Das neunte Türchen
So, Ihr, die Ihr mühselig und geschlagen seid - ich hatte keine Probleme mit dem Login gestern, aber das muss nichts heißen.Ihr fragt euch sicherlich, wem wir unsere gestrige Geschichte verdanken? Es war der liebe @*******blau, der uns dieses Fussball-Gleichnis zur Verfügung stellte. Wer wird uns heute überraschen? Schaut selbst:
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Des Weihnachtsmannes praller Sack
Mein Name ist Fietke Janssen und ich möchte euch gerne eine Geschichte erzählen. Es ist die Geschichte, die sich Heiligabend in unserem kleinen Dorf, hoch oben im Norden, zugetragen hat. Ich war auf dem Weg nach Hause zu Frau und Kindern, als mich der Klang einer tiefen, markdurchdringenden Stimme innehalten ließ. Die Laute kamen klar und deutlich aus der Garage eines kleinen, festlich geschmückten Anwesens, das sich in unserer unmittelbaren Nachbarschaft befand. Es war das Haus der Meinhards.
"Ich lass euch bis morgen früh zappeln, mir scheißegal, ob ihr mich anschließend verprügelt", drang es lauthals an mein Ohr.
Die Meinhards waren ausgeflogen über die Feiertage. Die Meinhards, das waren Altvadder Paul, wie ihn Svenja seit der Geburt ihres Dritten zu nennen pflegte. Arthur, Eric und Malte hießen die drei Buben, wobei Malte eigentlich eine Aurelia hätte werden sollen. Jetzt war es nun aber mal, wie es war und die in ein hoffnungsvolles Rosa getünchten Wände in Aurelias vermeintlichen Zimmer waren ebenso schnell in ein sattes 'Malteblau' umgetüncht, wie Svenja einen Termin bei Dr. Perleberg vereinbart hatte. Dr. Perleberg war der Hausarzt der Meinerts. "Zeit, deine Glocken abzuhängen", entschied Svenja, während sich die Rufverbindung zur Arztpraxis aufbaute. "Drei sind genug, es sind einfach noch zu viele Schwingungen da drin", fuhr sie auf deinen Schritt deutend unmissverständlich fort. Der Gedanke ans Verstummen seines heiligen Geläutes hatte Paul von Anfang an nicht behagt, aber letztendlich hatte auch er einsehen müssen, dass es so nicht weitergehen konnte. Svenja war einfach zu empfänglich und die Elastizität der Latexmischungen hatte zu keinem Zeitpunkt gehalten, was die verschiedenen Hersteller in ihren Gebrauchsanweisungen versprachen.
Was folgte, war ein kurzer und schmerzloser Eingriff, der dem Spaß zwar keinen Abbruch tat, den Paul seitdem aber tunlichst ausblendete. Thema erledigt und gut.
Geräuschlos hatte ich mich bis kurz vor die offenstehende Garage angeschlichen und hinter einer kleinen Tanne, die mir einerseits eine gute Deckung bot, mir andererseits aber auch einen freien Blick auf das Geschehen gewährte, verschanzt. Der Anblick, der sich mir offenbarte, entbehrte jeglicher Vernunft. In der Garage schimpfte der Weihnachtsmann höchstpersönlich wie ein Rohrspatz mit einem prall gefüllten, riesengroßen Jutesack, der neben ihm auf dem Steinboden stand.
Was war das? Was hatte er hier zu schaffen? Was hatte es mit diesem Sack auf sich und was erzürnte ihn so sehr an ihm? Nicht einmal in meinen kühnsten Träumen hatte ich für möglich gehalten, dass der Weihnachtsmann so außer sich geraten könnte.
Auf einmal fing das Ding an, sich zu bewegen. Es schien Leben in diesem Sack zu stecken. Das Bild, das sich mir bot, erinnerte mich an die von außen sichtbaren unkontrollierten und heftigen Tritte eines Babys gegen die Innenwände eines Mutterleibes.
"Das mussten aber viele Babys sein", schoss es mir durch den Kopf. Ein mulmiges Gefühl durchzog mich augenblicklich.
"Hoho, hast ganze Arbeit geleistet", klopfe er sich selbstgefällig auf die Schultern. Seine Äußerungen schienen im Inneren des Sackes auf großen Unmut zu stoßen, der sich alsbald in einer Art weinerlichen Protestes entlud. "Katzenjammer?", nein, der Begriff 'Katzenjammer' traf es nicht. Eher das Wehklagen hungernder Gestalten, die in der Unterwelt eines Endzeitthrillers gefangen in Todesangst um ihr Leben flehten.
"Haltet endlich euer dummes Maul, euch kann sowieso keiner hören", tönte seine donnernde Stimme.
Seinen grimmiger Blick ließ er dabei langsam von Richtung des Sackes aus nach hinten zu den Regalen an der Stirnseite der Garage schweifen, wo er eine Bierkiste erspähte, die halbvoll und gut gekühlt darauf wartete, von ihm in Besitz genommen zu werden. Augenblicklich verschwand seine erboste Mine und verwandelte sich kurzerhand in den allbekannt gütigen Gesichtsausdruck des Weihnachtsmannes.
"Dich hat der Himmel geschickt, hallelujah, ein Bierkasten, der Herr sei's getrommelt und gepfiffen!" Sein Stoßgebet zeigte Wirkung bei den mutmaßlich im Sack gefangenen Gestalten. Kaum hatte er das Wort 'Bierkasten' ausgesprochen, verstummte das Wehklagen und mutierte in ein feuchtfröhliches Gejauchze.
Darauf also waren sie aus, es gelüstete sie nach Alkohol. Jetzt musste ich schmunzeln.
"Ein Haufen nichtsnutziger Trittbrettfahrer seid ihr!" Die Worte, die er fand, während er 'Tacheles' mit ihnen sprach, waren an Deutlichkeit nicht zu übertreffen. "Es geschieht euch ...", fuhr er fort, "es geschieht euch nur recht, dass ihr in diesem Sack steckt und ausharren müsst bis morgen früh. Jetzt hats ein Ende mit eurer unfähigen Raterei. Außerdem schadet es gewiss nicht, euch allesamt einmal aus der Mitte eurer überfüllten Kühlschränke und der Monotonie eurer bläulich flimmernden Bildschirme herauszureißen. Zum Teufel mit eurem prallen Leben. Ihr könnt plärren, so lange ihr wollt, heute geht ihr leer aus!"
Es war mucksmäuschenstill in der Garage.
Der laute Plopp beim Öffnen der ersten Bierflache war es, der die Totenstille mit einem Mal zerriss. Dann setzte er an und leerte die Pulle in einem einzigen Zug. "Schön brav sein, dann kriegt ihr vielleicht auch was ab!" Sein schallendes Gelächter war zweifelsohne bis ins Nachbardorf zu hören. Und wie es aussah, schien er die Meute dort im Sack fest im Griff zu haben.
Das ohrenbetäubende Knattern eines Zweitaktmotors und das gleißende Licht eines Scheinwerfers ließen mich jäh aus meinen Gedanken hochschrecken. Bevor ich realisieren konnte, was da geschah, stand ein Expressbote auf seiner Vespa in der Garageneinfahrt. "Für Meinhard, ein Brief!", ranzte er den Rauschebart gestresst an und drückte ihm einen großen, gefütterten Umschlag in die Hand, wendete seinen Motorroller und war so schnell er erschienen war wieder in der nächtlichen Dunkelheit verschwunden.
"Was soll denn das jetzt? Das war so nicht abgemacht! Mir wird das langsam zu blöde hier. Dieser heißkalte Wechsel an Gefühlen lädt einen wahrlich nicht zum Baden ein." Sichtlich rang der Weihnachtsmann mit sich ob seiner Beherrschung und kämpfte um klare Gedanken.
"Also, jetzt gibt es zwei Dinge, zwei Dinge, die ich zu öffnen habe", brummelte er vor sich hin. "Die verbleibenden Bierflaschen und einen Briefumschlag."
"Und den Sack", vervollständige ich seine Worte in Gedanken.
Die Entscheidung schien dem Alten nicht sonderlich schwer zu fallen. Dem nächsten Knall ging das Öffnen der zweiten Bierflasche einher. Schon nahm das Grunzen und Schmatzen im Sack wieder zu.
"Es funktioniert tatsächlich", frohlockte er und schickte einen kräftigen Rülpser in Richtung des wabernden Sackes. Das Spiel schien ihm diebische Freude zu bereiten. "Plopp, wääääh, Plopp, wäääh, Plopp, wäääh, rülps, wääh wääh." Ein Bierchen nach dem anderen wanderte gluckernd in seinen riesigen Bauch.
"Es wird allmählich Zeit für den Brief," murmelte er leise in seinen weißen Bart hinein. Behände öffnete er das Kuvert und zog neben einem zusammengefalteten Brief auch einen vermutlich handschriftlich verfassten Notizzettel aus dem Umschlag heraus. Mit jeder Silbe, die er las, verdunkelte sich seine Mine zunehmend. Bei der letzten Zeile angekommen, stampfte er völlig entrüstet mit einem Bein auf, zerknüllte die beiden Schriftstücke und pfefferte sie mit aller Wucht auf den Garagenboden.
"Ihr Drecksäcke", fluchte er lauthals, stürzte wutentbrannt aus der Garage und flog auf seinem im Vorgarten der Meinhards geparkten Rentierschlitten auf und davon.
Den Sack aber ließ er in unverrichteter Dinge zurück.
Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis ich seine Rückkehr ausschließen konnte und schließlich zögerlich die Garage betrat. Im Sack war es inzwischen sehr unruhig geworden. Ein stimmgewaltiges "Lass uns frei, lass uns frei" war deutlich zu vernehmen. Ich befand mich einer Art Zugzwang und fühlte mich daher genötigt, der Sache auf dem Grund zu gehen und einzuschreiten. Zuvor aber wollte ich wissen, was da geschrieben stand, das den Weihnachtsmann so verärgert hatte und entschloss mich, zunächst das kleinere der beiden Schriftstücke, den handschriftlich verfassten Zettel aufzuheben und zu lesen.
Nikolaus, zum Donnerwetter!
Was hast du dir denn dabei gedacht? Du kannst doch nicht allen Ernstes eine ganze Autorengruppe einsperren und denken, dass ich davon keinen Wind bekomme und dir das dann auch noch durchgehen lasse. Jetzt haben wir den Salat. Du setzt diese Rasselbande unverzüglich auf freien Fuß und kümmerst dich um deine ureigentlichen Aufgaben. Haben wir uns verstanden, Alter, geht's noch?
Idiot!
Chef
Anlage
Ich traute meinen Augen kaum, als ich begriff, was ich da in meinen Händen hielt. Das war allen Ernstes eine Nachricht mit einer klaren Anweisung an den, ja, ihr habt richtig gehört, an den Weihnachtsmann, vom Chef höchstpersönlich verfasst. Und es wies darauf hin, dass in diesem Sack tatsächlich eine Gruppe gekidnappter Autoren gefangen sein musste. Was war da nur geschehen? Ich verstand nicht. Ich hoffte, die Antworten auf all meine Fragen in dem Brief zu finden, der dieser Botschaft als Anlage beigelegt worden war. So entfaltete ich mit zitternden Händen auch das zweite Papierknäuel.
An den Chef des Weihnachtsmannes - Sammelpetition
Wir, ein feines Grüppchen an Geschichtenerzählern, Schriftstellern und Autoren, haben gewiss nichts Böses getan. (*Außer ein wenig miteinander gespielt vielleicht)
Aus unserer großen Not heraus sehen wir uns gezwungen, uns direkt an Sie zu wenden und Sie um Abhilfe der folgenden Missstände zu bitten.
Der in Ihnen Diensten stehende Weihnachtsmann ist ein Dieb und Entführer. Er hält uns gegen unseren Willen in einem großen Sack gefangen, wo er uns darben lässt. Er quält uns mit dem Geräusch aufploppender Bierflaschen, besäuft sich, ohne uns auch nur einen einzigen Tropfen davon abzugeben.
Er will uns so von unserem ach so geliebten Adventsgeschichtenspiel ausschließen und uns die heutige Geschichte vorenthalten mit dem Ziel, den Verfasser nicht erraten zu können und uns somit allen eine Nullrunde droht.
Hier hört der Spaß auf. Wir können das keinesfalls hinnehmen.
Wir, die Unterzeichner dieser Petition verlangen deshalb vehement unsere unverzügliche Freilassung und die Enthebung des Weihnachtsmannes von seinen Ämtern
gezeichnet:
@*******tee, @*********_Arte, @*******Dom, @***a2, @*******ush, @*********ose_K, @******s23, @****59, @**********hylen, @**********kus69, @**********Engel, @******ace, @**********heSun, @*******blau, @*******tia, @*********ld63, @**********henke, @**********gosto, @*******ord, @*****002, @*********ynter, @*****e_M, @*****a99, @*****ree, @****na5, @*******y42, @*******_HB
Das also war das Geheimnis und es lag nun an mir, dem Ganzen ein Ende zu bereiten. Für einen kurzen Moment hielt ich inne und überlegte. "Wollte ich das? Wollte ich mich dem Ansinnen des Weihnachtsmannes widersetzen?"
Ein einziges Bier hatte er übrig gelassen, bevor er mitsamt seines Rentierschlittens auf Nimmerwiedersehen verschwunden war. Für mich stand fest, mir dieses Bierchen auf all diesen Schrecken hin wohl redlich verdient zu haben. Eilig kramte ich das rote Einwegfeuerzeug aus meiner Hosentasche, setzte es am Rand des Kronkorkens an und öffnete die Bierflasche mit einem astreinen, satten 'Plopp'. Zeitgleich verstummte das Wehklagen der eingesperrten Autoren, um sich nur wenige Sekunden später erneut in das mir inzwischen vertraute Gejohle zu verwandeln. Der alte Mann hatte wirklich einen astreinen Job gemacht und keinesfalls zu viel versprochen. Seine Dressur funktionierte, darin bestand kein Zweifel.
Mit einem Lächeln im Gesicht ließ ich das blecherne Garagentor hinter mir ins Schloss fallen und prostete ihm den Blick gen Himmel augenzwinkernd zu.
"Machs gut, du alter Haudegen, Frohe Weihnachten!"