Mehr brandheiße Inhalte
zur Gruppe
Young Man - Mature Woman
3049 Mitglieder
Das Thema ist für dich interessant? Jetzt JOYclub entdecken

Re-Upload: Gassenkeilerei, Fortsetzung

*****ine Mann
912 Beiträge
Themenersteller 
Re-Upload: Gassenkeilerei, Fortsetzung
Nachdem mein Re-Upload einer schon älteren Geschichte einen so positiven Anklang fand, habe ich mich entschlossen, auch die Fortsetzung von seinerzeit nochmal hier einzustellen. Viel Spaß beim Lesen!



Belagerungen, das ist Hauptmann Theodor Achtzigers feststehende Meinung, sollten eigentlich nur im Süden stattfinden dürfen. Des Klimas wegen.
Man merkt eigentlich gar nicht, dass Winter ist. Nicht so richtig, zumindest. Südlich der Schwarzen Berge, sogar noch südlich der immergrünen, fruchtbaren Weideländer Bretonias, ist es das ganze Jahr hindurch angenehm warm und mild. Kein Vergleich mit den vom ersten Herbstregen und Wind bestrichenen Schanzen vor Hergig. Zuhause, im Reikland, ist vermutlich schon der erste Schnee gefallen, und die Bauern haben das letzte Vieh schon vor zwei Wochen in die Ställe getrieben. Und weiter nördlich, im Middenland, nördlich des Drakwaldes und des Ulricsberges? Oder ganz im Norden, an der Küste der Klauensee? Dort sieht man zu dieser Jahreszeit nur noch die gefürchteten Langboote der Nordmänner, und gelegentlich noch einen abenteuerlustigen Kauffahrer mit Salzfisch und Pelzen aus Erengrad, der Kurs auf die eisfreien Buchten von Dietershafen oder Marienburg gesetzt hat.

Hier unten, fast am Schwarzen Golf, kann man abends noch bequem mit aufgekrempelten Ärmeln im warmen Stroh am Lagerfeuer liegen, dem Absingen schmutziger Lieder lauschen und die Sterne betrachten. Würde man der Straße noch etwa eine Woche folgen, gelangte man an die Hafenstadt Matorca. Von dort könnte man entweder den Golf hinunter segeln zu den Kaufmannsstädten Mantuas und Tileas, oder hinauf bis an seine Mündung nach Barak Varr, Festung und Kriegshafen der Zwerge. Noch weiter südlich, jenseits des Golfs, liegt die große Wüste, und wer es schafft, sie lebend zu durchqueren, ohne der sengenden Sonne oder den zahllosen wilden Orks zum Opfer zu fallen, der käme zu den letzten Hochfestungen des Zwergenvolkes im südlichen Weltrandgebirge.

Die Frischlinge haben es allerdings noch nicht kapiert, welches Glück sie eigentlich haben, ausgerechnet Akendorf belagern zu dürfen, die größte Stadt der Grenzgrafschaften. Ihr beständiges Gemaule gibt Achtzigers Gedanken eine neue Richtung. Die Rekruten von heute sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Die Kerle werden von Jahr zu Jahr schmächtiger und verweichlichter, von aufsässig und großmäulig gar nicht zu reden. Die Feldwaibel sind ständig nur noch damit beschäftigt, für diese Maulhelden Kindermädchen zu spielen. Eine ordentliche Extrarunde Drill am kommenden Morgen wird denen die Flausen schon austreiben. Wenn Achtziger so an seine eigene Zeit als einfacher Hellebardier zurückdenkt… damals…
Gerade plustert sich schon wieder einer der Kerle in Achtzigers Hörweite auf, hat anscheinend an der Verpflegung etwas auszusetzen. Dabei kann er eigentlich froh sein, dass es überhaupt was gibt. Beim Anwerben lautet das Angebot nach wie vor: „Komm zur Armee, sieh die weite Welt und triff interessante Menschen.“ Von regelmäßiger Verpflegung ist da nirgends die Rede. Gut, zugegeben, dass die Mehrheit der interessante Menschen, auf die man regelmäßig trifft, einen töten möchte, davon sagt auch keiner was. Aber früher musste man den Jungspunden halt noch nicht jedes Detail einzeln erklären, das konnten die sich selber denken.

Der Hauptmann hält in seinem ziellosen Spaziergang durch das nächtliche Feldlager inne, hockt sich im Lichtschein des Lagerfeuers nieder, an dem das Großmaul sitzt, und blickt in die Runde. Den Burschen bleibt der Mund offen stehen, als sie ihn erkennen. Einige machen Anstalten, aufzuspringen.
„Bleibt sitzen, Kerls!“ knurrt er und zieht einen Mundwinkel hoch. „Ist das Bier da drüben?“
Einer beeilt sich, die Kanne durchzureichen, ein anderer steuert einen Becher bei. Achtziger nimmt einen langen Zug. Bevor er jedoch zu einer weit ausholenden Lektion über die Vorzüge des Soldatenlebens im Süden ansetzen kann, kommt ihm einer der Grünschnäbel zuvor.
„Haben Sie eigentlich schon viele Belagerungen mitgemacht, Hauptmann?“
Achtziger lacht leise. Der Junge sieht aus, als wäre er noch nicht alt genug, um sich täglich rasieren zu müssen. Die Uniform hängt an ihm wie ein Kartoffelsack, aber er versucht tapfer, sich einen Schnurrbart zu züchten, um ein wenig erwachsener auszusehen.
„Junge, ich diene unter Bergheimer dem Belagerer, seit ich Hauptmann bin, und der Mann hat seinen Spitznamen nicht ohne Grund.“ Man kann den Gesichtern der Jungs deutlich ansehen, dass sie nun alle zu schätzen versuchen, wie lange das wohl schon zurückliegen mag, aber keiner traut sich, offen eine Vermutung zu äußern. Das ist auch besser so für die Bande… Achtziger mag auch gar nicht wirklich darüber nachdenken.
„War’s irgendwann mal richtig arg?“
Wann ist eine Belagerung mal nicht richtig arg, möchte Achtziger bissig zurückfragen, er besinnt sich jedoch eines Besseren. Diese jungen Burschen sind ja eigentlich in der Mehrzahl brave und mutige Kerls, und er will ihnen nicht den Mut nehmen. Die finden schon noch selber heraus, welches Leben ihnen bevorsteht. Er streckt die Hand mit dem Krug erneut aus und lässt sich nachschenken.
„Na ja, Jungs, also wenn ihr schon danach fragt…“ Und Theodor Achtziger besinnt sich zurück. Zurück auf die Belagerung von Schloss Drakenhof. Als der Bergheimer versuchte, die Toten auszuhungern…

Schloss Drakenhof, im östlichen Sylvanien am Fuß der nördlichen Ausläufer des Weltrandgebirges gelegen, ganz am östlichen Rand des Alten Reiches, gerade südlich der Ostermark. Stammsitz und Zwingburg des Vampirgeschlechtes derer von Carstein, Thronfestung Vlad von Carsteins und seiner Gemahlin Isabella, den selbsternannten Herren über die Grafschaft Sylvanien – auch wenn die Zeiten, in denen sie diese Schreckensherrschaft auch durchsetzen konnten, zu Ende gegangen waren.

Der Imperator wusste, dass er die Rohstoffe Sylvaniens für den bevorstehenden Feldzug gegen die Provinz Stirland brauchen würde. Vieh von den Weiden Schwartzhafens, Korn aus Fort Obersteyr, Holz aus den Sägemühlen von Tempelhof, Obst und Branntwein aus der stark befestigten Grenzsiedlung Eschen. Nicht zu vergessen die tüchtigen und wehrhaften Einwohner der Provinz, die das Schreckensjoch der von Carsteins reichlich satt haben und nur allzu froh über die Gelegenheit sind, den Speer gegen die marodierende Brut von Untoten und Totenbeschwörern zu erheben, die über Jahrzehnte ihr Land heimgesucht haben. Thomas Gutbub, der kaiserliche Markverweser von Sylvanien, hatte keinerlei Schwierigkeiten, Freiwillige für seine Miliz zu finden, aber er hatte auch zu keinem Zeitpunkt Schwierigkeiten, Arbeit für die Jungs zu finden. Wenn es nicht gerade freilaufende Zombies waren, war es irgendein Strigoi oder sonstiges lichtscheues Ungetüm, das die Dörfer und Weiler der Provinz in Schrecken versetzte. Der Gutbub ist vermutlich der berüchtigtste Duellant des gesamten Alten Reiches, ein wahrer Meister mit dem langen, geflammten Beidhänder, und er lässt es sich nicht nehmen, eigenhändig jedes Monster zur Strecke zu bringen, dass ihm vor die Klinge kommt. Achtziger hatte kurz die Gelegenheit, ihn kennenzulernen. Gerüchten zufolge sollte er ein unehelicher Sohn des Kurfürsten von Averland sein. Dass er ein regelrechter Bastard war, glaubte Achtziger schon vom Anschauen her.

Theodor Achtziger war als Emissär des Bergheimers nach Burg Schwartzhafen entsandt worden, um vom Imperator, der dort mit seinem Heerzug fouragierte, neue Weisung und Instruktion einzuholen. Er hatte mit an der abendlichen Tafel des Hohen Herren gesessen und gespeist, als ein weiterer Abgesandter in die Halle getreten war – einer, mit dem wahrhaftig niemand gerechnet hätte: Isabella von Carstein.
Totenstille war schlagartig eingekehrt, als sie im Licht der Kronleuchter am Fuße der langen Tafel erschienen war. Niemand vermochte zu sagen, wie sie an den zahlreichen Wachen vorbei hatte eintreten können, aber da stand sie.
Sie musste im Leben eine ausnehmend schöne Frau gewesen sein. Im Tod war sie von strahlender, makelloser Schönheit, und ihre wilde Mähne schwarzer Locken hob sich von ihrer marmorfahlen Haut ab. Gekleidet in ein edles, nachtschwarzes Kleid aus Samt und teurer Spitze, das Haupt provokant entblößt, nur von einer dünnen, silbernen Tiara gekrönt, so stand sie aufrecht im Angesicht des Imperators, ohne jedes Anzeichen von Scham, und bot sich den Blicken der entgeisterten Edelleute ungerührt dar, während Arroganz und Verachtung wie eisiger Wind von ihr ausstrahlten.
„Die Aristokratie der Nacht bietet euch Frieden und euer Leben“, waren ihre Worte gewesen, in einem seltsam altertümlichen Akzent gesprochen, und jeder im Raum hatte sie klar vernehmen können. „Frieden und euer Leben, im Tausch dafür, dass ihr Drakenhof und seine Ländereien auf alle Zeiten unbehelligt lasst.“
Der Imperator hatte sich langsam erhoben und Blicke mit Isabella gemessen, und trotz seiner Jugend war er nicht wankend geworden. Dann hatte er vom Boden neben seinem Stuhl seinen schweren Kriegshammer aufgehoben und ihn auf dem Tisch gelegt. „Meine Bedingungen pflege ich meinen Feinden hiermit zu diktieren“, hatte er entgegnet, „und das soll eure Antwort sein.“
Isabella von Carstein hatte mit einer herrischen Bewegung ihres Kopfes, ohne ein weiteres Wort, den Saum ihres Kleides zusammengerafft und sich über den Balkon des Bankettsaales gestürzt, und keine Spur von ihr war in dieser Nacht in der gesamten Burg mehr gefunden worden.

Und am nächsten Morgen hatte Theodor Achtziger seine Befehle für den Bergheimer in seiner Satteltasche, eine Woche später brannten die Wälder, Scheunen und Bauernhäuser Drakenhofs lichterloh, und ihr Flammenschein leuchtete von den schwarzen Mauern von Vlads Schloss wider.
Der Vampirgraf hatte zur Verteidigung gerüstet. Auf dem Anmarschweg hatte Achtziger keinen Friedhof gesehen, der nicht umgepflügt und aufgewühlt gewesen wäre. Und auf den Zinnen von Schloss Drakenhof standen beileibe nicht nur die Toten Wache: die Garde des Schlossherren bestand aus gut gerüsteten und geübten Gefolgsleuten, welche des Tages für ihn die Wacht hielten, und des Nachts standen zwischen ihren Reihen zahlreiche Vampire von schwächerem Blut und geringerem Status als Unterführer.

In die Reihen des Bergheimers waren der Gutbub und seine Milizen getreten, und es hatte Gerüchte gegeben, dass sich auch eine Streitmacht von Zwergen aus der Festung Zhufbar dem Unternehmen anschließen würde. Die Zwerge von Zhufbar und Karak Kadrin hatten mit den Umtrieben des Vampirgrafen auch ihre liebe Not gehabt, und ihr Gedächtnis für gegen sie begangene Untaten reichte lückenlos ebenso weit zurück wie das der Vampire. Achtziger hatte auf diese Unterstützung gehofft. Eine Armee der Zwerge auf dem Marsch glich einem von Kopf bis Fuß in Eisen geschlagenen Tausendfüßler, und ihre Sappeur-Ingenieurs hätten mit Feuerbüchsen und Pulvertonnen die Mauern des Schlosses binnen eines Tages mit Breschen überziehen können. Doch die Tage verstrichen, und keine Zwerge ließen sich blicken, von gelegentlichen Kundschaftern abgesehen.

Also musste es doch wieder mit eigener Hände Arbeit zu Werke gehen, und erneut zog der Tag der Belagerungstürme und Kesselpauken herauf.
Theodor Achtziger hatte einmal den bitteren Witz gemacht, dass das heimliche Erklimmen von Festungsmauern im Rücken des Feindes eine Arbeit für Hexenjäger und Milizionäre sei. Das Lachen war ihm im Halse stecken geblieben, als er auf Burg Schwartzhafen hatte feststellen müssen, dass es im Heerbann des Imperators wahrhaftig ein Haufen Milizionäre und ein Hexenjäger waren, die regelmäßig und wie selbstverständlich genau jene Arbeit verrichteten. Und um sich hatte dieser finstere Geselle genau jenes dreckige halbe Dutzend von zwielichtigen Halsabschneidern geschart, das man an dieser Stelle erwartete: Straßenräuber und Galgenvögel, Meuchelmörder und Mietmesser, Volksverhetzer und Steuereintreiber.
Verglichen damit sind der Gutbub und seine sylvanischen Spießträger regelrecht heitere Zeitgenossen.
Warum der Bergheimer ausgerechnet wieder ihn für dieses Unterfangen eingeteilt hat, und ausgerechnet noch mit einer derartigen Verstärkung, kann sich Theodor Achtziger nur allzu gut erklären, und diese Erklärung schmeckt ihm in keinster Weise. Aber Weisung ist Weisung, und wenn er ehrlich ist, ist er sich über zwei Dinge auch sehr genau im Klaren: auf den Wall müsste er so oder so, entweder hier oder mitten in die Reihen der Verteidiger hinein, und mit dem Gutbub und dessen langem Schwert an seiner Seite steigen seine Überlebenschancen um ein Beträchtliches.

Vorne vor dem Haupttor gibt es diesmal keine künstliche Zurückhaltung zu üben. Die Batterien der Feuerschlünde krachen und senden heulende Geschosse gegen die Zinnen. Musketenkugeln und Armbrustbolzen prasseln ohne Unterlass gegen den glatten Stein der Mauern oder zwischen die dicht gedrängten Ränge der Verteidiger auf dem Wall. Finstere Zauberei verdunkelt an diesem Tag den Himmel, so dass auch die Vampire sich offen auf der Zinne zeigen können ohne das Sonnenlicht fürchten zu müssen, und aus diesem finsteren Himmel stürzen sich riesige Fledermäuse kreischend auf die dicht gedrängten Reihen der Soldaten herab, stoßen Reiter von ihren Pferden und versetzen die Formationen in Angst und Schrecken, dass die Hellebardiere panisch schreien und durcheinanderlaufen, wenn ihnen so ein hundsgroßes Biest an den Kragen will.

Über dem Lärm muss Achtziger seine Stimme erheben, um verstanden zu werden. „Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt.“
Der Gutbub nickt. Er mag ein Bastard sein, aber er kennt sein Handwerk, und auch seine Männer. Der Vortrupp geht an die Mauer, die Leitern schlagen oben an. Diesmal sind die Enden sorgsam mit Leder und Stricken umwickelt, und natürlich spielt es diesmal bei dem ganzen Krawall nicht die geringste Rolle. Achtziger verkneift sich während des Aufstiegs ein um das andere saftige Schimpfwort.

Wie er beinahe oben ist, strecken sich ihm von oben helfende Hände entgegen, und ohne nachzudenken ergreift er eine davon, zieht sich den letzten Meter nach oben auf die Zinne und holt erstmal tief Luft. Wie er sich aber umwendet und seinem unbekannten Helfer danken will, erkennt er, was er sich eigentlich hätte denken können: die Hand, die er ergriffen hatte, war nicht zur Hilfe ausgestreckt gewesen, und sie gehört keinem Lebenden.
Ihm gegenüber stehen wankend zehn, fünfzehn, vielleicht zwanzig Untote und starren ihn aus blicklosen Augen an. Verrottete Fetzen von Kleidung, Fleisch und Haut hängen ihnen von den Knochen, ein beißender Gestank geht von ihnen aus. Der ihm zunächst stehende macht einen unbeholfenen Schritt nach vorne und streckt erneut die Arme aus.
Achtziger stößt einen unfreiwilligen Schrei aus, taumelt zurück und reißt das Schwert heraus, noch im Bogen aufwärts beißt sich die Klinge durch Fleisch und Knochen, aber er muss erneut einen Schritt weichen, um Schwung holen zu können. Der erste Spießträger, der die Zinne erreicht, wird von seiner Leiter gezerrt und kreischt, als ihn ein Dutzend Hände und Kiefer regelrecht in Stücke reißen. Achtziger stemmt wütend den Fuß ein und haut zu, diesmal trennt der Hieb einen Kopf herunter, und der dazu gehörende Rumpf sackt in sich zusammen. So geht das Spielchen also.

„Hauptmann! Zurück!“ Es ist der Gutbub, dessen Stimme hinter ihm ertönt. Er hat auf dem Wehrgang hastig einen Schildwall formiert. Eine dünne Linie ist es nur, eine Handvoll Männer, aber der Wall steht, und jetzt kommt ein Sturmkeil in Gang. Was oft geübt wurde, klappt auch gegen die Toten: jeder von ihnen, der gegen die übereinander geschlagenen Schilde anrennt, wird kurzerhand niedergehauen. Binnen Kurzem ist der Wehrgang geräumt, und das Aufsteigen der restlichen Männer kann geordnet vonstattengehen. Achtziger nutzt die wenigen Augenblicke, um sich zu orientieren.

Vorne am Wall sind die Rampen gefallen. Der Bergheimer versucht, den Trick mit den Flagellanten von der Belagerung von Hergig zu kopieren, und auch diesmal stürzen sich die Fanatiker auf den Feind, ohne jegliche Angst oder Zurückhaltung. Aber auch die Toten weichen nicht und fürchten sich nicht, und nun muss die schiere Übermacht entscheiden. In die Haufen auf dem Wall krachen rücksichtslos die Granaten der Feuerschlünde.
Der Gutbub deutet hinab in den Innenhof. „Das Tor ist gerammt! Jeden Moment brechen sie durch. Wir müssen herab, den Verteidigern in den Rücken.“
Er hat Recht. Im Torhaus drängt sich die schwer gerüstete Garde des Vampirgrafen, deutlich kann Achtziger in ihrer Mitte die hochgewachsene, vollständig in schwarzen Stahl gekleidete Gestalt Vlad von Carsteins persönlich erkennen, auf dessen Schild leuchtend rot auf schwarz sein Familienwappen prangt. Ihm gegenüber drängen sich der Bergheimer und Ulrich Gladschizer an der Spitze ihrer Männer heran, um die Entscheidung zu erzwingen. Der Zusammenprall der beiden gerüsteten Haufen, vom steinernen Bogen des hohen Torhauses noch verstärkt, ist über den gesamten Platz zu hören.

Der Gutbub wendet sich soeben um, als ein Schatten über ihn fällt, und mit einer Erschütterung, unter welcher die steinernen Fliesen des Laufgangs splittern und als Staub in die Luft gewirbelt werden, landet der riesige Strigoi keine drei Meter von Achtziger entfernt.
Das Biest ist gewaltig, gut und gerne zwei und einen halben Meter hoch, nichts als graues, ledriges Fleisch, kurzes, struppiges Fell, spitze Ohren und stinkende Schwingen, die sich seine unnatürlich langen Arme entlang ziehen. Ohrenbetäubendes Brüllen entringt sich seinem Rachen, dessen weiß glänzende Zahnreihen lang wie Messer hervorstechen. Achtziger glaubt, seinen Augen nicht trauen zu können. Mehrere seiner Männer ergreifen schreiend die Flucht.
Die sylvanischen Spießträger sind den Anblick solcher Kreaturen offenbar gewöhnt und schrecken nicht so schnell zurück. Angriffslustig recken sie ihre Spieße nach vorne.
Der Strigoi holt mit einer krallenbewehrten Pranke aus und fegt fünf von ihnen mit einem einzigen Schwung über die Brüstung in die Tiefe, bevor er sich auf seinen Armen und seinen kurzen Hinterbeinen nach vorne schiebt. Schildwall und Spießträger weichen vor ihm zurück. Erneut reckt das Biest den Hals und brüllt.

Thomas Gutbub stellt sich ihm in den Weg, vollkommen alleine, das lange Schwert über die Schulter erhoben, die Fußstellung locker und präzise wie auf dem Fechtboden. Er speit dem Monster verächtlich vor die Füße. „Runter von meiner Mauer, du Drecksack!“
Eine Sekunde der Stille tritt ein, in der man lediglich den heulenden Wind und das Toben des entfernten Zusammentreffens hören kann. Dann platzt dem Strigoi angesichts dieses dreisten Besitzanspruchs der Kragen. Er holt Luft und röhrt den Gutbub aus Leibeskräften von oben bis unten an, dass dem die Federn am breiten Hut nach hinten gedrückt werden. Dicke Speichelfäden fliegen in alle Richtungen. Weit holt er mit einer mächtigen Pranke aus, um den einzelnen Widersacher von der Mauer zu fegen.
Der Gutbub duckt sich unter dem Hieb weg, pfeifend zerreißen die Klauen die leere Luft, dann blitzt der Beidhänder in einem singenden Bogen nach oben. Die Bestie taumelt zurück, eine blutige Furche klafft plötzlich in ihrer bepelzten Brust. Seinem Rachen entringt sich ein gequetschter Laut der Überraschung und des Schmerzes.
Und nun drängen die Spießträger wieder nach vorne, ihrem Anführer zur Seite, und stoßen dem Monstrum aufs Neue ihre stählernen Spitzen entgegen. Neuen Wunden tun sich in Armen und Flanken des Strigoi auf, wiederum weicht er einige unbeholfene Schritte zurück und brüllt, diesmal ganz deutlich mehr vor Pein denn vor Wut. Der Gutbub bleibt ihm unbarmherzig auf den Fersen und drängt auf seinen eigenen Vorteil. Die Spitze des Beidhänders schnellt pausenlos vor und zurück. Achtziger und seine Männer sehen dem Treiben mit offenen Mündern staunend zu.

Dann ist das Biest offensichtlich des Spielchens überdrüssig oder verliert die Nerven. Kopfüber stürzt er sich kreischend von der Wallkrone, streckt im Fallen die Schwingen auseinander und erhebt sich flatternd in den verfinsterten Himmel. Binnen weniger Augenblicke ist sein dunkler Umriss zwischen den Türmen der Festung verschwunden.
Der Gutbub speit ihm wütend hinterher. „Komm sofort zurück und kämpf wie ein Mann!“ Es nützt nichts. Das Monstrum ist auf und davon. Er wendet sich zu Achtziger um. „Ich hasse die Sorte. Großes Maul, aber nie was dahinter. Gehen wir uns den von Carstein holen, ich hoffe, der Schweinehund macht eine bessere Figur als seine Haustiere.“

Als sie unten vor dem Torhaus anlangen, ist der Widerstand dort jedoch bereits niedergerungen. Im Torbogen trifft Achtziger auf den von Kopf bis Fuß mit Blut bespritzten Gladschizer. Schmerz und Ermattung zeichnen das Gesicht des Priesters, und schwer stützt er sich auf seinen Hammer.
„Der Wall und der äußere Hof sind in unserer Hand, Hauptmann. Nur der innere Hof und der Bergfried wehren uns noch, aber die räuchern wir auch noch aus.“
„Der Bergheimer?“
„Drinnen im Torhaus. Die Feldscher sind bei ihm. Ist mit Vlad aneinandergeraten.“
„Und… Vlad?“
Ulrich Gladschizer schüttelt den Kopf und richtet den Blick nachdenklich auf die jenseits der Mauern gewaltig emporragenden Bergspitzen. „Keine Spur, von ihm nicht, noch von Isabella. Aber von denen haben wir noch nicht das Letzte vernommen, soviel steht fest.“
Achtziger nickt mit grimmigem Verstehen. Drakenhof ist weggenommen, das letzte Hindernis auf dem Weg des Imperators nach Stirland zur Seite gedrängt, und doch ist das Werk nur zur Hälfte vollendet. Sei’s drum, sollen der Gutbub und seine Spießgesellen die Arbeit erledigen, die jetzt zu tun bleibt. Die Provinz wird noch auf Jahre hinaus von Unruhen wie von Fieberkrämpfen geschüttelt werden. Auf Theodor Achtziger warten mit Sicherheit bereits neue Aufgaben.
Anmelden und mitreden
Du willst mitdiskutieren?
Werde kostenlos Mitglied, um mit anderen über heiße Themen zu diskutieren oder deine eigene Frage zu stellen.