Rückkehr
Das „C`est la vie“ ist noch leer. Erst gegen 10 Uhr werden sich die kleinen Tische des gemütlich eingerichteten Raumes füllen. Studenten, auf dem Weg zur Universität, schlürfen hier ihren ersten Kaffee, Geschäftsleute nehmen ihr Frühstück zu sich oder treffen Kunden.Sinnend schaut sie in die Ferne. Den Tisch in einer Nische wählte sie bewusst. Hier kann sie beobachten und träumen, ohne aufzufallen… Erinnerungen nachhängen.
Ferdinand erkennt sie sofort, als sie den Raum betritt, obwohl ihr letztes Aufeinandertreffen dreißig Jahre zurückliegt. Er beobachtet, wie sie sich umsieht, als ob sie jemanden oder etwas erwartet, kurz zögert und dann den Platz abseits des regen Treibens wählt. Soll er es wagen? Ihre leicht vorgeschobenen Schultern symbolisieren Distanz, genau wie die im Schoß verschränkten Arme. Ein leichter Hauch von Traurigkeit, ja Verlassenheit, umspielt sie, so wie früher. Doch energische, faltenreiche Gesichtszüge und wissende Augen erzählen von gelebter Energie, Durchsetzungskraft, Lebenserfahrung. Welchen Preis zahlte sie wohl dafür?
Luises Gedanken wandern in die Vergangenheit. Warum nur hatte sie ihre Reise unterbrochen, was hatte sie dazu bewogen einen Ort aufzusuchen, den sie 30 Jahre lang gemieden hatte? Noch einmal durchlebt sie die schmerzvollen Minuten, als sie die wichtigste Entscheidung ihres Lebens treffen musste. Damals, vor 30 Jahren, hier in diesem Cafè.
„Wie immer einen Kaffee und ein Stückchen Bienenstich, Luise?“
Die Stimme des Cafèbesitzers durchbricht ihren Tagtraum. Sie schreckt auf, glaubt ihren Augen nicht zu trauen. Mit strahlendem Gesicht steht ihr Kindheits- und Jugendfreund Ferdinand Wolf vor ihr. Alt ist er geworden, schießt es ihr durch den Kopf. Sein ehemals dichtes schwarzes Haar vollständig weiß, der stolze gerade Gang einem leicht gekrümmten Rücken gewichen, die sanften braunen Augen blicken müde.
„Ferdi mein Lieber! Du hier? Maria erzählte, du hättest das Geschäft schon vor Jahren deinem Sohn überlassen?“
Luises Gesicht leuchtet. Sie erhebt sich und schließt den alten Freund in die Arme. Plötzlich weiß sie wieder, was sie trieb, warum sie hierher zurückgekehrt war…
sexxyhexxi (2008)