Das vierzehnte Türchen
Ich mache es kurz - alle, die auf
@*****ree gesetzt haben, hatten den richtigen Riecher.
In der heutigen Geschichte lesen wir von einer bestimmten Frucht, die so gar nicht mit Weihnachten assoziiert hätte ...
_________________________________________________________________________
Grün und prall
Es ist noch sehr früh am Morgen. Ich steige aus meinen Träumen aus. Eben noch irgendwo in einem watteweichen Universum verpackt, spüre ich jetzt Enge in meiner grünen Behausung. Lange schon ist mir klar, dass das nicht alles sein kann. Eine gefühlte Ewigkeit hänge ich nun hier fest und wachse neben meinen Mitbewohnern ständig weiter. War es noch zu Beginn sehr komfortabel mit viel Platz zum Atmen und hin und wieder auch einem leichten Räkeln, so ist dies jetzt kaum noch möglich.
Von Anbeginn an wusste ich, dass es außerhalb, hinter der leicht transparenten Wand, noch viel mehr geben musste.
Täglich höre ich Stimmen, spürte wie etwas Weiches, Kühles niederprasselt. Dabei fallen mir Begriffe ein, die mich zunächst irritieren, deren Inhalt mir eigentlich gar nicht bekannt sein konnte. Allerdings dauert es nie lange und ich kann sie für mich mit einem klaren Bild sehen und verstehen.
Oftmals habe ich versucht meinen drei Mitbewohnern davon zu berichten. Doch diese waren vor allem prall und stumm. Wir berührten uns in der Enge ständig, doch wussten wir etwas von einander?
Jetzt höre ich wieder diese Schritte, die in regelmäßigen Abständen mit dumpfem Klang auf uns zukommen. Plötzlich ein Schatten, ein Ruck und kopfüber verändert sich meine Lage bis ich mit einem dumpfen Schlag auf einem harten Untergrund lande. Dabei wird es hell, sehr hell. Ich schaue nach oben in ein unfassbar grelles Licht.
Es dauert eine Weile bis ich verstehe was passiert ist. Mitsamt meiner grünen Umgebung werde ich in eine Kiste geworfen. Um mich herum alles grün und etwas stachelig rau. Manche Artgenossen sind ebenfalls in einer aufgebrochenen Hülle. Da kommt eine Hand immer näher und packt zu. Ausgerechnet unsere Behausung wird hochgehoben und liegt in einer Menschenhand.
„Ein ganz tolles Exemplar! Prall, grün und ohne Makel. Sie könnte es sein!“ Sagt eine Stimme. „Ja, das könnte sein“, kommt von der anderen Seite. Vorsichtig dreht man mich mitsamt meiner Hülle. Die anderen Drei schienen sich dicht aneinander zu drücken, aber um die geht es nicht. Etwas schmerzhaft reißt man mich heraus und ich liege nun völlig alleine auf dieser Menschenhand.
„Okay! Nehmen wir sie mit!“ Man bringt mich vorsichtig gehalten zu einem Wagen, legt mich auf etwas Weiches in eine kleine Schale. Und dann startet mit lautem Brummen ein Motor. Ich starre zunächst völlig ratlos vor mich hin, bemerke dann aber ein Fenster und betrachte eine an mir vorbei fliegende Landschaft. Niemals habe ich so etwas gesehen, doch weiß ich, dass es das alles gibt. Nach einiger Zeit endete das Geruckel und Gebrumme und die beiden Menschen werfen krachend Autotüren zu. Einer geht nun zur Hintertür, greift nach mir mitsamt der Schale. Ich werde über einen großen Platz getragen. Dann geht es eine breite Treppe hinauf und wir sind in einem weiten Raum. Ich sehe eine hohe Decke mit Bildern, wie man sie sonst nur im Traum sehen kann. Da sind Wolken und kleine Figuren mit Flügeln, blitzend goldene Strahlen und am Rand sieht es so aus als würden die Figuren lebendig im Raum hängen.
Einige Menschen sind da und kommen näher um mich zu betrachten. „Ja, das ist sie!“ Sie sind sich einig und voller Begeisterung. Man trägt mich durch diesen großen Raum und der Klang ihrer Schritte auf einem harten, glatten Boden, schmerzt etwas beim Wiederklang in mir.
Wir stehen jetzt vor einem goldenen Tisch, auf dem sich zwischen großen Kerzenleuchtern und anderen Gerätschaften ein beeindruckender grüner Kegel erhebt. In seiner Spitze ist eine Lücke und ehe ich meine Gedanken weiter sortieren kann, fasst man mit spitzen Fingern zu und setzt mich genau in diese Lücke.
„Es ist ein kleines Wunder, dass wir sie gefunden haben“, raunen die Menschen ringsum mich herum. „Das wird ein ganz besonderes Fest! Einmalig!“
Ich schaue mich um. Unter mir befinden sich fein aufgestapelt sehr viele meiner Artgenossen. Sanfte Bewegungen senden sie aus und wenn ich ganz genau hinhöre, dann kann ich auch leise Stimmen wahrnehmen.
„Hallo“ sage ich leise und sofort kommt ein vielfaches Hallo zurück. „Was machen wir hier?“
Ganz dicht an meinem Körper flüstert man mir zu, dass die Menschen ein Fest feiern wollen. Sie feierten es in jedem Jahr. Irgendwie hatte das Fest etwas mit einem Baum zu tun und mit der Farbe grün. Früher, so sagt eine zarte Stimme, hatte dieser Baum immer sehr viele Äste und Stacheln, doch seit es seine Art nicht mehr gibt, sind wir an der Reihe. Und eine tiefe brummige Stimme ruft leise, dass wir dann aber auch mit den Folgen rechnen müssen, denn nach diesem Fest landeten wir alle in einem Topf.
„In einem Topf“ bricht es aus mir heraus. "Was sollen wir in einem Topf?“ „Wir werden gekocht und verspeist. Wir sind nicht alleine in diesem Topf, sie werfen da so allerlei hinein. Und am Ende kommt die große Maschine“ erzählte die tiefe Stimme weiter. „Eine Maschine, was soll das sein“ frage ich. „Na das ist so ein silberner Stab den sie in den großen Topf stecken und uns mitsamt aller anderen Sachen vernichten. Dann wird weißes geriebenes Kristall über unsere Reste geschüttet und dann kommen die silbernen Löffel.“
Es folgte eine große Stille in dem grünen Kegel. „Woher wisst ihr das“, frage ich. Nach einiger Zeit des weiteren Schweigens flüstern sie mir zu, dass sie das aus ihren Träumen wissen und dass dieses Traumwissen sich immer weiter fortsetzt bei allen Artgenossen. Merkwürdig, denke ich, solche Träume sind mir nicht bekannt. Als ich kurze Zeit später dies laut äussere, kommt eine merkwürdige Unruhe in dem grünen Kegel auf.
„Du bist es“, raunt man mir zu. „Auf dich warten wir schon seit vielen Generationen!“ Und es scheint so, als herrsche plötzlich eine ausgelassene Stimmung. „In den Träumen taucht immer wieder ein Retter auf, jemand, der uns aus diesem Kreislauf befreit und uns wieder zu ganz normalen Artgenossen macht“. „Was sind ganz normale Artgenossen?“ frage ich völlig ahnungslos.
„Ursprünglich kommen wir aus Kleinasien, wir wachsen an Sträuchern, reifen aus, platzen auf und fallen auf die Erde. Dort keimen wir erneut und es wachsen neue Sträucher. Ab und zu werden wir von unseren Freunden den Tieren gefressen. Insgesamt gesehen also ein wundervolles Leben. Erst seit die Menschen entdeckten, dass wir für ihre Nahrung wichtig sein können, geht es mit uns bergab. Fast alle von uns landen in einer Fabrik, werden in Eiseskälte gefangen gehalten oder in Metalldosen. Und dann dieser Weihnachtskult, dieser grüne Wahn. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt um alles zu ändern.“
„Nun ja“, gebe ich zu bedenken, „wie können wir denn für alle Artgenossen etwas ändern?“
„Wenn wir die Menschen so erschrecken, dass sie uns künftig in Ruhe lassen, dass sie gar Angst vor uns haben, könnte es gelingen“, sagte jemand. „Ja und vielleicht lassen wir noch ein Zeichen hier, etwas das den Menschen große Angst macht!“
Da kommt mir eine Idee. Und nachdem ich diese verkündet habe scheint es als hüpfe jedes einzelne pralle Teilchen etwas auf und ab.
„Gut, wir warten ab bis die Menschen diesen Raum…“ „Das ist eine Kirche“, ruft eine zarte Stimme“. „Also gut, bis die Menschen diese Kirche verlassen haben warten wir ab, dann beginnen wir langsam und geordnet mit dem Rückzug. Es beginnt mit mir, ich hangele mich vorsichtig von meiner Position hinunter und dann geht es immer so weiter mit dem der am höchsten sitzt. Unten auf dem goldenen Tisch warten wir bis die komplette Aktion beendet ist.“
„Und das Zeichen?“ „Ja da habe ich eine Idee. Wir müssen die Menschen an einer empfindlichen Stelle treffen. Das Eine ist ja wohl, dass wir, der Weihnachtsbaumersatz, nicht mehr da sind, aber wenn sie noch mehr an ihrem Weihnachtskult gehindert werden, dann wäre das ein deutliches Zeichen uns in Zukunft zu meiden. Und überall muss dies bekannt gemacht werden. Hat jemand eine Idee zu dem was ihnen besonders wichtig ist?“
Ziemlich schnell ist allen klar, dass auf dem goldenen Tisch ein besonderes Buch liegt. Ein schweres Buch. Groß und mit Leder bezogen. Das Buch liegt aufgeschlagen da. Es strahlt eine große Bedeutsamkeit aus.
„Kann jemand lesen? Ist vielleicht eine dumme Frage, aber vielleicht?“ Aus der untersten Reihe meldet sich ein etwas gelbliches Wesen. „Könnte sein, dass ich das kann. Ich wuchs in einem biologischen Labor auf und man deckte mich immer mit bedruckten Seiten ab“.
Wunderbar. Und so kommt es dann, dass alle nacheinander aus diesem Kegelgebilde hinabsteigen auf den Tisch. Dort angekommen setzt sich die Gelbliche auf das aufgeschlagene Buch und beginnt zu lesen..
„…Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, denn sie hatten keinen Raum in der Herberge. Und es waren Hirten…“
„Genug, genug“, rufen die anderen fast wie im Chor. „Das ist es, die Weihnachtsgeschichte, die die Menschen für wahr halten. Da muss nun das Zeichen drauf.“ Und man beschliesst diese Geschichte auszulöschen. Wir stellen uns aufeinander und schaffen es mit großer Mühe die riesigen Kerzenleuchter zu drehen, zu kippen und das Wachs genau auf den Text laufen zu lassen. Eine dicke Wachsschicht wächst und wächst und bald ist kein Buchstabe mehr zu erkennen. Da aber wir kleinen Wesen es ganz besonders gut meinen, giessen wir das Wachs auch noch über die silbernen Pokale, die am Tischrand stehen, über ein kleines Holzkreuz und ringsum über alles andere.
Jetzt ist Eile geboten. Wir kullern vom Tisch herunter, stellen uns in einer Reihe auf und halten uns an den fast unsichtbar kleinen Händen. Und es geht los. Zunächst über den roten Teppich eines langen Ganges. Dann unter einer dicken hölzernen Tür durch und auf die große Freitreppe. Dort huschen wir unter den Füßen einiger Menschen hindurch, überqueren den großen Marktplatz und kullern weiter Richtung Hafen. Gerade will ein Schiff ablegen und mit einem gewaltigen Sprung, der wie eine fliegende Kette aussieht, landen wir zwischen alten Säcken auf den Schiffsplanken. Wir verstecken uns gut bis es Nacht wird und beschliessen dann bei der nächsten Gelegenheit das Schiff zu verlassen und einen sicheren Platz im Wald oder auf einem Feld zu suchen.
Und dann? Alle denken, dass sie in ihrer ersehnten Sicherheit langsam vertrocknen, in die Erde versinken und im nächsten Frühjahr wieder mit neuer Schönheit erwachen würden.
Doch es kommt erst noch anders.
Wir verlassen das Schiff am nächsten Morgen, blinzeln etwas in die Sonne und sind schon im Begriff in den sicheren Wald zu laufen. Nur noch aus diesem Hafenbereich hinaus, links an den Büros vorbei und… wie auf ein Kommando bleiben alle stehen. In einem der Schaufenster des Hafenbüros glitzert ein eckiger Kasten in dem ein Mensch sitzt und spricht. Eine sich bewegende Schrift läuft unter dem Bild. „Ruhe“, ruft die Gelbliche, „da geht es um uns!“ Und dann hören wir es alle. Im einem kleinen Ort nahe der Küste, so wird berichtet, sei in der letzten Nacht etwas Unglaubliches geschehen. In der für Weihnachten dekorierten Kirche habe sich etwas mysteriöses ereignet. Obwohl niemand Zutritt hatte, wurde der Weihnachtsbaum ohne jegliche Spuren entfernt und die Heilige Schrift an den entscheidenden Stellen vernichtet. Da der Küster mit absoluter Sicherheit weiss, dass es unmöglich Menschenwerk sein kann, habe man im großen Umkreis alle Weihnachtsfeierlichkeiten abgesagt. Der Rat der christlichen Kirchen ist in Krisenberatungen. Umweltschutzorganisationen meldeten sich umgehend zu Wort und betonen, dass sie nichts mit dieser Aktion zum tun haben, wenngleich sie doch schon seit Jahren auf die botanische Ressourcenverschwendung und deren klimatische Auswirkungen besorgt hinweisen. Vor allem die völlig absurde Verwendung der Erbsenpflanze als Weihnachtsbaumersatz solle nun global hinterfragt werden.
„Habt ihr das alle verstanden? Wir haben unser Ziel erreicht! Und jetzt nix wie in Sicherheit und weg von hier!“
Wir rennen über die Strasse und laufen und laufen bis mitten im Wald eine Wiese auftaucht. Dort purzeln wir alle kopfüber ins Gras. Nach einer kurzen Erholung allerdings bemerken wir, dass wir nicht alleine sind. Ringsum in den Bäumen leuchtet es. Ein sanfter Regenschauer begrüsst uns und lässt alle Anstrengung von uns abfallen. Die Bäume im Wald singen im Wind und knarrende Baumstümpfe spielen den Bass dazu. Da springen wir auf, fassen uns an den Händen und feiern das pralle Leben.
Von diesem Tag an ist vieles anders auf der Welt. Erbsen stehen unter Naturschutz und bei Strafe ist es verboten sie zu ernten oder zu konsumieren. Und das Weihnachtsfest der Menschen? Es wird auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Der Vatikan steht kurz vor seiner Auflösung. Einige Kritiker fordern in seinen Gärten künftig nur noch wilde Erbsen zu pflanzen. Fundamentalisten behaupten Jesus sei in Pflanzenform wieder auf die Erde gekommen.
Und ich, was ist mit mir geschehen? Nach dem großen Fest auf der Wiese bin ich tief in die Erde getaucht, habe nach einem ruhigen Winter lustvoll im Frühjahr neue Triebe ins Sonnenlicht gestreckt und freue mich über alle meine Kinder. Weihnachten hat seitdem für mich eine ganz besondere Bedeutung. Ich werde es künftig zur Erinnerung an unsere Errettung und die Garantie eines prallen Lebens feiern. Aber ganz bestimmt nicht im Winter.