Paar.Raum.Klang.Brot.
„Das ist Enaudi“ sagt sie und ihre Stimme klingt kratzig. Sie räuspert sich.Er nickt und rührt in seinem Kaffee.
Die Klaviertöne rollen von den Wänden wie Tropfen.
Letzte Nacht hörten die Wände andere Töne.
Wieder ein Streit. Wieder das Aufzählen kleiner Verletzungen,
das Zerpflücken von Sätzen und ihrer möglichen Deutungen.
Haarspaltereien über um Jahre zurückliegende Ereignisse, zu oft schon wiederholt, aber nie geklärt und gewiss nie vergeben. Wo die wirklichen Wunden offen bluten, das sprachen sie nicht aus. Da, wo sie einander verstanden, fanden sie dennoch keinen Trost.
Dann der Schlaf, in getrennten Zimmern.
Aber das WIR musste weitergehen, zumindest nach außen, also gemeinsames Frühstück.
Schließlich hatten sie die Ferienwohnung noch drei Tage.
Schweigend verrichten sie das Decken des Tisches, gekonnt vermeiden sie Berührung und Blickkontakt.
Sie beginnt:„Beim Brötchenholen habe ich einen Platz entdeckt...“
Er legt sich ohne Aufzusehen eine Scheibe Schinken auf ein Sesambrötchen.
Sie schaut kauend auf den Leuchtturm, den sie hinter den Dächern
im Mittagslicht strahlen sieht.
Begonnen hatte der Streit beim Abendessen mit seiner Frage, was sie denke. Sie wusste inzwischen, dass er sie das fragte, wenn er seinen Gedanken nachhängen wollte. Er hielt sie am Reden und damit den Anschein von Unterhaltung aufrecht, ohne dass er etwas von sich preisgeben musste. Ab und zu ein Nicken oder ein zustimmender Laut mit vollen Backen, das reichte als Beitrag. Sie würde über sich reden, lange und ausführlich, und wenn sie nichts mehr zu sagen hatte, würde sie nach weiteren Themen suchen. Denn das war ihr wichtig: Das Gespräch zwischen ihnen in Gang halten.
Aber diesmal hatte sie den Löffel an den Tellerrand gelegt und ihn angesehen:
„Als ob dich das interessierte! Du willst doch nur ein wenig Tafelmusik.“
Diese Antwort fand er unangebracht aggressiv, sie warf ihm dafür Desinteresse an ihrer Person vor.
Das Kratzen des Messers am Tellerboden lässt sie Zucken.
Er salzt eine halbe Tomate und legt sie auf sein Leberwurstbrot.
Sie will keine Fortsetzung des Streits, daher jagt sie durch ihr Hirn nach einem unverfänglichen, freundlichen Satz. Nach einem Anfang, einer Brücke. Sie findet nichts.
Er nimmt sich frischen Kaffee, Milch und Zucker und rührt wieder ausgiebig um.
Die zwei Seiten des Schweigens: die warme Seite, bei der sich zwei so nahe sind, dass sie nicht zu sprechen brauchen, weil sie sich wortlos verstehen. Ihre Nähe durch Worte nicht schmälern wollen, die zwischen ihnen wären wie störende Krümel auf einer frischen Tischdecke.
Und das kalte Schweigen. Wenn man sich vor Langeweile oder vor Verletztheit nichts mehr zu sagen hat. Wenn man eigentlich gehen möchte, die Räume dafür aber nicht offen sind.
„Gibst du mir bitte die Marmelade?“
Sie reicht sie, den Blickkontakt vermeidend. Beide starren auf die sich begegnenden Hände über dem Tisch. Als ob ein Ins-Augeblicken eine unangebrachte Intimität sei. Ein Preisgeben von Gefühlen. Was sähe man: Schmerz, Aggression oder, das Schlimmste, Verachtung?
Schweigend räumen sie den Tisch ab. Beim Spülen schaut sie aus dem Fenster. Er nimmt sich die Zeitung und setzt sich auf die Couch.
Das zerbröselte Wir liegt wie Brotkrümel unter dem Tisch.
©tangocleo 2009