Eine echt Sur_reale Geschichte
Es ist einmal nach nicht allzu langer ZeitEs ist einmal, nach nicht allzu langer Zeit im Lande Uhr. Da lebt die Prinzessin Zickenbart zusammen mit Prinz Bohnenstange in einer Patchwork-Königsfamilie. König Lahmarsch und Königin Neidlinde regieren von Schloß Gruselstein aus eine unwegsame Medienlandschaft in der es wichtiger sein wird einen Schein in der Hand als ein Herz in der Hose zu haben.
„Bohnenstange“, sagt die Prinzessin eines schönen Tages zum Prinzen, „was sollen wir heute bloß anstellen“? Und Bohnenstange antwortet wahrheitsgemäß: „Ich weiß es nicht, aber ich werde meinen Vater, den Lahmarsch fragen was wir anstellen könnten“. Vater Lahmarsch aber weiß es erst recht nicht und so bleibt den beiden nichts anderes übrig als den alten Hausdrachen (einen etwas fragwürdigen Ersatz für den Hofnarren), der wie alle alten Hausdrachen „Trampeltier“ heißt zu interviewen. Er wohnt sowohl tief unten im Keller, als auch hoch im obersten Turmzimmer. Mutter Neidlinde fällt als Informationsquelle wie gewöhnlich aus, da sie entweder an Migräne, Midlifecrisis, oder pflichtopia bürgerlichensis, einer gefährlichen Infektionskrankheit, die häufig von höheren Beamten an das gemeine Volk scheinübertragen wird, leidet.
Das Trampeltier ist gerade damit beschäftigt Feuer zu speien, damit Neidlinde und ihre 72 angeblich jungfräulichen Mägdchen im Paradiesgarten des Königsschlosses beim Herum-Spinnen Unterhaltung haben. Sie spinnen gerade an einer Intrige, die sie der Hof-Ränkeschmiedin Rasenddottir zur weiteren Verwendung überlassen wollen. „Intrigen“, so meint Neidlinde, „machen nicht dick, sondern halten warm, weil man dabei in Bewegung bleibt.
„Fauch“, sagt der Hausdrache zu Prinz und Prinzessin, indem er einen ganzen Schwall Feuer speit, „ich weiß auch nicht was ihr heute geiles anstellen könntet, aber es ist nie verkehrt die „Liebe Frau“ anzurufen, deren Altar in der gynäkologischen Abteilung des Pantheons steht.
Zickenbart und Bohnenstange machen sich also auf den Weg dorthin. Inzwischen versuchen sie sich zu erinnern was sie diese Woche schon alles angestellt hatten…
„Gestern, erwähnt Bohnenstange „haben wir uns ein Gesetz erlassen“ – „und vorgestern“ ergänzt die Prinzessin „haben wir das Räderwerk des Magistrats geschmiert“. „Ich“, triumphiert der Prinz, „habe vorvorgestern Quarz vier nachgeschliffen“. Zickenbart lacht lasziv. „Ja, das muß Dir die Geduld und die Bescheidenheit unserer Bürger lassen, „Eine perverse Fantasie hast du“!
Das Pantheon glänzt in stolzer Pracht! Sein Innenleben ist reich geschmückt mit den Göttern und Göttinnen der letzten 10 000 Jahre. Ihre Statuen und Statuetten protzen von hohen Konsolen zu den Besuchern herab und es ist kein Idol unter ihnen, das der Anbetung nicht wert wäre.
Im Zentrum aller Herrlichkeiten lockt ein dralles, gespreiztes Paar Beine zum Durchgang in – oder besser – „wie in“ eine andere Dimension. Alle Lustbarkeiten der Welt scheinen hier so eng mit der Weisheit verknüpft zu sein, daß einem angst und bange werden könnte. Zickenbart und Bohnenstange quetschen sich voll Ehrfurcht durch den schmalen Zugang zwischen den Schenkeln in das Heiligtum hinein.
In der Mitte des in etwa sehr großen, sackförmig-virtuellen Raumes, dessen Wände total mit einzelnen, nippelförmigen Wölbungen überzogen sind, thront ein, nein kuschelt sich ein riesiger Mund aus zwei weinroten Lippen in ein Sofa aus elfenbeinfarbenem Süßholz und schwarzem Satin.
„Oh Gott, Ohgott, o gottogottottogott“, murmelt der Prinz ergriffen und die Prinzessin ergänzt „o gottogottogotto…“
„Wir rufen Dich aus den Untiefen unserer Gedankenleere“ hebt die Zickenbart beschwörend an, „hilf uns oh größtes Heiligtum aller Klassen und Kassen, Herrlichkeit aller Etappen-, sowie Endziele all unserer Wege, steh uns bei in unserer gewaltigen Kopfesleere, jetzt und in der Stunde der absoluten Entscheidungslosigkeit“.
Da stehen sie nun, die beiden herrlichen Königskinder aus der Patchworkfamilie und starren Löcher in die Luft. Sie warten und warten. Aber gerade als Bohnenstange anfangen will sich, ein lustiges Liedlein pfeifend, aus dem Staub zu machen, öffnen sich die riesigen Lippen des Heiligtums unkeusch und hauchen: „Was ist euer Begehr, meine Lieben?“
Zickenbart, die sich ebenfalls schon zum Gehen umgewandt und niemals erwartet hatte, daß ein Götzenbild etwas von sich gäbe schreit auf und macht sich dabei ganz naß.
Geistesgegenwärtig ergreifen die beiden aber sofort ein paar der bereitgestellbereitgestellten Anbetungsteppiche, werfen sich umgehend darauf nieder – das Gesicht nach dem kühlen Norden gewendet – und heben heftig zu lamentieren an.
„Huhuhu-hilf uns, du Inbegriff unserer Pfuiteufeltagträume, wir haben schon so viel angestellt wie wir konnten, wir haben sogar die Queen oben mit ohne Hut im „Spiegel in der Gegenwart“ (ein Schmierenblatt) abgebildet, alle Geschmacklosigkeiten die man sich denken kann haben wir begangen, alles Unwichtige und sämtliche Plattitüden die uns machbar erschienen haben wir mit wichtiger Miene verkündet, aber jetzt ist uns beim besten Willen der Stoff ausgegangen – uns fällt kein Unsinn mehr ein“.
„Hmmm“ macht der Mund – so laut, daß es in der sackförmig-virtuellen Halle dröhnt. Und noch einmal „Hmmm“. Dann schmatzt er zweimal genießerisch, worauf er in ganz normalem Tonfall fortfährt: „Also jetzt paßt mal auf“.
Zickenbart und Bohnenstange spitzen die Ohren…
„Ich bin was ich bin“ verkündet der große Mund „und deshalb weiß ich fast alles besser! Ich verkünde das durchaus Gewöhnliche, ich predige das Allerallernötigste, wobei mir stets die Vereinfachung des täglichen Lebens an meinem – schlicht ausgedrückt – schwarzweiß gefärbten Satinherzen liegt“.
„Und?“ antworten die beiden beinahe erwachsenen Kinder forsch.
„Tja“ argumentiert der große Mund, „ich habe daneben vorrangig noch eine Schwäche für Erfolgsstorys und was die anbetrifft ist mir alles andere scheißegal!“
„Na also, geht doch!“ Hier können Zickenbart und Bohnenstange nur zustimmend lachen. Voll Freude klatschen sie ein paar Mal fest in die Hände, während das Idol zu erklären beginnt: „Ihr könntet zum Beispiel ein neues Schönheitsideal entwerfen (: Dünn wie der Tod oder fett wie ein Walroß…), ihr könntet eine Kunstrichtung begründen (so absurd, daß man euch aus schon purer Ratlosigkeit heraus feiern muß)… eine wissenschaftliche Entdeckung machen (z.B. um wie viel klüger ein weibliches Opossum gegenüber einem männlichen Spekulationshai ist)…ein Gerücht in die Welt setzen (das einen unliebsamen Widersacher / Nebenbuhler irreparabel verunglimpft)… oder gar eine Religion begründen! (die – sagen wir mal - Gartenzwerge bevorzugt)“.
Die Sätze in Klammern spricht der Mund nicht hörbar aus. Sie sind sozusagen viel mehr zwischen den Zeilen zu erahnen – oder sie werden gar rein gedanklich übertragen. Woher, das mag ein Rätsel bleiben, denn der faszinierende Mund hat eigentlich gar kein Gehirn…
Das ist reichlich viel Information auf einmal. Stoff für mehr als ein Leben! Trotzdem haben Zickenbart und Bohnenstange das unbestimmte Gefühl, daß es dergleichen eigentlich schon genug gibt und sie nicht noch eins draufsetzen sollten.
Dabei konnte der große Mund unmöglich falsch liegen, schließlich kann man ihn nur durch gespreizte Schenkel erreichen. Ist das nicht schon Legitimation genug?! „Wahrscheinlich sind das Evergreens, die jederzeit modern sind“ versucht der Prinz zu erklären.
Nach längerem, ergebnislosen Palaver beschließen die beiden Königskinder aus der Patchworkfamilie verlegenheitshalber ins Bett zu gehen. Dabei denken sie zunächst einmal nur ans Schlafen.
Es mögen dabei an die ein oder zehn Stunden vergangen sein, da überkommt sie ein Alptraum, der direkt in Schloß Gruselstein spielt…
Das Licht ist ausgegangen im Lande Uhr! Alle Fahrstühle bleiben stecken und in den Entbindungsanstalten ist der Geburtenbetrieb zum Erliegen gekommen. Sämtliche Ränkeschmiedinnen – ob sie nun „Rasenddottir“ oder einfach nur „Kauder-Welsch“ heißen haben Hochsaison im Zwielicht aufflackernder Kerzenflammen und Königin Neidlinde tanzt nackt auf des Königs Platz.
Aus den Bürgern der Medienlandschaft sind samt und sonders Reporter geworden, die über jeglichen Scheiß Artikel schreiben und Fotos von Leuten machen, die überhaupt keiner sehen will. Überhaupt keiner, außer den vielen Leuten mit Alzheimer im Endstadium vielleicht oder den Insassen der Nervenheilghettos der Groß- und Größtstädte.
Über das dunkle Firmament schweben kreischend die Hausdrachen des Landes, sämtliche Trampeltiere dieser Welt, es regnet unentwegt heiße Höschen, die jedoch verbrennen, bevor sie den Boden der Realität berühren und wer kein Reporter ist drückt sich ängstlich in Hauseingänge oder verkriecht sich zuhause unter dem Bett. (Das können aber gottseidank vielleicht lediglich nur zwei bis drei Personen überhaupt sein.) Die völlig unpassende Geräuschkulisse dazu liefern die auf einmal überall aufgestellten Lautsprecher aus dem Jenseits, die wie Bäume aussehen, deren Wurzeln in etwas greifen das vielleicht an amorphe Adressbücher erinnern könnte. Aus diesen beziehen die Lautsprecherbäume anscheinend Informationen, die sie umgehend scheppernd in die geduldige Luft verbreiten.
Keiner möchte zwar hören was sie da sagen, denn jeder verbreitet ja selbst seine Botschaften pollengleich in die Nacht, aber sie verkünden unerschütterlich was jenseitsbezogen ungefähr der dortigen Wahrheit entspricht, diesseitig indessen niemals Verwendung finden würde und auch kann. „Der Bundeskanzler (Präsident) ist ein Depp“ leiert der Lautsprecher kabarettistengleich herunter, „die Minister sind bestochen, die Manager geisteskrank…“ – im Gegensatz zu einem echten Kabarettisten fehlt hier allerdings gänzlich der Humor - …und zwischen der Aufklärungsarbeit über Regierungs- und Führungskreise scheinen die Baumwurzellautsprecher wieder mal nur einfachste Daten aus den amorphen Adressbüchern zu saugen…“Lieschen Müller, Abortenrandweg 13 1/3, in 1111 Schwipsingen an der Walz ist völlig verblödet, Hänschen Schmidt, Dusselbannstraße 124 1/2, in 0815 Dünnstadt / Kreis Schwamm, ist saumäßig dämlich, Fritzchen Meier, Danksagungssallee 7b, 6666 Bittenwang in Bleieren, ist gewaltig auf dem Holzweg…usw., usw.
Dem Prinzen und der Prinzessin wird im Traum rechtschaffen schlecht, sie befürchten schon sich übergeben zu müssen, als ein schier alttestamentarisches Tohuwabohu vor ihr ihnen aufzutauchen scheint: Die Rettung folgt dem Unheil also bereits auf dem Fuß!
König Lahmarsch hat inzwischen scheinbar überall in den Kneipen und in den Einkaufzentren neue Fernsehgeräte installieren lassen. Über TV läßt er nun verkünden, daß die 72 herumspinnenden, jungfräulichen Mägdchen im Paradiesgarten in Wahrheit gar keine echten Jungfrauen seien, bis auf ein paar, die entweder noch viel zu jung für den Spaß sind, oder derer sich keiner erbarmt hatte und daß ein neues Zahlungsmittel betrugshalber eingeführt worden sei: Die Rauschwährung. Wer irgendetwas erwerben wolle, seien es Lebensmittel, Kleidung, Jobs, Freiraum, Liebe oder Luxusgüter anderer Art, der müsse anstatt einer Bezahlung in Gold oder Papier einfach nur ein entsprechendes Quantum an Spirituosen in sich hineinschütten. Ob er dabei in großen oder kleinen Brocken = Prozenten bezahlen wolle bleibe jedem selbst überlassen. Entscheidend sei lediglich die geforderte Abgabe an Selbstkontrolle, sprich am Abend ein gewisses Maß an Betrunkenheit vorweisen zu können. Überall aufgestellte Ordnungshüter in durchsichtigen Uniformen hätten die Aufgabe zu kontrollieren ob jemand unterhalb der zulässigen Promillegrenze von Alkohol im Blut angetroffen würde. Dabei gelte für Frauen die 3,0- und für Männer die 5,0 Marke. Auf diese Weise, so ließ das Königliche Institut für Volksaufklärung aus der Hauptstadt verlautbaren, käme kein Mensch in Versuchung an seiner Bestimmung zu zweifeln. Den seit Stunden vermißten Kindern Zickenbart und Bohnenstange läßt der König er auf dem selben Wege ausrichten, sie sollten sich keine Sorgen machen, ihre Zukunft sei niemals unsicherer gewesen als jetzt, was ungefähr gleichbedeutend damit sei, daß sie nichts mehr anzustellen bräuchten, es werde im Augenblick genug angestellt.
Genau an dieser Stelle wird nun endgültig das Abstraktionsvermögen der herrlichen Königskinder überstrapaziert. Durch diesen Schock erwachen sie in der Wirklichkeit – und stellen fest, daß sie überhaupt nicht geträumt haben. Draußen kreisen wirklich die Drachen, da tanzt die Neidlinde wirklich splitternackt, da fabulieren tatsächlich die Lautsprecherbäume, da funzeln die Kerzen in der Dunkelheit. Die suchenden Kinder mußten also einer Art Trance erlegen sein, welche die „Liebe Frau“, der weinrote Mund von seinem teil-elfenbeinfarbenen Podestchen ausgestrahlt hatte. Vermutlich war seine Anziehungskraft, genauer gesagt, die seiner Lippen viel zu enorm für unvorbereitete Pilger gewesen, weshalb sie der Macht dieser Ausstrahlung haltlos erlagen um daraufhin die reale Welt als Traum zu erleben.
Ihre Seelen waren jetzt von ihrer Wanderschaft zurück – angekommen an einem Ausgangspunkt, der sich dramatisch verändert hatte.
Und jetzt bemerken sie auch: Dieser reale Traum ist für die empfindlich gewordenen Ohren von aus Träumen erwachten Seelen-Wanderern viel zu laut! Eine schier unschätzbare Einsicht, die Unschätzbares bewirkt. Bisher nie gemachte Wahrnehmungen eröffnen nun der Prinzessin und dem Prinzen ungeahnte Horizonte. Ihr Blick reicht für den Bruchteil einer Sekunde so weit wie noch nie! Er reicht bis zu den Gärten vor der Stadt, die gerade von riesigen Baggern plattgewalzt werden, er reicht bis in die Büros der Grundstücksspekulanten und in die brodelnden Hexenküchen der Aktienanleger, ja bis zu den alten Wäldern weit weit draußen sogar, die in der anbrandenden Menschenflut aus tüchtigen Individuen ertrinken: Im Ansturm derer, die es sich zur Aufgabe gemacht haben sich den Erdkreis zu unterwerfen. Überall tut sich was. Von überall her rumort der ungezügelte Lebenswille ungezügelter Geister. Es ist wie eine ohrenbetäubende Ereignis-Sinfonie, erzeugt von einem mit Instrumenten bewaffneten Orchester aus Brüllaffen. Eine Musik des kultivierten Grauens, aber auch des lieblichen Dämmerns in der Wiege einer unausgegorenen Zivilisation. Der Lärm der aus den Parlamenten dringt ist sogar so unerträglich, daß sich die – hier scherzhaft einmal als „Seelen-Wanderer“ bezeichneten – Zickenbart und Bohnenstange die Lauscher mit rosa Watte verstopfen müssen um nicht taub zu werden.
So sehen sie sich an! Ihr Blickfeld wird wieder kleiner und kleiner, bis es sich ausschließlich auf sie selbst und das Bett beschränkt – und nun erkennen sie, daß sie nackt sind. Das hilft! Auf einmal wissen sie präzise was sie heute noch anstellen können…
Sie denken nicht lange darüber nach woher (von welcher Seite der Patchworkfamilie) sie genau kommen, ob sie gut miteinander vermischbar sind oder nicht. Sie wägen nicht akribisch ab was sich für Konsequenzen aus ihrer Liaison ergeben könnten und es ist ihnen auch völlig schnuppe was passieren könnte wenn aus der Prinzessin ein Idol mit gespreizten Beinen würde, aus dem die Weisheit eines ganzen Universums, in Form hervortretender, neuer Weisheiten spricht. Im Augenblick kommt es den beiden, der Stadt, dem Lande Uhr, der Welt und dem Universum(?) nur darauf an etwas anzustellen. Und sie fallen lachend übereinander her…
…ganz oben, in den Wolken, schmunzelt Kronos, der Gott der Zeit, der erste aller Giganten, als er hineinblickt in seine Spielzeugkiste, die er mit auf die Toilette genommen hatte. Dann betätigt er weise die Spülung…!
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