Das zwölfte Türchen
Guten Morgen, einen schönen Sonntag und ersten Advent euch allen. Bestimmt seid ihr schon gespannt, wem wir unsere gestrige Geschichte verdanken? Es war
@*******ord , die uns die Gurke an den Baum gehänt hat.
Heute geht es um Schutzengel und wie man einer wird
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Das pralle Leben
„Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?“
Die zornige Stimme erschreckt Marcel so arg, dass er fast von der Dachkante abrutscht. Er fängt sich gerade noch so und blickt sich um, aber es ist niemand zu sehen! Er ist alleine auf dem Dach.
„Wie oft soll ich dir heute noch den Arsch retten?! Erst fällst du fast vor die Metro, dann entgehst du nur um Haaresbreite dem Bus und jetzt stehst du hier auf dem Hausdach?! Ich habe weiß Gott genug anderes zu tun, als den ganzen Tag an deinen Versen zu kleben!“
Wieder hört Marcel diese Stimme - so nah - als stände jemand direkt neben ihm.
Ein heftiger Schauer fährt über seine Haut, so dass die kleinen Haare sich gen Himmel recken.
„Verdammt, wer ist da?“ fragt er, ohne wirklich mit einer Antwort zu rechnen, da er an seiner Wahrnehmung zweifelt.
„Na wer schon - dein völlig überarbeiteter und genervter Schutzengel, Bro! Du bist echt der schlimmste Fall, seit langer Zeit.“
„Blödsinn! Sowas gibt es doch gar nicht. Komm raus und zeig dich, statt hier dumme Scherze zu treiben!“ Marcel fühlt sich veralbert und wird langsam wütend.
„Herr hilf! Ein ungläubiger Thomas ist er auch noch.
Kommst du von der Kante weg, wenn ich mich zeige?“
Die Stimme nimmt einen bittenden Tonfall an.
Marcels Blick schweift über das Dach. Nirgendwo ist ein Platz wo sich jemand verstecken könnte. Ebensowenig deutet etwas auf einen versteckten Lautsprecher oder ähnliches. Er ist in der Tat neugierig, wer oder was, hier sein Spielchen mit ihm treibt und steigt von der Kante runter aufs Dach.
„Also gut - jetzt zeig dich!“
Vor ihm flimmert es und wo gerade noch nichts war, materialisiert sich eine Gestalt.
Marcels Augen werden groß wie Unterteller. Das kann doch nicht echt sein. Von wegen Engel! Vor ihm steht ein Teenager in Jeans und Shirt.
Drahtige rote Haare und ein sommersprossiges Gesicht. Ein freches Funkeln in den Augen.
„So nun siehst du mich. Deswegen musste ich extra „oben“ um Erlaubnis bitten.
Im übrigen - ich heiße Etienne und hab schon seit deiner Geburt ein Auge auf dich.
Bisher lief dein Leben ja relativ problemlos, aber was hat dich heute geritten ...?“
Étienne seufzt schwer und blickt Marcel an, der wie in Schockstarre vor ihm verharrt und fährt fort.
„Was soll das denn alles?
Da unten in der Stadt tobt das pralle Leben und du willst deins einfach wegwerfen? Noch dazu wegen einem Streit mit deiner Frau oder weil der Job grad flöten ist? Weltweit liegen Menschen in den Krankenhäusern und kämpfen darum weiterleben zu dürfen und du willst deins beenden? Schäm dich!
Weißt du eigentlich was mit Selbstmördern passiert nach dem Tod? Du wirst dazu verdonnert als Schutzengel zu arbeiten und zwar solange bis deine Lebensschuld ausgeglichen und dein Geist gereinigt ist! Ich weiß genau wovon ich rede.
Na, willst du immer noch runterspringen, Bro?“
Marcel hat sich nicht bewegt. Die Worte rauschen wie ein Wasserfall in seinen Ohren. Er glaubt nicht was er sieht und schon gar nicht, was er hört. Alles völliger Quatsch - wo auch immer der Bengel herkam. Vermutlich ist es ein geistig Verwirrter.
„Hau einfach ab und such dir einen anderen für deine Märchen!“, grummelt er in Richtung Étienne, steigt wieder auf die Kante und ...springt.
Étienne bleibt einfach stehen.
Sehr lange muss er nicht warten bis Marcel wieder auf dem Dach erscheint.
Étienne geht zur Kante und schaut auf den zerschmetterten Körper da unten.
„Respekt, da hast du ja eine schöne Sauerei veranstaltet, noch dazu einen Tag vor Heiligabend!
Was aber viel schlimmer ist, jetzt muss ich mich auch noch um deine Ausbildung kümmern. Hast du sauber hinbekommen, Bro!“
Die Ironie trieft nur so aus seinen Worten.
Marcel folgt ihm und schaut nach unten. In Zeitlupe sickert die Realität in seinen Geist.
Wie kann das sein - da unten liegt er - mausetot - und eine Menschenmenge versammelt sich um ihn.
Ein Blaulichtgewitter nähert sich dem Ort des Geschehens.
„Was ist jetzt? Willst du dir das Spektakel auch noch bis zum Schluss ansehen, oder kommst du mit?“
Marcel spürt wie Étienne kräftig an seinem Arm zerrt ...
~
„Papa. ... Paaapa, wach auf!“
Lisa zerrt an seinem Arm.
„Paaapa, wir müssen noch den Baum schmücken. Den haben Mama und ich eben gekauft.
Marcel versucht krampfhaft seine Gedanken zu sortieren.
Er war doch eben noch auf dem Dach mit Étienne. Wie ist er nach Hause gekommen?
Siedend heiß fällt ihm ein, dass er gesprungen ist. Der Aufprall.
Himmel, es muss ein mieser Traum gewesen sein. Es kann nicht anders sein. Das passt alles nicht zusammen.
„Papa kommst du jetzt endlich?“ Lisa wird langsam quengelig.
„Einen Moment, Maus, ich komme ja schon.“
Langsam versucht Marcel vom Bett aufzustehen. Es kommt ihm vor als hätte er im Sportstudio mächtig übertrieben. Alle Muskeln sind verkrampft und schmerzen.
Endlich steht er auf seinen Füßen. Was für ein Alptraum!
Es klingelt an der Haustür.
Lisa rennt los.
„Ich gehe schon, Papa.“
Eine Minute später ist sie zurück und wedelt mit einem Umschlag herum.
„Da war ein rothaariger Junge an der Tür. Der hat gesagt, dass der für dich ist.“
Lisa hält ihm den Umschlag hin. Marcel greift danach und zieht eine Karte heraus.
„Das pralle Leben.
Mach was daraus!“
E.