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Dirtytalk & Kopfkino
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Serpentinen

Serpentinen
Die Trommel der Waschmaschine drehte und drehte sich. Auch wenn Georg sich davor setzte – es beschleunigte den Vorgang nicht. Also legte er eine DVD mit dem Film „American Beauty“ ein und ließ sich ein fremdes Leben im Schnelldurchlauf erzählen. Immer wieder lief er ins Bad, schaute auf die rotierende Trommel, machte sich einen Kaffee oder fand Kleidungsstücke wie seine Badehose, die er noch in die Reisetasche warf. Seine Ungeduld, endlich ins Auto zu kommen, wurde von fesselnden Filmszenen abgebremst.

Angela legte kleine Stapel von Kleidungsstücken auf den Boden ihres Schlafzimmers – Hosen, Shirts, Wäsche. In der Reisetasche lagen schon die Schuhe – Pumps, Sandalen, Wanderschuhe. Sie packte widerwillig - denn sie wollte reisen, nicht packen. Aber sie wollte auf alles, was ihr auf dieser Reise geschehen konnte, vorbereitet sein. Deswegen zwang sie sich zu konzentriertem Zusammenstellen. Und sah immer wieder auf die Uhr, denn sie wollte nicht zu spät aufbrechen. Sie wusste, wie sehr Georg die Abreise herbeisehnte. Er war auf der Flucht, und sie war seine Fluchthelferin. Sie wollte ihn begleiten, auf einem Weg, der mehr als ein räumlicher war. Weil auch sie weg gehen musste. Sie hätte es auf andere Weise tun können, ebenso wie Georg, aber eine räumliche Veränderung war manchmal hilfreich bei der Beschleunigung innerer Prozesse.

Georg sah hinaus in den Dauerregen. Das Wasser floss die Fensterscheiben entlang wie das Seifenwasser am Glas der Waschmaschinentrommel. Stetig, endlos. Er sehnte sich nach Sonne, nach Aussicht, nach Klarheit. Hier in seinem Haus, am verregneten See, über dem schwer die dunklen Wolken hingen, würde er aus seinen Gedankenschleifen niemals herauskommen. Deswegen war der Wunsch, in den Bergen, ja über sie hinaus, auch über seinen Schmerz und seine unlösbaren Fragen hinwegzukommen, immer drängender geworden. Der größte Teil seines Urlaubs war schon fast vorbei und er hatte sich von Tag zu Tag durch kleine Beschäftigungen ablenken lassen, seiner Unlust nachgegeben, ohne Susanne in Urlaub zu fahren, hatte sich in seine Trauer über das plötzliche Ende ihrer Beziehung fallen, geradezu lähmen lassen - bis er begann, sich für diese Haltung zu hassen. Er musste die Gedanken– und Gefühlsschleifen durchbrechen, und dies konnte ihm, wenn überhaupt, nur durch eine klare Zäsur gelingen. Er wollte von den Orten weg, an denen er mit Susanne gewesen war. Sie hatte ja auch nach dem abschließenden Gespräch eine Reise angetreten, sogar in ein anderes Land. Und ihn mit dem Unverständnis und dem Schmerz allein zurückgelassen.
Nun musste er nur noch den Kaffeefleck aus der Bettwäsche entfernen und das Bett in ihrer Wohnung neu beziehen, in dem er nach Susannes Abreise noch ein paar verheulte Nächte verbracht hatte. Er wollte reinen Tisch machen – zwischen ihnen und für sich.
Die Laken drehten sich in gleichmäßigen Rhythmus durch die Blasen der Seife, und der Regen warf Blasen im Teich in seinem Garten.

Angela saß endlich in ihrem Auto und fuhr über schwimmende Landstraßen zu Georg. Weg von der Enge der Stadt, weg von der Beschränktheit ihrer Gedanken. Weg von der lähmenden Ängstlichkeit, die sich in den Jahren ihrer Beziehung zu Markus in ihr breit gemacht hatte. Die Angst, ihm nicht zu genügen und ihn deswegen zu verlieren, hatte über lange Zeit alles Schöne überschattet, bis es in ihr so dunkel geworden war, dass sie kein Licht mehr sehen konnte. Sie hatte sich auf den Trennungsschmerz so sehr vorbereitet, dass sie ihn schon dauerhaft fühlte, obwohl Markus gar nicht daran dachte, sich von ihr zu trennen. Sie fühlte sich als Verlassene, obwohl sie sich noch in einer scheinbar bestehenden Beziehung befand.

Eines Abends hatte sie Georg getroffen, den tatsächlich Verlassenen. Und sie hatten Gespräche begonnen. Gespräche voller Selbstmitleid und Anklagen, voller Fragen und Zweifel. Und immer öfter war ein Funken von Erkennen aufgeflackert, welchen Mustern sie in ihren Beziehungen erlegen waren und welchen Täuschungen sie aufgesessen waren. Sie vertieften sich in Unterhaltungen, die sie mit ihren Partnern nicht führen konnten. Sie genossen die Zuneigung ohne Bindungsabsicht, die tiefe Freundschaft, die zwischen ihnen wuchs. Deswegen hatte Angela vorgeschlagen, gemeinsam ein paar Tage wegzufahren- eine Reise, die Abstand zu den trüben Gedanken bringen sollte.
Eine Reise, die auch ein Abenteuer war. Ungewiss, wohin, ungewiss, wie das gemeinsame Reisen mit einem Anderen sein würde, in den man nicht verliebt war, den man erst kurze Zeit kannte, von dem man Vieles noch nicht wusste. Der einem trotzdem so vertraut schien.

Schon wieder spürte Angela ihre Ängstlichkeit in sich aufsteigen, die Unsicherheit, ob sie einem anderen Menschen ohne Erwartungen begegnen konnte.
Das wollte sie erfahren, als sie an Georgs Tür klingelte.
Georg öffnete und zog sie vor den Fernseher.
„Kennst du „American Beauty“? Ich muss dir eine Stelle unbedingt vorspielen...“
Er zappte durch die Bilder, bis er zum Selbstmord des Helden kam.
„Magst du einen Kaffee dazu? Die Wäsche muss nur noch 10 Min. im Trockner sein, dann können wir fahren.“
Angela zog die Schuhe aus und schob sich in eine Ecke des Sofas. Der Kater sprang auf ihren Schoß, und sie brachte ihn mit Streicheln zum Schnurren. Das warme Tier auf dem Bauch, Kaffee trinkend und rauchend schaute sie in die offenen Augen im blutenden Schädel von Kevin Spacey.
Und hörte die Sätze des Jungen, der von der Unerträglichkeit großen Glücks sprach. Das allein kaum zu fassen war und die Brust zu sprengen drohte, schmerzhafter als alles Unglück.
Als die Wäsche trocken war, luden sie Angelas Reisetasche in Georgs Auto und fuhren zu Susannes Wohnung. Georg bezog dort das Bett, während Angela im Auto auf ihn wartete. Dann fuhren sie los.

Autobahn, immer näher rückende Berge, Dauerregen.
Das untere Ende von Deutschland geht in ein Stück Österreich über, und dann sind sie in der Schweiz.
Autobahn, Landschaft verzerrt durch Regenfahnen, Gipfel im Nebel. Anhalten, um zu tanken und Vignetten zu kaufen.


(und die Reise geht weiter...)

©tangocleo 2009
********ride Frau
1.212 Beiträge
Du machst es
immer so spannend...

wer fährt denn schon in die Schweiz, um sich umzubringen? Da muß es doch noch eine Menge Stories geben!

Wo ist der Koffer mit den Millionen für das Bankkonto?
Wovor fliehen sie beide?
Ist die Polizei schon hinter ihnen her?
Haben sie etwa auch noch jemanden umgebracht?
Etwa eine Erbtante?

Los, los! Weiterschreiben!!!
jetzt nicht Mutti so hetzen... *g*...gleich... die Waschmaschine, du weißt... lach
********ride Frau
1.212 Beiträge
Auf die Waschmaschine setzen!
... inspiriert enorm:) s. Misfits
... und weiter...
Angelas Stimme drang in Georgs Ohr, und die Worte, die sie sprach, gingen direkt in sein Herz. Sie las ihm Geschichten vor, Geschichten von unglücklich Liebenden und Menschen, die ihre Seele suchten und den Sinn ihres Seins. Georg spürte Weinen in sich aufsteigen, und in Angelas Stimme konnte er an manchen Stellen ein ergriffenes Zittern hören.
„Das ist brillant!“ sagte Georg am Ende einer Geschichte.
Angela nickte nur.
Dann schwiegen sie und rauchten. Ließen ihre Gedanken schweifen – zurück zu denen, die sie verlassen hatten. Zurück zu Momenten und Situationen, die randvoll mit Schmerz waren. Oder Momenten großen, flüchtigen Glücks.
Einer von ihnen fing dann wieder das Gespräch an. Erzählte von seinen Gedanken und den verschiednenen Betrachtungsmöglichkeit.

Stunden fliegen dahin wie Kilometer. Der Regen macht das Erkennen von spezifischer Landschaft unmöglich. Sie könnten auch einfach auf einem Parkplatz stehen. Dann aber die Suche nach den lokalen Zielen ihrer Fahrt: Chur, Flims, Vals. In Vals wollen sie die Therme besuchen, der der Architekt Zumthor einen atemberaubenden Rahmen geschaffen hat.

„Fahren wir gleich zur Therme oder suchen wir erst ein Hotel?“ fragte Georg am Ortseingang.
Sie beschlossen, erst einmal zum Talende, an dem sich ein Stausee befand, zu fahren. Angela hatte gehört, dass dort ein Hotel sein sollte. Die Straße wurde immer schmaler, das Tal zog sich hin. Sie kamen in einen abenteuerlichen einspurigen Tunnel, niedrig und eng, die Felswände zum Greifen nah. Wieder unter freiem Himmel führten ein paar Serpentinenkurven zu dem Plateau am Stausee, von dem man im Nebel nur die Staumauer ahnen konnte. Die Ausflugshütte dort gab noch nicht einmal ein Getränk her – da sie geschlossen war – geschweige denn eine Übernachtungsmöglichkeit. Frierend standen sie für eine Weile auf der Terrasse und sahen zu, wie sich Schneeflocken unter die Regentropfen mischten.
Auf dem Weg wieder hinunter ins Tal stellten sie sich vor, wie sehr äußere Umstände wie Wetter, geschlossene Hotels, schlechtes Essen u.ä. das wohlwollende Miteinander von Liebenden, besonders aber von Ehepaaren stören konnten. Für solche Situationen erklärte man gern den Anderen verantwortlich. Und damit für die eigene Unfähigkeit, damit gelassen umzugehen.
Bei ihnen war es anders. Alles, was sie füreinander waren, bestand unabhängig von Äußerlichkeiten, und wie sie sich dabei fühlten, schuf jeder selbst.

Sie lachten, als auch die Fremdenzimmer beim Bäcker und Metzger des Ortes verschlossen blieben.
Dass auch die Therme noch für eine Woche Betriebsruhe hatte, wunderte sie nicht mehr.
Sie legten eine CD in den Player ein und fuhren weiter in Richtung Süden und einer Sonne, die sie nur ahnen konnten.

Orte im regnerischen Halbschlaf, Hotels mit geschlossenen Läden, Berge ohne Gipfel und Landschaft ohne Kontur. Sie nehmen das Äußere als Beschreibung ihres Gemütszustandes und müssen darüber lächeln.
In St. Moritz geht es ihnen nicht anders als in Vals: die wenigen Hotels, die offen sind, haben keine Zimmer frei. Weiter nach Celerina, wo sie in einem wenig ansprechenden Betonklotz endlich ein Zimmer bekommen.


An der Bar bestellten sie Kaffee und Tee zu, erschöpft von der langen Fahrt und gleichzeitig glücklich, dass sie ein Zimmer für die Nacht hatten. Während sie sich über die bestenfalls „konsequent modern und schnörkellos“ zu nennende Architektur des Hotels unterhielten, hatten sie beide andere Gedanken im Hinterkopf:
Zu Beginn der Reise waren sie sich darüber einig gewesen, Einzelzimmer zu buchen, um ihre Privatsphäre wahren zu können.
So, wie sie einander auch immer versichert hatten, dass sie sich nicht ineinander verlieben würden, obwohl sie jeweils beim Anderen Grund genug dafür finden konnten.
Nun sollten sie die Nacht doch in einem Doppelbett verbringen und waren sich nicht sicher, welche Gefühle das auslösen würde.

Sie gingen zum Essen. Konsequenterweise hatte das erste Lokal keinen Tisch mehr frei, doch im zweiten wurden sie freundlich und gut bewirtet. Mit dem Essen stieg auch ihre Stimmung, und sie erzählten sich weiter Geschichten aus ihrem Leben. Und tranken nur Wasser.
Vom Reisen und Reden ermüdet, sanken sie später auf die warmen Laken der Betten und schliefen tief, bis sie in regenloser Helligkeit erwachten.

Wind fegt durch das dunkle Tal. Reißt Fetzen aus der dichten, dunklen Wolkendecke. Rüttelt am offenen Dachflächenfenster, unter dem ein Mann und eine Frau schlafend liegen. Jeder unter seiner Decke, auf seiner Matratzenseite.

Georg lag mit offenen Augen da, als Angela zu ihm hinüber blinzelte.
„Guten Morgen...es hat ja aufgehört zu regnen“ sagte Angela mit leichtem Staunen.
„Ja, ich habe sogar schon Fetzen von Blau gesehen...hast du gut geschlafen?“
„Ja, sehr...du auch?“
„Geschlafen schon...aber warum muss mein erster Gedanke am Morgen an Susanne sein? Warum kann ich mich nicht über den Schlaf freuen, die Helligkeit, sondern muss gleich an sie und den Verlust denken?...ich brauch einen Kaffee...sofort!“

Die Zeit, bis das Frühstück serviert wurde, verbrachten sie mit Lesen und Reden. Georg war unruhig und verzweifelt über seine Gefühle. Soweit gefahren und keinen Schritt weiter.
Angela hatte keine Sehnsucht nach Markus und sie dachte seltener an ihn, als sie erwartet hatte. Selbst die Wut, die sie über seine scheinbare Gelassenheit empfunden hatte, war ohne großes Feuer. Er hatte sie achselzuckend gehen lassen – „tu, was du tun musst“ – und ebenso achselzuckend blickte sie zurück.
Wenn das der Weg war, den ihre Liebe gehen sollte, dann würde sie ihn gehen.
Georg beneidete sie für diese Ruhe und hasste seine Aufgewühltheit. Sein Magen rotierte wie eine Waschmaschinentrommel beim Schleudergang. Angela nahm seine Hand und hielt sie.

Der angenehme Geruch von frischen Buttercroissants stieg in ihre Nasen. Endlich gab es Kaffee und Tee.
„Was wühlt dich so auf?“ fragte Angela beim Frühstück.
„Dass es mit Susanne so toll war... wir haben es langsam angehen lassen, hatten soviel Spaß miteinander – und sie war glücklich, das kann ich dir versichern – es hätte noch eine gute Weile so weiter gehen können. Doch sie nimmt einfach eine Axt und haut alles entzwei und flieht. Aus Angst. Ich fühle, dass auch sie leidet.“
Georg starrte wütend in seine Kaffeetasse.

Angela erinnerte sich: Wann war es mit Markus perfekt gewesen? Zu selten hatten sie beide das Gleiche gewollt oder gefühlt. Wenn es für einen von ihnen gut gewesen war, hatte der andere meist einen faulen Kompromiss gemacht. Das war immer zu spüren gewesen.

Nach dem Frühstück gingen sie wieder auf ihr Zimmer. Die Sonne schien durch das Dachflächenfenster direkt auf das Bett – eine Einladung, der Angela sofort folgte. Georg las ihr, an den Treppenabsatz der Galerie gelehnt, aus seinem Buch über den freien Menschen vor. Angela schaukelte auf seiner Stimme in den Schlaf.

Als sie erwachte, war sie allein im Raum. Ihr Gesicht war warm vom Sonnenschein. Sie rollte sich im Lichtkegel zu einem Ball zusammen und horchte: keine Schritte, kein Seitenumblättern, keine Atemzüge.
Sie stand auf und schaute über die Galeriebrüstung nach unten: Georg lag auf seiner Bettdecke auf dem Balkon und schlief. Zufrieden ließ sich Angela ins Bett zurückfallen und steckte sich die Hörer des i-pod in die Ohren. Das Weihnachtsgeschenk von Markus. Viel praktischer als ein Ring, dachte Angela und musste schmunzeln.
Nach einer Weile ging sie nach unten, um sich ein Glas Wasser zu holen. Sie betrachtete den Schlafenden. So viel Schmerz, so viel Energieverschwendung in ihren beiden Herzen. Aber sie konnten die Sonnen ihrer Liebe nicht einfach umdrehen und einander zuwenden, zu scheinbar „passenderen“ Partnern. ...
****tta Mann
3.462 Beiträge
Tolles Drehbuch. Wirklich. Alles sehr, sehr bildlich: Serpentinen, Waschmaschine, Blasen, Kaffeefleck...
Ich sah die ganze Zeit Deine Protagonisten vor mir, erkannte mich sogar selbst.
Aber nicht nur Angela und Georg, Susanne und Markus, auch die schnurrende Katze, das regnerische Wetter und all die kleinen Details der Geschichte, von denen mir einige erst beim zweiten Lesen aufgefallen sind.
Die Geschichte für dieses Drehbuch finde ich so faszinierend, dass sich mein Kopfkino gar nicht abstellen lässt.

Und zu den Vignetten, am Ende, noch ein Gedanke.
In 99,9% aller Filme und Büchern, die ich kenne, geht nie jemand auf Klo, zumindest nicht zum scheißen. Alle Essen und Trinken immer nur, aber auf Toilette gehen sie zum Schminken und zum Vögeln, zum Spionieren, zum Verstecken, zu allem möglichen, nur nicht zum scheißen.
Für mich ist die Vignette ein Bild für das Reisen, zwar ein ziemlich nebensächliches, aber es macht die Geschichte noch authentischer. Vielleicht sollte in anderen Geschichten auch mal auf solche Details und endlich mal aufs Scheißen geachtet werden.

So ist das Leben ............

man glaubt oft das Richtige zu tun,

aber man merkt dann zu spät, .... es war das Falsche

ev
********ride Frau
1.212 Beiträge
@sagitta
profanes steht Dir gut *haumichwech*

Vielleicht lesen wir mal einen Verdauungsroman a la "Feuchtgebiete" von Dir?
.... und weiter...
Georg erwachte und lächelte sie an.
„Willst du ein schönes Lied hören?“
Sie setzte sich zu ihm und reichte ihm die Kopfhörer.
Als er den Flamenco zu Ende gehört hatte, sagte Georg:
„Wunderschön, aber zu traurig. Lass uns nach Italien fahren.“

Das weite Tal von St. Moritz, das verbaute Dorf, Lassi aus dem Coop,
Spaziergang am Silvaplaner See.


„Findest du nicht, dass mit diesem Tal etwas nicht stimmt? Es ist unnatürlich. Es sieht aus, als wäre es für eine Bundesgartenschau mit der Planierraupe erschaffen worden.“
Angela gefiel weder St. Moritz noch die Umgebung.
„So habe ich es noch nie betrachtet“, antwortete Georg.
„Der See ist ein Kiter-Paradies, deswegen kam ich früher hierher. Aber es stimmt... es gibt romantischere Orte.“
Sie breiteten am Parkplatz die Straßenkarte aus und setzten sich davor.
„Wohin jetzt? Such etwas aus!“
Angela fuhr mit dem Finger durch die Täler.
„Eigentlich ist es mir egal...du weißt, die Orte haben keine Bedeutung für uns, weil wir ja innen Fortschritte machen müssen. Aber lass uns doch an den Comer See fahren. Da war ich schon einmal mit einem Mann, und war glücklich – das ist vielleicht ein guter Ort.“
Georg lachte:
„Ich war da auch mit einer Ex-Frau...also lass uns dahin fahren.“

Mit lauter Musik über sonnige Pässe und abwärts ins Val Bregaglia.
Die Sonne strahlt durch das offene Schiebedach auf Stirn und Herz.

„Wenn ich dir zu flott fahre, sag es bitte, dann passe ich meinen Fahrstil an“ ,bemerkte Georg nach einer schnittigen Serpentinenkurve.
Angela lachte laut auf.
„Ich genieße jede Beschleunigung...ich habe vollstes Vertrauen in das Auto und deine Fahrkünste.“
Sie machte Georg auf eine Gerölllawine aufmerksam, deren dicke Granitblöcke zwischen den Bäumen zu sehen waren. Georg stieg in die Bremsen und parkte in einem schmalen Waldweg.
Sie kletterten bis an den Bach, der in der Mitte der Steine seinen Weg gefunden hatte, und setzten sich.
„Haben wir unsere Partner mit unserer Liebe überfordert?“ fragte Georg.
„Das hieße, dass es ein Zuviel an Liebe geben kann. Vielleicht haben wir sie mit unseren Handlungen, und sicher mit unseren Erwartungen überfordert. Vielleicht hat die Macht unseres Gefühls auch uns überfordert.“
„Du bist so klug...“ Georg sah Angela von der Seite an.
Sie sah in die Weite, das Tal hinauf.
„Leider nicht klug genug, um es Markus an meiner Seite richtig angenehm zu machen und selbst dabei glücklich zu sein...
Siehst du den großen hellen Stein da oben, der aussieht wie ein Pottwalkopf? Wer zuerst drauf sitzt...“
Und sie kletterte los. Suchte nach einem Übergang über das Wasser. Wog die Weite der Schritte ab und ihre Trittsicherheit. Als sie kurz davor war, den Stein zu erreichen, sah sie Georg schon da sitzen.
„Du hast längere Beine, das ist unfair...“ maulte sie grinsend.
Lachend zog er sie neben sich.
„Hier ist es schön... mein Bauchweh ist weg.“
Angela strahlte ihn an.
„Das ist gut...so soll es sein!“

Sie klettern zurück. Zigaretten im Auto und ganz laut
„A Glorious Day“ zu wilden Kurven. Das Lachen bleibt in ihren Gesichtern. Ein schöner grüner Granitstein liegt als Trophäe auf dem Rücksitz.
Das Tal wird italienischer: kleine Ortschaften, alte Häuser aus Holz und verwittertem Stein, üppige Blüten an Hauswänden und Balkonen.
Ein Wasserfall am Ortsausgang von Bondo. Er ist ihr Fahrer, sie ist sein Auge in der Landschaft.


„Schau, der Wasserfall! Er ist gigantisch!“
Georg parkte neben einem Kiosk. Hand in Hand liefen sie die Maira entlang zu dem Wasserfall, der die steile Felswand in langen Kaskaden herunterfiel. Tropfenfontänen flogen mit dem Wind zu ihnen und besprengten ihre Gesichter. Georg ließ sich in die Wiesen fallen und Angela kletterte noch näher, bis der Sprühregen so kalt wurde, dass sie krampfartig einatmen musste. Und lachen.
Sie spürte, wie sie immer froher wurde. Die Gedanken an Markus, ihr Nachdenken über ihn, fiel von ihr ab wie eine schwere Last. Hier war sie, nur sie - lebendig, sonnig, und ohne jede Angst. Sie hatte nichts zu verlieren. Wenn Markus sie je geliebt hatte, hatte diese Liebe nicht gewärmt oder getragen.

Georg war still, und sie fragte nicht, was er dachte. Sie konnte sich die Bilder – und Gefühlsflut denken, die durch ihn wogte. Gerne hätte sie ihm ein wenig von der Leichtigkeit gegeben, die sie beflügelte. Aber er hatte seinen Ballast noch nicht abgeworfen, hielt ihn noch fest wie kostbaren Besitz. Sein Weg.
Sie kletterten auch hier über das Flüsschen auf schlüpfrigen Steinen. Man konnte das Balancieren gar nicht genug üben.

Chiavenna – malerisch, sonnig. Dreimal um den Kreisverkehr, um immer wieder über die kleine Brücke zu fahren mit dem Ausblick in die Altstadt:
Winzige Balkone, Erker und Terrassen, blumenbeladen, bunte Blütenknäuel wie Ballons über dem Fluss.
Weiter durch die Ebene zum See. Die elektronische Temperaturanzeige verkündet stolz 27 Grad.

Auf den letzten Kilometern vor dem Comer See, die durch Tunnel führten, las Angela noch eine Geschichte vor. Sie überlegten gemeinsam, ob diese Geschichte auch ein gutes Ende haben könnte und dann noch immer stimmig wäre. Gab es Hoffnung für die Liebe jenseits des Augenblicks?

Der See raubte ihnen den Atem in seiner milchigen Schönheit.
Sie fühlten beide: das war der richtige Ort, den hatten sie gesucht.
In Varenna setzten sie sich am Ufer ins Cafe.
„Du sprichst italienisch?“ fragte Georg.´
„Ein wenig. Für das Alltägliche eines Touristen reicht es, für Literatur noch nicht“, antwortete Angela, „und überhaupt hat Rainer Malkowski recht, der sagt:
Nie italienisch lernen -
Eine Sprache, die klingt, als brächte sie
einen besseren Menschen hervor.
Blau sind die Worte und meergrün,
und in jedem O
steckt eine leuchtende Orange.
Ich bin nicht unterwegs
um mich vor Illusionen zu hüten.
Ich bevorzuge Menschen, die ich nur mangelhaft verstehe.
Fehldeutungen, eine schöner als die andere,
auf der Ebene von Arien.


Sie tranken, rauchten und sahen Eltern zu, die ihre Kinder bis auf die Unterhosen auszogen und im flachen Wasser des Ufers plantschen ließen. Auch das Elternsein hatten sie beide schon erlebt und leichten Herzens hinter sich gelassen.
Das Leben stellte nun andere Fragen an sie.
Weiter so ........
Auf die Fortsetzung bin ich sehr gespannt ...

ev
kommt gleich...:-)
... und weiter...
„Lass uns doch gleich ein Hotel suchen...“ schlug Georg vor.
„Gute Idee, da oben ist die „Albergo Milano“... so einen Blick vom Balkon auf den See hätte ich gerne...“

Hand in Hand schlenderten sie durch enge Gässchen den Berg hoch.
Der Mann an der Rezeption sprach deutsch, war auch sehr freundlich, hatte aber kein Zimmer mehr frei. Und machte ihnen keine Hoffnung in Varenna überhaupt eines zu finden. So schickte er sie zu einem Hotel 4 Kilometer außerhalb, da sei vielleicht noch etwas zu bekommen. Aber es ginge sehr steil den Berg hinauf: Villa Stupenda.

Das Licht, tausendfach reflektiert vom Wasser, hebt sie über die Straße. Der schmale, steile Weg öffnet sich zu einem kleinen Parkplatz und gibt den Blick auf tatsächlich sprachlos machende Schönheit frei: Eine Burg ähnliche Villa, liebevoll renoviert, mit Blumen überladenen Terrassen und Balkonen, beschattet von Palmen. Unten eine Bucht mit kleinen Häusern und Booten.
Er wartet im Auto, sie fragt nach Zimmern.
Enttäuscht verkündete Angela:
„Die haben auch nichts frei – und diesmal bin ich echt traurig. Es ist innen genauso schön wie außen. Hätten wir das nicht verdient?“
Doch sie lachte, als sie einstieg. Diese Seeufer waren voll von solchen Häusern und sie würden etwas finden, das wusste sie.

Im Tunnel zum nächsten Ort sprechen sie einen Zauberspruch, der ihnen ein freies Zimmer bescheren soll.
Aus dem Dunkel des Tunnels wieder ins lebendige Licht.
Sie finden die kleine Straße zum Hotel nicht und fragen einen alten Mann, der in seinem Garten arbeitet. Er zeigt auf ein rotes Haus gleich neben dem Friedhof, der hoch über dem See mit an die Felswand gestellten Grabsteinen gut zu erkennen ist:
Schönste Aussichten auch nach dem Tod.

Georg blieb wieder sitzen, während Angela mit leichten Schritten
ins Restaurant und zur Rezeption lief.
Strahlend kam sie zurück und nannte nur den Namen des Hotels:
Eremo Gaudia – wir werden Freude haben!
Das Hotel war nicht annähernd so elegant wie die Villa Stupenda, aber die Aussicht vom Balkon war fast noch besser: der gesamte See lag ihnen zu Füßen. Diesmal verschwendeten sie keinen Gedanken an das Doppelbett, sondern ließen sich zufrieden auf dem warmen Steinboden des Balkons nieder.
Georg meditierte mit geschlossenen Augen.
Angela gab ihrer Müdigkeit nicht nach, sondern ließ beim Musikhören die Augen immer wieder über den See gleiten. Sie trank die Aussicht: Die milchigen Hügelkonturen in weichen Grautönen, die vielen Sonnensterne, die das Nachmittagslicht auf der Wasseroberfläche reflektierten, durchpflügt von den regelmäßigen Fähren zwischen Ost- und Westufer. Die Wärme drang in jede Pore ihrer Haut – denn sie hatte ihren Badeanzug angezogen – und machte sie schwerelos.
Sie spürte, dass Georg nach einer Weile aufstand und den Balkon verließ, und überließ sich weiter ihrer wohligen Trägheit.

Georg geht nach oben ins Restaurant und setzt sich mit seinem Buch und einem Kaffee an einen Tisch auf der Terrasse. Aber er liest nicht, sondern sein Blick geht in die blaugoldene Weite vor sich.
Voll Sehnsucht.
Er lässt die Augen weiterschweifen, bis zum äußeren Rand der Terrasse und dem letzten Tisch, an dem eine blonde Frau sitzt.
Sein Herzschlag setzt für einen Moment aus - er steht auf und geht hinüber.
„Susanne, wie kommst du hierher?“
Langsam hebt sie ihren Blick zu ihm auf und er sieht ihre dunklen Augen unter dem fransigen Pony.
„Ich wollte gar nicht... hierher...aber du hast mich nicht losgelassen, also musste ich kommen.“
„Ich habe dich so vermisst...“
„Ich dich auch...aber das reicht nicht, das weißt du doch. Vermissen geht leicht, aber die Nähe des anderen ertragen, das ist schwer...“
„Du willst also nicht bleiben?“
Das Zittern in seiner Frage lässt auch die Luft und damit das ganze Bild vor seinen Augen flimmern. Wie durch einen flatternden Schleier hört er ihre kleiner werdende Stimme.
„Ich kann nirgendwo bleiben...ich muss etwas suchen, und das ist nie da, wo ich bin, sondern ist immer schon weiter als ich.“


Als Georg die Augen aufschlug, saß er an seinem Tisch und die Terrasse war leer. Er weinte, und mit jeder Träne wurde ihm leichter.

Angela denkt, dass die Wärme auf ihrer Haut wie die Hände eines Liebhabers sind. Und dass man solch einen Moment von vollkommener Schönheit kaum allein ertragen kann.
Ein Schatten fällt auf Angelas Gesicht. Auf dem Balkon nebenan
steht ein Mann im schräg einfallenden Abendlicht.
Angela hält den Atem an, als sie die Kontur zu erkennen glaubt.
„Markus, bist du das?“
Die Gestalt zieht an der Zigarette und blickt sie stumm an.
„Wie kommst du hierher?“
„Ich wollte sehen, ob du wirklich gefahren bist...und wie es dir geht...besser als mit mir?“
Angela setzt sich auf. Gegen das Sonnenlicht kann sie sein Gesicht nicht erkennen, aber wie er die Zigarette hält und sein Haar im Wind flattert, ist ihr schmerzhaft vertraut.
„Du siehst, dass ich gefahren bin...“sagt sie leise.
„Geht es dir gut?“
„Ja... so gut wie schon lange nicht mehr.“
„Liegt es an Georg?“
„Ja, aber nicht so, wie du denkst... eigentlich liegt es an mir.
Ich habe aufgehört, um unsere Liebe zu kämpfen...in mir.“
„Dann kann ich also wieder gehen?“
„Ja, das kannst du...


Das Licht machte ihre Augen tränen.
Sie wischte sie ab und sah über die unfassbare Schönheit und Ruhe des Sees. Sie breitete die Arme aus.

Als Georg kam, hatte er eine Flasche eiskaltes Mineralwasser dabei. Sie blieben auf dem Balkon, bis die Sonne hinter einem Hügelrücken verschwand, tranken und rauchten. Und blickten auf den See.

Die Frau im schimmernden Badeanzug und der Mann mit dem glänzenden Haar geben der Sonne einen Teil ihrer Strahlen zurück.
Sie bedankt sich mit warmer Zufriedenheit.

„Hattest du eine schöne Zeit?“ fragte Georg.
„Ja, es war wundervoll... und viele interessante ...Gedanken...“ antwortete Angela mit ausweichender Stimme.
„Die hatte ich auch...willst du darüber sprechen?“
„Nein“ erwiderte Angela schnell „...manche Sachen sollten einfach im Innern weiterleuchten...ohne Worte werden zu müssen.“
„Ja, das ist gut“ antwortete Georg und drückte seine Zigarette aus.
„Ich habe Hunger...ich werde duschen und dann gehen wir essen, ja?“
Angela sprang auf und verschwand im Bad.
Georg hörte sie unter der Dusche singen.
Als sie herauskam, in einem schwarzen Wickelkleid, ging er ins Bad.
Angela spürte, dass etwas schwer und geheimnisvoll zwischen ihnen war. Nachdenklich steckte sie Perlen an ihre Ohren und tuschte sich die Wimpern.
Georg zog schnell ein frisches Polohemd über das nasse Haar.
„Und heute gibt es Champagner, sag ich dir...das wird ein wunderbarer Abend!“
Angela strahlte ihn zustimmend an.
Sie fuhren hinunter in den Ort.

Der Mann sucht nach einem Parkplatz. Die elegante Frau in einem schlichten schwarzen Kleid hat ihre Tasche und den Wollschal schon an einem freien Tisch des Restaurantgartens abgelegt. Aber sie setzt sich nicht – sie muss noch unter der Efeu bewachsenen Loggia am Springbrunnen vorbei, die Stufen hinunter über die Kiesterrasse bis zur Balustrade am See gehen und auch diesen Anblick tief in sich hineinlassen.

„Hier werde ich mit Georg das letzte Glas Champagner trinken...“
denkt Angela an die Balustrade gelehnt und ihr Herz ist weit vor Glück.

Die Augen der Ober und einiger Gäste folgen dieser Frau, als sie langsam zum Tisch zurückgeht. Und blicken auf den großen Mann, der durch den Eingang auf sie zu eilt.

„Das ist ja fantastisch...“ sagte Georg noch im Stehen und betrachtete anerkennend das Ambiente.

„Schöner kann man es sich nicht denken...“ und er blickte Angela an -
einen Moment - dann beugte er sich nieder und küsste sie auf den Mund.
Die Ober brachten die Karten. Dass der Champagner nur flaschenweise serviert wurde, sprach für die Qualität des Restaurants, der später auch das Essen entsprach.
Als Georg am Champagnerglas roch, prüfend und genießend, hatte er einen Gesichtsausdruck, der Angela schmerzte.
Hätte sie nicht um seine tiefe Liebe zu Susanna gewusst...
Sie stießen miteinander an.
„Auf die schönste, perfekteste Art, Liebeskummer zu haben!“
Der Champagner perlte über ihre Zungen und kitzelte im Hals.

Jeder Gang des Essens war köstlich und besonders, der Ober schenkte immer wieder nach und ihr Gespräch floss leicht dahin.
„Ich muss an den Film denken...“ sagte Angela nach einem Stück zartem Fisch, das sie von Georgs Gabel genommen hatte, „American Beauty, als der junge Mann sagt, wie schwer zu ertragen großes Glück sei...Ich danke dir, dass du diesen unvergleichlichen Abend mit mir ...erträgst.“
Sie lachte.
Georg nahm ihre Hand und drückte sie.
Arm in Arm gingen sie mit dem letzten Champagner in den Gläsern zur Balustrade. Das ganze Lokal hielt sie für sehr glücklich Verliebte.
Sie stießen lachend darauf an.

Sie machen einen Spaziergang durch den Ort bis zum Seeufer und setzen sich auf einen Anlegesteg. Ein Feuerwerk wird auf dem Marktplatz entzündet - der Himmel lässt Sterne in allen Farben auf sie herabregnen.
Sie schlafen bei offener Balkontür - so weit entfernt voneinander, wie es das Doppelbett zulässt.


....
...Finale.
Als es hell wurde, schlug Georg die Augen auf und blickte durch das Balkongitter auf die ruhige, blaugraue Wasseroberfläche. Er hatte sich vor dem Einschlafen mit dem Kopf ans Fußende des Bettes gelegt, um diesen Blick beim Erwachen zu haben.
Sein Entschluss stand fest: Er würde Susanne weiter lieben – ohne Angst, ohne ihre Gegenwart – bis diese Liebe nur noch eine Erinnerung sein würde.
Er sah die ersten goldenen Strahlen der Sonne am gegenüberliegenden Hügel – und wurde froh. Die Sonne war eine verlässliche Geliebte.

Angela träumte, wie oft in den frühen Morgenstunden:
Sie ist mit Georg und Markus auf einem Fest. Sie verliert Markus in der Menge und legt sich mit Georg auf ein Sofa. Er gibt ihr einen langen, schönen Kuss.

Als sie erwachte, blieb sie reglos liegen und dachte über den Traum nach. Sie wollte nicht, dass ihr Unterbewusstsein solche Botschaften sandte. Sie wollte sich nicht nach Georg und seinen Küssen sehnen.
Sie wollte sich für lange Zeit nach niemandem mehr sehnen. Und vor keinem Verlust mehr Angst haben. Sie musste frei sein.
Der Traum machte sie ärgerlich.
Sie wäre jetzt gerne allein gewesen – für eine Weile, bis sie die Zähne geputzt und wieder Ordnung in ihren Gefühlen gehabt hätte.
Georg warf ihr vom Fußende ein fröhliches „Guten Morgen“ entgegen, als sie sich aufsetzte. Sie antwortete kurz und huschte ins Bad.

Beim Frühstück auf der Terrasse mit Blick auf den sonnigen See war Georg sehr aufgeräumt, Angela ziemlich still.
Georg senkte seinen Löffel in ihr Müsli und probierte.
„Das schmeckt viel besser als meins, was ist da drin?“
„Zwei Löffel Müsli und ein Aprikosenjoghurt...“ beschrieb Angela.
Sie blickte auf die Ansammlung leerer Becher, Bananenschalen und Milchkännchen vor Georgs Teller.
„Ich werfe eben nicht wie du alles auf einmal in meinen Teller...“
„Täusche ich mich oder ist Madam heute morgen ein wenig zickig?
Wo kommt diese Aggression her?“ fragte Georg belustigt und sah Angela in die Augen. Sie wandte ihr Gesicht ab.
„Was denkst du?“ fragte Georg noch einmal, diesmal sanfter.
„Darüber möchte ich jetzt nicht sprechen...vielleicht später...“ antwortete Angela und zündete sich eine Zigarette an. „Weg mit dem Traum, weg mit der dämlichen Sehnsucht“ dachte sie. Sie starrte auf den See und atmete tief ein.
Georg ließ sie in Ruhe und erzählte gut gelaunt von Dänemark.
Sie zahlten, packten und stiegen ins Auto. Die laute Musik und die wundervollen Aussichten vertrieben die Traumbilder aus Angelas Kopf. Sie sang laut mit und Georg stimmte ein.
„...you gonna love me...“

Rasante Kurven bis zur Anlegestelle der Fähre. Ein freier Parkplatz direkt davor. Die Musik so laut, dass Passanten nach ihnen schauen. Sie klettern durch das offene Schiebedach und breiten die Straßenkarte auf dem Autodach aus.

„Welche Fähre nehmen wir?“
Georg gab Angela Feuer und schob die Karte zu ihr hinüber.
„Gibt es eine... bis zum Mittelmeer?“ erwiderte sie strahlend.
Georg blies heftig Rauch aus:
„Weißt du, was ich überhaupt nicht will? Dass diese Reise jemals aufhört. Es ist so wundervoll, so entspannt, ich bin so glücklich...lass uns bis Sizilien weiterfahren!“
„Amalfiküste wäre schon ganz gut, da will ich auch schon ewig hin...“
träumte Angela weiter.
Georg wurde ernster:
„Ich muss heute noch zurück...meine Tochter kommt zu Besuch.“
„Ich weiß, dass hast du schon vor drei Tagen angekündigt, ich habe es nicht vergessen. Sei nicht traurig...solche Fahrten können wir immer wieder machen! Überhaupt...wir gründen eine Reiseagentur mit dem Namen „Liebeskummer-ade-Tours“ und geben allen unglücklich Liebenden die Gelegenheit, ihren Schmerz auf die eleganteste Art zu feiern: Champagner-Wasserfälle und Freiheits-Feuerwerke. Lebenshilfe inclusive, eventuell für die Unbelehrbaren auch Neupartner-Vermittlung.“
Georg lachte schallend.
„Das ist toll! Ja, das machen wir...Und nun ziehen wir noch eine lange Schleife um diesen göttlichen See und nehmen würdevoll Abschied.“

Die Frau geht zum Tickethäuschen und zahlt die Überfahrt. Sie muss die Automarke nennen und deutet auf das Auto mit dem Mann auf dem Dach. Die Verkäuferin lächelt.
Sie sind die einzigen Passagiere. Sie nehmen auf der Fähre wieder den Platz auf dem Autodach ein und winken vorüber fahrenden Booten zu.
Serpentinen, durch Dörfer, an Villen vorbei, durch dichtes, blühendes Grün, Serpentinen hinunter zum Ufer oder höher hinauf am Berg. Und immer wieder der Blick auf den See:
Segelboote und Fähren durchpflügen das Blau des Wassers, Möwen segeln im Himmelsblau.
Nelly Furtado singt:
Our loves´ floating out of the window
Our love´s floating out the backdoor
Our love´s floating up to the sky and in heaven
Where it began
Back in God`s hands...

Sie haben die Fenster weit offen und ihre Liebe strömt überall hin.

****tta Mann
3.462 Beiträge
Ich würde zu gerne Wetten abschließen auf den Ausgang dieser Reise durch die Liebe mit Angela und Georg.
Ich glaube, sie bekommen sich nicht. Sie werden zwar schlafen miteinander als eine Art Befreiung von den alten Fesseln und den Gedanken an die verlorene Liebe, es wird ihnen die Augen öffnen und den Blick nach vorne richten, aber verlieben tun sie sich nicht in einander.
Was glauben die anderen Leser?
Bin sehr gespannt wie es weiter geht.


Jetzt ist das Finale da...
Und ich lese schon:
Sie haben die Fenster weit offen und ihre Liebe strömt überall hin.

Ein Glück, dass keiner mit mit gewettet hat. Das hätte ich wohl verloren.
@sagitta
Das war´s , mein Lieber!
... ihre Liebe strömt überall hin... nicht mehr und nicht weniger *g*
****tta Mann
3.462 Beiträge
Ja ich habe gelesen. Hätte mir aber auch einen anderen Ausgang vorstellen können.
ich mir zu Beginn der Reise auch...lach
@ cleo
Danke für diese wundervolle Reise...wenn die individuelle Lebensaufgabe der Navigator ist, wird man unaufhaltsam über Hindernisse getragen, werden Menschen in das Leben geschoben, die man braucht, um seine Mission in die Welt zu tragen...Zweifel, Angst, Ungeduld und Kampf werden hinfällig, weil man erkennt, von ganz innen, dass man ankommt, unaufhaltsam....

Es ist immer das Thema, nie der Mensch....

vielen Dank
Nio**
*******an_m Mann
3.831 Beiträge
Toll!
Endlich wieder ein echter "Cleo". Viele schöne Sätze, Formulierungen, Beobachtungen und Bilder, von denen man sich endlos Scheiben abschneiden kann.
Und dass das "andere Ende", an das ich auch eine Weile gedacht habe, nicht eintritt, finde ich glaubwürdig, schön und sympathisch, passt so wie die Figuren beschrieben werden.

Super!

Christian

P.S.: Sailorsbride: Verdauungsroman *lol*
@ christian und Nio
danke für euer Lob und die feine "Kritik"! *freu*
**********Engel Frau
25.831 Beiträge
Gruppen-Mod 
Cleo
Ich danke Dir für diese wundervolle Reise.
Nio hatte schon vor mir "wundervolle Reise" geschrieben, aber ich hatte gleich den selben Gedanken. Dies zu lesen, war eine kleine Reise für mich.
Ich bin gerade noch ganz versunken... diese Geschichte passte heute perfekt zu meiner heut Abend etwas melancholischen Stimmung.
Danke!

Wunderschöne Bilder, wunderschöne Empfindungen.
Eine Geschichte, die die Seele berührt.

lg Gabi
*g*
********ride Frau
1.212 Beiträge
Erst jetzt
am späten Abend zum fertiglesen gekommen, hänge ich noch etwas atemlos an Bildern, wie:
Sie trank die Aussicht: Die milchigen Hügelkonturen in weichen Grautönen

So etwas sickert bei mir nur langsam ein und es ist wundervoll, diese Langsamkeit zu genießen. Ich werde die Geschichte noch viele male durchlesen, sie ist so voll mit Bildern, Weisheiten, und guten Lösungen, daß ich sie in meiner Sammlung aufheben muß...

Mein Kompliment, Meisterin.

WO IST DIE FEDER? Gibt es die nicht mehr???

MODS! Aufwachen!
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
@ tangocleo
Beeindruckt möchte ich Dir meine Anerkennung aussprechen! Du wirst immer besser!

Sicher eher eine Geschichte für Frauen - aber wunderbar geschrieben!

(Der Antaghar)
@ antaghar
herzlichen Dank - erfreulicherweise weiß es ja auch der eine oder andere Mann zu schätzen *g*

@**le Leser
soma hat mich freundlicherweise auf einen "Recherche- Fehler" hingewiesen - die Figur, die Kevin Spacey verkörpert, begeht in dem Film keinen Selbstmord, sondern wird erschossen... *kopfklatsch*
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