Das zwanzigste Türchen
Guten Morgen, meine Damundtern, hier spricht die Tagessch** Die Nachrichten: Gestern postete der Einsteller die Geschichte von
@******s23 im jährlichen Adventskalenderspiel der Kurzgeschichtengruppe des Joyclub. Alle, die auf sie setzten, haben Punkte gewonnen. Alle anderen sind um eine Erfahrung reicher...
Heute dreht es sich um die Ernährung in der Postapocalypse oder um mehr - aber lest selbst:
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Abschlussball
Der Raum strahlte im Schein von hunderten von LEDs, die von glänzenden Oberflächen reflektiert wurden. Die Dekorationen versprühten – nicht weiter verwunderlich – asiatisches Flair. Lou sah sich staunend um und blickte einer jungen Frau ins Gesicht, die ihr vage bekannt vorkam. Es daurte einen Moment, bis sie realisierte, dass sie diese Frau war - im Spiegel an der Wand gegenüber: eine jüngere Version ihrer selbst. Die dunkelblonden Haare waren zu einem lockeren Dutt hochgesteckt, kleine Perlen baumelten von ihren Ohrläppchen. Eine einreihige, kurze Perlenkette schmückte mehr den Hals als das Dekolleté des Ballkleides. Oh, und was für ein Kleid das war! Purpur mit Goldfäden, eine enganliegende Corsage über einem bauschigen Rock. Damit passte sie hervorragend in das stilistische Gemisch, das so typisch war für die heutige Zeit.
Normalerweise hätte sie die Enge des Oberteils spüren müssen, vielleicht den Stoff der halblangen Ärmel, aber sie spürte nichts. Nicht alle Sinne ließen sich austricksen.
Ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht, und sie genoss die Eindrücke, das Licht, die Musik, die Menschen um sie herum, alle ähnlich prunkvoll gewandet. Wann hatte sie zum letzten Mal solch ein Fest besucht? Hatte sie das jemals getan? Doch, einmal, damals, vor mehr als 60 Jahren. Ein anderes Fest, die Kleidung war nicht der gleichen Epoche entsprungen, sondern zeitgemäß, passend in die 30er Jahre des nun auslaufenden Jahrhunderts. Man hatte den ersten Friedensschluss gefeiert. Sie war Mitte 20 gewesen und hatte gedacht, nun endlich würde das richtige Leben beginnen. Die meisten schweren Krankheiten waren besiegt worden, Waffen hatten geschwiegen - rosige Aussichten ringsherum. Aber das war nur die trügerische Ruhe vor dem Sturm gewesen.
Kurz nach dem Friedensfest war die ganze Zivilisation den Bach hinuntergegangen, alles war gleichzeitig geschehen, so fühlte es sich an, eine irrwitzige Kettenreaktion aus neuen Krankheiten, Religionsfanatismus, Terrorismus und schließlich einer Naturkatastrophe, die, durch menschliches Zutun beschleunigt, nicht mehr aufzuhalten gewesen war. Alle hatten sich gegenseitig die Schuld zugeschoben und übersehen, dass jeder, wirklich jeder einzelne, seinen Beitrag dazu geleistet hatte.
Zehn Jahre später war die restliche Menschheit so stark dezimiert, dass es absehbar war, wann die Spezies aussterben würde. Lou gehörte zu den letzten Überlebenden. Damals war sie nicht ganz sicher gewesen, ob sie sich darüber freuen sollte.
Tatsächlich aber hatte es sich wirklich zum Positiven verändert. Natürlich hatten sie lernen müssen, ihr Leben in einer anderen Welt zu bestreiten: Die Infrastruktur war weitgehend zerstört, Energieressourcen verbraucht. Aber die Natur hatte schnell begonnen, die Erde zurückzuerobern. Nun waren sie in der Lage, im Einklang mit ihr zu überleben, weil das die einzige Möglichkeit war. Und plötzlich schafften sie es auch, nahezu konfliktfrei miteinander auszukommen, weil sie alle wussten, dass sie einander brauchten. Kulturelle Unterschiede? Spielten keine Rolle mehr. Jeder brachte eine Nuance mit, die der Gesellschaft ein neues, schillerndes Antlitz verlieh.
Was gelitten hatte, war die Ernährung. Eine ganze Zeit lang war es schwierig gewesen, alles an Lebensmitteln zu erzeugen, was benötigt wurde, selbst für die relativ kleine Zahl der Überlebenden, und das, was man erzeugen konnte, roch nach nichts, und entsprechend schmeckte es auch nicht. Nicht schlecht, sondern einfach
nicht.
Nach einiger Zeit hatte der Rat der Weisen neu entwickelte Tabletten verteilt, die alle notwendigen Nährstoffe enthielten. Satt machten sie nicht, aber in Kombination mit den geschmacksneutralen Proteinen und Ballaststoffen, die sie aus der sich regenerierenden Natur gewannen, standen die Überlebenschancen gar nicht so schlecht. Mit Genuss hatte die Nahrungsaufnahme allerdings nichts mehr zu tun gehabt.
Vor zehn Jahren kam der Durchbruch: Synreax. Wenn man vor dem Essen eine Kapsel einnahm, hatte alles plötzlich wieder Geschmack. Und Gerüche nahm man wahr! Lou hatte sich manchmal gefragt, wie das wohl funktionierte, denn die pflanzlichen Nahrungsmittel schmeckten auch jetzt nicht wie erwartet. Zum Beispiel gewann man Protein aus Algen, aber wenn man Synreax einnahm, schmeckte das Protein ihr und vielen anderen nicht nach irgendetwas, das aus dem Meer stammen mochte. Darin waren sich viele einig: Es schmeckte nicht nach Meer, aber es schmeckte köstlich. Worin sich die Aussagen unterschieden: Woran der Geschmack tatsächlich erinnerte. Manche meinten, es sei Kalbfleisch, andere sprachen von Tofu, und einige behaupteten, doch noch das Meer durchzuschmecken. Lou erinnerte es an dicke Bohnen, die sie als Kind geliebt hatte. Letztlich war es egal, man einigte sich darauf, dass das Essen wieder schmeckte, und solange es jeder als positiv empfand, war gleichgültig, dass man es unterschiedlich wahrnahm.
Dieses Jahr Anfang Dezember hatte es nun die große Ankündigung gegeben: Synreax 2.0 - ein Mittel, das so wirken sollte wie die blaue Pille aus diesem gut 100 Jahre alten Film, "Matrix": Man schmeckte nicht nur und roch, was einem gefiel, sondern fast alle Sinne sollten angesprochen werden, mit Ausnahme des Tastsinnes. Positive Erlebnisse mit Festen und Feierlichkeiten, Urlauben, Unterhaltung, Musik und Tanz wurden angekündigt. Alles würde schön aussehen, sich harmonisch anhören, angenehm duften und lecker schmecken. Dieses Jahr zum Winterfest, wie die meisten den Feiertag nannten, der damals zu den Zeiten der Religionen in großen Teilen der Welt als "Weihnachten" bekannt gewesen war, könnten alle "das pralle Leben" genießen. Das hatte der Rat ihnen versprochen.
Und hier stand sie nun, sah ein Spiegelbild, das sie in ihrer Jugend zeigte, in einem traumhaften Kleid, bereit, sich in die Festivitäten zu stürzen. Von Weitem sah sie Finn und Keiko, die sich bereits auf der Tanzfläche tummelten. Lou wunderte sich: Wenn dieser opulente, eurasische Ball ihre ganz persönliche Vorstellung vom prallen Leben war, wie kam es dann, dass sie ihre Freunde hier sah? Sollten die nicht ihre eigenen Wünsche vorgegaukelt bekommen?
Aus dieser Überlegung riss sie eine vertraute, sonore Stimme heraus: "Lou! Da bist du ja!"
Lou schaute auf und glaubte es kaum: Neben ihr stand Nick und lächelte. Wieder jung, genau wie sie. Nein, das konnte doch nicht sein!
"Wollen wir tanzen?" Erwartungsvoll sah er sie an.
Sie war sprachlos. Wie kam Nick hier her? Er war vor drei Jahren gestorben, ruhig und friedlich entschlafen, während sie an seinem Bett gesessen und seine Hand gestreichelt hatte. Sie seufzte. Es war eben doch alles Einbildung, ausgelöst durch das Synreax. Aber gut, mit einem imaginären Nick an ihrer Seite würde sie den Abend um so viel mehr genießen als alleine!
"Komm!", forderte er sie auf und nahm ihren Arm.
Lou erschrak. Sie spürte seine Hand! Wieso konnte sie die Hand spüren, wenn sie doch sonst nicht einmal den Stoff auf ihrer Haut fühlte? Synreax brachte keine haptischen Eindrücke hervor, das war ausdrücklich so angekündigt worden!
Nick legte einen Finger unter ihr Kinn - ein Finger, den sie ebenfalls fühlen konnte - und zwang sie, ihm in die Augen zu schauen. "Du hast Recht, Lou, es ist nicht das Synreax. Oder vielleicht doch - wer weiß das schon? Ich bin hier, um dich abzuholen. Du hast mich damals nicht alleine gelassen, und jetzt kann ich mich revanchieren."
Sie stutzte. "Heißt das, ich bin gestorben?" Sie war selbst erstaunt, dass ihr die Frage so leicht über die Lippen ging und wie schnell ihr dieser Schluss gekommen war. Und dass der Gedanke sie nicht schreckte. Wenn dies hier der Abschlussball ihres Lebens sein sollte, dann ging das in Ordnung.
Er nickte. "Aber nimm es nicht so schwer…"
Lou schüttelte langsam den Kopf. "Tu ich nicht. Wenn meine Zeit gekommen ist… Ich habe mein Leben gelebt!" Sie war immerhin 87 Jahre alt, und die Zipperlein des Alters hatte bisher niemand besiegt. Außerdem hatte es sich einsam angefüht ohne ihren geliebten Mann.
Nick lachte auf. "Von wegen! Du hast keine Ahnung, was jetzt kommt!" Strahlend sah er ihr in die Augen. "Das pralle Leben fängt gerade erst an!"
Adventsgeschichten 2021 - Das pralle Leben
und mich gewundert, dass fast alle Nina in Verdacht hatten. 
Die Zweitgeschichten sind unter uns…
wer war es… ???
nee, das gibts doch nicht 
Jetzt passt es - gefällt mir gut. 
