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Das Gewehr an der Wand

Das Gewehr an der Wand
oder Schreibtipps von einem, der sie selbst am dringendsten braucht.

Einen Text zu schreiben, ist einfach. Einen guten Text zu schreiben, ist die Hölle. Lektoren, Verlage, Kritiker werten Texte nach Fehlerfreiheit, handwerklichem Geschick, Verkaufspotential; Autoren danach, ob er ihr Bedürfnis nach Darstellung eines oder mehrerer sie bewegender Ereignisse, und existierten sie auch nur in ihrer Phantasie, erfüllt. Am Ende der Nahrungskette steht der Leser und den interessiert nichts von dem vorher Gesagten. Er will unterhalten werden, will lachen, weinen, nachdenken, so sein wie die Helden – er will Gefühle, die ihn aus seinem Leben in eine andere Welt entführen.

Es gibt Gefühlsschreiber, akribische Arbeiter, Auftragsschreiber, Besessene, Selbstdarsteller, Geldgierige, Belehrende, Lächelnde, Wütende, Besserwisser, Kotzbrocken, Nichtskönner, die Lauten, die Stillen – Autoren sind auch nur Menschen. Doch sie alle eint die Lust am Schreiben, die Lust am Gelesenwerden und das Ringen um das ‚wie‘.

Dafür gibt es Schreibratgeber ohne Zahl, nur stellt sich die Frage: Warum sollte jemand Zeit für einen Schreibratgeber opfern, wenn er stattdessen ein ‚richtiges‘ Buch schreiben könnte? Wieso sind die, die mir empfehlen, welche Aktien ich kaufen sollte, nicht selbst Aktienmilliardäre und putzen stattdessen Haustürklinken?

Ich habe für mich immer gefunden, dass ich nach dem Lesen solcher Bücher meistens reichlich verwirrt war und meine Texte nur noch für schlecht hielt, weil sie in nichts dem entsprachen, was ich gelesen hatte. Heute denke ich, dass ich vielleicht falsch an die Sache herangegangen bin. Wenn man den Tank eines alten BMW 520d mit Nitromethan füllt (schöne Grüße an Vin Diesel), marschiert er nicht ab wie eine Rakete, sondern als qualmender Schrotthaufen in Richtung Abwrackplatz. Es ist ein bisschen wie die alte Millionärsgattin und das Topmodel auf dem Laufsteg in Paris. Nicht alles, in dem eine achtzehnjährige schlanke Schönheit gut aussieht, steht auch einer fetten reichen Kuh. Nicht einmal dann, wenn sie vorher in Chanel Nr. 5 badet.

Also keine Schreibratgeber mehr lesen? Ist irgendwo auch nicht die Lösung, denn wie will man sonst weiterkommen? Wie will man sonst so schreiben lernen, dass es die Leser mitreißt? Es gab einmal eine Zeit in unserer Kurzgeschichtengruppe, da haben wir uns um jedes Komma geschlagen, dass die Fetzen geflogen sind. Ich will nicht sagen, dass Leichen ehemaliger Mitglieder unseren Weg pflastern, aber so ein leichtes Grinsen habe ich beim Denken an diese Zeiten dann doch um die Mundwinkel. Es waren Zeiten, in denen hoffentlich nicht nur ich vorangekommen bin.

Es ist still geworden hier, so still wie in der Welt da draußen. Es ist keine Kritik, sondern nur das Konstatieren eines für alle offensichtlichen Fakts. Ich finde es schade, aber Zeiten ändern sich und damit auch Methoden, Inhalte und die Dinge, die wichtig sind. Viele lesen hier mit, das weiß ich. Sicher sind auch einige darunter, die gerne schreiben möchten, irgendeinen Text einstellen und schauen, was passiert. Doch selbst ich fahre nur einmal im Jahr nach Rostock, um Blumen auf das Grab meiner Mutter zu legen.

Es kann gut sein, dass das, was draußen passiert, auch an uns hier nicht vorbeigeht. Polemische Texte, Sätze, die Widerspruch auslösen; Geschichten, die nicht ‚Mainstream‘ sind, nicht ‚woke‘ – sie sind es, die Leben in die Bude bringen. Doch sie bergen Verletzungspotential und mit Verletzungen wollen wir nicht mehr umgehen, oder? So flüchten wir uns lieber unter das Leichentuch der gesellschaftlichen Konformität, in Geschichten, Videos und Filme. Nur nichts schreiben, was jemand falsch verstehen könnte.

Ich merke, ich verstoße gerade gegen die drei Prinzipien, die ich im Folgenden beschreiben will. Entschuldigung. Hier im Joy liegt viel Wissen vergraben, wie auch in jedem Schreibratgeber. Doch in all dem nicht zu merkenden Wissensschatz blitzt manchmal etwas auf, hakt sich fest wie ein Ohrwurm, den man nicht mehr aus dem Kopf herausbekommt. So ist es zumindest bei mir, solche ‚Gehirnwürmer‘ kann ich mir viel besser merken und sie sind es, die ich beim Schreiben dann auch wirklich umsetzen kann. Ich dachte mir, ich schreibe meine ‚Ohrwürmer‘ hier einfach auf. So kurz, dass sie sich vielleicht auch bei anderen festhaken und ihnen helfen – wenn sie es denn wollen.

Bitte seid so nett und schreibt hier keine Kommentare. Dazu mache ich einen gesonderten Thread auf: Kurzgeschichten: Das Gewehr an der Wand - Diskussion

Herzlich
Rainer
1. reduce to the max oder die drei Seiten einer Medaille

Folgendes Zitat stammt von Anton Tschechow:
Remove everything that has no relevance to the story. If you say in the first chapter that there is a rifle hanging on the wall, in the second or third chapter it absolutely must go off. If it’s not going to be fired, it shouldn’t be hanging there.

Stellen wir uns den Blick des Lesers wie ein Fernrohr vor. Der Autor fokussiert die Aufmerksamkeit des Lesers auf das, was im Text eine Bedeutung hat und nur auf das. Es ist wie ein ungeschriebener Vertrag in dem ein Satz in Stein gemeißelt ist: Langweile mich nicht!

Wenn also die Aufmerksamkeit des Lesers auf ein Gewehr gerichtet wird, geht der Leser davon aus, dass es auch irgendwann benutzt (abgefeuert) wird, denn wozu sonnst hätte der Autor es erwähnen sollen? Geschieht das nicht, ist es ein Vertragsbruch, der Leser fühlt sich hinters Licht geführt oder noch schlimmer, hält den Autor für einen selbstverliebten Schwätzer.

Das funktioniert aber auch andersherum, mit dem Prinzip des „Säen und ernten“. Vertraut der Leser dem Autor, wird er dieses Gewehr im Hinterkopf behalten, weil er weiß, dass es irgendwann noch einmal eine Rolle spielen wird. Geschickt eingesetzt, hält dieses Prinzip den Leser permanent unter Spannung.

Ein Beispiel soll das verdeutlichen.

„Natürlich nicht.“ Sie schüttelte den Kopf, dass ihre Haare nach allen Seiten flogen, sich wie eine rote Flut über den weißen Bademantel bis hinab zur Hüfte ergossen und die silberne Kette mit dem leuchtenden Anhänger zwischen dem Ansatz ihrer Brüste hin und her wippte.
Sie war ihm schon beim Abendessen aufgefallen. Kein Schmuckstein, den er kannte, pulsierte gleichmäßig in einem sanften roten Licht, fast in einem Rhythmus wie sein Herzschlag.
„Schöne Kette“, sagte er.
„Ein Sternenherz. Irgendeine Modespielerei. Ich trage es, seit ich denken kann.“
Sie zog den Bademantel vor ihren Brüsten zusammen, so dass der Frotteestoff das Schmuckstück verdeckte.

Der Autor hat im ganzen Roman keinen Wert darauf gelegt, zu erzählen, welchen Schmuck die Frau trägt. Nicht einmal ihre Uhr oder eine Haarspange hat er erwähnt. Ein paar Kapitel wird der Held einer anderen Frau begegnen, die die gleiche Kette trägt und es wird sich herausstellen, dass sie ein Artefakt ist, auf dessen Funktion der ganze Roman basiert.
Wenn der Leser einmal begriffen hat, wie der Autor „tickt“, dann sucht er wie ein Kriminalist nach solchen ‚Gewehren an der Wand‘ und der Autor hat den Leser da, wo er ihn haben will – der Leser macht mit, ist im Roman drin, handelt und denkt mit. Deshalb, weil der Autor alles Ausufernde wegschneidet, er reduziert auf das Maximum. Ein Text ist ein Diamant, der beim Schleifen Gewicht verliert und erst dadurch zum alles überstrahlenden Diamanten wird.

Meine ersten drei Gehirnwürmer:
Reduce to the Max
Das Gewehr an der Wand
Säen und Ernten
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