In mir - aus mir
In mir – aus mir (1. Teil)Ich trat aus dem Dunkel hinein ins Sonnenlicht. Zumindest fühlte es sich so an. Ich dachte nicht im Traum daran, mich schlecht zu fühlen. In meinem Bauch herrschte friedliches Lagerfeuer mit Bienengesumm. Ich hatte meinen Traummann gefunden, zumindest glaubte ich es.
Meine Wohnung kam mir noch nie so schön vor wie heute. Mein Herz machte einen Sprung nach dem anderen. Ich ließ mir ein Bad ein. Im warmen Wasser liegend kamen mir Zweifel. Das ließ mich auffahren. Am Ende war es bloße Schwärmerei.
Einerseits liebte ich meine Unabhängigkeit, andererseits war es auch sehr einsam .Die meisten Menschen langweilten mich zu Tode, mit ihrem ewigen Gerde von Partnern und Kindern, oder dem Job, oder dem letzten Fußballspiel. Und dann erst die Kochrezepte, die die Kolleginnen austauschten. Da rollen sich einem ja die Zehennägel auf, vor lauter Langeweile!
Meine Interessen erstreckten sich auf Natur und Natur, vielleicht noch etwas Literatur, aber das war’s dann auch schon. In meiner Freizeit schwang ich mich meistens aufs Fahrrad und machte lange Touren, bei jedem Wetter. Das muss erst einmal ein Mann mit machen. Ich war schon immer eine Einzelgängerin. Das machte mir an diesem Tag sehr zu schaffen. Weil ich ernsthaft verliebt war. ‚Würde ich mich für jemanden verbiegen können? Mich ändern? War es eine Überlegung wert, sich für einen Partner zu ändern? Würde der andere das auch für mich machen?’ Diese Gedanken waren Dauergäste, und ließen sich nicht so ohne weiteres beantworten.
Sein Gesicht stand mir lebhaft vor Augen, während ich über diese endlosen Fragen grübelte. Er hatte feine Züge, eine gerade, nicht zu große Nase, dunkelbraune Haare, grüne Augen, die von elegant geschwungenen Brauen gekrönt wurden. Und was mir am wichtigsten war, eine sehr angenehme Stimme. Einfach himmlisch. Ich schmolz dahin, wie Eis in der Sonne – sehr abgedroschen, aber wahr.
Ich durfte Markus sagen, wie eigentlich alle im Büro. Er war unser neuer Abteilungsleiter. ‚Warum muss ich mich immer in Männer verlieben, die für mich außer Reichweite sind?’ Ich wusste ja nichts über ihn. ‚Vielleicht ist er verheiratet’, überlegte ich.
Ich lag auf dem Sofa und träumte mir ein Verhältnis mit Markus. So etwas habe ich nicht mal als Teenager gemacht. Also nahm ich an, dass es mich wirklich übel erwischt hatte. Ich wollte nicht an ihn denken.
Schließlich kam ich zu der Erkenntnis, dass Markus mich wahrscheinlich gar nicht richtig wahrgenommen hatte. Er hatte jedem die Hand geschüttelt und nach dem Vornamen gefragt. Ich brachte nur ein leises „Tina“ heraus. Er grüßte höflich und ging dann zu Martin, der seinen Tisch vor mir hatte.
Mit Mühe schaffte ich meine Buchhaltung an diesem Tag. Immer wieder richtete ich meinen Blick auf die Bürotür am Ende des Gangs. Nur in der Mittagspause kam er raus, ging mit schnellen Schritten durch den Gang. Wahrscheinlich ging er in die Cafeteria. Dort gab es nie vegetarisches Essen, deshalb ging ich dort nicht hin. Die halbe Stunde Mittagspause verbrachte ich meistens auf meinem Platz, aß einen Apfel, trank literweise Kaffee, mit dem ich schon morgens anfing, und stöberte im Internet. Ich hatte einige Singlebörsen ausfindig gemacht und mich dort angemeldet. Bis jetzt hatte ich keinen Erfolg. Und ich war immer der Meinung, als Frau wäre es leicht, einen Mann zu finden. So kann man sich irren. Dabei bin ich nicht gerade hässlich. Naja, auch nicht gerade Frau Wunderschön, Miss Busen oder Miss World und wie die ganzen Tussies heißen, ich bin eben Durchschnitt, wie neunundneunzig Prozent der Bevölkerung. Aber der Mann der Träume ließ auf sich warten, es gab nicht mal einen Alptraum. Doch da irrte ich mich.
Und dann tauchte Markus auf und stellte mein Gefühlsleben auf den Kopf. Wahrscheinlich ahnte er nichts davon.
An diesem Tag gingen die meisten Kollegen in die Cafeteria. Sie wollten sicher Markus besser kennen lernen. Ich ging nicht hin. Erstens weil ich den Geruch nach gebratenen, gekochten, gegrillten oder was weiß ich wie zubereiteten Fleisch nicht mochte und dann hasse ich jede Art von Anbiederung. Nicht zum letzten Mal wünschte ich mir, etwas mehr wie der Durchschnittsmensch zu sein.
Für Freitag Abend hatte Markus alle zu einer Einstandsfeier in der Betriebscafeteria geladen. Ich würde wohl hingehen müssen, da es gleich nach Dienstschluss war. Schon jetzt zitterte ich davor. Solche Feierlichkeiten hatten immer etwas Gezwungenes. Diese aufgesetzte Fröhlichkeit. Die meisten Kollegen konnten sich untereinander nicht ausstehen und dann taten sie, als ob sie die besten Freunde wären. Und das ganze oberflächliche Geplauder über Familie, Kinder und Kochen, von Fußball brauchen wir gar nicht reden. Ich hasse Smalltalk, weil ich nie weiß, was ich sagen soll.
Den ganzen Freitag über war ich nervös und unsicher. Markus war mir die nicht aus dem Kopf gegangen. Jedes Mal, wenn ich ihn sah, wurden meine Knie weich. Er schien mich überhaupt nicht zu beachten.
Der Tag zog sich in seine übliche Länge. Gearbeitete acht Stunden und gefühlte zwölf. Etwas Langweiligeres als Debitorenbuchhaltung konnte ich mir nicht vorstellen. Endlich war es 16 Uhr. Wir gingen zusammen in die Cafeteria. Seit der letzten Weihnachtsfeier hatte sich nichts verändert. Sogar der Geruch war der gleiche: abgestanden und verbraucht, Putzmittel und Essendüfte vermischten sich zu einer unbeschreiblichen Duftnote. Es war eine Beleidigung für jede Nase.
„Tina“, flüsterte Gitti, meine direkte Tischnachbarin. „Markus ist echt nett. Hast du schon mal mit ihm gesprochen? Gestern hat er mich gefragt, ob ich mit meiner Aufgabe zufrieden bin.“ Atemlos hielt sie inne, gab mir aber keine Gelegenheit etwas zu sagen, sondern fuhr eifrig fort: „Natürlich habe ich gesagt, dass alles passt. Er sieht doch so gut aus.“ Dabei verdrehte sie die Augen und dehnte das „so“ in einer Art und Weise, die mich wütend machte.
„Wann hast du mit ihm geredet?“
„Gestern, in der Mittagspause. Wir sind am gleichen Tisch gesessen.“ Sie blickte mich triumphierend an.
Irgendwie war ich neidisch. Aber heute würde ich vielleicht Gelegenheit haben, mit meinem Schwarm mehr als nur ein „Guten Tag“, zu wechseln.
Wir hatten uns schon gesetzt, als Markus eintraf. Einige standen respektvoll auf. Er blickte kurz in die Runde. Zweiundzwanzig Leute waren anwesend. Dann strich er sich durchs Haar und sagte: „Ich freue mich, dass alle meiner Einladung gefolgt sind.“ Er lächelte zaghaft. Das gefiel mir. Mein Herz schlug etwas schneller.
„Wie ich feststellen durfte, sind Sie alle sehr kompetent. Diese Woche habe ich schon die einige von Ihnen kennen gelernt, nun hoffe ich, auch die anderen noch etwas näher kennen zu lernen. – Dann kann ich mir ein Bild von Ihrer Arbeit machen und auf Ihre Wünsche eingehen. Bitte scheuen Sie sich nicht, mich mit Fragen zu bombardieren und mit Ihren Problemen zu mir zu kommen. – Es werden in nächster Zeit einige Änderungen auf uns zu kommen, die wir gemeinsam meistern werden. Abteilungen werden zusammengelegt werden müssen, andere geschlossen. Die Krise hat uns momentan voll im Griff. Ich denke, dass wir die Sache meistern werden.“
Im Saal herrschte angespanntes Schweigen. Er schaute uns der Reihe nach an und meinte dann heiter: „Meinen Lebenslauf wollen Sie jetzt aber nicht hören?“
Es wurde gekünstelt gelacht. Ich sagte ganz leise: „Ich schon.“
Sein Blick heftete sich auf mich, als hätte er es gehört. Er war durchdringend und irgendwie anders als sonst. Mich schauderte plötzlich. Bald vergaß ich den eigenartigen Blick wieder.
Es wurde ein Tablett mit Sekt herumgereicht. Dann sagte er fröhlich: „Lassen Sie uns auf eine gute Zusammenarbeit trinken.“ Alle standen auf, prosteten sich freundlich zu und setzten sich dann wieder. Er schien sich nicht wohl zu fühlen. Ich hatte den Schweißfilm auf seiner Stirn bemerkt und auch, wie er die Hände ballte. War er nur nervös oder war es etwas anderes? Ich schalt mich eine dumme, überspannte Kuh, und schnitt die Gedanken an Markus für einige Zeit ab.
‚Hoffentlich krieg ich hier auch ein Bier’, dachte ich und sah mich um. Den Sekt hatte ich nicht getrunken. Dafür nahm ich vom Orangensaft, es war klüger, sich in der Firma nicht zu betrinken.
Auf einem langen Tisch waren kleine Häppchen angerichtet. Es stand schon alle dort. Ich gesellte mich dazu, weil ich Hunger hatte, aber wenig Hoffnung, auf mehr als nur Käse zu stoßen. Deshalb war ich erstaunt, auch Gemüsepastetchen, vegetarischen Nudelsalat und jede Menge anderes Grünzeug vorzufinden. Das hatte es hier noch nie gegeben. ‚Ich bin im Himmel – fast’, dachte ich und langte nach den Pasteten. Ohne lange nach einem Teller zu greifen, steckte ich mir eins in den Mund, drehte mich mit einem zweiten Stück in der Hand um, und prallte mit Markus zusammen. Die Brösel gerieten mir vor Schreck in die Luftröhre und ich hatte Angst, zu ersticken. Ich hustete, und spukte ihm die Hälfte der Pastete über den eleganten Anzug. Ich spürte, wie ich rot wurde, die Augen tränten und ich rang nach Atem, was aber alles noch schlimmer machte. Am liebsten wäre ich ganz tief im Erdboden versunken, und nie wieder aus dem Loch hervor gekommen.
Die Kollegen starrten mich an. Schon wieder war mir so etwas passiert. ‚Verdammt’, dachte ich und wünschte mich nachhause. Ich hustete, bis mir die Augen tränten. Und was tat er? – Er lachte und klopfte mir den Rücken!
„Na, ist ja nicht so schlimm“, murmelte er. Ich hustete und würgte, während mir die Tränen über die Wangen liefen. Eigentlich wollte ich sagen: „Ich zahle selbstverständlich die Reinigung.“ Brachte aber nur ein „Rngng“ raus.
Nach endloslangen Minuten hatte sich meine Luftröhre beruhigt und ich konnte wieder normal atmen.
„Haben Sie heute noch nichts gegessen?“, fragte er und ignorierte die Zuschauer. Er nahm einen Teller und belud ihn. Ich dachte: ‚Oh Mann, der ist aber auch hungrig.’ Dann übergab er ihn mir und sagte: „Jetzt setzen Sie sich und beruhigen sich wieder. Das ist doch keine Affäre.“ Er wischte sich mit einer Serviette das Jackett sauber.
Da saß der Mann meiner Träume neben mir, und ich brachte nichts anderes als ein kleines „Danke“ über die Lippen. Warum war ich so schüchtern?
„Sind die Pasteten so köstlich wie sie aussehen?“, fragte er, nachdem ich noch eins gegessen hatte. Ich konnte nur nicken.
„Darf ich?“, fragte er, und langte gleich auf den Teller, um sich eins zu nehmen. „Mhm, sind nicht schlecht“, sagte er.
„Wie gefällt es Ihnen“, fragte er nach einer Weile.
„Was?“
„Ihre Arbeit, meine ich.“
„Naja.“ Ich spürte, wie ich rot wurde und hasste mich dafür. Etwas unüberlegt sagte ich: „Manchmal ist sie langweilig.“
„Wie lange machen Sie das schon?“
„Zu lange.“ Wieso fragte er? Er konnte doch leicht in meine Personalakte reinschauen.
Dann herrschte eine sonderbare, kühle Stille zwischen uns.
„Sie stechen hier erfrischend aus der Menge“, meinte er ganz unvermittelt.
Ich sah mich um, und stellte fest, dass er recht hatte. Aber ich habe mich noch nie nach der Masse gerichtet. Die Meinung anderer Leute ist mir meistens egal, zumindest arbeite ich daran.
Er sah mich über den Tisch hinweg mit seinen schönen Augen an. Ich konnte nichts sagen.
Endlich fasst ich Mut und fragte: „Können Sie mir was über sich erzählen? Ich hätte nämlich schon gerne Ihren Lebenslauf gehört.“
Er wartete mit einer Antwort so lange, dass ich schon annahm, ich hätte ihn beleidigt. Doch dann sagte er: „Wollen Sie das wirklich wissen? Die ganze Wahrheit?“
Ich nickte. Er bedachte mich wieder mit diesem schwer definierbaren Blick. Er schien zu einem Entschluss zu kommen, denn er sagte: „Ich werde sie Ihnen erzählen, aber nicht hier und nicht jetzt. Sie werden sich gedulden müssen, Tina.“ Seine Stimme hatte einen unangenehmen Tonfall bekommen. Dann stand er auf, und ging lachend auf die anderen zu. Ich saß alleine am Tisch und fühlte mich unbehaglich. Da war wieder der eigenartige Ausdruck gewesen, den ich schon einmal bemerkt zu haben glaubte.
Ich beobachtete Markus Brenner aus der Ferne. Er schien verändert zu sein. Sein Rücken war gerade als sonst, er wirkte größer und beeindruckender. Warum war mir das nicht früher aufgefallen? Ein paar Mal fühlte ich seinen Blick auf mir ruhen. Noch vor ein paar Stunden hätte ich mich darüber gefreut, jetzt verursachte es mir eine Gänsehaut.
Die gute Laune vom Montag war wie weggewischt. Ich fühlte ständig diese grünen Augen auf mich gerichtet. Es schien, als ob sie mich aus der Ferne beobachten würde.
Das Wochenende verbrachte ich auf dem Fahrrad. Ich fuhr wie eine Wilde drauflos. Einfach so in der Gegend rum, bis ich Abends müde ins Bett fiel. Es half nichts. Markus hatte sich in mein Hirn festgefressen. Und dazu Angst. Was für ein schizophrenes Gefühl!
Am Montag lernte ich Markus Brenner von einer anderen Seite kennen. Er ging kühl an mir vorbei, eine Menge Akten in der Hand. Kurz vor seiner Bürotür rief er: „Frau Leiner – in mein Büro!“
Mich traf fast der Schlag, als er mich mit Familiennamen anbrüllte. Ich war wie gelähmt. Starrte vor mich hin und konnte keinen Gedanken fassen.
Als ich seiner Aufforderung nicht nachkam, brüllte er: „Dallidalli, ich hab nicht den ganzen Vormittag Zeit!“
Wie von der Tarantel gestochen sprang ich auf und eilte in sein Büro. Das Heiligtum der Abteilung. Hierher wurde man gewöhnlich nur zitiert, wenn man einen Fehler gemacht hatte.
Ich spürte, wie mir die Angst die Kehle zuschnürte und der kalte Schweiß ausbrach. Da stand ich nun und wusste nicht, was auf mich zu kommen würde.
Er schaute mich aus kalten Augen an. Ich fragte mich, was mich dazu gebracht hatte, mich in den zu verlieben. Mit einem Schlag war die Liebe kalter Furcht gewichen. Das war kein liebenswerter Mensch, der da in sehr arroganter Haltung vor mir saß. Der Schreibtisch wirkte wie eine Festung, und er war der Burgherr.
„Sie haben sicher schon davon gehört, dass Abteilungen zusammen gelegt werden. Durch die Auftragsrückgänge brauchen wir nicht mehr so viel Personal in der Verrechnung.“ Er warf einen Blick in die Akten vor sich. Dann schaute er mich wieder an. Ich stand stocksteif da und fühlte, wie mir die Panik den Rücken hoch und runter kroch.
„Ich habe den Eindruck, dass Sie sich hier nicht sehr wohl fühlen, und Ihr Umgang mit den Kollegen hat das bestätigt.“
„Nein“, unterbrach ich ihn. „Herr Brenner, das stimmt nicht.“
„Unterbrechen Sie mich nicht, ich bin noch nicht fertig mit Ihnen!“
Mein Mund klappte zu. Ich war erschüttert. Damit hatte ich nicht gerechnet.
„Ich habe hier ihre Kündigungspapiere liegen.“ Er wies auf die Akten, dann sah er mich mit einem diabolischen Grinsen an. Ich versuchte ein Zittern zu unterdrücken. Es gelang mir nicht. Sein Grinsen wurde daraufhin breiter. In seinen Augen leuchtete es kurz auf.
„Sie haben noch eine Chance, ihre Arbeit zu behalten.“ Er machte eine Pause, kramte in einem anderen Stoß Papiere und zog einen Zettel daraus hervor, den er mir gab.
„Tun Sie genau das, was da drauf steht, dann können Sie unter Umständen ihren Job behalten, und jemand anders muss gehen.“
Wieder dieses diabolische Grinsen. Ich nahm das Papier und las. Tränen stiegen mir in die Augen und liefen die Wangen runter.
„Entscheiden Sie sich bald. Das Angebot gilt nur heute. – Sie können dann wieder an ihre Arbeit gehen. – Oder besser, Sie nehmen sich für heute Urlaub, damit sie sich vorbereiten können.“
Ich nickte teilnahmslos. Dann ging ich. Noch immer fühlte ich seinen Blick auf mir ruhen. Nicht einmal zuhause konnte ich mich davon befreien. Er war an meinen Nacken gefesselt, und machte mir Angst.
Ich saß auf dem Sofa und drehte den Wisch in den Händen. Es war unglaublich, was da drauf stand. Ich zerknüllte ihn und warf ihn in den Müll.
„Nicht mit mir!“, rief ich laut. Ich sagte das als Mantra vor mich her, wie einen Schutzzauber, und kurzfristig ließ das Gefühl, beobachtet zu werden, nach.
Den ganzen Tag verbarrikadierte ich mich zuhause. Ich lief immer wieder zum Fenster. Schaute raus. Nichts Auffälliges. Aber das beruhigte mich nicht. Meine Unruhe nahm immer mehr zu. Gegen Abend steigerte sie sich beinahe ins Unerträgliche.
Ich ließ alle Roll-Läden runter und kauerte mich auf das Sofa. Das Handy hatte ich schon ausgeschaltet, weil es ständig läutete. Immer wieder dachte ich an das blöde Schreiben. Die Worte hatten sich mir ins Hirn gebrannt.
„Nein“, sagte ich laut, und das Bild vor meinen Augen verschwand wieder. Dennoch ging mir der Arsch auf Grundeis. Wenn ich die Augen schloss sah ich diese grünen Augen auf mich gerichtet, die sich durch mich zu bohren schienen, mich fixierten und nicht mehr los ließen.
In der Wohnung war es stockdunkel. Ich traute mich nicht, aufzustehen und Licht zu machen. ‚Warum habe ich nur solche Angst?’, fragte ich mich und zitterte dabei wie Espenlaub. Ich drückte mich ganz tief in die Polster und schloss die Augen.
Ich musste wohl eingenickt sein, denn ein lautes Klopfen ließ hochfahren. Das Herz hämmerte mir im Hals. Ich würgte. Wieder das Klopfen. Länger jetzt. Langsam stand ich auf und tastete mich zur Tür. Ich versuchte durch den Spion etwas zu erkennen.
„Ich weiß genau, dass du da bist!“
Diese Stimme! Den ganzen Tag über hatte ich sie leise im Ohr gehabt. Sie war genauso hart wie am Vormittag. Ich lehnte mich an die Wand und atmete schwer.
„Mach jetzt auf!“ Jedes Wort extra betont.
Wie ferngesteuert griff ich nach den Schlüsseln. Ich zögerte.
„Aufmachen!“
Und ich drehte den Schlüssel. Mit einem Ruck wurde die Tür aufgerissen und ich nach hinten geschleudert.
„Braves Kind – ich wusste, dass du öffnen würdest.“
Ich saß in meiner Diele und kämpfte mit den Muskeln. Sie wollten mir nicht gehorchen - zitterten nur. Er schloss die Tür und schaltete das Licht ein. Geblendet kniff ich die Augen zu.
„Steh auf!“, befahl er.
Ich saß da wie ein Kaninchen in der Falle. Grob zog er mich ins Wohnzimmer, und warf mich aufs Sofa.
(c) Herta 8/9/2009