Terminus
Terminus© 8/2021 by TRB
Vorwort
Es war wieder einmal soweit. Das Ende einer Strecke, das Resultat vieler verschiedener, kleiner Ereignisse führten zu etwas hin. Wirklich?
De·ter·mi·nis·mus /Determinísmus/ Substantiv, maskulin [der] Philosophie
1.
Lehre, Auffassung von der kausalen [Vor]bestimmtheit allen Geschehens bzw. Handelns
2.
Ethik
die der Willensfreiheit widersprechende Lehre von der Bestimmung des Willens durch innere oder äußere Ursachen
Und eben das bringt mich durcheinander. Jedes Mal aufs Neue. Wenn ich mich am Beginn von etwas wähne, denke ich: „Wohin führt es mich? Was macht es mit mir?“ Am Ende des „Etwas“ denke ich: „Wozu jetzt das Ganze, was hatte das für einen Sinn? Warum bist du hier? Warum bist DU hier und nicht Fritz, Carola oder Johann?“
Wenn es vorherbestimmt ist, geht dem Gedankengang einher, dass dort „etwas“ oder „jemand“ lenkend eingreift. Es ist beinahe zwangsläufig der logische Schluss, zusammen mit dem festen Wissen einer Art übergeordneter Intelligenz, sonst würde die Lenkfunktion nicht passen. Immer wieder kommt meine andere Gehirnhälfte und spielt mir plastisch die Filmszene aus „Knowing“ ein, in der der Protagonist, angesprochen auf ebendieses Thema sagt: „Ich glaube, die Scheiße passiert einfach!“
Hinzu kommt, dass der „Glaube“ hier mitspielt und etwas zu sagen haben will. Man stelle sich vor, dass in den meisten Religionen eine Existenz nach dem körperlichen Tod propagiert wird. Warum? Um uns die Angst zu nehmen? Gäbe es ein Leben nach dem Tod, wäre es dann in einer existenziellen Notlage nicht prima, wenn man ins nächste Leben wechseln kann? Ist es das, was uns „Mensch, ärgere dich nicht!“ lehrt? Geworfen vom Gegner, ab zur Homebase und auf eine 6 warten? Gäbe es ein Leben nach dem Tod, warum ist noch keiner zurückgekommen und hat berichtet, wie toll es da ist?
Meine Kernfrage zur depressiven Phase ist: Was, wenn da nichts mehr ist? Kein Aufwachen im Paradies, keine 72 Jungfrauen, keine Wolken, Harfen, Hosianna? Sand im Getriebe des Universums. Eintagsfliegen, so unbedeutend wie nur irgendetwas. Das sind wir. Nicht mehr, nicht weniger. Und doch streben wir nimmermüde dahin, unserer fadenscheinigen, unbedeutenden Existenz einen Sinn zu geben. Einen Fußabdruck in der Geschichte zu hinterlassen. Etwas, das uns unsterblich macht. So wie Goethe, Shakespeare, Dante. Die Frage ist: War Shakespeare determiniert?
Kapitel 1
Der Wald zog mich an. Schon immer. Wenngleich sich alle Märchen immer wieder in Schrecklichkeit suhlen, wenn man vom „Wald“ berichtet, ist mein Gefühl eher der der Geborgenheit, des Friedens und der Ruhe. Die Bäume, das Laub, die Tiere, hier ist alles im Einklang. Ich bin hier der Fremdkörper. Jedoch… wenn ich mich ganz still auf einen Baumstumpf setze und mich nicht bewege, bekomme ich ein kleines Stück des Friedens ab.
Und da saß ich nun, mit trüben Gedanken, schwerem Herzen und grundsätzlich mieser Laune. Dass ich mich bei schlechtem Gemütszustand in den Wald verzog, hatte zwei Gründe. Erstens war ich zeitlebens gewohnt, Probleme selbst zu lösen, zweitens war es eine Schutzfunktion meinen Mitmenschen gegenüber. Mein Jähzorn ist Legende. War, besser gesagt. Früher war es wirklich düster. Heutzutage hatte ich mich zumeist im Griff. Wenn es eng wurde, ging ich in den Wald und regte mich ab.
Vermutlich würde es nicht viel bringen, die vielen kleinen Determinismen aufzuzählen, die mich hergeführt hatten. Aber eine Art Bewusstwerdung sollte schon sein. Der Verlust der Meisterschaft (Bronze ist NICHT gut! Wenn der Tweitbeste beerdigt wird, ist der Drittbeste schon lange tot). Man kann sich in Ausreden suhlen, wie: Die beiden anderen waren schon länger dabei, sind besser trainiert, haben die besseren Lehrer, Heimvorteil… alles blabla. Ich war da, wo ich war und das aus einem Grund. Und der hatte nichts mit den anderen zu tun, sondern nur mit mir.
Oder der heikle Punkt: Erwartungen. Was erwartet man von anderen Menschen? Soll man das überhaupt? Und an welcher roten Schnur macht man das fest? Es gab in meinem Leben viele Dinge, die ich gern gemacht habe. Wissen sammeln und Wissen weitergeben. Das liebte ich. Ich sammelte Wissen, übte, probierte, fiel hin, stand wieder auf und bekam Routine. Stellte ich mich einem Wettbewerb (zum Beispiel Geschichten für ein Bremer Autorenforum), bekam ich meistens ziemlich viel Mist ab. Hohn und Spott helfen übrigens nicht weiter. Konstruktive Kritik, die sich nur an Fakten orientiert, übrigens auch nicht. Schreiben soll und muss Emotionen wecken. Das zu transportieren, ist eine Kunst. Fragen Sie Shakespeare! Nun wird niemand als Autor geboren. Nicht einmal Shakespeares Sohn. Und da kommt die Frage: Wie wird man dazu? Ich kann mir kaum vorstellen, dass es 1570 in Stratford-upon-Avon eine Schule mit dem Unterrichtsfach „Literaturkönig“ gab. Nein, das muss irgendwie ein Weg gewesen sein!
Ein gutes Indiz sind wohl auch die Unterrichtsfächer. Mathe, Physik und Chemie als Wahlfach ergeben eher eine Richtung der Naturwissenschaften oder einer Kanzlersschaft, anstatt Philosophie. Deutsch (oder im Williamsschen Beispiel eher „Englisch“) und Philosophie, einhergehend mit dem Studium der Ethik könnte ein erster Fingerzeig in Richtung Literaturkönig sein. Jedoch… sehe ich heutige Studiosi, zweifle ich sehr am Erfolg einer einzigen Richtung, basierend auf den Lehrstoffen. Nein, da muss mehr sein. Vielleicht Talent? Jedoch… worauf gründet sich das? Was ist Talent, woher kommt es, wer hat es gespritzt, gesetzt oder untergejubelt? Ist es Willenskraft? Sagte sich Jung-William dereinst: Ich WILL jetzt Dichter werden? Und reicht Willenskraft? Reicht Bildung, Willenskraft plus Talent? Ich glaube, das bringt einen weiter. Aber es fehlt etwas. Der Impuls! In Shakespeares Schicksal sehe ich eine anmaßende Parallele zu meinem Erstlingswerk. Ein Dichter namens Robert Greene diffamierte Jung-William 1592 als literarischen Emporkömmling. Es mag wohl sein, dass William sich dermaßen geärgert hatte, dass er dachte: „Jetzt erst Recht! Euch Schweinebacken werde ich es zeigen!“
War das der Impuls? Niemand weiß es. Allerdings hatte William viele Gönner. Menschen, die ihm zeigten, was los war, ihn unterstützten, förderten und ja, ein wenig den Weg ebneten. Ich habe mich entschieden, daran zu glauben, dass das der Impuls war, der William schlussendlich zu dem gemacht hat, was er war: Eine unsterbliche Legende.
Und was nützte all das Nachdenken auf meinem Baumstumpf mitten im Teutoburger Wald? Nicht so richtig viel. Ich hatte wohl scheinbar wenig Talent, noch verfügte ich über Gönner. Selbst einflussreiche, berühmte Autoren sahen sich nicht bemüßigt, eine Art Gönnertum anzustreben. Und einfordern konnte man das wohl kaum.
Die Parallele zum „Lehrertum“ in bestimmten Sportarten ist allzu auffällig. Engagiert man sich in einem Verein, gibt es zweierlei „Schüler“. Die einen, die den Sport nehmen, um sich abzuarbeiten, etwas zu kompensieren oder sich einfach körperlich zu ertüchtigen, und die anderen. Da zählen Dinge wie Leidenschaft und Berufung mit. Man KANN Basketball leben, man kann es aber auch nur als Spiel sehen. Es gibt keine Vorschrift, die sagt, was man zu tun hat. Will man aber Erfolge feiern, reicht es nicht, den Sport als reine körperliche Tätigkeit zu sehen. Man muss eintauchen. Aber wer taucht gern in ein trübes Gewässer? Hier braucht es wieder einmal einen Guide, eine Leitfigur, ein Vorbild. Jemand, der einen an der Hand nimmt. Gesegnet, wer so jemanden gefunden und nicht betrogen wurde.
„Du darfst dich nicht Schüler nennen!“ Das war die Aussage. Zu anderen Zeiten wäre ich stolz gewesen. Denn es besagt lediglich: „Ich kann dir nichts mehr beibringen.“ Der Beisatz jedoch: „Denn Schüler stellen keine Fragen!“ karikierte diese Aussage zu einem vorsintflutlichen Witz. Deswegen saß ich hier: Ich war gefeuert. Weil ich Fragen stellte, weil ich Ruhm und Ehre für den Verein und das Haus wollte. Weil ich nach vorn stürmte, wo die Engel furchtsam wichen. Das hatte ich nun davon. Schwebend in der Leere, gleichsam im Fallwind der Bedeutungslosigkeit. Determinismus? Wo denn?