Glücklich sein
Vor langer Zeit lebte ein kleiner Junge der sich furchtbar langweilte. Eines Tages beschloss er, die Welt zu erkunden und so machte er sich auf den Weg. Er folgte einfach seinem Herzen, immer gerade aus.Als er eine Weile gegangen war kam er an eine Wegkreuzung und setzte sich auf eine Bank.
Dort aß er einen Apfel und fragte dann ein kleines Gänseblümchen nach dem Weg auf die andere Seite der Welt.
Erstaunt schaute das Gänseblümchen ihn an und zuckte mit den Achseln. „Ich habe keinen Schimmer wie du da hin kommst. Aber sag, was willst du dort? Wo könnte es denn schöner sein, als hier?
Der Junge sah sich um. Hier sollte es schön sein? Dem Gänseblümchen fehlten wohl ein paar Blätter in der Krone. Pausenlos fuhren hier Autos vorbei und es roch nach Abgasen. Nein, hier gefiel es dem Jungen gar nicht. Er wünschte der Blume einen schönen Tag und lief weiter.
Mittags, als die Sonne am höchsten stand und so richtig auf ihn herunterbrannte, kam er zu einer mächtigen Eiche. Etwas müde von der Hitze und dem vielen Laufen legte er sich im kühlen Schatten nieder. Nach einiger Zeit wandte er sich neugierig an den Baum, fragte, ob er den Weg ans andere Ende der Welt kennt. Die Eiche antwortete nicht. Der Junge hatte mal gehört, dass alte Bäume oft in Gedanken waren und dann alles um sie herum ignorierten, also wartete er bis zum Abend. Es wurde dunkel und kalt. Eingewickelt in seine Decke fiel er in tiefen Schlaf.
Als er wieder aufwachte, knurrte sein Magen. Inzwischen war es nach Mitternacht. Gerade wollte er weiterziehen, da erwachte auch der Baum und schaute ihn fragend an. „Am anderen Ende bist du genau da, wo du jetzt auch bist. Und überhaupt, was suchst du dort, hier ist es doch schön. Schöner kann es nirgendwo sein.“ Der Junge schaute etwas ungläubig, bedankte sich und lief schnell weiter. Er kam direkt zu einer großen Brombeerhecke, wo er sich mit süßen Beeren den Bauch voll stopfte.
Als sein Hunger gestillt war, schaute er in den klaren Nachthimmel hinauf. Dort sah er einen glitzernden Stern tanzen. Er schaute dem Stern eine ganze Weile zu und rief dann zu ihm hinauf: “Ich möchte so gerne ans andere Ende der Welt, kannst du mir den Weg zeigen?“ „Aber sicher“ antwortete der Stern. „Steig hoch zu mir dann will ich dir den Weg zeigen. Es ist nicht sehr weit. In ein paar Minuten kannst du dort sein. Jedoch ist es auf der anderen Seite der Welt keineswegs schöner als dort, wo du gerade stehst. So richtig schön ist es nur hier oben.“
Der Junge schüttelte den Kopf. Wie sollte er denn zu dem Stern hochkommen? Er konnte doch nicht fliegen wie ein Adler. Traurig bedankte er sich für die Auskunft und lief weiter.
Auf seiner Wanderung durch die dunkle Nacht wurde er langsam sehr nachdenklich. Irgendwie war das seltsam. Alle, die er heute nach dem Weg gefragt hatte, wollten gar nicht weg von dort, wo sie waren. Es schien, als wäre er der Einzige, der neugierig und abenteuerlustig war. War das falsch?
Wäre es vielleicht besser, einfach dort zu bleiben, wo er war und dort zufrieden zu sein? Als er losgelaufen war, erschien ihm das alles so einfach und nun war es plötzlich so schwer.
Wie konnte er nur glauben, dass er mit seinen kleinen, kurzen Beinen bis ans andere Ende der Welt laufen konnte? Das erschien ihm plötzlich aussichtslos, nicht zu schaffen.
Resigniert setzte er sich auf das weiche Moos am Boden und eine kleine Träne lief über seine Wange. Sollte er jetzt wirklich aufgeben?
Ganz versunken in seine Gedanken hatte der Junge nicht bemerkt, dass die Sonne bereits aufgegangen war. Der Stern war nun verschwunden und ein Schmetterling tanzte vor seinen Augen im Sonnenlicht.
„Einen letzten Versuch wage ich noch“, beschloss der Junge spontan. Wenn nun auch der Schmetterling meint, dass es auf der anderen Seite der Welt nicht schöner sei als hier, würde er aufgeben. Vorsichtig, fast ein wenig ängstlich, stellte er seine Frage: „Du, Schmetterling, weißt du, wie ich auf die andere Seite der Welt komme?“
Der Schmetterling lächelte den Jungen an. „Du, ich bin ein Glückspilz und du hast Glück, dass du mich getroffen hast. Ich habe soeben meine Flügel erhalten die ich mir so lange gewünscht habe. Schau, dort unten am Fluss wohnt eine Fee. Sie kann dir sicher deinen Wunsch erfüllen. Bestimmt kennt sie den Weg. Womöglich kann sie dich auch gleich dort hinzaubern. Dann kannst du dir die Mühe des Weges sparen.“
Freudig und mit roten Wangen bedankte sich der Junge bei dem Schmetterling und machte sich auf den Weg. Zuerst rannte und hüpfte er vor Freude, war er seinem Ziel doch jetzt so nah. Jedoch wurde er mit jedem Schritt langsamer. War das wirklich sein Wunsch? Würde er dort wirklich glücklich werden? Und wenn nicht, wie käme er zurück? Der Junge war plötzlich ganz durcheinander und blieb stehen. In dem Moment sprach ihn die Fee bereits an.
„Mein Junge, du hast einen Wunsch?“
Noch ganz verwirrt antwortete der Junge: „Ja, ich möchte gerne glücklich sein.“
Die Fee lachte laut heraus und legte wohlwollend den Arm um die hängenden Schultern des Jungen. „Glücklich werden kannst du nur selber, da kann auch ich dir nicht helfen. Ich könnte dir allenfalls einen Wunsch erfüllen, dessen Erfüllung dich glücklich machen wird.“ „Ich weiß das jetzt auch“ antwortete der Junge „Ich wollte das andere Ende der Welt sehen, Abenteuer erleben. Doch alle, die ich getroffen habe, waren glücklich und zufrieden, dort, wo sie waren. Der Schmetterling, der mich zu dir geschickt hat, wusste genau, was ihn glücklich machen würde, nämlich seine Flügel.
Ich dachte, ich wäre glücklich, wenn ich die Welt erkunde, doch nun frage ich mich, ob ich nicht einfach nur weggelaufen bin von da, wo ich eigentlich hätte glücklich sein können. Ich weiß nicht einmal, was ich mir wünschen soll, was mich glücklich machen könnte.“
Eine kurze Zeit überlegte der Junge noch. Dann begann er von Neuem: „Ich weiß nun was ich mir wünschen möchte“. Erfreut schaute die Fee ihn an. „Ich wünsche mir, dass mir auf meinem Nachhauseweg etwas begegnet, was mich glücklich machen wird.“ Weise lächelnd nahm die Fee ihren Elfenbeutel, warf ein wenig Elfenstaub über den Jungen und murmelte ein paar fremdklingende Worte. „So soll es sein“, sprach sie und winkte ihm fröhlich lächelnd zum Abschied.
Der Junge machte sich auf den Heimweg. Schritt für Schritt fühlte er sich glücklicher, obwohl er nichts fand. Nichts hatte sich geändert. Und doch war alles anders. Er hatte gelernt, dass glücklich sein nicht von äußeren Dingen abhängt und dass seine Entscheidung, glücklich zu sein, ausreicht.
Fröhlich ging er seines Weges, und kurz bevor er zuhause ankam, begegnete er dann doch noch jemandem. Nun war er überglücklich.
Nio**