Das vierundzwanzigste Türchen
Nachdem ich Schnee geschaufelt habe und den ersten Schneemann dieses Winters gebaut habe, löse ich jetzt mal geschwind auf, wem wir die gestrige Geschichte verdanken: Es war
@**********gosto - wie ich das so sehe, hatten einige von euch Rateglück, bei den anderen klaptt es beim nächsten Mal
Unsere heutige Geschichte ist die von Helga und Cary Grant - oder zumindests von jemand, der so aussieht
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Weihnachten – das pralle Leben
„Sie haben etwas von Cary Grant. Wissen Sie?“
Helga sah ihren Banknachbarn ein wenig verlegen an und lächelte scheu. Zum ersten Mal seit Wochen hatte sie sich getraut, ihn anzusprechen. Den Mann, der seit eben diesen Wochen mit schöner Regelmäßigkeit zur Mittagszeit neben ihr auf der Parkbank Platz nahm. Mit einem erstaunten Blick schaute er sie an und schmunzelte dann. Er sprach kein Wort, aber sein leises Lächeln beflügelte Helga.
Benimm dich nicht wie eine dumme Gans! Flüsterte eine Stimme in ihr. Er ist doch viel zu jung für dich. Vermutlich weiß er gar nicht, wer Cary Grant ist. Ihre innere Stimme konnte so gemein sein. Dabei fand die andere Helga in ihr, dass sie längst wieder ein Recht auf neues Glück hätte. Nach all dem, was sie durchgemacht hatte. Ihr noch nicht so lange gelebter Witwenstand gefiel ihr nicht. Sie vermisste ihren Mann so sehr. Strahlend wie die Sonne persönlich war er gewesen, auch wenn sein einst blondes lockiges Haar irgendwann ergraut war. Seine Augen in der Farbe des Himmels hatten bis zuletzt für sie geleuchtet. Immer war er ihr Held gewesen. Nicht nur die Gespräche, selbst das Schweigen mit ihm war erfüllend gewesen. Besonders das körperliche fehlte ihr sehr, obwohl in dieses schon vor seinem unfreiwilligen Ableben ein klein wenig mehr Ruhe eingekehrt war. Einfach, weil dieser vergnügliche Zeitvertreib mit den Jahren eben anstrengender und – ehrlicherweise - manche Turnerei durchaus beschwerlich wurde. Wie toll hatten sie es getrieben – früher, vor allem in ihren mittleren Jahren. Als sie nach vielem ausprobieren endlich die für sie beide vollkommene Form des Miteinanders gefunden hatten. Und nun war er fort, war ihr genommen worden und sie allein. Seine Seite des Betts spendete keine Wärme mehr und genau deshalb saß sie auf dieser Bank und himmelte diesen Mann neben ihr mehr oder weniger heimlich an. Das Schicksal schuldete ihr etwas.
Die Natur um sie herum begab sich nun nach und nach zur Winterruhe und das lange Sitzen auf der Bank am Weiher im Stadtpark wurde unangenehm. Einfach, weil die klamme Kälte in jede ungeschützte Ritze kroch. Doch um nichts in der Welt wollte sie diese Mittagsstunden mit ihm verpassen. Sie schätzte ihn auf Mitte bis Ende Fünfzig, sein dunkles Haar war bereits mit ersten grauen Strähnen durchzogen. Er wirkte unnahbar, vielleicht betrachtete Helga diesen Umstand als besondere Herausforderung. Vielleicht war dieser Mann ja als Geschenk des Himmels an sie gedacht? An seinen Händen trug er keinen Ring, dies war Helga sofort aufgefallen. Bestimmt hatte er eine schwierige Beziehung hinter sich und ließ sich Zeit mit Sympathiebekundungen. Sein Äußeres wirkte gepflegt und sie fühlte im Laufe der Zeit eine immer stärker werdende Verbindung, gar eine Seelenverwandtschaft, mit ihm. Was machte es da schon, dass Helga stark auf die 75 zuging? Liebe war doch zeitlos. Und er war eben sehr zurückhaltend – so, wie es ein echter Gentleman sein sollte. Tatsächlich kam ein belangloses Gespräch in Gang, bei dem beide feststellten, dass sie das gleiche Lieblingsessen hatten. Was lag da näher als ihn bei ihrer nächsten Begegnung zu sich zum Essen einzuladen?
Helga war aufgeregt wie ein Backfisch. Vermutlich hatte sie das Gericht noch nie so sorgfältig zubereitet und dabei nur die besten Zutaten eingekauft. Und es schmeckte ihrem Gast, so dass er in der nächsten Woche wiederkam. Es wurde ein Ritual. Manchmal streiften sich ihre Finger beim Reichen der Schüsseln oder Helga ging absichtlich auf ihrem Weg zum Herd zu dicht an ihm vorüber, so dass ihre Körper sich kurz berührten. Von seinem Rasierwasser wurde ihr fast schwindelig. Es passte einfach so gut zu ihm und unterstrich seinen Typ. Während er bei jedem Mal zu erstarren schien, steigerte sich Helga in einen trunkenen Liebesrausch und stellte sich in Gedanken bereits eine zarte Berührung ihrer Lippen vor. Wie er wohl schmecken würde? Und für Weihnachten hatte sie bereits große Pläne. Es würde ein Weihnachten – das pralle Leben werden, denn sie hatte keinen Zweifel daran, dass sie zu diesem Zeitpunkt in sehr naher Zukunft bereits ein glückliches Paar sein würden.
An diesem Tag hatte Helga eine Überraschung für ihn. Das Essen hatte wie immer gemundet und beide unternahmen noch einen kurzen Spaziergang. Das hatte sich so eingebürgert und Helga genoss es, an seiner Seite durch das Viertel zu laufen. Da war schon der eine oder andere neidvolle Blick auf sie gerichtet. Besonders genoss sie diese Blicke von jüngeren Frauen. Ja, ihr Begleiter war eben höchst attraktiv, wobei sie aber auch noch immer vorzeigbar war und man ihr ihr Alter nicht ansah. Mindestens zehn Jahre jünger schaute sie aus. In der Mitte der historischen Brücke über dem malerischen Fluss übergab sie ihm das Päckchen und er wickelte es nach anfänglichen Zögern aus dem Papier. Es war ein kleines glänzendes Vorhängeschloss mit ihren Initialen. Sein überraschter Blick und die abrupte Erstarrung all seiner Bewegungen ignorierte Helga, denn wie gesagt – er war eben sehr schüchtern. Voller Freude kettete sie das Schloss ans Geländer, wo schon viele andere Liebesschlösser hingen und warf den Schlüssel ins Wasser. Ihr Begleiter ergriff daraufhin die Flucht und Helga kam so schnell nicht hinter ihm her. In der nächsten Woche wartete sie vergebens mit dem Leibgericht. Voll der Verzweiflung ging sie wieder täglich zu „ihrer“ Bank, obwohl die kalten Winde schaurig heulten. In der Hoffnung, mit ihm sprechen zu können und sich für ihre draufgängerische Art zu entschuldigen. Nein, eine Ikone des guten Benehmens wie Grace Kelly war sie wirklich nicht. Doch er war eben wie Cary Grant und sie hatte mit ihrer Ungeduld alles verdorben.
Tatsächlich, nach einigen Tagen setzte er sich zu ihr auf die Bank. Der Duft seines Rasierwassers und seine Nähe machten Helga fast verrückt. Wie sehr wünschte sie sich, von ihm in den Arm genommen zu werden und die Worte zu hören, nach denen sie sich so sehnte. Lange fiel kein Wort zwischen ihnen bis Helga endlich den Mut fand, ihre Schuld zu bekennen. Er wirkte erleichtert und versprach am nächsten Tag, dem Tag vor Heiligabend, zum Essen zu ihr zu kommen. Jedoch früher als sonst, um den Status ihrer Beziehung ein für alle Mal zu klären.
Heiligabend und den ersten Feiertag verbrachte Helga nun allein. Es war vorbei. Nichts mit dem prallen Leben zum Fest der Feste. Keine Liebe für sie. Viele Tränen hatte sie vergossen, doch so hatte das alles einfach nicht weitergehen können. Sie sah es nun ein, Liebe ließ sich nicht erzwingen. Am zweiten Feiertag saß sie um die Mittagszeit wieder auf „ihrer“ Bank am Weiher. Zur selben Zeit wie immer zuvor. Hoffte sie wirklich, dass er plötzlich wieder neben ihr sitzen würde und sie eine zweite Chance bekäme?
Ein Mann nahm neben ihr Platz und sie schaute in gütige braune Augen. Ein Blick wie eine innige Umarmung. Er stellte sich als Pater Athanasius vor und meinte, es sei ihm ein echtes Anliegen, die schöne Tradition seines leider ach so plötzlich an Herzschlag verstorbenen Vorgängers weiterführen zu wollen, ihr einmal in der Woche auf dieser Bank Gesellschaft zu leisten. Sofern es ihr recht sei – natürlich. Dem allmächtigen Herrn habe es ja leider gefallen, seinen geschätzten Mitbruder und Freund ausgerechnet am Heiligabend zu sich zu berufen. Jetzt war es an Helga verdutzt zu schauen.
Wieso dem Herrn? Dachte sie. Es war ihr Wille gewesen, sein Leibgericht mit - sagen wir – einer alternativen Kräutermischung zu versetzen, die sich – nicht nur möglicherweise - negativ auf die Gesundheit und das Leben im Allgemeinen auswirken würde. Dankbar lächelte sie den Pater an, er erschien ihr durchaus geeignet, die Nachfolge seines Freundes bei ihr anzutreten, und fragte ihn direkt nach seinem Lieblingsessen.