Gut genug
Gut genug ?Sechs Uhr Zwanzig am Morgen. Ich sitze in der Bahn, auf dem Weg zur Arbeit und habe wieder mal einen meiner kleinen „Momente“ in denen ich einfach alles, insbesondere mich selbst, in Frage stelle.
Darüber reden mag ich nicht. Es stört mich zu wissen das mein Gegenüber, mein Gesprächspartner, nur mit halbem Ohr zuhört, weil er sich im Hinterkopf schon seine Kommentare und Argumente zurechtlegt. Ätzend.
Also schreibe ich es auf. Manchmal. In den letzten Jahren so gut wie gar nicht mehr. Bis heute.
Das Paradoxe daran ist vielleicht, dass der Drang zur Selbstkritik um so größer wird, je mehr Bestätigung und Anerkennung ich bekomme. Vielleicht ist es deswegen wieder mal an der Zeit etwas auf zu schreiben.
Weil es mir gut geht.
Beängstigend gut.
Die Arbeit ? Ach, nein. Oder vielleicht doch ? Na ja, früher war die Arbeit körperlich schwerer und ein Tag mit weniger als Zehn Stunden netto gab es nicht. Heute ist es mehr Verantwortung. Jede Menge sogar. Eine andere Form von Stress, nicht körperlich, aber nach acht Stunden Frontallappenmodus fühle ich mich manchmal kaputter als früher nach einem Zwölf Stunden Tag. Aber ich mag es und offenbar mache ich auch diese Sache ganz gut. „Nicht gemotzt ist gelobt genug“ wie ja die meisten Arbeitnehmer sehr wohl wissen.
Doch das ist es nicht, was mich unruhig macht.
Die Liebe ist es. Kennt Ihr die Liebe ? Na dann, meine Güte ! Oder ? Mal ehrlich, ist das nicht das tollste auf der Welt ? Sich jemandem so verbunden zu fühlen das man Tisch und Bett mit ihm teilen möchte. Das ein Blick, eine Geste oder eine Bewegung des Kopfes ausreicht um sich zu verständigen ? Das man schon am Tonfall des anderen merkt was los ist. Du daran denkst etwas zu tun und Dein Gegenüber tut es schon, in diesem Augenblick. Der Rhythmus beim Sex sich anfühlt, wie die Vereinigung zwischen Regen und Meer?
Und dann kommt der Alltag. Das ist ok, denn ohne ihn geht es nun mal nicht. Solange er nicht Einhundert Prozent des Jahres ausmacht, ist alles in Ordnung. Manchmal gibt es auch Streit, aber auch das ist in Ordnung, solange man miteinander sprechen kann.
Und Ihr seid nicht allein. Es gibt ein Kind und Du versuchst etwas völlig neues zu werden, ein Vater.
Du lernst Windeln zu wechseln, Fläschchen zu bereiten, Gutenachtgeschichten vor zu lesen, Pullover an zu ziehen ohne Ohren ab zu reißen und stolperst regelmäßig über pädagogisch wertvolles Spielzeug.
Da ist noch ein Mensch, um den Du Dir Sorgen machst, wenn er weint, hustet, böse Träume hat, den Du trösten und beschützen willst. Und Du tust es einfach. Ohne nach zu denken. Manchmal bringt es Dich auf die Palme und Du würdest am liebsten das Ikea Regal in Sägespäne verwandeln um Dich abzureagieren, aber das ist normal. He, dass ist ein Kind und rausfinden wie weit man gehen kann ist sein Job ! Also bleiben die schwedischen Möbel heil und nach ein paar Minuten ist alles wieder gut. Auch das wird Alltag und es ist eine gute Sache.
Auf einer Ebene, die viel tiefer liegt als alles was Du bisher kanntest wird Dir klar, dass Du glücklich bist und das ist der Moment, in dem Du Dich fragst, ob den die anderen ebenfalls glücklich sind damit. Mit Dir.
Vorzugsweise passiert es genau dann, wenn Du gerade neben ihr liegst und ihr Profil betrachtest. Vielleicht hast Du sogar riesiges Glück und sie bemerkt es gar nicht das Du sie ansiehst, dann ist das ein Moment solch unglaublicher Intensität, dass Du strahlst wie ein undichter Reaktorkern.
Du bist glücklich bis unter die Schädeldecke und genau in dem Moment schlagen sie zu, die Zweifel.
Bist Du wirklich gut genug ?
Hast Du das wirklich verdient was hier neben Dir auf den Kissen liegt und ein Zimmer weiter im Kinderbett ?
Warum ist sie jetzt hier, neben Dir ? Warum nicht bei jemandem der mehr Geld hat oder besser aussieht ? Jemand der mehr Rücksicht auf ihre Bedürfnisse nimmt, verständnisvoller ist oder sie besser befriedigen kann ?
Sie hätte doch echt was besseres verdient, findest Du nicht ? Und das Kind ? Hat es nicht jemanden verdient der Ihm etwas mehr Zeit und Aufmerksamkeit widmet ? Es gibt auch schönere Klamotten und tolleres Spielzeug !
Aber Du egoistischer Mistkerl musst Dir ja einen Job raussuchen der nur Dir Spaß, aber nicht reich macht !
Und Du hast Deine Macken !Bist manchmal schlimmer als eine Harpye mit Monatsblutung, so zickig kannst Du sein. Und kleinkariert ! Und stur ! Und dann Dein Ordnungsfimmel, furchtbar !
Also, frag Dich noch mal, bist Du wirklich gut genug ?
Die Antwort ?
Jetzt, in dem Moment als Sie den Kopf dreht und wir uns in die Augen sehen, weis ich das ich es bin. Ich kann es in Ihrem Blick sehen, einem Blick, der in mir die Sonne aufgehen lässt und alle Zweifel hinweg fegt und als eine winzig kleine Hand suchend in mein Gesicht patscht, wir uns anlächeln und ich aufstehe um das schlafende Kind in sein Bett zu legen, da kann ich es fühlen.
Ich bin gut genug.
© 11.2009 by Biker_696