Das siebzehnte Türchen
Guten Morgen, ihr alle, und besonders die Booster-Geplagten! Ich kann berichten, dass es mit wieder soweit geht - nach Schüttelfrost, Fieber, Nachtschweiß ist nur noch der Lymphknoten (Sage ein deutsches Wort mit "mphkn"
) in der linken Achsel geschwollen, aber das soll sich nach 10-14 Tagen legen. Also - es wird wieder, gute Besserung euch allen.
Nach den Klagen die schönen Nachrichten. Die gestrige Geschichte stammt von
@*****a99 und alle, die sie nicht geraten haben, haben zwar nicht in die Minuskiste gegriffen, zumindest aber keine Pluspunkte gesammelt. Was die heutige Geschichte anbelangt, so ist sie aus aus Gründen ohne Bild, aber mit Video
- jedoch,
selbst.
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Meine Freundin Harvey
Es sind immer unsere Träume, Doktor, die hinter uns stehen. Sei allein machen das Leben erträglich, mein Freund. (Mary Chase: Mein Freund Harvey)
Als ich meinen Kopf hebe, begegnet mein Blick den leuchtend grünen Augen der Waitress, die gerade im Begriff war, mir eine mindestens ärmellange Rechnung unter das Kinn zu schieben. Die Strenge, die ihr leicht zurückgelehnter Körper vermittelt, wird durch ein Lächeln aufgelockert, welches mir beinahe ein Gefühl von häuslicher Geborgenheit einhaucht. Von Flaherty keine Spur. Der Hurensohn ist wohl klammheimlich stiften gegangen, als ich dann nach dem soundsovielten Clontarf die Segel strich. Offensichtlich liest die dunkelhaarige Mitdreißigerin mit den grünen Augen meine Gedanken und schüttelt den Kopf.
„Your guy is leavin` already since two hours“. Und mit einem Nicken zum Fetzen Papier, der mittlerweile an meinem Kinn klebt, raunt sie mir zu:
„Happy Christmas, German sailor. The bill is for the last guest on the table. That´s irish need”.
So langsam geht mir auf, was der erste Offizier wohl meinte, als er mir am Dublin Port vor meinem Landgang mit Flaherty noch etwas über die Brückenreling zubrüllte. Dass ich einen Iren immer im Auge behalten muss, wenn ich mit diesem in eine Spelunke gehe. Missmutig krame ich in meinen Taschen und stelle nach erschütternder Sichtung des Bewirtungsbelegs fest, dass beinahe die Hälfte meiner Heuer dabei draufgeht. Nicht ohne der dunkelhaarigen Schönen ein angemessenes Trinkgeld zuzustecken, welches sie mit einem Augenzwinkern und der Frage einstreicht, ob ich noch einen Absacker aufs Haus nehme. Ich winke freundlich ab, erinnere ich mich doch schemenhaft daran, dass sie sich länger zu unseren Tresenplätzen gesellte, als es noch vor Stunden hoch herging.
Flaherty war neben dem holländischen Kapitän, dem ostfriesischen Brückenoffizier und meiner Wenigkeit neben Indern und Filipinos der einzige Europäer auf dem Stückgutfrachter. Säuberlich getrennt von den Mannschaftsgraden logierten wir unweit der Kapitänskajüte Tür an Tür während des ständigen Pendelverkehrs zwischen Stettin, Reykjavik und Norfolk. Meistens beladen mit schwach strahlenden Zirkonoxid. Oder Stückgut aus Tschechien, welches den Ladepapieren zufolge aus Billigmunition bestand, mit welcher die Amis dann genüsslich und vor allem preiswert auf Waschbären oder sonst wen ballern konnten. Flaherty war zwar nur Obermaat, aber ein Weltmeister im Organisieren. Und da ich als Funkoffizier den sprichwörtlichen Draht zur Außenwelt pflegte, hatte ich bei ihm schnell einen Stein im Brett und den waschechten Iren bei nahezu jeder Freischicht auf dem Pelz. Immerhin hielt er mir bei der Brückenwache den Rücken frei, drehte sich bei mir doch bereits im Skagerrak der Magen um und zog mich einen Tag aus dem Verkehr. Nicht ahnend, was mich noch in dieser Sturmsuppe westlich der äußeren Hebriden erwarten würde.
Er erzählte gern und viel über seine Heimat und seine gekonnte Redseligkeit überdeckte die schon verblüffende Fähigkeit, einem bei einer Flasche irischen Whisky wirklich alles aus der Nase ziehen zu können. Kein Wunder also, dass er mir auf der sturmzerzausten Passage zwischen den Hebriden und der isländischen Küste entlockte, dass ich vor der Heuer jahrelang unter anderem als freier Journalist und Kolumnist mehr schlecht als recht über die Runden kam. Bis mich dann eine Schreibblockade auf Grund setzte. Und als ich dann über die Umschaltung der Funkfrequenzen auch noch eine stabile Internetverbindung herstellte, kam er recht schnell hinter das Geheimnis meiner Muse, mit der ich fernab der Heimat nahezu täglich hin und her mailte. Meine Freundin Harvey.
„So. Bist also ein Schriftsteller!“, griente mich Flaherty an und tönte herum, dass es wirklich große Schriftseller nur in Irland gäbe. Er sparte sich weiteren Spott, als ich ihm von Shaw, Beahan, Yates und vor allem Joyce und meinem Traum erzählte, einmal auf den Spuren von Leopold Bloom im Dubliner Temple Bar Distrikt zu versacken. Dachte mir dann nichts mehr dabei, als er nickte und Ruhe gab.
Als dann bei der dritten Überfahrt die Hauptmaschine kurz hinter den Shetlandinseln nicht mehr gegen die Dünung ankam, erhielt der Kapitän die Order, eine Werft in Belfast anzulaufen und danach Fenderladung am Dublin Port aufzunehmen. Flaherty fletschte die Zähne, als der den Samtstrand von Portmarnock von der Back erblickte und mir augenrollend mit einer Faust in die Seite boxte.
„Landgang, Mr. Bloom!“
Irgendwie landeten wir dann in einer Kaschemme in Portmarnock und wurden vom Wirt so begrüßt, als wenn Flaherty nahezu täglich dort einkehren würde. Dann ging es die Whiskykarte rauf und runter, etappenweise verdünnt wurde mit zimmerwarmen Smithwick's Ale. Und während ich mir an dem fünfflammigen Adventskranz auf dem Tresen ab und an die Arme versenkte, stolperte Flaherty bei seinen Toilettengängen regelmäßig über ein überlebensgroßes, albernes Rentier. Es dauerte nicht lange, dass Flaherty die Kellnerin damit volllallte, das neben ihm ein großer Schriftsteller aus Germany die Ehre gab, welcher aus allen Ecken der Welt huldvoll Zeilen an seine Muse schicken würde. Als die Kellnerin sich mir interessiert zuwandte, winkte ich empört ab:
„Im Gegensatz zu diesem Gentleman hier habe ich immerhin eine Schule besucht, in der man auch Lesen und Schreiben lernt. Mehr nicht!“
Warmherzig erklärte mir dann die Kellnerin mit spöttischer Miene, dass nichts Schlimmes daran sei, zu schreiben. Immerhin sei jeder zweite Ire ein Schriftsteller oder glaube fest daran, einer zu sein. Sie tischte dann eine unscheinbare Flasche auf. ´Writers tears` stand da auf einer weißen Banderole und als die Kellnerin dann den ersten dram einschenkte, hob sie das Glas und wünschte mir einen langen Kuss meiner Muse. Prustend trommelte Flaherty auf dem Tresen, als ich in meinem Suffkopp beichtete, nur die Stimme, die geheimen Gedanken meiner Muse und ihre Vorliebe für Nylonstrümpfe zu kennen. Sie noch nie getroffen zu haben und sie lediglich aufgrund des Umstandes zu ihrem Namen kam, weil bei unserem ersten Telefonat `This is love´ von P.J. Harvey im Hintergrund lief…
„Eine lustige Anekdote. Wie ging die Geschichte weiter?“,
steht in der Mail, die mir meine Freundin Harvey kurz vor ihrem weihnachtlichen Kirchgang schickt. Sie hat nicht viel Zeit, steht doch das obligate Heiligabendprogramm mit Kirchgang, Festessen, Bescherung und dann noch Christmette mit Mann, Kind und Kegel an. Mir scheint, Katholiken haben es nicht einfach, ob nun in Irland, Deutschland oder sonst wo. Ich äußere meine Überraschung, dass sie bei dem Stress überhaupt Zeit gefunden hat, meine Rohfassung zu lesen.
„Ist doch Ehrensache. Aber wie bist du denn da aus dieser irischen Kneipe rausgekommen?“
„Weiß ich nicht. Und ehrlich gesagt: Ich war nie in dieser Kneipe in Portemarnock. Geschweige denn, dass ich jemals zur See gefahren bin noch diesen Flaherty jemals getroffen habe. Unzählige Zeilen reifen und kreisen permanent in meinem Kopf. Zu viele, als dass auch nur ein Gedanke dieses Flickwerks auf Papier fließen kann. Allzu Unfertiges findet keinen Abschluss, als dass ich irgendeinen Sinn oder eine tiefere Bedeutung daraus erkennen kann. Nennt sich dann wohl Schreibblockade.“
Ein Smiley mit einem Augenzwinkern flattert in meine Mailbox. Dann die Frage, ob ihr Päckchen, dass sie bereits vor mehr als einer Woche losgeschickt hat, bei mir eingetroffen ist.
`Just in time, Harvey!“
Ein Seitenblick auf meinem Schreibtisch erhascht die bereits am Vormittag hastig geöffnete Expressverpackung. Darin eine unscheinbare Flasche, die seit dem frühen Heiligabend bereits zu einem Drittel geleert ist.
´Writers tears` steht da auf einer weißen Banderole. Daneben eine Karte, welche auf der Innenseite eine Fotografie eines feinen, aber auch üppigen Frauenkörpers in einem aufreizend aufgeschlagenen Festkleid und in sinnlicher Streckung offenbart. Auf der gegenüberliegenden Innenseite eine Widmung in zarter Frauenhandschrift: `Mein lieber Freund. Etwas fürs Auge, etwas für die Sinne und die Gedanken, die auf die Reise gehen. Und das an Wärme, was ich dir leider an diesem Abend nicht geben kann, soll in dieser kleinen Flasche darauf warten, dir auch an Weihnachten die Aussicht auf das pralle Leben zu schenken. Ich denke und glaube an dich. ´
Während ich die Karte durch meine Finger gleiten lasse, kommt mir in den Sinn, was James Stewart immer antwortete, wenn man ihn fragte, wo denn Harvey sei. Dieser antwortete stets, dass Harvey eine Erkältung habe und sich entschieden habe, zu Hause zu bleiben. Künstlerpech.