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Der Rand

nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Der Rand
Hinter tristen Mauern verbergen sich Schicksale, gut versteckt hinter Beton und Glas. Meist sind es graue Schicksale, selten sonnengelbe und oft schwarze.
Diese grauen Wände spielen behagliche Bürgerlichkeit vor, tarnen aber auch böse Taten, unaussprechliches Nichtseindürfen und Gleichgültigkeit. So maskieren sich auch Rat- und Perspektivenlosigkeit mit einer Schicht Rouge und dickem Lippenstift.

Manche Hauswände sind dagegen mit bunten Farben angestrichen, was nach außen hin ganz hübsch aussieht, aber nichts als Maskerade ist. Die Stadterneuerung hat wohl gedacht, dass etwas Farbe auf den Fassaden, das Leben hier weniger trist macht und den fahlen Geschmack der Verwahrlosung und Armut überdecken kann.

Zwischen den Häusern ducken sich Dönerbuden und Tabakhändler, eine kleine Bäckerei scheint sich irgendwo in eine Fassade zu pressen. Gerüche vermischen sich zu einem grauen Einerlei des ewig Gleichen. Zwiebel, Brot und Autoabgase, der Gestank der nahen Fabrik vereinen sich zu einem Kreszendo aus Allewelt und Nirgends.

Aus zahlreichen Wohnungen ist lautes Geschrei zu hören, wüste Beschimpfungen in allen möglichen Sprachen vereint sich mit Vorstadt-Rap und lauten Fernsehgeräuschen. Aus anderen Türen rieselt Stille, greifbare Einsamkeit.

Auf den schmalen Wegen zwischen den alten, zum Teil sanierten Häusern und den Neubauten drängen sich Jugendliche. Sie tragen den Einheitslook ihrer Clique und möchten doch ganze Individualität ausstrahlen. Nur die Gruppe bietet hier Sicherheit.
Je nachdem welcher Nationalität sie sich zugehörig fühlen, hört man sie auf türkisch, serbisch, arabisch, deutsch und anderen Sprachen brüllen. Es ist ein babylonisches Sprachgewirr verschiedenster Beschimpfungen, das manchmal in einer faustdicken Auseinandersetzung, bei der auch Messer, Schlagringe und viel gefährlichere Waffen beteiligt sind, endet. Das Ergebnis ist dann oft ein längerer Krankenhausaufenthalt oder das Absitzen einer Jugendhaft. Die schlimmste Strafe ist aber die Steigerung des Gefühls der eigenen Nutzlosigkeit. Sie suchen den Sinn in der Gruppe, Stärke und Halt, und enden doch einsam im Rausch der eigenen Unzulänglichkeit, die ihnen staatlicherseits verordnet wird.

Nachts schleichen vermummte Sprayer durch dunkle Gassen und verschönern das Grau des Alltags mit ihren Bildern. Ist es der Versuch, sich der Welt bemerkbar zu machen, sich für die Nachwelt zu verewigen, oder einfach nur ein Streich junger Leute, die die Gemeinschaft schädigen wollen? Es wird sich wohl nie eine endgültige Antwort finden lassen.
Hoffnungslosigkeit ist ihnen auf den Fersen, ebenso die Polizei und diverse private Wachdienste. Schulgebäude, Wartehäuser, Lärmschutzwände und triste Unterführungen werden so Nacht für Nacht verziert. Schriftzüge, Bilder – Graffiti genannt. Einsame, verstohlen agierende Menschen.

Ebenso heimlich, aber auch tagsüber, stehen Dealer an den Straßen. Sie belabern schon zehnjährige am Schultor und dröhnen sich mit dem Erlös selbst zu.

Einsamkeit, Armut und Hoffnungslosigkeit dringen hier aus allen Ritzen, Ecken und Enden, sogar aus den Poren der vorbei ziehenden Menschen scheint sie zu strömen. Ihr Atem stinkt danach.

Überforderte Sozialarbeiter, von der Regierung als Allheilmittel missbraucht, versuchen in einer Sisyphusarbeit das Schlimmste zu verhindern. Dazwischen vergammeln Jugendliche an ihrer Arbeitslosigkeit, hungern Kinder nach Nahrung und Liebe, versaufen überforderte Eltern die Sozialhilfe und stirbt ein Alter unbemerkt in seiner Wohnung.

In all dem Grau erhebt sich ab und an ein Blümchen, ein Gänseblümchen und streckt hoffnungsvoll das Köpfchen in den Himmel. Es wird gnadenlos von schweren Stiefeln der herum marschierenden Neo-Nazis zertreten.

Junge Leute ohne Hoffnung von dort oder da, ganz gleich, welche Sprache sie sprechen, rotten sich zusammen. Mit Steinen und Stöcken bewaffnet gehen sie aufeinander los und später gemeinsam gegen die Polizei.

Die Alten schweigen oder hetzen im Ewiggestrigen. Dazwischen Kinder, zermahlen von Gedanken, die nicht ihre eigenen sind und weder Friede noch Liebe verheißen.

Der so genannte soziale Wohnbau baut, am Bedarf vorbei, ein Ghetto nach dem anderen. Wer spricht da noch von Verständnis für einander, wenn man sich selbst nicht versteht? Die Schule

Die einzige Perspektive eines Schulabbrechers ist das Fehlen einer solchen. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe bietet soziale Sicherheit, Schutz und Status, den es sonst nicht gibt. Sie wird die Familie, die Leitfigur.

Die Alten sterben weg, arme, kinderreiche Familien kommen nach. Die Spirale dreht sich weiter, immer schneller.

Bis sich irgendwann der Hass entlädt.

(c) Herta 10/2009
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Die einzige Perspektive eines Schulabbrechers ist das Fehlen einer solchen. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe bietet soziale Sicherheit, Schutz und Status, den es sonst nicht gibt. Sie wird die Familie, die Leitfigur.

Die Alten sterben weg, arme, kinderreiche Familien kommen nach. Die Spirale dreht sich weiter, immer schneller.

Bis sich irgendwann der Hass entlädt.

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so ... das ist der richtige Schluss. Warum kann man da nichts mehr nachträglich ändern *gruebel*

EDIT KATZERL: HAB DEN SCHLUSS HOCHGELUPFT!
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
Liebe Herta!

Man kann nachträglich bei jedem Beitrag noch etwas ändern, solange noch keiner geantwortet hat (einfach oben rechts über dem Beitrag auf die "Gabel" klicken).

Interessant, was Du schreibst - lesenswert, wie alles von Dir ... Aber es fordert mich heraus zum Widerspruch: Mein Sohn ist Schulabbrecher (aus gutem Grund, er wollte sich nicht mehr von mitschülern und Lehrern psychisch zerstören lassen) - und geht trotzdem seinen Weg mit Erfolg.

Aber ich weiß: Du meinst etwas andere Schulabbrecher.

Trotzdem: Aus meiner Sicht machen die Schulen und das menschenfeindliche Schulsystem an unseren Kindern und Jugendlichen wirklich zu viel kaputt und traumatisieren so manche hoffnungsvolle Seele und lernbegierigen jungen Menschen. Und deshalb ist es für mich kein Kriterium, wenn einer Schulabbrecher ist. Da sind andere Dinge weit schlimmer ...

Meinst Du nicht auch?

(Der Antaghar)
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Danke
... und der Text ist in seiner Gesamtheit nichts als eine Verallgemeinerung.

Ich kenne selber viele Schulabbrecher, die ihren Weg gehen, Leute, die in Ghettos wohnen und keinem Klischee entsprechen.

Aber als ich dieser Tage durch mein Betreuungsgebiet fuhr, änderte ich den Blickwinkel und stellte mir vor, alles von oben zu sehen, oder von außerhalb, ohne irgendwelche Menschen hier näher zu kennen.

Und dann begann ich für mich selber dieses Bild zu beschreiben, sehr oberflächlich und klischeehaft.


Liebe Grüße
Herta

PS.: Bei Beiträgen geht das schon, aber bei neuen Themen leider nicht. Und ich hab schuseligerweise die unkorrigierte Fassung reinkopiert. *aua*
Orange Session
*********katze Frau
8.077 Beiträge
Erledigt, liebe Herta!
Und jetzt lese ich erstmal. *ggg*

LG
Katzerl
Orange Session
*********katze Frau
8.077 Beiträge
So siehts aus!
Gute Milieustudie, liebe Herta!

Meine Lieblingssätze:

Zwischen den Häusern ducken sich Dönerbuden und Tabakhändler, eine kleine Bäckerei scheint sich irgendwo in eine Fassade zu pressen.


Aus anderen Türen rieselt Stille, greifbare Einsamkeit.


Aber das Blümchen finde ich etwas zu klischeehaft. Sorry, aber macht ja nix, oder?

In all dem Grau erhebt sich ab und an ein Blümchen, ein Gänseblümchen und streckt hoffnungsvoll das Köpfchen in den Himmel. Es wird gnadenlos von schweren Stiefeln der herum marschierenden Neo-Nazis zertreten.


Kompliment, liebe Herta!

LG
Katzerl
Herta?
Mei, Du schreibst scho gut, weisst des?

Sie tragen den Einheitslook ihrer Clique und möchten doch ganze Individualität ausstrahlen.

Wenn ich mich recht erinnere, hat des mit den Hippies angefangen.

Aber schau, aus mir ist auch was geworden, trotzdem: Ein älterer, oft freundlicher Herr ...

*haumichwech*

LG
Mo.
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Danke
@ subkulturkatze:

Danke ...

1. für's Hochschupfen des Schlusses *bussi*

2. *rotwerd* *freu* und *danke*


@ mauricedewinter:

ich hoffe, dass dann aus mir auch mal was wird - aber bitte kein älterer, wenn auch freundlicher Herr - möchte ich nur mal erwähnen.*g*

Danke fürs Kompliment


Ich geh jetzt erstmal einen *kaffee* trinken und dann werde ich wieder einen halben Tag lang in der beschriebenen (naja fast) Gegend verbringen.


Liebe Grüße
Herta
******_bw Mann
240 Beiträge
Die Musik zum Text
Cora Frost: Supermarkt von der CD Nexte Lied
*zwinker*
B.
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