Mehr brandheiße Inhalte
zur Gruppe
Fürth und Umgebung
1546 Mitglieder
zum Thema
Freiheit, was ist das für Dich?743
Immer wieder mal setze ich mich neu mit meinen persönlichen Werten…
zum Thema
Freiheit für die Möpse - geht ihr auch ohne BH?278
Hallöchen Ihr Lieben, wir Beide sind in der DDR aufgewachsen und…
Das Thema ist für dich interessant? Jetzt JOYclub entdecken

Trotz allem – Freiheit

*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
Wahnsinn - und Mut
Wahnsinn - das ist diese Story in vielerlei Hinsicht.

Mut ist es, hier eine solche Geschichte zu erzählen!

Ich verbeuge mich und hoffe, dass diese Arbeiut von vielen gelesen wird.

(Der Antaghar)
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
@ Antaghar
Danke für das Kompliment *blume*


Zwischenzeitlich war ich doch sehr unsicher, ob das was wird. Aber ich denke, der Schluss ist ganz gut gelungen.

Ich lese gerade "Die Bücherdiebin". Also, Markus Zusak schreibt wirklich wie kein zweiter - was auch zu meiner Unsicherheit beigetragen hat *g*



Ganz liebe Grüße *sonne*

Herta
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
Ja, der Mann schreibt einfach genial (auch in "Der Joker").

Aber bitte nicht verunsichern lassen - sondern sich davon anregen und ermutigen lassen!!! Ich würde, wenn ich könnte, Dir hier schon mal eine Feder verleihen ...

*g*

(Der Antaghar)
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Danke *rotwerd*

Jetzt werde ich "Die Bücherdiebin" fertig lesen, morgen habe ich viel Zeit dazu, da muss ich nach Wien zu einer Buchpräsentation und kann dann im Zug genüsslich lesen. *freu*

Und in einigen Wochen werde ich mir diese Geschichte wieder vornehmen und die Unsicherheiten glätten *zwinker*
(und mich wahrscheinlich über meine brutale Schreibweise wundern)


Liebe Grüße
Herta

PS.: Drück mir bitte die Daumen, dass ich morgen unter den Besten bin und eine Veröffentlichung bekomme *zwinker*
Profilbild
****ia Frau
22.263 Beiträge
Von mir kriegst Du die Auszeichnung auf jeden Fall!
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
@ Rhabia
Danke *bussi* *freu*

es geht aber um eine andere Geschichte,
die ist harmlos und satirisch *ggg*
Profilbild
****ia Frau
22.263 Beiträge
Soso, DU kannst harmlos?
Da bin ich ja mal gespannt!
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
*ggg* such mal hier nach "Land(er)leben"
dann hast du's *zwinker*
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
Die Daumen ...
... werden natürlich gedrückt! Viel Glück und Erfolg!

(Der Antaghar)
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Danke ...
lieber Antaghar,

ich bin schon jetzt nervös.

Auf jeden Fall ist die Einladung schon eine Auszeichnung *g*
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Ich brauche mal eure geschätzte Meinung
Liebe Kurzgeschichtler,

ich habe diese Geschichte jetzt noch einmal gründlich überarbeitet, neu gestaltet und leider etwas verlängert. Weil mein Partner, den ich sehr liebe und schätze, keine große Freude an meinen brutalen Geschichten zeigt, und auch sehr wenig Zeit zum Lesen hat, bitte ich euch um eure geschätzte Meinung *schleimer* Nein, voll im Ernst.

Liebe Grüße
Herta

**************************************

Trotz allem – Freiheit

Der Sklave

Welchen Zyklus haben wir?
Wie viele sind vergangen, seit ich hier bin?
Es ist schon sehr lange her, seit ich Tageslicht gesehen habe. Was ist das überhaupt?
Wie fühlt sich Licht an, Wind?
Ich kenne nur Düsternis und Schwüle.
Es ist so verdammt heiß in diesen verfluchten Minen.
Warum bin ich hier?
Und wer zur Hölle bin ich?
Hier habe ich nur eine Nummer. Ich bin 152.370. Einsfünfzwopunktdreisiebzig.

Es sind noch andere hier. Wie viele genau kann ich nicht sagen.
Tag und Nacht immer das gleiche Licht.
Was ist Tag?
Was Nacht?
Es gibt nur Arbeits- und Schlafzyklen. Diese wiederholen sich in unregelmäßigen Abständen. Gerade, wie es den Wächtern gefällt.
Langsam werde ich verrückt. Ich fühle, wie mein Verstand auf Abwege gerät. Er ringelt sich wie eine Schlange ein, verzieht sich in den letzten Winkel und schnellt dann schreiend hervor. Es ist die Routine, diese verfluchte Eintönigkeit, die mich weiter machen lässt.
Nach Erz graben.
Pickel in den Fels schlagen.
Steine schleppen.
Gebeugter Rücken.

Ein Peitschenhieb schickt mich zu Boden. Schon wieder bin ich zu langsam.
Warum fühle ich den Schmerz noch? Eigentlich müsste ich schon taub sein dagegen.
Ich bin übersät von zum Teil verheilten und noch frischen Narben.

Endlich ist der Schlafzyklus da. Wieder einmal sehr viel später als gewöhnlich. Ich rolle mich auf dem kalten Boden zusammen. Der Hunger lässt mich nicht schlafen. Ist es der Hunger nach Nahrung oder der nach Freiheit?
Warum bin ich hier? Diese Frage lässt mich nicht los.
Warum habe ich das gedacht?
Ich wünschte, ich hätte was zum Schreiben?
Was zur Hölle ist schreiben? Schreiben kann doch nur die Elite!
Ich bin ein Sklave. Sklaven schreiben nicht. Sind bestenfalls infantil, hier nur noch stupid – Tiere, oder weniger als das.
Warum denke ich solche Sachen?
Ich bin ein Sklave, eine Nummer!
Keiner sollte eine Nummer sein, austauschbar.

Im fahlen Fackellicht sehe ich kränkelnde Gestalten vorbei humpeln. Für sie hat der Arbeitszyklus begonnen. Ich bin froh, dass ich nicht zu ihnen gehöre.
Warum gehöre ich nicht zu ihnen? Was ist los mit mir?

Endlich schlafe ich doch ein. Ein lautes Signal lässt mich hochfahren. Der Schlafzyklus ist beendet. Mühsam rapple ich mich auf, schleppe mich in die Reihe. Jemand drückt mir einen Becher mit heißem Wasser und ein Stück Zwieback in die Hand. Die Ration des Tages. In einigen Tagen brauche ich das nicht mehr, dann bin ich tot.
Es ist ein Ende absehbar.
Niemand überlebt die Minen. Niemand!

Plötzlich fühle ich, dass es so nicht geht. Unter Schmerzen richte ich mich auf. Streiche das wirre Haar aus dem Gesicht und starre den Wächter direkt an. Das ist bei Strafe verboten.
Es reicht!
Ich habe die Schnauze gestrichen voll!
Auch Sklaven haben Rechte!
Das will ich sagen. Aber ich habe die Sprache verloren.
Das einzige, das mir geblieben ist – Gedanken. Die konnten sie mir noch nicht nehmen, diese verdammten Peitschenschwinger.
Ich starre weiter. Der Wächter ist so erstaunt, dass er zuerst nicht reagiert. An seinen Augen sehe ich allmählich ein Erkennen. Er scheint unter all die Narben, den Schmutz und den Bart zu blicken.
Er kennt mich!
Und nicht nur meine verdammte Nummer.
Wer zum Teufel bin ich?

Ich hebe den Becher, reiche ihn zurück. Als er ihn nicht nimmt, leere ich das Wasser auf seine Stiefel. Ganz langsam. Provokant. Die anderen Sklaven starren nun mich an. Endlich reagiert er. Die Gerte trifft mich im Gesicht. Aber mir entkommt kein Schrei. Ich starre ihn weiter an. Das Blut tropft langsam über die Wangen, das Kinn und dann zu Boden. Bevor er einen zweiten Schlag landen kann, fasse ich ihn am Handgelenk. Langsam biege ich seinen Arm nach unten und schaue ihm unentwegt in seine wasserblauen Augen.
Schweiß mischt sich mit Blut.
Ein Brennen durchfährt mich, als ich am Rücken von Peitschenhieben getroffen werde. Ich lasse nicht los. Kralle mich am Gegenüber fest.
Sollen sie mich doch töten! Besser jetzt als in zwei Wochen an Hunger sterben.
Was sind Wochen?

Ich hole tief Luft und schreie meine Gedanken hinaus: „Wer zum Teufel bin ich!“
Selbst ich erschrecke, als ich mich höre. Die anderen erstarren – Wächter und Sklaven gleichermaßen. Sogar die Luft scheint den Atem anzuhalten.
Die Wächter wissen wohl sehr genau, wer ich bin.
Sie wissen alles.
Sind aber so voller Angst, dass sie die Klappe halten und wegsehen oder zuschlagen.
Sadisten allesamt.
„Feiglinge“, zische ich und spuke dann aus.

Zorn und Schmerz sitzen ganz tief in der Brust und brechen sich nun Bahn. Die Schläge ignorierend stürze ich mich auf den Mann mit der Gerte und ringe ihn nieder. Es ist erstaunlich, dass die Sklaven nur zusehen. Oder vielleicht ist es das auch nicht. Was ich hier abziehe ist reiner Selbstmord. Ich hätte mir auch die Pulsadern aufschneiden oder neben einer gezündeten Sprengladung stehen können. Es würde auf das gleiche rausgekommen.

Ich entreiße dem Wächter die Gerte und schlage auf ihn ein. Auf mich hageln weiter Peitschenhiebe. Ich fühle die Haut platzen. Blut, Schweiß und Dreck vermischen sich.
Ich brenne in der Hölle – von innen heraus.
Nein! Ich bin die Hölle!
Das heißeste Feuer.
Auch ich schreie. Drehe mich um, und will nun auf die anderen losgehen.
Ein Schlaf trifft mich am Kopf.
Ich sehe Sterne.
Freue mich darüber.
Dann – nichts.

Als ich zu mir komme, stelle ich fest, dass ich mich an einen anderen Ort befinde. Das hier sind nicht die Minen, denn ich liege nicht auf kaltem Stein, sondern auf einer Pritsche. Ich bin verwirrt. Vielleicht bin ich noch bewusstlos. Ich versuche aufzustehen. Sofort meldet sich Schwindel und lässt mich zurückfallen.
Mir ist schlecht.

Ich weiß nicht wo ich bin, ich weiß nicht wer ich bin. Ich kenne nur meine Nummer 152.370. Einsfünfzwopunktdreisiebzig. Oder habe ich einen Namen, wie die Freien? Neben mir am Boden liegt etwas. Ich starre das Ding an. Nach einer Weile kann ich es identifizieren. Es ist ein Blatt Papier. Darauf liegt ein Stift. Ich greife danach. Dann schreibe ich einen Namen. Ob es meiner ist, weiß ich nicht.

„Kpt. Silvo Karmin, Alpha-Star.“

Erinnerungen

Ich starre auf den Namen. Alles dreht sich.
Erinnerung!
Warum habe ich keine Vergangenheit?
Alles scheint ausgelöscht, so als hätte es mich vor der Mine nicht gegeben.
Warum kann ich schreiben?
Warum bin ich hier in dieser Zelle und nicht tot?
So viele Fragen und keine Antworten.

Ich weiß nicht, wie ich mich legen soll. Der Rücken brennt wie Feuer. Ich spüre, wie die Haut in Fetzen runter hängt. Jeder Knochen, jeder Muskel, ja jede Faser schmerzt. Nur mit Mühe kann ich mich bewegen. Stöhne immerzu. Fühle mich wie ein Tier auf der Schlachtbank.
Ich warte. Worauf?
Starre die Metalltür an.
Vielleicht geht sie auf und sie holen mich endlich, um dem Ganzen ein Ende zu bereiten.
Wer zum Kuckuck sind „sie“?
Wer bin ich?
Der Name auf dem Papier? Ist das meiner?
Kpt. ist die Abkürzung für Kaptain.
Wieso weiß ich das alles, nur meinen Namen nicht?
Es ist zum Verzweifeln.

Ich merke, wie sich mein Verstand verabschiedet.
Ich werde irre. Schreie, lache, tobe, weine – alles gleichzeitig. Dann liege ich nur noch da und starre auf die Metalltür.
Haben die mich vergessen?
Das hier ist für mich schlimmer als die Mine. Dort waren wenigstens Leute um mich. Ich fühlte Leben. Hier ist nichts. Ich bin ganz alleine. Immer das diffuse Licht.
Stille umgibt mich. Jeder Laut, den ich von mir gebe, jedes Stöhnen kommt mir unendlich laut vor. Ich bin wahnsinnig.

Dann schaue ich wieder auf das Blatt Papier und versuche mich zu erinnern. Bin ich dieser Silvo Karmin, Kaptain der Alpha-Star? Wieso weiß ich, dass die Alpha-Star ein Schiff ist? Ist es eines, das auf dem Meer fährt oder ein Sternenkreuzer? Ich zermartere mein Hirn.

Ich falle wieder in Dämmerschlaf und träume von riesigen Raumschiffen.
Ich sehe Sterne.
Ein Feuergefecht jagt das andere.
Schiffe explodieren, enden als Staub und Schrott in den Weiten des Alls. Eines entfernt sich von den anderen und – ich erwache. Finde mich schreiend auf dem Boden wieder. Mein Magen dreht sich um. Ich würge und spuke. Es kommt nichts. Die Angst lässt sich nicht auskotzen. Mit tränenverklebten Augen schaue ich auf und sehe Stiefel.
Ich hebe den Blick – Hose, Jacke, verschleiertes Gesicht.
‚Scheiße’, denke ich und weiß nicht, warum ich plötzlich Panik fühle.
Irrational.
Jetzt stehen die Stiefel genau vor mir. Sie glänzen wie frisch poliert.
„Aufstehen!“, befiehlt der Soldat.
Ich versuche es, komme aber nicht hoch, falle wieder um. Behandschuhte Hände packen mich an jeder Seite und bringen mich weg.
„Was wollt ihr?“, frage ich voller Angst. Ein Schlag auf den Rücken ist die Antwort. Er lässt mich aufschreien. Ich spüre, dass die Wunden zu bluten beginnen. Sie schleifen mich einen langen Gang entlang. Immer wieder versuche ich die Füße auf den Boden zu bringen. Es gelingt nicht. Ich hänge zwischen den beiden Soldaten. Sie bringen mich in ein Verhörzimmer. Der Raum wird von einem klobigen Schreibtisch dominiert. Dahinter sitzt ein Mann mittleren Alters, der mir irgendwie bekannt vorkommt. Seine Uniform ist mit Orden behängt. Die beiden Soldaten neben mir nehmen Haltung an, wobei sie den Griff an meinen Armen lösen. Ich sacke zusammen, habe keine Kraft in mir. Brutal zerren mich sie mich in die Höhe, halten mich eisern fest.
Der Colonell (woher weiß ich seinen Rang?) wirft einen kurzen Blick auf mich. Dann sieht er an mir vorbei, während er spricht: „Dir ist wohl nicht klar, dass der Angriff auf einen Wächter mit dem Tod bestraft wird?“
„Dann mach dem ein Ende“, unterbreche ich ihn. Ich will nicht mehr. Es ist genug. Dann trifft mich ein Schlag in den Magen. Ich krümme mich, wimmere.
„Schweig! Ich sage dir jetzt, warum du noch lebst und wieder in Militärgewahrsam bist.“
Wieder im Militärgefängnis? Ich war also schon einmal hier.
„Deine Erinnerungen kommen anscheinend zurück. Das ist Pech. Hier bist du trotzdem namenlos. Im Übrigen kann die Regierung auf einen Märtyrer verzichten.“
Plötzlich weiß ich, dass ich nicht Silvo bin. Ich war sein Erster Offizier. Das weiß ich jetzt. Wir befanden, oder befinden wir uns noch immer, im Krieg – irgendetwas ist damals geschehen. Was?
Wie ist mein Name?
Warum bin ich ein Gefangener?
Ich weiß, dass ich bei meinem Volk bin. Warum also?
„Denk gar nicht erst darüber nach. Du bist ein verdammter Verräter und als solcher wirst du behandelt. Karmin hatte wenigstens soviel Schneid, sich selbst zu töten. Aber du warst schon immer ein Feigling. Deshalb lebst du noch.“
„Weshalb bin ich hier? Wer bin ich?“ Ich will nicht klein begeben.
„Das möchtest du wohl gerne wissen, du elender Verräter, du!“
Mir wird schwindlig. Plötzlich schießen Erinnerungsfetzen auf mich ein. Kaptain Karmin und ich hatten einen Befehl verweigert. Es ging um den Beschuss irgendeines unterentwickelten Planeten.
„Wir hatten Recht“, sage ich heiser. „Ich würde es wieder tun! Was bringt es, eine Galaxie zu beherrschen, wenn dann niemand in Frieden und Freiheit leben kann? Jeder bekämpft jeden!“
Kaum habe ich zu Ende geredet, trifft mich auch schon eine Faust im Gesicht.
Ich spucke Blut und einen Zahn.
„So wirst du deine Frau nie wieder sehen. Kehre zurück zu uns, und ihr seid beide frei.“
Der Colonell blickt mich feindselig an. Woher kenne ich den Typen? Warum ist er so erpicht darauf, mir dieses und jenes zu sagen?
Dann fällt mir ein Name ein.
Stella! Meine Frau.
„Wo ist sie?“, rufe ich.
Aber er lacht nur.
Dann bringen mich die Soldaten in die Zelle zurück.

Ich denke an Stella und weine. Ihr Gesicht ist nur ein Schemen. Die Erinnerung an eine Erinnerung. Sie ist so ein friedfertiger, liebevoller Mensch. Für mich das Liebste und Beste auf der Welt. Stella! Liebes, wo bist du? Du hast mir den Weg gezeigt. Liebe ist besser als Hass. Immer nur nehmen macht auf Dauer alles kaputt. Du hast mich gelehrt, auch zu geben. Der Weg des Lichts, das ist der deine – und der meine, auch wenn er mich hierher gebracht hat. Es wird immer Leute geben, die vom Licht gefunden werden und es dann weitergeben.

Plötzlich fällt mir mein Name ein! Ich weiß wer und was ich bin. Sevin Libertas! Erster Offizier der Alpha-Star! Das brülle ich in die leere Zelle. So laut, dass es hallt.
Dann denke ich an unsere Zeremonie. Ich habe Stella nach der Art ihres Volkes geheiratet und ihren Namen angenommen. Als wäre es gestern erst gewesen, sehe ich die Gestalt eines Mannes vor mir. Ich spüre seine Wut noch ganz deutlich und höre seine Worte des Hasses: „Du bist keiner mehr von uns, Sevin. Wenn du dich von uns lossagst, hast du keine Familie mehr.“ Damit drehte er sich um und ging. Kurze Zeit später wurde ich degradiert und meines Kommandos enthoben. Erst als mich Silvo Karmin anforderte, bekam ich wieder eine Kommandofunktion. Ich suche weiter nach meinen Erinnerungen, nach meiner Familie, meinen Eltern, die mich fortgestoßen haben.
Krampfhaft suche ich danach – und finde nichts, nur Leere.
Stumpfe, dunkle Leere.

O Stella, hoffentlich haben sie dir nichts getan. Sippenhaftung, fällt mir jetzt ein. Das ist bei uns übliche Verfahrensweise. Die ganze Familie wird verhaftet, selbst Kinder.
Ich werde wahnsinnig vor Angst um sie und bin gleichzeitig froh, dass wir keine Kinder haben. Immer wieder rufe ich ihren Namen, heule und schluchze. „Stella!“ Es hallt in der Zelle. Dann trommelt jemand gegen die Zellentür und brüllt: „Ruhe, du Schwein, sonst komm ich rein und zieh dir eins über!“
Die Angst vor neuerlichen Schlägen lässt mich schweigen. Ich versuche endlich zu schlafen. Doch die Schmerzen lassen mich nicht zur Ruhe kommen. Ich kann nicht richtig liegen. Der gesamte Rücken ist wund.

Stunden später, in denen mich Gedanken an Stella quälen, öffnet sich eine Luke in der Tür und eine schwarz behandschuhte Hand schiebt ein Tablett herein. ‚Wasser’, denke ich und stürze mich darauf. Es ist warm. Das macht mir nichts. Ich fühle mich so ausgetrocknet, dass ich sogar Schmutzwasser getrunken hätte. Langsam esse ich den eigentümlichen Brei. Ich muss mit den Fingern essen. Aus Angst vor Selbstmorden wird den Gefangenen Besteck und Bettzeug vorenthalten. Ich trage nur ein Hemd mit meiner Nummer auf dem Rücken. 152.370. Wie ich diese Nummer hasse.
„Ich bin Leutnant Sevin Libertas, Erster Offizier der Alpha-Star, verheiratet mit Stella Libertas, Priesterin auf Trebis!“, rufe ich, als das Tablett wieder abgeholt wird. Ich will, dass alle wissen, wer und was ich bin.

Ich habe Magenschmerzen, lege mich auf die Pritsche und denke an Stella. Diese wunderbare, schöne, liebreizende Person. Ganz deutlich sehe ich jetzt wieder ihr Gesicht vor mir: hohe Wangenknochen, leicht schräg stehende blaue Augen, ein sinnlicher Mund, die kleine Stupsnase und alles eingerahmt von dunklem seidig glänzendem, langen Haar. Stella, meine Liebe. Ihre Augen strahlen Licht, Wärme, Leben und Liebe aus. Sie hat mich vom harten Soldaten zu einem liebevollen Menschen geführt.
Woher komme ich?

Stellas Liebe zum Leben müsste für eine ganze Galaxie reichen. Ihr Licht müsste Welten erhellen können. Sie hat mich für ihre Ideale entflammt – Liebe und Gerechtigkeit, Freiheit und Hoffnung. O Stella, ich vermisse dich. „Tecihila“, sage ich in ihrer alten Sprache. Es ist verboten sie zu verwenden. Nur ein paar Alte sprechen sie, und Leute von der Friedensbewegung.

Ich weine um unsere Liebe, um meinen toten Freund und um die vielen Toten, die in einem grausamen, unnötigen Krieg getötet wurden – hingemetzelt von einem Feind, der sich nie zeigte.
„Warum bin ich hier?“, grüble ich. Den Märtyrerscheiß glaube ich keine Sekunde lang. Da muss noch etwas anderes dahinter stecken.

Tagelang bin ich alleine, sehe nur die schwarze Hand, die mein Essen bringt und das Tablett wieder abholt. Ich warte und warte. Mein Leben scheint nur noch aus warten und starren zu bestehen. Die grauen Wände der Zelle beginnen sich um mich zu schließen. Ich fühle mich erdrückt davon, bekomme Atemnot. Klaustrophobie, fällt mir dazu ein. Wieder ein Wort aus der Vergangenheit. Ein Raumfahrer darf nicht darunter leiden.
Warum fühle ich es jetzt?
Ist es die Enge?
Die Gleichförmigkeit?
Das Nichtstun?
Alles zusammen?
Erinnerungsfragmente beginnen sich zu einem Ganzen zu formen. Durch die Untätigkeit bin ich gezwungen, mich mit den Gedanken zu beschäftigen. Ich möchte nicht verrückt werden. Ich möchte nicht verrückt werden, sage ich mir vor.
Warum lebe ich noch?
Macht das überhaupt Sinn?
Dann denke ich wieder an Stella. Unsere schöne gemeinsame Zeit in ihrer Heimat. Ich hätte den Dienst quittieren und dort bleiben sollen. Die angenehmen Erinnerungen werden von der Angst um sie verdrängt. Ich hoffe, dass sie in Sicherheit ist. Aber die Hoffnung ist sehr gering, nicht mehr als ein Fünkchen.
Warum kann ich mich plötzlich an so viele Details aus meinem Leben erinnern?

Plötzlich steht mir was anders vor Augen. Es ist, als wäre es gerade erst geschehen. So deutlich sind die Bilder. Der Kaptain ließ mich holen. Er war ärgerlich, nein zornig ist der bessere Ausdruck. „Setz dich Sevin“, sagte er, bot mir Kaffee an, den ich ablehnte. Dann reichte er mir einen schriftlichen Befehl. Ich las und war sprachlos, dann fragte ich: „Was gedenkst du zu tun, Silvo?“ Untereinander waren wir per Du, so gut waren wir befreundet. Vor der Mannschaft immer mit Rang. Das war uns wichtig.
Er schien darüber nachzudenken. Dann meinte er zögernd: „Auch, wenn du mich jetzt für einen kompletten Vollidioten hältst, Sevin, dieser Befehl wandert in die Rubrik: „nie gelesen“. Was bilden die sich ein? Wir sollen da so einen unterentwickelten Planeten entvölkern, nur weil er strategisch günstig liegt. Da hol mich doch der Teufel, oder wer auch immer, das ist sogar mir zuviel!“
„Du lehnst dich ganz schön weit aus dem Fenster, wenn du so redest“, sagte ich, aber ich grinste dabei. Silvo wusste, dass ich seine Ansicht teilte. Ich halte unsere Entscheidung bis heute für richtig, ganz gleich, was es mich kosten mag. Ich werde nichts revidieren!
Wir diskutierten eine Weile darüber, wie wir am besten vorgehen sollten, damit die Mannschaft nicht für unsere Entscheidung zur Verantwortung gezogen wurde.
Plötzlich glitt das Schott auf und Edwyn Lopart trat ein. Er war der Zweite Offizier auf der Alpha-Star. Ein Mann mit Ambitionen. Hinter ihm standen, sich auf die Füße blickend, fünf Sicherheitsleute. Lopart sagte: „Sie sind Ihres Kommandos enthoben!“
Silvo lachte. Dann sagte er todernst: „Sie wissen, dass das Meuterei ist, Commander? Für diese Tat brauchen Sie einen triftigen Grund.“
Er nickte selbstgefällig, bevor er sagte: „Ja Kaptain, den hab ich. Mir ist bekannt, dass Sie den Befehl des Flottenkommandos nicht befolgen werden. Ich habe vom Kommando den Auftrag, Sie in Gewahrsam zu nehmen und jeden, der sich bei Ihnen befindet. Und genau das werde ich jetzt machen. – Mitkommen!“
Seine Stimme war schneidend, eiskalt, berechnend.
Die Sicherheitsleute nahmen uns in die Mitte und brachten uns in den Arrestbereich. Von Silvo sah ich ab diesem Zeitpunkt nie wieder etwas, hörte auch kein Lebenszeichen von ihm. Erst seit ich hier bin, weiß ich, dass er tot ist.
Dann fällt mir noch etwas ein. Es ist ein Schock. Lopart sagte, nachdem der Planet beschossen worden war: „Libertas, deine Frau wird auch gerade verhaftet. Du kommst auf der nächsten Basis ins Militärgefängnis und wirst dort dein Urteil empfangen.“ Ich fiel beinahe um, als ich das hörte. Stella im Gefängnis!
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Noch immer eure Meinung wissen will :-)
Die Zeit bis zum Urteilsspruch musste ich in Stasis verbringen. Jeder wusste, wie sehr ich das hasse. Es war eine erste Strafe. Zum Urteilsspruch weckten sie mich. Ich war im Militärgefängnis auf Andor, dem berüchtigtsten Gefängnis der Galaxie. Mehrere Soldaten eskortierten mich aus der Zelle in den Gerichtssaal. Meine Augen waren blind vor unterdrückten Tränen. Die Angst saß mir im Nacken, ich spüre sie noch heute ganz deutlich, obwohl mir wahrscheinlich noch Schlimmeres blüht.
Im Gerichtssaal wurde ich in den Käfig für die gefährlichsten Verbrecher gesperrt, an den Händen und Füssen gefesselt und am Gitter festgemacht.
Auf der Anklagebank saß mein sogenannter Pflichtverteidiger, der sich nicht mal die Mühe machte, mit mir zu sprechen. Als ich ihn sah, wusste ich, dass die ganze Verhandlung eine Farce war, eine Zurschaustellung der Macht. Auf der Seite der Regierung, also der Ankläger, sah ich einen alten Bekannten, Leutnant Lopart und einen Admiral, auch eine Frau saß dort, die kannte ich nicht.
Dann begann der Richter mit der Verlesung der Anklage. Mir wurde schwarz vor Augen, als ich das hörte. Folgendes wurde mir zur Last gelegt: „Anstiftung zur Meuterei, Befehlsverweigerung, Beihilfe zur Flucht, Gründung einer terroristischen Vereinigung, Spionage und Volksverrat.“ Dann fragte der Richter, ob ich mich schuldig bekennen würde. Mein Verteidiger antwortete: „Schuldig, Euer Ehren.“
Aber ich rief dazwischen: „Nicht schuldig! Ich habe nur einen Befehl verweigert, sonst habe ich nichts getan! Ich habe nichts getan! Ich bin kein Terrorist und kein Spion! Ich habe unser Volk nicht verraten! Bitte, glauben Sie mir, Euer Ehren!“
„Schweig still, Angeklagter!“, brüllte er in meine Richtung und ich wusste, dass das Urteil bereits gefällt war.
Danach machten sie eine Stunde Pause. Während dieser ich im Käfig weiter stehen musste. Nach der langen Zeit in der Stasiskammer waren meine Muskeln geschrumpft. Schon bald merkte ich, wie die Beine unter mir wegzuknicken drohten. Nur mit Mühe gelang es mir, stehen zu bleiben. Ich lehnte mich an das Gitter und hoffte, dass es bald vorbei sein würde. Die Kameras der Übertragungseinheiten hatten mich immer im Blick, ebenso die Schaulustigen, die zum Scheinprozess gekommen waren und mich bespukten und als Verräter beschimpften. Ich verstand nicht, womit ich diese Behandlung verdient hatte.
In einiger Entfernung stand der Admiral und beobachtete mich. Sein Blick war steinhart und mitleidlos. Seine Uniform schien zu glänzen und mich damit zu verhöhnen, als wollte sie sagen: „Siehst du Sevin, auch du hättest das tragen können. Auch du hättest es so weit bringen können, wenn du dich an die Spielregeln gehalten hättest.“ Aber das hatte ich nicht. Ich hatte meinen eigenen Kopf benutzt und eigene Entscheidungen getroffen.
Dann kamen endlich die Richter zurück und verkündeten meine Strafe: Lobotomie und anschließend Strafarbeit in den Minen.
Das war schlimmer als der Tod.
Ich fiel in mich zusammen.
„Ich bin kein Spion! Da liegt ein Fehler vor!“, rief ich, während mich Soldaten wegzerrten. „Admiral, ich bin kein Verräter! Warum glaubt mir denn keiner?!“
Er wandte mir nur den Rücken zu und ging. Lopart hingegen grinste mir unverhohlen ins Gesicht und ich erkannte, dass er die ganze Sache eingefädelt hatte.
Wenn ich daran denke, werde ich immer noch zornig.
Lobotomie, eine Hirnoperation, seit mehr als 100 Jahren eigentlich verboten, wird bei Verrat oder Spionage immer noch angewendet.
Bei mir hat sie versagt.
Die Erinnerungen sind da, wenn auch nicht alle und bruchstückhaft.
Ich bin mir aber meiner selbst nicht mehr ganz sicher.
Bin ich, ich? Träume ich das alles? Bin ich verrückt und erlebe das in einem Wahnsinnsanfall?
Ich weiß es nicht.

Stella. Sie ist echt, das weiß ich bis in die Knochen hinein, und dass ich sie liebe, auch das ist wirklich. Wirklicher noch als die grauen Zellenwände. Wirklicher als die Schmerzen.

Ich bin so in meinen Erinnerungen, Selbstzweifeln und Fragen gefangen, dass ich nicht merke, wie jemand die Zelle betritt.
„Mitkommen“, brüllt die Person.
Ich fahre hoch. Zittere vor Schreck. Zwei Männer packen mich an den Oberarmen und führen mich ins Büro des Colonells.
„Na, willst du deine Einstellung nicht ändern?“, fragt er, als ich vor ihm stehe. Ich starre weiter gerade aus, will ihm nicht in die Augen sehen. Er kommt hinter seinem Schreibtisch vor. Ein Soldat zwingt mich, dem Colonell ins Gesicht zu sehen. Dieser streicht seine Uniformjacke glatt und lächelt mich wissend an.
„Hast du es dir nicht überlegt? Eigentlich will ich dir ja nichts Böses, du tust es dir selber an, indem du falschen Lehren folgst. Noch ist es nicht wirklich zu spät. Du könntest zurück kommen.“
Das Angebot ist verlockend. Die Einzelhaft zehrt an mir. Ich fühle meinen Willen schwanken. Dann denke ich daran, dass diese Regierung sich nichts dabei denkt, einen ganzen Planeten zu entvölkern, alle zu töten, die sie für unwert hält. Ich straffe die Schultern und sage schlicht: „Nein. Ich bleibe dabei.“
Der Colonell nickt. „Das habe ich befürchtet.“ Er dreht den Kopf zu Seite und mich durchbohrt ein Stich. Der Schock der Erkenntnis lässt mich zusammen sacken. Ich merke, wie mir alle Farbe aus dem Gesicht rinnt. Alles Blut läuft in die Beine, diese sind schwer wie Blei. Im Kopf summt es wie ein Bienenschwarm.
Ich flüstere: „Lukas. Du bist dafür verantwortlich?“
„Schweig!“, herrscht er mich an. „Nummer 152.370, du hast hier ungefragt nichts zu sagen!“ Ein Schlagstock saust auf mich nieder. Ich krümme mich vor Schmerzen. Aber der Schmerz geht tiefer, nicht nur vom Schlag her, sondern von der Erkenntnis fühle ich mich getroffen. Die Beine geben endlich nach und ich lande auf dem Boden. Brutal ziehen mich die beiden Soldaten wieder hoch. Ich werde an den Haaren gepackt, bis mein Kopf tief im Nacken liegt. Dann drücken sie mich auf einen Stuhl und fesseln mich daran. Hände, Beine werden angeschnallt. Einer hält mich noch immer an den Haaren, zieht immer fester nach hinten. Der Hals spannt, ich röchle und versuche wieder in eine normale Position zu kommen. Endlich lässt er los. Lukas schaut mich an. Ich kann nicht erkennen, was er denkt, oder fühlt. Er sieht gleichgültig drein, als ob ich ihm nichts anginge.
Brüder waren wir einst, heute bin ich sein Feind. Ich bin traurig darüber, und habe Angst.
Lukas stellt den Hologramm-Projektor auf den Tisch. Ein Soldat fixiert meinen Kopf, sodass ich ihn nicht mehr bewegen kann.
„Du willst sicher wissen, wie es Stella geht. Jetzt kannst du miterleben, was die so treibt, wenn du nicht da bist. Sieh nur genau zu – das passiert jetzt gerade.“
Er grinst mich gemein an und schaltet das Holo an.
Stella! Sie hat ein weißes Kleid an. Es wallt um ihre schlanke, anmutige Gestalt. Auch sie ist in einem Gefängnis, die Fenster sind alle vergittert. Zwei Soldaten führen sie in den Raum. Sie wehrt sich nicht, macht aber auch keine Anstalten freiwillig mit zu machen. Die Soldaten zwingen sie über einen Bock, dort wird sie gefesselt und geknebelt. Ich kann ihre Tränen sehen, die wie Perlen über die Wangen laufen. Meine liebe Stella, was musst du für Angst haben. Wieso kann ich dir nicht helfen?
Sie reißen ihr das Kleid herunter und vergewaltigen sie.
Ich sehe, wie sie weint, wie sie sich dagegen wehren will.
„Nein!“, rufe ich. „Stella! Tecihila! Tecihila! Tecihila!“
Die Fesseln schneiden sich tief in meine Haut, als ich versuche aufzuspringen. Am liebsten hätte ich die Kerle umgebracht, die Stella so quälen.
Immer wieder rufe ich in ihrer Sprache. Ich weiß nicht, ob sie mich sehen oder hören kann. Sie blickt in meine Richtung, zumindest bilde ich es mir ein.
„Tecihila! Ich liebe dich!“
Eine Faust trifft mich am Kinn und der Colonell sagt: „Du wirst nur mehr in einer zivilisierten Sprache reden. Du weißt genau, dass dieser Dialekt verboten ist!“
„Huka“, erwidere ich. „Ich fürchte mich nicht.“
Ich bekomme noch mehr Schläge und werde dann wieder gezwungen auf das Holobild zu sehen. ‚Auch du fürchtest dich nicht, meine Liebste’, denke ich, und hätte sie am liebsten in den Arm genommen und vor diesen Rohlingen beschützt.
Immer wieder vergehen sie sich an ihr.
Meine Schöne! Warum tun die dir das an?
Du hast in deinem ganzen Leben keiner Seele ein Leid getan. Ich weine mit dir mit. „Tecihila“, sage ich noch einmal leise, als sie Stella fortbringen. Sie hängt nur noch zwischen den Soldaten, kann nicht stehen und gehen. Brutal schleifen sie meine Frau aus dem Raum. „Tecihila, Sevin“, höre ich ihre letzten Worte.
Ich möchte aufspringen, die Fesseln halten mich. Der Soldat hinter mir zieht mich wieder an den Haaren bis mein Kopf ganz weit im Nacken liegt.
Lukas baut sich vor mir auf und zischt mich an: „Na, das war doch mal ein Augenöffner, oder?“
„Du hundsgemeines Arschloch“, bringe ich zwischen den Zähnen hervor. Der Griff am Kopf lockert sich und ich muss geradeaus sehen, genau in Lukas Gesicht. Ich nutze die Gelegenheit und spuke ihn an. Der schlägt mir daraufhin die Faust ins Gesicht. Dann gibt er einen Befehl, den ich nicht richtig verstehe. Sie machen mich los und bringen mich in einen anderen Raum. Dort werde ich an einen Haken, der von der Decke hängt, festgebunden. Die Beine an den Knien und Sprunggelenken gefesselt. Ich kann gerade noch den Boden berühren. Dann reißt jemand mein Hemd am Rücken auf.
‚Nein’, denke ich und beiße die Zähne fest aufeinander. Zu oft wurde ich in der Mine ausgepeitscht. Warum lebe ich überhaupt noch? Das ist eine Frage, die mich immer wieder plagt und nicht zur Ruhe kommen lässt. Zu gerne wäre ich schon gestorben und hätte meinen Frieden gefunden. Während der ersten Schläge denke ich an Stella. Ich versuche nicht zu schreien. Aber als ich wie ein Pendel hin und her schwinge, dazwischen von den Peitschenhieben getroffen werde, fange ich an zu brüllen. Die Schmerzen bringen mich fast um, die Schultern werden aus den Gelenken gerissen.
„Tötet mich doch endlich!“, schreie ich, weil ich es nicht mehr aushalten kann.
Dann weiß ich nichts mehr.
Ich kann nicht mehr.

Irgendwann klatscht mir Eiswasser ins Gesicht. Es sticht wie tausend Nadeln in die Haut.
Ich schnappe nach Luft und schreie.
Noch immer hänge ich von der Decke.
Warmes Blut läuft mir den Rücken hinab.
Lukas steht vor mir. Der Hass in seinen Augen lässt mich schaudern.
Warum hasst er mich so? Ich habe ihm doch nie etwas Schlechtes getan. Oder etwa doch? Habe ich es vergessen?
„Warum?“, keuche ich.
Ganz nah kommt er an mich ran. Ich fühle seinen warmen Atem. Dann flüstert ihr mir ins Ohr: „Damit die Familie von dir rein gewaschen ist, du elender Verräter. Du hast uns alle verraten: die Familie, den Planeten, die Armee – alle. Du und deine verdammten Parolen, ihr gehört ausgemerzt. An dir werde ich ein Exempel statuieren. Alle sollen sehen, dass sich umstürzlerisches Gerede nicht lohnt. – Für deine Tat wird jemand anders mit dem Tod bezahlen, Nummer 152.370.“
Diese Worte schneiden mir das Herz aus dem Leib. Sie dringen tiefer in die Haut, als die Peitschen es können.
Lukas dreht mir den Rücken zu und redet mit den Soldaten.
„Bringt das da weg.“ Seine Stimme ist eiskalt, als er sich noch einmal an mich wendet: „Nummer 152.370 du hast keine Familie. Bald bist du ganz alleine auf der Welt.“
„Nein! Nicht Stella! Nicht sie!“, rufe ich, als sie mich zurück in die Zelle schleifen.

Mit einem harten Ton fällt die Tür ins Schloss. Ich werfe mich dagegen. „Nicht Stella!“ Dort sacke ich zusammen und bleibe liegen. Ein nasser, blutiger Haufen Mensch, oder weniger als das. Sie werden Stella töten und ich muss weiter leben.

Schluchzend liege ich da, gekrümmt, geschunden – kein Mensch mehr.
Keine Zukunft, keine Vergangenheit.
Keine Familie – kein Leben.
Alles was bleibt ist Verzweiflung.

Mein Leben zieht an mir vorüber. Alle meine Taten als junger Pilot. Ich war ein richtiger Draufgänger. Die Fliegerei war mein Leben. Nach einem spektakulären Angriff, den ich geleitet hatte, wurde ich befördert. Ich war der jüngste Kapitän der Flotte. Mann, was war ich stolz darauf, bis ich dahinter kam, dass mein Vater die Beförderung in die Wege geleitet hatte. Trotzdem behielt ich das Patent. Ein Jahr lang kommandierte ich einen kleinen Angriffskreuzer. Ich führte alle Befehle bedenkenlos aus, bis ich Stella kennen lernte. Von da an dachte ich immer häufiger über die Sinnhaftigkeit so mancher Befehle nach. Ich legte auch einige nach meinem Willen aus und modifizierte die Durchführung. So konnte ich doch das eine oder andere Gemetzel verhindern oder weniger blutig ausgehen lassen. Jetzt denke ich, dass sie ließen mich schon damals beobachten ließen.
Ich hätte ganz auf die Karriere verzichten sollen, aber ich war so ein leidenschaftlicher Weltraumfahrer, und Stella hat immer gesagt, dass es sie glücklich macht, wenn ich glücklich bin. Nun habe ich uns beide ins Gefängnis gebracht.

Die Weite des Alls, die Sterne, das Gefühl der Freiheit. Ich werde es nie wieder erleben, nie wieder die Sterne sehen.
Stella!
Nun bin ich hier, gefangen in der Gräue und den Gräueln dieser Welt.
Es wird kein Entkommen geben, weder für Stella noch für mich.

Ich beginne zu träumen, sehe Stella vor mir. Sie wirkt so real. Ich greife nach ihr, fasse ihre Hand. Sie lächelt mich an. Dann sagte sie: „Endlich, konnte ich zu dir kommen, Sevin. Sei nicht traurig, wenn ich wieder gehe. Die Saat des Lichts ist gelegt, auch wenn wir die Ernte nicht mehr erleben werden.“ Sie lacht.
„Mein lieber Schatz, es tut mir alles so Leid“, sage ich und drücke sie fest an mich.
„Das braucht es nicht. Es ist nicht deine Schuld.“
„Aber ich fühle mich schuldig. Wenn ich nicht gewesen wäre, hätten sie dich in Ruhe gelassen. Haben Sie doch noch mal …“ Ich kann nicht weiterreden, könnte es nicht ertragen, wenn diese Sadisten Stella wieder weh getan hätten.
„Nein, sie können mir nichts mehr tun. Sie haben mir nur dieses eine Mal Gewalt angetan. Ansonsten hatte ich nichts anderes als Einsamkeit zu ertragen.“
Sie lacht ihr glockenhelles Lachen.
„Ich werde versuchen so gelassen und ruhig zu sein wie du.“ Meine Stimme klingt heiser vor unterdrückten Tränen. Dann lasse ich sie laufen. Bei Stella fühle ich mich immer so frei und geborgen.
„Schau auf dich, Sevin. Ich werde versuchen, noch einmal zu dir zu kommen, bevor …“
Schnell verschließe ich ihren Mund mit einem Kuss. Ich will nicht, dass sie weiterredet, kann den Gedanken nicht ertragen, sie nicht mehr am Leben zu wissen. Die Qual ist auch in ihr Gesicht geschrieben. „Tecihila“, flüstert sie, dann ist sie weg.
Ein lautes Geräusch lässt mich hochfahren.
Es ist mein Schrei. „Stella!“

Tage, Wochen, ich weiß es nicht genau, verstreichen. In der Welt dort draußen vergeht die Zeit, hier steht sie still. Ich bin in einer Zeitblase gefangen. Ständiges Dämmerlicht und die nervige Stille höhlen mich aus. Ich merke, wie mein Wille zu schwanken beginnt. Dann denke ich an Stella und fasse neuen Mut.

Wahnsinn! Es ist der pure Wahnsinn, was hier geschieht. Oder bin ich wahnsinnig? Ich bin in der Hölle. Mein verdammtes Hirn – Gedanken formen eine Hölle. Gedanken, die sich nicht denken lassen. Niemand ist da. Ich bin ganz alleine. Fremd bin ich. Fühle mich aufgelöst. Einzig Schmerzen lassen mich spüren, dass ich bin.
Ich denke viel. Denke an Stella. O Stella, meine Blume. Dann fühle ich einen eisigen Knoten im Magen als ich an jemand anders denken muss. Vater! Wer ist Vater? Der Gedanken daran lässt mich schaudern. Ich habe Angst, wenn ich dieses Wort denke. Admiral. Vater und Admiral, das gehört zusammen. Ich zittere. Vater? „Vater!“, rufe ich, weine. „Ist das dein Werk?“ Er hat mich schon vor Jahren verstoßen. Ich weiß wieder wer Vater ist. Mein Vater, der mich hochgehoben hat und dann fallen ließ.
Vater war es, der mir im Gerichtssaal gegenüber saß.
Vater, der mir kalt ins Gesicht sah und dann wortlos ging, als das Urteil gesprochen war.
Das Urteil – die Operation! Ich erinnere mich daran.
Ich will mich nicht daran erinnern! Nein! Geht wieder weg, Erinnerungen!
Ich wurde aus dem Gerichtssaal gezerrt. Fünf Soldaten waren nötig, um mich in den vorbereiteten Operationssaal zu bringen. Trotz der Muskelschwäche wehrte ich mich nach Leibeskräften, schrie wie ein Wilder immer wieder meine Unschuld in die Welt hinaus.
Sie drückten mich auf eine Liege, legten eine Fixierdecke über mich und ich konnte mich nicht mehr bewegen. Einen Arm zogen sie hervor und banden ihn an einem eigenen Gestell fest. Ich schrie immer noch. Panisch war ich. Der Tod wäre mir lieber gewesen als diese Erniedrigung. Jemand gab mir eine Beruhigungsspritze und dann weiß ich nichts mehr, bis ich als Nummer 152.370 in einem schwülkalten Stollen zu mir kam.
Von da an war ich ein Sklave.
Pickel in den Fels schlagen.
Das hatte ich schon immer gemacht.
Erz aus dem Fels schlagen.
Trümmer wegkarren.
Peitschenhiebe.

Endlich verfliegt die Erinnerung. Schweißgebadet liege ich da, zittere trotzdem am ganzen Körper. Die Narben am Rücken machen mich irre.
Es juckt und brennt wie verrückt. Ich kann nicht am Rücken liegen, kann mich nicht richtig bewegen. Medizinische Versorgung wird mir verweigert.
Ich hoffe, nie wieder ausgepeitscht zu werden.
Sie benutzen Methoden aus der Zeit der Dunkelheit. Alle haben sie wiederentdeckt, oder waren sie nie verloren?
Vater! Warum hasst du mich so?
Nur, weil ich Stella geheiratet habe und nicht das Mädchen aus einflussreicher Familie?
Wie war ihr Name? Ich weiß ihn nicht mehr. Möchte auch nicht daran denken. Dann rufe ich: „Vater! Mutter! Ich bin doch euer Sohn!“
Die folgende Stille ist voller Verzweiflung.
Sie erdrückt mich.

„Was ist heute für ein Tag?“, frage ich mich.
Was ist Tag? Ist überhaupt Tag? Gibt es noch Tage?
Habt ihr mich vergessen? Ich bin so alleine. Verzweifelt.
Wo ist Stella? Liebe Stella.
Ich bin verrückt.
Kann keinen Gedanken fassen, springe von einem zum nächsten.
Alles schwirrt im Kopf herum.
„Ich bin Sevin Libertas. Erster Offizier der Alpha-Star. Das bin ich. Sevin Libertas!“, rufe ich und trommle gegen die Metalltür, solange bis jemand kommt und mich mit einem Kübel Eiswasser übergießt. Der Schock lässt mich verstummen.
Ich zittere in der nassen Kleidung, rolle mich nackt auf der Pritsche zusammen und gebe mich der Verzweiflung hin.

Ich träume von Stella. Sie steht vor mir.
„Bald ist es soweit“, sagt sie sanft. Ich streiche ihr das Haar aus dem Gesicht. Sie wirkt so real, verletzlich, zart.
„Ich möchte nicht, dass du gehst“, sage ich.
„Das weiß ich, Sevin. Ich möchte auch nicht.“
Sie weint. Ich nehme sie in den Arm, halte sie fest. Zusammen weinen wir. Dann ist sie weg.

Einsam und verzweifelt erwache ich. Stella wird bald von mir gehen. Sie weiß es. Solche Sachen hat sie immer schon gewusst. Darum war sie auch Priesterin, oder weise Frau, bei ihrem, unserem, Volk. Ich habe Angst, ohne Stella weiter leben zu müssen.

Es ist alles immer gleich. Graue Wände, schwarze Handschuhe, die mein Essen bringen.
Es gibt neue Wachen. Es sind Zivilisten, sie machen sich einen Spaß daraus, mich zu demütigen. Ich weiß nicht warum. In unregelmäßigen Abständen holen sie mich. Ziehen mich aus und ich muss nackt auf Händen und Knien kriechen, durch den langen Gang zur Nasszelle, wo sie mich mit einem kalten Strahl abspritzen. Dann die gleiche Prozedur, nur nass, zurück. Dabei schlagen sie auf mich ein, treten mich, lachen mich aus, beschimpfen und bespucken mich.

Was ist mit diesen Leuten los?
Was habe ich Ihnen getan?
Ich bin unschuldig.
Bin ich es wirklich?
Ich weiß es nicht mehr.
Sie sollen mich endlich in Ruhe lassen, diese verdammten Wächter.
Sind hier nur Sadisten?
Dann bin ich wieder lange Zeit alleine. Sehe Stella vor mir und die Weite des Alls mit all seiner gefährlichen Schönheit. Stella! Ich denke oft an sie.

Fast bin ich froh, als Soldaten meine Zelle betreten. Trotzdem habe ich panische Angst, ich denke, sie werden mich wieder zur Schau stellen, mich weiter demütigen. Sie zerren mich in eine Nasszelle und verwenden die gleichen Methoden zur Reinigung wie die Wächter. Die Wunden am Rücken beginnen wieder zu bluten. Es ist mir gleichgültig. Ich frage mich nur, was jetzt geschehen wird. Dann rasieren sie mich und schneiden meine Zöpfe ab. Ich wehre mich dagegen. Es hilft nichts. Ich werde gefesselt und geknebelt, weil ich immer wieder in der alten Sprache spreche. Arschlöcher, ist noch das mindeste, was mir zu den Soldaten einfällt.

Mit kahlem Kopf und frischem Hemd werde ich abgeführt. Eskortiert von fünf Soldaten.
Die Welt außerhalb des Gefängnisses erschreckt mich.
Es ist so laut und grell und kalt.
Die Menschen sind kalt, aber das war mir schon früher aufgefallen.
Sie stellen mich in einen Transporter. Rechts und links von mir Soldaten. Dann geht alles schnell. In wenigen Sekunden befinde ich mich an einem anderen Ort.
Warum ist hier alles so grau?
Ich brauche Zeit, mich zu orientieren. Molekulartransporter verursachen Orientierungsstörungen oder Schwindel.
Ich frage mich, wo die Wärme hin ist?
Das Licht? Die Farben? Die Liebe?
Ist diese Welt in grau und Angst verschwunden?
Überdeckt der Gehorsam die Freiheit?
Der Hass die Liebe?
Hat es das hier einst gegeben?

Dann habe ich keine Zeit mehr für Gedanken. Ich werde links und rechts gepackt und mitgezerrt. In einem großen kalten Verhörraum werde ich in eine Vorrichtung geschnallt, die es mir nicht erlaubt, mit den Füßen den Boden zu berühren. Ich werde vollständig fixiert. Ich merke, wie die Angst wieder hochkommt. Gänsehaut bedeckt mich, die Kopfhaut prickelt, eisige Schauer jagen über den kaputten Rücken. Ich kann ein Stöhnen nicht unterdrücken.

Es vergeht einige Zeit. Dann treten mehrere Soldaten ein, sie bilden so etwas wie eine Ehrenwache. ‚Es muss ein hochrangiger Militär kommen’, folgere ich. So ist es. Ein Admiral tritt ein. Leider kenne ich den nur zu gut, um irgendeine Hoffnung auf einen baldigen Tod zu haben. Bedrohlich baut er sich vor mir auf. Mir kommen die Tränen, als ich an meine Kinderzeit denke. Er war nicht oft zuhause, aber wenn er da war, hat er immer Geschichten erzählt. Ich war einmal sein jüngeres Spiegelbild. Jetzt bin ich seine Schande.
„Vater“, flüstere ich.
„Schweig! Nummer 152.370, du kennst alle Anklagepunkte. Leider hat deine Strafe nicht so funktioniert, wie wir uns das erhofft haben. Jetzt mussten wir eben etwas umdisponieren. Ich frage dich noch einmal: bekennst du dich schuldig?“
Ich schlucke die Tränen runter und sage mit belegter Stimme: „Nicht schuldig.“
Er schlägt mir hart ins Gesicht.
„Ich bin Sevin, dein Sohn“, sage ich stur. Wieder trifft mich seine Faust. „Ich habe keinen Sohn mit diesem Namen!“ Er wendet sich an die Soldaten und sagt: „Bringt das da zum Exekutionsplatz.“ Einen Moment kommt mir die irre Hoffnung, sie würden mich nun endlich erlösen. Doch Vater hat mit mir noch nie Gnade gekannt oder gar Verständnis. Sie bringen mich auf eine Tribüne. Fesseln mich erneut. Ich kann viele Leute auf dem Platz sehen. Einige sind wahrscheinlich freiwillig hier, andere wurden sicher hergetrieben.

Dann tritt der Admiral vor, an seiner Seite ein Magistrat. Ich weiß nicht welcher es ist. Es interessiert mich auch nicht. Die Sonne blendet mich, als Stella herausgeführt wird. Sie sieht verzweifelt schön aus, in ihrem Sinasha. Kurz blickt sie zur Tribüne. Sie erkennt mich, weil sie lächelt. „Huka! Tecihila!“, ruft sie. Ich erwidere den Ruf. „Ich dich auch! Tecihila! Auch ich habe keine Angst! Tecihila, Stella!“
Sie führen sie an die Tötungsmaschine. Ihre letzten Worte sind: „Freiheit! Sevin!“
„Warum tötet ihr mich nicht auch!“, rufe ich. „Bringt mich doch endlich um! Das könnt ihr doch am Besten, Unschuldige töten!“
Der Admiral wendet sich mir zu: „Du wirst weiterleben und vergessen werden.“
Als Stella zusammen bricht, fallen zahlreiche weiße Blätter vom Himmel. Einer fällt direkt auf mich. Ich kann erkennen, was darauf steht: „Freiheit“ Unser Name! Stella Libertas! Ich rufe: „Freiheit!“ Immer wieder. Ich will nicht daran denken, dass dort unten gerade Stella von mir gegangen ist. Vater! Mörder! Nur mühsam gelingt es mir, die Haltung zu bewahren. Am liebsten hätte ich jetzt laut losgeheult, stattdessen rufe ich weiter: „Freiheit! Stella Libertas!“
In Gedanken fliege ich mit Stella zu den Sternen.
Ich möchte sterben, bei ihr sein.
„Schweig!“, ruft ein Soldat und rammt mir einen Stock in den Magen. Ich bin augenblicklich still, schnappe nach Luft. Der Admiral zischt mich wieder an: „Du wirst vergessen werden, genauso wie eure Bewegung.“
„Nein, Vater“, sage ich, als ich wieder Luft zum Reden habe. „Wir werden nicht vergessen werden. Auch wenn du uns tötest oder wegsperrst, wird der Gedanke an Freiheit weiter leben. Er wird nie vergessen. Huka!“
Mein Vater lässt seine Wut über meine Worte an den Zuschauern aus. Die Soldaten haben Befehl die Menge aufzulösen. Was das bedeutet weiß ich, und ich bedaure meine Worte. Jetzt werden wieder Unschuldige wegen mir leiden müssen.
Ich werde sofort abgeführt und wieder ausgepeitscht. Die Ausführung dieses Befehls überwacht mein Vater.

Ich verstehe nicht, warum ich das immer wieder überlebe. Entweder sie hören jedes Mal zur richtigen Zeit auf, oder ich habe einen stärkeren Lebenswillen, als mir bewusst ist.

Ich habe keine Ahnung, wie lange ich schon weggesperrt bin. Es ist immer gleich. Das gleiche Licht, das gleiche Grau, die gleiche Zeit. Was ist das? Zeit?
Ich habe keine Sprache. Nur Gedanken. Was sind Gedanken?
Ist es das, was da in meinem Kopf schwirrt?
Warum will ich denken? Muss ich denken? Wer bin ich? Bin ich?
Dann taucht die Vorstellung von Licht auf, von Sprache, Berührung, Sonne, Farben – Freiheit.
Ich kauere auf der Pritsche und weine.
Dann denke ich an die Frau. Ihr Name, Stella.
Wer ist sie? Ich liebe sie. Wo ist sie? Stella?
Ich schreie, als mir einfällt, dass sie getötet wurde.
„Nicht für mich Stella!“, rufe ich. Tobe rum, bis ein Soldat Eiswasser über mich gießt. Ich will nicht mehr leben. Verweigere die Nahrung. Nun liege ich festgeschnallt auf der Pritsche und werde mittels Sonde ernährt. Still weine ich vor mich hin.
„Ich will zu dir Stella“, flüstere ich resigniert.
Er hat mir alles genommen: mein Leben, meine Liebe, meine Identität, meine Selbstbestimmung, dieser Mörder!
„Vater!“
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Trebis


Warum schleppen sie mich weg? Sie sollen mich endlich in Ruhe lassen! Ich mag nicht mehr! Er kennt kein Mitleid, keine Gnade – nichts! Sie reißen mir den Schlauch aus der Nase. Ich schreie! Wieder Nasenbluten. Ich bin noch immer nicht tot. Nein, ich bin verrückt! Der Letzte einer langen Reihe, oder doch nicht? Ich weiß es nicht.

Sie lassen mich nie aufstehen, weil ich sonst die Sonde entfernen könnte. Darauf achten sie besonders, dass ich ja am Leben bleibe! Es ist die größte Strafe überhaupt, zu leben, wenn man sich nichts anderes als den Tod wünscht und ihn herbeisehnt. Ich vegetiere unter ständiger Beobachtung dahin. In meiner Zelle sind an allen erdenklichen Stellen Kameras angebracht. Jede Bewegung wird aufgezeichnet. Ich liege festgezurrt auf der Pritsche. Dreimal am Tag lassen sie mich unter strenger Bewachung aufstehen, treiben mich nackt durch den Gang zur Toilette, ab und zu darf ich mich auch waschen.
Entwürdigend!
Ich bin nur mehr ein Ding, oder weniger als das. Keiner spricht mit mir. Einer hatte auf eine Frage geantwortet, er kam nie wieder.

Vom Admiral habe ich nichts als Qualen erwartet und genauso ist es gekommen. Gestern kam er zu mir. Er hatte mich nur kurz angeschaut, den Kopf geschüttelt und gesagt: „Siehst du Nummer 152.370, du bist nichts, lebst nur, weil wir es so wollen.“
„Vater, ich bin nicht dein Feind“, erwiderte ich leise.
„Morgen fliegen wir nach Trebis“, sagte er, dann lachte er und ging wieder.

Scheinbar ist jetzt morgen. Ich werde reisefertig gemacht. Warum nehmen sie mich mit? Was wollen sie auf Trebis? Trebis hat ihnen überhaupt nichts zu bieten. Keine großartige Landwirtschaft, die Bodenschätze sind schon lange ausgebeutet und der Planet liegt auch nicht gerade strategisch günstig. Er ist einfach nur da. Und das Volk dort ist liebenswert und bescheiden. Ich mache mir Sorgen um meine hunka, die Verwandten – meine Verwandten.

Jetzt sitze ich gefesselt auf der Brücke des großen Raumschiffs. Vor mir, auf einem breiten Bildschirm, der Planet. So ein wunderschöner Anblick: grün, blau, weiß. Ich denke an Stella und kann die Trauer nicht unterdrücken. Noch immer habe ich ihren Tod nicht verwunden. Es ist schon lange her. Irgendein Soldat sagte mir, dass ich schon mehr als ein Jahr in Haft bin, das heißt im Militärgefängnis, wie lange ich vorher in den Minen war, das weiß niemand.

„So, heute gibt es ein Schlachtfest“, sagt der Admiral, als er die Brücke betritt. Er bedeutet dem Waffenoffizier die Geschütze zu laden und reibt sich die Hände. Ich schlucke. Das kann er doch nicht ernst meinen? Einfach so aufs Geratewohl eine Bevölkerung auslöschen, über fünf Millionen Menschen leben dort unten!
Das ist Völkermord!
Kurze Zeit später landet der erste Treffer auf der Oberfläche.
„Vater, hör auf“, flehe ich. „Admiral, bitte!“
„Du hast mir nichts zu sagen! – Oder etwa doch? Hier sind Widerstandsnester. Sag mir wo sie sind und dann ziehen wir ab.“
Ich traue ihm nicht, nicht so weit, wie ich spucken kann. Nein, weniger. Was kann ich tun? Es ist das erste Mal seit Monaten, dass ich sitzen darf. Ich fühle mich so elend und schwach und dann kommt der mit diesen Drohungen daher. Mein Vater, dieses zynische, egoistische Schwein, denkt nur an sein Fortkommen, seine und Lukas Karriere. Das ist ihm wichtig. Wie es anderen geht, das hat ihn noch nie gekümmert.
„Ich kann es dir nicht sagen, Vater“, sage ich und ernte eine Ohrfeige. Ich weiß doch nichts! Woher sollte ich etwas wissen, wo ich doch nur weggesperrt bin und das unter ständiger Beobachtung.
„Kannst du, oder willst du nicht, Verräter!“
„Ich weiß es nicht, Vater.“ Ich bin verzweifelt. Er glaubt mir nicht. „Vater, akte, ich weiß es nicht.“
„Wo hat deine Schlampe gewohnt? Welches Dorf? Welches Haus?“
„Sie ist keine Schlampe. Sie war die Napewastewin, die mit den guten Händen, eine pangeca und die wakanhca. Stella war eine große Priesterin. Sie wusste die Stunde ihres Todes, noch bevor ihr das Urteil unterschrieben habt. Und weißt du was, akte, ich liebe sie noch immer! Sie ist mein Licht in dieser verdammten Dunkelheit!“

Ohne lange Vorwarnung werde ich in Stasis versetzt. Auf dem Planeten wecken sie mich.
Sie sind genau in unserem Dorf gelandet. Dorf, ist vielleicht der falsche Ausdruck, es ist eher eine Stadt, wenn auch außergewöhnlich. Ich zittere im Nachtfrost. Dann treiben mich die Soldaten vorwärts. Ich kann kaum gehen, bin nur mit diesem elenden nummerierten Hemd bekleidet und barfuss. Die Kälte schneidet in die Haut. Ich sehe Eisblumen an den Fenstern der ärmeren Bevölkerung.
Hier kenne ich nicht mehr viel. Es hat sich einiges verändert. Viele Häuser sind moderner geworden. Mehr an den Lebensstil der Andorier angepasst. Was ist hier passiert?

Ich bleibe stehen. Lasse mich nicht mehr vorwärts drängen.
Was soll ich hier? Stella ist nicht mehr. Auch nicht meine hunka – alle verhaftet und exekutiert.
Es gibt wahrlich nur mehr mich.
Plötzlich erfasst mich ein Sturmwind – eine Windhose. In ihrem Auge erkenne ich das Gesicht des Tunkasila, des Großvaters. Er lächelt mich an. Winkt. Ich gehe weiter, direkt in das Auge des Sturms. Es erstaunt mich, dass ich weder Kälte noch Wind spüre. Tunkasila sagt: „Mihunka, du bist ein guter Mensch. Du wirst den toka besiegen. Geh – ihamblecin.“ Dann ist er weg. Ich soll mich also auf die Suche nach Visionen machen? Ich weiß ja gar nicht wie das gehen soll. Trotzdem fühle ich mich getröstet und gestärkt. Großvater war ein sehr weiser Mensch. Er war der Erste, tokahe. Er hat Stella alles gelehrt. Stella! Ich beginne wieder zu weinen. Wieso muss ich immerzu weinen?

Ich stehe mitten auf einem leergefegten Platz. Die Wachen liegen bewusstlos auf dem Boden. Aber ich weiß, dass ich nicht fliehen kann. Der Admiral würde auf der Suche nach mir den ganzen Planeten zerstören. Ich will, dass das Volk lebt. Also setze ich mich auf den kalten Boden und warte.
Darin bin ich Meister.
Warten. Worauf?
Visionen?
Den Tod? – das ist wahrscheinlicher.

Der erste Soldat kommt zu sich, er sieht verwirrt aus.
„Du da, was machst du da!“, herrscht er mich an.
Ich zwinge mich zu lächeln und sage: „Nichts. Ich warte.“
Der Soldat richtet seine Waffe auf mich. Ich habe langsam das Gefühl zu erfrieren. Langsam kommen die anderen Soldaten zu sich. Einer spricht über Interkom mit dem Schiff. Wahrscheinlich berichtet er von seltsamen Vorkommnissen oder er lügt.
Wieder frage ich mich, was ich hier soll.
Was bezweckt der Admiral damit?
Welchen Weg geht er?
Ich bin doch nichts – das wird mir immer gesagt.
Ich bin ein Nichts, ein Niemand, eine Nummer – und dann das.
Tunkasila hat gesagt, ich soll mich auf die Suche machen. Aber wie geht das? Ich war noch nie spirituell veranlagt, habe auch kein Interesse an irgendwelchen Religionen. Diese sind mir immer schon suspekt gewesen. Fremd. Ich bin mir selber fremd geworden. Kenne mich nicht mehr. Wer bin ich wirklich?

Jetzt kommen die Soldaten und zerren mich hoch. Sie bringen mich zum Hauptplatz. Auch hier hat sich viel verändert. Einzig der alte Totempfahl steht noch an seinem Platz. Die Tiere grinsen mich feindselig an. Ich schaudere, und es liegt nicht nur an der Kälte. Die Häuserreihen beginnen mich einzuschließen. Menschen strömen auf den Platz. Ich sehe viele Andorier und nur wenige Trebis. Was war hier nur geschehen?
Ich zittere in der Kälte. Fühle weder Füße noch Hände. Alles ist eingefroren, sogar die Gedanken.

Langsam geht die Sonne auf. Ich sehe, wie sie ihre Strahlen über den Horizont schickt. „Anpetuwi, willkommen Sonne“, rufe ich, als sie mich an den Zeremonienpfahl binden. Ich klappere mit den Zähnen. Noch immer frage ich mich, was das ganze Schauspiel hier soll. Scheinbar kann mich der Admiral nicht vergessen, sonst würde er mich in Ruhe lassen.

Er landet mit einem Shuttle direkt auf dem Platz. Soldaten strömen von allen Seiten heran.

Eine alte Trebis zeigt auf mich und ruft: „Tokahe!“
Das stimmt nicht. Ich rufe es ihr zu. „Ne! Nicht!“ Aber sie hört mich nicht. Viele Stimmen nehmen ihren Ruf auf und bald hallt es auf dem Platz von „Tokahe!“-Rufen.
„Ich bin Namenlos – Nichts!“, versuche ich sie zu beruhigen. Ich ahne Schlimmes. Tokahe! Tokahe, geht es immer weiter. Dann mischt sich ein anderer Ruf mit ein: „Libertas! Tokahe!“ Ich weine. Sie haben uns nicht vergessen, die Familie Libertas, lebt noch in der Erinnerung. Aber warum nennen sie mich Tokahe?
Während sich die Sonne weiter über den Horizont erhebt und mit ihren Strahlen über den Horizont wandert, beginnt auf dem Platz ein Blutbad.
Das Schlachtfest meines Vaters!

Immer wieder versuche ich mich bemerkbar zu machen. Aber ich werde nicht gehört. „Hört auf! Vater, lass die Leute in Ruhe. Das sind Alte und Kinder! Ihr könnt sie doch nicht einfach so hinmetzeln. Trebis, ich bin Niemand! Hört ihr? Ne Tokahe! Ne! Ne! Ne!“ Verzweifelt rüttle und zerre ich an den Fesseln, bis sie tief in die Haut schneiden. Warmes Blut gefriert auf blauer Haut. Der Anblick des Gemetzels reißt mir das Herz aus dem Leib, tötet mich.
„Tötet mich!“, rufe ich immer wieder, bis ich heiser bin.
Die Rufe der Trebis werden weniger und leiser.
Der letzte stirbt mit den Worten: „Libertas, tokahe!“
„Nicht ich bin es! Ihr sterbt nicht für mich! Nicht wegen mir! Nicht für mich!“

Dann tritt der Admiral vor mich. Er wischt sich die Hände an einem Tuch ab, das er seinem Adjutanten reicht und sagt: „Das war nur wegen dir, verräterischer Abschaum. Sie sind wegen dir gestorben.“ Er weist auf den leergefegten Platz. Dutzende Tote liegen in der Kälte. Die Soldaten beginnen sie wegzukarren. Ich friere. Bin innerlich schon gefroren. Jetzt friert auch der Körper. Ich schaue meinem Vater ins Gesicht und sage leise: „Ne akte, nicht wegen mir. Sie sind durch dich gestorben. Und weißt du was, sie haben Stella nicht vergessen und mich auch nicht. Freiheit stirbt nicht, kann nicht weggesperrt werden. Niemals! Du kannst uns alle töten, und es werden andere kommen, immer mehr …“ Bevor ich weiterreden kann, rammt mir einer der Soldaten einen Schlagstock in den Magen und anschließend die Faust ins Gesicht. Das ist die einzige Sprache, die sie verstehen – Gewalt!
Ich habe keine Tränen mehr, werde von trockenem Schluchzen geschüttelt. Bevor sich Vater von mir entfernt, zieht er mir noch mit der Gerte über das Gesicht. Es brennt. Ich stöhne auf, schaue ihn aber weiterhin an. Er soll nicht merken, wie groß meine Angst wirklich ist.
Als er weggeht, stimme ich leise, zögernd das Totenlied an. Ich singe für Stella, für Tunkasila und die vielen Ermordeten, die ich nicht kenne. Ich singe für meinen Vater, meine Mutter, meinen Bruder, mein Geburtsvolk, deren Seelen schon lange tot sind – und werde wieder geschlagen.

Ich merke, dass ich so nicht mehr lange kann. Die Kälte bohrt sich durch die Haut, schädigt Blutgefäße, Muskeln, Knochen. Doch der Admiral lässt mich weiter hier stehen. Die Sonne steht nun über den Häusern. Ihre Strahlen spiegeln sich in den Glasfassaden der modernen Architektur.

Als alle Toten weg geschafft sind, füllt sich der Platz wieder mit Leuten. Alles Andorier. Viele werden von den Soldaten hergetrieben. Manche sind einfach nur sensationslüstern. Auf so einem Planeten tut sich ja sonst nicht viel. Lauter hoch gewachsene, blasse Menschen. Dunkels Haar auf heller Haut. Die Trebis sind dunkler, dieser Umwelt perfekt angepasst. Kleiner, drahtiger. Ich hingegen bin fast weiß. Die Narben treten rot hervor. Weiße Haut mit roten Linien, jetzt von dem verhassten Hemd bedeckt. Keiner kann sie sehen.

Ich klappere mit den Zähnen, versuche mit den Füßen zu stampfen, aber ich spüre sie nicht mehr. Dabei sehe ich mir die Menschen an. Einige wirken unbeteiligt, bei anderen lässt sich Abscheu erkennen und wieder andere blicken mitleidig oder verschüchtert zu Boden.

Der Admiral stellt sich in die Mitte des Platzes, sein Adjutant daneben. Dann beginnt er mit einer Ansprache: „Andorier. Ihr habt selbst gesehen, dass auf die Trebis kein Verlass ist. Sie versuchen ständig, sich gegen unsere Herrschaft aufzulehnen. Dabei sind sie nicht einmal fähig, sich selbst zu regieren, oder Handel zu treiben.“
Ich bin schockiert über diese Lügen. Die Trebis haben eine lange Kultur, die sich aber nicht auf die Ausbeutung der Natur oder anderer Völker bedient. Die Trebis haben immer im Einklang mit der Natur gelebt. Selbst jetzt versuchen noch einige wenige ihre Lebensweise zu erhalten. Aber ihr Lebensraum wird immer geringer, wenn sie denn überhaupt noch einen haben. Stella, was haben sie aus unserer Heimat gemacht? Es hat sich noch nie ein Trebis gewaltsam gegen einen anderen Menschen gewendet.
„Ich verpflichte jeden Andorier, sofort Meldung zu machen, wenn sich ein Trebis verdächtig verhält. Diese Leute sind allesamt Terroristen. Hinter jedem freundlichen Gesicht mag sich ein Mörder verstecken. Seien Sie auf der Hut!“
Ungläubiges Murmeln hebt an. Doch dann siegt der Fremdenhass, wo doch gerade sie hier die Fremden sind, die mit offenen Armen und freundlichen Herzen empfangen wurden. Meine Empörung bricht sich in einem lauten Schrei Bahn.
„Du elender Lügner du!“
Darauf scheint er gewartet zu haben. Er winkt meinen Bewachern. Diese drehen mich am Pfahl um, entfernen das Hemd und …

Ich fühle den eisigen Wind über die Haut streichen. Die Sinne gaukeln mir vor, mich in einer anderen Landschaft zu befinden. Die Stadt ist weg. Es gibt nur wenige Hütten aus Stein und Lehm. Kinder und Hunde laufen herum. Es wird gelacht.

… mich trifft der erste Schlag. Ich höre mich schreiben, als kalte Haut bricht. Warmes Blut wärmt kalte Haut. „Ah!“ Ein Schlag, noch einer, noch einer. Die Menge ist still. Ich höre nur das Knallen der Peitsche und meine Schreie.

Eisiger Wind streicht über die Striemen, wie eine sanfte Liebkosung. In der Ferne höre ich leises Kinderlachen. Die Sonne steht gelb leuchtend an einem freundlichen Firmament. Frauen und Männer unterhalten sich. Jemand hat ein Fell zum Trocknen aufgespannt. Ein Mann sieht mich an. Er ist in weiße Felle gehüllt. Ich kann sein Gesicht nicht sehen …

„Ah!“ Der nächste Hieb. „Hass hat keine Zukunft!“, rufe ich.

… jetzt streicht er sich das Haar aus der Stirn. Ich sehe in seine Augen. Sie leuchten blau wie der Himmel oder der von Licht beschienene Ozean. Er reicht mir eine Papierrolle. Ich nehme sie und blicke verwirrt darauf. Die alte Schrift der Trebis kann ich nicht lesen. Ich hebe den Blick und …


Der nächste Schlag. „Ah! Ihr Feiglinge!“ Ringsum herrscht absolute Stille. Der Auspeitscher stöhnt, ebenso ich. Der nächste Knall, Leder trifft auf Haut. „Ah!“

… der Mann ist weg. Stella steht vor mir. Sie nimmt mich an der Hand und geht mit mir zum Fluss. Dort setzt sie sich auf einen Stein. Sie bedeutet mir, mich neben sie zu setzen. Ich lasse mich neben ihr nieder. Jetzt erst merke ich, dass ich der Mann im weißen Fell bin. „Tokahe“, sagt sie und nimmt mir die Rolle aus der Hand. Sie zeigt auf das Symbol der Sonne. „Wakan.“ Dann auf das Symbol der Seele, „cante“, auf die große Schlange: „toka“ und schließlich zeigt sie auf das rote Auge, „wacanhca.“ …

Wieder ein Treffer. Ich schreie, bis ich keine Luft mehr habe. Nur die Fesselung hält mich aufrecht. Ich fühle, wie die Beine unter mir nachgeben. Die Fesseln scheuern die Handgelenke auf. Weiße Haut, rotes Blut.

… Stella ist weg. Stattdessen sitzt ein Eisbär neben mir. Ich erschrecke. Er lacht mich aber nur aus. „Nimm mein Fell und sei so stark wie ich“, sagt er und übergibt mir sein dichtes Fell. „Es wird dich außerdem in der Kälte wärmen.“ Ich lege es mir um die Schultern und fühle die Wärme und Kraft des Bären. Er geht weg. …

„Ah! Hört doch endlich auf!“, rufe ich in die Stille hinein. Warum höre ich nichts außer der Peitsche und meine Schreie?
Was ist hier los? Ich versuche den Kopf zu heben, um etwas zu erkennen.
„Ah!“ Da landet der nächste Schlag, genau auf dem Kopf.

… und ein Fuchs tritt zu mir. „Sei gegrüßt, Tokahe“, sagt er. Als ich widersprechen will, bellt er belustigt. „Du bist was du bist. Nimm von meiner Schlauheit und Gerissenheit.“ Er gibt mir ein Auge. Als ich neuerlich widersprechen will, bellt er wieder und sagt: „Ich sehe auch mit einem Auge ausgezeichnet. Du brauchst es mehr als ich.“ Also nehme ich das Auge und sehe …

Die Menschen schauen nur. Stehen da und starren mich an. Blut läuft mir in die Augen, über das Gesicht. Alles riecht danach. Mir ist schlecht. Wieder ein Schrei.

… wie sich ein Otter neben mich setzt. „Ich bin zwar nur im Wasser schnell. Trotzdem werde ich dir von meiner Schnelligkeit geben. Du kannst sie auch an Land nutzen. Hier, nimm eine Pfote.“ Wieder will ich mich weigern, aber der Otter drückt mir seine Pfote energisch in die Hand, lacht vergnügt und springt in den Fluss.
Ich weiß nicht, was ich von diesen sonderbaren Geschenken halten soll.
Ein Eisbärenfell, ein Fuchsauge und eine Otterpfote.
Sehr eigenartig.

Die Folter ist zu Ende. Der Soldat, der Auspeitscher, keucht erschöpft neben mir. Ich kann seinen schweren Atem hören. Ich werde vom Pfahl genommen und fortgebracht. Benommen blicke ich mich auf dem Platz um. Die Menschen starren mich an. Es ist noch immer kein anderer Laut zu hören. Nur das Scharren der Füße über den Boden, der schwere Atem des Soldaten und mein Stöhnen. Ich weiß nicht, wo sie mich hinbringen.
Auf dem Weg verliere ich das Bewusstsein.

Ich sitze noch immer auf dem Stein neben dem Fluss. Eine Eule landet. Sie blinzelt mich aus gelben Augen an. „Schuhu. Nimm eine meiner Federn, steck sie dir ins Haar und ich gebe dir von meiner Weisheit.“ Ich mache wie mir geheißen. Das Ganze wurde immer sonderbarer.
Dann sagt die Eule: „Siehe, du bist Tokahe! Der Erste!“ Hunhan hebt sich wieder in die Lüfte und Stella nimmt neben mir Platz. „Glaubst du es nun, Sevin?“, fragt sie mild.
Ich blicke sie erstaunt an, sage: „Tecihila, mitawin. Oh Stella!“ Ich nehme sie in den Arm und küsse sie. Es tut so gut, sie wieder zu spüren. Ich weine an ihrer Brust. Sie hält mich wie eine Mutter ihr Kind.
Vielleicht ist sie die Mutter? – Magie, Wakan.
Ich weiß es nicht.
Wie sonst sollte sie hier sein, wo sie doch tot ist.
„Du bist Tokahe, Sevin Libertas.“
Sie geht weg, verblasst in der Ferne.
Ich höre wieder Kinder lachen. Auch sie entfernen sich.
Das Dorf verschwindet und ich …

öffne die Augen.

Ich befinde mich wieder auf der Arreststation des Sternenkreuzers. Bin ans Bett geschnallt, Sonde in der Nase. Habe ich das alles nur geträumt? Bin ich jetzt komplett wahnsinnig geworden?
„Stella“, rufe ich so laut, wie schon lange nicht mehr.
Ich liege auf dem Bauch – warum?
Ich schreie. Immer lauter.
Die Schmerzen lassen mich an einem Teil des Geschehens nicht mehr zweifeln. Menschen sind heute gestorben. Und der Admiral hat gesagt, dass das erst der Anfang war. Ich bin verzweifelt. Niemand soll wegen mir sterben. Warum lässt er MICH nicht endlich sterben? Was habe ich von diesem Leben? Festgeschnallt und künstlich ernährt. Alles voller Zwang und Unfreiheit.
Dann, unter einem heftigen Schmerzanfall, kommt die Erkenntnis: Vater hat Angst vor mir! Er fürchtet mich und die Ideale für die ich einstehe. Aber warum denn? Ich wollte ihm nie etwas Schlechtes. Nie im Leben. Ihm nicht, Mutter nicht und auch nicht Lukas. Ich möchte nur meinen Weg gehen – oder sterben.
„Lasst mich endlich gehen“, rufe ich. Der Schlauch in der Speiseröhre schmerzt. Er muss dicker sein, als die im Militärgefängnis. Er drückt mir fast die Luftröhre ab.
Vielleicht lassen sie mich ja ersticken.
Ich liege da. Zwielicht herrscht. Absolute Stille. Bis sie mein Stöhnen unterbricht. Ich versuche leise zu sein, weil ich jedes Mal erschrecke, wenn ich mich höre.
Was ist los mit mir? Was ist auf Trebis passiert? Warum bin ich hierher gebracht worden? Will der Admiral, dass ich zusehe, wenn er das Volk ermordet?
Will er auf diesem Weg meinen Willen brechen?
Was will er?
„Vater! Mörder!“, rufe ich, würge danach, weil der Schlauch drückt. Ich will nicht künstlich ernährt werden. Stella, hol mich doch endlich zu dir. Ich will mit dir zu den Sternen fliegen. Stella, Liebes. Ich weine. Niemand hört mich.
Niemand kommt zu mir.
Niemand lindert meinen Schmerz.
„Tunkasila“, rufe ich. „War das ein Traum?“
Ich habe das Gefühl, den Verstand nun komplett zu verlieren. An der Wand vor mir sehe ich die Augen des alten Mannes. Sie strahlen mich an. Ich bin verrückt. Nur Verrückte sehen Dinge die nicht da sind.
Wieder frage ich mich: „Wer bin ich? Bin ich wirklich oder nur mehr der Eindruck von Gewesenem?“
Die einzigen Realitäten, die ich kenne, sind Liebe und Angst. Das passt nicht gut zusammen. Aber meine Liebe zu Stella ist so real, wie die Schmerzen und der Schlauch im Hals. Die Angst nagt an mir. Sie ist mein ständiger Begleiter, seit ich im Bergwerk zu denken angefangen habe. Ich fühle sie als eisiges Bohren in mir. Angst ist ein schlechter Ratgeber. Diese Angst lähmt einen, lässt keine Entscheidungen zu – sie verschließt mich vor allem.
Ich weine bis mich die Erschöpfung einholt – und Vergessen bringt.

Die Zeit hält wieder an. Ich liege hier und habe keine Ahnung, was um mich herum geschieht. Sie lassen mich nicht aufstehen. Ich liege da in meinen eigenen Ausscheidungen, stinke, blute und habe das Gefühl mich jetzt endgültig vom Menschsein zu verabschieden.
Was war auf Trebis?
Warum habe ich nur mich gehört?
Was hatte diese Stille zu bedeuten?
Auch hier ist es still.
Ich kann es nicht mehr aushalten, kann nicht mehr liegen, schreie und schreie immer wieder. „Tötet mich doch endlich! Ich will nicht mehr!“
Wer bin ich?
Was bin ich?
Bin ich noch ein Mensch?
Gibt es noch andere Menschen?
Warum kommt niemand?
Die lassen mich hier ganz allein.
Vor Verzweiflung fühle ich mich ganz klein, ein Staubkorn – weniger als das.

Von der Decke hängt ein Beutel und lässt die Nahrung tropfenweise in den Magen laufen. Ich würge, versuche zu spucken. Einzig die Kraft fehlt mir, die Nahrung auszukotzen.
Wo sind alle?
Haben sie mich hier eingesperrt und vergessen?
Wie lange bin ich schon hier?
Wo ist „hier“ eigentlich?
Bin ich noch am Leben?
Ist das die Hölle, von der ein alter Andorier-Priester in meiner Kinderzeit erzählt hat? Er hat gesagt, dass alle Ungläubigen, nicht Obrigkeitstreuen in die Hölle kommen. Es muss die Hölle sein! Ich bin tot und in der Hölle gefangen. Ja, so muss es sein. Etwas anderes kommt nicht in Frage. Kein Mensch würde einem anderen so etwas antun. Wirklich nicht?
Ich frage mich, was wirklich ist. Die grauen Wände strahlen Kälte ab.
Ist es die Kälte eines Grabes?
Ich möchte mich umdrehen.
Die Bauchlage lässt mir keinen oder nur wenig Raum zum Atmen. Die Gurte drücken mich unbarmherzig auf die harte Pritsche. Ich fühle mich davon fließen. Überall, wo keine Gurte sind, löse ich mich auf, werde Wasser, und tropfe über die Kante zu Boden.
Was ist hier los?
Was geschieht da?
Ich werde panisch.
Rufe laut, in allen bekannten Sprachen, um Hilfe.

Endlich höre ich Schritte. „Ich löse mich auf! Helft mir doch! Siehst du es nicht?“
Zwei Sicherheitsleute stehen neben mir. Ich kann sie nur undeutlich erkennen. Ich merke, wie ein Dritter den Raum betritt. Ich fühle einen Stich im Arm, rufe noch einmal nach Hilfe und dann umhüllt mich Schwärze.

Zitternd stehe ich auf einem hohen Berg. Ich kenne ihn nicht und frage mich, wie ich dorthin gekommen bin. Ein Adler kreist über mir. Sein Schrei jagt mir Schauer über den Rücken. Was mache ich da? Dann steht Tunkasila vor mir. Er breitet die Arme aus und wendet den Blick der weiten Ebene zu. Jetzt erkenne ich, dass der Berg für sich alleine steht. Er ist über und über mit Schnee bedeckt. „Der weiße Berg, Tokahe. Der Eine“, sagt Großvater. Er klingt sanft, nimmt mich an den Schultern und dreht mich in jede Himmelsrichtung. Im Osten beginnt er. „Hier beginnt der Tag“, sagt er, dann dreht er mich nach Süden. „Die Mittagssonne, die das Land wärmt.“ Weiter geht es nach Westen. „Hier geht die Sonne in den nächsten Zyklus.“ Im Norden hält er inne und sagt: „Hier liegt die Hoffnung auf den Neubeginn.“ Dann schaut er mich lächelnd an.
„Jetzt bist du Tokahe, auch wenn du nicht unserem Volk entsprungen bist.“
„Tunkasila, ich weiß doch nichts. Ich bin nichts – habe keinen Namen und keine Zukunft. Du hast gesehen, was passiert ist und weißt, dass es wieder geschehen wird.“
Tunkasila gibt keine Antwort. Er lächelt mild, verneigt sich vor dem Land und verschwindet. Allein gelassen drehe ich mich nochmals in alle Richtungen. Irgendetwas muss ich übersehen haben, aber was? Großvater hat mich nicht umsonst besucht. Er hat nie etwas ohne Bedeutung getan. Ich stehe allein auf dem Berg. Wind umbraust den Gipfel. Er zerrt an meinen Haaren. Ich drehe mich aus dem Sturm und wende mich der Sonne zu. Ich schaue genau in sie und …

höre meinen Vater brüllen: „Verdammt, ihr sollt ihn doch nicht sedieren, oder sonst wie behandeln!“
Verwirrt öffne ich die Augen. Ich befinde mich noch immer im Arrest, festgeschnallt, nur jetzt auf dem Rücken liegend. Irgendjemand hat sich meiner erbarmt, mir etwas gegen die Schmerzen gegeben und die Wunden versorgt.
„Dreht ihn wieder um!“
„Admiral“, sagt ein Mann in hellgrauer Uniform. „Ich kann das nicht mehr verantworten. Er bleibt wie er ist.“
„Sie verweigern einen Befehl! Fangen Sie bloß nicht damit an, Sie sehen, wo das hinführt.“
„Das ist keine Befehlsverweigerung, Admiral. Als höchstrangiger Mediziner an Bord, habe ich in medizinischen Belangen das Sagen und das betrifft auch die Behandlung von Kriegsgefangenen.“
Ich starre an die Decke, kann es kaum glauben, dass hier jemand ist, der nicht einfach blind gehorcht.
„In einer Stunde gehen wir runter. Da soll er im Shuttle sein.“ Mein Vater klingt mürrisch, aber er hat sich dem Arzt gefügt. Es ist fast wie ein zweites Wunder.
Dennoch nagt in mir die Angst. Wenn Vater jetzt zornig ist und sich nicht abreagieren kann, wird er sich woanders sein Ventil suchen. Schlimme Vorahnungen beginnen mich zu quälen.
Als Vater weg ist, sage ich: „Bitte, machen Sie mich los. Ich mache keinen Ärger, lassen Sie mich nur aufstehen und mich säubern.“
Gespannt warte ich auf die Reaktion des Arztes. Er schaut mich einige Zeit an, dann nickt er leicht, sagt aber kein Wort dazu. Er löst die Gurte und ich versuche aufzustehen. Als ich merke, es alleine nicht zu schaffen, sage ich: „Bitte, ich schaffe es nicht alleine. Was ist geschehen? Wie lange bin ich hier?“
An das Redeverbot hält er sich, aber er hilft mir, von der Pritsche runter. Der Schlauch drückt noch immer in der Nase. Am liebsten hätte ich ihn jetzt raus gezogen, aber ich habe versprochen, keinen Ärger zu machen. Ich will diese unerwartete Menschlichkeit nicht überstrapazieren. Als ich endlich stehe, kippe ich zur Seite, die Knie knicken ein. Ein Soldat, den ich vorher nicht bemerkt hatte, eilt herbei, zieht mich hoch und zusammen schaffen sie es, mich in die Ultraschalldusche zu bringen. Viel Zeit habe ich nicht, mich zu waschen, aber es ist ein gutes Gefühl, wieder sauber zu sein. Ich lehne an der Duschwand, schließe die Augen und genieße den Augenblick.
Es ist wirklich nicht mehr als ein Moment, dann holen sie mich wieder raus. Der Mediziner reicht mir frische Kleidung: Hemd, Hose und Stiefel.
„Er wird Sie dafür bestrafen“, sage ich, während ich mich anziehe. Er zieht nur gleichgültig die Schultern hoch, so als wäre es ihm nicht wichtig. Dann entfernt er vorsichtig die Magensonde und ich werde abgeführt.

Vaters Gesicht wird rot vor unterdrücktem Zorn, als er mich so sieht: gewaschen, und angezogen. Mühsam beherrscht er sich. Ich fürchte, dass der Arzt mächtig Ärger bekommen wird. Vater wird seinen Zorn nicht abkühlen lassen, dafür kenne ich ihn viel zu gut.

Wir landen in der Nähe eines Dorfes. Ich werde rausgezerrt und frage mich, warum es hier so kalt ist. Noch nie in der Geschichte des Planeten hat es so einen Winter gegeben. Alles scheint gefroren zu sein. Sie werden doch nicht das Klima an die Andorier angepasst haben?
Es würde ihrem Verhalten entsprechen.

Soldaten schwärmen aus. Fünf bleiben bei mir. Sie ziehen mich aus, fesseln mich wieder und treiben mich in die Mitte des Dorfes. Vater steht schon dort. Er ruft mit lauter Stimme: „Nehmt alles auf Holo-Band auf und schickt es an die Zentrale. Wir haben ein weiteres Widerstandsnest gefunden!“
Ich weiß nicht, warum die Soldaten diese Lügen glauben. Aber sie beginnen damit, die Leute aus ihren Hütten zu treiben. Meine Bewacher binden mich an den Zeremonienpfahl, der sogar in den kleinsten Dörfern zu finden ist. Angst ist in den Gesichtern der Leute zu erkennen, Kinder weinen, ansonsten ist es gefährlich still. Ich habe das Gefühl, als würde ich auf einem Vulkan stehen. Der Admiral dreht sich zu mir und grinst gemein.
„Ihr Haufen, das soll euer Tokahe sein?“, ruft er und lacht. „Er wird euch nicht helfen. Das da ist ein Niemand!“ Er zeigt auf mich. Die Leute starren, keiner sagt ein Wort. Nur leises Kinderweinen ist zu hören. Ich zittere in der Kälte. In meinem Gedächtnis regt sich eine Erinnerung. Die Wärme eines Eisbärenfells legt sich um mich. Das Zittern lässt langsam nach. Ich fühle wie die Stärke des mächtigen Tieres in mich dringt. Es ist ein sonderbares Gefühl, sehr eigenartig.
„Du wirst ihnen nichts tun!“, schreie ich von meinem Platz aus.
„Und was willst du dagegen tun, Sohn?“
„Ha, du nennst mich wieder Sohn? Seit wann bin ich keine Nummer mehr für dich?“
Darauf kann der Admiral nichts erwidern.
„Lebe ich deshalb noch? Du kannst mich nicht einfach so töten, nicht wahr? Lässt du deshalb andere töten, stellvertretend für mich? Wie armselig!“ Meine Stimme trieft vor Verachtung. Vater ist jetzt kalkweiß im Gesicht. Dann lässt er mich auspeitschen. Ich lache.
Warum lache ich, wenn mich Peitschenhiebe treffen?
Bin ich jetzt komplett ausgeklinkt?
Gibt es für mich nichts Wirkliches mehr?
Nicht einmal mehr Schmerzen?
„Das ist die Sprache, die ihr versteht, Vater. Gewalt – du kannst nur mit Gewalt antworten, wenn dir Worte fehlen!“
Die Dorfbewohner stehen noch immer stumm am Platz. Ich sehe die Soldaten Aufstellung nehmen. Dann gibt der Admiral den Feuerbefehl. Alles wird aufgezeichnet.
„Freiheit!“, rufe ich. „Du kannst sie nicht aufhalten!“
Ich sehe wie mein Blut den Schnee rot färbt, fühle aber weder Schmerz und noch Kälte.
Dann … ich kann es nicht mehr ertragen und schreie meine Wut, Ohnmacht und meinen Schmerz über diese Tat in den Tag hinaus.

Das Dorf wird anschließend niedergebrannt. Während das Feuer das Dorf auslöscht, singe ich wieder das Totenlied. Das waren tapfere Leute, die für die Freiheit gestorben sind.
Hier waren keine Terroristen. Er hat die Ermordung von hundertfünfzig Menschen, darunter viele Kinder, auf Holo-Band, das jetzt dem Oberkommando übermittelt wird. Er wird lügen um seine Tat zu rechtfertigen. Wie kann er sich noch im Spiegel betrachten?

Ich singe noch immer, als sie mich ins Shuttle bringen.
Das Lied wird länger. Je mehr Leute Vater ermorden lässt, desto länger werde ich singen.
Ich singe von ihrem Heldenmut im Angesicht des überlegenen Feindes, von ihrer Liebe zum Land und zu einander.
Ich singe von Stella, meiner Liebe zu ihr und wie sie vor meinen Augen ermordet wurde.
Ich singe bis ich zusammen geschlagen werde.

Lärm und stechendes Licht wecken mich. Ich höre Stimmen, lautes Geschrei. Vater und der Arzt brüllen sich gegenseitig an. Was mir jetzt auffällt, ich bin nicht in einer Zelle, sondern auf der Krankenstation. Ein straffer Verband ist um die Brust geschlungen. Ich habe Schwierigkeiten zu atmen. Jeder Atemzug sticht und brennt wie Feuer. Sie müssen mir die Rippen gebrochen haben. Ich schmecke Blut. Ich taste mit der Zunge die Lippen ab, alles aufgeplatzt. Es fehlt wieder ein Zahn. Aber das ist mir schon egal. Ich bin mir gleichgültig geworden.
‚Tokahe’, denke ich angewidert. ‚Wenn ich nichts tun kann. Was für ein Irrtum. Ich bin niemand anders als Sevin, ohne Familie. Nicht einmal mehr Sevin. Ich bin 152.370!’
Ich merke, wie mich ein dunkler Gedankenstrudel umfasst und mitreißt.
Einsamkeit. Schuld!
Ja, ich fühle mich plötzlich schuldig an den Geschehnissen. Vielleicht war es wirklich meine Befehlsverweigerung oder wird das nur als Vorwand genommen, die Friedensbewegung und die Unabhängigkeitsbewegung nieder zu schlagen? Ich weiß es nicht. Werde es auch nie erfahren.
Was geht im Universum vor?
Herrscht noch Krieg?
Was ist los?
Sind wir noch im Orbit?

Der Arzt stürmt jetzt zornig aus dem Büro. Er schnauzt einen Helfer an, dass sie mich verlegen sollen. Dann schiebt er mir die Sonde in die Nase. Ich würge und wehre mich.
„Hört auf! Ich bekomme so schon zu wenig Luft und jetzt noch das“, bettle ich. Aber die Sonde kommt in den Magen. Mit mir spricht keiner. Noch immer nicht!
Der Arzt schüttelt nur bedauernd den Kopf.
Wachmänner betreten den Raum. Sie zerren mich von der Liege und schleifen mich in die Zelle zurück. Als sie mich auf die Pritsche legen durchfährt mich ein irrer Schmerz. Was ist mit dem Rücken geschehen? Ich kann mich nicht erinnern, ausgepeitscht worden zu sein. Ich weiß nur, dass sie das kleine Dörfchen ausradiert haben und mich anschließend zusammen schlugen. Ich schreie und trete, als sie mich auf die Pritsche nieder drücken und fixieren.
Dass ich chancenlos bin, weiß ich, aber ich kämpfe gegen sie, schreie, trete und spucke.
Mir geht die Luft aus.
Die Lungen brennen und stechen.
Die Sonde behindert mich zusätzlich.
„Vater! Holt diesen elenden Mörder, den Admiral!“, rufe ich noch, als die Tür ins Schloss fällt.

Allein! Wieder lassen sie mich hier liegen. Von der Decke hängt der Beutel mit der Sondennahrung. Ich wäre jetzt gerne den Geschmack und den Geruch nach Blut losgeworden. Er sticht in der Nase. Ich rieche verbranntes Fleisch.
Mein eigenes? Oder ist es die Erinnerung an etwas anderes?

Grau. Alles ist grau. Ich werde grau.
Geistiger Verfall. Ich muss verrückt sein.
Vielleicht lässt er mich gehen, wenn er merkt, dass ich wahnsinnig bin?
Bin ich es wirklich?
Wieso denke ich immer, dass ich verrückt bin?
Schon wieder diese Augen an der Wand!
Mich schaudert.
Was sollen diese Gaukelbilder?
Stella? Bist du das? Nein, du bist tot.
Ich beginne mit mir selbst zu reden.
Spreche mit der Vergangenheit, als mich Vater noch geliebt hat. Hat er mich je geliebt? Warum hasst er mich dann jetzt so? Hat es etwas mit dem Befehl zu tun? Es muss mehr gewesen sein. Wegen einem Befehl quält man niemanden über so einen langen Zeitraum. Oder irre ich mich? Was weiß ich noch von meinem Volk, den Eltern, den Geschwistern? Irgendwie hat sich über vieles der Nebel des Vergessens gelegt.

Ich weiß nicht, wie lange ich hier liege. Im eigenen Dreck, mit höllischen Schmerzen und allein.
Mutter.
Warum denke ich an Mutter?
Ich kann ihr Gesicht nicht mehr sehen.
Stella. Auch ihr Gesicht ist nicht mehr da.
Mutter! Warum vergesse ich dich?
Warum hast du dich von mir losgesagt? Du hast doch immer den freien Willen gepredigt und dann stößt du mich fort, nur weil ich meinem Herzen folge. Ich verstehe es nicht. Damals nicht und heute noch weniger.
Weißt du überhaupt, was sie mit mir machen?
Hast du eine Ahnung davon, was dieses Militär den Leuten in der Galaxie antut?
Kümmern dich die vielen Millionen Toten?
Denkst du an mich? Oder bin ich für dich schon tot?
Mutter! Ich sehe dich nicht mehr! Du bist nur mehr ein Schatten.
Nicht mal deine Stimme habe ich im Ohr. Ich weiß, du hast mir als Kind immer Schlaflieder vorgesungen. Aber ich kann dich nicht mehr hören.
Mutter, sing ein Lied für mich, dass ich schlafen kann.
Ich weine lautlos.

Plötzlich höre ich leises Singen. „Wakan Tanka heyana-a“
Über dem Lied des Großen Geistes schlafe ich ein. Im Traum erscheint Großvater. Warum ist es immer Tunkasila und nie mein Blutsverwandter? Tunkasila sitzt auf dem Boden, eine rituelle Rassel in der Hand. Er wiegt den Oberkörper vor und zurück, während er von der Entstehung allen Seins singt. Wie alles miteinander verbunden ist, in einer ewigen Spirale. Alle Gedanken, die wir denken, wirken sich auf alles aus. Er singt von der Liebe zum Land, den Geschöpfen. Dann singt er, wie seine Vorfahren das Weltall entdeckten. Viele flogen zu den Sternen und kehrten verändert zurück. Er singt vom Heilen dieser Seelen und wie sie wieder ein Volk wurden. Viele Seelen waren aber im All geblieben, hatten sich mit anderen Stämmen verbrüdert und waren dort sesshaft geworden. Tunkasila singt davon, dass diese Menschen eines Tages zurückkommen werden. Sie werden ihre Herkunft vergessen haben. Er besingt den Tokahe, der die Stämme wieder miteinander bekannt macht. „Wakan Tanka, der Große Geist, ist in allem Sein, Sevin. Alles, was du tust, oder unterlässt, kommt zu dir zurück“, sagt er zum Abschied.
.„Großvater!“, rufe ich im Schlaf. „Bleib hier, erzähle mir vom Volk! Sind wir ein Stamm?“ Aber er ist weg.
Was habe ich getan, um diese Behandlung zu verdienen?
Wenn sich alles auf alles auswirkt – was habe ich nur getan?!
Ich bin verzweifelt und trotzdem hat dieses Lied auch etwas Tröstliches an sich, wie Großvater immer Trost fand für alle Geplagten.

Nie werde ich seine Worte, sein Lied vergessen. Wakan Tanka, der Große Geist, ist in Gestalt von Großvater zu mir gekommen. Wir sind von einem Stamm.
Sind wir es wirklich oder bilde ich es mir nur ein?
Ist alles Sein eins, oder wie?
Damit komme ich nicht klar. Ich war Soldat, mit solch spirituellen Fragen habe ich mich nie beschäftigt. Es hat mich schlichtweg nicht interessiert, genauso wenig hat es mit interessiert, wie Stella dieses köstliche Birnengelee gezaubert hat. Es war einfach da und ich habe es als Geschenk an meinen Gaumen angenommen. Warum fällt mir das jetzt ein?
Ich habe plötzlich den Geschmack daran im Mund. Sie konnte so köstliche Sachen aus Nichts zaubern. Immer war für alle genug da. Unser Haus war immer voll mit Gästen, die meisten kamen ungeladen.

Während ich versuche die Schmerzen zu ignorieren, denke ich an unser gemeinsames Heim. Wir hatten ein schönes Haus am Fluss. Stella hatte im Garten eine Schwitzhütte. Das Schwitzen war immer eine aufwändige Zeremonie und konnte stundenlang dauern. Anfangs hat sie mich ausgelacht, weil ich so schnell wieder draußen war. Aber wir Andorier sind Kälte liebend. Deshalb siedeln wir hauptsächlich auf Planeten, die ein eher kühles Klima aufweisen. Stella. In Erinnerung an ihren Gesichtsausdruck muss ich lachen. Sie und Tunkasila sind mir nachgelaufen. Sie wussten nicht, dass mir die Hitze so zu schaffen machen würde. Ich sprang in den Fluss, um mich abzukühlen. Die nächste Zeremonie hielten sie dann für mich ab. Den Verwandten war es nicht heiß genug und ich war wieder Mittelpunkt ihres Spotts. Wer in dieser Gesellschaft keinen Humor hat, tut sich echt schwer mit den Leuten.
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Tief in Gedanken versunken vergesse ich einen Moment wo ich bin. Ein lautes Knacken lässt mich in die Gegenwart zurück fallen. Über der Tür ist der Lautsprecher angegangen. Ich zittere vor Schreck. Das Herz schlägt laut und heftig gegen die bandagierte Brust und in den Lungen höre ich es rasseln.

Ein Nachrichtensprecher der Andorie-Allianz gibt die neuesten Meldungen bekannt. Seit wann darf ich Nachrichten hören?
„Verehrte Andorier. Gerade eben haben wir Meldung erhalten, dass auf Trebis ein gefährliches Terroristen-Camp aufgebrochen wurde. Es handelte sich um die Zelle „Trappers“. Es waren hauptsächlich Brandstifter und Bombenleger. Erst vor einer Woche haben diese in der Hauptstadt von Trebis, Annokis, die Botschaft von Andor mit einer Bombendrohung bedacht. Daraufhin hat unser Zentralkommando beschlossen, den berühmten Admiral Sevon Lan’dan nach Trebis zu entsenden. Durch das entschlossene Eingreifen des Admirals und seiner Leute, konnte das Schlimmste verhindert werden. Der Admiral wird demnächst eine Ehrung des Zentralkommandos erhalten.
Das Wetter. Heute ist es auf dem Zentralkontinent wieder angenehm mild. Gegen Mittag wird etwas Regen erwartet. Machen Sie sich einen schönen Tag und danken Sie dem Zentralkommando und Admiral Lan’dan für die gute Arbeit, die unser Leben sicher und komfortabel macht.“

Mit einem lauten Knacken endet die Übertragung. Ich bin erschüttert.
„Lauter Lügen. Sie schüren Angst und Hass!“, rufe ich.
Bald wird kein Lebewesen mehr sicher sein. Jeder wird jeden belauern, belauschen und ausspionieren.

Die Stille ist jetzt noch tiefer. Die Worte scheinen im Raum nachzuhallen, an den Wänden ein Echo zu bilden und dann hart auf mich einzuschlagen. Wie der Knüppel, der eben auf meine Fußgelenke trifft. Ich schreie laut auf.
„Du hältst hier die Klappe!“, brüllt der Wachmann. „Die Nachrichtenagentur würde niemals Lügen verbreiten!“
Ich stöhne, habe keine Luft zu einer Antwort. Diese Schmerzen! Ich habe den Eindruck, dass ein Knochen gebrochen ist. Dann steht grinsend der Admiral vor mir.
Lan’dan – das war einmal mein Name: Sevin Lan’dan, auf den in der Armee eine große Zukunft gewartet hatte. Vaters Laufbahn hat mich als Kind magnetisch angezogen.
Jetzt sind die Pole umgekehrt.
Er stößt mich ab.
„So, dieses war das erste Terroristennest, das wir ausgeräuchert haben. Soll es weitergehen?“, fragt er scheinheilig.
Ich kann nicht sprechen. Zu sehr quälen mich Schmerzen, Angst und Selbstzweifel.
Was, wenn das alles hier wirklich meine Schuld ist?
Was, wenn ich dem ein Ende bereiten könnte?
Es ist einen Versuch wert.
„Vater“, flüstere ich. „Hör bitte auf damit.“
Ich muss eine Pause machen. Schließe die Augen und höre die Luft in den Lungen rasseln, oder das Blut. Ich versuche es erneut. Meine Stimme wird immer leiser, bis sie nur noch ein Hauch ist.
„Ich bekenne mich aller Taten schuldig. – Bist du jetzt zufrieden? Hörst du auf damit, Unschuldige zu töten?“
Der Admiral stellt sich an meine Seite. Ich sehe seine polierte Gürtelschnalle. Mein Gesicht spiegelt sich darin. Ich erschrecke, erkenne mich nicht wieder. Alles ist grün und blau, geschwollen, von Narben bedeckt.
„Ich hab dich nicht gehört, Nummer 152.370. Aber nur damit du Bescheid weißt: ich werde die Befehle des Zentralkommandos ausführen. Jedes Nest auf dem Planeten wird ausgelöscht und dann haben wir neuen Lebensraum für unsere Bürger.“
Wahnsinn!
Vater kann diesen Mist doch nicht glauben. Ich schüttle den Kopf. Das kann nicht wahr sein. Ich fühle Tränen über die Wangen laufen.
„Warum quälst du mich dann damit, dass es in meiner Hand liegt, etwas zu ändern?“, frage ich unter Tränen.
Ich bekomme keine Antwort.


Bewegung

Der Große Geist soll angeblich alles mit seinem Atem umhüllen. Diesen Eindruck habe ich nicht. Es ist eher so, dass ich mir einbilde, der Atem geht ihm aus. Die Andorie-Allianz ist mächtig. Wahrscheinlich noch mächtiger als zu der Zeit, als ich noch dazu gehörte.

Ich fühle den Hoffnungsschimmer, den ich auf dem Berg bemerkt habe, schwinden. Alles wird wieder grau. Die Wände, die Luft, das Licht – Ich. Es gibt nichts außer grau. Kaltes Grau. Grau ist mein Verstand. Ich merke, wie sich das wärmende Gefühl der Liebe aus mir verabschiedet. Hass gegen meinen Vater und andere Andorier macht sich breit. Selbsthass. Ich hasse mich! Meine Entscheidungen, mein Leben – alles!
Was habe ich mir nur dabei gedacht, gegen die Regierung zu handeln?
Ich hätte wissen müssen, dass es so enden würde.
Jetzt werden noch mehr Menschen sterben, nur weil ich eine Entscheidung getroffen habe. Silvo hatte Recht, Selbstmord zu begehen. Warum habe ich es nicht getan? Habe ich vielleicht gedacht, dass Vater mir helfen würde? Nein. Das bestimmt nicht. Er hat mich doch vorher schon aufgegeben, fallen gelassen.

Ich zwinge mich, an die Vergangenheit zu denken. Stellas Tod zieht an mir vorbei, mit all der Qual, die er in mir ausgelöst hat, den Zweifeln, der Schuld.
Ja, ich bin schuldig!
Da sind wieder diese Augen, die mich wissend und zugleich mitleidig ansehen. Ich verschließe mich davor. Will nichts sehen. Ich bin wirklich verrückt.
Halluzinationen! Delirium.
Schmerzen. Atemnot.
Wahnsinn.
Einsamkeit.
Dunkelheit.
Stille.
Das ist meine Welt.

„Stella! Es tut mir Leid. Ich hätte dich genau so gut selber töten können! Er hat recht, du und alle, ihr seid wegen mir gestorben!“, rufe ich heiser in die Stille.
Huste. Würge. Weine.
Selbstmitleid – darin versinke ich, wie in einem tiefen Sumpf. Ich merke es nicht einmal richtig. Immer wieder denke ich an sie. Ich habe sie so geliebt. Warum muss ich immerzu an Stella denken? Ihr Gesicht ist nur noch eine fahle Erinnerung. Auch das grämt mich. Ich würde so gern ihr Gesicht sehen. Ihre Augen, ihr Haar berühren, ihren zarten Duft riechen. Was ist riechen überhaupt? Wann habe ich das letzte Mal etwas Angenehmes gerochen? Gibt es noch gute Gerüche?
Gibt es überhaupt noch etwas Gutes in der Welt, der Galaxie?
Wohin ist es verschwunden?

Ich merke, wie ich mich aufzulösen beginne. Es muss an der Unbeweglichkeit liegen. Gerade eben spüre ich, wie sich die Zehen auflösen, dann die Finger, die Waden, die Schenkel, die Schultern, der Kopf. Mein lauter Schrei bringt eine Wache in die Zelle. Er stopft mir einen Knebel in den Mund und geht wieder. Verzweifelt rolle ich mit den Augen, kämpfe um jeden Atemzug. Ich verliere den Kampf um das Bewusstsein und falle in tiefe Dunkelheit. Hoffentlich kommt der Tod.

Als ich die Augen öffne, weiß ich nicht wo ich bin. Ich bin verwirrt, denke, dass ich auf der Alpha-Star bin und verwundet auf der Krankenstation liege. Ein Kissen stützt mich im Rücken und verhindert, dass ich nach hinten falle. Eine Krankenstation ist es definitiv. Ich schaue mich interessiert um, weiß noch immer nicht genau, wo ich bin. Irgendetwas muss passiert sein, sonst wäre ich nicht hier.
Wo ist dieses hier?
Beide Hände sind an ein Bettgitter angebunden. Versuchsweise rüttle ich daran. Das Leder hält. Gleichzeitig beginnt etwas zu piepen und zu summen. Erschrocken halte ich inne, sehe mich um, soweit es die Lagerung erlaubt. Durch den Lärm werden Leute angelockt. Eine Frau in dunkelblauer Uniform mit dem Emblem des medizinischen Dienstes und ein Wachoffizier treten zu mir ans Bett.
„Schon gut“, sagt die Frau zum Wachmann. „Sie können wieder gehen. Er kann mir nichts tun.“
„Ich stehe gleich hinter der Tür, wenn was ist. Diesen Terroristen kann man nicht trauen“, brummt er zurück.
Die Frau kommt jetzt ganz nah zu mir, lächelt mich schüchtern an und flüstert: „Bleiben Sie ganz ruhig, Herr Libertas. Ich kann Ihnen etwas Erleichterung verschaffen. Haben Sie Schmerzen?“
Ich schüttle den Kopf, frage aber: „Wo bin ich. Ich glaube, ich weiß nichts mehr.“
„Sie sind auf der Omega-Star, dem neuen Flaggschiff der Flotte, auf der medizinischen Abteilung. Das hier ist die Isolierkammer.“
„Warum bin ich hier?“
Jetzt dreht sie sich vorsichtig um, und sagt dann schnell und leise: „Der Chef hat sich endlich durchgesetzt, sonst wären Sie schon tot. Sie hatten eine lebensbedrohliche Infektion. Aber wir haben das im Griff. Sie werden weiter leben – für uns.“ Ihre Augen hängen an mir als sie das sagt. Was denkt sich dieses Mädchen eigentlich dabei? Sie sieht so jung aus, so verdammt jung. War ich das auch einmal?
„Was ist passiert? Ich habe keine Erinnerung – alles ist so nebelhaft.“
Kurz schildert sie mir was geschehen war und ich kann mich mit einem Schlag an alles erinnern. Ich starre sie ungläubig an und frage mich, was ich in meinem Zustand tun kann.
Doch sie sagt nur: „Ich muss Sie jetzt auf die andere Seite drehen. Damit ich mich nicht verdächtig mache, hole ich mal schnell den Wachoffizier rein. Nichts mehr reden.“ Ihr Blick ist flehend. Ich nicke.

Der Soldat hält mir eine Waffe an den Kopf während mich die junge Frau losbindet und umdreht. Dann fixiert sie mich wieder und verlässt die Isolierkammer. Der Soldat bleibt an der Tür stehen. Er scheint mich zu bewachen und das Ganze zu genießen. Ich starre ihn an.

Die Seitenlage ist eine angenehme Abwechslung. Das Atmen fällt mir leichter und die Schmerzen sind erträglich. Wahrscheinlich haben sie mir ein Schmerzmittel gegeben. Die Gedanken klären sich, sind jetzt nicht mehr vom Nebel des Wahnsinns und der Angst umgeben. Es ist sonderbar, aber seit langem fühle ich mich frei – frei im Denken, wenn schon nicht im Handeln. Ich habe erkannt, dass ich nicht alleine bin. Zumindest diese junge Frau und der Arzt sind auf meiner Seite – der Seite der Freiheit.

Während ich mich dieser positiven Gedanken erfreue, schallt die fürchterliche Hymne der Andorie-Allianz aus dem Interkom-Lautsprecher. Dann beginnen die stündlichen Nachrichten.
Propaganda, allerfeinste Lügenmärchen, als Wahrheit verpackt und teuer verkauft. Ich höre interessiert und aufmerksam zu, will wissen, was vor sich geht. Als aufmerksamer Zuhörer kann man ein Körnchen Wahrheit aus der größten Lüge herausfiltern. „Bürger der Andorie-Allianz, wie wir soeben erfahren haben, hat sich eine weitere Terroristenzelle zu geplanten Anschlägen bekannt. Einer davon sollte sogar auf unserem geliebten Heimatplaneten durchgeführt werden. Die meisten hätten aber die Metropolen auf Trebis betroffen. Durch diese hinterhältigen Terroristen ist unsere innere Sicherheit gefährdet. Das „Komitee für Volkssicherheit und gegen fremde Einflüsse“ hat verlautbaren lassen, das bis auf Weiteres eine verbindliche Ausgangssperre ab Dunkelwerden besteht. Vermeiden Sie zu Ihrer eigenen Sicherheit jede Versammlung von mehr als zwei Personen. Achten Sie auf Ihren Nachbarn, besonders, wenn er einer fremden Kultur entstammen sollte. Haben Sie ein Auge auf Ihren Nachwuchs. Gerade auf die Kleinen sollen wir am meisten aufpassen, sie sind unsere Zukunft. Die Terroristen haben es auf die Kinder abgesehen, sie entführen sie und zwingen sie dann in ihren Zellen mit zu wirken.
Gehen Sie nicht aus, wenn es nicht sein muss. Die Agentur für Nachrichten und Wahrheit wird Sie über die weiteren Schritte zu jeder Zeit auf dem Laufenden halten. Das Interkom ist zu diesem Zweck zu jeder Zeit frei zu halten. Sie dürfen es nur in Notfällen benutzen.
Danken wir dem Zentralkomitee für seine Umsicht und Fürsorge, und dem tapferen Admiral Lan’dan sowie der Besatzung der Omega-Star, dem berühmten Flagg-Schiff der Allianz.
Jetzt hören Sie noch die neuesten Nachrichten aus Sport und Unterhaltung …“
Ich höre nicht mehr zu. ‚Agentur für Nachrichten und Wahrheit’, denke ich angewidert. ‚Das ist zynisch. Ebenso das Komitee für Volkssicherheit und gegen fremde Einflüsse.’ Der pure Zynismus ist das für mich. Ein Widerspruch in sich.
„Alles Lügen!“, rufe ich empört. Der Wachmann wirft mir einen finsteren Blick zu. Wieder spielen sie die Hymne der Allianz, das so genannte „Hohelied der Herren“.
Mir kommen Tränen des Zorns. Ich will aufspringen, habe vergessen, dass ich gefesselt bin. Schon steht der Wachmann neben mir und drückt mir den Stromstab aufs Brustbein. Er grinst als er den Auslöser betätigt. Mit einem lauten Schrei und heftig zitternd falle ich zurück. Das war nicht nötig gewesen! Dann stürmen die Frau von vorhin und der Stabsarzt die Isolierkammer. Der Arzt drängt den Soldaten zur Seite und herrscht ihn wütend an: „Raus hier, Sie Idiot. Wir dürfen ihn doch nicht verlieren! Mann, wenn jetzt ein Schaden entstanden ist, werden Sie mehr Ärger bekommen, als gut für Sie ist.“
„Was denn? Ich nehme nur Befehle vom Admiral entgegen.“
„So ist das?“ Dann tippt der Arzt auf einen Sensor am Handrücken und spricht kurz rein. „Hier Doktor Mar’yl. Admiral, der Gefangene war wach, liegt aber jetzt zitternd im Bett. Einer Ihrer Wachen hat ihm eins mit dem E verpasst.“
„Verdammt. Ich brauche den heute. Seht zu, dass er mittags fit ist – und zwar ansehnlich!“ Seine Stimme klingt ungeduldig und schroff. Ich vermute, dass er sehr zornig ist. Es ist mir egal. Ich weiß, dass ich zumindest einige Zeit Ruhe haben werde, vielleicht sogar in Gesellschaft sein kann, ohne Angst vor irgendwelchen Schlägen zu haben.

Der Wachmann verlässt daraufhin widerwillig die Isolierzelle. Immer wieder dreht er sich zu mir um. Innerlich schaudere ich vor dem hasserfüllten Blick.
„So, dann sehen wir mal zu, dass wir dich so hinbekommen, dass du auf dem Holo nicht wie deine eigene Leiche aussiehst“, sagt der Arzt und klatscht in die Hände. „Der Idiot wird erst wieder kommen, wenn wir ihn holen.“ Er dreht sich zu der Frau um und fährt ohne Unterbrechung fort: „So Ana’ka, jetzt mach Sevin mal los und dann werden wir sehen, was wir tun können.“
Vorsichtig bindet sie mich los und hilft mir, mich aufzusetzen. Mir wird fast sofort schwindlig und schlecht. Ich kotze dem Arzt auf die Schuhe. „Entschuldigung“, sage ich, als ich wieder Luft zum Atmen habe.
„Nicht so wild, da hab ich schon Ärgeres erlebt“, sagt er und grinst mich an. „Du erkennst mich nicht, oder? Ich bin Hel Mar’yl.“
Ich krame in meinem Gedächtnis. Es gab früher mal einen Mann mit diesem Namen, aber war ich ihm auch begegnet? Hatten wir je zusammen zu tun, miteinander gearbeitet? Er muss mir die Verwirrung ansehen, denn sein Grinsen wird breiter. „Du kennst mich nicht persönlich. Ich war vor deiner Zeit auf der Alpha-Star, bin dann hierher abkommandiert worden. Aber ich war ein guter Freund von Silvo Karmin. Wir waren einige Zeit zusammen auf der Akademie der Wissenschaften, oder Unwissenschaften, wie man sie jetzt nennen sollte.“
„Doktor – Vorsicht“, mahnt Ana’ka. Sie schaut sich schnell im Raum um.
„Sie werden euch töten, wenn sie dahinter kommen.“
„Ach wo. Und wenn schon. Sterben müssen wir alle mal. Diese Angriffe sind von langer Hand geplant und die Bewegung, auch wenn es nicht wirklich eine gibt, ist jetzt ein guter Vorwand noch härter zuzuschlagen.“
Plötzlich fühle ich Scham aufkommen. Diese Leute riskieren ihr Leben, um mir zu helfen, mir die Haft erträglicher zu machen und die Schmerzen zu lindern.
„Ihr sollt euer Leben nicht für mich riskieren. Das ist es nicht wert.“
„Sevin, wir wollen dass die Galaxie wieder frei ist, die Leute in Freiheit leben können, ohne Angst. Du bist, ob du willst oder nicht, zu einer Leitfigur geworden. Unsere Sicherheit besteht darin, dass wir nicht organisiert sind, deshalb sind unsere Handlungen auch eher bescheiden.“
„Hel, ich bin froh, dass ihr hier seid. Ihr seid die ersten freundlichen Menschen, seit – ich habe keine Ahnung.“ Ich merke, wie Tränen der Rührung aufsteigen. An diesem Ort hätte ich nicht mit Verbündeten gerechnet.
„Probier mal, ob du aufstehen kannst, dann darfst du dich duschen.“
Vorsichtig gleite ich vom Bett und sogleich knicken die Knie weg. Der gebrochene Knöchel schmerzt wie die Hölle. Den haben sie bei der Behandlung übersehen. Die Rippenbrüche wurden aber gut versorgt, da spüre ich nur mehr ein leichtes Ziehen, wenn ich tief einatme.
„Holla, Freund, da haben wir etwas übersehen“, sagt Hel sofort und schubst mich wieder ins Bett. Er spritzt mir irgendetwas und die Schmerzen lassen nach. Dann untersucht er den Fuß, schnalzt mit der Zunge und bandagiert ihn. „Gut, scheint nicht viel zu sein. Gebrochen ist er nicht, angeknackst, aber das reicht schon für höllische Schmerzen. Versuche noch einmal aufzustehen.“
Zusammen schaffen wir es, dass ich vom Bett runter auf die Beine komme. Ich muss lange Zeit gelegen haben, weil ich das Gefühl habe, Margarine statt Muskeln zu haben. Hel bringt mich in die Dusche. Ana’ka hat sich schon vorher zurückgezogen. Sie passt auf, dass kein ungebetener Gast in die Isolierkammer schaut.
Nur derjenige, der sich selber wochenlang nicht waschen konnte, kann sich vorstellen, was das für ein gutes Gefühl ist, wieder sauber zu sein. Am liebsten möchte ich gar nicht mehr aus der Dusche raus. Es ist zwar kein echtes Wasser, nur Ultraschallvernebelung, aber es ist das Beste, das ich seit langem erlebe. Es ist sonderbar, aber auch in so einer Situation, wo man nicht weiß, wie es weitergeht, die Angst übermächtig ist und keine Aussicht auf ein Entkommen besteht, kann man schöne Gefühle empfinden. Hoffentlich gibt es mir Kraft für, was auch immer heute noch auf mich zukommen wird.
„Wie lange war ich weggetreten“, frage ich als ich aus der Dusche steige.
„Etwa zwei Wochen habe ich dich im Koma gehalten. Jetzt sind deine Wunden fast alle verheilt. Aber du hast jede Menge Narben davon getragen.“
Zwei Wochen! Das ist eine lange Zeit.
„Bevor du fragst, es hat in der Zeit keinerlei Übergriffe von unserer Seite gegen Trebis gegeben. Wir befinden uns immer noch im Orbit. Ich weiß auch nicht, was der Admiral genau vorhat.“
Ich bekomme einen orangefarbenen Overall mit meiner Häftlingsnummer auf Brust und Rücken. Wie ich diese Nummer hasse. Ich hätte nie gedacht, dass so etwas, derartige Gefühle in mir auslösen kann.
„Irgendwann, Sevin, musst du mir sagen, warum du gelacht hast, als sie dich auspeitschten.“
Ich schaue ihn verwirrt an. An eine Auspeitschung bei der ich gelacht habe, kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern. Ich sehe nur das Bild des mächtigen Eisbären vor mir, fühle sein Fell, seine Stärke und Wärme – und ich höre lautes Lachen, Peitschenknallen.
„Ich habe nicht gelacht“, antworte ich.
„Doch, hast du. Und weißt du was, du hast damit eine Lawine losgetreten. Die Aufnahme ist durch die halte Galaxie gegangen und wird jetzt unter der Hand weiter gereicht. Sie gehört zu den verbotenen Filmen. Viele wollen sehen, wie du ihnen ins Gesicht lachst während sie dich foltern. Du bist fast so etwas wie eine Ikone geworden.“
Ich bin entsetzt. So etwas wollte ich nicht.
„Ich hoffe, es geht gewaltlos ab.“
„Leider nein. Ein Teil der Widerstandsbewegung bewaffnet sich und gibt damit dem Militär neuen Grund, hart durch zu greifen.“
Das wollte ich nicht. Es sollte nicht so ablaufen. Friedliche Demonstrationen, Gehorsamsverweigerung, Liebe – das hätte der Weg sein sollen.
Und nun diene ich dem bewaffneten Widerstand als Ikone!
„Ich habe mich geweigert Waffen abzufeuern und nun feuern die Widerständler selber mit Waffen auf die Gegner. Das heißt Krieg. Es wird ein langer, langer, blutiger Bürgerkrieg werden“, prophezeie ich. Plötzlich fühle ich mich müde. Der Energieschub von vorhin ist verpufft. Ich lege mich wieder ins Bett und warte – darin bin ich Meister.

Es ist schon fast Mittag, als Ana’ka mit drei Soldaten zurückkommt.
„Wie ich sehe, ist der Gefangene bereit“, sagt sie beim Eintreten.
„Sicher ist er das“, mault der Arzt und geht mit gleichmütiger Miene an den Soldaten vorbei. Ich werde gefesselt, die Hände und Füße zusammengekettet und durch eine Kette um die Hüfte miteinander verbunden. Die Ketten sind schwer und ihre Verbindungsteile sehr kurz. Ich kann kaum gehen. Sie schleppen mich zum Lift. Wir fahren Richtung Brücke, ein Stockwerk vorher steigen wir aus, hier befindet sich der große Konferenzraum. Dort werde ich hinein gezerrt. Die Ketten klirren und klimpern bei jeder Bewegung.

Vater – nein – der Admiral sitzt an einer Seite des Raumes und blickt mich finster an. Ein altertümlicher Schreibtisch steht vor ihm. Gegenüber entdecke ich den Adjutanten und eine Frau, die das Holo-Kom-Gerät bedient. Sie scheint die ganze Aktion hier zu leiten, denn sie blickt den Admiral an und sagt: „Admiral Lan’dan, die erste Aufnahme mit Ihnen ist ausgezeichnet geworden. Die Leute werden Ihnen auf ewig für Ihre Mühen und die überstandenen Gefahren dankbar sein. Mit Ihrer Erlaubnis, werde ich dann mit der Aufnahme beginnen. Ich möchte, dass Sie vorher noch einige Sätze sagen, dann soll der da die vorbereitete Proklamation lesen. Für die restlichen Aufnahmen brauchen wir ihn nicht mehr.“
Sie redet von mir, als wäre ich nicht im selben Raum, oder schwachsinnig. Dann sehe ich in ihren Augen, dass ich für sie nur eine Nummer bin.
Die Nummer auf dem orangefarbenen Overall.
152.370

Der Admiral nickt zufrieden. Jetzt schaut er mich von oben bis unten prüfend an. Die schlimmsten Spuren der Misshandlungen sind beseitigt. Nur noch drei feine Linien sind auf den Wangen zu erkennen. Die Sonde ist nicht mehr in der Nase und ich sehe sauber und halbwegs manierlich aus. Niemand sieht den wirklich großen Schaden, den die Gefangenschaft angerichtet hat.
Es soll keiner wissen, was sie tatsächlich mit ihren Gefangenen machen.
Die Frau kommt zu mir. Sie hält ein Datenpad in der Hand, das reicht sie mir.
„Du wirst genau das sagen, was da oben steht, verstanden. Das Zentralkomitee will es so, und so wird es gemacht – verstanden?“ Ihre Stimme klingt militärisch schroff. Ich hebe die Hände, nehme die Platte und lese, was da geschrieben steht. Es treibt mir die Zornesröte ins Gesicht. Lauter Lügen. Sie wollen mich für ihre Propaganda missbrauchen!
„Solltest du nicht genau das lesen, Wort für Wort, wirst du es bereuen – und nicht nur du“, fügt der Admiral hinzu. Ich fühle, wie ich schwanke und zu Boden gehe. Die Soldaten stellen mich wieder auf die Füße.
Dann beginnt die Show.
Nichts anderes ist es, eine Veranstaltung zur Unterhaltung der Andorier. Sie sollen sich in Sicherheit wiegen.
Die Frau hält die Übertragungseinheit bereit und der Admiral beginnt gewichtig: „Andorier, heute werden wir Ihnen den Kopf der Terrorzellen präsentieren. Er wird sich zu allen Punkten schuldig bekennen und Sie um Verzeihung bitten, auch für die Lügen, die über das Zentralkomitee, das Militär und die Regierung verbreitet wurden. Hören Sie nun – tut mir echt Leid, ich habe seinen Namen vergessen. Hier sind Gefangene nur eine Nummer. Hören Sie nun, Nummer 152.370.“
Ich beiße die Zähne fest aufeinander, unterdrücke Tränen des Zorns und beginne zu lesen.
„Ich gebe zu, der Anführer aller bekannten …“
Ich kann nicht!
Ich kann das nicht lesen. Nein!
Heftig blinzle ich die Tränen weg, schlucke und fange noch mal von vorne an.
„Ich gebe zu, einen Befehl verweigert zu haben, der die Bevölkerung eines unterentwickelten Planeten ausgelöscht hätte. Ich gebe zu, mich daraufhin nicht selbst exekutiert zu haben. Ich gebe zu, mit einer Ausländerin verheiratet gewesen zu sein. Ich gebe zu, für Freiheit und Liebe ein zu stehen. Ich gebe zu, Wahrheit und Gerechtigkeit höher zu stellen als mein Leben. Hören Sie gut zu: Niemand hat das Recht, Sie mit Unwahrheiten und Angst zu lenken. Seit Jahrzehnten sagt Ihnen das Zentralkomitee, was Sie wann und wie zu denken haben. Haben Sie sich nie gefragt, warum Ihnen eingeredet wird, dass nach Dunkelwerden die Straßen unsicher sind, wenn doch das Militär so große Macht in der Allianz hat? Es gibt nichts, wovor Sie Angst haben müssen. Machen Sie sich frei … denken Sie wieder selbst …“
Ein Schlag in den Magen lässt mich verstummen. Ich fühle Tränen über die Wangen laufen. Jetzt habe ich mein Schicksal besiegelt und hoffentlich nicht auch das von Trebis.

Auch hier auf dem Flagg-Schiff gibt es so genannte Verhörzimmer. In so eines werde ich gebracht. Das Inventar lässt mir das Blut in den Adern gefrieren.
Ich beginne an den Fesseln zu zerren, will mich losreißen. Unerbittlich drängen sie mich weiter, ziehen mich aus, zwingen mich auf die Knie und stecken mir einen Jutesack über den Kopf. Ich merke, wie ich zu zittern beginne. Diesmal greift die Angst voll durch. Ich fühle sie das Rückgrat hoch und runter kriechen, in die Haut eindringen, das Herz anhalten.
Es gibt nichts, was ich tun kann.
Ich knie auf einem Stück Metall. Sie lassen mich warten – kosten die Zeit bis zum Beginn der Folter aus.
Warum fangen sie nicht endlich an?
Das Metallstück unter den Knien drückt. Ich kann mich nicht bewegen, werde links und rechts fixiert.
Worauf warten sie?
Es ist fast wie eine Erlösung, als sie auf mich einprügeln.
Das Warten hat ein Ende.
Nach kurzer Zeit hören sie auf.
Zerren mich wieder auf die Knie.
„Du hast jetzt deine letzte Chance auf Milde vertan!“, brüllt der Admiral. „Nun ernte deine Saat!“
„Ich werde nicht lügen“, bringe ich mühsam unter dem Jutesack hervor. Blut läuft aus der Nase, ich kann es schmecken. „Und ich lasse mich nicht von euch benutzen!“
„Du hast einen Krieg heraufbeschworen. Er wird unerbittlich sein, wenn du nicht endlich aufhörst, gegen die Regierung zu reden.“
„Du musst mich töten, akte, sonst werde ich nicht aufhören. Andere werden nach mir kommen. Es werden immer mehr werden.“
„Du willst es nicht anders.“
„Weißt du nicht, dass die Folter bei mir nicht wirkt? Ihr habt mich bei der Ausbildung zu gut konditioniert. Oder bringt es dir irgendein, mir unbekanntes, Vergnügen, wenn du mich quälst?“
Noch bevor ich weiter reden kann, werde ich am Kopf gepackt, nach vorne gedrückt und habe kaum Zeit, die Luft anzuhalten. Dann bin ich schon unter Wasser. Hoch – schnell Luft holen. Ich bekomme fast keine. Der verdammte Sack hindert mich am Atmen.
Rein – Panik. Es wird schlimmer.
Raus – rein – raus – rein – raus – rein …
Luft!
Luft!
Ich brauche Luft!
Ich zapple, versuche mich zu befreien und werde nur unerbittlicher fest gehalten. Mein Kopf - tief im Bottich – jetzt werde ich dazu noch geschlagen.
Ich kann nicht mehr – aus, lasst mich endlich gehen!
Ich fühle die Lungen platzen, stelle mir vor, wie Wasser in die Bronchien dringt, das Gewebe zum Bersten füllt …
Alles in mir brennt und schreit nach Sauerstoff. Ich rutsche weg und werde noch fester hinein gedrückt.
Endlich hören sie auf.
Ich sehe die Sterne, ganz weit weg eine Gestalt in weiß. Sie winkt. Ich will dort hin. Dann wird das Licht heller. Es kommt auf mich zu. Ich will die Wärme des Lichts. Mir ist so kalt. Hier draußen im All ist es immer eisig.
Kälte – sie dringt tief ein, lähmt.
Ich brauche keine Luft mehr. Die Kälte und das Vakuum des Alls töten mich. Es stört mich nicht. Hier bei den Sternen will ich sein.
Stella!

Jemand schlägt mir ins Gesicht. Ich erwache. Also bin ich noch immer nicht tot.
Ich bin nach wie vor im Verhörraum. Der Admiral steht breitbeinig vor mir. Zwei rohe Kerle ziehen mich in die Höhe. Ich muss wieder knien.
„Du wirst jetzt alles widerrufen, was du vorhin gesagt hast“, knurrt er drohend.
Nein! Das kann ich nicht, das werde ich nicht. Ich kann es nicht sagen, bringe kein Wort heraus, weil ich so zittere.
Sie zerren mich wieder in den Konferenzraum. Die Frau ist noch da. Gelangweilt sitzt sie am Tisch und poliert ihre Nägel.
Ohne den Kopf zu heben sagt sie: „Na, ich hoffe, das wird heute noch etwas. Wenn das wieder so ein Verhau wird, werde ich was zusammen basteln müssen. Also, ich hoffe in seinem Sinn, er weiß was er zu sagen hat, sonst werde ICH ungemütlich.“
Scharf blickt sie in meine Richtung und grinst. Ich bin noch immer nackt. Von dieser Frau fühle ich mich mehr bedroht als von der gesamten Mannschaft der Omega-Star.
Wieder hält sie mir ein Datenpad hin. Ich schüttle den Kopf.
Wie denkt sie, dass ich jetzt reden kann? Ich bin nass, nackt, außer Atem und fühle die Angst im Nacken sitzen. Mir schlottern die Knie und ich kann nur stehen, weil mich die zwei Kerle aufrecht halten. Jemand drückt mir einen E-Schocker in den Rücken. Die Frau beugt sich ganz nahe zu mir und flüstert: „Wenn du nicht sagst, was da steht, dann werde ich veranlassen, dass der Planet dort unten gesprengt wird, verstanden?“ Ihre Augen sind schmal, sie lächelt gefährlich.
Jetzt fühle ich tatsächlich Panik aufkommen. Ich glaube ihr. Was soll ich tun? Soll ich die Wahrheit sagen und die Menschen dort ihrem Untergang entgegen gehen lassen, oder soll ich mich verleugnen? Sagt sie die Wahrheit oder ist alles eine Lüge? Wenn ich doch nur wüsste, was ich machen soll? Ich bin verzweifelt, in die Enge getrieben, ein Tier in der Falle. Es gibt keinen Ausweg, keine Fluchtmöglichkeit.
Der Druck im Rücken wird verstärkt. Wenn er jetzt abdrückt, habe ich ein Loch in der Brust. Will ich das? Will ich wirklich sterben, oder ist noch ein Fünkchen Lebenswillen in mir? Ich schlucke ein paar Mal und blinzle die aufkommenden Tränen weg.
Dann nehme ich das Pad.
„So ist es brav“, sagt sie und rammt mir die Feile in den Bauch. Ich sehe nach, ein roter Faden schlängelt sich runter. Es ist Blut – mein Blut.
Diese Frau ist gefährlich, sie handelt bevor sie redet.
Ich schaue wieder hoch, direkt in ihr lächelndes Gesicht.
„Sie lassen das Volk hier leben, wenn ich mache, was Sie verlangen?“
„Das hängt leider nicht von mir ab“, weicht sie aus.
Was soll ich nur tun? Verdammt noch mal! Am liebsten hätte ich mich jetzt aufgelöst, wäre verschwunden oder tot. So eine Entscheidung sollte man keinem aufbürden. Das ist eine Last, die ich nicht tragen will, nicht tragen kann. Die Verzweiflung muss mir ins Gesicht geschrieben stehen, denn sie lacht mich aus.
„Ich kann dich scheibchenweise fertig machen und den Planeten dort unten auch. Was willst du?“
Was soll ich nur sagen? Jetzt fühle ich tatsächlich Tränen aufsteigen. Ich kann sie nicht mehr zurück halten. Sie lacht.
„Ich wusste doch, dass du ein verdammtes Weichei bist. Sei brav und lies das vor, dann wird nicht viel passieren.“
Plötzlich sehe ich durch das Fuchsauge, und ich treffe eine Entscheidung.

Ich schaue direkt in die Cam. Die Spuren der letzten Folter stehen mir noch ins Gesicht geschrieben, dennoch sage ich mit fester Stimme: „Ich werde nicht zu dieser Aussage gezwungen, ich mache sie freiwillig. Es steht auch niemand mit einer Waffe hinter mir und es sind keine weiteren Menschen bedroht worden.“ Ich hole tief Luft, versuche mich zu sammeln. Es ist schwieriger als ich gedacht habe, die Wahrheit in der vorgedruckten Lüge zu verpacken. Die Frau sieht mich die ganze Zeit über scharf an und spielt mit der Nagelfeile.
„Ich gebe zu, der Kopf einer Terroristenvereinigung zu sein. Ich habe das Militär diffamiert und Befehle nicht ausgeführt. Ich habe mich mit dem Feind verbrüdert.“ Ich blinzle Tränen weg. Die aufgeplatzten Lippen beginnen wieder zu bluten. Wasser tropft noch immer aus dem Haar.
„Die Regierung hat auch keine Repressalien gegen das Volk der Trebis geplant. Es soll niemand vernichtet werden. Lang existiere die Andorie-Allianz“, schließe ich matt.
Ich blicke die Frau direkt an. Sie ist zornig, obwohl ich alles vom Blatt abgelesen habe. Unvermittelt schlägt sie mir ins Gesicht. Ich keuche erschrocken auf.
„Du Weichei. Aber das wird dir nichts bringen.“
Sie tritt mir in die Hoden und ich klappe zusammen.
„Ihr Lügner“, keuche ich, als mich die Bewacher wieder in die Höhe ziehen.
Sie verpasst mir noch einen Tritt. Wieder lande ich am Boden und dort tritt sie noch ein paar Mal auf mich ein.
„Schafft mir das Weichei aus den Augen. Wir brauchen den nicht mehr. Werft ihn in die Minen oder sperrt ihn weg und lasst den Schlüssel verschwinden. Es ist mir gleich.“
Verächtlich spuckt sie mir ins Gesicht, dann geht sie zum Admiral und spricht mit ihm.
Zwei Soldaten zerren mich hoch. Die Hoden schmerzen höllisch. Hat mir dieses gemeine Luder alles weggetreten? Am liebsten würde ich jetzt hinfassen, aber meine Hände sind hinter dem Rücken gefesselt.

Sie bringen mich wieder in die Arrestzelle. Einzelhaft. Dr. Mar’yl wartet schon. Er hat wieder das Sondenzeug dabei. Ich beginne mich dagegen zu wehren, mit dem Schlauch verbunden zu werden. Werde aber nur niedergeschlagen, ans Bett geschnallt und fertig. Hel tut sein bestes, mir nicht über Gebühr weh zu tun, aber die Nase ist so kaputt, dass der Schlauch fast nicht durchgeht. Ich bekomme davon Nasenbluten.
Hört auf, verdammt noch mal. Ich hab euer Scheißspiel mitgespielt, jetzt lasst mich in Ruhe, würde ich am liebsten rufen, doch ich habe ein Klebeband über dem Mund. Dann verbinden sie mir noch die Augen.

Ich liege hier, blind, stumm und bewegungslos. Einzig hören kann ich noch. Doch was ich höre, würde ich am liebsten ausblenden.
Nein! Ihr habt es versprochen! Ihr habt es versprochen!
Ich fühle Tränen vorquellen. Sie sprudeln, bis ich keine mehr habe.
Was soll ich noch tun?
Soll ich mich vor denen in den Staub werfen?
Noch weiter nach unten als ich schon bin, kann ich nicht.
Tunkasila, hilf mir! Was soll ich tun? Haben mich die Träume jetzt auch verlassen?

Diese Schreie! Diese ewigen Schreie! Ich halte das nicht mehr aus, möchte mit schreien, mich losreißen, etwas tun!
Ich werde wieder verrückt, ich spüre es. Der Verstand geht krumme Wege und erst die Sinne. Die können einen narren, wenn man ihrer beraubt ist. Ich sehe nichts, kann mich nicht bewegen, schmecken kann ich auch nicht, nichts riechen und nicht fühlen. Das einzige, das ich kann, ist hören, und das will ich nicht.

Ich sehe wieder Sterne, aber keine gewöhnlichen. Sie sehen aus, wie die Sterne, die Kinder gerne malen. Es gibt Fünfzackige und Sechszackige, sie sind gelb und strahlen von einem dunkelblauen Himmel. Ich stehe auf einem Stern. Er beginnt zu rotieren. Ich muss laufen, um nicht zu fallen. Dann bewegen sie sich aufeinander zu. Sie greifen ineinander wie Zahnräder in einem altertümlichen Uhrwerk. Ich laufe und laufe und laufe, merke, wie ich müde werde und zu fallen drohe. Ich falle in das Zahnrad und werde zermalmt.
Ich möchte schreien, reiße die Augen auf und sehe nur Schwärze. Bewegen möchte ich mich, aufspringen, mir alles vom Leib reißen.
Luft, atmen, leben – oder wenigstens in Frieden sterben.

Wieder Schreie. Ist das Einbildung oder ist es wirklich? Gaukelt mir der Wahnsinn etwas vor? Tunkasila, wo bist du? Stella? Ich rufe in Gedanken nach ihnen. Sehe aber nur das Schwarze Loch in das ich zu fallen drohe, das mich unerbittlich mit seiner Schwerkraft anzieht. Ich werde in die Länge gezogen, gezerrt, verzerrt bis zur Unkenntlichkeit getrieben, zerrieben, zerrissen. Zerfleischt von der Unendlichkeit des Wahnsinns. Ist es das? Gibt es Wahnsinn? Ich bin gefangen in einem Schwarzen Loch. Es schließt sich an den Enden. Ich fühle, wie meine Arme und Beine abgetrennt werden, sehe sie in den weiten des Alls davon treiben, mir zuwinken. Ich möchte schreien, aber die Lungen sind im Vakuum implodiert.

Wieder öffne ich die Augen und sehe Schwärze. Diesmal ist es die Schwärze der Nacht. Finstere Nacht, in einer finsteren Höhle, mit einem schwarzen Drachen, der schwarzes Feuer speit. Ich fühle die Hitze. Sie versengt meine Haut, das Haar brennt. Ich rieche mich brennen in einem kalten Feuer, werde zu Asche. In Panik versuche ich davon zu laufen, doch ich bin fest gebunden.

Die Fesselung drückt mich unerbittlich nieder. Ich rüttle und zerre daran. Die Pritsche wackelt und kippt zur Seite. Ich rolle auf den Bauch und werde fast von dem Gewicht auf mir erdrückt. Die Nasensonde bin ich jetzt los, dafür schießt das Blut aus der Nase.
Die heftig einsetzenden Schmerzen durchbrechen die Halluzinationen. Ich weiß wieder wo ich bin, will nach Hilfe rufen. Das Gefühl zu ersticken wird übermächtig. Mir ist so übel. Ich möchte das Blut ausspucken – ich kann nicht, mein Mund ist verklebt.
Warum hilft mir keiner? Wo sind denn alle? Hilfe!
Irgendwann muss ich wohl besinnungslos geworden sein.

„Mein Freund, ich denke an dich“, flüstert eine Stimme. „Ich lasse dich nicht alleine, Mihunka. Wir werden für dich den Tanz des Bären tanzen. Lass dich von deinen Führern leiten. Mein Freund, ich bin bei dir. Auch, wenn wir unser Leben nicht mehr in alter Weise leben, wird das Volk als Ganzes überleben.“

Ich erwache, schmecke Blut und liege nach wie vor auf dem Bauch. Zunächst will ich um Hilfe rufen, bis mir bewusst wird, dass ich geknebelt bin. Keiner kann mir helfen, es wird mir keiner helfen. Ich drehe und wende mich mit dem schweren Teil auf dem Rücken herum, bis ich in Seitenlage komme. Es ist anstrengend. Der Schweiß läuft aus allen Poren. Ich vergesse alles um mich herum, die Schreie, die Blindheit – alles. Ich will nur wieder atmen können. Blut verklebt die Nasenlöcher. Ich komme nicht ran, kann die Krusten nicht wegmachen. Verzweifelt versuche ich durch die Nase zu atmen.
Luft ist alles, was ich denken kann. Luft!
Lasst mich nicht jämmerlich ersticken!

„Wakan Tanka – der Große Geist wird dich nicht verlassen“, höre ich bevor sich mein Bewusstsein wieder verabschiedet.






Das letzte Urteil - Freiheit


Ich erwache, stelle fest, dass ich nicht mehr auf dem Boden liege. Jemand hat mich aus dieser misslichen Lage befreit. Die Fesseln sind gelöst worden, die Augenbinde und der Knebel sind auch weg. Ich kann es kaum fassen.

Die Zelle ist auch anders. Wo bin ich hingebracht worden?
Was ist wird das für ein Spiel?
Die Freude über die Bewegungsfreiheit schlägt wieder in Furcht um. Mit Bestürzung stelle ich fest, dass diese Zelle ein vergittertes Fenster hat.
Wo zur Hölle bin ich?

Ich versuche aufzustehen. Die Rippen, der Rücken – eigentlich jeder Teil des Körpers, fühlt sich gepeinigt an. Schwankend bleibe ich sitzen, halte mich fest und versuche einen Anker in der Geraden zu finden.
Es scheint ewig zu dauern, doch irgendwann geht es und ich kann aufstehen. Auf wackeligen Beinen bewege ich mich vorwärts. Die Arme zur Seite gestreckt, wie ein Kind, das Laufen lernt. Jetzt erst merke ich, dass kein Schlauch in mir steckt. Vor Erleichterung hätte ich beinahe geheult. Als ich die Kameras entdecke schlucke ich die Tränen runter. Ich habe mich vor denen schon genug entblößt. Sie sollen mich endlich in Frieden lassen.

Langsam taste ich mich an der Wand entlang. Hinter einer niedrigen Mauer finde ich was ich gesucht habe. Nachdem ich fertig bin, wanke ich an der gegenüberliegenden Seite zurück und lasse mich wieder auf der niedrigen Pritsche nieder. Dieser kurze Gang hat mich mehr erschöpft als ich gedacht hatte. Ich bin ein alter Mann geworden.
Gebrochen?
Ich weiß es nicht.
Wo haben sie mich hingebracht?

„Gefangener 152.370 halte dich ruhig, bleib liegen, lass die Hände dort, wo wir sie sehen können – du bekommst Besuch“, tönt es blechern aus dem Lautsprecher. Erschrocken halte ich mich an die Anweisungen.
Nach einigen Minuten geht die Tür auf. Sechs Wachen treten ein, dann erst folgt jemand anders. Es ist die Frau, die die Aufzeichnung geleitet hat. Was will sie hier? Was will sie von mir? Sie hat doch gesagt, dass man mich vergessen soll. Ich bin verwirrt.
„Na, du Weichei“, sagt sie und lächelt herablassend.
Ich kann sie nur verdutzt anschauen.
„Hat es dir jetzt die Sprache verschlagen? Du bist sicher neugierig, wo du bist und was das Zentralkommando mit dir vor hat.“ Ihr Grinsen wird breiter. Ich rieche Gefahr. Ich reagiere noch immer nicht.
Sie tritt ganz nah zu mir, beugt ihren Oberkörper so über mich, dass ich genau in ihren Ausschnitts schauen muss, ich kann ihren Brustansatz sehen. Dann flüstert sie mir zu: „Ich habe gestern dein endgültiges Urteil unterschrieben, Verräter.“ Ich rieche ihren aufreizenden Duft, schlucke, starre weiter in den Ausschnitt.
„Trebis?“, frage ich schließlich ganz leise.
„Vergiss den dämlichen Planeten. Dein Urteil – willst du nicht wissen, wie es lautet?“
„Nein – es würde nichts ändern“, entgegne ich heiser. Glotze weiter auf ihren Ausschnitt, der sich eben wie zufällig um einige Zentimeter verschoben hat. Ich kann die feine Spitzenwäsche erkennen. Dieses verdammte Miststück! Sie bückt sich noch weiter über mich. Ihre Haare berühren mein Gesicht. Es ist betörend und abstoßend gleichzeitig – und es treibt mir die Tränen ins Gesicht.
Ich denke an die vielen Toten, die sinnlos Ermordeten, meine Folter, die vielen Namenlosen, die in den Minen und in anderen Gefängnissen gequält werden.
Ganz leise beginne ich zu singen, sehe ihr dabei ins Gesicht.

Mihunka, ich denke an euch
tanze für euch
singe für euch
Mihunka, nun seid ihr fort
ich denke an euch
betrachte die Sterne
die Sonne den Mond
Mihunka nicht umsonst
ist euer Tod
Verwandte der Seelen
Wakan Tanka nimmt euch
mit in die Ewigkeit
Verwandte der Sonne
Wakan Tanka nimmt euch
mit in die Ewigkeit
Verwandte des Mondes
Wakan Tanka nimmt euch
mit in die Ewigkeit
Verwandte des Lichts
Wakan Tanka lässt euch
nicht im Dunkeln
Verwandte meines Lebens
ich denke an euch
ich grüße das Licht
die Liebe die Hoffnung
das Leben

Erbarmungslos schlägt sie auf mich ein. Zertrümmert mein Nasenbein, Blut schießt hervor, Lippen platzen. Ich versuche das Gesicht vor ihren Schlägen zu schützen, doch die Wachen halten mich unerbittlich fest. Diese Frau hat Fäuste aus Stahl, und die Kraft eines Bulldozers in den Armen. Irgendwann umfängt mich Dunkelheit und Vergessen.

Ich erwache wieder an einem anderen Ort. Wieso verlegen die mich andauernd? Das verstehe ich nicht. Aber den Ort kenne ich und mir schwant nichts Gutes. Es ist das Militärgefängnis auf Andor. Das kenne ich zu gut, um keine Angst zu haben. Hierher habe ich in meinen Anfangsjahren in der Flotte die Kriegsgefangenen gebracht. Schon damals habe ich gedacht, dass so keine Menschen behandelt werden sollen.

Aber warum bin ich wieder hier? Wird es eine neuerliche Verhandlung geben? Was hätten sie davon, außer mich zu präsentieren? Sie laufen nur Gefahr, dass ich wieder nicht das tue, was sie von mir erwarten. Ich denke, grüble hin und her und habe keine Idee, was mich hier erwartet, außer vielleicht neuerliche Grausamkeiten. Das Urteil steht schon fest, wie die Frau sagte.

Der berüchtigte Kerker von Andor. Mich schüttelt es. Hier wurden und werden Kriegsgefangene gefoltert, bis sie entweder ein fingiertes Geständnis unterschreiben oder sterben – meistens beides. Ich bin mir gewiss, dass auf mich ein ähnliches Schicksal wartet.

Irgendwie macht mich diese Gewissheit ruhig. Ich fühle die Feder der Eule. Soll es das gewesen sein? Einfach so? Für nichts und wieder nichts, das alles? Nein, nicht für Nichts.

Ich warte. Immer warten. Worauf? Das Ende. Welches Ende? Oder wird es ein Beginn? Ich werde es nicht erleben. Nachts träume ich immer öfter von Stella – wir laufen gemeinsam über grüne Wiesen. Sie lacht glücklich. Mit Tränen in den Augen erwache ich. Liebe Stella, endlich kann ich dich wieder sehen. Dein Gesicht, mir so vertraut wie mein eigenes. Ich kenne jedes Fältchen um deine Augen. Bald, hat sie gesagt. Ich glaube ihr.

Doch die Zeit zieht sich in die Länge. Ich weiß nicht, wie lange ich schon hier bin. Die Zeitblase hat mich wieder erfasst. Ist Tag oder Nacht? Eigentlich ist es gleichgültig. Alles ist irgendwie stumpf geworden. Ich bin nur des Wartens überdrüssig. Warum müssen sie immer alles in die Länge ziehen? Reicht es nicht, dass sie einen körperlich misshandeln? Nein, sie müssen auch die psychische Qual des Hinhaltens mit einbeziehen.
Täglich kommen Wächter und jagen mich durch den Gang. Das hatten wir doch alles schon. Ich bin dieser Demütigungen müde. Es funktioniert auch nicht mehr. Ich spiele mit, weil sie mich sonst wieder schlagen – ich will nicht mehr geschlagen werden.
„Verräter wie du, sollte man nicht so einfach davon kommen lassen! Ihr gehört alle auf einen Haufen geworfen und dann angezündet! Hast du das gehört, verfluchte Nummer! Wir müssen noch für euren Unterhalt hier aufkommen!“, brüllt ein Wachmann. Seine Stimme ist so voller Hass und Abscheu, dass ich es kaum fassen kann.
„Ich bin kein Verräter und ich habe nicht darum gebeten, hier eingesperrt zu werden!“, brülle ich zurück. Er fasst mich an den Armen und dreht sie mir auf den Rücken, dann drückt er mich mit dem Oberkörper ganz weit nach vorne und vergewaltigt mich mit seinem Knüppel. Ich schreie und trete um mich. Schweißgebadet und blutend richte ich mich schließlich wieder auf. Trotzig schaue ich ihm ins Gesicht und sage leise: „Ich hoffe, du kannst morgen früh noch in den Spiegel schauen, du Drecksack.“ Dann spucke ich ihm ins Gesicht. Der dreht sich einfach um und geht. Lässt mich stehen wo ich bin. Zwei weitere Wachmänner haben zugesehen, die führen mich stumm zurück in die Zelle.
Ich werde nicht mehr belästigt, bleibe von nun an alleine in der Zelle und warte.

Seltsamerweise fühle ich mich nicht mehr einsam. In den Träumen treffe ich Stella und gelegentlich Tunkasila. Offenbar warten beide irgendwie auf mich. Sollte es tatsächlich ein Leben nach dem Tod geben, werde ich mich darauf freuen. Etwas anderes bleibt mir nicht übrig – die Hoffnung auf Freiheit im Tod.

Irgendwann ist es so weit und die schwere Metalltür schwingt auf. Der Admiral tritt ein. Er schaut mich kurz von oben bis unten an, nickt und sagt: „Ich habe noch einen letzten ehrenwerten Weg für dich.“ Er hält mir eine kleine rosa Pille hin. Die Situation kommt mir bekannt vor. Ich habe diese Pille schon einmal verweigert. Stumm schüttle ich den Kopf. Ich will nicht mit ihm reden. Alles ist vergebens. Er will nicht hören. Zu oft habe ich es versucht. Vielleicht bei meiner Aburteilung. Die wird hoffentlich öffentlich sein. Da müssen sie mir die letzte Gelegenheit einer Rechtfertigung geben. So verlangt es das Gesetz. Man kann gegen die Armee sagen was man will und auch gegen die Gerichte, an die Vorschriften halten sie sich penibel.
„Dann sei es so.“ Er winkt den Wachen und verlässt die Zelle.
Das Gefühl des Déjà-vu lässt mich schwindeln.
Kehrt die Vergangenheit wieder? Ich lasse mich erneut auf das Lager fallen und brüte vor mich hin.
Hunhan hat mir die Feder gegeben, ich habe das Unausweichliche endlich akzeptiert, einen Weg erkannt, der mich noch einmal mit den Leuten reden lässt, hoffe ich zumindest. Ich muss es hoffen, ohne Hoffnung wäre alles vergebens gewesen.

Schließlich kommen die Wachen und bringen mich in den Gerichtssaal. Ich sehe alles ganz klar und deutlich. Die kahlen Wände der Gänge, unzählige Türen, die in andere Gefängniszellen führen, dann die vergitterte Tür, die in den Gerichtssaal führt. Ich werde in einen Käfig gesperrt. Sie müssen mich offensichtlich für einen Schwerverbrecher halten. Auf der Seite der Ankläger: die Frau und der Admiral. Auf der Seite des Verteidigers, wie zu erwarten niemand und dann die Gerichtsbank. Ich sehe drei so genannte Richter in ihren purpurroten Roben. Der Gerichtssaal ist mit Zuschauern überfüllt. Sogar eine Übertragungseinheit ist aufgebaut worden.
Der Richter beginnt mit der Verlesung der Anklage. Ich höre was er spricht, aber ich verstehe es nicht, will es noch immer nicht verstehen. Die Anklage lautet: Verschwörung, Anstiftung zum bewaffneten Aufstand, Spionage, Mord.“
„Angeklagter“, beginnt der oberste Richter mit der weißen Perücke. „Deine Schuld steht unbestreitbar fest. Du hast auf eine Verteidigung verzichtet.“
„Hab ich nicht“, unterbreche ich ihn. „Ich möchte dazu noch etwas sagen Euer Ehren“, kann ich mich noch rechtzeitig beherrschen. Der Richter nickt. Er kennt das Gesetz.
„Euer Ehren, ich habe mich vielerlei Dingen schuldig gemacht. Darunter ist auch diese Schuld, dass ich Befehle nicht befolgt habe. Durch meine Schuld, wurde meine Frau von dieser Regierung hingerichtet. Durch meine Schuld sind unzählige Menschen auf Trebis ihrem Untergang entgegen gegangen. Es ist meine Schuld, dass ich den Weg der Gewaltfreiheit gehen wollte. Es ist genauso meine Schuld, dass ich auf dieser verdammten Welt und in dieser verdammten Galaxie nach Liebe suchte. Ich bin schuldig, eine Ausländerin geheiratet zu haben. Ich bin schuldig, Euer Ehren, nach meinem Gewissen gehandelt zu haben. Euer Ehren, ich wollte nie, dass jemand anders als ich für mein Verhalten zur Rechenschaft gezogen wird. Ich wollte nur Frieden und Freiheit. Dazu stehe ich nach wie vor. Ich hasse niemanden. Jedes Lebewesen, ganz gleich von welchem Planeten es kommt, sollte die gleichen Rechte und Pflichten haben. Es darf doch keine Unterschiede geben. Wir sind alle miteinander verwandt. Machen Sie doch endlich die erforderlichen DNA-Tests. Oder haben Sie das schon gemacht und die Ergebnisse werden uns vorenthalten. Euer Ehren, ich bin schuldig, nach der Wahrheit und der Liebe zu suchen. Ich bin Sevin Libertas, degradierter Flottenkapitän Sevin Lan’dan, jetzt Kriegsgefangener und Heimatloser.“
Alle sind einen Moment lang sprachlos. Mein Vater schaut mich erstaunt an. So eine Rede hätte er von mir nicht erwartet.
„Du wirst in Zukunft den Mund halten!“, brüllt der Richter.
„Ich habe nur die Wahrheit gesagt“, rede ich dazwischen.
Der Richter zur linken des Obersten winkt einem Aufseher. Er kommt in den Käfig, ich werde geknebelt. Jetzt habe ich keine Chance mehr zu reden. Alle Möglichkeiten sind vertan, ziehen an mir vorbei. Meine Schutztiere verlassen mich, ich sehe sie davon ziehen. Tunkasila winkt zum Abschied. Ich höre nicht mehr, was der Mann sagt. Irgendein Urteil wird es geben, es ist gleich.
„Gefangener, du hast jegliches Recht auf Verteidigung verwirkt. Die Schwere deines Verrats lässt nur ein Urteil zu – nämlich Tod in den Minen. Du wirst für das Volk der Andorier nach Erz graben, bis zu deinem unseligen Ableben.“

Ich fühle mich schwanken, sehe die Frau gehässig grinsen und den Admiral resigniert die Augen schließen. Als er am Käfig vorbei kommt, sagt er kurz: „Ich hätte dir den anderen Weg geboten, das wäre schneller gegangen. Aber du warst schon immer ein Dickkopf.“
Ich hätte ihm gerne geantwortet, nur der Knebel hindert mich daran. Er liest scheinbar die Antwort von meinem Blick ab, denn er fährt leise flüsternd fort: „Ich bin nicht der herzlose Mensch, für den du mich hältst. Früher habe ich dich geliebt, Sohn.“ Dann dreht er sich um und geht mit raschen Schritten fort. Ich sehe nur mehr seinen sehr geraden Rücken, das ergraute kurz geschnittene Haar und den militärischen Gang. Vater!
Als der Gerichtssaal beinahe leer ist, entfernt ein Wächter den Knebel und ich rufe der Menge hinterher: „Trotz allem lohnt es sich für die Freiheit zu kämpfen! Freiheit!“
Die Übertragungseinheit schwenkt zu mir. Ganz genau dokumentieren sie, wie ich abgeführt und auf den Weg zu den Minen gebracht werde.
„Freiheit für das Volk!“, rufe ich, bevor ich wieder einen Knebel zwischen die Zähne bekomme.


Welchen Zyklus haben wir? Wie viele sind vergangen, seit ich wieder hier bin? Was ist Zeit schon – ein dehnbarer Begriff, der die Einheiten des Lebens einteilt, in ein Vorher und Nachher. Es gab ein Vorher, ein Nachher wird es nicht mehr geben. Warum denke ich so viel? Ich weiß wer ich bin. Alle anderen hier kennen nur ihre Häftlingsnummer.
Ich bin Sevin und das lasse ich mir nicht nehmen.
Sevin Libertas.
Das darf ich nicht vergessen, hier in der ewigen Düsternis und Schwüle. Die Luft ist heiß und kalt gleichzeitig, sie steht still und ist manchmal so dicht, dass man sie schneiden könnte.

Wie viele hier in den Minen ihr Dasein fristen müssen, kann ich nicht sagen. Jeder Stollen hat seine eigenen Arbeiter.
Sklaven.
Sklaverei – das scheußlichste, was man einem Menschen antun kann, ihm seine Identität rauben und zum Gegenstand zu machen, zu einem Ding, nein weniger als ein Ding, denn ein Ding hat einen Wert. Ein Sklave in den Minen hat keinen. Hier sind nur Kriegsgefangene und Regimegegner. Wir müssen für das Volk der Andorie-Allianz nach diesem verdammten Erz graben, das niemand wirklich braucht, aber doch alle Welt haben will.

Ein Peitschenhieb trifft mich am Rücken. Ich bin wieder einmal zu langsam. Das Denken hält mich von der Arbeit ab. Ich sollte mehr arbeiten, dann würde ich nicht so oft geschlagen werden. Irgendwann werden sie mich zu Tode prügeln. Ich werde froh sein darüber und ihnen ins Gesicht lachen.

Heute – was ist heute? – ist der Arbeitszyklus früher beendet. Was hat das zu bedeuten?
„Du da!“, brüllt ein Wächter. Er zeigt auf mich. Mühsam richte ich mich auf, streiche das Haar aus dem Gesicht und sehe ihm in die Augen. Ich weiß, dass das verboten ist, dennoch mache ich es.
Das ist meine Freiheit!
Die Freiheit der Gedanken und die Freiheit jemandem ins Gesicht zu sehen, wenn ich will.
Erkennen spiegelt sich in den Augen des Mannes.
Er sagt kein Wort, sondern bringt mich zum Grubenaufzug.

Die Sonne blendet mich und ich erkenne nicht, wer am Stollenausgang steht. Der Wächter geht so schnell, dass ich ihm kaum folgen kann. Es kommt mir so vor, als möchte er eine unangenehme Pflicht möglichst schnell hinter sich bringen. Ich schnaufe hinter ihm drein.
Nach und nach gewöhne ich mich an das Licht. Die Luft ist frisch und angenehm. Ich sauge sie tief ein und erfreue mich daran. Was auch immer hier auf mich wartet, das ist es wert!
Es ist die Freiheit des Augenblicks, das Licht zu sehen, auch wenn der Weg nur Dunkelheit verheißt. So sagt man doch, dass man zum Licht nur durch Finsternis gelangen kann. Ich glaube nicht wirklich daran, weil das Licht in jedem von uns ist. Manchmal ist es nur ein Fünkchen, kaum mehr als ein Glimmen, und ein andermal brennt es wie das hellste Leuchtfeuer. Gerade eben fühle ich wie sich die Flamme in mir erneut entfacht.

„Freiheit“, sage ich, als ich vor dem Exekutionskommando stehe. „Ich bin Sevin Freiheit! Ihr könnt mir das Leben nehmen, die Identität, mir die Knochen brechen – aber nie werdet ihr die Freiheit besiegen.“
Im Hintergrund sehe ich Vater stehen, in seiner Galauniform. Er salutiert vor mir. Ich habe Tränen in den Augen. Vater! Du hast mich doch nicht vergessen!
Zum letzten Mal singe ich das Totenlied, es ist meines und dann werde ich endlich zu Stella gehen.

Zu viel Leid
Menschen gebrochen
zu viel Blut
hab ich gerochen
zu viel Elend
hat Hoffnung zerstört
zu viele Gedanken
werden niemals gehört
zu viele Tränen
kann sie nicht mehr weinen
zu viele Tränen
Augen leer und blind erscheinen

Ich habe keine Tränen mehr.
Liebe wünschte ich so sehr
Freiheit, Hoffnung auf ein Leben
ich kann sie mir selber nicht mehr geben.

Ich grüße das Licht
die Liebe, die Hoffnung
das Leben!
Anmelden und mitreden
Du willst mitdiskutieren?
Werde kostenlos Mitglied, um mit anderen über heiße Themen zu diskutieren oder deine eigene Frage zu stellen.