Vom Kino der Daumen
Herr Laut-Ohnetritt drehte sich fünf Mal um die eigene Achse, bevor er seufzte und seine Hände in den weiten Taschen seiner Latzhose vergrub, um dort sein berühmtes Daumenkino der Emotionen zu spielen. Im Moment war es einerseits die Wut, die er mit der Hilfe der Finger seiner linken Hand durchknetete und mittels des Daumens auf die Leinwand seiner linken Hosentaschen projizierte. Andererseits malte er mit seiner rechten Hand die vielgerühmte Buchstabensuppe seines wehen Sehnens auf das Innenfutter seiner rechten Hosentasche.
Er war ratlos darüber, wem er nun von beiden zuerst zuhören sollte. Seinem linken Daumen oder der rechten Hand, die ihm sowieso nie gehorchte, geschweige denn gehörte. Denn er hatte sie seiner drallen Nachbarin von gegenüber vor Jahren in einer Nacht- und Nebelaktion abenommen, weil er sie damals stets und ständig mit seinen meergrünen Mausaugen hinter den dicken Brillengläsern angehimmelt, sie ihn jedoch nur die kalte Schulter gezeigt und ihn gemeinsam mit den großen Kerlen ihrer Hausgemeinschaft vermöbelt hatte.
Nun fummelte dem Herrn Laut-Ohnetritt diese geborgte, rechte Hand ständig in seinen Anliegen herum, wiegelte ihm seine Emotionen auf, indem sie ihn im Land der Träume gefangen hielt, um ihn dort den Rest der Welt zu besorgen.
Herr Laut-Ohnetritt war nicht glücklich darüber. Aber seine rechte Hand, die er sich von seiner damals noch drallen Nachbarin ausgeliehen hatte, hatte ihn buchstäblich in der Hand. Denn nur sie wusste, wo seine ehemalige Nachbarin abgeblieben war, und nur sie kannte den Weg dorthin, wo die Gänseblümchen auf dem Hügel blühten und der Klatschmohn die Wahrheit betörte.
So sah sich der Herr Laut-Ohnetritt eines Tages in der Situation wieder, wutentbrannt einen liebesunwilligen Knauserer aus dem Daumenkino seiner rechten Hosentasche hinausgeworfen zu haben, um schließlich mit dem linken Daumen in seiner Raserei ausversehen das Kino seiner linken Hosentasche kaputt zu machen.
Mit hängenden Schultern stand er nun da und sah zu, wie alle seine Kreationen um ihn herum auf den Tischen und Stühlen sowie sonstigem Mobiliar seines Heimes Polka tanzten, waren sie doch von der Wut befreit worden und genauso wie sie an keins seiner Hosentaschenkinos mehr gebunden gewesen.
Und Herr Laut-Ohnetritt ersoff schließlich schier an diesen leisen Umständen und drehte sich dabei sieben Mal um seine eigene Achse, um daraufhin seiner ehemaligen Nachbarin zu folgen und mit ihr zusammen die Gänseblümchen zu zählen und dem Klatschmohn zuzuhören.
© CRK, G, 04/2021