Tag-er-wache
Es war früh am Morgen, draußen war es noch dunkel, stockfinster. Und es regnete, wie Bernhard mit Verdruss feststellte. Der Regen hatte ihm noch gefehlt. Kalt war es obendrein, obschon das bei der Jahreszeit zu erwarten war.Sein alter Peugeot würde wieder Probleme beim Starten machen.
Bernhard stieg mit einem resignierten Seufzen ein, drehte den Startschlüssel und der erste Glücksfall des Tages – der Wagen sprang beim dritten Versuch an.
Dann der erste Fehlschlag, das Autoradio streikte, schon wieder.
‚Ich muss das Ding jetzt endlich mal auswechseln, am besten gleich das ganze Auto’, dachte er und fuhr los. ‚Das wird eine langweilige Fahrt. Ui, bin ich müde.’ Dem Gedanken folgte ein lautes Gähnen. Das rhythmische Krächzen des Scheibenwischers verstärkte schon jetzt seine Schläfrigkeit.
Er fuhr Richtung Bundesstraße. Die Scheinwerfer des Gegenverkehrs blendeten seine müden Augen und ließen ihn zwinkern. Zügig fuhr er weiter. Er kannte den Weg in und auswendig. Diese Tatsache führte immer wieder zu riskanten Manövern.
‚Warum ist hier immer so verdammt viel Verkehr. Verpiss dich von der Straße’, dachte er, als ein Traktor vor ihm auftauchte. Energisch trat er auf die Bremse und der alte Peugeot kam kurz ins Schlingern. Bernhard dachte vor Schreck sei sein Herz stehen geblieben, aber es hämmerte heftig in der Brust. Er atmete einmal, zweimal tief durch, dann ging es besser.
‚Eine Zigarette und bei der nächsten Tankstelle muss ein Kaffee her. Ich hätte nicht so spät schlafen gehen sollen’, dachte er jetzt grinsend, während er das Fenster runterkurbelte und sich die erste Zigarette des Tages anzündete.
Der Gegenverkehr brause laut an ihm vorbei und sandte Wasserspritzer ins Auto. Er wurde auf einer Seite völlig nass. Aber das störte ihn in dem Moment nicht. Versonnen steuerte er den Wagen, immer gerade aus. Der Traktor hatte sich glücklicherweise an einer Kreuzung verabschiedet und so konnte er wieder Gas geben.
Die Kolonne vor ihm fuhr ungefähr hundert Kilometer pro Stunde, die hinter ihm auch, er war dazwischen. Die Lichter der Autos, der fernen Ampeln und die Beleuchtung des nahen Industriegebiets sandten ein märchen-, ja fast feenhaftes Licht in die ferne Morgendämmerung. An den Leitplanken spiegelte sich Licht, der nasse, schwarze Asphalt glänzte im Gegenverkehr. Die Rückleuchten der Kolonne vor ihm schienen sich in das spiegelnde Schwarz zu bohren. Wie Laserstrahlen drang das Rot tief in den Boden und machte Schweizer Käse aus der Fahrbahn – schwarzen Schweizer Käse mit roten Löchern. Die Scheinwerfer auf der Gegenseite machten weiße Löcher.
Auch an den Tunnelwänden spiegelte sich Licht. In der Ferne konnte Bernhard schon das große Industriegebiet ausmachen. Es lächelte ihm orangefarben zu.
Weißer Dampf wurde von den Straßenlaternen beleuchtet und wirbelte gelborange Wolken in die Dunkelheit.
‚Verdammt, schon wieder rot’, dachte Bernhard wütend, stieg auf die Bremse und hielt den Wagen nur mit Mühe in der Spur. ‚Scheiß Spurrillen.’
Endlich ging es weiter. Durch den letzten Tunnel und nur noch zwei Ampeln trennten ihn von der Arbeit.
Er dachte an den vergangenen Abend. ‚Wie geil Martina ausgesehen hat. Huch, die ist schon ein steiler Zahn’, überlegte er und pfiff durch die Zähne. Der Laut erschreckt ihn, dann musste er lachen. ‚Idiot, erschrickst über dich selber. Hach. Ich muss sie nachher anrufen, damit sie nicht verschläft und ihr sagen, wo der Kaffee ist. Ich hab ja vergessen, welchen zu machen. Mensch, hab ich ein Glück, die getroffen zu haben.’
Er grinste blöd vor sich hin, reihte sich links ein, blinkte irrtümlich rechts und schon quietschten verschiedentlich Bremsen und lautes Hupen drang von diversen Autos.
„Sorry Leute, ist heute nicht mein Tag!“, rief Bernhard und winkte entschuldigend.
Dann ging es weiter, nun begann auch noch sein Kopf sich bemerkbar zu machen. ‚Shit, das hab ich nicht gebraucht. Shit, shit, shit. Verdammte Migräne.’ Er fuhr sich mit der freien Hand über die Stirn und begann eine Schläfe zu massieren.
Nur mit Mühe gelang es ihm, auf den Parkplatz zu steuern.
‚Endlich da. Ich muss gleich hochgehen und sehen, ob jemand Aspirin oder so was da hat. Echt ekelhaft, diese Kopfschmerzen – und dann brauch ich endlich Kaffee. Ich hätte doch an die Tankstelle fahren sollen. Hab sie übersehen’, redete er mit sich selbst.
Dann begann sein ganz normaler Tag in der Firma – angefüllt mit teils sinnvoller, teils sinnloser Tätigkeit, Gedanken an Martina, Kopfschmerzen, Verlangen nach Kaffee und Zigaretten, einer kurzen Mittagspause, dem Wunsch nach Schlaf und mehr Freizeit, bevor er sich wieder auf den Heimweg machte. Wieder im Dunkeln, wieder müde aber mit der Aussicht, den Abend mit Martina zu verbringen.
Endlich zuhause – die Müdigkeit war wie weggeblasen, weggewischt, abgewaschen vom Abendregen.
Herta 12/2009