Tief in Gedanken versunken vergesse ich einen Moment wo ich bin. Ein lautes Knacken lässt mich in die Gegenwart zurück fallen. Über der Tür ist der Lautsprecher angegangen. Ich zittere vor Schreck. Das Herz schlägt laut und heftig gegen die bandagierte Brust und in den Lungen höre ich es rasseln.
Ein Nachrichtensprecher der Andorie-Allianz gibt die neuesten Meldungen bekannt. Seit wann darf ich Nachrichten hören?
„Verehrte Andorier. Gerade eben haben wir Meldung erhalten, dass auf Trebis ein gefährliches Terroristen-Camp aufgebrochen wurde. Es handelte sich um die Zelle „Trappers“. Es waren hauptsächlich Brandstifter und Bombenleger. Erst vor einer Woche haben diese in der Hauptstadt von Trebis, Annokis, die Botschaft von Andor mit einer Bombendrohung bedacht. Daraufhin hat unser Zentralkommando beschlossen, den berühmten Admiral Sevon Lan’dan nach Trebis zu entsenden. Durch das entschlossene Eingreifen des Admirals und seiner Leute, konnte das Schlimmste verhindert werden. Der Admiral wird demnächst eine Ehrung des Zentralkommandos erhalten.
Das Wetter. Heute ist es auf dem Zentralkontinent wieder angenehm mild. Gegen Mittag wird etwas Regen erwartet. Machen Sie sich einen schönen Tag und danken Sie dem Zentralkommando und Admiral Lan’dan für die gute Arbeit, die unser Leben sicher und komfortabel macht.“
Mit einem lauten Knacken endet die Übertragung. Ich bin erschüttert.
„Lauter Lügen. Sie schüren Angst und Hass!“, rufe ich.
Bald wird kein Lebewesen mehr sicher sein. Jeder wird jeden belauern, belauschen und ausspionieren.
Die Stille ist jetzt noch tiefer. Die Worte scheinen im Raum nachzuhallen, an den Wänden ein Echo zu bilden und dann hart auf mich einzuschlagen. Wie der Knüppel, der eben auf meine Fußgelenke trifft. Ich schreie laut auf.
„Du hältst hier die Klappe!“, brüllt der Wachmann. „Die Nachrichtenagentur würde niemals Lügen verbreiten!“
Ich stöhne, habe keine Luft zu einer Antwort. Diese Schmerzen! Ich habe den Eindruck, dass ein Knochen gebrochen ist. Dann steht grinsend der Admiral vor mir.
Lan’dan – das war einmal mein Name: Sevin Lan’dan, auf den in der Armee eine große Zukunft gewartet hatte. Vaters Laufbahn hat mich als Kind magnetisch angezogen.
Jetzt sind die Pole umgekehrt.
Er stößt mich ab.
„So, dieses war das erste Terroristennest, das wir ausgeräuchert haben. Soll es weitergehen?“, fragt er scheinheilig.
Ich kann nicht sprechen. Zu sehr quälen mich Schmerzen, Angst und Selbstzweifel.
Was, wenn das alles hier wirklich meine Schuld ist?
Was, wenn ich dem ein Ende bereiten könnte?
Es ist einen Versuch wert.
„Vater“, flüstere ich. „Hör bitte auf damit.“
Ich muss eine Pause machen. Schließe die Augen und höre die Luft in den Lungen rasseln, oder das Blut. Ich versuche es erneut. Meine Stimme wird immer leiser, bis sie nur noch ein Hauch ist.
„Ich bekenne mich aller Taten schuldig. – Bist du jetzt zufrieden? Hörst du auf damit, Unschuldige zu töten?“
Der Admiral stellt sich an meine Seite. Ich sehe seine polierte Gürtelschnalle. Mein Gesicht spiegelt sich darin. Ich erschrecke, erkenne mich nicht wieder. Alles ist grün und blau, geschwollen, von Narben bedeckt.
„Ich hab dich nicht gehört, Nummer 152.370. Aber nur damit du Bescheid weißt: ich werde die Befehle des Zentralkommandos ausführen. Jedes Nest auf dem Planeten wird ausgelöscht und dann haben wir neuen Lebensraum für unsere Bürger.“
Wahnsinn!
Vater kann diesen Mist doch nicht glauben. Ich schüttle den Kopf. Das kann nicht wahr sein. Ich fühle Tränen über die Wangen laufen.
„Warum quälst du mich dann damit, dass es in meiner Hand liegt, etwas zu ändern?“, frage ich unter Tränen.
Ich bekomme keine Antwort.
Bewegung
Der Große Geist soll angeblich alles mit seinem Atem umhüllen. Diesen Eindruck habe ich nicht. Es ist eher so, dass ich mir einbilde, der Atem geht ihm aus. Die Andorie-Allianz ist mächtig. Wahrscheinlich noch mächtiger als zu der Zeit, als ich noch dazu gehörte.
Ich fühle den Hoffnungsschimmer, den ich auf dem Berg bemerkt habe, schwinden. Alles wird wieder grau. Die Wände, die Luft, das Licht – Ich. Es gibt nichts außer grau. Kaltes Grau. Grau ist mein Verstand. Ich merke, wie sich das wärmende Gefühl der Liebe aus mir verabschiedet. Hass gegen meinen Vater und andere Andorier macht sich breit. Selbsthass. Ich hasse mich! Meine Entscheidungen, mein Leben – alles!
Was habe ich mir nur dabei gedacht, gegen die Regierung zu handeln?
Ich hätte wissen müssen, dass es so enden würde.
Jetzt werden noch mehr Menschen sterben, nur weil ich eine Entscheidung getroffen habe. Silvo hatte Recht, Selbstmord zu begehen. Warum habe ich es nicht getan? Habe ich vielleicht gedacht, dass Vater mir helfen würde? Nein. Das bestimmt nicht. Er hat mich doch vorher schon aufgegeben, fallen gelassen.
Ich zwinge mich, an die Vergangenheit zu denken. Stellas Tod zieht an mir vorbei, mit all der Qual, die er in mir ausgelöst hat, den Zweifeln, der Schuld.
Ja, ich bin schuldig!
Da sind wieder diese Augen, die mich wissend und zugleich mitleidig ansehen. Ich verschließe mich davor. Will nichts sehen. Ich bin wirklich verrückt.
Halluzinationen! Delirium.
Schmerzen. Atemnot.
Wahnsinn.
Einsamkeit.
Dunkelheit.
Stille.
Das ist meine Welt.
„Stella! Es tut mir Leid. Ich hätte dich genau so gut selber töten können! Er hat recht, du und alle, ihr seid wegen mir gestorben!“, rufe ich heiser in die Stille.
Huste. Würge. Weine.
Selbstmitleid – darin versinke ich, wie in einem tiefen Sumpf. Ich merke es nicht einmal richtig. Immer wieder denke ich an sie. Ich habe sie so geliebt. Warum muss ich immerzu an Stella denken? Ihr Gesicht ist nur noch eine fahle Erinnerung. Auch das grämt mich. Ich würde so gern ihr Gesicht sehen. Ihre Augen, ihr Haar berühren, ihren zarten Duft riechen. Was ist riechen überhaupt? Wann habe ich das letzte Mal etwas Angenehmes gerochen? Gibt es noch gute Gerüche?
Gibt es überhaupt noch etwas Gutes in der Welt, der Galaxie?
Wohin ist es verschwunden?
Ich merke, wie ich mich aufzulösen beginne. Es muss an der Unbeweglichkeit liegen. Gerade eben spüre ich, wie sich die Zehen auflösen, dann die Finger, die Waden, die Schenkel, die Schultern, der Kopf. Mein lauter Schrei bringt eine Wache in die Zelle. Er stopft mir einen Knebel in den Mund und geht wieder. Verzweifelt rolle ich mit den Augen, kämpfe um jeden Atemzug. Ich verliere den Kampf um das Bewusstsein und falle in tiefe Dunkelheit. Hoffentlich kommt der Tod.
Als ich die Augen öffne, weiß ich nicht wo ich bin. Ich bin verwirrt, denke, dass ich auf der Alpha-Star bin und verwundet auf der Krankenstation liege. Ein Kissen stützt mich im Rücken und verhindert, dass ich nach hinten falle. Eine Krankenstation ist es definitiv. Ich schaue mich interessiert um, weiß noch immer nicht genau, wo ich bin. Irgendetwas muss passiert sein, sonst wäre ich nicht hier.
Wo ist dieses hier?
Beide Hände sind an ein Bettgitter angebunden. Versuchsweise rüttle ich daran. Das Leder hält. Gleichzeitig beginnt etwas zu piepen und zu summen. Erschrocken halte ich inne, sehe mich um, soweit es die Lagerung erlaubt. Durch den Lärm werden Leute angelockt. Eine Frau in dunkelblauer Uniform mit dem Emblem des medizinischen Dienstes und ein Wachoffizier treten zu mir ans Bett.
„Schon gut“, sagt die Frau zum Wachmann. „Sie können wieder gehen. Er kann mir nichts tun.“
„Ich stehe gleich hinter der Tür, wenn was ist. Diesen Terroristen kann man nicht trauen“, brummt er zurück.
Die Frau kommt jetzt ganz nah zu mir, lächelt mich schüchtern an und flüstert: „Bleiben Sie ganz ruhig, Herr Libertas. Ich kann Ihnen etwas Erleichterung verschaffen. Haben Sie Schmerzen?“
Ich schüttle den Kopf, frage aber: „Wo bin ich. Ich glaube, ich weiß nichts mehr.“
„Sie sind auf der Omega-Star, dem neuen Flaggschiff der Flotte, auf der medizinischen Abteilung. Das hier ist die Isolierkammer.“
„Warum bin ich hier?“
Jetzt dreht sie sich vorsichtig um, und sagt dann schnell und leise: „Der Chef hat sich endlich durchgesetzt, sonst wären Sie schon tot. Sie hatten eine lebensbedrohliche Infektion. Aber wir haben das im Griff. Sie werden weiter leben – für uns.“ Ihre Augen hängen an mir als sie das sagt. Was denkt sich dieses Mädchen eigentlich dabei? Sie sieht so jung aus, so verdammt jung. War ich das auch einmal?
„Was ist passiert? Ich habe keine Erinnerung – alles ist so nebelhaft.“
Kurz schildert sie mir was geschehen war und ich kann mich mit einem Schlag an alles erinnern. Ich starre sie ungläubig an und frage mich, was ich in meinem Zustand tun kann.
Doch sie sagt nur: „Ich muss Sie jetzt auf die andere Seite drehen. Damit ich mich nicht verdächtig mache, hole ich mal schnell den Wachoffizier rein. Nichts mehr reden.“ Ihr Blick ist flehend. Ich nicke.
Der Soldat hält mir eine Waffe an den Kopf während mich die junge Frau losbindet und umdreht. Dann fixiert sie mich wieder und verlässt die Isolierkammer. Der Soldat bleibt an der Tür stehen. Er scheint mich zu bewachen und das Ganze zu genießen. Ich starre ihn an.
Die Seitenlage ist eine angenehme Abwechslung. Das Atmen fällt mir leichter und die Schmerzen sind erträglich. Wahrscheinlich haben sie mir ein Schmerzmittel gegeben. Die Gedanken klären sich, sind jetzt nicht mehr vom Nebel des Wahnsinns und der Angst umgeben. Es ist sonderbar, aber seit langem fühle ich mich frei – frei im Denken, wenn schon nicht im Handeln. Ich habe erkannt, dass ich nicht alleine bin. Zumindest diese junge Frau und der Arzt sind auf meiner Seite – der Seite der Freiheit.
Während ich mich dieser positiven Gedanken erfreue, schallt die fürchterliche Hymne der Andorie-Allianz aus dem Interkom-Lautsprecher. Dann beginnen die stündlichen Nachrichten.
Propaganda, allerfeinste Lügenmärchen, als Wahrheit verpackt und teuer verkauft. Ich höre interessiert und aufmerksam zu, will wissen, was vor sich geht. Als aufmerksamer Zuhörer kann man ein Körnchen Wahrheit aus der größten Lüge herausfiltern. „Bürger der Andorie-Allianz, wie wir soeben erfahren haben, hat sich eine weitere Terroristenzelle zu geplanten Anschlägen bekannt. Einer davon sollte sogar auf unserem geliebten Heimatplaneten durchgeführt werden. Die meisten hätten aber die Metropolen auf Trebis betroffen. Durch diese hinterhältigen Terroristen ist unsere innere Sicherheit gefährdet. Das „Komitee für Volkssicherheit und gegen fremde Einflüsse“ hat verlautbaren lassen, das bis auf Weiteres eine verbindliche Ausgangssperre ab Dunkelwerden besteht. Vermeiden Sie zu Ihrer eigenen Sicherheit jede Versammlung von mehr als zwei Personen. Achten Sie auf Ihren Nachbarn, besonders, wenn er einer fremden Kultur entstammen sollte. Haben Sie ein Auge auf Ihren Nachwuchs. Gerade auf die Kleinen sollen wir am meisten aufpassen, sie sind unsere Zukunft. Die Terroristen haben es auf die Kinder abgesehen, sie entführen sie und zwingen sie dann in ihren Zellen mit zu wirken.
Gehen Sie nicht aus, wenn es nicht sein muss. Die Agentur für Nachrichten und Wahrheit wird Sie über die weiteren Schritte zu jeder Zeit auf dem Laufenden halten. Das Interkom ist zu diesem Zweck zu jeder Zeit frei zu halten. Sie dürfen es nur in Notfällen benutzen.
Danken wir dem Zentralkomitee für seine Umsicht und Fürsorge, und dem tapferen Admiral Lan’dan sowie der Besatzung der Omega-Star, dem berühmten Flagg-Schiff der Allianz.
Jetzt hören Sie noch die neuesten Nachrichten aus Sport und Unterhaltung …“
Ich höre nicht mehr zu. ‚Agentur für Nachrichten und Wahrheit’, denke ich angewidert. ‚Das ist zynisch. Ebenso das Komitee für Volkssicherheit und gegen fremde Einflüsse.’ Der pure Zynismus ist das für mich. Ein Widerspruch in sich.
„Alles Lügen!“, rufe ich empört. Der Wachmann wirft mir einen finsteren Blick zu. Wieder spielen sie die Hymne der Allianz, das so genannte „Hohelied der Herren“.
Mir kommen Tränen des Zorns. Ich will aufspringen, habe vergessen, dass ich gefesselt bin. Schon steht der Wachmann neben mir und drückt mir den Stromstab aufs Brustbein. Er grinst als er den Auslöser betätigt. Mit einem lauten Schrei und heftig zitternd falle ich zurück. Das war nicht nötig gewesen! Dann stürmen die Frau von vorhin und der Stabsarzt die Isolierkammer. Der Arzt drängt den Soldaten zur Seite und herrscht ihn wütend an: „Raus hier, Sie Idiot. Wir dürfen ihn doch nicht verlieren! Mann, wenn jetzt ein Schaden entstanden ist, werden Sie mehr Ärger bekommen, als gut für Sie ist.“
„Was denn? Ich nehme nur Befehle vom Admiral entgegen.“
„So ist das?“ Dann tippt der Arzt auf einen Sensor am Handrücken und spricht kurz rein. „Hier Doktor Mar’yl. Admiral, der Gefangene war wach, liegt aber jetzt zitternd im Bett. Einer Ihrer Wachen hat ihm eins mit dem E verpasst.“
„Verdammt. Ich brauche den heute. Seht zu, dass er mittags fit ist – und zwar ansehnlich!“ Seine Stimme klingt ungeduldig und schroff. Ich vermute, dass er sehr zornig ist. Es ist mir egal. Ich weiß, dass ich zumindest einige Zeit Ruhe haben werde, vielleicht sogar in Gesellschaft sein kann, ohne Angst vor irgendwelchen Schlägen zu haben.
Der Wachmann verlässt daraufhin widerwillig die Isolierzelle. Immer wieder dreht er sich zu mir um. Innerlich schaudere ich vor dem hasserfüllten Blick.
„So, dann sehen wir mal zu, dass wir dich so hinbekommen, dass du auf dem Holo nicht wie deine eigene Leiche aussiehst“, sagt der Arzt und klatscht in die Hände. „Der Idiot wird erst wieder kommen, wenn wir ihn holen.“ Er dreht sich zu der Frau um und fährt ohne Unterbrechung fort: „So Ana’ka, jetzt mach Sevin mal los und dann werden wir sehen, was wir tun können.“
Vorsichtig bindet sie mich los und hilft mir, mich aufzusetzen. Mir wird fast sofort schwindlig und schlecht. Ich kotze dem Arzt auf die Schuhe. „Entschuldigung“, sage ich, als ich wieder Luft zum Atmen habe.
„Nicht so wild, da hab ich schon Ärgeres erlebt“, sagt er und grinst mich an. „Du erkennst mich nicht, oder? Ich bin Hel Mar’yl.“
Ich krame in meinem Gedächtnis. Es gab früher mal einen Mann mit diesem Namen, aber war ich ihm auch begegnet? Hatten wir je zusammen zu tun, miteinander gearbeitet? Er muss mir die Verwirrung ansehen, denn sein Grinsen wird breiter. „Du kennst mich nicht persönlich. Ich war vor deiner Zeit auf der Alpha-Star, bin dann hierher abkommandiert worden. Aber ich war ein guter Freund von Silvo Karmin. Wir waren einige Zeit zusammen auf der Akademie der Wissenschaften, oder Unwissenschaften, wie man sie jetzt nennen sollte.“
„Doktor – Vorsicht“, mahnt Ana’ka. Sie schaut sich schnell im Raum um.
„Sie werden euch töten, wenn sie dahinter kommen.“
„Ach wo. Und wenn schon. Sterben müssen wir alle mal. Diese Angriffe sind von langer Hand geplant und die Bewegung, auch wenn es nicht wirklich eine gibt, ist jetzt ein guter Vorwand noch härter zuzuschlagen.“
Plötzlich fühle ich Scham aufkommen. Diese Leute riskieren ihr Leben, um mir zu helfen, mir die Haft erträglicher zu machen und die Schmerzen zu lindern.
„Ihr sollt euer Leben nicht für mich riskieren. Das ist es nicht wert.“
„Sevin, wir wollen dass die Galaxie wieder frei ist, die Leute in Freiheit leben können, ohne Angst. Du bist, ob du willst oder nicht, zu einer Leitfigur geworden. Unsere Sicherheit besteht darin, dass wir nicht organisiert sind, deshalb sind unsere Handlungen auch eher bescheiden.“
„Hel, ich bin froh, dass ihr hier seid. Ihr seid die ersten freundlichen Menschen, seit – ich habe keine Ahnung.“ Ich merke, wie Tränen der Rührung aufsteigen. An diesem Ort hätte ich nicht mit Verbündeten gerechnet.
„Probier mal, ob du aufstehen kannst, dann darfst du dich duschen.“
Vorsichtig gleite ich vom Bett und sogleich knicken die Knie weg. Der gebrochene Knöchel schmerzt wie die Hölle. Den haben sie bei der Behandlung übersehen. Die Rippenbrüche wurden aber gut versorgt, da spüre ich nur mehr ein leichtes Ziehen, wenn ich tief einatme.
„Holla, Freund, da haben wir etwas übersehen“, sagt Hel sofort und schubst mich wieder ins Bett. Er spritzt mir irgendetwas und die Schmerzen lassen nach. Dann untersucht er den Fuß, schnalzt mit der Zunge und bandagiert ihn. „Gut, scheint nicht viel zu sein. Gebrochen ist er nicht, angeknackst, aber das reicht schon für höllische Schmerzen. Versuche noch einmal aufzustehen.“
Zusammen schaffen wir es, dass ich vom Bett runter auf die Beine komme. Ich muss lange Zeit gelegen haben, weil ich das Gefühl habe, Margarine statt Muskeln zu haben. Hel bringt mich in die Dusche. Ana’ka hat sich schon vorher zurückgezogen. Sie passt auf, dass kein ungebetener Gast in die Isolierkammer schaut.
Nur derjenige, der sich selber wochenlang nicht waschen konnte, kann sich vorstellen, was das für ein gutes Gefühl ist, wieder sauber zu sein. Am liebsten möchte ich gar nicht mehr aus der Dusche raus. Es ist zwar kein echtes Wasser, nur Ultraschallvernebelung, aber es ist das Beste, das ich seit langem erlebe. Es ist sonderbar, aber auch in so einer Situation, wo man nicht weiß, wie es weitergeht, die Angst übermächtig ist und keine Aussicht auf ein Entkommen besteht, kann man schöne Gefühle empfinden. Hoffentlich gibt es mir Kraft für, was auch immer heute noch auf mich zukommen wird.
„Wie lange war ich weggetreten“, frage ich als ich aus der Dusche steige.
„Etwa zwei Wochen habe ich dich im Koma gehalten. Jetzt sind deine Wunden fast alle verheilt. Aber du hast jede Menge Narben davon getragen.“
Zwei Wochen! Das ist eine lange Zeit.
„Bevor du fragst, es hat in der Zeit keinerlei Übergriffe von unserer Seite gegen Trebis gegeben. Wir befinden uns immer noch im Orbit. Ich weiß auch nicht, was der Admiral genau vorhat.“
Ich bekomme einen orangefarbenen Overall mit meiner Häftlingsnummer auf Brust und Rücken. Wie ich diese Nummer hasse. Ich hätte nie gedacht, dass so etwas, derartige Gefühle in mir auslösen kann.
„Irgendwann, Sevin, musst du mir sagen, warum du gelacht hast, als sie dich auspeitschten.“
Ich schaue ihn verwirrt an. An eine Auspeitschung bei der ich gelacht habe, kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern. Ich sehe nur das Bild des mächtigen Eisbären vor mir, fühle sein Fell, seine Stärke und Wärme – und ich höre lautes Lachen, Peitschenknallen.
„Ich habe nicht gelacht“, antworte ich.
„Doch, hast du. Und weißt du was, du hast damit eine Lawine losgetreten. Die Aufnahme ist durch die halte Galaxie gegangen und wird jetzt unter der Hand weiter gereicht. Sie gehört zu den verbotenen Filmen. Viele wollen sehen, wie du ihnen ins Gesicht lachst während sie dich foltern. Du bist fast so etwas wie eine Ikone geworden.“
Ich bin entsetzt. So etwas wollte ich nicht.
„Ich hoffe, es geht gewaltlos ab.“
„Leider nein. Ein Teil der Widerstandsbewegung bewaffnet sich und gibt damit dem Militär neuen Grund, hart durch zu greifen.“
Das wollte ich nicht. Es sollte nicht so ablaufen. Friedliche Demonstrationen, Gehorsamsverweigerung, Liebe – das hätte der Weg sein sollen.
Und nun diene ich dem bewaffneten Widerstand als Ikone!
„Ich habe mich geweigert Waffen abzufeuern und nun feuern die Widerständler selber mit Waffen auf die Gegner. Das heißt Krieg. Es wird ein langer, langer, blutiger Bürgerkrieg werden“, prophezeie ich. Plötzlich fühle ich mich müde. Der Energieschub von vorhin ist verpufft. Ich lege mich wieder ins Bett und warte – darin bin ich Meister.
Es ist schon fast Mittag, als Ana’ka mit drei Soldaten zurückkommt.
„Wie ich sehe, ist der Gefangene bereit“, sagt sie beim Eintreten.
„Sicher ist er das“, mault der Arzt und geht mit gleichmütiger Miene an den Soldaten vorbei. Ich werde gefesselt, die Hände und Füße zusammengekettet und durch eine Kette um die Hüfte miteinander verbunden. Die Ketten sind schwer und ihre Verbindungsteile sehr kurz. Ich kann kaum gehen. Sie schleppen mich zum Lift. Wir fahren Richtung Brücke, ein Stockwerk vorher steigen wir aus, hier befindet sich der große Konferenzraum. Dort werde ich hinein gezerrt. Die Ketten klirren und klimpern bei jeder Bewegung.
Vater – nein – der Admiral sitzt an einer Seite des Raumes und blickt mich finster an. Ein altertümlicher Schreibtisch steht vor ihm. Gegenüber entdecke ich den Adjutanten und eine Frau, die das Holo-Kom-Gerät bedient. Sie scheint die ganze Aktion hier zu leiten, denn sie blickt den Admiral an und sagt: „Admiral Lan’dan, die erste Aufnahme mit Ihnen ist ausgezeichnet geworden. Die Leute werden Ihnen auf ewig für Ihre Mühen und die überstandenen Gefahren dankbar sein. Mit Ihrer Erlaubnis, werde ich dann mit der Aufnahme beginnen. Ich möchte, dass Sie vorher noch einige Sätze sagen, dann soll der da die vorbereitete Proklamation lesen. Für die restlichen Aufnahmen brauchen wir ihn nicht mehr.“
Sie redet von mir, als wäre ich nicht im selben Raum, oder schwachsinnig. Dann sehe ich in ihren Augen, dass ich für sie nur eine Nummer bin.
Die Nummer auf dem orangefarbenen Overall.
152.370
Der Admiral nickt zufrieden. Jetzt schaut er mich von oben bis unten prüfend an. Die schlimmsten Spuren der Misshandlungen sind beseitigt. Nur noch drei feine Linien sind auf den Wangen zu erkennen. Die Sonde ist nicht mehr in der Nase und ich sehe sauber und halbwegs manierlich aus. Niemand sieht den wirklich großen Schaden, den die Gefangenschaft angerichtet hat.
Es soll keiner wissen, was sie tatsächlich mit ihren Gefangenen machen.
Die Frau kommt zu mir. Sie hält ein Datenpad in der Hand, das reicht sie mir.
„Du wirst genau das sagen, was da oben steht, verstanden. Das Zentralkomitee will es so, und so wird es gemacht – verstanden?“ Ihre Stimme klingt militärisch schroff. Ich hebe die Hände, nehme die Platte und lese, was da geschrieben steht. Es treibt mir die Zornesröte ins Gesicht. Lauter Lügen. Sie wollen mich für ihre Propaganda missbrauchen!
„Solltest du nicht genau das lesen, Wort für Wort, wirst du es bereuen – und nicht nur du“, fügt der Admiral hinzu. Ich fühle, wie ich schwanke und zu Boden gehe. Die Soldaten stellen mich wieder auf die Füße.
Dann beginnt die Show.
Nichts anderes ist es, eine Veranstaltung zur Unterhaltung der Andorier. Sie sollen sich in Sicherheit wiegen.
Die Frau hält die Übertragungseinheit bereit und der Admiral beginnt gewichtig: „Andorier, heute werden wir Ihnen den Kopf der Terrorzellen präsentieren. Er wird sich zu allen Punkten schuldig bekennen und Sie um Verzeihung bitten, auch für die Lügen, die über das Zentralkomitee, das Militär und die Regierung verbreitet wurden. Hören Sie nun – tut mir echt Leid, ich habe seinen Namen vergessen. Hier sind Gefangene nur eine Nummer. Hören Sie nun, Nummer 152.370.“
Ich beiße die Zähne fest aufeinander, unterdrücke Tränen des Zorns und beginne zu lesen.
„Ich gebe zu, der Anführer aller bekannten …“
Ich kann nicht!
Ich kann das nicht lesen. Nein!
Heftig blinzle ich die Tränen weg, schlucke und fange noch mal von vorne an.
„Ich gebe zu, einen Befehl verweigert zu haben, der die Bevölkerung eines unterentwickelten Planeten ausgelöscht hätte. Ich gebe zu, mich daraufhin nicht selbst exekutiert zu haben. Ich gebe zu, mit einer Ausländerin verheiratet gewesen zu sein. Ich gebe zu, für Freiheit und Liebe ein zu stehen. Ich gebe zu, Wahrheit und Gerechtigkeit höher zu stellen als mein Leben. Hören Sie gut zu: Niemand hat das Recht, Sie mit Unwahrheiten und Angst zu lenken. Seit Jahrzehnten sagt Ihnen das Zentralkomitee, was Sie wann und wie zu denken haben. Haben Sie sich nie gefragt, warum Ihnen eingeredet wird, dass nach Dunkelwerden die Straßen unsicher sind, wenn doch das Militär so große Macht in der Allianz hat? Es gibt nichts, wovor Sie Angst haben müssen. Machen Sie sich frei … denken Sie wieder selbst …“
Ein Schlag in den Magen lässt mich verstummen. Ich fühle Tränen über die Wangen laufen. Jetzt habe ich mein Schicksal besiegelt und hoffentlich nicht auch das von Trebis.
Auch hier auf dem Flagg-Schiff gibt es so genannte Verhörzimmer. In so eines werde ich gebracht. Das Inventar lässt mir das Blut in den Adern gefrieren.
Ich beginne an den Fesseln zu zerren, will mich losreißen. Unerbittlich drängen sie mich weiter, ziehen mich aus, zwingen mich auf die Knie und stecken mir einen Jutesack über den Kopf. Ich merke, wie ich zu zittern beginne. Diesmal greift die Angst voll durch. Ich fühle sie das Rückgrat hoch und runter kriechen, in die Haut eindringen, das Herz anhalten.
Es gibt nichts, was ich tun kann.
Ich knie auf einem Stück Metall. Sie lassen mich warten – kosten die Zeit bis zum Beginn der Folter aus.
Warum fangen sie nicht endlich an?
Das Metallstück unter den Knien drückt. Ich kann mich nicht bewegen, werde links und rechts fixiert.
Worauf warten sie?
Es ist fast wie eine Erlösung, als sie auf mich einprügeln.
Das Warten hat ein Ende.
Nach kurzer Zeit hören sie auf.
Zerren mich wieder auf die Knie.
„Du hast jetzt deine letzte Chance auf Milde vertan!“, brüllt der Admiral. „Nun ernte deine Saat!“
„Ich werde nicht lügen“, bringe ich mühsam unter dem Jutesack hervor. Blut läuft aus der Nase, ich kann es schmecken. „Und ich lasse mich nicht von euch benutzen!“
„Du hast einen Krieg heraufbeschworen. Er wird unerbittlich sein, wenn du nicht endlich aufhörst, gegen die Regierung zu reden.“
„Du musst mich töten, akte, sonst werde ich nicht aufhören. Andere werden nach mir kommen. Es werden immer mehr werden.“
„Du willst es nicht anders.“
„Weißt du nicht, dass die Folter bei mir nicht wirkt? Ihr habt mich bei der Ausbildung zu gut konditioniert. Oder bringt es dir irgendein, mir unbekanntes, Vergnügen, wenn du mich quälst?“
Noch bevor ich weiter reden kann, werde ich am Kopf gepackt, nach vorne gedrückt und habe kaum Zeit, die Luft anzuhalten. Dann bin ich schon unter Wasser. Hoch – schnell Luft holen. Ich bekomme fast keine. Der verdammte Sack hindert mich am Atmen.
Rein – Panik. Es wird schlimmer.
Raus – rein – raus – rein – raus – rein …
Luft!
Luft!
Ich brauche Luft!
Ich zapple, versuche mich zu befreien und werde nur unerbittlicher fest gehalten. Mein Kopf - tief im Bottich – jetzt werde ich dazu noch geschlagen.
Ich kann nicht mehr – aus, lasst mich endlich gehen!
Ich fühle die Lungen platzen, stelle mir vor, wie Wasser in die Bronchien dringt, das Gewebe zum Bersten füllt …
Alles in mir brennt und schreit nach Sauerstoff. Ich rutsche weg und werde noch fester hinein gedrückt.
Endlich hören sie auf.
Ich sehe die Sterne, ganz weit weg eine Gestalt in weiß. Sie winkt. Ich will dort hin. Dann wird das Licht heller. Es kommt auf mich zu. Ich will die Wärme des Lichts. Mir ist so kalt. Hier draußen im All ist es immer eisig.
Kälte – sie dringt tief ein, lähmt.
Ich brauche keine Luft mehr. Die Kälte und das Vakuum des Alls töten mich. Es stört mich nicht. Hier bei den Sternen will ich sein.
Stella!
Jemand schlägt mir ins Gesicht. Ich erwache. Also bin ich noch immer nicht tot.
Ich bin nach wie vor im Verhörraum. Der Admiral steht breitbeinig vor mir. Zwei rohe Kerle ziehen mich in die Höhe. Ich muss wieder knien.
„Du wirst jetzt alles widerrufen, was du vorhin gesagt hast“, knurrt er drohend.
Nein! Das kann ich nicht, das werde ich nicht. Ich kann es nicht sagen, bringe kein Wort heraus, weil ich so zittere.
Sie zerren mich wieder in den Konferenzraum. Die Frau ist noch da. Gelangweilt sitzt sie am Tisch und poliert ihre Nägel.
Ohne den Kopf zu heben sagt sie: „Na, ich hoffe, das wird heute noch etwas. Wenn das wieder so ein Verhau wird, werde ich was zusammen basteln müssen. Also, ich hoffe in seinem Sinn, er weiß was er zu sagen hat, sonst werde ICH ungemütlich.“
Scharf blickt sie in meine Richtung und grinst. Ich bin noch immer nackt. Von dieser Frau fühle ich mich mehr bedroht als von der gesamten Mannschaft der Omega-Star.
Wieder hält sie mir ein Datenpad hin. Ich schüttle den Kopf.
Wie denkt sie, dass ich jetzt reden kann? Ich bin nass, nackt, außer Atem und fühle die Angst im Nacken sitzen. Mir schlottern die Knie und ich kann nur stehen, weil mich die zwei Kerle aufrecht halten. Jemand drückt mir einen E-Schocker in den Rücken. Die Frau beugt sich ganz nahe zu mir und flüstert: „Wenn du nicht sagst, was da steht, dann werde ich veranlassen, dass der Planet dort unten gesprengt wird, verstanden?“ Ihre Augen sind schmal, sie lächelt gefährlich.
Jetzt fühle ich tatsächlich Panik aufkommen. Ich glaube ihr. Was soll ich tun? Soll ich die Wahrheit sagen und die Menschen dort ihrem Untergang entgegen gehen lassen, oder soll ich mich verleugnen? Sagt sie die Wahrheit oder ist alles eine Lüge? Wenn ich doch nur wüsste, was ich machen soll? Ich bin verzweifelt, in die Enge getrieben, ein Tier in der Falle. Es gibt keinen Ausweg, keine Fluchtmöglichkeit.
Der Druck im Rücken wird verstärkt. Wenn er jetzt abdrückt, habe ich ein Loch in der Brust. Will ich das? Will ich wirklich sterben, oder ist noch ein Fünkchen Lebenswillen in mir? Ich schlucke ein paar Mal und blinzle die aufkommenden Tränen weg.
Dann nehme ich das Pad.
„So ist es brav“, sagt sie und rammt mir die Feile in den Bauch. Ich sehe nach, ein roter Faden schlängelt sich runter. Es ist Blut – mein Blut.
Diese Frau ist gefährlich, sie handelt bevor sie redet.
Ich schaue wieder hoch, direkt in ihr lächelndes Gesicht.
„Sie lassen das Volk hier leben, wenn ich mache, was Sie verlangen?“
„Das hängt leider nicht von mir ab“, weicht sie aus.
Was soll ich nur tun? Verdammt noch mal! Am liebsten hätte ich mich jetzt aufgelöst, wäre verschwunden oder tot. So eine Entscheidung sollte man keinem aufbürden. Das ist eine Last, die ich nicht tragen will, nicht tragen kann. Die Verzweiflung muss mir ins Gesicht geschrieben stehen, denn sie lacht mich aus.
„Ich kann dich scheibchenweise fertig machen und den Planeten dort unten auch. Was willst du?“
Was soll ich nur sagen? Jetzt fühle ich tatsächlich Tränen aufsteigen. Ich kann sie nicht mehr zurück halten. Sie lacht.
„Ich wusste doch, dass du ein verdammtes Weichei bist. Sei brav und lies das vor, dann wird nicht viel passieren.“
Plötzlich sehe ich durch das Fuchsauge, und ich treffe eine Entscheidung.
Ich schaue direkt in die Cam. Die Spuren der letzten Folter stehen mir noch ins Gesicht geschrieben, dennoch sage ich mit fester Stimme: „Ich werde nicht zu dieser Aussage gezwungen, ich mache sie freiwillig. Es steht auch niemand mit einer Waffe hinter mir und es sind keine weiteren Menschen bedroht worden.“ Ich hole tief Luft, versuche mich zu sammeln. Es ist schwieriger als ich gedacht habe, die Wahrheit in der vorgedruckten Lüge zu verpacken. Die Frau sieht mich die ganze Zeit über scharf an und spielt mit der Nagelfeile.
„Ich gebe zu, der Kopf einer Terroristenvereinigung zu sein. Ich habe das Militär diffamiert und Befehle nicht ausgeführt. Ich habe mich mit dem Feind verbrüdert.“ Ich blinzle Tränen weg. Die aufgeplatzten Lippen beginnen wieder zu bluten. Wasser tropft noch immer aus dem Haar.
„Die Regierung hat auch keine Repressalien gegen das Volk der Trebis geplant. Es soll niemand vernichtet werden. Lang existiere die Andorie-Allianz“, schließe ich matt.
Ich blicke die Frau direkt an. Sie ist zornig, obwohl ich alles vom Blatt abgelesen habe. Unvermittelt schlägt sie mir ins Gesicht. Ich keuche erschrocken auf.
„Du Weichei. Aber das wird dir nichts bringen.“
Sie tritt mir in die Hoden und ich klappe zusammen.
„Ihr Lügner“, keuche ich, als mich die Bewacher wieder in die Höhe ziehen.
Sie verpasst mir noch einen Tritt. Wieder lande ich am Boden und dort tritt sie noch ein paar Mal auf mich ein.
„Schafft mir das Weichei aus den Augen. Wir brauchen den nicht mehr. Werft ihn in die Minen oder sperrt ihn weg und lasst den Schlüssel verschwinden. Es ist mir gleich.“
Verächtlich spuckt sie mir ins Gesicht, dann geht sie zum Admiral und spricht mit ihm.
Zwei Soldaten zerren mich hoch. Die Hoden schmerzen höllisch. Hat mir dieses gemeine Luder alles weggetreten? Am liebsten würde ich jetzt hinfassen, aber meine Hände sind hinter dem Rücken gefesselt.
Sie bringen mich wieder in die Arrestzelle. Einzelhaft. Dr. Mar’yl wartet schon. Er hat wieder das Sondenzeug dabei. Ich beginne mich dagegen zu wehren, mit dem Schlauch verbunden zu werden. Werde aber nur niedergeschlagen, ans Bett geschnallt und fertig. Hel tut sein bestes, mir nicht über Gebühr weh zu tun, aber die Nase ist so kaputt, dass der Schlauch fast nicht durchgeht. Ich bekomme davon Nasenbluten.
Hört auf, verdammt noch mal. Ich hab euer Scheißspiel mitgespielt, jetzt lasst mich in Ruhe, würde ich am liebsten rufen, doch ich habe ein Klebeband über dem Mund. Dann verbinden sie mir noch die Augen.
Ich liege hier, blind, stumm und bewegungslos. Einzig hören kann ich noch. Doch was ich höre, würde ich am liebsten ausblenden.
Nein! Ihr habt es versprochen! Ihr habt es versprochen!
Ich fühle Tränen vorquellen. Sie sprudeln, bis ich keine mehr habe.
Was soll ich noch tun?
Soll ich mich vor denen in den Staub werfen?
Noch weiter nach unten als ich schon bin, kann ich nicht.
Tunkasila, hilf mir! Was soll ich tun? Haben mich die Träume jetzt auch verlassen?
Diese Schreie! Diese ewigen Schreie! Ich halte das nicht mehr aus, möchte mit schreien, mich losreißen, etwas tun!
Ich werde wieder verrückt, ich spüre es. Der Verstand geht krumme Wege und erst die Sinne. Die können einen narren, wenn man ihrer beraubt ist. Ich sehe nichts, kann mich nicht bewegen, schmecken kann ich auch nicht, nichts riechen und nicht fühlen. Das einzige, das ich kann, ist hören, und das will ich nicht.
Ich sehe wieder Sterne, aber keine gewöhnlichen. Sie sehen aus, wie die Sterne, die Kinder gerne malen. Es gibt Fünfzackige und Sechszackige, sie sind gelb und strahlen von einem dunkelblauen Himmel. Ich stehe auf einem Stern. Er beginnt zu rotieren. Ich muss laufen, um nicht zu fallen. Dann bewegen sie sich aufeinander zu. Sie greifen ineinander wie Zahnräder in einem altertümlichen Uhrwerk. Ich laufe und laufe und laufe, merke, wie ich müde werde und zu fallen drohe. Ich falle in das Zahnrad und werde zermalmt.
Ich möchte schreien, reiße die Augen auf und sehe nur Schwärze. Bewegen möchte ich mich, aufspringen, mir alles vom Leib reißen.
Luft, atmen, leben – oder wenigstens in Frieden sterben.
Wieder Schreie. Ist das Einbildung oder ist es wirklich? Gaukelt mir der Wahnsinn etwas vor? Tunkasila, wo bist du? Stella? Ich rufe in Gedanken nach ihnen. Sehe aber nur das Schwarze Loch in das ich zu fallen drohe, das mich unerbittlich mit seiner Schwerkraft anzieht. Ich werde in die Länge gezogen, gezerrt, verzerrt bis zur Unkenntlichkeit getrieben, zerrieben, zerrissen. Zerfleischt von der Unendlichkeit des Wahnsinns. Ist es das? Gibt es Wahnsinn? Ich bin gefangen in einem Schwarzen Loch. Es schließt sich an den Enden. Ich fühle, wie meine Arme und Beine abgetrennt werden, sehe sie in den weiten des Alls davon treiben, mir zuwinken. Ich möchte schreien, aber die Lungen sind im Vakuum implodiert.
Wieder öffne ich die Augen und sehe Schwärze. Diesmal ist es die Schwärze der Nacht. Finstere Nacht, in einer finsteren Höhle, mit einem schwarzen Drachen, der schwarzes Feuer speit. Ich fühle die Hitze. Sie versengt meine Haut, das Haar brennt. Ich rieche mich brennen in einem kalten Feuer, werde zu Asche. In Panik versuche ich davon zu laufen, doch ich bin fest gebunden.
Die Fesselung drückt mich unerbittlich nieder. Ich rüttle und zerre daran. Die Pritsche wackelt und kippt zur Seite. Ich rolle auf den Bauch und werde fast von dem Gewicht auf mir erdrückt. Die Nasensonde bin ich jetzt los, dafür schießt das Blut aus der Nase.
Die heftig einsetzenden Schmerzen durchbrechen die Halluzinationen. Ich weiß wieder wo ich bin, will nach Hilfe rufen. Das Gefühl zu ersticken wird übermächtig. Mir ist so übel. Ich möchte das Blut ausspucken – ich kann nicht, mein Mund ist verklebt.
Warum hilft mir keiner? Wo sind denn alle? Hilfe!
Irgendwann muss ich wohl besinnungslos geworden sein.
„Mein Freund, ich denke an dich“, flüstert eine Stimme. „Ich lasse dich nicht alleine, Mihunka. Wir werden für dich den Tanz des Bären tanzen. Lass dich von deinen Führern leiten. Mein Freund, ich bin bei dir. Auch, wenn wir unser Leben nicht mehr in alter Weise leben, wird das Volk als Ganzes überleben.“
Ich erwache, schmecke Blut und liege nach wie vor auf dem Bauch. Zunächst will ich um Hilfe rufen, bis mir bewusst wird, dass ich geknebelt bin. Keiner kann mir helfen, es wird mir keiner helfen. Ich drehe und wende mich mit dem schweren Teil auf dem Rücken herum, bis ich in Seitenlage komme. Es ist anstrengend. Der Schweiß läuft aus allen Poren. Ich vergesse alles um mich herum, die Schreie, die Blindheit – alles. Ich will nur wieder atmen können. Blut verklebt die Nasenlöcher. Ich komme nicht ran, kann die Krusten nicht wegmachen. Verzweifelt versuche ich durch die Nase zu atmen.
Luft ist alles, was ich denken kann. Luft!
Lasst mich nicht jämmerlich ersticken!
„Wakan Tanka – der Große Geist wird dich nicht verlassen“, höre ich bevor sich mein Bewusstsein wieder verabschiedet.
Das letzte Urteil - Freiheit
Ich erwache, stelle fest, dass ich nicht mehr auf dem Boden liege. Jemand hat mich aus dieser misslichen Lage befreit. Die Fesseln sind gelöst worden, die Augenbinde und der Knebel sind auch weg. Ich kann es kaum fassen.
Die Zelle ist auch anders. Wo bin ich hingebracht worden?
Was ist wird das für ein Spiel?
Die Freude über die Bewegungsfreiheit schlägt wieder in Furcht um. Mit Bestürzung stelle ich fest, dass diese Zelle ein vergittertes Fenster hat.
Wo zur Hölle bin ich?
Ich versuche aufzustehen. Die Rippen, der Rücken – eigentlich jeder Teil des Körpers, fühlt sich gepeinigt an. Schwankend bleibe ich sitzen, halte mich fest und versuche einen Anker in der Geraden zu finden.
Es scheint ewig zu dauern, doch irgendwann geht es und ich kann aufstehen. Auf wackeligen Beinen bewege ich mich vorwärts. Die Arme zur Seite gestreckt, wie ein Kind, das Laufen lernt. Jetzt erst merke ich, dass kein Schlauch in mir steckt. Vor Erleichterung hätte ich beinahe geheult. Als ich die Kameras entdecke schlucke ich die Tränen runter. Ich habe mich vor denen schon genug entblößt. Sie sollen mich endlich in Frieden lassen.
Langsam taste ich mich an der Wand entlang. Hinter einer niedrigen Mauer finde ich was ich gesucht habe. Nachdem ich fertig bin, wanke ich an der gegenüberliegenden Seite zurück und lasse mich wieder auf der niedrigen Pritsche nieder. Dieser kurze Gang hat mich mehr erschöpft als ich gedacht hatte. Ich bin ein alter Mann geworden.
Gebrochen?
Ich weiß es nicht.
Wo haben sie mich hingebracht?
„Gefangener 152.370 halte dich ruhig, bleib liegen, lass die Hände dort, wo wir sie sehen können – du bekommst Besuch“, tönt es blechern aus dem Lautsprecher. Erschrocken halte ich mich an die Anweisungen.
Nach einigen Minuten geht die Tür auf. Sechs Wachen treten ein, dann erst folgt jemand anders. Es ist die Frau, die die Aufzeichnung geleitet hat. Was will sie hier? Was will sie von mir? Sie hat doch gesagt, dass man mich vergessen soll. Ich bin verwirrt.
„Na, du Weichei“, sagt sie und lächelt herablassend.
Ich kann sie nur verdutzt anschauen.
„Hat es dir jetzt die Sprache verschlagen? Du bist sicher neugierig, wo du bist und was das Zentralkommando mit dir vor hat.“ Ihr Grinsen wird breiter. Ich rieche Gefahr. Ich reagiere noch immer nicht.
Sie tritt ganz nah zu mir, beugt ihren Oberkörper so über mich, dass ich genau in ihren Ausschnitts schauen muss, ich kann ihren Brustansatz sehen. Dann flüstert sie mir zu: „Ich habe gestern dein endgültiges Urteil unterschrieben, Verräter.“ Ich rieche ihren aufreizenden Duft, schlucke, starre weiter in den Ausschnitt.
„Trebis?“, frage ich schließlich ganz leise.
„Vergiss den dämlichen Planeten. Dein Urteil – willst du nicht wissen, wie es lautet?“
„Nein – es würde nichts ändern“, entgegne ich heiser. Glotze weiter auf ihren Ausschnitt, der sich eben wie zufällig um einige Zentimeter verschoben hat. Ich kann die feine Spitzenwäsche erkennen. Dieses verdammte Miststück! Sie bückt sich noch weiter über mich. Ihre Haare berühren mein Gesicht. Es ist betörend und abstoßend gleichzeitig – und es treibt mir die Tränen ins Gesicht.
Ich denke an die vielen Toten, die sinnlos Ermordeten, meine Folter, die vielen Namenlosen, die in den Minen und in anderen Gefängnissen gequält werden.
Ganz leise beginne ich zu singen, sehe ihr dabei ins Gesicht.
Mihunka, ich denke an euch
tanze für euch
singe für euch
Mihunka, nun seid ihr fort
ich denke an euch
betrachte die Sterne
die Sonne den Mond
Mihunka nicht umsonst
ist euer Tod
Verwandte der Seelen
Wakan Tanka nimmt euch
mit in die Ewigkeit
Verwandte der Sonne
Wakan Tanka nimmt euch
mit in die Ewigkeit
Verwandte des Mondes
Wakan Tanka nimmt euch
mit in die Ewigkeit
Verwandte des Lichts
Wakan Tanka lässt euch
nicht im Dunkeln
Verwandte meines Lebens
ich denke an euch
ich grüße das Licht
die Liebe die Hoffnung
das Leben
Erbarmungslos schlägt sie auf mich ein. Zertrümmert mein Nasenbein, Blut schießt hervor, Lippen platzen. Ich versuche das Gesicht vor ihren Schlägen zu schützen, doch die Wachen halten mich unerbittlich fest. Diese Frau hat Fäuste aus Stahl, und die Kraft eines Bulldozers in den Armen. Irgendwann umfängt mich Dunkelheit und Vergessen.
Ich erwache wieder an einem anderen Ort. Wieso verlegen die mich andauernd? Das verstehe ich nicht. Aber den Ort kenne ich und mir schwant nichts Gutes. Es ist das Militärgefängnis auf Andor. Das kenne ich zu gut, um keine Angst zu haben. Hierher habe ich in meinen Anfangsjahren in der Flotte die Kriegsgefangenen gebracht. Schon damals habe ich gedacht, dass so keine Menschen behandelt werden sollen.
Aber warum bin ich wieder hier? Wird es eine neuerliche Verhandlung geben? Was hätten sie davon, außer mich zu präsentieren? Sie laufen nur Gefahr, dass ich wieder nicht das tue, was sie von mir erwarten. Ich denke, grüble hin und her und habe keine Idee, was mich hier erwartet, außer vielleicht neuerliche Grausamkeiten. Das Urteil steht schon fest, wie die Frau sagte.
Der berüchtigte Kerker von Andor. Mich schüttelt es. Hier wurden und werden Kriegsgefangene gefoltert, bis sie entweder ein fingiertes Geständnis unterschreiben oder sterben – meistens beides. Ich bin mir gewiss, dass auf mich ein ähnliches Schicksal wartet.
Irgendwie macht mich diese Gewissheit ruhig. Ich fühle die Feder der Eule. Soll es das gewesen sein? Einfach so? Für nichts und wieder nichts, das alles? Nein, nicht für Nichts.
Ich warte. Immer warten. Worauf? Das Ende. Welches Ende? Oder wird es ein Beginn? Ich werde es nicht erleben. Nachts träume ich immer öfter von Stella – wir laufen gemeinsam über grüne Wiesen. Sie lacht glücklich. Mit Tränen in den Augen erwache ich. Liebe Stella, endlich kann ich dich wieder sehen. Dein Gesicht, mir so vertraut wie mein eigenes. Ich kenne jedes Fältchen um deine Augen. Bald, hat sie gesagt. Ich glaube ihr.
Doch die Zeit zieht sich in die Länge. Ich weiß nicht, wie lange ich schon hier bin. Die Zeitblase hat mich wieder erfasst. Ist Tag oder Nacht? Eigentlich ist es gleichgültig. Alles ist irgendwie stumpf geworden. Ich bin nur des Wartens überdrüssig. Warum müssen sie immer alles in die Länge ziehen? Reicht es nicht, dass sie einen körperlich misshandeln? Nein, sie müssen auch die psychische Qual des Hinhaltens mit einbeziehen.
Täglich kommen Wächter und jagen mich durch den Gang. Das hatten wir doch alles schon. Ich bin dieser Demütigungen müde. Es funktioniert auch nicht mehr. Ich spiele mit, weil sie mich sonst wieder schlagen – ich will nicht mehr geschlagen werden.
„Verräter wie du, sollte man nicht so einfach davon kommen lassen! Ihr gehört alle auf einen Haufen geworfen und dann angezündet! Hast du das gehört, verfluchte Nummer! Wir müssen noch für euren Unterhalt hier aufkommen!“, brüllt ein Wachmann. Seine Stimme ist so voller Hass und Abscheu, dass ich es kaum fassen kann.
„Ich bin kein Verräter und ich habe nicht darum gebeten, hier eingesperrt zu werden!“, brülle ich zurück. Er fasst mich an den Armen und dreht sie mir auf den Rücken, dann drückt er mich mit dem Oberkörper ganz weit nach vorne und vergewaltigt mich mit seinem Knüppel. Ich schreie und trete um mich. Schweißgebadet und blutend richte ich mich schließlich wieder auf. Trotzig schaue ich ihm ins Gesicht und sage leise: „Ich hoffe, du kannst morgen früh noch in den Spiegel schauen, du Drecksack.“ Dann spucke ich ihm ins Gesicht. Der dreht sich einfach um und geht. Lässt mich stehen wo ich bin. Zwei weitere Wachmänner haben zugesehen, die führen mich stumm zurück in die Zelle.
Ich werde nicht mehr belästigt, bleibe von nun an alleine in der Zelle und warte.
Seltsamerweise fühle ich mich nicht mehr einsam. In den Träumen treffe ich Stella und gelegentlich Tunkasila. Offenbar warten beide irgendwie auf mich. Sollte es tatsächlich ein Leben nach dem Tod geben, werde ich mich darauf freuen. Etwas anderes bleibt mir nicht übrig – die Hoffnung auf Freiheit im Tod.
Irgendwann ist es so weit und die schwere Metalltür schwingt auf. Der Admiral tritt ein. Er schaut mich kurz von oben bis unten an, nickt und sagt: „Ich habe noch einen letzten ehrenwerten Weg für dich.“ Er hält mir eine kleine rosa Pille hin. Die Situation kommt mir bekannt vor. Ich habe diese Pille schon einmal verweigert. Stumm schüttle ich den Kopf. Ich will nicht mit ihm reden. Alles ist vergebens. Er will nicht hören. Zu oft habe ich es versucht. Vielleicht bei meiner Aburteilung. Die wird hoffentlich öffentlich sein. Da müssen sie mir die letzte Gelegenheit einer Rechtfertigung geben. So verlangt es das Gesetz. Man kann gegen die Armee sagen was man will und auch gegen die Gerichte, an die Vorschriften halten sie sich penibel.
„Dann sei es so.“ Er winkt den Wachen und verlässt die Zelle.
Das Gefühl des Déjà-vu lässt mich schwindeln.
Kehrt die Vergangenheit wieder? Ich lasse mich erneut auf das Lager fallen und brüte vor mich hin.
Hunhan hat mir die Feder gegeben, ich habe das Unausweichliche endlich akzeptiert, einen Weg erkannt, der mich noch einmal mit den Leuten reden lässt, hoffe ich zumindest. Ich muss es hoffen, ohne Hoffnung wäre alles vergebens gewesen.
Schließlich kommen die Wachen und bringen mich in den Gerichtssaal. Ich sehe alles ganz klar und deutlich. Die kahlen Wände der Gänge, unzählige Türen, die in andere Gefängniszellen führen, dann die vergitterte Tür, die in den Gerichtssaal führt. Ich werde in einen Käfig gesperrt. Sie müssen mich offensichtlich für einen Schwerverbrecher halten. Auf der Seite der Ankläger: die Frau und der Admiral. Auf der Seite des Verteidigers, wie zu erwarten niemand und dann die Gerichtsbank. Ich sehe drei so genannte Richter in ihren purpurroten Roben. Der Gerichtssaal ist mit Zuschauern überfüllt. Sogar eine Übertragungseinheit ist aufgebaut worden.
Der Richter beginnt mit der Verlesung der Anklage. Ich höre was er spricht, aber ich verstehe es nicht, will es noch immer nicht verstehen. Die Anklage lautet: Verschwörung, Anstiftung zum bewaffneten Aufstand, Spionage, Mord.“
„Angeklagter“, beginnt der oberste Richter mit der weißen Perücke. „Deine Schuld steht unbestreitbar fest. Du hast auf eine Verteidigung verzichtet.“
„Hab ich nicht“, unterbreche ich ihn. „Ich möchte dazu noch etwas sagen Euer Ehren“, kann ich mich noch rechtzeitig beherrschen. Der Richter nickt. Er kennt das Gesetz.
„Euer Ehren, ich habe mich vielerlei Dingen schuldig gemacht. Darunter ist auch diese Schuld, dass ich Befehle nicht befolgt habe. Durch meine Schuld, wurde meine Frau von dieser Regierung hingerichtet. Durch meine Schuld sind unzählige Menschen auf Trebis ihrem Untergang entgegen gegangen. Es ist meine Schuld, dass ich den Weg der Gewaltfreiheit gehen wollte. Es ist genauso meine Schuld, dass ich auf dieser verdammten Welt und in dieser verdammten Galaxie nach Liebe suchte. Ich bin schuldig, eine Ausländerin geheiratet zu haben. Ich bin schuldig, Euer Ehren, nach meinem Gewissen gehandelt zu haben. Euer Ehren, ich wollte nie, dass jemand anders als ich für mein Verhalten zur Rechenschaft gezogen wird. Ich wollte nur Frieden und Freiheit. Dazu stehe ich nach wie vor. Ich hasse niemanden. Jedes Lebewesen, ganz gleich von welchem Planeten es kommt, sollte die gleichen Rechte und Pflichten haben. Es darf doch keine Unterschiede geben. Wir sind alle miteinander verwandt. Machen Sie doch endlich die erforderlichen DNA-Tests. Oder haben Sie das schon gemacht und die Ergebnisse werden uns vorenthalten. Euer Ehren, ich bin schuldig, nach der Wahrheit und der Liebe zu suchen. Ich bin Sevin Libertas, degradierter Flottenkapitän Sevin Lan’dan, jetzt Kriegsgefangener und Heimatloser.“
Alle sind einen Moment lang sprachlos. Mein Vater schaut mich erstaunt an. So eine Rede hätte er von mir nicht erwartet.
„Du wirst in Zukunft den Mund halten!“, brüllt der Richter.
„Ich habe nur die Wahrheit gesagt“, rede ich dazwischen.
Der Richter zur linken des Obersten winkt einem Aufseher. Er kommt in den Käfig, ich werde geknebelt. Jetzt habe ich keine Chance mehr zu reden. Alle Möglichkeiten sind vertan, ziehen an mir vorbei. Meine Schutztiere verlassen mich, ich sehe sie davon ziehen. Tunkasila winkt zum Abschied. Ich höre nicht mehr, was der Mann sagt. Irgendein Urteil wird es geben, es ist gleich.
„Gefangener, du hast jegliches Recht auf Verteidigung verwirkt. Die Schwere deines Verrats lässt nur ein Urteil zu – nämlich Tod in den Minen. Du wirst für das Volk der Andorier nach Erz graben, bis zu deinem unseligen Ableben.“
Ich fühle mich schwanken, sehe die Frau gehässig grinsen und den Admiral resigniert die Augen schließen. Als er am Käfig vorbei kommt, sagt er kurz: „Ich hätte dir den anderen Weg geboten, das wäre schneller gegangen. Aber du warst schon immer ein Dickkopf.“
Ich hätte ihm gerne geantwortet, nur der Knebel hindert mich daran. Er liest scheinbar die Antwort von meinem Blick ab, denn er fährt leise flüsternd fort: „Ich bin nicht der herzlose Mensch, für den du mich hältst. Früher habe ich dich geliebt, Sohn.“ Dann dreht er sich um und geht mit raschen Schritten fort. Ich sehe nur mehr seinen sehr geraden Rücken, das ergraute kurz geschnittene Haar und den militärischen Gang. Vater!
Als der Gerichtssaal beinahe leer ist, entfernt ein Wächter den Knebel und ich rufe der Menge hinterher: „Trotz allem lohnt es sich für die Freiheit zu kämpfen! Freiheit!“
Die Übertragungseinheit schwenkt zu mir. Ganz genau dokumentieren sie, wie ich abgeführt und auf den Weg zu den Minen gebracht werde.
„Freiheit für das Volk!“, rufe ich, bevor ich wieder einen Knebel zwischen die Zähne bekomme.
Welchen Zyklus haben wir? Wie viele sind vergangen, seit ich wieder hier bin? Was ist Zeit schon – ein dehnbarer Begriff, der die Einheiten des Lebens einteilt, in ein Vorher und Nachher. Es gab ein Vorher, ein Nachher wird es nicht mehr geben. Warum denke ich so viel? Ich weiß wer ich bin. Alle anderen hier kennen nur ihre Häftlingsnummer.
Ich bin Sevin und das lasse ich mir nicht nehmen.
Sevin Libertas.
Das darf ich nicht vergessen, hier in der ewigen Düsternis und Schwüle. Die Luft ist heiß und kalt gleichzeitig, sie steht still und ist manchmal so dicht, dass man sie schneiden könnte.
Wie viele hier in den Minen ihr Dasein fristen müssen, kann ich nicht sagen. Jeder Stollen hat seine eigenen Arbeiter.
Sklaven.
Sklaverei – das scheußlichste, was man einem Menschen antun kann, ihm seine Identität rauben und zum Gegenstand zu machen, zu einem Ding, nein weniger als ein Ding, denn ein Ding hat einen Wert. Ein Sklave in den Minen hat keinen. Hier sind nur Kriegsgefangene und Regimegegner. Wir müssen für das Volk der Andorie-Allianz nach diesem verdammten Erz graben, das niemand wirklich braucht, aber doch alle Welt haben will.
Ein Peitschenhieb trifft mich am Rücken. Ich bin wieder einmal zu langsam. Das Denken hält mich von der Arbeit ab. Ich sollte mehr arbeiten, dann würde ich nicht so oft geschlagen werden. Irgendwann werden sie mich zu Tode prügeln. Ich werde froh sein darüber und ihnen ins Gesicht lachen.
Heute – was ist heute? – ist der Arbeitszyklus früher beendet. Was hat das zu bedeuten?
„Du da!“, brüllt ein Wächter. Er zeigt auf mich. Mühsam richte ich mich auf, streiche das Haar aus dem Gesicht und sehe ihm in die Augen. Ich weiß, dass das verboten ist, dennoch mache ich es.
Das ist meine Freiheit!
Die Freiheit der Gedanken und die Freiheit jemandem ins Gesicht zu sehen, wenn ich will.
Erkennen spiegelt sich in den Augen des Mannes.
Er sagt kein Wort, sondern bringt mich zum Grubenaufzug.
Die Sonne blendet mich und ich erkenne nicht, wer am Stollenausgang steht. Der Wächter geht so schnell, dass ich ihm kaum folgen kann. Es kommt mir so vor, als möchte er eine unangenehme Pflicht möglichst schnell hinter sich bringen. Ich schnaufe hinter ihm drein.
Nach und nach gewöhne ich mich an das Licht. Die Luft ist frisch und angenehm. Ich sauge sie tief ein und erfreue mich daran. Was auch immer hier auf mich wartet, das ist es wert!
Es ist die Freiheit des Augenblicks, das Licht zu sehen, auch wenn der Weg nur Dunkelheit verheißt. So sagt man doch, dass man zum Licht nur durch Finsternis gelangen kann. Ich glaube nicht wirklich daran, weil das Licht in jedem von uns ist. Manchmal ist es nur ein Fünkchen, kaum mehr als ein Glimmen, und ein andermal brennt es wie das hellste Leuchtfeuer. Gerade eben fühle ich wie sich die Flamme in mir erneut entfacht.
„Freiheit“, sage ich, als ich vor dem Exekutionskommando stehe. „Ich bin Sevin Freiheit! Ihr könnt mir das Leben nehmen, die Identität, mir die Knochen brechen – aber nie werdet ihr die Freiheit besiegen.“
Im Hintergrund sehe ich Vater stehen, in seiner Galauniform. Er salutiert vor mir. Ich habe Tränen in den Augen. Vater! Du hast mich doch nicht vergessen!
Zum letzten Mal singe ich das Totenlied, es ist meines und dann werde ich endlich zu Stella gehen.
Zu viel Leid
Menschen gebrochen
zu viel Blut
hab ich gerochen
zu viel Elend
hat Hoffnung zerstört
zu viele Gedanken
werden niemals gehört
zu viele Tränen
kann sie nicht mehr weinen
zu viele Tränen
Augen leer und blind erscheinen
Ich habe keine Tränen mehr.
Liebe wünschte ich so sehr
Freiheit, Hoffnung auf ein Leben
ich kann sie mir selber nicht mehr geben.
Ich grüße das Licht
die Liebe, die Hoffnung
das Leben!