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Daniel

Daniel
Der Anruf kam am Sonntagnachmittag. Die Frau räumte gerade die Spülmaschine nach einem späten Mittagessen ein. Ihr Mann nahm den Anruf entgegen.
Eine Katastrophe kommt nie. Sie ist immer schon da, sogar schon eigentlich vorbei, sie ist bereits Vergangenheit, wenn sie einen trifft. Eigentlich sind es zwei Katastrophen, die nacheinander geschehen: Der reale Unfall an einem anderen Ort, zu einer früheren Zeit, der ein Leben auslöscht, und die Nachricht von der Katastrophe, die das Leben der Angehörigen zerstört.
Als sie das Gesicht des Mannes sah, der lautlos zu ihr in die Küche gekommen war, hielt sie sich unwillkürlich an der Tischkante fest. Ehe sie fragen konnte, verzerrte sich sein Gesicht zu einer Grimasse des Schmerzes und er hob die ausgebreiteten Arme in einer hilflosen Geste: „Daniel...!“ stöhnte er und ging auf sie zu.
Doch sie war schon zu Boden gegangen. Durch ihre Hände, die sie vor das Gesicht geschlagen hatte, schrie sie: „Er ist tot, ich weiß es, er ist tot, er ist tot, er ist tot....“ und sie hörte mit der Wiederholung dieses Satzes nicht auf, bis er ihr seine großen Hände vor Mund und Nase hielt. Da schrie sie weiter, lautlos, ihr Körper schrie, ihre Hände krallten sich in seine Arme, ihre Beine strampelten und traten gegen Tisch- und Stuhlbeine, ihr Rumpf bäumte sich auf und fiel zusammen. Und weiter unter seinen Händen ihr zum Schrei aufgerissener Mund.
So rangen sie miteinander und rangen so mit der schmerzvollen Wahrheit. Als ob zwischen ihnen der Tod, der gnadenlose Räuber, läge, und sie ihm ihr Kind noch einmal entreißen könnten. Eine Ewigkeit wälzten sie sich über den Fußboden, wehrten sich mit aller Macht gegen das Begreifen, gegen die Gewissheit ihrer Ohnmacht, die Zeit zurück drehen und die Katastrophe ungeschehen machen zu können. Atemlos keuchten sie, die Wucht des Schmerzes ließ ihnen noch keine Luft für ein Weinen.
Irgendwann verließ sie die Kraft sich weiter zu wehren. Die Arme der Frau wurden schlaff, die Beine und der Rumpf entspannten sich, und der Mann konnte seinen Griff lockern. Blut floss wieder in die weißen Knöchel. Sie fielen erschöpft auseinander wie nach einem heftigen Liebesakt.
Der Mann rannte zur Toilette. Er musste sich übergeben. Die Frau richtete sich schwer atmend gegen das Tischbein auf. Als er wieder zu ihr kam, fragte sie flüsternd: „Wie ist es passiert?“

Daniel war auf dem Weg nach Hause an einen Baum gefahren und in seinem Auto verbrannt.
Das Namenlose, das gibt und nimmt, hatte ihr nicht einmal einen Leichnam von ihrem einzigen Kind gelassen. Dieses Namenlose hatte Hunderte von Kilometer zwischen sie und diesen Baum gespannt, hatte die Asche ihres Sohnes erkalten lassen, bevor sie auch nur davon erfuhr. Zwischen ihr und ihrem Kind waren kiloweise Autometall, waren Anrufe von Unfallzeugen, Polizisten in Uniform, Beamte, die Identitäten des Opfers und der Verwandten in Computern suchten, die telefonierten und recherchierten. Das Namenlose hatte zugeschlagen in der Fremde, hatte ihr Kind alleine sterben lassen, seine Überreste von Fremden finden lassen, seine Asche war in einem fremden Land und sie, die Mutter hatte nichts. Ihre Arme waren so leer wie ihr Unterleib. Keine Vorahnung hatte ihr einen Abschied geschenkt. Sie hatte in der Sterbestunde ihres Kindes geschlafen. Kein Alptraum hatte sie gewarnt, kein Schrei aus einer anderen Welt hatte sie erreicht. Konnte sie so laut schreien, dass dieser Schrei reichte bis an die Seele ihres toten Sohnes?. Oder gab es keine andere Welt, keinen Platz für eine des Körpers, des Lebens beraubte Seele? Gab es nur diesen Rest verbrannte Asche?
Und sie schrie. Wenn das Namenlose sie nicht hörte, wenn ihr Sohn sie nicht hörte, so doch die ganze lebendige Welt.
Der Mann stürzte sich auf sie und legte seine Hand wieder über ihren Mund.

Danach gab sie das Wehren auf. Nahm den Schmerz an, ließ die Messer und das Feuer der Qual durch ihren Körper rasen und begann ihren Sohn zu beweinen. Sie schloss sich ein und versank in ihrem Schluchzen, bis ihre Kehle wund war.

Nach drei weiteren Tagen waren die Untersuchungen abgeschlossen und eine Urne wurde ihnen übersandt.
Die stand auf dem Tisch im Wohnzimmer. Verschlossen. Ein Fremdkörper in ihrem Haus, in ihrem Leben. Was hatte dieses Ding mit ihrem Sohn zu tun, mit ihr? Hatte sie das geboren, gewickelt, gefüttert, bei Spaziergängen an der Hand gehalten, nachts in den Schlaf gewiegt? War das der Lohn für ihre Mühen und ihre Ängste? Für all ihre Liebe? Sie schloss die Wohnzimmertür und ging nach oben.
Der Mann erledigte alle Formalitäten. Sie blieb im Bett.
Am Tag der Beisetzung bat er sie aufzustehen. Sie schüttelte den Kopf. Er hob sie aus dem Bett und zog sie an. Sie ließ es geschehen. Auch dass er sie ins Auto setzte und zur Kirche fuhr. Er nahm sie an der Hand und führte sie in die Kirche. Die war leer bis auf den Pfarrer und den Messdiener. Der Mann hatte dafür gesorgt.
Als der Pfarrer darum bat, Gott möge die Seele des Gestorbenen gnädig aufnehmen, stand sie auf. Sie ging zu dem Tisch, auf dem die Urne stand und nahm sie.
„Ich lasse mir mein Kind von diesem Gott nicht noch einmal wegnehmen!“
Langsam ging sie mit der Urne im Arm durch den Mittelgang aus der Kirche und wartete am Auto auf ihren Mann.


©tangocleo 2009
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
bedrückend geschrieben. Sehr dicht erzählt.


Herta
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
Ehrlich - ich hab einen dicken Klos im Hals ...

Was für ein intensiver Text!

(Der Antaghar)
die Geschichte ist schon ein paar Jahre alt - und auch meine Augen füllen sich jedes Mal mit Tränen, wenn ich ihn wieder lese und an den Schmerz meiner Freunde, die ihren Sohn verloren, denke...
Und alles kam wieder hoch ..........
der Anruf aus dem Krankenhaus ....
die Fahrt dorthin............
und dann das kleine Mädchen im Bett..............
keine zwei Jahre alt ..............

ich höre mich noch heute schreien .............

dann eine Flasche Korn .............
und ich war so nüchtern wie noch nie vorher ...............

die nächsten Tage ???????

in Hausschuhen im tiefen Schnee zur Beerdigung ..........
keiner wagte es mir zu sagen ...........
ich merkte nichts , war innerlich tot .............

Dann 1 Woche hohes Nervenfieber, 40,5 Grad
mit Qwuaddeln am ganzen Körper ..............

ev
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
Mein Sohn heißt Daniel.

Und auch ich wurde, als er sieben Jahre alt war, in einer Klinik zu ihm gerufen, als sein Herz zu schlagen aufgehört hatte.

Ich bin gewiss nicht blöd, aber damals hab ich mich äußerlich wie ein Volltrottel verhalten. Ich bin zu ihm getappt wie in Trance, in einem höchst sonderbaren Zustand, ohne mir dessen bewusst zu sein, was mir eben gesagt worden war. Er hing noch an zahllosen Schläuchen, und die Ärzte schalteten langsam und leise, nach und nach, ein Gerät nach dem anderen ab ...

Und ich Volltrottel trat zu ihm, nahm seine Hand und sagte: "Hey, Dany, alles okay. Ich bin da, ich bin jetzt bei dir." Und in diesem Augenblick zuckte etwas in ihm - und einer der Ärzte schrie: "Wir haben ihn wieder!" Man schaltete hektisch alle Geräte wieder, warf mich aus dem Raum ...

Und als ich draußen war, zitterrte ich am ganzen Leib - bis man mich noch einmal rief. Und wieder geschah das gleiche, wie bei einem Druck auf die Wiederholungstaste eines DVD-Players ... nur dass ich diesmal bei ihm bleiben musste, ausgestattet mit einem grünen Kittel, Mundschutz und all dem üblichen Brimborium. Und ich musste die ganze Nacht über bei ihm bleiben. Eine Ärztin brachte mir immer wieder Kaffee und Tabletten zum Aufputschen. Und sie redete lange mit mir, vor allem nachdem mein Sohn mitten in der Nacht plötzlich aufwachte, sich alle Kabel vom Körper riß und schrie: "Ich will zu meinem Papa! Wo ist mein Papa?" - dabei hielt ich ihn im Arm.

Noch nie hatte sie, die Ärztin, jemals erlebt, dass ein Kind nach seinem Vater schreit (alle rufen anscheinend nach ihrer Mutter). Und noch nie hatte sie persönlich erlebt, was sie an diesem Abend mit eigenen Augen gesehen hatte: zwei Mal hintereinander ein Wunder, das sie sich nicht erklären konnte ... Es war ein interessantes Gespräch, das vieles für diese junge Ärztin änderte.

Erst am nächsten Morgen, als der Junge stabil war, durfte ich endlich schlafen. Und der Kerl ist heute 19, größer als ich, ist sogar weit berühmter als ich - vor allem im Internet. Und er ist ein wundervoller Mensch.

Und da wir uns auch noch ein paar Jahre lang allein durchschlagen mussten - ich als allein erziehender Vater, er leider oft genug allein zu Hause -, haben wir eine enge Beziehung und unglaublich intensive Bindung aneinander, die ein Außenstehender kaum nachvollziehen oder verstehen kann.

Insofern habe ich solch eine Geschichte nur im Ansatz erlebt, aber ich kann mir gut vorstellen, wie es mir ergangen wäre, hätte Daniel damals wirklich nicht zurück gefunden ...

(Der Antaghar)
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
@ Antaghar
das kann ich gut nachvollziehen. Als ich noch im Krankenhaus gearbeitet habe, habe ich zweimal so ähnliche Situationen erlebt.

Und als mein Bruder starb, das war ...
und ich kann noch immer nicht darüber nachdenken.
Auf jeden Fall tritt einiges davon in meinen Geschichten hervor ... sonderbar.

Cleo, deine Geschichte wühlt mich ziemlich auf ... und auch dein Bericht Antaghar.

Herta
@antaghar
ich glaube zutiefst, dass man diese Verbindung zu einem nahen Menschen hat - und ihn rufen oder zurückholen kann (solange es noch in der möglichen Zeitspanne ist) -
ich habe mit der Freundin nie darüber gesprochen, ob sie nicht doch zu dem fraglichen Zeitpunkt etwas gespürt, geträumt hat...
********ride Frau
1.212 Beiträge
@antaghar
Deine wahre Geschichte muß Cleo die Haare auf dem Rücken aufgestellt haben - mir hat sie!

JA, wir können das Schicksal verändern, und NEIN, Du hast Dich nicht, wie ein Volltrottel verhalten! Natürlich ist es medizinisch schwer nachvollziehbar, aber in diesem Fall ist es doch völlig egal! Es hat funktioniert.
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
@ SailorsBride
Ja, so ist das wohl.

Und die Ärzte in dieser Klinik haben dem - trotz der Unfassbarkeit - Rechnung getragen: Ich musste zehn weitere Tage lang dort auf deren Kosten übernachten - direkt neben meinem Sohn.

Also ist noch ein Wunder geschehen: Gestandene Mediziner haben immerhin akzpetiert und respektiert, dass da etwas war, das sie rein wissenschaftlich nicht einordnen und erklären können.

(Der Antaghar)
********ride Frau
1.212 Beiträge
@Antaghar
Jeder Arzt, der sein Eid halbwegs ernst nimmt muß es akzeptieren, daß es über medizinisches Wissen noch andere Komponente zur Genesung beitragen - sonst gäbe es ja auch keine Psycholgen - die halten auch nichts angreifbares in der Hand.

Ich habe einige Mediziner, als Freunde - sie sind oft wesentlich bessere Menschen, als ihr Ruf es zuläßt!
ufffff Cleo...
der Alptraum aller Mütter schlechthin, oder auch der Väter.
Vor kurzem war mein Sohn auf dem Abi-Fest, wollte im Auto übernachten. Ich sagte, er könnte mich auch anrufen, ich würde ihn abholen, wann auch immer. Nachts um 3 Uhr schoss ich aus dem Schlaf hoch, weil mir "einfiel" dass ich kein Telefon am Bett hatte, nicht hören würde, falls er anruft. Als ich das Telefon holte, sah ich, dass ein Anruf drauf war...Mist, dachte ich und schaute die Nummer an. Sofort erkannte ich die Nummer vom Krankenhaus.....mir blieb fast das Herz stehen...er war tatsächlich in der Notaufnahme, aber ich konnte ihn am nächsten Morgen abholen.

Für ein paar Sekunden war der Alptraum ganz nah....nicht vorstellbar, wenn wirklich was Schlimmes passiert wäre.

Diese Geschichte wühlt auf.
Nio**
Zwar
konnte ich meinem Vater und den ratlosen Ärzten nicht helfen, doch war für mich und meine Verwandten die total liebevolle Betreuung und die Offenheit mir gegenüber als Heilpraktiker wie ein Wunder, hatten wir ein Jahr zuvor doch das genaue Gegenteil während der Krankheit meiner Mutter erfahren.
Als ich einem der Pfleger gestern den Gutschein für mehrere Thermalbadbesuche überreichte und ihnen im Namen meiner Familie dafür dankte, hatte er Tränen in den Augen.
" Das tut so gut!"
Auch das ist für mich wie ein Wunder.
Trauer, Leere und tiefe Freude zugleich sind eine sehr seltsame Mischung.
gut geschriebenes bild der trauer. das eintreffen der nachricht und die folge finde ich ganz groß gelungen!
Danke! *g*
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