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Die Geschichten hinter euren Narben81
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Hester Jonas

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****ia Frau
22.263 Beiträge
Themenersteller 
Hester Jonas
Teil 1

Immer wenn ich die Felder sehe, das wogende Meer von Grün, den Weizen, die Gerste und den Roggen, dann denke ich an meine Mutter. Denke an ihr gütiges Gesicht, an ihr silbergraues Haar, die zupackenden Hände.

Aber vielleicht sollte ich meine Geschichte weiter vorne beginnen. In der Zeit, als ich noch ein junges Mädchen war. Und an die ich mich zurückerinnern kann, als sei es gestern gewesen.

Ich wuchs als jüngstes und einziges Mädchen von drei Geschwistern in der Mühle am Dorfrand auf. Mein Vater war Müller und die schwere Arbeit hatte seinen Rücken früh gebeugt. Meine Brüder, große, derbe und kräftige Kerle wie mein Vater, halfen ihm in der Mühle und so ging das Geschäft gut, denn wo fleißige Hände zusammen arbeiten, bleibt der Lohn nicht aus.
Meine Mutter und ich versorgten den Haushalt und den Garten, und wir hatten Glück, dass wir unseren Männern fast jeden Morgen auch ein deftiges Stück Speck auf den Gerstenbrei legen konnten. So gut ging es hier nicht jeder Familie.
Aber meine Mutter war nicht nur fleißige Haushälterin, strenge Mutter und brave Ehefrau, sie war auch die Hebamme unseres Dorfes und kannte sich mit allerlei Kräutern aus, um den Frauen zu helfen, die da in Schmerzen Gebären sollten.
In so mancher Nacht wurde sie gerufen, um dann stundenlang bei einer Gebärenden zu sitzen und ihr beizustehen, ein neues Leben in diese Welt zu bringen. Die Frauen mochten meine Mutter, die Hester Jonas genannt wurde, gern, denn sie hatte eine besonnene, ruhige Art und zwar kräftige und derb aussehende Hände, die aber sehr einfühlsam waren.

Ich mag wohl zwölf Lenze alt gewesen sein, da sagte meine Mutter zu mir: „Grit, heute wirst du mit mir kommen und mir helfen. Es ist an der Zeit, dass du mein Handwerk erlernst und da du selbst bald zur Frau reifen wirst, kann es nicht schaden, jetzt damit anzufangen.“
Und so brachen wir gemeinsam auf, nachdem Mutter ihr Bündel mit Kräutern gepackt hatte. Ich war eifrig gespannt meiner Mutter zu helfen, denn schon immer hatte ich mir gewünscht, eines Tages in ihre Fußstapfen zu treten.

Im Haus des Stellmachers herrschte helle Aufregung, denn es war das erste Kind, das die Stellmacherin zur Welt bringen sollte und ihr Mann war voller Sorge, sein Weib, das ja wertvolle Arbeitskraft war, könne die Geburt nicht lebend überstehen.
Ruhig, aber bestimmt, schob Mutter ihn aus dem kleinen Raum, der das Ehelager beherbergte, mit dem Befehl, nicht wieder drinnen zu erscheinen, bevor sie ihn nicht gerufen hätte. Mich schickte sie in die Küche, um Wasser für ihre Kräuter aufzusetzen. Dann sprach sie ganz leise mit der Stellmacherin, die sich jetzt, da die Hebamme da war, sichtlich entspannte.
Nachdem ich mit dem kochenden Wasser zurück war, übergoss Mutter eine handvoll verschiedener Kräuter damit und gab den Sud der Stellmacherin zu trinken. Mutter erklärte mir, dass die Kräuter der Frau Kraft geben und ihre Muskeln entspannen sollten, damit ihr das Gebären leichter fiele. Bald darauf geschah das Wunder der Geburt und ein makelloser Junge erblickte das Licht der Welt. Hester versorgte Säugling und Mutter auf’s Beste, legte ihr das gewickelte Kind an die Brust und wies mich an, gemeinsam mit ihr auf die Knie zu gehen um ein Dankgebet zur heiligen Jungfrau zu sprechen, für den glücklichen Ausgang der Geburt.
Der Stellmacher war zufrieden, Frau und Kind wohlauf zu sehen und zum Dank für die Geburt seines ersten Sohnes nahmen wir zwei Hühner entgegen, die unseren Speiseplan bereichern würden.
Als wir uns auf den Heimweg zur Mühle machten, war es bereits dunkel geworden und es regnete. Wir hatten noch ein gutes Stück zu gehen, als Mutter plötzlich zu Boden fiel und dabei keinen Laut von sich gab. Zuckend und mit flackernden Lidern lag sie vor mir, ihr Mund war völlig verkrampft und Schaum trat zwischen ihren blauen Lippen hervor, wie ich im trüben Licht meiner Laterne sehen konnte. Erschreckt versuchte ich sie ins Bewusstsein zu rütteln, aber sie erwachte nicht aus ihrem Zustand. Da lief ich, hilflos und verängstigt so schnell mich meine Füße trugen zur Mühle, weckte meinen Herrn Vater und führte ihn zu meiner Mutter, auf dass er sie nach Hause trage. Vater nahm sie auf, trug sie heim und legte sie auf ihr Lager, wo sie erst Stunden später erwachte. Mit bangen Gesichtern hatten wir über Mutter gewacht und für sie gebetet und nun, da sie erwachte, war mein Herz voller Freude. Nun konnte ich mich beruhigt zur Ruhe begeben.
Am nächsten Tag nahm Mutter mich zur Seite und sprach zu mir: „Grit, ich hatte einen wunderlichen Traum. Ich träumte von einem Land, wo nicht mehr die Männer der Kirche über uns Frauen herrschen. Ich träumte, dass die Weiber nicht mehr als verderbt gelten und die gleichen Rechte haben, wie ihre Männer!“
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Liebe Rhabia,

ich bin schon auf den nächsten Teil gespannt und werde ihn nur mit Mühe erwarten können, gerade weil ich den Hintergrund und Ausgang kenne.

Schön geschrieben ... *bravo*

Liebe Grüße
Herta
Jetzt bin ich auf Teil 2 gespannt,

gefällt mir gut bisher

ev
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****ia Frau
22.263 Beiträge
Themenersteller 
Teil 2
Die Jahre gingen ins Land. Viele Missernten und Krankheiten, die unter dem Volk wüteten, hatten aus unserer blühenden Mühle ein recht ärmliches Anwesen gemacht.

Nach und nach wurde ich für Hester eine unentbehrliche Helferin. Sie erklärte mir die Wirkung der Kräuter, die wir selbst den Sommer über sammelten und zeigte mir, wie sie anzuwenden sind. Und immer, wenn eine neue Seele das Licht der Welt erblicken sollte, nahm sie mich mit, um ihr zur Hand zu gehen. Nur manchmal kamen Frauen, um mit Mutter in Verschwiegenheit zu sprechen und da wurde ich hinausgeschickt.

Was mir und dem Vater Sorgen machte, waren die Anfälle der schweren Krankheit, die mit der Zeit immer häufiger kamen. Vater hatte sogar nach einem Herrn Doctorus aus der Stadt geschickt, der nur mitleidig genickt hatte. Er erklärte uns, Mutter leide am St.Johannes-Übel, das auch Fallsucht genannt würde. Eine Krankheit, verursacht von Bösen Geistern, die vor allem die Weiber befiele, die in Zank und Zorn gerieten. Und er verschrieb uns einen Theriak, der die Bösen Geister austreiben solle, aus meiner Mutter, wenn er bei Vollmond eingenommen würde. Aber die erhoffte Wirkung blieb aus. Immer wieder hatte Mutter ihre Anfälle, besonders dann, wenn eine Geburt schwer und lang gewesen war und sie sich über ihre Kräfte hinaus verausgabt hatte. Oft hatte sie danach Träume von einer Welt, die besser wäre als die unsrige. Vater wollte davon nichts hören und gebot ihr zu schweigen, denn solche ketzerischen Reden hielt er für zu gefährlich.

Ich zählte inzwischen sechzehn Lenze und man hielt mich für recht hübsch. Da meine Mutter eine gute Hausfrau war, galt ich als gute Partie, und so war es nicht verwunderlich, dass eines Tages der Neffe des Bürgermeisters um meine Hand anhielt.
Ich mochte ihn nicht. Hatte ich doch als Kind schon erlebt, dass er andere Kinder und Tiere quälte, wenn er sich unbeobachtet fühlte. Ich bat meine Mutter, mit dem Vater zu sprechen, dass er mich nicht an diesen Mann gäbe und Vater gab seinem Weib seufzend nach.

Nun geschah es aber, dass nur kurze Zeit darauf des Bügermeisters Weib von einem Kind entbunden werden sollte. Mitten in der Nacht wurde Mutter zu ihr gerufen, obwohl es noch gar nicht an der Zeit war. Mutter ging diesmal allein, sie wies mich an, zuhause zu bleiben, da der Vater mit einer schlimmen Erkältung danieder lag.
Zwei Tage und zwei Nächte blieb Mutter aus und ich begann mir Sorgen zu machen. So machte ich mich auf den Weg in die Stadt und erfuhr dort, dass man Mutter in den Turm eingesperrt und der Hexerei angeklagt habe. Sie habe das Kindlein des Bürgermeisters mit zauberischen Kräutern im Mutterleib getötet und die Mutter gleich noch dazu. Das alles erzählte mir die Köchin des Bürgermeisters, die mich warnte, nicht in der Stadt zu verweilen, damit ich nicht auch noch mit angeklagt würde. Sie ermahnte mich, dem Bürgermeister und vor allem dessen Neffen nicht unter die Augen zu kommen, da dieser nach Rache sinne dafür, dass ich ihm die Ehe ausgeschlagen hatte.

Die nächsten Wochen waren eine Höllenqual für mich und meine Familie. Man ließ uns nicht zu Mutter. Wir erfuhren immer wieder nur Gerüchte, dass sie peinlich befragt worden sei und die Buhlschaft mit dem Teufel zugegeben habe.
In einer dunklen Nacht jedoch, nicht lange vor dem heiligen Abend, erwachte ich durch ein schabendes Geräusch an der Tür. Angsterfüllt öffnete ich und fand auf der Schwelle meine Mutter, die ich kaum erkannte, so elend und geschunden war sie. Ein schmutziges, blutendes Bündel war sie, das sich mit letzter Kraft zu ihrem Heim geschleppt hatte. Ihre Hände waren mehrfach gebrochen und sie war nicht mehr in der Lage sich zu erheben. So weckte ich meinen Vater, der sie so sanft er konnte aufhob und auf das Bett legte. Als sie kurz zu Bewusstsein kam sah sie mich ganz lange an und sprach: „Du bist ein gutes Kind. Sei weiter gottesfürchtig und tue unser gutes Werk an den Frauen weiter. Gib an deine Töchter weiter, was du von mir gelernt hast. Aber tu es im Verborgenen.“
Mit einem Mal erhob sich ein Lärmen vor der Tür und die Schergen des Bürgermeisters kamen hereingestürmt und rissen Mutter von ihrem Lager, schlugen Vater nieder und mich ins Gesicht und nahmen Mutter mit sich.

Wie ich später erfuhr, wurde Mutter mit scharfen Ruten ausgepeitscht, so lange, bis sie alle gegen sie erhobenen Vorwürfe gestand. Am 24. Dezember wurde sie durch den Scharfrichter geköpft. Ihr Leichnam wurde verbrannt, so dass wir sie nicht christlich beerdigen konnten und ihre Asche wurde über die Felder verstreut.

Immer wenn ich die Felder sehe, das wogende Meer von Grün, den Weizen, die Gerste und den Roggen, dann denke ich an meine Mutter. Alle Felder tragen gute Frucht und die Ernte wird viele gut über den Winter bringen. Alle Felder, bis auf die Felder des Bürgermeisters und seiner Familie.




Hester Jonas (* um 1570 in Monheim am Rhein; † 24. Dezember 1635 in Neuss) war die sogenannte Hexe von Neuss.
Wir seyen deren dreyr...
Itzum, dass die verderbliche Saat der die Frawen vernichtende Concordanz der Mutter Ecclesia in allen Confessiones nit möge fortan furchtbare Frucht im Hl. Römischen Reich tragen, haben wir uns vereingt, gemeinhin gegen diese Verderbnis der Mächtigen Kirchenoberen zu agieren.

sigullum dero
Joh. M. Mayfart Friedrich Spee Anton Praetorius


(leider historisch nicht wrklich verbürgt oder gar wirksam)
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