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In mir - aus mir

nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Die Prüfung
Am Montag lernte ich Markus Brenner dann von einer anderen Seite kennen. Er ging kühl an mir vorbei, eine Menge Akten in der Hand. Kurz vor der Bürotür rief er: „Frau Leiner – in mein Büro!“
Mich traf fast der Schlag, als er mich mit Familiennamen anbrüllte. Ich war wie gelähmt. Starrte vor mich hin und konnte keinen Gedanken fassen.
Als ich seiner Aufforderung nicht nachkam, brüllte er: „Dallidalli, ich hab nicht den ganzen Vormittag Zeit!“
Wie von der Tarantel gestochen sprang ich auf und eilte zu ihm. Ins Heiligtum der Abteilung. Hierher wurde man nur zitiert, wenn man einen Fehler gemacht hatte.

Ich spürte, wie mir die Angst die Kehle zuschnürte und der kalte Schweiß ausbrach.
Da stand ich nun und wusste nicht, was auf mich zu kommen würde.
Er schaute mich aus mitleidlosen grünen Augen an. Ich fragte mich, was mich dazu gebracht hatte, mich in den zu verlieben. Mit einem Schlag war die Liebe kalter Furcht gewichen. Das war kein liebenswerter Mensch, der da in beinahe obszön arroganter Haltung vor mir saß.
Der Schreibtisch wirkte wie eine Festung – und er war der Burgherr.
„Sie haben sicher schon davon gehört, dass Abteilungen zusammengelegt werden. Durch die Auftragsrückgänge brauchen wir nicht mehr so viel Personal in der Verrechnung.“ Er warf einen Blick in die Akten vor sich. Dann schaute er mich wieder an. Ich stand stocksteif da und fühlte, wie mir die Panik den Rücken hoch und runter kroch. Mein Blick heftete sich auf den Teppich. Ich versuchte die aufkommende Panik zu unterdrücken, mir schwante nichts Gutes. Aber ich schwieg noch.
„Ich habe den Eindruck, dass Sie sich hier nicht sehr wohl fühlen, und Ihr Umgang mit den Kollegen hat das bestätigt.“
„Nein“, unterbrach ich ihn. „Herr Brenner, das stimmt nicht.“
„Unterbrechen Sie mich nicht, ich bin noch nicht fertig!“
Mein Mund klappte zu. Ich war erschüttert und merkte, wie sich die erste Träne auf den Weg aus den Augen machte.
„Ich habe hier ihre Kündigungspapiere liegen.“ Er wies auf die Akten, dann sah er mich mit einem gemeinen Grinsen an. Ich versuchte ein Zittern zu unterdrücken. Es gelang mir nicht. Das Grinsen wurde daraufhin breiter. In seinen Augen leuchtete es kurz auf.
„Sie haben noch eine Chance, ihre Arbeit zu behalten.“
Er machte eine Pause, kramte in einem anderen Stoß Papiere und zog einen Zettel daraus hervor, den gab er mir.
„Tun Sie genau das, was da drauf steht, dann können Sie unter Umständen ihren Job behalten, und jemand anders muss gehen.“
Wieder dieses teuflische Grinsen. Ich nahm das Papier, las und die Tränen bahnten sich nun ungehemmt ihren Weg.
„Entscheiden Sie sich bald. Das Angebot gilt nur heute. – Sie können dann wieder an ihre Arbeit gehen. – Oder besser, Sie nehmen sich für heute Urlaub, damit sie sich vorbereiten können. Und hören Sie endlich auf zu heulen!“
Ich nickte teilnahmslos und wischte mir über die Augen. Dann ging ich auf dem schnellsten Weg nachhause.
Noch immer fühlte ich seinen Blick auf mir ruhen.
Nicht einmal daheim konnte ich mich davon befreien.
Er war an meinen Nacken gefesselt, und machte mir Angst.
Ich kauerte auf dem Sofa und drehte den Wisch in den Händen. Es war unglaublich, was da drauf stand. Ich zerknüllte ihn und warf ihn in den Müll.

„Nicht mit mir!“, rief ich laut. Ich sagte das als Mantra vor mich her, wie einen Schutzzauber, und kurzfristig ließ das Gefühl, beobachtet zu werden, nach.

Den ganzen Tag verbarrikadierte ich mich zuhause.
Ich lief immer wieder zum Fenster.
Schaute raus.
Nichts Auffälliges.
Aber das beruhigte mich nicht.
Meine Unruhe nahm immer mehr zu.
Gegen Abend steigerte sie sich beinahe ins Unerträgliche.
Ich ließ alle Roll-Läden runter und kauerte mich aufs Sofa. Das Handy hatte ich schon ausgeschaltet, weil es ständig läutete. Immer wieder dachte ich an das blöde Schreiben.
Die Worte hatten sich in mein Hirn gebrannt.
„Nein“, sagte ich laut, und das Bild vor meinen Augen verschwand. Dennoch ging mir der Arsch auf Grundeis. Wenn ich die Augen schloss sah ich diese grünen Augen auf mich gerichtet, die sich durch mich zu bohren schienen, mich fixierten und nicht mehr los ließen.

In der Wohnung war es stockdunkel. Ich traute mich nicht aufzustehen und Licht zu machen. ‚Warum habe ich nur solche Angst? Du bist doch sonst kein solcher Hasenfuß. Hosenscheißer!’, beschimpfte ich mich selbst und zitterte dabei wie Espenlaub. Ich drückte mich ganz tief in die Polster und schloss die Augen.

Ich musste wohl eingenickt sein, denn ein lautes Klopfen ließ hochfahren.
Das Herz hämmerte in meinem Hals, im Bauch, in der Leiste, im Kopf – nur nicht dort, wo es hingehörte.
Ich wartete.
Wieder klopfte es. Länger jetzt und heftiger.
Langsam stand ich auf und tastete mich zur Tür.
Ich versuchte durch den Spion etwas zu erkennen.
„Ich weiß genau, dass du da bist!“
Diese Stimme!
Den ganzen Tag über hatte ich sie leise im Ohr gehabt. Sie war genauso hart wie am Vormittag. Ich lehnte mich an die Wand und atmete schwer.
„Mach jetzt auf!“ Jedes Wort extra betont.
Wie ferngesteuert griff ich nach den Schlüsseln. Ich zögerte.
„Aufmachen!“
Und ich drehte den Schlüssel. Mit einem Ruck wurde die Tür aufgerissen und ich nach hinten geschleudert.
„Braves Kind – ich wusste, dass du öffnen würdest.“
Ich saß in meiner Diele und kämpfte mit den Muskeln. Sie wollten mir nicht gehorchen - zitterten nur. Er schloss die Tür und schaltete das Licht ein. Geblendet kniff ich die Augen zu.
„Steh auf!“, befahl er.
Ich saß da wie ein Kaninchen in der Falle. Grob zog er mich ins Wohnzimmer, und warf mich aufs Sofa.
„So! Du hast dich also für den harten Weg entschieden, das hätte ich dir nicht zugetraut.“
Er hatte die Hände in die Hüften gestemmt. Es war eine überlegene Haltung.
„Aber vielleicht macht es so mehr Spaß.“
Ich fasste den letzten Rest Mut zusammen, schaute ihn an und fragte: „Was wollen Sie von mir?“ Meine Stimme klang dünn und zittrig.
„Du wirst mir deinen Willen unterordnen.“
Seine Augen schienen von innen zu glühen. Das Zittern wurde heftiger. Ich drückte mich ganz fest in die Polster und spürte wie mir der Schweiß den Rücken runter lief. Einen Moment hatte ich den Eindruck, ein anderes Bild würde sich über ihn lagern. Es war erschreckend – ich schloss die Augen, wollte es nicht sehen. Ging jetzt die Fantasie mit mir durch?
Ein lautes Lachen ließ mich hochfahren.
„Ja, du siehst, wer ich bin.“ Er zeigte mir ein hässliches Grinsen.
„Ich will es nicht wissen! Lassen Sie mich in Ruhe“, forderte ich. Mein ganzer Körper bebte, er schien mir nicht mehr zu gehorchen.
Ich hatte das Gefühl gefangen zu sein.
Schwer kämpfte ich um jeden Atemzug.
Er lachte wieder. Laut und schallend – widerlich.
Ich fühlte mich wie in einem Alptraum aus dem es kein Erwachen gab.
„Du wirst mir nicht widerstehen können – du wirst mir gehören, ob du willst oder nicht. Meine Macht ist schrecklich!“
Es donnerte im Wohnzimmer.
Die Temperatur sank auf den Gefrierpunkt.
Meinen Atem nahm ich als Dampfwölkchen wahr.
„Ich habe dich erwählt – du bist die Braut der Dunkelheit!“
Die Kälte nahm noch mehr zu. Eis bildete sich.
Mit einem Schrei presste ich die Hände gegen den Kopf – er zersprang. Ich hörte einen schrillen Schrei, als Echo meines eigenen.
„Ha – du hast ihn gehört? Er gehört bereits mir.“
Ich hörte wieder diese andere Stimme in meinem Kopf: „Lass es nicht zu!“
Mich schauderte, und es lag nicht nur an der Kälte. Wieder sah ich den grauenhaften Echsenkopf. Flammendgelbe Augen schienen mich zu durchdringen, bis in mein Innerstes zu schauen. Ich fühlte mich ausgesaugt, leer und hohl.
Um nichts mehr hören zu müssen, presste ich die Hände an die Ohren und schrie. Ich kniff die Augen zusammen. Er verhüllte seine Gestalt, und ich sah wieder in das menschliche Gesicht. Wann hatte diese Veränderung stattgefunden? Und warum?
‚Warum?’ Nichts anderes konnte ich denken. ‚Warum, warum, warum?’
Jetzt hob er die Arme und stimmte einen disharmonischen Gesang an. Die Töne verursachten mir Kopfschmerzen, sie schienen sich überall hin auszubreiten. Zogen in meine Haut, brachten die Knochen zum Vibrieren und rissen meine Zähne. Machten mich taub. Ich hatte das Gefühl, als würde die ganze Körperflüssigkeit aus mir gezogen, alles in einem bestimmten Rhythmus. Sogar mein Herz schlug danach. Ich bekam Todesangst – rang nach Atem und lag bald röchelnd in einer Ecke meines Wohnzimmers. Das Kaninchen im Auge des Adlers, so sah ich mich.

Plötzlich war es wieder warm. Ich saß auf dem Sofa und fragte mich, ob ich das geträumt hatte. Nein – denn Markus hockte auf dem Couchtisch und starrte mich an.
War es Markus, oder – jemand anders? Ich wollte nicht an die schreckliche Gestalt denken, die ich gesehen hatte.
Erschöpft saß ich da und wurde die Panik nicht los. Was, wenn ich verrückt wurde?
„Ich bin wieder ich“, murmelte er und betrachtete seine Hände.
„War das ein Traum?“, fragte ich zögernd.
„Nein, es ist wirklich.“ Er klang müde.
„Herr Brenner, was ist das für ein – Ding?“ Ich kämpfte mit den Tränen.
„Es sind mächtige Wesen, die die Menschheit unterjochen wollen. Er ist noch jung, und hat mich trotzdem fest im Griff. – Sag wieder Markus zu mir.“
Ein Lächeln stahl sich kurz in meine Mundwinkel, und verschwand gleich wieder.
„Was will es, er?“
„Ich kann dir nur soviel sagen: Diese Wesen streben nach Macht. Sie brauchen die Menschen, um körperlich existieren zu können.“
„Wie konntest du ihm nur deinen Körper geben?“
„Das Angebot war zu verlockend.“ Er lachte bitter. „Schau mich nicht so entsetzt an, Tina. Jeder hat seinen Preis.“
„Oh, dem hättest du auch widerstanden – zumindest, nachdem du seine Augen gesehen hättest.“
„Ich weiß, was er dir befohlen hat. Warum hast du nicht mit mir geschlafen? Du hättest dir viel Ärger erspart – glaub mir, jetzt geht es erst richtig los.“
Er schaute mir unentwegt in die Augen. Sie waren normal. Ich konnte kein Glimmen darin entdecken.
„Ich lasse mich nicht erpressen. Wenn ich mit jemandem ins Bett gehe, dann weil ich das will, und nicht, weil es mir befohlen wird. – Schon gar nicht, wegen einem Job!“
Ich wurde wütend und schrie beinahe: „Hättest du es gekonnt? Für einen Job! Das ist ... mir fehlen die Worte dafür!“
Angewidert drehte ich mich zur Seite.
„Jetzt bin ich froh, dass er dich ausgewählt hat. Am Anfang war ich ärgerlich, aber jetzt freut es mich. Vielleicht kannst du doch etwas ausrichten.“
Seine Worte waren rätselhaft, und warfen mehr Fragen auf, als sie beantworteten.
Ich sprang auf und lief im Zimmer herum, während ich ihn anschrie: „Bist du verrückt! Zuerst lässt du dich von diesem Teufel übernehmen und dann soll ich etwas unternehmen! Ja sag mal – du hast doch nicht mehr alle Tassen im Schrank! Hau ab mit deinem Teufel und komm ja nie wieder!“
Er starrte betrübt zu Boden. Ich war versucht Mitleid mit ihm zu haben. Dann dachte ich an den Morgen, und dass er gewusst hatte, was von mir verlangt worden war.
Mein Blick wurde hart. „Hau ab!“
Seine Stimme änderte sich. Es war nur eine Nuance.
Ich fühlte eine eisige Hand über meinen Rücken fahren.
„Du willst also nicht?“ Er stand auf und kam zu mir ans Fenster.
Ohne mich zu berühren, drehte er mich um. Mein Gesicht hob sich.
Ich war gezwungen, ihm direkt in die Augen zu sehen.
Er hielt mich gefangen. Meine Augen tränten. Ich hatte das Gefühl, wieder sondiert zu werden. Verzweifelt versuchte ich mich zu wehren. Markus hatte gesagt, dass dieses ein junges Exemplar ist. Wie stark würde es sein, wenn es älter wurde? Übelkeit stieg in mir hoch. Aber er ließ mich nicht los.
Plötzlich spürte ich seine Gedanken in meinem Kopf.
„Du wirst Nachkommen tragen – eine neue Rasse wird entstehen. Du wirst dich nicht dagegen wehren, die Amme für die Jungen zu werden.“
In mir entstand das Bild lauter kleiner Echsenköpfe mit menschlichen Zügen.
„Nein!“, brüllte ich. Es war das letzte Wort, das meine Lippen, für eine lange Zeit, verließ.
Er drehte sich um, murmelte irgendetwas, und mein Mund schien nicht mehr zu existieren. Ich fuhr mit der Hand darüber, spürte die Lippen, aber ich brachte sie nicht auseinander.
Dann hatte ich wieder seine Stimme im Kopf: „Du wirst nicht mehr sprechen! Erst, wenn ich es dir erlaube, wirst du den Mund öffnen können!“

Wie von Sinnen hantierte ich in meinem Gesicht herum. Ich kratzte mir die Lippen blutig. Blut vermischte sich mit der salzigen Nässe der Tränen.
‚Nein! Du wirst mich nicht als Brutkasten benutzen!’, dachte ich verzweifelt und wütend.
Er fuhr herum.
Starrte mich aus funkelnden Augen an.
Ich hatte seine Gedanken erreicht!
„Diese Späßchen werde ich dir noch austreiben. Du bist nichts wert! Nur eine leere Hülle, so wie der, den ich übernommen habe. Was denkst du, was die Menschen alleine geschafft hätten? – Nichts! Ohne unsere Hilfe seid ihr nichts – wertlose Geschöpfe, die schon längst der natürlichen Selektion zum Opfer gefallen wären, wenn ihr uns nicht hättet.“
Er festigte seinen mentalen Griff und dirigierte mich ins Schlafzimmer. Wie eine Schlafwandlerin ging ich, öffnete die Tür und blieb dann stehen.
„Siehst du, du gehörst doch schon halb mir? Wieso nicht ganz?“ Seine Stimme klang fast sanft. Dann hörte ich eine weitere Stimme in meinem Kopf. Aber sie war so leise, dass ich sie nicht verstand. Ich verstand nur „Vereinigung“.
Ich würde nichts von dem tun, was dieses Monster von mir verlangte!
Was bildete sich dieses schauderhafte Ding eigentlich ein!
Bezeichnete mich als Hülle!
Mit einer Willensanstrengung, die dem Kraftakt eines Panzers glich, drehte ich mich um. „Nein!“, ließ ich meine Gedanken brüllen. „Nein!“ Das wiederholte ich sooft, bis mir eine Faust ins Gesicht schlug. Ich fiel.

Im Bett kam ich zu mir.
Mir schwamm alles vor Augen.
Die Welt drehte sich.
Mir war kalt – eiskalt!
Dann bemerkte ich, dass ich nackt war. Ich wurde zornig. Was bildete sich der Kerl eigentlich ein, mich einfach auszuziehen, wenn ich bewusstlos war?
‚Jemand schlagen, der schwächer ist als man selbst – was für eine Leistung und dann auch noch ausziehen!’, höhnte ich in Gedanken. Irgendwie war es mir gelungen, eine Gedankenverbindung mit dem Echsentypen aufzubauen.
Er machte sich nicht mal die Mühe, mich anzusehen. Starrte über mich weg die Wand an.
Es wurde wieder kälter. Mit der Kälte verdrängte die Angst meine Wut. Der Zorn hatte mir Kraft gegeben. Damit war es vorbei. Ich begann zu zittern und schwitzte gleichzeitig.
Meine Blase machte sich selbständig.
Ich pinkelte ins Bett.
Ich hatte die Kontrolle über meinen Körper verloren!
Er hatte mich mit seinen Gedanken in der Hand.
Grinsend drehte er sich um.
„Du siehst, ich kann alles mit dir machen“, sagte er, diesmal mit der Stimme von Markus.
‚Nicht alles’, dachte ich. ‚Meine Gedanken kannst du nicht kontrollieren!’
„Du wehrst dich noch immer? Schön!“
Er schien es zu genießen. Ich lag da in meinen eigenen Ausscheidungen und konnte nicht mal den kleinen Finger rühren. In mir herrschte Panik. Wenn ich schreien hätte können, hätte ich nicht mehr aufgehört damit. Ich wollte mich wehren! Wollte schlagen, beißen, kratzen, treten!
Er las es von meinem Gesicht ab, oder in meinen Gedanken.
„Ja, wehr dich – mach das Spiel spannender!“, spottete er.
Dann senkte er die Temperatur noch ein wenig.
Wieder bildete sich Eis.
Ich spürte meinen Körper nicht mehr.
Hatte ich überhaupt einen?
Dann hörte ich Markus: „Lass ihn nicht …“
‚Was?’, dachte ich verzweifelt und versuchte ihn zu erreichen. Aber er war weg.
„Ich denke, ich werde dem Mann etwas mehr Respekt beibringen müssen, wenn er sich hier dauernd einmischt.“
Jetzt ging er langsam ums Bett herum. Er fixierte mich mit seinem Blick. Ob ich wollte oder nicht, meine Augen verfolgten jede seiner Bewegungen. Er bewegte sich mit der anmutigen Grazie eines Raubtiers. Die Beute lag schon griffbereit neben ihm, jetzt konnte er sich genüsslich ans Fressen wagen.

‚Lass mich los!’, bettelte ich.
Als Antwort wurde der Griff verstärkt. Er fasste jetzt um meinen Hals. Ich brachte ein leises Stöhnen heraus.
‚Nein! Hör auf, bitte, hör auf! Ich bekomme keine Luft! Hör auf!’ Ich winselte immer mehr.
„Was bekomme ich dafür?“
‚Ist das dein Angebot? Mein Leben?’
„Du hast es erfasst. Schlaues Mädchen. – An deiner Stelle würde ich rasch entscheiden. Deine Lippen laufen schon blau an.“
Er stand nur da, die Hände an die Seiten gestemmt und zwang mich, ihm in die Augen zu sehen. Ich war völlig bewegungslos!
Hilflos!
Meine Gedanken rasten – leben oder sterben. Leben oder sterben …
„Du hast nicht mehr lange, Mädchen, dann ist deine Zeit um.“
‚Zeit. Bitte.’ Ich flehte.
Er blieb hart.
Als ich schon fast am Ersticken war, nahm ich sein Angebot an.
Fast sofort lockerte er den Griff. Mein Hals war wieder frei.
‚Lass mich die Lippen öffnen’, bat ich weiter. Ich hatte das Gefühl, als hätte sich die Zunge am Gaumen festgeklebt. Ich zitterte noch immer. Das Laken unter mir war eisig, von Schweiß und Urin. Noch nie in meinem Leben war ich so erniedrigt worden, so ausgeliefert gewesen. Ich sah keine Möglichkeit zu entkommen. Was konnte ich ihm entgegen setzen?
Meinen Willen?
Sein Grinsen wurde breiter, als ich so bettelte. Er änderte aber nichts an meinem Zustand.

So musste ich ausharren.
Von Gedanken gefesselt und geknebelt.
Ich war so müde und fühlte mich geschunden, missbraucht.
Mit der Zeit stellte sich Durst ein. Ich spürte, wie die Lippen trocken wurden. Jeder Versuch, sie mit der Zunge zu befeuchten, endete in einem Panikanfall.
„Je mehr du zu schreien versuchst, desto schlimmer wird es werden“, belehrte er mich.
‚Du hast mich doch schon! Warum lässt du mich dann nicht frei?’
Als Antwort wurde der Druck auf meinen Geist gesteigert. Rasende Feuerbälle schienen sich durch die Windungen zu bohren. Dann war es vorbei.

Als ich wieder zu mir kam, lag der Mann neben mir. Er hielt meine Hand und starrte mit leeren Augen an die Decke.
Mir war kalt.
Ich zitterte.
Das feuchtkalte Laken klebte an mir.
Es stank nach Schweiß und Urin.
Ich hatte das Gefühl, gleich kotzen zu müssen und setzte mich auf.
Aber er hielt mich zurück.
„Steh nicht auf, du würdest sofort umfallen – und ihn wecken.“
„Bist du das, Markus?“ Ich konnte reden. Vor Erleichterung kamen mir die Tränen.
„Du musst ihn mehr angestrengt haben, als er dachte, weil er sich zurückgezogen hat. In letzter Zeit hat er mir nicht viel Raum gelassen.“
„Ich möchte mich nur waschen, und das dreckige Zeugs wechseln. Mir ist so kalt.“ Dabei klapperten meine Zähne.
„Bleib liegen. Ich werde dir helfen.“
Ich ließ zu, dass er das Laken wechselte und meinen Rücken wusch. Die Decke zog ich bis zum Kinn hoch, mich fror immer noch.
„Wenn du erlaubst, werde ich dich wärmen“, erbot er sich.
Er steckte die Decke um mich fest und nahm mich dann in den Arm.
„Bleib still liegen. Rühr dich so wenig wie möglich. Wenn er denkt, dass wir schlafen, dann lässt er uns vielleicht etwas länger in Frieden.“
„Wie lange dauert das schon?“
„Heute? Noch nicht lange. Ein paar Stunden, vielleicht. Es ist noch nicht Mitternacht. – Was die Welt angeht – schon viele, viele Jahre, wenn nicht sogar Jahrhunderte, Jahrtausende.“
Ein paar Stunden! Mir kam es wie Tage vor.
„Wer ist er?“
„Ein kleiner Warlord, der sich emporarbeiten will“, erklärte Markus, seine Stimme klang bitter. „Er versucht die Macht der Mächtigen herauszufordern. Jetzt sucht er die Königin und du bist der Preis.“
„Warum hat er sich gerade jetzt zurückgezogen? Ich hatte ihm nichts mehr entgegen zu setzen.“
„Ich weiß nicht, vielleicht will er länger mit dir spielen, oder du hast ihn müde gemacht. – Müde – ich bin selbst so müde.“
Ich zitterte. Die Kälte war mir bis in die Knochen gekrochen. Selbst die warme Decke und der an mich geschmiegte Körper vermochten nicht, sie zu vertreiben.
„Versuch zu schlafen. Er wird bald wieder kommen.“
Er strich mir durchs Haar. Ich hatte das Gefühl, gleich losheulen zu müssen.
Ich konzentrierte mich auf die Atmung, und versuchte schöne Bilder zu sehen. Aber immer tauchte der Echsenkopf vor meinen Augen auf. Irgendwann muss ich wohl doch eingeschlafen sein. Markus rüttelte mich wach. „Schnell, Tina – Augen auf – und …“
Dann stand „Er“ wieder da. Er fixierte mich vom Fußende des Bettes aus. Ich fühlte seine mentale Berührung.
Die Lähmung war wieder da.
Ich lag im Bett wie festgeklebt.
„Genug der Pause. Wir zwei sind noch lange nicht fertig.“
„Warum tust du das?“ Diese Frage ging mir nicht aus dem Kopf. Immer nur „Warum?“
„Weil ich es kann!“
Ich wollte zittern. Trotz der Lähmung spürte ich die Kälte überall. Er hatte mir die Decke wieder genommen und starrte nun auf meinen nackten Körper. Ich hatte kein Gefühl mehr für meine Konturen. Es schien, als ob ich mich über das ganze Bett verteilen würde.
„Ist dir kalt?“
Ich antwortete nicht. Er musste sehen, dass ich am Erfrieren war. Sein Grinsen wurde noch teuflischer. Dann sagte er einfach: „Dem kann abgeholfen werden.“
Er machte eine Handbewegung.
Und ich war – woanders.
Es war heiß. Ich lag auf grobem Sand. Eine blass gelbe Sonne briet vom Himmel. Ich hatte das Gefühl, gegrillt zu werden.
Meine Haut wurde schon rot, dann begann sie Blasen zu werfen.
„Steh auf und lauf!“ Es war ein Befehl. „Lauf!“
Ich stand auf und lief.
Immer gerade aus.
Es war keine irdische Wüste. Sie war vollständig eben. Der Horizont verschwamm in der Ferne und bildete eine zittrige Linie zwischen Wüste und Himmel.
Ich lief, bis ich die Beine und Füße nicht mehr spürte.
Schritt für Schritt – immer weiter.
Die Sonne schien unbarmherzig.
Schweiß perlte auf meiner Haut und brachte die Blasen zum Platzen. Die austretende Flüssigkeit öffnete weitere Blasen. Mein Körper war eine einzige Wunde. Fliegen begannen um mich herum zu summen. Ein unheimlicher Lärm in der Stille.
Ich stolperte und fiel. Meine Kraft war zu Ende. Ein Stück kroch ich am Boden dahin. Das scheuerte meinen Bauch auf. Blut färbte den Sand rot. Es war mein Blut. Ich blieb reglos liegen. Mein Kopf schmerzte. Die Hitze schien mein Hirn verflüssigt zu haben. Ich wollte schreien, brachte aber keinen Ton heraus. Nun begannen die Fliegen auf meinen Wunden zu landen. Sie krabbelten auf mir herum und legten ihre Eier in mich.
Ich kämpfte mich wieder auf die Füße – strauchelte – landete auf den Knien – stand wieder auf und wankte weiter.
Sofort ließen die Fliegen von mir. Lange würde ich nicht mehr gehen können. Mein Mund war ausgedörrt. Die Lippen aufgeplatzt und blutig. Die Augen brannten, als wären sie mit Säure verätzt. Alles drehte sich. Schritt für Schritt. Immer ein Fuß vor den anderen, langsam wankend ging ich weiter. Stundenlang, so schien es. Es gab mich nicht mehr, nur die Wüste und Füße, die sich im Sand vorwärts bewegten. Immer zu hörte ich eine Stimme, die mich auslachte.
Ich war am Ende – fiel. Fliegen krochen auf mir und in mich.
Ich schrie einen tonlosen Schrei, der nicht enden wollte.

Dann zerfiel ich zu Staub und …

fand mich zitternd im Bett wieder. Ich dachte, ich würde in Stücke gerissen, zerhackt.
Der Schrei hallte in meinem Kopf.
„Nein – nein – Herr, hör auf“, hörte ich eine Stimme flehen.
„Bitte!“ Die Stimme wurde unterdrückt.
„Ich soll aufhören? Jetzt, wo sie bald so weit ist?“
„Bitte!“, wieder dieses Flehen.
Ich lag da und hörte sie in meinem Kopf. Meine Ohren waren taub, abgestorben, erfroren oder verbrannt. Ich spürte weder Herzschlag noch sonst etwas. Dann dachte ich, ich wäre gestorben.
‚Aber wenn ich tot bin, warum sollte dann noch jemand um mein Leben bitten?’, fragte ich mich. ‚Wieso fühle ich dann nichts? Wo bin ich?’ Ich bekam wieder Angst. Vorhin hatte ich rasende Schmerzen gehabt, Schmerzen, wie ich sie mir nicht mal im Traum vorstellen hätte können. Und jetzt dieser Eindruck von Körperlosigkeit.
Langsam wurde ich mir wieder meiner Umgebung bewusst. Ich konnte sehen, wenn ich die Augen öffnete. Ich konnte hören.
Ihn sah ich am Fenster stehen. Er hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt, und sah auf die Straße hinaus.
Ich war nach wie vor gelähmt und geknebelt durch seinen geistigen Griff. Er wurde stärker, das merkte ich, weil er mich nicht einmal ansah.
„Du bist stark“, sagte er. So etwas wie Anerkennung klang in seiner Stimme mit. „Du wirst eine hervorragende Amme sein.“
‚Nein!’, brüllte ich in Gedanken. ‚Sie werden mich nicht fressen, wie die Fliegen! Nein!’
„Du wehrst dich ja immer noch.“ Er schien erstaunt zu sein.
„Sie werden dich nicht fressen – zumindest nicht gleich. Du wirst lange mit ihnen im Körper leben. Es wird ein gutes Leben sein. Du wirst keinen Mangel leiden.“
‚Wenn es so gut ist, wie du sagst, warum quälst du mich dann so?’
„Ich sagte bereits, weil ich es kann.“
Er drehte sich zu mir um, schaute mich forschend an und fragte ungewöhnlich sanft: „Soll ich dir deine Stimme wieder geben?“
‚Ja!’
Ein kurzes Blinzeln und ich konnte schreien. Der Schrei, der in der Wüste begonnen hatte, bahnte sich seinen Weg. Ich schrie und tobte. „Nein, du Arschloch! Nein! Nein! Nein! Verdammt noch mal!“
„Ich werde dich wieder verstummen lassen, wenn du nicht aufhörst!“
Er baute sich drohend neben mir auf. Ich sah die Wahrheit in seinem Gesicht.
Der Schrei erstarb auf meinen Lippen.
„Lass mich bitte aufstehen. Gib mir die Kontrolle über meinen Körper zurück.“
„Nein.“ Das war endgültig.
Ich weinte und bettelte. Es beeindruckte ihn nicht. Er schien sich sogar darüber zu amüsieren.
„Du solltest dich ausruhen. Bald wird die Königin eintreffen.“
„Lass mich mit Markus reden.“
„Warum?“
„Weil ich dich darum bitte.“ Ich weinte, fühlte mich ausgeliefert, allein, hilflos.
Die Schmerzen kamen und gingen in Wellen, sie wechselten sich mit dem Gefühl von Kälte und Hitze ab. Einmal schien es so kalt im Zimmer zu sein, dass sich überall Eis hätte bilden müssen. Dann hatte ich wieder das Gefühl Blasen von der Wüstenhitze zu bekommen. Bis dieser Eindruck von rasenden Schmerzen abgelöst wurde. Ich stöhnte und wimmerte.
Jemand setzte sich neben mich.
„Ich bin wieder da“, sagte Markus. Ich sah, dass er meine Hand hielt, fühlte aber nichts.
„Was geschieht hier?“, fragte ich matt. Ich fühlte mich ziemlich am Ende.
„Die Königin wird bald eintreffen. Sie wird dich entweder akzeptieren oder dich ablehnen. Ich hoffe, dass sie dich annimmt, denn dann hast du noch eine Chance, zu entkommen.“
Ich war verwirrt. Ich konnte doch nichts tun. Er wartete keine Antwort ab, sondern fügte rasch hinzu: „Glaub nicht alles, was du siehst und hörst. Wehr dich weiter. Lass sie nicht gewinnen.“
„Warum?“
„Tu es einfach. Versprichst du es?“ Er sah mich forschend an, als ich nichts sagte, fuhr er erklärend fort: „Das ist kein Leben für einen Menschen. Die meisten merken gar nicht, dass sie übernommen worden sind. Sie denken, so ist das Leben.“ Er seufzte resigniert. „Versprich es“, drängte er weiter. Also versprach ich es.
„Er kommt wieder.“
Es war sonderbar zu beobachten, wie sich der Körper neben mir veränderte, ohne sich wirklich zu verändern. Er schien größer zu werden, mächtiger.
Das war’s dann. Die verfluchte Echse war wieder da.

Langsam gewöhnte ich mich daran, dass ich meinen Körper nicht wahrnahm. Die Schmerzen waren wieder verschwunden. Ich fühlte eigentlich nichts, schien nur aus Gedanken zu bestehen. Man kann sich das fast als Wachkoma vorstellen, nur konnte ich jetzt reden und das wollte ich ausnutzen.
„Wie heißt du?“, die Frage war mir entschlüpft, noch bevor ich nachdenken konnte.
„Nestor. Aber du wirst mich mit Herr ansprechen.“
„Mir gefällt Nestor besser.“ Ich verstand mich selber nicht. Woher nahm ich die Courage, ihm zu trotzen? Es war nur eine Frage der Zeit, bis er mit einem neuen Spiel beginnen würde. Töten würde er mich nicht, davon war ich überzeugt, er wollte mich doch für die Königin.
Er lachte schallend und griff mit seiner mentalen Hand nach meinem Hals.
Langsam, ganz langsam drückte er zu.
„Ich bin dein Herr, hast du verstanden.“
Seine Augen waren zu schmalen Schlitzen geworden, aus denen gelbe Blitze schossen.
Ich schnappte nach Luft. Dann ließ er wieder locker.
„Nestor“, sagte ich stur. Ich kann sehr starrsinnig sein, wenn mich jemand gegen den Strich bürstet. Und dieser Nestor reizte mich geradezu. Auch wenn ich wusste, dass er am längeren Hebel saß; gerade deswegen, wurde ich noch zorniger, mutiger. Ich wollte es diesem Feigling nicht noch leichter machen.
„Du wirst es lernen. – Spätestens wenn deine Herrin hier ist, wirst du wissen, wie du dich zu benehmen hast.“
„Arschloch“, presste ich zwischen den Zähnen hervor. Das Wort stand für sich – allein. Es hallte nach und prallte auf mich zurück, als er mein Sprachzentrum abschaltete.
Damit hätte ich rechnen müssen.
Ich würgte leere Luft hervor. Die Schimpfworte verklangen im Nichts.
„Wie ich sehe, hast du dich erholt. Dann können wir ja weiter spielen. Es ist Zeit, dir gute Manieren beizubringen – und Respekt.“
Er gab mir mein Körperbewusstsein zurück, damit kehrten auch die Schmerzen wieder. Ich wollte stöhnen, jammern, schreien … und brachte nichts aus meinem Mund. Das Herz wurde mir rausgerissen. Ich fühlte es im ganzen Körper pochen und hämmern. Dann drückte er mir wieder die Kehle zu. Ein teuflisches Grinsen sprang mir ins Gesicht. Ich versuchte mich zu wehren, spannte meine Armmuskeln an, stemmte dagegen.
Unaufhaltsam kamen meine Hände näher an den Hals.
Dort angekommen, drückte ich mir selbst die Luft ab.
Immer fester schlossen sich meine Finger.
Ich spürte, wie meine Augen hervorquollen.
Das Blut in den Schläfen hämmerte in rascher Folge. Er ließ meinen Körper nach seinem Willen tun! Ich war panisch. Was konnte er sonst noch mit mir anstellen?
‚Alles’, war die bittere Erkenntnis.
Ich versuchte eine Gedankenverbindung herzustellen. Es fiel mir nicht leicht, weil ich keine Luft bekam und meine Hände immer fester zu drückten.
‚Hör auf! Bitte!’ Wieder bettelte ich. Aber scheinbar nicht genug.
„Was hast du gesagt?“ Er verhöhnte mich. Ich wusste es. Er würde mich so lange zudrücken lassen, bis ich das Wort gesagt hatte.
‚Bitte!’ Er tat, als hörte er mich nicht und verstärkte den Druck. Bald würde ich das Bewusstsein verlieren, und sterben.
‚Herr’, zwang ich mich schließlich zu denken.
„Einen schönen ganzen Satz, Mädchen. Sonst hat das Ganze doch keinen Sinn. Wir wollen ja was lernen.“
‚Lass mich bitte los, Herr.’ Jetzt war es heraußen. Er ließ los. Meine Hände fielen schlaff auf die Seite. Ich weinte vor ohnmächtiger Wut.
„Braves Mädchen. Mit etwas gutem Willen, hat noch jeder Manieren gelernt.“
Er schritt selbstgefällig zwischen Wohnzimmer und Schlafzimmer hin und her und dozierte über manierliches Verhalten. Ich hörte ihm nicht zu. Für mich war er ein elender Feigling, der sich an Schwächeren vergriff. So was habe ich immer schon gehasst.

Plötzlich läutete es an der Wohnungstür.

Mir wurde wieder abwechselnd heiß und kalt. Die Schmerzen waren abermals gekommen und dann auf ein erträgliches Maß gesunken. Er hatte meinen Körper noch immer unter Kontrolle. Jetzt kam er mit einer alten Frau herein. Das musste die Königin sein. Ihre Gestalt konnte ich nicht genau erkennen, weil immer wieder ihre Echsengestalt in den Vordergrund trat. Sie kam auf mich zu. Nestor hielt mich mit seinem Willen fest. Ich hatte das Gefühl, als würde er auf meinem Brustkorb sitzen.
Sie kam mit ihrem Gesicht ganz nah an meins heran. Ich spürte ihren Atem. Sie zwang mich, ihr tief in die Augen zu schauen.
Ich sah in zwei schwarze Löcher, die mich einsaugten.
Ich fiel ins Bodenlose.
Nestor zwang mich, die Augen offen zu lassen. Am liebsten hätte ich sie geschlossen. Einen Moment brachte ich es fertig, zur Seite zu schauen. Dann wurde ich in das schwarze Loch gezogen.

Absolute Dunkelheit umgab mich – und Stille. Es war eine Stille, die man fast greifen konnte. Hier gab es nichts, keine Gefühle, keine Körper. Meine Gedanken lagen nackt vor ihr. Ich konnte sie sehen – eine große Echse: goldgelb, schlank und wendig. Spitze Zähne und eine gespaltene Zunge ragten aus ihrem Maul. Meine Gedanken wurden gekaut, verdaut und wieder ausgespukt. Nach einer schier endlosen Zeitspanne, wurde ich zurück an die Oberfläche gezerrt. Das Licht im Zimmer blendete mich, obwohl es gedämpft war.
„Na, was meinst du?“, frage Nestor und blickte die Frau an.
Sie nickte und meinte dann: „Gib sie mir. Ich mag den alten Körper nicht mehr. Er war gut genug zum Üben, aber jetzt brauch ich eine neue Herausforderung. Wenn sie richtig gezähmt ist, wird sie eine gute Amme sein.“
Wut stieg in mir hoch. Ich fühlte sie als heißes Brennen im Kopf. Ich sandte meine Gedanken in alle Richtungen. ‚NEIN! Ihr werdet mich nicht benutzen! Freiwillig gebe ich mich nicht her! Ihr verdammten Scheißkerle!’
Ich hatte den Gedanken kaum zu ende gedacht, als eine Hand klatschend mein Gesicht traf. ‚Mach nur weiter! Beschädige deinen Wirt’, forderte ich sie auf. Ich war so zornig. Dabei dachte ich, ich wäre es vorhin schon gewesen. Aber diese Arroganz trieb mich zur Weißglut.
„Kannst du ihre Gedanken nicht kontrollieren?“, fragte die Frau bissig.
„Noch nicht. Sie ist sehr zäh. Zäher als die meisten Menschen. Aber ich denke, dadurch umso interessanter.“
„Du könntest Recht haben, Nestor, mein Lieber.“
Sie schaute von mir zu Nestor und dann wieder zu mir. Dann traf sie eine Entscheidung und sagte: „Ich werde sie kontrollieren. Gib sie mir.“
Nestor setzte sich auf mich. „Es geht los. Ich lasse jetzt aus. – Und wehe von dir kommen irgendwelche Mätzchen. Wenn du gedacht hast, ich hätte Fantasie, dann hast du deine Herrin noch nicht kennen gelernt.“
Mit einem Ruck gab er meinen Körper frei. Ich rang nach Atem. Alles in mir brannte und schrie, brach und riss. Die Schmerzen wurden mit jedem Mal stärker. Ich begann eine Verschmelzung herbei zu sehnen. Ich bäumte mich auf, versuchte das Gewicht ab zu schütteln, das mich am Atmen hinderte. Schrie aus Leibeskräften, jeden verdammten Fluch heraus, den ich kannte.
Die Frau lachte, während Nestor versuchte, mich unten zu halten. Aber ich wollte mich wehren. Jetzt war eine gute Gelegenheit, denen zu zeigen, dass sie mich nicht so einfach bekommen würden. Ich wollte mich nicht von so einem verdammten Echsending übernehmen lassen. Sollte der Rest der Menschheit ruhig mit denen verbunden sein – ich nicht! Meine Wut half mir, die Schmerzen zu ertragen. Gerade als ich dachte, jetzt könnte ich ihn von mir stoßen, fühlte ich eine geistige Berührung.
Ich erstarrte förmlich.
Die Berührung war Eis – gefrorener Stickstoff.
Ich sank zurück, wurde gelähmt. Alles bis auf das Schmerzzentrum wurde lahm gelegt. Schreien wollte ich, vor Wut heulen.
Ich wollte kratzen, beißen, treten – töten.
Und war doch hilflos.
Ausgeliefert.
„Nestor, du bist vielleicht ein Schatz.“ Sie schnurrte beinahe. „So viel Kraft steckt in der da. Wir werden noch viel Spaß haben.“
Ich sah, wie sie sich zu ihm umdrehte und ihn anerkennend musterte.
„Du hast dir einen hübschen Wirt ausgesucht. Sehr attraktiv. Wird Zeit, dass ich mich auch dementsprechend verändere.“
Nestor stellte sich vor den Wandspiegel und betrachtete sein Spiegelbild, eigentlich war es das Bild von Markus und der war wirklich attraktiv. Das musste ich selbst in meinem derzeitigen Zustand zugeben.
Während ich versuchte, nicht verrückt zu werden, redeten die beiden über das Aussehen der Wirte und was ihrer Meinung nach alles wichtig wäre. Sie wollte eine eigene Dynastie gründen. Dabei sollten wir ihr dienen.
‚Blöde Kuh’, schoss kurz durch meinen Kopf, schnell unterdrückte ich den Gedanken. Ich wollte nicht ihre Aufmerksamkeit erregen.

Mein Kopf drohte zu platzen. Ich hatte das Gefühl, als würde ich aus allen Poren und Körperöffnungen bluten.
Wieder war ich in der Wüste. Warum hatte sie mich dorthin geschickt? Ich war ruhig gewesen, hatte versucht, nichts zu denken.
Verzweiflung bohrte sich in mich. Wie ein scharfes Messer, durchschnitt es die Trennlinie zwischen Realität und Einbildung. Ich wusste nicht mehr, wer ich war oder wo ich war.
„Tina“, hörte ich jemanden rufen. Ganz leise. „Tina!“ Da war es wieder. Ich hob den Kopf vom Sand und schaute in die Richtung aus der das Rufen kam. „Wach auf! Bitte.“ Die Stimme war drängend. Ich war doch wach. Oder etwa nicht? Was war wirklich?
„Wach auf.“
„Du bist nur in meinem Kopf. Eine Fantasie, wie alles hier“, versuchte ich mir einzureden.
„Nein! Es ist wichtig! Wach auf, bitte. Ich habe nicht viel Zeit!“ Er schien der Verzweiflung nahe, als er das sagte. Also tat ich ihm den Gefallen und öffnete die Augen.
Ich lag im Bett, wurde von Schmerzen geplagt und fühlte die eisige Berührung der Königin. Fremde Gedanken kreuzten meine.
‚Gut, du bist wach.’
‚Nichts ist gut’, erwiderte ich barsch, ohne zu wissen, wer da sprach. Es interessierte mich nicht. Ich hielt alles für Einbildung, zumindest zu dem Zeitpunkt.
‚Du darfst dich nicht in der Wüste verlieren. Bitte, denk dich nie wieder an einen warmen Ort! Dort wirst du mit Sicherheit sterben.’
‚Was wäre so schlecht daran? Für mich wäre es eine massive Verbesserung – keine Echse, keine Schmerzen – nur Ruhe.’
‚Was dich dort erwartet, wenn du dich verlierst, lässt sich nicht beschreiben. Dagegen sind die Leiden in der Hölle der reinste Kindergeburtstag.’
Dann war er weg.
Ich war mit meinen Schmerzen alleine.
Konnte mich nicht mal bewegen, um mir Erleichterung zu verschaffen.
‚Bitte, gebt mich frei, nur für eine Minute. Ich halte das nicht mehr aus’, quengelte ich.
Es kam keine Antwort. Lange Zeit musste ich ausharren. Meine Körpersteuerungen waren gefesselt und geknebelt.
Mein Wille schmolz dahin – wie Eis im Sommer.

Ich weinte lautlose Tränen. Wünschte mir sogar den verhassten Nestor herbei. Ich konnte diese Stille nicht mehr ertragen. Watte in den Ohren. Schmerz, der meinen Körper fraß. Voller Gier schien er jede Faser zu verspeisen, daran zu ziehen und ewig zu kauen. Meine Knochen wurden zu Mehl gemahlen. Meine Muskeln zu Brei gequetscht. Die Organe verflüssigt und das Blut verdampft.
Ich war wieder in der Wüste.
‚Nein!’, rief ich in Gedanken.
Dann stand Nestor neben mir. In seiner Echsengestalt. Er hob mich hoch und trug mich fort. Dabei sagte er: „Ich spreche zu deinem Unterbewusstsein. Halte dich fest.“
Er brachte mich an einen freundlicheren Ort.
„Was willst du?“, fragte ich bissig.
„Ich kann dir nicht alles erklären. Es ist zu wenig Zeit, selbst für mich. Zara wird sonst dahinter kommen, dass ich ein falsches Spiel treibe. Sie ist tatsächlich ein Abkömmling der alten Könige. Ich muss sie beseitigen, bevor sie ihre volle Macht entfaltet. Hilf mir, die Menschen von diesem Joch zu befreien.“
Ich konnte es nicht glauben. Da lag ich in den Armen einer Riesenechse, die noch vor einigen Minuten mein Feind war, und nun sagte mir dieser, dass ich vor ihm keine Angst zu haben brauchte, ja sogar, ihm helfen sollte.
„Warum ich?“
„Ich habe dich ausgewählt, weil ich dich für stark genug halte. Bis jetzt hast du dich als stark genug erwiesen.“ Er lächelte geheimnisvoll. Aber ich traute ihm nicht so recht.
„Ich möchte mit Markus reden“, verlangte ich.
„Markus kann nicht weg. Er muss den Körper aufrechterhalten und den Anschein erwecken, als wäre ich in ihm.“
„Warum?“
„So viele warum, Mädchen. Nur soviel. Wenn Zara dahinter kommt, sind wir alle tot. Lass dir das gesagt sein: In dir ist eine Kraft, die selten in Menschen zu finden ist. Ich habe das bei unserer ersten Begegnung gespürt. Nutz sie, halte Zara auf Trab. Beschimpf sie in deinen Gedanken. Wehr dich gegen ihre Berührung. Du kannst es, gegen mich hast du dich erfolgreich gewehrt.“
„Ha! Du hast mich auch jetzt noch gut im Griff.“
Ich wollte nicht in diese internen Machtkämpfe gezogen werden. Scheißkerle!
„Du kannst es, nur weißt du es nicht. – Ich schicke dich wieder zurück in deinen Körper. Mach dich auf unsagbare Schmerzen gefasst. Es wird ärger werden, als du dir vorstellen kannst.“
„Wie soll ich mich wehren?“ Ich war verzweifelt.
Wieso sollte ich etwas können, was diese Wesen nicht zustande brachten?
Ich bekam keine Antwort. Stattdessen blinzelte er und ich war wieder in meinem Körper. Obwohl er mich gewarnt hatte, trafen mich die Schmerzen wie eine Flut. Sie wirbelten mich durch, schleuderten mich gegen Felsen, zertrümmerten mich. Zara stand wie eine Spinne über mich gebeugt. Ich hatte den Eindruck, dass sie Fangzähne in mich gebohrt hätte, wenn sie welche gehabt hätte.
‚Geh weg, du hässliche Eidechse! Verdammtes Mistding!’, schleuderte ich ihr entgegen.
Sie hielt inne. Ich hatte sie erschreckt, zumindest hatte ich den Eindruck. Dann verstärkte sie ihren mentalen Angriff. Sie griff nach meinem Atemzentrum. Ich dachte: ‚Wenn du mich tötest, tötest du deine Amme.’ Als sie den Griff nicht verstärkte, legte ich nach: ‚Na komm, drück zu, damit das ein Ende hat. Denkst du, dass ich so leben will?’
Ich schleuderte ihr alles an aufgestauter Wut entgegen, das ich aufbringen konnte. Wie ich die Tortur aushielt, weiß ich nicht. Irgendetwas oder irgendjemand gab mir genug Kraft, auszuhalten.
Zara konzentrierte sich nun voll auf mich. Ich sah es an ihren Augen. Sie fixierte mich, versuchte in meine Gedanken einzudringen. Ich visualisierte eine Mauer und schaffte es tatsächlich, sie abzuwehren. Wie lange ich Stand halten würde, wusste ich nicht. Aus den Augenwinkeln konnte ich erkennen, wie Markus/Nestor hinter Zara schlich. Er griff ihr an den Hals. Ich musste meine Mauer verstärken. Irgendwie schaffte ich es, sie aus meinem Körper zu vertreiben. Ich hörte sie schreien. Der Griff um mich lockerte sich. Ich schrie ebenfalls. Laut und durchdringend. Dann war Nestor in meinem Kopf und unterdrückte die Krämpfe und Schmerzen. Markus rang mit Zara. Endlich lag sie am Boden und rührte sich nicht mehr.
Er stand auf, nahm ein Messer und rammte es ihr ins Herz. Dann rannte er zu mir. Nestor schien sich aus zu breiten. Er vereinte uns zu einem Gedanken: „Hier gibt es keinen Zugang. Alle Gehirne besetzt.“
Ich hörte noch einen klagenden Laut, der sich langsam in der Nacht verlor.
Ich zitterte.
Ich weinte.
Ich presste die Hände auf die Augen.
Ich schrie.

Jemand nahm mich in den Arm und hielt mich, bis mein Schreien nachließ.
„Ich habe gesagt, ich werde dir die Schmerzen nehmen“, sagte er.
„Leg dich ruhig hin, atme gleichmäßig, ich werde dir nicht mehr wehtun.“
Die Stimme war sanft, fast liebevoll. Ich blieb ruhig liegen, fühlte eine zärtliche Berührung in meinem Geist. Dann ließen die Schmerzen nach. Sein Gesicht verzerrte sich. Als die Schmerzen ein erträgliches Maß angenommen hatten, sagte ich: „Hör auf. Es reicht. – Was ist mit Zara?“
Ich richtete mich auf, schaute mich im Raum um. Es gab keine Spuren von ihr.
„Wie hast du das gemacht?“, fragte ich.
„Ich habe die Leiche hinaus teleportiert. Dank deiner Hilfe, hatte ich genug Zeit dazu. Ich stehe tief in deiner Schuld, Tina.“

Nach ein Weile sagte er: „Ich weiß, dass du Markus magst. Ich hoffe, dass du auch mich zu mögen lernst.“
Ich antwortete nicht. Es stand mir nicht der Sinn nach Konversation.
Ich wollte Ruhe – wirkliche Ruhe. So lag ich einfach nur da, atmete.

Mein Körper fühlte sich noch nicht richtig an. Ich hoffte, dass sich das bald geben würde. Markus saß neben mir und redete. Worte plätscherten aus seinem Mund. Ich nahm nichts wahr. Irgendwie verschwamm die Welt wieder.
Schmerzen überrollten mich neuerlich, machten mich taub und blind. Meine Beine waren nicht da, ebenso wenig die Arme, der Torso – nichts außer Schmerzen.
Es war noch etwas in mir!
„Raus aus meinem Kopf!“, befahl ich.
Höhnisches Gelächter folgte.
„Nestor?“, schrie ich hysterisch.
Wieder war Lachen die Antwort.
„Ich bin hier“, sagte er. „Was ist los?“
„Da ist noch jemand in mir drinnen!“ Meine Stimme klang schrill.
„Schnell – Markus, nimm ihre Hand und fühle den Puls. Wir haben nicht viel Zeit! Ich gehe ganz in sie.“
Dann war Nestor in mir. Er murmelte irgendwas Beruhigendes, oder redete Markus mit mir? Es war eigenartig, beängstigend, so viele Entitäten im Kopf zu haben.
Nestor tastete mich ab. Steckte seine geistigen Fühler in alle Körperteile. Ich hatte das Gefühl, ersticken zu müssen. Mühsam rang ich nach Atem. Ich fühlte, wie meine Sinne schwanden. Dann ging es plötzlich wieder besser. Ich tat einen tiefen Atemzug, nur um mich wieder im mentalen Würgegriff zu befinden.
„Verdammter Scheißdreck noch mal!“, schrie Nestor. Ich erschrak über die Wut in seiner Stimme.
„Verfluchte Zara – sie hat dich präpariert. Du trägst einen Zerstörer in dir.“
Er schien in meinen Gehirnzellen zu wühlen.
Das Atemzentrum!
Ich bekam immer schwerer Luft. Alles verschwamm vor meinen Augen. Lichter zuckten hinter den Lidern.
Ich hatte Angst, wieder in der Wüste zu sein.
Hektisch fühlte ich Nestors Gedankenfinger an den neuralen Verbindungen tasten. Er öffnete Knoten, schloss neue Bahnen. Die ganze Zeit über hielt mich Markus im Arm. Das Atmen fiel mir wieder leichter. Ich atmete tief ein und wusste gleichzeitig, dass es noch nicht überstanden war.
„Du solltest dich mit ihr paaren“, murmelte Nestor. Ich war geschockt.
„Wie?“, entfuhr es Markus.
„Du weißt doch wie das geht! Ich habe dauernd ihre Gedanken um mich, wie soll ich mich da auf das Wesentliche konzentrieren. – Also, seid so lieb, macht Sex und lasst mich in ihrem Kopf alleine.“ Er klang genervt, als ob ich seine Konzentration stören würde.
„Nein!“, riefen meine Gedanken. „Das kann ich nicht. Nicht so!“
„Dann eben nicht.“ Nestor schien beleidigt zu sein. „Ich habe es nur gut gemeint. Sieh zu, dass du mir aus dem Weg bleibst.“

Er werkte in meinem Hirn herum. Markus begann mich zu küssen und zu streicheln. Gegen meinen Willen reagierte ich auf ihn. Es trieb mich zu ihm hin. Nestor gab ein zufriedenes Brummen von sich. Dann löste sich mein Denken im Rausch der Lust auf. Kurz kam mir in den Sinn, ob er mein Lustzentrum manipuliert hatte. Aber das war im Moment egal. Er sollte den mentalen Zerstörer aus mir entfernen!

Es war eine sanfte Welle auf der ich dahinschwebte. Nestor gesellte sich irgendwann dazu. Er wirkte erschöpft. Wir alle waren entkräftet.

Dann schlief ich ein. Es war der traumlose Schlaf der Erschöpfung. Ganz ferne nahm ich Nestor wahr, er wachte.

Gegen Morgen regte ich mich wieder. Ich schaute auf die Uhr und konnte kaum glauben, dass sich das alles in nur einer Nacht abgespielt haben sollte. Markus schnarchte leise neben mir. Ich kroch aus dem Bett und ging ans Fenster.
Es war ein schöner Morgen.
Die Sonne ging gerade auf.
Ich konnte sie als rotes Glühen über den Dächern wahrnehmen.
‚Schön, nicht wahr.’
Ich fuhr herum. Markus lag noch im Bett.
‚Entschuldige. Ich schaue nur durch deine Augen. Es sieht alles so anders aus, durch menschliche Augen.’
‚Warum wollen deine Leute, die Menschen unterdrücken?’
‚Sie sehen es nicht so. Für sie ist es natürlich, als die Stärkeren, die Schwächeren zu benutzen.’
‚Das ist nicht richtig.’
‚Natürlich ist es das nicht. Aber ich könnte dir auch viele Beispiele nennen, wo Menschen genau das getan haben – die Schwächeren ausgenutzt, sie unterdrückt und ihrem Willen unterworfen.’
Ich war erstaunt. Zuerst handelte er gegen seine Leute, und dann verteidigte er sie.
‚Es wird eine Zeit kommen, in der du das alles verstehen wirst. Jetzt musst du dich erst einmal deinem Leben stellen.’
Er begann zu lachen. Das jagte mir unangenehme Schauer über den Rücken.
‚Tut mir leid, das mit der Kündigung.’
‚Und dass du mich fast getötet hast, tut dir nicht leid?’
‚Das war notwendig. Ich habe die Schmerzen auf mich übertragen. Die meisten zumindest.’
‚Und jetzt soll ich dir dankbar sein?’
‚Nein, Mädchen. Ich sagte bereits, irgendwann wirst du den Zusammenhang verstehen, und das große Ganze sehen.’
‚Und das soll mir jetzt helfen, du Mistkerl.’
Die Beleidigung prallte an ihm ab und kam mit einem Grinsen zu mir zurück.
‚Etwas mehr Respekt, wenn ich bitten darf, oder hast du schon vergessen, dass ich dein Herr bin?’ Diese Worte dümpelten in meinem Hirn dahin und zwangen mich, ihm nicht mehr böse zu sein.
‚Pah! Du bist trotzdem ein Mistkerl.’ Diesmal dachte ich es mit einem Zwinkern.
‚Und du ein respektloses Gör.’
Ich fühlte sein Lächeln und lächelte mit.
Dann wendete ich meine Aufmerksamkeit wieder dem Sonnenaufgang zu.

Irgendwann … trat ich aus der Dunkelheit in den Sonnenschein.

Nestor fühlte sich ausgebrannt und leer. Diese Prüfung war fast mehr gewesen, als er ertragen konnte. „Dennoch war es wichtig und notwendig“, rechtfertigte er sich vor sich selber. Dann verschloss er sich vor seinen Artgenossen und machte sich hart für das was noch kommen würde. Etwas würde geschehen, nur wann, das wusste er nicht. Sie würden die neue Königin suchen und sie nicht finden, weil er sie getötet hatte. In seinem Inneren nagten Gewissensbisse. Noch nie hatte er sich gegen ein anderes Lebewesen gewendet und in dieser Nacht gleich zweimal. Als er an den Kampf mit der Frau dachte, konnte er ein anerkennendes Grinsen nicht unterdrücken. Sie hatte ihn beeindruckt.
„So ein starker Wille. Ich frage mich, wer da wen auf die Probe gestellt hat.“
Er wusste, dass nicht viel gefehlt hatte und sie hätte ihn gebrochen.

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