zentrum konnte man noch den alten Nestor als grünes Schimmern erkennen, das von purem Licht umgeben war. Hartul hob die Hände. Er schrie plötzlich, als sich das Licht ihm zuwandte.
„Lass sie endlich in Ruhe Hartul!“, brüllte er zornig und Lichttentakel bewegten sich auf das Echsenwesen zu. Dieser sprang zurück, bevor sie ihn berühren konnten. Seine Konzentration auf die Frau ließ kurz nach. Dann schrie er: „Das verdammte Weibsstück gehört mir! Das ist meine Welt! Du wirst hier nicht siegen!“
„Da täuscht du dich, Hartul“, sagte Nestor ganz sanft. Er ging zu Tina und zog sie hoch, nahm sie in den Arm und hüllte sie in sein Licht. Kurz regte sie sich, blieb aber erschöpft in seinen Armen liegen.
Ein weiterer Lichttentakel fuhr auf Hartul zu. Er zeigte anklagend auf ihn. Dann sprach Nestor weiter: „Du wirst dich aus diesen Sphären entfernen und nie mehr wieder kehren. Geh in die Finsternis zurück, aus der du gekrochen bist, Hartul! Lass die Menschen in Frieden leben!“
Hartul hatte sich wieder gefangen. Er richtete sich hoch auf und zischte: „Du befiehlst mir nichts! Die Menschen sind doch nichts weiter als Spielzeug, wie du sehr gut weißt. Auch für euch Lichtdinger, sind sie nichts anderes. Ohne unsere Anweisungen könnten die Physischen doch gar nicht existieren. Mit ihrem unterentwickelten Gehirnen sind sie nicht mal fähig zu direkter mentaler Kommunikation. Sie sind im Grunde genommen gar nicht lebensfähig. Wieso sollten wir sie dann nicht führen?“
„Weil sie sich nicht entscheiden können!“
„Blödsinn! Wer braucht schon eine freie Entscheidung, wenn er den richtigen Weg gezeigt bekommt?“
„Jeder hat das Recht, seinen Weg selbst zu wählen. Ob sie sich nun für das Licht oder die Dunkelheit entscheiden – es sollte ihr Weg sein, den sie frei wählen.“
„Sie würden die Dunkelheit wählen.“
„Dann lass sie die Entscheidung selber treffen. Oder hast du so viel Angst davor, dass sie sich eventuell dem Licht zu wenden und du leer ausgehst?“ Nestor musste schmunzeln. Hartul fühlte sich dadurch angegriffen. Mit gesenktem Kopf ging er zum Gegenangriff über. Er wollte Nestor allein durch seine Kraft zerschmettern. Aber dieser machte nur einen Schritt zur Seite und der Schlag ging ins Leere.
„Hartul, ich kämpfe nicht gegen dich. Ich werde nie mehr kämpften. Hast du mich gehört. Ich bin Nestor, der das Licht gefunden hat!“
Hartul blieb wie angewurzelt stehen. Ungläubig starrte er das Lichtwesen an.
„Du bist nicht Nestor! So etwas gibt es nicht. Du kannst dich nicht verwandeln!“
„Warum denn nicht, du siehst es doch mit eigenen Augen. Ich bin Nestor! Und ich schicke dich jetzt nachhause. Du wirst gehen – und die Menschen in Ruhe lassen. Ganz besonders fern wirst du dich von dieser Frau hier halten. Sie steht unter meinem persönlichen Schutz!“
Hartul drehte sich tatsächlich um. So eindringlich hatte Nestor gesprochen. Er glaubte es selber kaum. Aber das Licht hatte die Dunkelheit geschlagen.
„Für dieses eine Mal Nestor Licht werde ich gehen. – Aber glaub mir, wir werden uns wieder sehen. Spätestens bei der Ankunft.“ Es war als Drohung gesprochen.
„Ich werde da sein, Hartul! Leb wohl!“
Dann ließ sich Nestor mit seiner Last ganz sanft in den Körper gleiten.


Ich wurde geblendet. In einem grellen Licht glaubte ich Nestors Stimme zu erkennen. Er schimpfte mit Hartul, als wäre dieser ein kleines Kind und nicht einer der mächtigen unter den Echsen. Ich dachte, dass ich halluzinierte, als er mich hochhob und mit mir davon ging.

Das nächste, an das ich mich erinnerte, war eine kühle Brise, die meine nackte Haut streifte. Ich öffnete die Augen und fand mich im Wagen wieder. Ein Licht leuchtete im Wagen. Es schien in mich zu dringen und zu mir zu sprechen. Nur schwer konnte ich die Worte verstehen. Ich fühlte mich noch immer desorientiert, körperlos.
„Mädchen, du bist in Sicherheit“, hörte ich. Ich nickte, beleckte die Lippen und sagte: „Und wer bist du?“
Ein sanftes Lachen perlte mir entgegen. „Du erkennst mich auch nicht, Mädchen?“
Eine Fröhlichkeit ging von dem Licht aus, die ich nicht verstehen konnte. Sie verstörte mich ein wenig. Dann fragte ich mit heiserer Stimme und viel Unglauben darin: „Nestor?“
„Ja, ich bin wohl etwas verändert, nicht wahr?“ Das Lichtwesen Nestor schmunzelte. Ich wollte mich aufrichten, fühlte mich aber zu schwach dazu.
„Wie lange war ich weg?“
„Zu lange, Mädchen. Einige Tage. Bleib liegen. Es wird Zeit, dass wir uns Hilfe holen. Wir brauchen nicht alles alleine machen. Ich kann dir so nicht helfen.“ Er umarmte mich, hüllte mich in sein Licht. Ich fühlte mich gewärmt und getröstet. Ich ließ den Tränen freien Lauf. Es war heilsam. Nestor hielt mich, bis ich wieder ruhig war. Dann sagte er: „Tina, ich hole dir Hilfe. In der Nähe ist ein Bauernhof. Dort werde ich jemanden finden und herleiten. Ich verspreche, dass ich bald wieder da bin.“ Nestor schwebte durch das Autodach, dann fuhr er wie ein Lichtblitz davon. Ich schloss die Augen wieder. Wenn Nestor keine Hilfe fand, würde ich hier sterben. Es machte mir nichts. Ich denke, ich hatte mich noch nie so geliebt gefühlt, wie in dem Augenblick, als mich Nestor im Arm hielt. Geborgen, sicher, geliebt. Ich wickelte die Decke fester um mich und versuchte an schöne Dinge zu denken. Licht, Wälder, frische Luft, ein warmes Feuer im Kamin, essen, trinken. Das alles tanzte vor meinen Augen.

Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis ich das Licht meines Freundes wieder sah. Er kam direkt auf mich zu und drang in mein Herz. Dort sagte er: „Nimmst du mich wieder auf, kleine Freundin?“ Ich wusste nicht was ich sagen sollte. Vor Freude schluckte ich mehrmals, obwohl die Kehle dabei brannte. In Gedanken umarmte ich ihn und hieß ihn willkommen. „Hilfe ist unterwegs. Es dauert nicht mehr lange“, murmelte er.
„Wie hast du das geschafft?“ Ich war neugierig. Er konnte sich ja schlecht bemerkbar machen, oder doch?
„Ich habe mich ihnen gezeigt und in deine Richtung gewiesen. Dann habe ich ihnen dein Bild hier im Wagen in den Kopf gepflanzt. Einer sagte: ‚Blödsinnige Lichtspiegelung.’ Der andere ist auf sein Motorrad gesprungen und mir nachgefahren. Er müsste eigentlich jeden Moment eintreffen.“
„Was sage ich, wer ich bin? Ich bin ja namenlos. Mich gibt es gar nicht mehr.“
„Vielleicht probieren wir es mit der Wahrheit?“
„Denkst du, dass er uns glauben wird?“
„Nur ein Blinder, wird die Wahrheit übersehen können. Damit meine ich einen blinden im Herzen. – Dieser Bursche schien mir recht wach, Mädchen.“
Dann hörte ich das Brummen eines Motorrads. Mit quietschenden Reifen hielt es neben dem Auto.
„Hallo!“, rief jemand und dann noch: „Sapperlot, der Engel hatte recht. Da liegt eine Frau im Wagen. Scheiße! Was mach ich jetzt?“ Er kam näher, öffnete die Tür und leuchtete mit der Taschenlampe direkt in mein Gesicht. Ich kniff die Augen zu. Ganz leise sagte ich: „Hilfe.“
Dann stieg er ein. Als er sah, dass ich nackt war, trat er sofort den Rückzug an und meinte: „Mädel, du brauchst was zum Anziehen. Was immer mit dir auch passiert ist, es scheint ungewöhnlich zu sein. Ich werd dir was zum Anziehen holen. Meine Schwägerin hat sicher was da. So ein Glück auch, dass ich gerade auf Besuch da bin. Der Ed ist immer etwas stur in seinen Ansichten.“ Dann schien ihm etwas einzufallen. Er ging zurück zum Motorrad und kam mit einer Thermoskanne zurück. „Du hast sicher Durst und siehst völlig erfroren aus. Hier ist Tee drinnen. Du trinkst und ich hol dir was zum Anziehen. Dann bring ich dich hier weg.“
Schüchtern reichte er mir einen Becher entgegen. Der Tee dampfte und duftete ausgezeichnet. Aber ich war zu schwach, um den Becher halten zu können und verschüttete das meiste. Nun stieg er doch ein, half mir mich aufzusetzen und hielt mir geduldig den Becher an die Lippen. Er ließ mich nur schluckweise trinken. Ganz langsam. Als ich den Tee ausgetrunken hatte, ließ er mich wieder hinlegen. Zusätzlich zur Decke breitete er noch seine Jacke um meine Schultern. Ich war gerührt über so viel Fürsorglichkeit. Dann sagte er: „So, bin gleich wieder da Mädel. Aber so kann ich dich nicht mitnehmen.“
„Doch, bitte, nimm mich gleich mit. Ich mag nicht mehr hier sein“, irgend etwas ließ meine Stimme drängend wirken. Ich hatte eine Ahnung, oder war es Nestor, der sie hatte, dass es nicht so gut war, noch länger hier zu bleiben. Er betrachtete mich einige Zeit, dann meinte er achselzuckend: „Okay, ich nehm dich gleich mit. Wickel dich gut in die Decke. Dann noch die Jacke, so müsste es gehen.“ Er half mir aus dem Wagen und trug mich zu seinem Fahrzeug. Beim besten Willen hätte ich keinen Schritt gehen können. Ich war schwach und meine Fußsohlen waren verbrannt. Die Hitze der Wüstensphäre hatte sich auf meinen Körper übertragen. Ich war über und über mit Brandblasen bedeckt. Als er das sah, sog er die Luft stark ein, dass es pfiff. Ich konnte ihn denken hören: ‚Was um Himmels Willen ist denn dir geschehen? So ein heißes Feuer war hier nirgends.’ Ich schaute ihm direkt in die Augen. Kurz nur zuckte er zurück. Es war, als ob er meine Gedanken kurz gespürt, sich aus Angst davor aber wieder zurück gezogen hätte.

Am Bauernhaus angekommen, brachte er mich sofort in sein Zimmer, steckte mich ins Bett und deckte mich gut zu. Wortlos ging er und kam nach kurzer Zeit mit einer Schüssel Suppe und einer Tube Wundsalbe wieder. Zuerst half er mir beim Essen, dann versorgte er stumm die Brandwunden.
„Eigentlich sollte ich dich ins Krankenhaus bringen“, sagte er endlich. „Aber irgend etwas an dir ist sonderbar. Ich weiß sogar wie du heißt. – Tina, nicht wahr? Ich bin übrigens Simon.“
Ich nickte bestätigend. Reden war mir noch zu mühsam.
„Ich denke, es ist besser, wenn ich heute noch heim fahre und dich mit nehme. Was hältst du davon? Mein Bruder wird mich sicher nicht aufhalten.“ Er lachte freudlos.
Dann ging er wieder. Ich lag in dem warmen Federbett und fühlte langsam die Lebensgeister wieder kommen. ‚Danke Nestor’, dachte ich. Ich fühlte ihn als warmes Licht in mir drinnen.
Dann merkte ich mit einem Mal, dass es aus mir strömte. Ich war umgeben von warmen Licht. Wurde hochgehoben, gehalten, gewärmt – geliebt. Noch nie im Leben hatte ich so etwas gefühlt. Diese Geborgenheit, Sicherheit, Liebe …
Atemlos vor Freude über das größte aller Geschenke sank ich wieder ins Bett. Ich wusste, von nun an, würde in mir und aus mir ein Licht strahlen, dass die Welt erhellen konnte – wenn sie es wollte.

Simon kam bald darauf mit einem Armvoll Kleidungsstücke zurück. Er sagte: „Das kannst du alles haben. Es ist von meiner Mutter. Wenn du keinen allzu großen Wert auf Mode legst, hast du gerade solide Kleidung bekommen.“ Er lachte. Ich ebenfalls, als ich die Klamotten begutachtete. Solide war das richtige Wort und ich freute mich tierisch darüber.
Er half mir beim Anziehen, sah mich dabei immer wieder forschend an.
„Du hast gute Heilkräfte, Tina, oder meine Salbe wirkt auf einmal Wunder.“
„Lass uns von hier verschwinden, dann erzähle ich dir alles, wenn wir bei dir sind. Du wirst mir vielleicht nicht glauben wollen oder können. Aber alles, was ich dir sagen werde, ist die Wahrheit, so wie ich es erlebt habe.“
Er nickte nur. Dann packte er seine Sachen zusammen und trug mich zu seinem Wagen.
„Ich dachte, du bist mit dem Motorrad unterwegs.“
„Nein, das gehört Ed. Für den Waldweg schien es mir besser geeignet. – Aber jetzt los Mädel, ich bin auf deine Geschichte neugierig.“
Ich stieg ein. Als er losfahren wollte, sagte er noch: „Mädel, du strahlst wie ein Engel, von innen heraus. So, wie der Engel, der mich zu dir gebracht hat.“
„Auch darüber werde ich dir etwas erzählen, Simon. Du weißt es noch nicht, aber du strahlst das gleiche Licht aus.“

Nestor war überglücklich, dass sich Tina spontan und freiwillig zu einer Vereinigung bereit erklärt hatte. Auch sie hatte das Licht gesehen. Sie hatte die Dunkelheit erkannt und nun das Licht. ‚Anscheinend kann das eine nicht ohne das andere existieren’, dachte Nestor. Er war müde. Für Tina hatte er jetzt jemanden gefunden, an den sie sich lehnen konnte. Dieser Simon war wie sie. Ein Einzelgänger, bereit eine Herausforderung anzunehmen, das Unglaubliche zu glauben. Und er trug das Licht in sich. ‚Wir werden mehr’, dachte Nestor und zog sich zurück, um die Menschen zu beobachten und zu bewachen. Hartul war nicht besiegt.
‚Es war nur eine Schlacht. Der Krieg kommt erst. Noch ist Zeit. Wir werden sie nutzen und das Licht verbreiten. Die Menschen bereit machen – für die Liebe.’
Und Nestor dehnte sein Licht aus.



"Hachmach"........... Schöööön.....

*blumenschenk*
Bea
Oooch Herta,
Grandios!
Lass bitte noch weitere sooo geniale Geschichten folgen, dann kann ich das Ende verschmerzen!

verbeug *anbet* laf
Ja liebe Herta .........
das Licht der Liebe leuchten lassen ...........

Möge dieses Licht in die Herzen der Menschen scheinen und sie zur Umkehr bewegen.

Wenn ich heute die Nachrichten höre, Iran, Al kaida, Afganistan ........
oder die rohe Gewalt der jungen männlichen Generation ...........
dann sehe ich auch nur Dunkelheit.

~~~~~~~~~~~~~~~

Ich habe heute Abend !!! angefangen, noch einmal von Anfang an alles gelesen, jetzt ist es 01:20.

Auch ich bin jetzt physisch müde und muss ins Bett,
Danke für Deine wunderbare Geschichte.

ev
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Einen wunderschönen Sonntag Morgen *sonne*

Vielen Dank für die Komplimente zu meiner Geschichte. Es freut mich sehr, dass euch die Fortsetzungen auch gefallen. Sie ist ja nun schon sehr umfangreich geworden und wird noch länger werden *panik*

@ olaf: Fortsetzung ist in Arbeit. *g*

@ Ev: wahnsinn, dass du dir die ganze Geschichte nochmals durchgelesen hast *knuddel* Da geht schnell mal die halbe Nacht drauf dabei.


*liebhab* Herta


PS.: Die nächsten Geschichten werde ich wieder genauer auf Tippfehler untersuchen *zwinker* ich hab grad mehr als zwei gefunden ... *nono* so geht das nicht!
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
@ anhera
Liebe Herta,

da sind noch viel mehr Tipp- und sonstige Fehlerchen drin. Aber Du darfst es als großes Kompliment werten, wenn bei einer Deiner Geschichten die Herzen der Leser so sehr berührt werden, dass diese Fehlerchen fast schon nebensächlich werden ...

Vielleicht war es noch nie so schwer wie heute, das Licht der Liebe leuchten zu lassen und hoch zu halten. Jetzt, kurz vor Beginn des Zeitalters weiblicher Weisheit (wenn es denn wirklich am 21.12.2012 beginnen sollte, wovon ich überzeugt bin) besteht aber wenigstens berechtigte Hoffnung.

Denn wer, wenn nicht wahre und wahrhaftige Frauen, soll noch wirkliche Liebe leben? Die Liebe der Frauen (wenn es denn Liebe und nicht nur Bedürftigkeit ist) öffnet sogar die Herzen der Männer und ihren Zugang zu Gefühlen und zu spirituellen Erfahrungen. (So ist meine Sicht der Dinge ...)

Und Du hast hier eine zutiefst weiblich-weise Geschichte geschrieben!

(Der Antaghar)
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
@ Antaghar
Ich habe die meisten Fehler schon gefunden (da muss ich erst wieder einmal eine Nacht durchmachen, damit ich sie sehe *zwinker*)

Auf das von dir erwähnte Datum spiele ich in meiner Geschichte an.

Ich freue mich sehr, dass dir die Geschichte, trotz der Fehler, gefällt, und ich verspreche, bei den nächsten wieder sorgfältiger zu korrigieren. Ehrenwort! *ggg*

Liebe Grüße
Herta
@ Herta
Die Nacht ist vorbei ........
ein sonniger Tag hat angefangen ..........

und was Deine Fehler betrifft: bei DEM Text, bei DER Geschichte,
ist mir zwar auch Vieles aufgefallen, aber selber kann man keine Korrektur lesen .........

Mich störten die Fehler nicht, waren sie doch unwichtig im Gegensatz zu dem, was Du uns sagen wolltest.

Und Du willst hierzu noch eine Fortsetzung schreiben ???
Ich denke die Geschichte ist jetzt rund, bedarf keiner Fortsetzung mehr.

Ich wünsche Dir und Toni,
so wie Allen, die bis hierher gelesen haben *grins*
einen schönen, guten und liebevollen Sonntag

ev
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
@ zigeunerin
Danke, liebe Ev.

Ich habe einfach mal mit einer Fortsetzung angefangen (Ideen zum Thema habe ich genug) und lasse mich überraschen, was dabei raus kommt. Wenn es nicht passt, dann steht die Geschichte so wie sie ist.

Ansonsten geht's weiter.

Korrekturlesen kann ich mittlerweile gar nicht mal so schlecht (könnte aber besser sein), nur sollte ich manchmal mehr Sorgfalt walten lassen. Das kommt vom Hudeln und schnellem Lesen ... jaja, da übersieht man die offensichtlichsten Fehler *ggg*

Ich wünsche auch dir und allen nicht nur einen liebevollen Sonntag ...

Herta
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
@ anhera
Ich hoffe doch sehr, liebe Herta, dass Du auch den Rest meines Beitrages gelesen hast, denn der war weit wichtiger als der höfliche Hinweis auf ein paar Fehlerchen ...

*g*

(Der Antaghar)
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Ja, lieber Antaghar,
ich habe den ganzen Beitrag von dir gelesen und mich darüber gefreut. Hoffen wir auf eine neue Zeit ... indem wir schon jetzt den Weg dafür bereiten und mit dem Licht die Richtung weisen.

(Ich ärgere mich nur, wenn ich vermeidbare Fehler mache, wenn ich manchmal so verbohrt bin und den Wald vor lauter Bäumen nicht sehe.)


Ich geh jetzt mal ein Lichtlein anzünden ... vorerst ein ganz kleines *g*


*sonne* Herta
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
@ anhera
Kein Grund, sich zu ärgern! Das geht mir oft genug nicht anders - auch ich sehe vor lauter Wald oft genug die einzelnen Bäume nicht mehr.

Deshalb lasse ich alles, was ich schreibe, erstmal zwei, drei Tage liegen - und geh dann nochmal drüber. Und selbst dann sind immer noch genügend Fehler drin.

Ich finde die Botschaft in dieser Geschichte weit wesentlicher - als ich den Umstand fände, wenn alles perfekt und fehlerfrei wäre. Trotzdem kann, darf und soll man auf Fehler aufmerksam machen, denn wir können alle nur lernen.

*taetschel*

(Der Antaghar)
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Ich danke dir doppelt, mein Lieber: für den Trost und deine immer wieder anspornende Kritik.

*knuddel* Herta
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Neuer Titel, überarbeitet ...
Ihr seid hier so lieb und helft mir immer weiter, damit ich besser werde, seid mit Rat und Tat zur Stelle ... dafür möchte ich mich einmal sehr herzlich bedanken.

Ich habe diese Geschichte jetzt lange liegen gehabt und begonnen, sie zu überarbeiten.

Das Ergebnis möchte ich euch nun zum Lesen da lassen, vielleicht gibt es noch ein paar Verbesserungsvorschläge.

Liebe Grüße
Herta
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Das Feuer entflammt
Erwählt

Ein goldenes Augenpaar beobachtete aus der Dunkelheit heraus die Menschen.
Sie waren auf der Suche.
Noch wusste das Wesen nicht, ob es finden würde was es begehrte.
Geduldig spähte es weiter.
Zeit spielte nur eine geringe Rolle für diese Kreatur.
Goldene Augen, die scharf durch die Dunkelheit schnitten …
fanden schließlich was sie suchten.


Ich trat aus dem Dunkel hinein ins Sonnenlicht. Zumindest fühlte es sich so an. Ich dachte nicht im Traum daran, mich schlecht zu fühlen. In meinem Bauch herrschte friedliches Lagerfeuer mit Bienengesumm. Ich hatte meinen Traummann gefunden, zumindest glaubte ich es.

Die mickrige Wohnung kam mir noch nie so schön vor wie heute.
Mein Herz machte einen Sprung nach dem anderen.
Ich war mit dem Rad von der Arbeit gekommen, und total verschwitzt, deshalb ließ ich mir ein Bad ein. Im warmen Wasser liegend kamen mir dann erste Zweifel. Das ließ mich auffahren. Dann dachte ich: ‚Es ist sicher nur Schwärmerei. Aber er sieht so verdammt gut aus.’

Einerseits liebte ich meine Unabhängigkeit, andererseits war es auch manchmal sehr einsam. Die meisten Menschen langweilten mich zu Tode, mit ihrem ewigen Gerde von Partnern und Kindern, oder dem Job; noch schlimmer: dem letzten Fußballspiel. Und dann erst die Kochrezepte, die die Kolleginnen austauschten!
Da rollen sich einem ja die Zehennägel auf, vor lauter Langeweile!

Meine Interessen erstreckten sich auf Natur und Natur, vielleicht noch etwas Literatur, aber das war’s dann auch schon. In meiner Freizeit schwang ich mich meistens aufs Fahrrad und machte lange Touren, bei jedem Wetter! Das muss erst einmal ein Mann mit machen. Abgesehen von meiner Teenagerzeit, als ich immer mit den Nachbarjungs abhing, war ich immer eine Einzelgängerin gewesen. Wenn ich wollte konnte ich fluchen und saufen wie ein Mann. Das machte mir an diesen Tagen mehr und mehr zu schaffen.
Denn ich war ernsthaft verliebt.
‚Würde ich mich für jemanden verbiegen können? Mich ändern? Ist es eine Überlegung wert, sich für einen Partner zu ändern? Würde der andere das auch für mich machen?’ Diese Gedanken waren Dauergäste, und ließen sich nicht so ohne weiteres beantworten.

Sein Gesicht stand mir lebhaft vor Augen, während ich über diese endlosen Fragen grübelte. Er hatte feine Züge, eine gerade, nicht zu große Nase, dunkelbraune Haare, grüne Augen, die von elegant geschwungenen Brauen gekrönt wurden. Und was mir am wichtigsten war, eine sehr angenehme Stimme. Einfach himmlisch.
Ich schmolz dahin, wie Eis in der Sonne – sehr abgedroschen, aber wahr.

Ich durfte Markus sagen, wie eigentlich alle im Büro. Er war unser neuer Abteilungsleiter. ‚Warum muss ich mich immer in Männer verlieben, die für mich außer Reichweite sind?’ Ich wusste ja nichts über ihn. ‚Vielleicht ist er verheiratet’, überlegte ich.

Nach dem Bad machte ich es mir auf dem Sofa gemütlich und träumte mir ein Verhältnis mit Markus. So etwas habe ich nicht mal als Teenager gemacht. Also nahm ich an, dass es mich wirklich übel erwischt hatte.
Ich wollte nicht an ihn denken.

Schließlich kam ich zu der Erkenntnis, dass Markus mich wahrscheinlich gar nicht richtig wahrgenommen hatte. Er hatte jedem die Hand geschüttelt und nach dem Vornamen gefragt. Ich brachte nur ein leises „Tina“ heraus, was mich sehr ärgerte. Er grüßte höflich und ging dann zu Martin, der seinen Tisch vor mir hatte.

Mit Mühe schaffte ich meine Buchhaltung an diesem Montag. Immer wieder richtete ich meinen Blick auf die Bürotür am Ende des Gangs. Nur in der Mittagspause kam er raus, ging mit schnellen Schritten an mir vorbei – wahrscheinlich in die Cafeteria. Da gab es nie vegetarisches Essen, deshalb ging ich dort nicht hin. Die halbe Stunde Mittagspause verbrachte ich meistens auf meinem Platz, aß einen Apfel, trank literweise Kaffee, mit dem ich schon morgens anfing, und stöberte im Internet. Ich hatte einige Singlebörsen ausfindig gemacht und mich dort angemeldet. Bis jetzt hatte ich keinen Erfolg. Und ich war immer der Meinung, als Frau wäre es leicht, einen Mann zu finden. So kann man sich irren. Dabei bin ich nicht gerade hässlich. Naja, auch nicht gerade Frau Wunderschön, Miss Busen oder Miss World und wie die ganzen Tussies heißen, ich bin eben Durchschnitt, wie neunundneunzig Prozent der Bevölkerung. Aber der Mann der Träume ließ auf sich warten, es gab nicht mal einen Alptraum.
Doch da irrte ich mich.

Und dann tauchte Markus Brenner auf und stellte mein Gefühlsleben auf den Kopf.
Gewiss ahnte er nichts davon.

An den folgenden Tagen gingen die meisten Kollegen mittags in die Cafeteria. Sie wollten sicher Markus besser kennen lernen. Ich ging nicht hin. Erstens weil ich den Geruch nach gebratenen, gekochten, gegrillten oder was weiß ich wie zubereitetem Fleisch nicht mag und dann hasse ich jede Art von Anbiederung.
Nicht zum letzten Mal wünschte ich mir, etwas mehr wie der Durchschnittsmensch zu sein.

Für Freitagabend hatte Markus alle zu einer Einstandsfeier in der Betriebscafeteria geladen. Ich würde wohl hingehen müssen, da es gleich nach Dienstschluss war. Schon jetzt zitterte ich davor. Solche Feierlichkeiten hatten immer etwas Gezwungenes. Diese aufgesetzte Fröhlichkeit. Die meisten Kollegen konnten sich untereinander nicht ausstehen und dann taten sie, als ob sie die besten Freunde wären. Und das ganze oberflächliche Geplauder über Familie, Kinder und Kochen, von Fußball brauchen wir gar nicht erst reden.
Ich hasse Smalltalk. Nie weiß ich, was ich sagen soll und meistens endet es für einen der Beteiligten peinlich, erfahrungsgemäß für mich.

Den ganzen Freitag über war ich nervös und unsicher. Markus war mir nicht aus dem Kopf gegangen. Jedes Mal, wenn ich ihn sah, wurden meine Knie weich. Er schien mich überhaupt nicht zu beachten.
Der Tag zog sich in seine übliche Länge – gearbeitete acht Stunden und gefühlte zwölf. Etwas Langweiligeres als Debitorenbuchhaltung konnte ich mir nicht vorstellen.
Endlich war es 16 Uhr.
Seit der letzten Weihnachtsfeier hatte sich hier nichts verändert. Sogar der Geruch war der gleiche: abgestanden und verbraucht, Putzmittel und Essendüfte vermischten sich zu einer unbeschreiblichen Duftnote – eine Beleidigung für jede Nase.

„Tina“, flüsterte Gitta, meine direkte Tischnachbarin. „Markus ist echt ein Netter. Hast du schon mal mit ihm gesprochen? Gestern hat er mich gefragt, ob ich mit meiner Aufgabe hier zufrieden bin.“ Atemlos hielt sie inne, gab mir aber keine Gelegenheit etwas zu sagen, sondern fuhr eifrig fort: „Natürlich habe ich gesagt, dass alles passt. Er sieht doch so gut aus.“ Dabei verdrehte sie die Augen und dehnte das „so“ in einer Art und Weise, das mich wütend machte.
„Wann hast du mit ihm geredet?“, warf ich rasch ein.
„Gestern, in der Mittagspause, du hättest eben mitkommen sollen. Wir sind sogar am gleichen Tisch gesessen.“ Sie blickte mich triumphierend an und ich dachte: ‚Eingebildete Gans.’ Aber irgendwie war ich neidisch. Heute würde ich vielleicht Gelegenheit haben, mit meinem Schwarm mehr als nur ein „Guten Tag“, zu wechseln.

Wir hatten uns schon gesetzt, als Markus Brenner eintraf. Einige standen respektvoll auf.
Er blickte kurz in die Runde. Zweiundzwanzig Leute waren anwesend. Dann strich er sich durchs Haar und sagte: „Ich freue mich, dass alle meiner Einladung gefolgt sind.“
Er lächelte zaghaft. Das gefiel mir. Mein Herz schlug etwas schneller.
„Wie ich feststellen konnte, sind Sie alle sehr kompetent. Diese Woche habe ich einige von Ihnen kennen lernen dürfen, nun hoffe ich, das bei den anderen noch nachzuholen. Dann kann ich mir ein Bild von Ihrer Arbeit machen und auf Ihre Wünsche eingehen. Bitte scheuen Sie sich nicht, mit Ihren Anliegen zu mir zu kommen. Ich werde versuchen, Ihren Wünschen, gerade was Urlaube und so angeht, nachzukommen.“
Er machte eine kurze Pause, lächelte entschuldigend, bevor er sehr ernst weitermachte: „Es werden in nächster Zeit einige Änderungen auf uns zu kommen, die wir gemeinsam meistern müssen. Abteilungen werden zusammengelegt werden, andere geschlossen. Die Krise hat uns momentan voll im Griff. Ich denke, dass wir es gemeinsam schaffen werden.“
Er lächelte siegesgewiss.
Im Saal herrschte angespanntes Schweigen. Er schaute uns der Reihe nach an und meinte dann heiter: „Meinen Lebenslauf wollen Sie jetzt aber nicht hören?“
Es wurde gekünstelt gelacht.
Ich sagte ganz leise: „Ich schon.“
Sein Blick heftete sich auf mich, als hätte er es gehört. Er war durchdringend und irgendwie anders. Mich schauderte plötzlich. Bald vergaß ich den eigenartigen Blick wieder.

Es wurde ein Tablett mit Sekt herumgereicht. Als jeder von uns ein Glas in der Hand hatte, sagte er fröhlich: „Lassen Sie uns auf eine gute Zusammenarbeit trinken.“ Alle standen auf, prosteten sich freundlich zu und setzten sich dann wieder. Er schien sich nicht wohl zu fühlen. Ich hatte den Schweißfilm auf seiner Stirn bemerkt und auch, wie er die Hände ballte. War er nur nervös oder war es etwas anderes? Ich schalt mich eine dumme, überspannte Kuh, und schnitt die Gedanken an Markus für einige Zeit ab.
‚Hoffentlich krieg ich hier auch was zu essen’, dachte ich und sah mich um. Den Sekt hatte ich nicht getrunken. Dafür nahm ich vom Orangensaft, es war klüger, sich in der Firma nicht zu betrinken.
Auf einem langen Tisch waren kleine Häppchen angerichtet. Es waren schon alle meine Kollegen dort. Ich gesellte mich dazu, weil ich Hunger hatte, aber wenig Hoffnung, auf mehr als nur Käse zu stoßen. Deshalb war ich erstaunt, auch Gemüsepastetchen, vegetarischen Nudelsalat und jede Menge anderes Grünzeug vorzufinden. Das hatte es hier noch nie gegeben.
‚Ich bin im Himmel’, dachte ich und langte nach den Pasteten. Ohne nach einem Teller zu greifen, steckte ich mir eins in den Mund, drehte mich mit einem zweiten Stück in der Hand um, und prallte mit Markus zusammen. Die Brösel gerieten mir vor Schreck in die Luftröhre und ich hatte Angst, zu ersticken. Ich hustete, und spukte ihm die Hälfte der Pastete über den eleganten Anzug. Ich spürte, wie ich rot wurde, meine Augen tränten und ich rang nach Atem, was alles noch schlimmer machte. Am liebsten wäre ich ganz tief im Erdboden versunken, und nie wieder aus dem Loch hervor gekrochen.

Die Kollegen starrten mich an. Schon wieder war mir so etwas passiert!
‚Verdammt’, dachte ich und wünschte mich nachhause. Ich hustete und hustete. Und was tat er? – Er lachte und klopfte mir den Rücken!
„Na, ist ja nicht so schlimm“, murmelte er.
Eigentlich wollte ich folgendes sagen: „Ich zahle selbstverständlich die Reinigung.“
Brachte aber nur „Rgng“ raus.
Nach endloslangen Minuten hatte sich meine Luftröhre beruhigt und ich konnte wieder normal atmen.
„Haben Sie heute noch nichts gegessen?“, fragte er und ignorierte die Zuschauer. Er nahm einen Teller und belud ihn.
Ich dachte: ‚Oh Mann, der ist aber auch hungrig.’ Dann gab er mir den überladenen Teller und sagte: „Jetzt setzen Sie sich zu mir, essen etwas und beruhigen sich wieder. Das ist doch keine Affäre.“ Er wischte sich mit einer Serviette das Jackett sauber.

Da saß der Mann meiner Träume neben mir, und ich brachte nichts anderes als ein kleines „Danke“ über die Lippen. Warum war ich so schüchtern? Am liebsten hätte ich mir dafür einen Tritt verpasst!
„Sind die Pasteten so köstlich wie sie aussehen?“, fragte er, nachdem ich noch eins gegessen hatte. Ich konnte nur nicken. Plötzlich fielen mir keine passenden Worte ein – ich die Belesene, Schlagfertige war stumm wie ein Fisch!
„Darf ich?“, fragte er, und langte gleich zu. „Mhm, sind nicht schlecht“, sagte er anerkennend. „Aber mir ist ein saftiges Steak lieber.“ Er grinste über das ganze Gesicht, und ich starrte ihn entgeistert an. ‚Ein Fleischesser’, dachte ich deprimiert.
Stumm aß ich die restlichen Gemüsespeisen und traute mich nicht, etwas zu sagen. Mir gingen viele Sätze im Kopf herum, aber keiner schien mir passend zu sein. Also hielt ich den Mund.
„Wie gefällt es Ihnen“, fragte er nach einer Weile.
„Was?“ Ich war so in meinen Gedanken vertieft gewesen, dass ich erschrak als er redete.
„Ihre Arbeit, meine ich.“
„Naja.“ Ich spürte, wie ich rot wurde und hasste mich dafür.
Etwas unüberlegt sagte ich: „Manchmal ist sie langweilig.“
Verlegen heftete ich den Blick auf das Grau des Tisches, das war so ein Satz, der besser ungesagt geblieben wäre. Er hatte sich einfach so raus geschlichen, wie auch alles andere, was ich an diesem Tag noch sagte.
„Wie lange machen Sie das schon?“
„Zu lange.“ Wieso fragte er? Er konnte doch leicht in meine Personalakte reinschauen.
Dann herrschte eine sonderbare, fast kühle Stille zwischen uns.
„Sie stechen hier erfrischend aus der Menge“, meinte er ganz unvermittelt.
Ich sah mich um, und stellte fest, dass er Recht hatte. Es war mir noch nie sonderlich wichtig, mit dem Rudel zu laufen. Die Meinung anderer Leute ist mir meistens egal, zumindest arbeite ich daran.
Er sah mich über den Tisch hinweg mit seinen schönen Augen an.
Endlich fasst ich Mut und fragte: „Können Sie mir was über sich erzählen? Ich hätte nämlich schon gerne Ihren Lebenslauf gehört.“
Er wartete mit einer Antwort so lange, dass ich schon annahm, ich hätte ihn beleidigt. Doch dann sagte er: „Wollen Sie das wirklich wissen? Die ganze Wahrheit?“
Ich nickte. Er bedachte mich wieder mit diesem schwer definierbaren Blick. Endlich schien er zu einem Entschluss zu kommen, denn er sagte: „Ich werde sie Ihnen erzählen, aber nicht hier und nicht jetzt. Sie werden sich gedulden müssen, Tina.“ Seine Stimme hatte einen unangenehmen Tonfall bekommen. Dann stand er auf, und ging lachend auf die anderen zu. Ich saß alleine am Tisch und fühlte mich unbehaglich. Da war wieder der eigenartige Ausdruck gewesen, den ich schon einmal bemerkt zu haben glaubte.

Ich beobachtete Markus Brenner aus der Ferne. Er schien verändert zu sein. Sein Rücken war sehr gerade, er wirkte größer und eindrucksvoller. Warum war mir das nicht früher aufgefallen? Ein paar Mal fühlte ich seinen Blick auf mir ruhen.
Noch vor ein paar Stunden hätte ich mich darüber gefreut.
Jetzt verursachte es mir eine Gänsehaut.

Die gute Laune vom Montag war wie weggewischt. Ich fühlte ständig diese grünen Augen auf mir ruhen. Ich hatte das Gefühl, als ob sie mich aus der Ferne beobachten würden.

Das Wochenende verbrachte ich auf dem Fahrrad. Ich fuhr wie eine Wilde drauflos. Einfach so in der Gegend rum, bis ich abends müde ins Bett fiel.
Es half nichts.
Markus Brenner hatte sich in mein Hirn gebrannt.
Und dazu diese plötzlich auftretende Angst.
Was für ein eigenartiges Gefühl!
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