Eine Blues-Trilogie
In den folgenden Tagen möchte ich drei kurze Geschichten vorstellen, welche sich alle um den Blues drehen. Hier folgt der erste Teil:If they don’t play Blues in heaven...
„Gut“, sagte ich. „100 Bucks für den Abend und wir spielen.“
So liefen in den letzten Jahren fast immer die Verhand-#lungen mit den Clubbesitzern, in denen meine Band spielte. 100 Dollar für eine Band mit fünf Köpfen ist gar nichts. Aber besser, als vor Hunger zu sterben. Wir schliefen bereits im Tourbus, um die Hotelkosten zu sparen. An neue Instrumente brauchten wir gar nicht erst denken.
Dieser Abend in Santa Fe war aber anders als sonst. Es war eine private Party in einem der Adobe-Häuser an der Canal Street; der Künstler-Oase der Stadt. Einer der Galerie-Besitzer hatte uns für diesen Abend im kleinen Kreise verpflichtet.
Eine Bühne suchten wir in dem großzügig eingerichteten Haus vergebens. Egal. Man sollte uns hören, nicht sehen. Wir waren Musiker, keine Schauspieler.
Bereits beim Soundcheck merkte ich das besondere Interesse verschiedener Personen, insbesondere Frauen, an den Musikern. Ich spürte, wie mich Blicke abschätzend, vielleicht auch gierig, begleiteten. Hatte man vielleicht Angst, wir würden das Tafelsilber mitgehen lassen?
„Alles so weit in Ordnung?“ sprach sie mich von hinten an.
„Na klar!“ meinte ich, nachdem ich mich vom Schreck wieder erholt hatte: „Wir sind Profis.“
Wie konnte sich jemand unbemerkt so an mich heran-pirschen? Wie eine Katze. Geräuschlos. Spurlos.
Um 23:00 Uhr begannen wir unser Mitternachtskonzert. Leiser als üblich und jazziger als sonst. Schließlich sollten wir „Hintergrundmusik“ spielen. Blues im Hintergrund ist ein Sakrileg, aber wer fragt schon die Künstler.
Und wieder merkte ich diese Blicke aus dem elitären Kreis der Gäste. Insbesondere eine Frau in einem roten Etuikleid aus Rohseide hatte ihre Augen auf mich geheftet. Ich meinte Gier in ihren Augen zu bemerken.
Und ich erkannte sie sofort. Sie war es, die mich eben bereits angesprochen hat. Ihr Alter konnte ich beim besten Willen nicht schätzen. Sie hatte eine zeitlose Eleganz, eine schlanke, grazil zu nennende Figur und eine sportlich geschnittene Kurzhaarfrisur, was ihr wiederum einen resoluten, aber auch respektlosen Ausdruck verlieh. Nur ihr blutleerer, blasser Teint passte nicht ganz zum ansonsten so gepflegten Erscheinungsbild.
Es war kurz vor Mitternacht, als wir unsere erste Pause machten. Ein Bier, eine Zigarette und dann sollte es weiter gehen. Während der Pause kam einer der uniformierten Bediensteten auf uns zu. Er hielt Augenbinden in der Hand. Ich protestierte. Wie sollten wir mit verbundenen Augen spielen? Und vor allem: Warum?
Aber wir waren Profis und beherrschten unsere Instrumente blind. Mein Widerstand war angesagt, um den Preis für den Auftritt in die Höhe zu treiben, was mir auch gelang.
Die Musik erlebte ich nun wesentlich intensiver als sonst. Und ich hörte auf die Resonanz des Publikums, die ich sonst auch sah. Aber es war still im Publikum. Beunruhigend still. Traf unsere Musik nicht den Geschmack der Gäste? War die Gage in Gefahr?
Plötzlich fühlte ich Hände auf meinem Körper. Zuerst eine sanfte Berührung am Arm, die ich zunächst gar nicht als solche wahrnahm. Dann aber intensiver. Die Berührungen wanderten an meinen Armen aufwärts. Ich vernahm ein schweres, blumiges Parfum. Eine Frau... so hoffte ich zumindest.
Ich wehrte mich nicht. Wenn dies ein Spiel war, so sollte es geschehen.
Wir gerieten aus dem Takt. Ich hörte, wie unser Schlagzeuger und der Bassist nicht mehr im Gleichtakt spielten. Machten auch sie die gleichen Erfahrungen? Oder bin ich es, der alles ins Wanken bringt?
Ich hatte Gänsehaut. Ein kribbeln lief durch meinen Körper, als diese zarten Glieder meinen Hals erreichten.
Nun spürte ich auch ihren Körper. Sie stand hinter mir. Ihre Brüste pressten sich an meinen Rücken, ihr Becken an meinen Po. Ein Bein bahnte sich den Weg zwischen meine Schenkel.
Nun stand ich das erste Mal mit einer Latte in der Hose auf der Bühne. Aber wie dem auch sei. Ich war unschuldig und hinter der Gitarre sah es keiner.
Ich trug mein Hemd über der Hose. Das ließ ihren Händen Platz, meine Haut zu erkunden und sie tat es ausgiebig.
„Beweg dich nicht.“, hörte ich ihre Stimme an meinem Ohr. „Und sage nichts.“
Bewegen, nun ja. Daran dachte ich am allerwenigsten. Und etwas sagen? Nein. Wie sollte ich beim Singen sprechen? Zudem war mir mit dem Kloß im Hals nicht nach verbaler Kommunikation zumute.
So spielte ich weiter.
„Verdammt! Bei welcher Strophe sind wir nun?“ dachte ich.
Sie muss es gemerkt haben.
„Spiel einfach weiter,“ meinte sie.
Weiter und weiter. Du wirst viel Zeit dazu haben. Wie sie das wohl meinte?
Ich konnte mich nicht mehr konzentrieren. Zu gerne würde ich nun meine Hände von der Gitarre nehmen und diese nach hinten nehmen, um ihren Kopf zu greifen. Vielleicht später, wenn das Solo des Bassisten kommt. Das erste mal, dass ich mich darauf freue. Ich hasse Bass-Soli. Aber sie mussten nun mal sein. Dann werde ich meine Hände frei haben.
Eine Minute später war es soweit und das unrhythmische Solo begann.
„Noch schlimmer als sonst,“ dachte ich.
Ich griff hinter mich. Ich konnte sie nicht fassen. Aber ich spürte doch ihren Körper. Jedoch entzog sie sich meinem Griff. Sie schien sich der Kontrolle zu entziehen. Sie war doch da. Aber warum griffen meine Hände ins Leere? Verwirrung breitete sich aus. Ich spürte ihre Brüste. Sie übte die Macht über mich aus und ich wusste, ich habe verloren und zugleich gewonnen.
Ihr Atem wärmte meinen Hals. Ich spürte, wie ihre Lippen näher kamen und wie ihre Zunge eine feuchte Spur an meinem Hals zog.
Ihre Hand glitt tiefer; an meiner Gitarre vorbei in meine Hose. Nun verlor ich vollkommen den Takt. Ich stöhnte. Wieg gut, dass man während eines Bass-Solo nicht singt. Ich hätte es nicht mehr gekonnt. Mein Lied änderte sich jede Sekunde, meine Anspannung wuchs.
Ich kam in ihrer Hand und dann biss sie zu. Ihre Zähne bohrten sich in meine Halsschlagader. Und sie sagte:
„Ich liebe A Rhesus negativ. Nun spiele deinen Blues ewig für mich, denn es gibt keinen Blues im Himmel.“
If they don’t play Blues in heaven, I will not go.