Zungenfertigkeit
ZungenfertigkeitEr war taffer als taff ! Quasi eine „Metaffer“, er grinste ein bisschen in sich hinein. Kein schlechtes Wortspiel für jemanden der sich der Drei Promille Grenze langsam näherte. Von oben, denn seit einer halben Stunde saß er nun bei Espresso und Wasser. Sam war kein Alki und hatte auch sonst wenig Suchtpotential, überhaupt war es bei ihm mit dem Potential nicht so weit her, aber da vertrat er selbst eine ganz andere Ansicht.
Sam war ein „Hörer“, er hörte den Leuten zu und dachte sich anschließend seinen Teil, was ihm eine diebische Freude bereitete. Er tat das stellvertretend für alle, denen der richtige Kommentar immer ein paar Sekunden zu spät einfiel, die über dieses Unvermögen genau bescheid wussten und sich immer wieder darüber ärgerten. Sam hatte nie Ladehemmung. Er hatte immer auf die Millisekunde genau den richtigen Spruch, Fluch, Metapher, Witz, sarkastische oder ironische Erwiderung parat. Sam hätte die ganze Welt mit Sprüchen versorgen können. Mal ernsthaft, hätte er Seminare darüber abgehalten, wäre er inzwischen steinreich.
Es gab da nur ein kleines Problem und Sam argwöhnte, dass Gottes ziemlich schräger Humor dahinter steckte. Er war stumm. Stumm wie eine Auster mit dem Artikulationsvermögen einer Tiefseeschnecke. Das bedeutete natürlich das sein unglaubliches Talent völlig unbemerkt blieb. Diesen Zustand wollte er ändern. Schon seit Jahren sagten ihm all die Ärzte und Spezialisten bei denen er regelmäßig untersucht wurde, dass er organisch absolut gesund und durchaus in der Lage wäre zu sprechen. Daraufhin schleppten sie ihn in eine Kopfklinik der speziellen Art, aber selbst unter Elektroschocks und voll bis an den Kragen mit Lockermachern, seine Zunge löste sich nicht.
Als er wieder draußen war lernte er Steno, um seine Geistesblitze rechtzeitig zur Hand zu haben. Nur blöd das nur etwa jeder zwanzigste etwas damit anfangen konnte. Das war absolut nicht zufriedenstellend für Sam und er machte sich auf die Suche nach einer Möglichkeit, um seine Zunge zu überlisten und diesen verfluchten Lappen endlich zum sprechen zu bringen.
Er verschwendete wertvolle Zeit mit den üblichen Methoden, mit denen der Durchschnittshirni versuchte, seine eigenen Grenzen einzureißen und beispielsweise die nächst höhere Bewusstseinsebene zu erreichen. Die einzigen Erfolge die sich einstellten waren Schädelweh und leichte Vergiftungserscheinungen. Seine lautfaule Zunge dagegen beeindruckten Sam`s Versuche nicht. Mit stoischer Gelassenheit hing sie in seinem Mund herum und weigerte sich nach wie vor hartnäckig, mit den Stimmbändern zusammen zu arbeiten.
Je länger seine Erfolglosigkeit an hielt, desto frustrierter wurde Sam und desto verzweifelter und unorthodoxer seine Versuche, endlich sprechen zu können. Nach all den fehlgeschlagenen Experimenten, war allerdings auch Sam nicht mehr ganz der selbe. Diverse Spätfolgen und Sofortschäden präsentierten seinem gemarterten Gehirn regelmäßig Rechnungen und bestanden darauf, selbige sofort zu begleichen.
So erklärte sich auch Sam`s derzeitiger Zustand. In seinem leicht verwirrten Hirn hatten sich verschiedene Backroundinformationen zusammengeschmissen und folgende Theorie geformt ;
Da sich Betrunkene nach dem Erwachen an nichts mehr erinnern, müsste es mit genügend Alkohol doch möglich sein, dass seine Zunge vergisst, dass sie nicht sprechen will und es einfach tut.
Genaue Recherchen bei anerkannter Schnapsnasen und Fuselkönigen ergaben eine Formel, nach der die perfekte Alkoholkonzentration für sein Vorhaben bei genau 2,9 Promille liegen müsste. Statt sich als ungeübter Trinker langsam an diesen Wert anzunähern, trieb seine Ungeduld und die Aussicht endlich Erfolg zu haben Sam zu einem fatalen Experiment, bei dem Wodka, Rum und Absinth eine entscheidende Rolle spielten. Nachdem er solchermaßen weit über Ziel hinausgeschossen war , verdankte er es einem freundlichen Finger in seinem Hals und dem extrastarken italienischen Bohnenwunder, dass er sich endlich seinem berechneten Zielwert näherte. Mit der Feinabstimmung durch frische Luft, so dacht sich Sam, sollte es bald soweit sein.
Und tatsächlich, als er über die stark befahrene Straße ging und tief durchatmete, entfuhr ein zufriedenes „aaaah“ seinen Lippen. Gefolgt von seinen ersten, gesprochenen Worten „au Fuck“ bevor das Büchermobil der Evangelischen Kirche ihn überfuhr.
Vielleicht, so dachte der sterbende Sam, ist es ganz gut das den Menschen nicht immer alle Antworten zum richtigen Zeitpunkt einfallen, denn ausgesprochenes lässt sich nicht zurücknehmen. „Du hast es erfasst“ lachte Gott“ und jetzt rauf mit dir Sam, ich warte schon ewig drauf mit dir endlich mal ne Runde zu quatschen“.
© 9.2009 by Biker_696